Das Ziel der vorliegenden explorativen qualitativen Interviewstudie mit quantitativen Elementen bestand darin, durch eine empirische Untersuchung diejenigen Verhaltensweisen zu erheben, die aus Sicht der Unternehmen für einen beruflich erfolgreichen Praktikanten im Einzelhandel und in der Küche eines Gastronomiebetriebes ausschlaggebend sind. Die erhobenen Verhaltensweisen bildeten die Grundlage für die Entwicklung zweier branchenspezifischer Kompetenzmodelle, die erfolgskritische Verhaltensweisen der Praktikanten beschreiben. Die vorliegenden Kompetenzmodelle und die Ergebnisse des quantitativen Teils der Untersuchung dienten zur Ableitung zweier branchenspezifischer praxistauglicher Checklisten zur Selbst- und Fremdevaluation von Leistungsverhalten von Praktikanten während des Praktikums. Bestandteil der Checkliste sind bereits vorhandene und eventuell noch entwicklungsbedürftige von Unternehmensseite geforderte berufsspezifische Kompetenzen inklusive der jeweiligen zu beurteilenden Verhaltensanker.
Die erfolgskritischen Verhaltensweisen wurden anhand eines teilstandardisierten Interviewleitfadens erhoben, dessen inhaltliche Ausgestaltung sich an Flanagans (1954) Critical Incident Technique orientiert. Mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring (2003) erfolgte die Einordnung der erhobenen Verhaltensweisen in die Kategorien von Bartrams (2005) Berufsleistungskompetenzmodell.
Im Rahmen der Studie wurden Experten befragt, stellvertretend für den Einzelhandel zehn Ausbilder und für die Gastronomie zehn Küchenmeister. Die Ergebnisse der Befragung liefern erste Hinweise für die inhaltliche Ausgestaltung zweier branchenspezifischer Kompetenzmodelle. Die Resultate deuten darauf hin, dass Praktikanten im Einzelhandel primär Verhaltensweisen/Kompetenzen benötigen, die es ihnen ermöglichen effektiv mit anderen Menschen zu kommunizieren und Beziehungen aufzubauen. Die Kompetenzen Freundlichkeit, Kontaktfähigkeit, gute Umgangsformen, gepflegtes äußeres Erscheinungsbild sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Im Gegensatz dazu benötigen Praktikanten in der Küche eines Gastronomiebetriebes vor allen Dingen Kompetenzen, die es ihnen erlauben, planvoll und organisiert zu arbeiten, sich anzupassen und mit Stress umzugehen. Ferner zeigen die Ergebnisse, dass in beiden Branchen die Kompetenzen Einsatzbereitschaft und Lernfähigkeit und -bereitschaft von herausragender Bedeutung sind.
[...]
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Zusammenfassung
Abstract
1 Einleitung
1.1 Amico-Projekt
2 Kompetenzen: Geschichte und Definition
2.1 Handlungskompetenz im beruflichen Kontext
2.2 Handlungskompetenz in der beruflichen Erstausbildung
2.3 Schlüsselqualifikationen
2.4 Schlüsselqualifikationen bei der Auswahl von Auszubildenden
3 Kompetenzmodelle
3.1 The Great Eight Competencies
3.1.1 Entwicklung eines Kompetenzmodells
3.2 Campbells Berufsleistungsmodell
4 Great Eight Prädiktoren
4.1 Big Five
4.2 Intelligenzfaktor “g”
4.3 McClellands Motivationstheorie
5 Berufliche Leistungsbeurteilung
5.1 Selbstbeurteilung
6 Methode
6.1 Methodenbeschreibung
6.2 Stichprobe
6.2.1 Stichprobe im Einzelhandel
6.1.1 Stichprobe in der Gastronomie
6.2 Durchführung
6.2.1 Vorstudie
6.2.2 Pretest
6.2.3 Untersuchungsdurchführung
6.2.4 Auswertungsmethode
7 Ergebnisse
7.1 Darstellung der qualitativen Ergebnisse Einzelhandel
7.2 Darstellung der quantitativen Ergebnisse Einzelhandel
7.3 Interpretation der Ergebnisse Einzelhandel
7.4 Darstellung der qualitativen Ergebnisse Gastronomie
7.5 Darstellung der quantitativen Ergebnisse Gastronomie
7.6 Interpretation der Ergebnisse Gastronomie
7.7 Gegenüberstellung der Ergebnisse beider Branchen
8 Diskussion
8.1 Schwächen der Untersuchung
8.2 Stärken der Untersuchung
8.3 Implikationen für die inhaltliche Ausgestaltung des Amico-Projektes
8.3.1 Implikationen für die Praxis aus den Ergebnissen der Einzelhandelsstichprobe
8.3.2 Implikationen für die Praxis aus den Ergebnissen der Gastronomiestichprobe
8.3.3 Förderung der Kompetenzen Einsatzbereitschaft, Teamfähigkeit und Lernbereitschaft und -fähigkeit im Amico-Projekt
8.4 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang A: Tabellen
Anhang B: Abbildungen
Anhang C-1: Instruktion
Anhang C-2: Fragebogen Unternehmen und Person
Anhang D-1: Interviewleitfaden / Einzelhandel
Anhang D-2: Fragebogen / Einzelhandel
Anhang E-1: Interviewleitfaden / Gastronomie
Anhang E-2: Fragebogen / Gastronomie
Anhang F: Great Eight, 20 Competency Dimensions and 112 Competency Component Titles from the SHL Universal Competency Framework (Bartram, 2005, S. 1202-1203)
Abbildungsverzeichnis
Abbildungen im Text
Abbildung 1: Titles and High Level Definitions of the Great Eight Competencies (in Anlehnung an Bartram, 2005, S. 1187)
Abbildung 2: Determinants of Job Performance Components (in Anlehnung an Campbell, 1990, S. 707)
Abbildung 3: Übersichtsdarstellung Methodenteil (eigene Darstellung)
Abbildung 4: Job Competency Assessment Process (eigene Darstellung in Anlehnung an Spencer & Spencer, 1993, S. 95)
Abbildung 5: Untersuchungsablauf Hauptuntersuchung (eigene Darstellung)
Abbildung 6: Verknüpfung der Ergebnisse des qualitativen und quantitativen Teils
(eigene Darstellung)
Abbildungen im Anhang B
Abbildung B-1: Praxistaugliche Checkliste Einzelhandel (eigene Darstellung)
Abbildung B-2: Praxistaugliche Checkliste Gastronomie (eigene Darstellung)
Tabellenverzeichnis
Tabellen im Text
Tabelle 1: Acht Faktoren im Einzelhandel (eigene Darstellung)
Tabelle 2: Darstellung Ergebnisse aus quantitativem Teil / Einzelhandel (eigene Darstellung)
Tabelle 3: Gegenüberstellung Ergebnisse qualitativer und quantitativer Teil / Einzelhandel (eigene Darstellung)
Tabelle 4: Acht Faktoren / Gastronomie (eigene Darstellung)
Tabelle 5: Darstellung Ergebnisse aus quantitativem Teil / Gastronomie (eigene Darstellung)
Tabelle 6: Gegenüberstellung Ergebnisse qualitativer und quantitativer Teil / Gastronomie (eigene Darstellung)
Tabellen im Anhang
Tabelle A-1: Kompetenzmodell / Einzelhandel (eigene Darstellung in Anlehnung an Bartram (2005, S. 1202-1203)
Tabelle A-2: Kompetenzmodell / Gastronomie (eigene Darstellung in Anlehnung an Bartram (2005, S. 1202-1203)
Tabelle A-3: Mittelwertberechnung / Einzelhandel
Tabelle A-4: Mittelwertberechnung / Gastronomie
Zusammenfassung
Das Ziel der vorliegenden explorativen qualitativen Interviewstudie mit quantitativen Ele- menten bestand darin, durch eine empirische Untersuchung diejenigen Verhaltensweisen zu erheben, die aus Sicht der Unternehmen für einen beruflich erfolgreichen Praktikanten im Einzelhandel und in der Küche eines Gastronomiebetriebes ausschlaggebend sind. Die erhobenen Verhaltensweisen bildeten die Grundlage für die Entwicklung zweier branchen- spezifischer Kompetenzmodelle, die erfolgskritische Verhaltensweisen der Praktikanten beschreiben.
