Wie in den meisten mittelalterlichen Artusepen beginnt die Haupthandlung mit einer Störung der "vreude" am Hof, hier ausgelöst durch den jungen Ritter Erec. Dieser bringt durch sein "verligen" mit der wunderschönen Enite Schande über seinen Hof. Das hätte jedoch von Enite verhindert werden können. In diesem Roman wird ein Kommunikationsproblem zwischen den beiden Hauptfiguren deutlich, dass - ebenso wie die Schande des Hofes - auf einer Âventiurefahrt behoben werden muss. Enite soll lernen, sich nicht allein auf ihren visuellen Reiz zu verlassen, sondern im entscheidenden Moment auch verbal zu kommunizieren, was für das gute Funktionieren einer Partnerschaft unerlässlich ist.
In der Arbeit wird gezeigt, wie Enite, die sich zuerst allein auf ihre "schoene" verlässt, mit ihrem Erec zu einer Gemeinschaft im Zeichen der "guoten minne" gelangt. Dies lässt sich an der Veränderung, bzw. Entwicklung der sinnlichen Wahrnehmung von Enite dokumentieren.
[...]
Inhalt:
I. Einleitung
II. Die Rolle der sinnliche Wahrnehmung von Enite in Hartmanns „Erec“
1. Chancen und Gefahren der schoene (V. 1 – 3052)
a) Chancen
„Und als er dar zuo ane sach/ die schoenen vrouwen Êniten, / daz half im vaste strîten: / wan dâ von gewan er dô/ sîner krefte zwô.“ (V. 935 – 939)
b) Gefahren
2. Schoene vs. guote minne (V.3053 – 6617)
a) Betonung der optischen Wahrnehmung von Enite im ersten Teil des Ausrittes
b) Betonung der akustische Wahrnehmung von Enite im zweiten Teil des Ausrittes
3. Die Bewährung der guoten minne (V. 6618 – 10135)
a) Guivreiz
b) Mabonagrin
III. Fazit
IV. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Wie in den meisten mittelalterlichen Artusepen beginnt die Haupthandlung mit einer Störung der vreude am Hof , hier ausgelöst durch den jungen Ritter Erec. Dieser bringt durch sein verligen mit der wunderschönen Enite Schande über seinen Hof. Das hätte jedoch von Enite verhindert werden können, wenn sie Erec früher von dem Problem erzählt hätte. „Eine solche Grenzübertretung steht jeweils am Anfang der Texte und setzt ihre Erzählhandlung in Gang. Die Initialepisoden sind stets an der äußeren Peripherie des Hofes angesiedelt, wo das Mittel der szenischen Darstellung dazu eingesetzt wird, die handlungsauslösenden Konflikte in ihrem Verlauf genau zu beobachten.“[1] In diesem Roman wird ein Kommunikationsproblem zwischen den beiden Hauptfiguren deutlich, dass - ebenso wie die Schande des Hofes - auf einer Âventiurefahrt behoben werden muss. Enite soll lernen, sich nicht allein auf ihren visuellen Reiz zu verlassen, sondern im entscheidenden Moment auch verbal zu kommunizieren, was für das gute Funktionieren einer Partnerschaft unerlässlich ist.
Im folgenden wird gezeigt, wie Enite, die sich zuerst allein auf ihre schoene verlässt, mit ihrem Erec zu einer Gemeinschaft im Zeichen der guoten minne gelangt. Dies lässt sich an der Veränderung, bzw. Entwicklung der sinnlichen Wahrnehmung von Enite dokumentieren.
