Wie kommt es zu Gewaltbeziehungen? Warum brechen die Opfer, meistens Frauen, nicht aus? Welche Lösungsansätze gibt es, um partnerschaftliche Gewalt in Zukunft hinter den Mauern des Hauses in Grenzen zu halten? Ein Schwerpunkt der Seminararbeit ist die körperliche und psychische Gewalt. An dieser Stelle soll aber darauf hingewiesen werden, dass die Darstellung von Gewalt in der Partnerschaft ein vielseitiges Thema ist und die Ausarbeitung deshalb nicht vollständig sein kann. Alleine digitale Gewalt, ein Bezug zu homosexuellen Paarbeziehungen oder auch die Aggressivität von Frauen gegenüber ihren männlichen Partner würden jeweils neue Ansatzpunkte bieten, die hier aber nicht detailliert dargestellt werden. Aus folgenden Gründen steht die Gewalt an Frauen in heterosexuellen Beziehungen im Fokus: Ein Drittel der Frauen weltweit sind mindestens einmal in ihrem Leben physischer und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt. 47.000 Frauen weltweit wurden 2020 von ihren Partnern und Ehemännern getötet.
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung und Schwerpunkt der Arbeit
2. Begriffsdefinitionen und Grundlagen
2.1. Gewalt und häusliche Gewalt
2.2. Formen von Partnerschaftsgewalt
2.3. Forschungsstand und Zahlen
2.4. Beziehungsverlauf
2.5. Modell zur Beschreibung der Opfer- und Tätersituation
3. Täterprofil
3.1. Individualebene
3.2. Partnerschaftsebene
3.3. Gemeinschafts- und Gesellschaftsebene
4. Opfersituation
4.1. Individualebene
4.2. Partnerschaftsebene
4.3. Gemeinschafts- und Gesellschaftsebene
5. Lösungsansätze
5.1. Präventive Maßnahmen
5.2. Therapie und Trennung
5.3. Probleme und eigene Perspektive
6. Fazit der Arbeit
7. Abkürzungsverzeichnis
8. Literaturverzeichnis
1. E INLEITUNG UND S CHWERPUNKT DER A RBEIT
„Die Mauern eines Hauses sind eher ein Hindernis für eine Frau als ein Schutz.“ (Clara Zetkin, deutsche Politikerin und Frauenrechtlerin 1857-1933).
Frühe mittelalterliche Quellen deuten an, was sich wohl über Jahrhunderte hinter diesen Mauern abgespielt hat. Die Autorität lag immer beim Mann. Zuerst hatte der Vater oftmals im wahrsten Sinne des Wortes die Gewalt über Ehefrau und Kinder. Ein fließender Übergang der Autorität hat mit der Heirat dann vom Vater zum Ehemann stattgefunden. (vgl. Katharina Gusenleitner) Die Gewalt ist auch der Ansatzpunkt für die nachfolgenden Kapitel. Wie kommt es zu Gewaltbeziehungen? Warum brechen die Opfer, meistens Frauen, nicht aus? Welche Lösungsansätze gibt es, um partnerschaftliche Gewalt in Zukunft hinter den Mauern des Hauses in Grenzen zu halten? Ein Schwerpunkt der Seminararbeit ist die körperliche und psychische Gewalt. An dieser Stelle soll aber darauf hingewiesen werden, dass die Darstellung von Gewalt in der Partnerschaft ein vielseitiges Thema ist und die Ausarbeitung deshalb nicht vollständig sein kann. Alleine digitale Gewalt, ein Bezug zu homosexuellen Paarbeziehungen oder auch die Aggressivität von Frauen gegenüber ihren männlichen Partner würden jeweils neue Ansatzpunkte bieten, die hier aber nicht detailliert dargestellt werden. Aus folgenden Gründen steht die Gewalt an Frauen in heterosexuellen Beziehungen im Fokus: Ein Drittel der Frauen weltweit sind mindestens einmal in ihrem Leben physischer und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt (vgl. FRA 2014). 47.000 Frauen weltweit wurden 2020 von ihren Partnern und Ehemännern getötet (vgl. UN Women 2020).