Die vorliegenden Kompetenzmodelle und die Ergebnisse des quantitativen Teils der Unter- suchung dienten zur Ableitung zweier branchenspezifischer praxistauglicher Checklisten zur Selbst- und Fremdevaluation von Leistungsverhalten von Praktikanten während des Praktikums. Bestandteil der Checkliste sind bereits vorhandene und eventuell noch ent- wicklungsbedürftige von Unternehmensseite geforderte berufsspezifische Kompetenzen inklusive der jeweiligen zu beurteilenden Verhaltensanker.
Die erfolgskritischen Verhaltensweisen wurden anhand eines teilstandardisierten Inter- viewleitfadens erhoben, dessen inhaltliche Ausgestaltung sich an Flanagans (1954) Critical Incident Technique orientiert. Mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring (2003) er- folgte die Einordnung der erhobenen Verhaltensweisen in die Kategorien von Bartrams (2005) Berufsleistungskompetenzmodell.
Im Rahmen der Studie wurden Experten befragt, stellvertretend für den Einzelhandel zehn Ausbilder und für die Gastronomie zehn Küchenmeister. Die Ergebnisse der Befragung lie- fern erste Hinweise für die inhaltliche Ausgestaltung zweier branchenspezifischer Kompe- tenzmodelle.
Die Resultate deuten darauf hin, dass Praktikanten im Einzelhandel primär Verhaltenswei- sen/Kompetenzen benötigen, die es ihnen ermöglichen effektiv mit anderen Menschen zu kommunizieren und Beziehungen aufzubauen. Die Kompetenzen Freundlichkeit, Kontakt- fähigkeit, gute Umgangsformen, gepflegtes äußeres Erscheinungsbild sind in diesem Zu- sammenhang zu nennen. Im Gegensatz dazu benötigen Praktikanten in der Küche eines Gastronomiebetriebes vor allen Dingen Kompetenzen, die es ihnen erlauben, planvoll und organisiert zu arbeiten, sich anzupassen und mit Stress umzugehen. Ferner zeigen die Er- gebnisse, dass in beiden Branchen die Kompetenzen Einsatzbereitschaft und Lernfähigkeit und -bereitschaft von herausragender Bedeutung sind.
Abstract
The submitted empirical study can be described as an explorative qualitative interview- study comprising quantitative data. The aim of this survey was to find out which kind of behaviour is important for student trainees during their period of practical training in retail- ing and in the restaurant trade from the point of view of the companies. The evaluated be- haviour was used for the succeeding development of two industry-specific competency models which describe successful behaviour of student trainees during their period of prac- tical training.
The two competency models and the results of the quantitative part of the study served for the development of two industry-specific self- and supervisor-rating instruments in order to evaluate performance behaviour during the period of practical training. The rating instru- ment does not only comprise competencies and their behavioural indicators which are al- ready available but also competencies which have to be developed. Behaviour responsible for success was evaluated with the help of a semi-structured interview textbook.
Flanagan´s (1954) Critical Incident Technique was used as a kind of framework for the conceptualisation of the questions in the textbook. The evaluated behaviour was classified into the categories of Bartram´s (2005) job performance competency model using content analysis (Mayring, 2003). Ten experts were questioned in the frame of this study, ten in- structors representing retailing and ten craftsmen representing the restaurant trade. The re- sults of the survey can be used as a first indicator for the content-structure of two industry- specific competency models. The results indicate that student trainees in retailing primarily need behaviour/competencies allowing them to communicate effectively with other people and allowing them to build up relationships. In this context student trainees in retailing have to behave friendly, have to make friends easily, have to show good manners and have to demonstrate a nice appearance. In contrast student trainees in the restaurant trade need above all competencies permitting them to work in a structured and organised way, to adapt and to cope with stress. The results further indicate that in both industries the compe- tencies readiness to work and ability and willingness to learn are of primary importance.
1 Einleitung
Bereits 1997 hat die 12. Shell-Jugendstudie deutlich gemacht, dass auch die Jugend inzwi- schen von verstärkt auftretenden gesellschaftlichen und ökonomischen Krisenerscheinun- gen betroffen ist. Arbeitslosigkeit, Globalisierung, Rationalisierung und Abbau und Verla- gerung von Beschäftigung stellen nicht länger bloße Randerscheinungen des Aufwachsens dar, sondern sind zwischenzeitlich ins Zentrum der Jugendphase gerückt.
Durch den zunehmend schnelleren Wandel der gesellschaftlichen Bedingungen, mit den Erscheinungsformen der verlängerten Kindheit, der Konsumorientierung und Nichtverant- wortlichkeit auf der einen Seite sowie der Anonymität, des verschärften Konkurrenzdrucks und der deutlich verschlechterten beruflichen Integrationsperspektiven auf der anderen Sei- te, ergibt sich für eine steigende Anzahl von Jugendlichen ein Spannungsverhältnis, dass zwischen Zuversicht und Orientierungslosigkeit schwankt (12. Shell Jugendstudie, 1997). Die zuvor beschriebene Situation existiert nicht nur in Großstädten, sondern hat sich mitt- lerweile auch in ländlicheren Regionen durchgesetzt. Parallel zu der beschriebenen Ent- wicklung, ist die Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen unter 25 Jahren in den letzten Jah- ren erheblich angestiegen. Allein für den Zeitraum von Juni 2006 bis September 2006 mel- det die Agentur für Arbeit in Lüneburg einen Anstieg der Arbeitslosenquote in der Gruppe der unter 25-jährigen von 8,9 auf 10,4% (Agentur für Arbeit Lüneburg, 2006). Die jungen Menschen scheitern an der ersten oder in zunehmendem Maß auch an der zweiten Schwel- le des Zugangs zum Arbeitsmarkt.
Um die jungen Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren finanziert die Bundes- agentur für Arbeit zahlreiche Projekte, die das Ziel verfolgen, die Jugendlichen dabei zu unterstützen, im Berufsleben Fuß zu fassen. Ein derartiges Projekt stellt das Amico-Projekt dar, das den Rahmen für die vorliegende Diplomarbeit liefert.
Mit der Durchführung des Arbeitsmarktintegration und Coaching Projektes für junge Er- wachsene unter 25 Jahren (Amico) soll eine mittelfristige Entlastung des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes seitens der Bewerber erreicht werden. Diese Entlastung erfolgt in zwei Phasen. In einer sechswöchigen Qualifizierungsphase beim Bildungsträger, im vorliegen- den Fall bei der Deutschen Angestellten Akademie, und in einer sich anschließenden sechswöchigen Praktikumsphase im Betrieb. Der Bildungsträger versteht sich in diesem Projekt als Dienstleister, der die Betriebe bei der Qualifizierung der Jugendlichen unter- stützt und möglicherweise auf dem Gebiet der Personalauswahlverfahren Entlastung schafft (Bildungswerk ver.di, 2005). An dieser Stelle setzt die vorliegende Diplomarbeit an. Die im Rahmen der empirischen Studie entwickelte Checkliste zur Selbst- und Fremd-evaluation des Leistungsverhaltens von Praktikanten während des Praktikums erfüllt für die Betriebe zwei Funktionen. Zum einen eine Selektions- und zum anderen eine Entwick- lungsfunktion. Auf der einen Seite liefert die Beurteilung den Unternehmen eine Hilfestel- lung bei der Entscheidung, ob der Praktikant in eine Lehre oder in ein Arbeitsverhältnis übernommen wird, oder nicht. In diesem Fall erfüllt sie eine Selektionsfunktion. Auf der anderen Seite, bei Übernahme des Praktikanten in eine Lehre oder in ein Arbeitsverhältnis, wird durch die Beurteilung ein Lernprozess und somit eine Leistungsverbesserung durch Verhaltenssteuerung angestrebt. In diesem Fall erfüllt die Beurteilung eine Entwicklungs- funktion (Bähr, 2005b; Fletcher, 1997).
In diesem Zusammenhang stellte sich die Frage nach den zu Beginn der Ausbildung für Leistungsverhalten erforderlichen Verhaltensweisen/Kompetenzen von Praktikanten und zukünftigen Lehrlingen, da das primäre Ziel der beruflichen Erstaubildung in der Förde- rung der beruflichen Handlungskompetenz liegt.