II. Die Rolle der sinnliche Wahrnehmung von Enite in Hartmanns „Erec“
1. Chancen und Gefahren der schoene (V. 1 – 3052)
a) Chancen
Am Anfang des Romans wird Erec von einem ihm unbekannten Ritter vor den Augen der Königin beleidigt. Auf seinem Weg, diese Schande zu rächen, erfährt er auf dem Hof des verarmten Grafen Koralus, wer dieser Ritter ist und auch, wo er ihn finden kann. Nämlich auf der Burg Tulmein, wo der besagte Ritter den jährlich stattfindenden Schönheitswettbewerb mit seiner nicht allzu schönen Freundin auf unehrenhafte Weise zu gewinnen pflegt. Der Zufall will es, dass eben dieser Wettbewerb wieder ansteht. Ein zweiter Zufall ermöglicht es nun auch Erec, an diesem Wettbewerb teilzunehmen: Koralus hat eine wunderschöne Tochter – Enite – die Erec begleiten darf. Wie nicht anders zu erwarten, gewinnt Enite den Wettbewerb und so erhält Erec die Gelegenheit, seine Schande in einem Kampf mit dem Ritter Iders zu rächen. Wichtig scheint hier, dass Erecs Sieg gleichermaßen auf seine Fähigkeiten im Kampf, wie auf Enites Schönheit beruht, die so ein außerordentliches Gewicht bekommt, was auf das notwendige Zusammenspiel der männlichen und weiblichen Qualitäten in einer Minnegemeinschaft hinweist, welches dem damaligen Verständnis von Ehe entspricht. Rittertüchtigkeit und Frauenschönheit stehen nicht nur als gleichwertig nebeneinander, sie ergänzen sich: „Erec hat außergewöhnliche Rittertüchtigkeit, die nur darauf wartet, an den Tag gebracht zu werden; Enite hat das Mittel gerade diese Rittertüchtigkeit zu stimulieren und zur vollen Entwicklung zu bringen: sie besitzt außergewöhnliche schoene. Erst in der Partnerschaft, in der Mann und Frau nach Ansicht Hartmanns und der frühscholastischen Theologie verschiedene, sich ergänzende Rollen spielen, können sich diese Eigenschaften voll entfalten.“[2]
So erlangt Enite ihrer Schönheit wegen nicht nur den Sperber, sondern gibt Erec auch mit ihrer Anwesenheit die ihm fehlende nötige Kraft zum Sieg:
„Und als er dar zuo ane sach/ die schoenen vrouwen Êniten, / daz half im vaste strîten: / wan dâ von gewan er dô/ sîner krefte zwô.“ (V. 935 – 939)
Dies weist auf das zentrale Thema des Romans hin. Beim „Erec“ handelt es sich um einen Roman einer Partnerschaft - darüber ist sich die Forschung einig -, der sich mit der Bewährung einer im Sinne der höfischen Gesellschaft gut funktionierenden Ehe- bzw. Minnegemeinschaft beschäftigt. Dieses Ideal wird hier allerdings nicht einfach vorgestellt, sondern anhand eines vorläufigen Scheiterns problematisiert[3]. Es wird sich herausstellen, dass es sich bei Erecs und Enites Schwierigkeit um ein Kommuniktionsproblem handelt, durch welches ihre êre und somit der ganze Hof Erecs in Gefahr gerät[4].
So gründet zu Beginn die gesamte Partnerschaft von Erec und Enite, sowie deren Bewährung, auf einseitige Visualität, vor allem aber auf Enites Schönheit. Bis Vers 3029 tritt Enite rein visuell in Erscheinung. Immer wieder wird Enites herausragende Schönheit thematisiert, über die selbst die Lumpen, in die sie gehüllt ist, nicht hinweg täuschen können:
„der megede lîp was lobelich ./ der roc was grüener varwe, / gezerret begarwe ,/ abehaere über al. / dar under was ir hemde sal/ und ouch zebrochen eteswâ: / sô schein diu lîch dâ/ durch wîz alsam ein swan. / man saget daz nie kint gewan/ einen lîp sô gar dem wunsche gelîch: / und waere si gewesen rîch, / sô engebraeste niht ir lîbe/ ze lobelîchem wîbe. / ir lîp schein durch ir salwe wât/ alsam diu lilje, dâ si stât/ under swarzen dornen wîz. / ich waene got sînen vlîz/ an si hâte geleit/ von schoene und von saelekeit.“ (Vers 323 – 341)
Der Vergleich mit einer weißen Lilie unter schwarzen Dornen erinnert an das Bibelmotiv Marias im Dornwald[5]. Enites Schönheit ist nicht nur äußerlich – sie ist wahrhaft tugentlich.
Auch zeigt sich schon hier an Enites Äußerem, dass Erec und Enite füreinander bestimmt sind, denn sie haben bereits eine hervorstechende Gemeinsamkeit: Beiden sieht man ihren wirklichen Stand an, obwohl sie nicht danach gekleidet sind. Enite trägt ärmliche Kleidung – Erec trägt seine Rüstung nicht. Außerdem bedürfen beide des anderen, um ihre angemessene Stellung einzunehmen und ihre Fähigkeiten voll zu entwickeln. Erec braucht Enite, damit er seine Schande rächen und zum Artushof zurückkehren kann, sowie die Rüstung ihres Vaters. Nur mit Hilfe ihrer Schönheit reicht seine Rittertüchtigkeit zum Sieg. Enite braucht Erec, um ihrer unangemessenen Armut (und Kleidung) zu entfliehen und damit ihre Schönheit die verdiente Anerkennung und Wirkung findet (siehe Fußnote 2).