2. B EGRIFFSDEFINITIONEN UND G RUNDLAGEN
2.1. GEWALT UND HÄUSLICHE GEWALT
Der Begriff Gewalt wird assoziiert mit Begriffen wie Macht, Stärke, Heftigkeit, Machtausübung, Brutalität, Aggression oder Hass (vgl. wordassociations). Offiziell ist sie wie folgt definiert:
„Als Gewalt (von althochdeutsch waltan ,stark sein, beherrschen') werden Handlungen, Vorgänge und soziale Zusammenhänge bezeichnet in denen oder durch die auf Menschen, Tiere oder Gegenstände beeinflussend, verändernd oder schädigend eingewirkt wird.“ (s. Wikipedia 1 2022). Der Begriff der Gewalt ist kein eindimensionaler Begriff, sondern komplex und vielseitig. Einerseits kann sie sich als personale Gewalt äußern, also als Gewalt zwischen zwei Menschen. Dabei geht sie von einem Täter aus, der das Machtgefälle zum Opfer ausnutzt oder konstruiert. Personelle Gewalt hat physische und psychische Auswirkungen auf das Opfer. Damit fällt Partnerschaftsgewalt unter diese Gewaltform. Im Kontrast dazu steht die strukturelle Gewalt, wobei es keine einzelne Täterperson gibt, sondern die bspw. ungleiche Verhältnisse meint. (vgl. Gewaltinfo AT 2022)
Die WHO differenziert in ihrem Bericht zu Gewalt und Gesundheit drei Kategorien von Gewalt: Erstens, Gewalt gegen sich selbst (bspw. Suizid). Zweitens, interpersonale Gewalt und drittens, kollektive Gewalt. Letztere geht von einzelnen Gruppierungen aus. (vgl. WHO 2002)
Anhand der verschiedenen Perspektiven zeigt sich die Vielseitigkeit der Gewaltdefinition, die Bereiche, Untergruppen und Kategorien. Eines haben alle Definitionen und Kategorisierungen jedoch gemeinsam: „Alle Menschen sind verletzungsoffen und verletzungsmächtig.“, so Jörg Baberwoski (2017) in der Neuen Züricher Zeitung. Gewalt existiere schon immer, in der gesamten Geschichte der Menschheit (vgl. Baberowski 2017).
Die häusliche Gewalt wird laut der Istanbul-Konvention folgendermaßen definiert: Häusliche Gewalt umfasst alle Handlungen körperlicher, sexualisierter, psychischer und wirtschaftlicher Gewalt, die innerhalb der Familie oder des Haushalts oder zwischen früheren oder derzeitigen Eheleuten oder Partner:innen vorkommen. Sie ist unabhängig davon, ob die gewaltausübende Person denselben Wohnsitz wie das Opfer hat oder hatte (vgl. Council of Europe 2011). Sie umfasst laut der IstanbulKonvention alle Beziehungskonstellationen und kann auch nach dem Ende der Beziehung andauern. Das EBG zitiert zudem Alberto Godenzi, der die Verletzung oder Bedrohung der physischen, sexuellen und/oder psychischen Integrität des Opfers durch eine nahestehende Person als Hauptmerkmal nennt. Wichtig ist hierbei die häufig intime und emotionale Beziehung zum Opfer. (vgl. EBG 1 2020 S. 4)
Der Unterschied besteht darin, dass häusliche Gewalt nicht nur die Gewalt am derzeitigen Partner bzw. an der derzeitigen Partnerin, sondern auch an Kindern, Verwandten oder älteren Menschen umfasst. Partnerschaftsgewalt bezeichnet ausschließlich die Gewalt gegen Partner:innen (vgl. WHO 2012).
Zuletzt ist der Begriff Viktimisierung zu erwähnen. Der Begriff bezeichnet den Prozess, bei dem eine Person „zum Opfer gemacht" wird oder bei dem einer Person ein sogenannter Opferstatus zugeschrieben wird (vgl. Wikipedia 2022).
2.2. FORMEN VON PARTNERSCHAFTSGEWALT
Die WHO unterteilt Partnerschaftsgewalt in physische Gewalt, sexuelle Gewalt, emotionalen bzw. psychischen Missbrauch und Kontrollverhalten. Physische Gewalt umfasst bspw. Handlungen wie Schlagen und Treten. Zur sexuellen Gewalt zählen Vergewaltigungen und der Zwang zu sexuellen Handlungen. Beleidigungen, Erniedrigungen, Einschüchterung oder Drohungen sind Beispiele für psychischen oder emotionalen Missbrauch. Kontrollverhalten beinhaltet die Isolation des Opfers von seinem sozialen Umfeld, Überwachungen sowie den Zugang zu finanziellen Ressourcen, Bildung oder medizinischer Versorgung. (vgl WHO 2012 S.1) Dabei gehen die Formen ineinander über, sie werden miteinander kombiniert. Psychische Gewalt koexistiert meist mit physischer Gewalt, die wiederum oft mit sexueller Gewalt auftritt. Eine vergleichende Analyse lateinamerikanischer und karibischer Staaten zeigt, dass 61-93 % der gemeldeten Fälle physischer Partnerschaftsgewalt auch von emotionalem Missbrauch begleitet wurden (vgl. WHO 2012 S. 2).