Vor diesem Hintergrund besteht das Ziel der vorliegenden empirischen Untersuchung dar- in, diejenigen Verhaltenweisen zu erfassen, die für einen erfolgreichen Praktikanten und späteren Lehrling im Einzelhandel und in der Küche eines Gastronomiebetriebes aus- schlaggebend sind. Auf der Grundlage der erhobenen Verhaltensweisen erfolgte die Ent- wicklung eines Kompetenzmodells, das die erfolgskritischen Kompetenzen und deren zu Grunde liegende Verhaltensweisen beschreibt. Das vorliegende Kompetenzmodell und die Ergebnisse der quantitativen Untersuchung dienten zur Ableitung zweier branchenspezifi- scher praxistauglicher Checklisten zur Selbst- und Fremdevaluation von erfolgskritischem Verhalten von Praktikanten während des Praktikums.
Vor dem eben beschriebenen Hintergrund ergaben sich für die Untersuchung folgende drei Forschungsfragen:
Forschungsfrage 1: Welche Verhaltensweisen zeichnen einen erfolgreichen Praktikanten während des Praktikums im Einzelhandel und in der Küche eines Gastronomiebetriebes aus und bilden somit die Basis für die Entwicklung eines Kompetenzmodells in Anlehnung an Bartrams (2005) Kompetenzmodel?
Auf der Grundlage der durch die Beantwortung der Forschungsfrage 1 gewonnenen Er- kenntnisse basiert die Forschungsfrage 2.
Forschungsfrage 2: Welche der acht Faktoren aus Bartrams (2005) Kompetenzmodell sind aufgrund der prozentualen Häufigkeit der in ihnen enthaltenen Verhaltensanker für einen erfolgreichen Praktikanten während des Praktikums von herausragender Bedeu- tung?
Um aus durch die Beantwortung der Forschungsfragen 1 und 2 gewonnenen Ergebnissen eine praxistaugliche Checkliste zur Selbst- und Fremdevaluation abzuleiten, bedurfte es der zusätzlichen Verknüpfung mit den Ergebnissen der Forschungsfrage 3.
Forschungsfrage 3: Welche Kompetenzen sind für einen erfolgreichen Praktikanten wäh- rend des Praktikums von herausragender Bedeutung?
In den nächsten Abschnitten erfolgt eine kurze Vorstellung des Amico-Projektes, da das Projekt den Rahmen für die Diplomarbeit stellt, und die Ergebnisse dieser Untersuchung Erkenntnisse für die weitere Ausgestaltung des Projektes liefern sollen.
1.1 Amico-Projekt
Im September 2005 begann das vom Bildungswerk ver.di initierte Projekt „AMICO“ – Ar- beitsmarktintegration und Coaching für junge Erwachsene in Verden und in Lüneburg mit einer Laufzeit von elf Monaten.
Das AMICO - Projekt stellt ein vom Bildungswerk der Vereinten Dienstleistungsgewerk- schaft in Niedersachsen e. V. (BW ver.di), Regionalbereich Nordost-Niedersachsen, entwi- ckeltes Projekt dar. Durchgeführt wird das Projekt in Kooperation mit der Deutschen An- gestellten Akademie GmbH, Zweigstelle Nordost-Niedersachsen/Altmark (DAA), in den Kundencentern Verden und Lüneburg.
Das Projekt wird aus Teilnehmerbezügen und aus Mitteln des europäischen Sozialfonds fi- nanziert. Die Projektgruppen, die aus bis zu 25 Teilnehmern bestehen, werden entweder von der Agentur für Arbeit oder von der „Arbeitsgemeinschaft Arbeit- und Grundsiche- rung“ für den Landkreis Lüneburg (ARGE) zusammengestellt.
Bei erfolgreichem Verlauf des Projektes, wobei unter Erfolg die Vermittlung von mög- lichst vielen Teilnehmern in den ersten Arbeitsmarkt zu verstehen ist, gibt es eine Verlän- gerung des Projektes von zwei Jahren.
Das Hauptziel des Projektes besteht darin, junge Erwachsene, im Alter von 18 bis 25 Jah- ren mit mindestens sechsmonatiger Arbeitslosigkeit in den ersten Arbeitsmarkt zu integrie- ren. Die jungen Menschen sollen entweder in eine Lehrstelle oder in ein festes Arbeitver- hältnis vermittelt werden. Die Zielgruppe verfügt zu 15% über keinen Schulabschluss, zu 50% über einen Hauptschulabschluss, zu 31% über einen Realschulabschluss und zu 4% über ein Fachabitur. 15% der Teilnehmer besitzen einen Berufsabschluss (Daten beziehen sich auf den Dezemberkurs 2005).
Die Integration findet in zwei Phasen statt, in einer sechswöchigen Qualifizierungsphase beim Bildungsträger, im Schulungscenter der Deutschen Angestellten Akademie und in ei- ner sich anschließenden sechswöchigen Praktikumsphase im Betrieb.
Die sechswöchige Qualifizierungsphase beim Bildungsträger setzt sich zu 90% aus einem Bewerbungstraining und zu 10% aus einem Schlüsselqualifikationstraining zusammen. Ein zentraler Bestandteil des Bewerbungstrainings ist der Aquise eines geeigneten Prakti- kumsplatzes gewidmet.
Das Praktikum dient der Feststellung der Berufseignung für den erwählten Beruf vor Ort im Betrieb.
Die Autorin dieser Arbeit war im Rahmen des Amico-Projektes von Dezember 2005 bis Mai 2006 als alleinige Trainerin und Coach für die sechswöchige Qualifizierung der Teil- nehmer beim Bildungsträger verantwortlich.
Ferner betreute sie die Teilnehmer im Praktikum, indem sie die Praktikanten an den jewei- ligen Praktikumsplätzen in den Betrieben besuchte.
Im Rahmen der Praktikumsbesuche führte die Autorin Beurteilungsgespräche über die Praktikanten mit den zuständigen Praktikumsbetreuern der Betriebe vor Ort durch. Die un- ternehmensinternen Praktikumsbetreuer bestanden aus Führungskräften wie z.B. Küchen- chefs, Warenhausleitern oder Geschäftführern. Während der Feedbackgespräche mit den unternehmensinternen Praktikumsbetreuern stellte sich heraus, dass 50% der Praktikanten für die von ihnen gewählten Berufe von den jeweiligen unternehmensinternen Praktikums- betreuern als nicht geeignet eingestuft wurden. Als Gründe dafür wurden unter anderem die zu geringe Auffassungsgabe, das mangelnde Interesse oder die fehlende Freundlichkeit genannt. Im Rahmen der von der Autorin dieser Arbeit durchgeführten Beurteilungsge- spräche mit den jeweiligen Praktikumsbetreuern in den Unternehmen vor Ort wurde offen- sichtlich, dass zuvor kein Beurteilungsgespräch zwischen dem Praktikanten und dem un- ternehmensinternen Praktikumsbetreuer stattgefunden hatte. In 90% der Fälle verliefen auch diese Feedbackgepräche ohne die Anwesenheit des Praktikanten, nur zwischen der Trainerin und dem jeweiligen unternehmensinternen Praktikumsbetreuer.
Die Praktikanten hatten folglich nicht die Möglichkeit zu der Beurteilung Stellung zu neh- men oder ihr Verhalten zu ändern. Um den Missstand der nicht stattfindenden Beurtei- lungsgespräche zu beseitigen, entschied sich die Autorin dazu, eine praxistaugliche Check- liste zur Selbst- und Fremdevaluation des Leistungsverhaltens von Praktikanten während des Praktikums zu entwickeln.
Die Vorteile dieses an einem Kompetenzmodell orientierten Instruments werden im Theo- rieteil erläutert, der nun folgt.
Als Einführung in die Theorie erfolgt im nächsten Kapitel eine Definition des Kompetenz- konstrukts, sowie eine Erläuterung des Konstrukts der Handlungskompetenz in der berufli- chen Erstausbildung. Ferner wird in diesem Kapitel die Bedeutung der Schlüsselqualifika- tionen für die Handlungskompetenz erörtert. In Kapitel 3 wird Bartrams (2005) Berufsleis- tungskompetenzmodell, das dem empirischen Teil der Arbeit zu Grunde liegt, erklärt, und in den Kontext von Berufsleistungsmodellen eingebettet. Da sich Bartrams Modell auf die Theorie der Big Five, des Intelligenzfaktors „g“ und McClellands (2000) Motivationstheo- rie stützt, wird im Anschluss daran der Stand der Forschung eben genannter Persönlich- keitseigenschaften im Hinblick auf ihre Vorhersagefähigkeit für Berufsleistung dargestellt. Den Abschluss des Theorieteils bildet ein Kapitel über verhaltensbasierte Leistungsbeurtei- lung.