Die Liebe zwischen den Beiden entsteht allein durch innigen Blickkontakt, was die Betonung und Einseitigkeit der Visualität unterstreicht[6]:
„alsô si dô beide/ kâmen ûf die heide, / Erec begunde schouwen/ sîne juncvrouwen./ ouch sach si vil dicke an/ bliuclîchen ir man / dô wehselten si vil dicke/ die vriuntlîchen blicke ./ Ir herze wart der minne vol: / si gefielen beide ein ander wol/ und ie baz unde baz/ (...) / triuwe und staete si besaz. “
(V. 1484 – 1497)
b) Gefahren
Doch gibt es im ersten Teil des Romans schon zahlreiche Hinweise auf die Gefahr, die von einem allzu einseitigen und oberflächlichen Verlass auf die Augenwahrnehmung und die optischen Reize ausgeht. Diese kann nämlich täuschen. Sowohl Enite als auch Erec werden aufgrund ihres Äußeren von Iders falsch eingeschätzt. Er nennt Enite eine dürftiginne (V. 694), verkennt also eindeutig ihre Schönheit. Erec hält er für ein Kind, wird allerdings von beiden eines Besseren belehrt. Diese Falscheinschätzung nutzt den Helden zwar in diesem Fall, doch erhält sie durch die deutliche Parallele zu der Falscheinschätzung Iders durch die Königin und Erec selbst – Iders wirkt durch seine Kleidung wahrhaft ritterlich (V.14 – 17) – einen stark negativen Beigeschmack und warnenden Charakter.
Als Vorausdeutung auf die Gefahr durch das Fehlverhalten des verligens lässt sich die überraschende Reaktion der edlen Artusritter auf Enites Aussehen interpretieren. Am Artushof dann erhält Enite ihr angemessene wunderschöne Kleidung und vom König den Kuss, der sie als schönste Frau ausweist und ist damit legitimes Mitglied des Hofes. Nun kann sie den Artusrittern vorgestellt werden. Diese aber erschrecken sich angesichts ihrer atemberaubenden Schönheit, sie vergessen sich sogar selbst:
„dô diu maget in gie, / von ir schoene erschrâken die/ zer tavelrunde sâzen/ sô daz si ir selber vergâzen/ und kapheten die maget an.“ (V. 1736 – 1740)
Die erfahrenen Ritter erkennen sofort die Gefahr, die von so großer Schönheit ausgeht. Und bereits bei ihnen zeigt sich diese negative Wirkung, heißt es doch, wenn die Artusritter ihrer selbst vergessen, dass sie wahrscheinlich gerade all diejenigen guten Eigenschaften vergessen, die sie zu dem machen, was sie sind. So starren sie Enite geradezu an.
Enites und Erecs Beziehung bleibt zu Anfang ausschließlich auf Körperlichkeit fixiert, bei der verbale Kommunikation natürlich keinerlei Rolle spielt. Erec ist von Enites Schönheit geradezu verzaubert. Sie können die gemeinsamen Nächte kaum erwarten und ertragen es nicht, den anderen nicht zu sehen (V. 1840 – 1860). Interessant ist, dass in diesem Kontext die Metapher eines hungrigen Habichtes, der seine Beute sieht, eingebracht wird:
[...]
[1] Haiko Wandhoff: Der epische Blick, S.205, Z. 15 – 19.
[2] Kathryn Smits, S.8. Z. 13 – 19.
[3] Haiko Wandhoff: Der epische Blick, S.207, Z.16 – 19.
[4] Ders.: Gefährliche Blicke und rettende Stimme, S. 170 – 189.
[5] Otfrid Ehrismann, S. 325, Z. 5 - 7.
[6] Haiko Wandhoff: Gefährliche Blicke und rettende Stimmen, S. 172, Z. 10 – 33.
- Arbeit zitieren
- Lisanne Schuster (Autor:in), 2003, Die Rolle der sinnlichen Wahrnehmung von Enite in Hartmanns "Erec", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122622
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