Einen Teil der Komplexität des Themas und individuellen Situation jeder Gewalthandlung zeigt Jane Wangmann. Sie analysiert weitere Formen wie den gewalttätigen Widerstand, oder die situationsgebundene Partnerschaftsgewalt. (vgl. Wangmann 2011: S. 3) Eine explizite Analyse aller Formen von Partnerschaftsgewalt wäre theoretisch wichtig, um ein besseres Verständnis zu erlangen und weitere Lösungsansätze zu finden. Allerdings ist dies praktisch nur schwer möglich, da jede Tat individuell verläuft und immer neue Kombinationen entstehen. Auch das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration (BSASFI) stellt eine häufige Überschneidung von psychischer, sexueller und/oder körperlicher Gewalt fest (vgl. BSASFI 2014 S. 15).
2.3. FORSCHUNGSSTAND UND ZAHLEN
Sucht man nach Begriffen wie „Häusliche Gewalt“ im Zusammenhang mit „Studie“ so findet man offizielle Zahlen, Dunkelfeldstudien sowie Meinungsumfragen. Die Kriminalstatistische Auswertung des BKA liefert rund 148.000 offiziell registrierte Fälle von Partnerschaftsgewalt (vgl. BKA 2020: S. 4) . Diese stellen das Hellfeld dar, alle nicht angezeigten Fälle das Dunkelfeld. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gibt 2004 eine solche Dunkelfeldstudie in Auftrag. Laut dieser Studie haben rund 25% der 16- bis 85-jährigen Frauen in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben Erfahrungen mit physischer und/ oder sexueller Partnerschaftsgewalt gemacht. Durch die alleinige Beleuchtung physischer und sexueller Gewalt entstehe ein breites Spektrum der erfahrenen Gewalthandlung. Verschiedene Schweregrade sowie die Häufigkeit der Übergriffe variieren beispielsweise. Da diese Studie aber den genannten Kontext beachtet, kann hier verlässlich analysiert werden. 64% der Frauen geben an, körperliche Verletzungen wie Hämatome, Prellungen oder Knochenbrüche davongetragen zu haben, 36% litten unter keinen körperlichen Verletzungen. Am häufigsten treten 2-10 Gewaltsituationen auf (36%). Am seltensten finden einmalige Situationen statt (31%). (vgl. BMFSFJ 2004: S. 29f.) Als erste offizielle, bundesweite und repräsentative Umfrage zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland liefert sie einen fundierten Einblick in die Dimensionen von Partnerschaftsgewalt.
Eine weitere wichtige Studie bietet die FRA, die European Union Agency For Fundamental Rights. Sie hat 2014 europaweit (28 EU-Staaten) 42.000 Frauen persönlich befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass 22% der Frauen in der EU mindestens einmal seit ihrem 15. Lebensjahr physische und/oder sexuelle Gewalt durch ihre Partner erfahren haben (vgl. FRA 2014: S.2).
Grundsätzlich sind Dunkelfeldstudien eine realitätsgetreue Abbildung der Situation und daher oft abweichend von den offiziellen Zahlen.