2 Kompetenzen: Geschichte und Definition
Die Kompetenzbewegung ist auf McClelland (1973) zurückzuführen, der die Meinung ver- trat, dass weder klassische Leistungstests noch Examensnoten in der Lage wären berufli- chen Erfolg oder sonstige Leistungen im Leben eines Menschen vorherzusagen (Sarges, 2002; Shippmann et al., 2000; Sonntag & Schmidt-Rathjens, 2004). Folglich suchte der Harvard Professor nach einer Möglichkeit andere Prädiktoren für die Vorhersage von Be- rufsleistung zu identifizieren.
Als Analyseinstrument benutzte er das von ihm entwickelte „Behavioral Event Interview“ (BEI). Sein Erhebungsinstrument stellte eine Weiterentwicklung von Flanagans (1954) „Critical Incident Technique“ (CIT) dar, mit der erfolgskritisches Verhalten in beruflichen Situationen erfasst wird. Wie Flanagan kristallisierte auch McClelland mit Hilfe des Inter- views erfolgreiche und weniger erfolgreiche Verhaltensmerkmale im Beruf heraus, von ihm auch „Competency“-Variablen genannt. McClelland erweiterte seinen Ansatz dahin- gehend, dass er auch Gedanken, Gefühle und Motive der Interviewten erfasste (Sarges, 2002; Spencer & Spencer, 1993).
Bei einem Blick in die Literatur lässt sich feststellen, dass es bis zum heutigen Tag keine einheitliche Definition für Kompetenzen gibt (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2003; Kurz & Bartram, 2002; Shippmann et al. 2000). Laut Sarges (2002) setzen sich Kompetenzen aus Persönlichkeitseigenschaften, Verhaltensweisen und Einstellungen zusammen. Das Autorenduo Spencer & Spencer (1993, S. 9) definiert Kompetenzen als „[...] underlying characteristic of an individual that is causally related to criterion-referenced effective and/or superior performance in a job or situation”. Bei näherer Betrachtung der einzelnen Bestandteile dieser Definition wird deutlich, dass sich Kompetenzen aus Motiven, Persön- lichkeitseigenschaften, dem Selbstkonzept, Wissen und Fertigkeiten einer Person zusam- mensetzen, die für effektive und/oder herausragende Leistung in einem speziellen Beruf verantwortlich sind (Spencer & Spencer, 1993).
Kompetenzen, die aus einer Vielzahl von Charakteristika einer Person bestehen, werden, wie bei Spencer & Spencer (1993) bereits beschrieben, mit effektiver Leistung im Beruf in Zusammenhang gebracht (Kurz & Bartram, 2002; Erpenbeck & von Rosenstiel, 2003; Sar- ges, 2002). Jedoch bezeichnen Kompetenzen nicht das Verhalten oder die Leistung an sich. Kompetenzen setzen sich hingegen aus einer Vielzahl von Verhaltensweisen zusammen, die immer abhängig von situativen Variablen Leistung ermöglichen (Kurz & Bartram, 2002; Wood & Payne, 1998). Für Erpenbeck & von Rosenstiel (2003) stellt das Kompe- tenzkonstrukt Dispositionen selbstorganisierten Handelns dar, wobei auch diese beiden Autoren das Interesse nicht primär auf Leistungsresultate richten, sondern auf die Disposi- tion gewisse Leistungen zu ermöglichen. Vor dem Hintergrund dessen, dass Kompetenzen ein Konstrukt darstellen, sind sie nicht direkt beobachtbar. Aufgrund beobachtbarer Ver- haltensweisen kann jedoch auf bestimmte Dispositionen selbstorganisierten Handelns, auf Kompetenzen, geschlossen werden (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2003; Kurz & Bartram, 2002; Sarges, 2002).
Der empirische Teil der Arbeit stützt sich auf Bartrams (2005) Kompetenzmodell, der Kompetenzen als „[ ] sets of behaviours that are instrumental in the delivery of desired results and outcomes“ (Kurz & Bartram, 2002, S. 229) definiert.
Aus diesem Grund schließt sich die Autorin für diese Arbeit der Sichtweise an, dass Kom- petenzen Dispositionen selbstorganisierten Handelns darstellen und auf Grund von beob- achtbaren Verhaltensweisen erschlossen werden können. Letztendlich führen sie zu heraus- ragender Leistung im Beruf, jedoch abhängig von der jeweiligen Situation.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die aus den USA stammende Kompetenz- bewegung zwar nicht ursächlich, jedoch unterstützend für eine in Deutschland stattfinden- de Entwicklung im Bereich der Arbeits- und Berufspädagogik im beruflichen Aus- und Weiterbildungssektor verantwortlich war (Sarges, 2002).
Veranlasst durch die im sozialen und wirtschaftlichen Bereich stattfindenden Veränderun- gen reicht es für den Arbeitnehmer in der Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft nicht mehr aus, wie in der klassischen Produktionsgesellschaft, bestimmte Aufgaben nach Vor- gabe zu verrichten (Werner, 2003). Der Trend geht weg von einem fremdorganisierten Be- rufskönner hin zu einem berufskompetenten Arbeitnehmer, der in der Lage ist Aufgaben, die durch Komplexität und Veränderlichkeit gekennzeichnet sind, zu bewältigen (Sonntag & Schaper, 2006). Kompetenzen werden in diesem Zusammenhang als die Motivation und Befähigung eines Menschen verstanden, Wissen und Können auf einem Gebiet im Rahmen von selbstorganisierten Lernprozessen selbstständig weiterzuentwickeln, was letztendlich zur Erreichung von Expertise führt (Bergmann, 2000; Erpenbeck & Rosenstiel, 2003; Sil- bereisen & Reitzle, 2000).
Einleitend soll im folgenden Abschnitt die Rolle der Handlungskompetenz im beruflichen Kontext vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen und technologischen Wandels beleuch- tet werden. Berufliche Handlungskompetenz befähigt das Individuum im Beruf, der durch wirtschaftlichen und technologischen Wandel gekennzeichnet ist, erfolgreich zu agieren. Darauf aufbauend wird die Bedeutung der Entwicklung der beruflichen Handlungskompe- tenz als primäres Ziel der beruflichen Erstausbildung beschrieben.
2.1 Handlungskompetenz im beruflichen Kontext
Die Arbeitswelt hat sich in den letzten drei Jahrzehnten grundlegend verändert (Bähr, 2005a). Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat einige Haupttrends heraus- kristallisiert, die den technologischen und wirtschaftlich Wandel auf der Makroebene be- schreiben wie z.B. Globalisierung, Digitalisierung der Informationsprozesse, Zunahme des internationalen Wettbewerbs etc. (Kleinhenz, 1998). Ferner wandelt sich die Arbeitswelt in Deutschland laut Prognosen des IAB weiterhin und in einem zunehmenden Maße von einer Produktions- zu einer Dienstleistungsgesellschaft (Jung, 2006; Werner, 2003).
Diese Entwicklung hat zur Folge, dass der Arbeitskräftebedarf im primären und sekundä- ren Sektor zugunsten des Arbeitskräftebedarfs im tertiären Sektor weiterhin abnehmen wird (Jung, 2006). Dieser Trend begann bereits Anfang der 90er Jahre. Von April 1991 bis Mai 2003 stieg die Zahl der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor um 3,5 Millionen, was einer Zunahme von 17% entspricht, auf 24 Millionen Beschäftigte. Im sekundären Sektor hingegen, besonders im produzierenden Gewerbe konnte ein Rückgang der Er- werbstätigkeit um 4,1 Millionen, was einer Abnahme von 36% entspricht, auf 11,3 Millio- nen Beschäftigte verzeichnet werden (Statistisches Bundesamt, Mai 2004 in Jung, 2006, S. 835-836).
Im Jahr 2004 ging aus den Zahlen des statistischen Bundesamtes für das Jahr 2003 hervor, dass im Mai 2003 etwa 81% der erwerbstätigen Frauen und 54% der erwerbstätigen Män- ner im tertiären Sektor beschäftigt waren. Im Mai 2003 arbeiteten 21% der im Dienstleis- tungssektor Beschäftigten im Bereich Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kraft- fahrzeugen und Gebrauchsgütern, weitere 5% arbeiteten im Gastgewerbe (Statistisches Bundesamt, Mai 2004, in Jung, 2006, S. 836-837).
Einhergehend mit dem rapiden wirtschaftlichen Wandel wachsen auch die Qualifikations- anforderungen an die Beschäftigten. Wissen veraltet aufgrund der steigenden Geschwin- digkeit der Innovationszyklen schnell, folglich sinkt auch die Halbwertzeit des spezifi- schen beruflichen Fachwissens. Aus diesem Grund ist heutzutage die Fähigkeit zur schnel- len und effizienten Aneignung neuen Wissens unabdingbar (Jung, 2006; Silbereisen & Reitzle, 2000; Werner, 2003).
In diesem Zusammenhang wird nicht nur von einem Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft sondern auch von einem Übergang von der Produktions- zur Wissensgesellschaft gesprochen (Bähr, 2005a; Erpenbeck & Rosenstiel, 2003; Jäger, 2001; Risch, 2005).
Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, bedarf es einer neuen Lernkultur, der des selbstorganisierten Lernens, für die Kompetenzen, wie bereits erläutert, die notwendigen Dispositionen darstellen.
Folglich sollte die ideale Arbeitskraft der Zukunft in der Lage sein, sich in einer berufli- chen Erstausbildung nicht nur solides Fachwissen anzueignen, sondern darüber hinaus auch fachübergreifendes Wissen. Langfristig verlangt der Arbeitsmarkt nach Arbeitskräf- ten, die sich aufbauend auf der beruflichen Erstausbildung ein Leben lang durch Lernen die erforderten Fach- und fachübergreifenden Kenntnisse aneignen (Vojta, 2005)
2.2 Handlungskompetenz in der beruflichen Erstausbildung
Der im vorangegangenen Teil beschriebene gesellschaftliche, arbeitsorganisatorische und technologische Wandel hat auch Auswirkungen auf die berufliche Erstausbildung (Krä- mer-Stürzl, 1998). Heutzutage genügt es nicht mehr den Auszubildenden isoliertes Fak- tenwissen zu vermitteln, um den Anforderungen der modernen Arbeitswelt gerecht zu werden. Zusätzlich sollen fächer- und berufsübergreifende Qualifikationen wie Problemlö- sefähigkeit, Lernbereitschaft und -fähigkeit, sowie Kooperationsfähigkeit vermittelt wer- den (Hensgen, 2000; Krämer-Stürzl, 1998).
Laut Ausbildungsordnung (Bundesministerium für Wirtschaft, 2004) für den Beruf des Kaufmanns im Einzelhandel und für den des Kochs (Bundesministerium für Wirtschaft, 1998) besteht das primäre Ziel der Ausbildung darin, den Lehrlingen berufliche Hand- lungskompetenz zu vermitteln. Als Handlungskompetenz wird in diesem Zusammenhang die Befähigung zu eigenverantwortlichem Handeln verstanden, die selbstständiges Planen, Durchführen und Beurteilen von Arbeitsaufgaben beinhaltet. Gelernt wird eigenverant- wortliches Handeln hauptsächlich dadurch, dass Handlungen vom Lernenden so weit wie möglich selbstständig geplant, durchgeführt, überprüft und im Anschluss bewertet werden. Hervorzuheben ist, dass die Entwicklung der beruflichen Handlungsfähigkeit primär Auf- gabe des Auszubildenden selbst ist, denn ohne dessen Einwilligung und Mitwirkung ist die Entwicklung derselben nur eingeschränkt möglich (Bähr, 2005b).
Bis zum heutigen Tag existiert keine einheitliche Definition von Handlungskompetenz. Je- der Autor unternimmt seinen eigenen Systematisierungsversuch, wie zuvor beschrieben (Bähr, 2005b; Hensgen, 2000; Schirmer, 1998). Unstrittig ist allerdings, dass Schlüsselqua- lifikationen ein Bestandteil des Konstrukts der Handlungskompetenz darstellen (Bähr, 2005b; Hensgen, 2000; Krämer-Stürzl, 1998).
Im folgenden Teil wird die Autorin eine von Bähr (2005b) vorgestellte Definition von Handlungskompetenz im Rahmen der beruflichen Erstausbildung erläutern und im An- schluss daran die Bedeutung der Schlüsselqualifikationen in diesem Kontext erörtern.
Bähr (2005b) vertritt die Meinung, dass die Säulen der Handlungskompetenz aus inhalts- bezogenem Wissen, prozeduralem Wissen und aus Grundfertigkeiten bestehen. Durch den Transfer der vorab dargestellten Wissensarten und Fertigkeiten von einer einzelnen Ar- beitsaufgabe und der dabei gewonnenen Lernerfahrung auf eine Vielzahl ähnlicher Aufga- ben entstehen Handlungsschemata. Die vielfach in der Praxis angewandten Handlungs- schemata führen zu einer beruflichen Handlungsfähigkeit, die Handlungskompetenz ge- nannt wird. Das Konstrukt der Handlungskompetenz, das Bähr (2005b) in Fach-, Metho- den- und Sozialkompetenz unterteilt, enthält, wie bereits erwähnt, auch Schlüsselqualifika- tionen.
Schlüsselqualifikationen fügen sich z.B. nun dergestalt in die Fachkompetenz ein als das jemand, der fachkompetent handelt nicht nur die fachlichen Handlungsschemata für seine Handlung anwendet, sondern sich zusätzlich der erforderlichen Schlüsselqualifikationen wie z.B. Sorgfalt oder systematisches Vorgehen bedient. Die berufliche Fachkompetenz ist umso stabiler, je stärker die Lehrlinge die Handlungsschemata internalisiert haben und je intensiver die Anwendung derselben durch Schlüsselqualifikationen gefördert wird (Bähr, 2005b).
Der Begriff der Schlüsselqualifikation ist auf Dieter Mertens (1974), den damaligen Leiter des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zurückzuführen. Bereits 1974 vertrat er die Meinung, dass in der Ausbildung Wissen vermittelt werden müsse, das dem Wandel der Zeit standhalte, da reines Faktenwissen durch den raschen technologischen Wandel schnell veralte. Dieses Wissen bezeichnete er als Schlüsselqualifikationen. In diesem Zu- sammenhang entstand auch der Begriff von der Halbwertzeit des Wissens, wodurch wie bereits in den vorhergehenden Abschnitten erläutert, lebenslanges Lernen notwendig wird (Jäger, 2001; Werner, 2003). Dem Begriff der Schlüsselqualifikation liegt keine Theorie zu Grunde und es existiert auch keine einheitliche Definition (Bähr, 2005b; Hensgen, 2000; Jäger, 2001).
Die Autoren Holling und Liepmann (2004) vertreten im Rahmen der Diskussion über Schlüsselqualifikationen den Standpunkt, dass es sich bei den sogenannten Schlüsselquali- fikationen/-kompetenzen wie z.B. Lernfähigkeit und Problemlösefähigkeit um grundlegen- de Persönlichkeitseigenschaften handelt, für die nur andere Fachbegriffe verwendet wer- den, und nicht um ein völlig neuartiges Konzept. Lernfähigkeit stellt für sie lediglich einen anderen Begriff für allgemeine Intelligenz dar.
Laut Thomas Lang- von Wins (2003) werden allein in der deutschsprachigen Aus- und Weiterbildungsliteratur 654 verschiedene Schlüsselqualifikationen/Schlüsselkompetenzen unterschieden. Schlüsselqualifikationen beschreiben laut Bähr (2005b) in Anlehnung an Dieter Mertens (1974) grundlegende Fähigkeiten, die arbeitsplatz-, fach- und betriebsüber- greifend sind und daher als in sehr vielen beruflichen Situationen einsetzbar gelten. Für ei- ne ausführliche Auseinandersetzung mit dem Konzept der Schlüsselqualifikationen sei an dieser Stelle auf die Literatur von Reetz und Reitmann (1990) und Gonon (1996) verwie- sen.