2.4. BEZIEHUNGSVERLAUF
Die „Spirale der Gewalt“, der „Kreislauf“ oder das „Rad“ der Gewalt sind weitverbreitete Modelle, die den Verlauf einer Gewaltbeziehung veranschaulichen können. Psychologin Leonore E. Walker stellt 1984 diese Theorie erstmals in ihrem Buch „The Battered Woman Syndrome“ vor. Ihre Theorie zeigt die drei Phasen von Spannungsaufbau, Entschuldigungen und dem Ausführen des Missbrauchs. In der ersten Phase sei der Täter nicht übermäßig aggressiv. Er übe leichte körperliche Gewalt aus oder zeige seine Unzufriedenheit. Das Opfer versuche ihn zu beruhigen, bleibe passiv und hilflos, da es nicht wisse, wann die Gewalt ausbricht (vgl. Walker 2009: S. 91). Wenn dies geschehe, trete die zweite Phase ein. Die Situation eskaliere, unausweichlich. Die Phase der Misshandlung sei die gefährlichste für die Frau. Sie erlebe schwere körperliche Misshandlung, oder könne sogar getötet werden. Daher versuche sie sich mit allen Mitteln zu schützen. Die Phase sei mit dem Ende der Gewaltausübung beendet. Der Täter sei entspannter, insbesondere körperlich. (vgl. Walker 2009: S. 94). Darauf folge die dritte Phase, eine Art Beruhigungsphase. Walker nennt mögliche Handlungen wie die Bitte um Vergebung, Entschuldigungen und eine der Frau und Kindern zugewandte Haltung des Täters. Er verspreche, manchmal auch sich selbst, nie wieder gewalttätig zu werden. Die Frau entwickle den Wunsch, ihm zu vergeben, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft festige sich. Teilweise entstünden Schuldvorfwürfe der Frau an sich selbst, sie bagatellisiere oder verleugne den Missbrauch (vgl. Walker 2009 S. 94f.). Dieser Vorgang ist laut Walker an keinen Zeitrahmen gebunden. Die Wiederholung sei unausweichlich.
Auch die Dunkelfeldstudie des BMFSFJ beschäftigt sich mit der Dynamik und dem Verlauf von Gewaltbeziehungen. Zur Intensität der Gewaltausbrüche entsteht folgendes Bild: 41% der befragten Frauen geben an, dass die Intensität nach der ersten Gewaltsituation zugenommen hat, 37% verzeichnen Stagnation und 19% haben abnehmende Gewalt erfahren. Das BMFSFJ vermutet entweder die altersbedingte Schwäche oder die Verlagerung von physischer auf psychische Gewalt hinter der Abnahme bzw. dem Ende. Ein weiterer Grund seien individuelle Probleme, die durch Prävention früher gefunden werden könnten (vgl. BMFSFJ 2004: S. 270).
2.5. MODELL ZUR BESCHREIBUNG DER OPFER- UND TÄTERSITUATION
Viele Studien, Organisationen und Forschungsteams nutzen die Einteilung von Risikofaktoren auf drei Ebenen. Die WHO orientiert sich 2002 an diesem Modell der vier Ebenen. (vgl. WHO 2002: S. 32ff.) Dabei wird das Individuum, die Beziehung, die Gemeinschaft und die Gesellschaft betrachtet. Die Individualebene setzt sich mit Faktoren des eigenen Lebens, der eigenen Person auseinander, während die Beziehung auslösende und beeinflussende Faktoren zwischen den Beteiligten betrachtet. Gemeinschaft und Gesellschaft lassen sich zu einer Ebene, der Gemeinschafts- und Gesellschaftsebene zusammenfassen. Dabei geht es um äußere Faktoren wie das Umfeld, die soziale Unterstützung. Aber auch Rollenbilder, gesellschaftliche Einflüsse und Vorbilder sowie das Grundverständnis von Gewalt sind Themen dieser Ebene. Da das Modell auf das Täterprofil und die Opfersituation bezogen wird, würde die Begrenzung auf Risikofaktoren keinen Sinn machen. Daher werden die Ebenen zwar auf beiden Seiten angewandt, ihre Leitbilder unterscheiden sich jedoch. Das Täterprofil soll Risikofaktoren aufzeigen, die maßgeblich zur Auslösung der Partnerschaftsgewalt beitragen. Dadurch bildet sich ein Verständnis für die Grunddynamik des Themas und eine Grundlage für die komplexere Analyse der Opfersituation. Hier wird nicht auf Risikofaktoren des Opfers eingegangen. Es werden im Kontrast dazu Gründe erläutert, in der Gewaltbeziehung zu bleiben. Dabei wird teilweise auf die Risikofaktoren zurückgegriffen. Dies sollte beachtet werden, um das Modell zu verstehen und die beiden Seiten differenzieren zu können.
Durch das Modell wird verdeutlicht, dass es „nicht eine Ursache von Partnerschaftsgewalt" gibt, sondern die Gewalt „immer das Resultat eines Zusammenwirkens von mehreren Ursachen [ist], die einander wechselseitig beeinflussen" (EBG 2 2020: S. 4).