Im empirischen Teil der Arbeit wurden Kompetenzen/Schlüsselqualifikationen erhoben, die für einen erfolgreichen Praktikanten im Einzelhandel und in der Gastronomie aus- schlaggebend sind. Aus diesem Grund sollen im folgenden Teil der Arbeit die Ergebnisse einer Studie vorgestellt werden, die einen Überblick darüber geben, welche Schlüsselquali- fikationen für die erfolgreiche Berufsausübung in Deutschland im Beruf des Kaufmanns im Einzelhandel und der des Kochs aus Sicht der Unternehmen eine Rolle spielen. Darüber hinaus erfolgt die Ergebnispräsentation dreier Studien, die untersuchten, welche Schlüssel- qualifikationen branchenübergreifend und branchenspezifisch bei der Selektion von Aus- zubildenden eine Rolle spielen.
2.3 Schlüsselqualifikationen
Anfang der 90er Jahre erhob das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer Studie die Einstellungsanforderungen an neue Mitarbeiter in 90 anerkannten Ausbil- dungsberufen seitens der Betriebe. An der Studie nahmen 6500 Experten aus Betrieben in den alten Bundesländern teil (Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, 1994a). Die Experten wurden gebeten auf einem vierzehn Eigenschaften und Fähigkeiten umfassenden Fragebogen anhand einer 5-stufigen Skala, unterteilt in weniger wichtig, wichtig und sehr wichtig einzustufen, für wie wichtig sie die ihnen vorliegenden Eigenschaften und Fähig- keiten bei der Einstellung neuer Mitarbeiter in diesem Beruf hielten. Stellvertretend für das Berufsbild des Kaufmanns im Einzelhandel wurden 91 Experten befragt und für das Be- rufsbild des Kochs 84 (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 1994a, b).
In den folgenden Abschnitten werden die Ergebnisse, nach den Branchen Einzelhandel und Gastronomie getrennt, zusammengefasst.
Im Beruf des Kaufmanns im Einzelhandel legten die Betriebe besonderen Wert auf die Be- reitschaft und Fähigkeit zur Teamarbeit, das sprachliche Ausdrucksvermögen, die Befähi- gung zum Umgang mit Menschen, das Einfühlungsvermögen in andere Menschen und ein gepflegtes äußeres Erscheinungsbild (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 1994b).
Für den Beruf des Kochs wurden die Bereitschaft und Fähigkeit zur Teamarbeit, das Ertra- gen von Stress und der Sinn für Sauberkeit/Hygienebewusstsein sowie das Planen und das Vorbereiten von Arbeitsabläufen als sehr wichtig erachtet (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 1994c).
Zusätzlich erfolgte eine Erhebung von Schlüsselqualifikationen, die Betriebe bei den Be- werbern häufig vermissten. Für das Berufsfeld Handel, Verkauf und Kundenbetreuung wa- ren das Denken in Zusammenhängen (1. Rang), die Fähigkeit zu planen und zu organisie- ren (2. Rang), das Ertragen von Stress (3. Rang), das sprachliche Ausdrucksvermögen, die rechnerischen Fähigkeiten und das Einfühlungsvermögen in andere Menschen (4. Rang) (IAB, 1994b).
Im Berufsfeld Ernährung, Hauswirtschaft, Hotel und Gaststätten vermissten die Betriebe das Denken in Zusammenhängen (1. Rang), die Fähigkeit zu planen und zu organisieren sowie den Einfallsreichtum und die Improvisationsfähigkeit (2. Rang) und das Ertragen von Stress (3. Rang) (IAB, 1994c).
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich aus der repräsentativen Umfrage des IAB be- züglich des Qualifikationsprofils von Facharbeitern- und Angestellten in dreizehn Berufs- feldern sechs Schlüsselqualifikationen, die empirisch abgesichert sind, filtern ließen. Die gewünschten berufsübergreifenden Schlüsselqualifikationen lauteten Bereitschaft und Fä- higkeit zur Teamarbeit, Denken in Zusammenhängen, Fähigkeit zu planen und zu organi- sieren, Umstellfähigkeit auf wechselnde Aufgaben, Einfallsreichtum, Improvisationsfähig- keit und Ertragen von Stress.
Auf der Grundlage von Ausbildungs-, Fortbildungs- oder Studienordnungen sowie der A- nalyse von Bewerber- und Stellenangeboten nennt die Bundesagentur für Arbeit auf ihrer Internetseite „BERUFENET“ (2006) eine gewisse Anzahl an Schlüsselqualifikatio- nen/Kompetenzen, die für die erfolgreiche Ausübung der Berufe Kaufmann im Einzelhan- del und Koch erforderlich sind (Agentur für Arbeit, 2006a, b).
Für den Kaufmann im Einzelhandel sind die Schlüsselqualifikationen Einfühlungsvermö- gen, Erscheinungsbild, Flexibilität, Kontaktfähigkeit, Kundenorientierung, Organisations- fähigkeit, selbstständige Arbeitsweise, Teamfähigkeit, Umgangsformen und Zuverlässig- keit von besonderer Bedeutung (Agentur für Arbeit, 2006a).
Wohingegen für den Koch die Schlüsselqualifikationen Anpassungsfähigkeit, selbstständi- ge Arbeitsweise, Sorgfalt, Teamfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit von herausragender Wichtigkeit sind (Agentur für Arbeit, 2006b).
Im folgenden Teil der Arbeit soll anhand der Ergebnisse dreier Studien ein Überblick dar- über gegeben werden, welche Auswahlkriterien im Bereich der Schlüsselqualifikationen/- kompetenzen bei der Einstellung von Auszubildenden seitens der Unternehmen eine Rolle spielen (Eisele & Emrich, 2005; Prusik, 2003).
2.4 Schlüsselqualifikationen bei der Auswahl von Auszubildenden
Riesenfelder et al. (2005) befragten in einer qualitativen Einzelfallstudie 35 österreichische Unternehmen nach ihren Auswahlkriterien für Lehrlinge. Die Studie wurde vom Netzwerk INTERDISK 2+20, das sich unter anderem mit der Integration Jugendlicher in das Berufs- leben beschäftigt, in Auftrag gegeben.
Die Wissenschaftler ordneten die Aussagen der Unternehmen im Hinblick auf die ge- wünschten Kompetenzen einer der vier von Erpenbeck & von Rosenstiel (2003) erstellten Kompetenzklassen zu. Im Bereich der personalen Kompetenzen legten die Unternehmen Wert auf eine positive Einstellung zum Beruf, Motivation, Fleiß und Engagement. Bezo- gen auf die fachlich-methodischen Kompetenzen wurde besonderer Wert auf fachliche Eignung und ein passendes Qualifikationsniveau gelegt. Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit, Selbstständigkeit, Verantwortungsbereitschaft und Lernbereitschaft stellten die erwünsch- ten Hauptkomponenten der aktivitäts- und umsetzungsorientierten Kompetenzen dar. In Bezug auf die sozial-kommunikativen Kompetenzen erwarteten die Unternehmen ein pas- sendes Auftreten, Aussehen und Benehmen sowie Teamfähigkeit, Kommunikationsfähig- keit und Sympathie (Riesenfelder et al., 2005). Ein anschließend durchgeführtes Ranking der zuvor genannten Kompetenzen zeigte, dass die Unternehmen besonders auf ein pas- sendes Qualifikationsniveau, Lernbereitschaft, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit achteten (Riesenfelder et al., 2005).
In einer von der Universitäten Stuttgart und Tübingen durchgeführten Studie, an der 17 deutsche Großunternehmen teilnahmen, konnte gezeigt werden, dass bei der Auswahl von Auszubildenden neben sogenannten „hard facts“ wie Notendurchschnitt und Fachwissen „soft skills“ wie z.B. Teamfähigkeit zunehmend an Bedeutung gewannen (Eisele & Em- rich, 2005). Mit Hilfe der von Flanagan (1954) entwickelten Critical Incident Technique (CIT) wurde ermittelt, welche sozialen und persönlichen Kompetenzen für den Ausbil- dungserfolg besonders ausschlaggebend waren. Als Ergebnis lagen die fünf Dimensionen Teamfähigkeit, Berufsmotivation, Entscheidungskraft, Initiative und Zuverlässigkeit vor.
In einer Ende der 90er Jahre im Auftrag des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) durchgeführten quantitativen Befragung in 319 Betrieben des Einzelhandels wurde unter anderem erhoben, welche Schlüsselqualifikationen für eine zukünftige Berufsausbildung im Einzelhandel als wichtig erachtet werden. Aus Sicht der Ausbildungs- und Personalver- antwortlichen hatten nach abnehmender Priorität geordnet, kundenfreundliches Verhalten, Befähigung zum Umgang mit Menschen, Bereitschaft und Fähigkeit zur Teamarbeit, Selbstständigkeit bei der Erledigung von Aufgaben, Verhandlungsgeschick, Umstellfähig- keit auf wechselnde Aufgaben, kosten- und ertragsbewusstes Denken und Handeln, Fähig- keit zum Denken in Zusammenhängen, Bereitschaft zum ständigen Weiterlernen und die Fähigkeit zu planen und zu organisieren höchste Priorität (Marek & Paulini, 1999).
Vor dem Hintergrund dessen, dass die Qualifikationsbereiche Kundenberatung und Ge- sprächsführung, Verkaufsförderung und Warenpräsentation und Warenkunde im Rahmen der beruflichen Erstausbildung zunehmend an Bedeutung gewinnen werden, ist die Bedeu- tung der in der Studie identifizierten Schlüsselqualifikationen nicht verwunderlich (Marek & Paulini, 1999).
Auch Malcher (2005) vom Hauptverband des deutschen Einzelhandels vertrat die Mei- nung, dass sich die Qualifikationsanforderungen im Einzelhandel in den letzten 20 Jahren deutlich gewandelt haben. Kunden- und Dienstleistungsorientierung wurden bedingt durch den starken Wettbewerb im Handel immer wichtiger.
Aus diesem Grund sind in der neuen Ausbildungsordnung Kunden-, Service- und Dienst- leistungsorientierung zu zentralen Ausbildungsinhalten geworden. Weiterhin wird großer Wert darauf gelegt, die Lernfähigkeit und Lernbereitschaft der Auszubildenden zu fördern, damit diese sich unter anderem selbstständig Warenkenntnisse aneignen können.
Der empirische Teil der vorliegenden Arbeit bestand in der Entwicklung zweier branchen- spezifischer Kompetenzmodelle zur Ableitung einer praxistauglichen Checkliste zur Selbst- und Fremdevaluation von erfolgskritischem Verhalten von Praktikanten während des Praktikums für die Branchen Einzelhandel und Gastronomie.
Aus diesem Grund wird im nächsten Kapitel die der Entwicklung von Kompetenzmodellen zu Grunde liegende Theorie zusammenfassend dargestellt.
3 Kompetenzmodelle
Kompetenzen stellen ein Konstrukt dar und sind deshalb nicht direkt beobachtbar. Um Kompetenzen messbar zu machen, bedarf es eines an einer Theorie orientierten Kom- petenzmodells. Die dem Kompetenzmodell zu Grunde liegende Theorie definiert den Kompetenzbegriff inhaltlich und das Modell verknüpft die empirischen Beobachtungen mit der Theorie (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2003; Spencer & Spencer, 1993).
Zurzeit gibt es auf dem Markt eine Vielzahl von praxis- und theoriebasierten Kompetenz- modellen. Der Vorteil der in der Praxis entwickelten Modelle besteht darin, dass diese konkrete Verhaltensanker für die jeweiligen Kompetenzen aufweisen, die den unterneh- mensspezifischen Bedürfnissen, z.B. der Berücksichtigung der unternehmensinternen Sprachkultur, Rechnung tragen (Sarges, 2002; Wood & Payne, 1998). Damit kommen die- se Modelle der Forderung nach, Kompetenzen anhand von spezifischen, den konkreten Be- ruf betreffenden Verhaltensindikatoren zu beschreiben (Hof, 2002). Im Gegensatz dazu liegt der Vorteil der theoriebasierten Modelle darin, dass diese aus einer übersichtlichen Anzahl von allgemeinen Dimensionen bestehen, die ein umfangreiches Analyseinstrument für relevante Anforderungsmerkmale darstellen, was allerdings häufig mit einem Detail- verlust verbunden ist (Kurz & Bartram, 2002).
Laut Kurz und Bartram (2002) liegt die Lösung bei der Konzeption eines brauchbaren Kompetenzmodells in der Kombination von praxis- und theoriebasierten Modellen, da da- durch die Nutzerfreundlichkeit und Praktikabilität der empirisch entwickelten Modelle mit der Struktur der theoriebasierten Modelle vereint wird (Briscoe & Hall, 1999).
Die Vorteile der praxis- und theoriebasierten Modelle finden sich aggregiert in hierarchi- schen Modellen, die heutzutage mittlerweile von den meisten Beratungsfirmen angeboten werden, wieder (Sarges, 2002).
Hierarchische Modelle setzen sich auf höchster Ebene aus einer geringen Anzahl breiter Faktoren, Konstrukten, zusammen, die große Teile der Leistungsvarianz aufklären. Auf mittlerer Ebene bestehen die Modelle aus einer erweiterten Anzahl von Dimensionen, die sich wegen der sprachlichen Nähe zur Praxis für den täglichen Gebrauch seitens des An- wenders eignen. Auf unterster Ebene setzen sich diese Modelle aus einer großen Anzahl an Komponenten zusammen (Kurz & Bartram, 2002; Sarges 2002).
Aus den eben beschriebenen Gründen liegt der vorliegenden Arbeit als theoretische Grund- lage das von Bartram (2005) entwickelte hierarchische „Great Eight“ - Berufsleistungs- kompetenzmodell zu Grunde. Auf der Basis dieses Modells wurden zwei branchenspezifi- sche Kompetenzmodelle zur Ableitung zweier praxistauglicher Checklisten zur Selbst- und Fremdevaluation von erfolgskritischem Verhalten von Praktikanten während des Prakti- kums entwickelt. Eine Beschreibung des Modells erfolgt im nächsten Kapitel über Berufs- leistung. Im Methodenteil wird die Einbindung des Modells in die empirische Studie be- schrieben.
3.1 The Great Eight Competencies
Wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln erläutert, werden Kompetenzen mit heraus- ragender Leistung im Beruf in Verbindung gebracht (Kurz & Bartram, 2002; Erpenbeck & von Rosenstiel, 2003; Sarges, 2002). Aus diesem Grund erfolgt im folgenden Kapitel die Vorstellung von Bartrams (2005) Berufsleistungskompetenzmodell und Campbells (1993) Berufsleistungsmodell, die den Bezugsrahmen für den empirischen Teil der Arbeit darstel- len. Die Fragen des Interviewleitfadens sind primär an Bartrams und sekundär an Camp- bells Modell angelehnt. Die Auswertung der Daten orientierte sich an Bartrams Modell.
Berufliche Leistung ist als hypothetisches Konstrukt zu verstehen, das sich ausschließlich über Kriterien erfassen lässt. Kriterien wiederum bilden Berufsleistung nicht vollständig ab, da sie lediglich unvollständige Annährungen an das Konstrukt darstellen. Marcus und Schuler (2006) konstatieren, dass Leistungskriterien wirkliche Leistung nicht vollständig abbilden können (Defizienz) und außerdem Irrelevantes messen (Kontamination). Leis- tungskriterien lassen sich auf drei verschiedenen Ebenen beschreiben, der Verhaltens-, Ei- genschafts- und Ergebnisebene (Schuler, 2006 Lehrbuch der Personalpsychologie).
Bartram geht in seinem hierachischen Kompetenzmodell zur Berufsleistung davon aus, dass Verhalten am Arbeitsplatz von acht umfassenden Kompetenzfaktoren bestimmt wird. Die auf höchster Ebene angesiedelten acht Faktoren stellen psychologische Konstrukte dar, die den entsprechenden Kompetenzen zu Grunde liegen (Kurz & Bartram, 2002).
Die acht Kompetenzfaktoren gliedern sich auf mittlerer Ebene in 20 Kompetenzdimensio- nen, die wiederum in 112 Kompetenzkomponenten mit entsprechenden Verhaltensankern auf unterster Ebene aufgeteilt werden (Bartram, 2005).