3. T ÄTERPROFIL
Um nachvollziehen zu können, was Partnerschaftsgewalt auslöst und wie sie zu charakterisieren ist, wird im Folgenden auf den Täter eingegangen. Es werden Risikofaktoren beleuchtet, die einen grundlegenden Überblick über betroffene Personengruppen ermöglichen. Zudem bietet es die Grundlage für eine Betrachtung der Opfersituation, da häufig ein Umkehrschluss gezogen werden kann.
3.1. INDIVIDUALEBENE
Das oben beschriebene Modell schafft eine Einteilung der Risikofaktoren auf drei Ebenen. Auf der Individualebene zeigen demographische Faktoren ein präzises Bild des typischen Täters. Zu beachten gilt, dass meist offizielle Zahlen betrachtet werden. Diese stellen nicht immer eine realitätsgetreue Abbildung der Problematik dar. Trotzdem lassen sich an ihnen viele Aspekte entdecken und fortführen.
Die Kriminalstatistische Auswertung des Bundeskriminalamtes zeigt einen Anteil von knapp 80% männlichen Tätern. 20% der Taten sind Frauen zuzuschreiben (vgl. BKA 2020: S.30). Männer haben daher ein deutlich höheres Risiko, Täter zu werden. Aus diesem Grund wird im Folgenden auch nur Täter und keine Täterinnen in die grammatikalischen Bezeichnungen mit einbezogen. „Männer - Das schwache Geschlecht und sein Gehirn“, ein Buch vom Neurobiologen und Hirnforscher Gerald Hüther, wird von Maike Strietholt (2018) in einem Beitrag des Deutschlandfunks zitiert. Darin erklärt Hüther den Unterschied zwischen dem biologisch weiblichen und männlichen Geschlecht. Testosteron und Anabolikum, Hormone, die schon vorgeburtlich von den Hoden produziert werden, würden Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns nehmen. Anhand eines Orchesterbeispiels erklärt er, dass bei weiblichen und männlichen Personen zwar die gleichen „Instrumente“ vorhanden seien, die Hormone bei Jungen aber bewirken, dass „Pauken und Trompeten mehr in die erste Reihe kommen“ (Strietholt 2018). Übersetzt bedeute das also, dass sie mehr Temperament und auch Wut hervorrufen können. Da Männer außerdem ein X und ein Y Chromosom besitzen, entspreche das gleichzeitig einem fehlenden X-Chromosom. Dadurch seien Männer „gehandicapt, von Anfang an“ da sie eventuelle Defekte auf dem X-Chromosom nicht durch ein zweites ausgleichen könnten. Diese Struktur führe zu konstitutioneller Schwäche, die dadurch verstärkt werde, dass Jungen von erwachsenen Männern, also ihren gesellschaftlichen Vorbildern, das Überwinden dieses Defizits vorgelebt bekämen. Das Überwinden geschieht beispielsweise durch übertrieben dominantes Verhalten, Gewalt und die Gleichsetzung von Emotionen mit Schwäche. Kurz entsteht diese beeinflussende Vorbildfunktion durch die genetische Schwäche des Mannes, die er überwinden möchte (vgl. Strietholt 2018). Geschlechtsspezifische genetische Schwäche kann also ein Grund für den vorwiegend männlichen Anteil der Täter sein.
Die Altersgruppen der Täter in der Kriminalstatistik zeigt, dass die meisten Fälle in der Gruppe der 30- bis 39-jährigen verzeichnet sind (vgl. BKA 2020: S. 21). Eine Hypothese wäre, dass gesellschaftlicher, sozialer, partnerschaftlicher oder finanzieller Druck während dieser Lebensphase auftritt, der an der Partnerin abgebaut wird. Abweichend von der Kriminalstatistik zeigen Capaldi et al. (2012), dass ein höheres Alter mit einem niedrigeren Risiko für IPV (Intimate Partner Violence) verbunden sei. Das höchste Risiko hätten ältere Jugendliche und junge Erwachsene. Damit wird die Vermutung widerlegt, dass Partnerschaftsgewalt auf ein Gefühl des Gefangenseins in der Ehe zurückzuführen ist. (vgl. Capaldi et al. 2012: S. 264) Dies sind Grenzen des aktuellen Forschungsstands: Ergebnisse verschiedener Dunkelzifferstudien und offizielle Zahlen sind nicht immer deckungsgleich. Dass Partnerschaftsgewalt mit dem Alter abnimmt, ist jedoch das Fazit der meisten Studien (vgl. Capaldi et al. 2012: S. 241).
Der Großteil aller Täter (85%) ist in Deutschland geboren, 87% haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Betrachtet man die Gesamtgruppe, entsprechen sich der Anteil der deutschen Männer mit dem der Männer mit Migrationshintergrund. Zwar ist der Anteil bei den nicht deutschen Männern etwas höher, grundsätzlich bestehe aber kein signifikanter Unterschied. (vgl. BMFSFJ S. 242) Daher ist Migrationshintergrund kein bewiesener Risikofaktor für die Ausübung von Partnerschaftsgewalt.
Nicht nur ungünstige demographische Faktoren können das Risiko erhöhen, Täter zu werden. Wie Hannelore Ehrenreich in einer Studie des Max Planck Instituts für experimentelle Medizin belegt, erhöhen negative Erfahrungen während der Kindheit und Jugend dieses Risiko. Dabei werden ungünstige Umweltbedingungen wie Leben in der Großstadt, Missbrauch oder Migrationserfahrungen berücksichtigt. Auch problematischer Alkoholgebrauch und Cannabiskonsum gehören zu den Risikofaktoren. Die Studie weist darauf hin, dass durch diese Faktoren epigenetische Veränderungen ausgelöst werden können. Durch die Einbeziehung von Menschen mit Schizophrenie in die Untersuchung zeigt sich auch die Krankheitsunabhängigkeit von Gewalt. Zwischen den Gruppen der Allgemeinbevölkerung und den Menschen mit Schizophrenie bestehen keine signifikanten Differenzen. Mehrere der genannten Faktoren tragen zu einer schrittweisen Erhöhung des Risikos bei (vgl. Ehrenreich 2018). Gewalterfahrungen zwischen den Eltern sind relevant, aber auch andere Faktoren, die die Erziehung und Einfluss der Eltern betreffen wirken auf den Täter. Stark autonome Strukturen, oder unbeständiges Verhalten der Mutter erhöhen das Risiko für auffälliges Verhalten in der Kindheit. Allerdings werden diese Faktoren in der vorliegenden Studie nicht direkt mit der Ausübung von Partnerschaftsgewalt assoziiert. (vgl. Ehrensaft 2003: S. 749) Daher ist der Zusammenhang noch nicht endgültig klar, aber sicherlich von Bedeutung.
Ein weiterer Risikofaktor ist Alkoholeinfluss. Rund ein Viertel aller männlicher Täter stand laut dem Bundeskriminalamt wahrend der Tat unter Alkoholeinfluss. Das Forschungsprojekt „Gewalt in der Partnerschaft und Alkohol“ des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit behandelt diese Dualproblematik. In den Beratungen sind häufig „Paarsituationen betr[o]ffen, in denen der Mann nicht nur Gewalt ausübt, sondern zudem einen problematischen Alkoholkonsum aufweist“ (EDI 2013: S. 8). Im Ärzteblatt beschreiben Anne Beck und Andreas Heinz „alkoholbezogene Aggression und Gewalt“ als ein „weitverbreitetes Phänomen, das mit persönlichem Leid sowie sozioökonomischen Kosten verbunden ist“ (Beck & Heinz 203). Alkohol scheint also Einfluss zu nehmen und oft im Kontext mit Partnerschaftsgewalt oder Gewalt an sich zu stehen.
Auf psychologischer Ebene sieht Walker auch das Problem unsicherer Männer, die einen großen Teil der Zeit ihrer Partnerinnen in Anspruch nehmen. Sie seien besonders gefährdet, Gewalt anzuwenden, insbesondere wenn sie sehr viel Zuwendung und Komplimente verteilen (vgl. Walker 2009: S. 17f.).
3.2. PARTNERSCHAFTSEBENE
Aus der Kriminalstatistik geht hervor, dass 38% der Taten ehemaligen Partnern zuzuschreiben ist. Die sogenannte Trennungsgewalt kann laut dem Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) als „Reaktion auf eine vermutete oder geäußerte Trennungsabsicht“ (EBG 3 2020: S. 3) auftreten. Auch vor oder nach der Trennung bzw. Scheidung tritt Trennungsgewalt auf. Laut Capaldi et al. ist das Risiko bei verheirateten Personen am geringsten, während die Frauen in getrennten Beziehungen besonders gefährdet sind, Gewalt durch ihren Ex-Partner zu erfahren (vgl. Capaldi et al. 2012: S. 259f.). Das liegt daran, dass „der Mann versucht, mit vielen Mitteln zu verhindern, dass seine Gewalthandlungen öffentlich werden.“ (Brandau & Ronge 1997: S. 5). Durch eventuell vorangegangene Gewalt und die damit verbundene Angst vor Verlust haben Männer also während der Trennungsphase ein erhöhtes Risiko für Gewaltausübung.
Weiter zeigt sich, dass auch Dynamik und Funktionalität der Beziehung relevante Faktoren sind. Dabei ist einerseits eine geringe Zufriedenheit mit der Beziehung ein ursächlicher Risikofaktor für Partnerschaftsgewalt. Andererseits besteht ein Zusammenhang mit Anhänglichkeit (vgl. Capaldi et al. 2012: S. 261f.). Auch häufiger Streit oder Konflikte können Partnerschaftsgewalt auslösen. Dominiere ein Geschlecht die Beziehung, so liege ein höheres Risiko für Partnerschaftsgewalt vor. Im Umkehrschluss liege bei einer gleichberechtigten Rollenverteilung ein niedrigeres Risiko vor (vgl. Capaldi et al. 2012: S. 260). Laut dem EBG gelten „Dominanz und Kontrollverhalten (...) ebenfalls als Risikofaktoren von Partnerschaftsgewalt" (EBG 2 2020: S. 8). Auch Gunnur Karakurt und Tamra Cumbie belegen, dass das Bedürfnis nach Dominanz ein entscheidender Faktor bei der Manifestation von Aggression ist (vgl. Karakurt & Cumbie 2012: S. 8).
Sexuelle Eifersucht und Besitzansprüche können ebenfalls Auslöser sein (vgl. Capaldi et al. 2012: S. 263). Diese im Zusammenhang von Kontrollverhalten mit männlicher Dominanz werden in einer Studie von Douglas A. Brownridge 2004 behandelt. Das Ergebnis belegt, dass die Verbindung dieser Eigenschaften problematische Vorläufer von Partnerschaftsgewalt sein können (vgl. Brownridge 2004: S. 60)
Des weiteren sind kritische Übergänge und Veränderungen in der Partnerschaft ein Risikofaktor für Gewaltausübung. Dazu zählen beispielsweise das erste Kind, womit eine hohe Belastung und Stress verbunden ist. Diese können Partnerschaftsgewalt auslösen (vgl. Capaldi et al. 2012 S. 246). In Phasen der Schwangerschaft und Geburt steigt das Aggressionspotential, da jetzt die Abhängigkeit voneinander stärker wird und die Verantwortung oft als belastend empfunden wird. Die neue Situation wirkt überfordernd (vgl. BSASFI 2014: S. 12).
Ökonomische Probleme und finanzieller Stress beeinflussen Partnerschaftsgewalt ebenfalls. Die Brownridge Studie zeigt, dass gewaltbereite Partner die in gemieteten Unterkünften wohnen, doppelt so oft Kontrollverhalten und männliche Dominanz entwickeln. Das liege daran, dass die vom Mann bezahlte Miete ihm das Gefühl gebe, Kontrolle über die Lebenssituation zu haben. Diese Kontrolle übertrage sich auf die Partnerin, über die er dann ein Gefühl der Macht erhalte (vgl. Brownridge 2004: S. 60). Eine schwierige ökonomische Situation ist besonders bei Paaren mit Migrationshintergrund belastend, da zusätzlich Probleme wie ein ungesicherter Aufenthaltsstatus hinzukommen können (vgl. BSASFI 2014S. 12).
Zuletzt steige laut der WHO das Risiko, Partnerschaftsgewalt auszuüben auch für Männer mit mehreren sexuellen Partner:innen an. Die Auswertung mehrerer Studien belege einen starken Zusammenhang zwischen der von der Frau empfundenen Untreue durch multiple sexuelle Partnerschaften des Mannes und sexualisierter sowie Partnerschaftsgewalt. Die Gründe für mehrere Partnerschaften lägen wiederum in der Erwartung, dadurch das Selbstwertgefühl zu stärken und den gesellschaftlichen Status zu erhöhen. Zudem könne der Wunsch nach Beziehungen ohne emotionale Bindung ein Grund für mehrere Partnerschaften darstellen. (vgl. WHO 2010: S. 24).
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