3.1.1 Entwicklung eines Kompetenzmodells
Die Vorgehensweise, die Bartram bei der Entwicklung seines generischen Berufsleistungs- kompetenzmodells für alle Berufsgruppen wählte, ist mit der von Tett et al. (2000) benutz- ten Methode bei der Entwicklung ihres Berufsleistungskompetenzmodells für Manage- mentpositionen vergleichbar. Tett et al. (2000) identifizierten 53 Kompetenzen, die sie neun Hauptdimensionen zuordneten. Die Forscher kristallisierten die Kompetenzen aus zwölf bereits im Markt existierender theoriebasierter und praxisorientierter Kompetenzmo- delle heraus. Auch Bartram (2005) analysierte für seinen Ansatz eine Vielzahl von bereits im Markt existierender aus der Theorie und Praxis abgeleiteter Kompetenzmodelle.
Durch die Ableitung der Kompetenzen sowohl aus theoriegeleiteten als auch aus praxisba- sierten Kompetenzmodellen trugen die Forscher der Forderung nach neuen nutzerfreundli- chen Kompetenzmodellen Rechnung, die Übersichtlichkeit und Struktur theoriegeleiteter Modelle mit dem praktischen Nutzen, der in der Praxis entwickelten Modelle zu verbinden (Kurz & Bartram, 2002; Sarges, 2002). Auch Sonntag und Schmidt-Rathjens (2004) postu- lierten einen Hybrid-Ansatz bei der Entwicklung neuer Kompetenzmodelle, welcher die jeweiligen Vor- und Nachteile der einzelnen Verfahren aufwiegt.
Bartram entwickelte sein Kompetenzmodell vor dem Hintergrund Kompetenzen als „[...] sets of behaviours that are instrumental in the delivery of desired results and outcomes“ (Kurz & Bartram, 2002, S. 229) zu definieren. Kompetenzen setzen sich aus Verhaltens- weisen zusammen, die eine Person ausübt, um spezifische Berufsziele zu erreichen. Bei diesen Verhaltensweisen kann es sich einerseits um Verhaltensweisen handeln, die dazu dienen, aufgabenbezogene Ziele zu erreichen und andererseits um Verhaltensweisen, deren Aufgabe darin besteht, das generelle Funktionieren der Organisation zu unterstützen, über die formale Aufgabenerfüllung hinaus (Bartram & Kurz & Baron, 2002).
Motowildo und Borman (1997) gehen in ihrem Berufsleistungsmodell auch davon aus, dass berufliche Leistung nicht nur aus der reinen Aufgabenleistung, task performance, sondern auch aus Kontextleistung, contextual perfomance, besteht. Die Kontextleistung geht über die reine Aufgabenleistung, wie z.B. den Verkauf von Ware hinaus und beinhal- tet Verhaltensweisen, die sich direkt auf die Aufrechterhaltung der organisationalen und sozialen Umgebungsaspekte innerhalb des Unternehmens beziehen.
Der Wissenschaftler ging bei der Entwicklung seines Kompetenzmodells so vor, dass er mittels Inhaltsanalyse 112 Kompetenzkomponenten auf höchster Detaillierungsebene aus ihm vorliegenden Kompetenzmodellen herauskristallisierte.
Die durch positive und negative berufsbezogene Verhaltensanker genauer definierten 112 Kompetenzkomponenten/Minikompetenzen (Bartram & Kurz & Baron, 2003) stellen für Bartram Bausteine dar, aus denen sich Kompetenzen zusammensetzen. Eine Vielzahl von Kompetenzen wiederum bilden ein Kompetenzmodell.
Die 112 Minikompetenzen sind Bestandteil 20 übergeordneter Kompeten- zen/Kompetenzdimensionen auf mittlerer Ebene.
Auf höchster Ebene identifizierte er mittels Faktoranalyse acht Generalfaktoren, die den 112 auf niedrigster Ebene angesiedelten Kompetenzkomponenten übergeordnet sind.
Bartram nannte die acht Generalfaktoren die „Great Eight“ weil sie für ihn eine ähnliche Hegemonialstellung im Bereich der Vorhersage von Berufsleistung einzunehmen scheinen, wie es die „Big Five“ im Bereich der Persönlichkeit als Prädiktoren für Berufsleistung tun (Barrick & Mount & Judge, 2001).
In Bartrams (2005) Modell fungieren der allgemeine Intelligenzfaktor „g“, die „Big Five“ und die Motivationsfaktoren Leistungsmotivation, need for achievement und Machtmoti- vation, need for power and control (McClelland, 2000) als Prädiktoren der acht General- faktoren (siehe Abbildung 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Titles and High-Level Definitions of the Great Eight Competencies (in Anlehnung an Bartram, 2005, S. 1187)
In einer 29 Validitätsstudien umfassenden Metaanalyse (N = 4.861) konnte Bartram (2005) nachweisen, dass Machtmotivation und Extraversion den Faktor 1, Führen und Entschei- den mit r = .38 vorhersagen. Bartram (2005) beschreibt Personen mit einer hohen Ausprä- gung auf dem Faktor 1 als Menschen, die gerne Kontrolle ausüben und die Führung über- nehmen. Ferner handeln sie eigninitiativ und verantwortungsvoll. Der Faktor 2, Unterstüt- zen und Kooperieren wird von Verträglichkeit mit r = .23 vorhergesagt. Personen mit einer hohen Ausprägung auf dem Faktor 2 sind Menschen, die andere in sozialen Situationen wahrnehmen, unterstützen und respektieren. Menschen stehen für diese Personen an erster Stelle und sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie effektiv mit anderen zusammenarbeiten können, sei es mit Kunden oder mit anderen Teammitgliedern (Bartram, 2005). Der Faktor 3, Interagieren und Präsentieren wird von Extraversion und dem Intelligenzfaktor „g“ mit r = .38 vorhergesagt. Personen mit einer hohen Ausprägung auf dem Faktor 3 sind in der Lage effektiv zu kommunizieren und Beziehungen aufzubauen. Sie sind erfolgreich darin, andere zu überzeugen und positiv zu beeinflussen und gehen mit ihren Mitmenschen posi- tiv und vertrauenswürdig um (Bartram, 2005). Der Intelligenzfaktor „g“ und Offenheit für neue Erfahrungen fungieren mit r = .44 als Prädiktoren für den Faktor 4, Analysieren und Interpretieren. Personen mit einer hohen Ausprägung auf dem Faktor 4 demonstrieren ana- lytisches Denkvermögen. Diese Menschen verstehen die Ursache- Wirkungszusammen- hänge von komplexen Problemen und Fragestellungen. Ferner zeichnen sich diese Men- schen dadurch aus, dass sie sich schnell in neue Technologien einarbeiten, ihr Fachwissen effektiv anwenden und sich schriftlich gut ausdrücken können (Bartram, 2005). Der Faktor 5, Erschaffen und Begreifen, wird von Offenheit für neue Erfahrungen und dem Intelli- genzfaktor „g“ mit r = .37 vorhergesagt. Laut Bartram (2005) leisten Personen mit einer hohen Ausprägung auf diesem Faktor gute Arbeit in Situationen, in denen Offenheit für neue Erfahrungen gefragt ist. Diese Personen sind stetig auf der Suche nach Lernerfahrun- gen und sie gehen Situationen und Probleme mit Innovation und Kreativität an. Ferner be- sitzen sie einen weiten Horizont und können strategisch denken. Sie unterstützen und initi- ieren Veränderungsprozesse (Bartram, 2005). Der Faktor 6, Organisieren und Ausführen wird mit r = .26 von Gewissenhaftigkeit und von dem Intelligenzfaktor „g“ vorhergesagt. Laut Bartram (2005) arbeiten Personen mit einer hohen Ausprägung auf diesem Faktor planvoll und organisiert. Sie leisten ferner Anweisungen und Prozessen Folge. Zusätzlich legen sie ihren Focus auf die Befriedigung von Kundenbedürfnissen und liefern den Kun- den ein Produkt oder eine Dienstleistung in der gewünschten Qualität (Bartram, 2005).
Emotionale Stabilität sagt mit r = .26 den Faktor 7, Anpassen und Stress bewältigen vor- aus. Laut Bartram (2005) können Personen mit einer hohen Ausprägung auf diesem Faktor gut mit Veränderungen umgehen und sind in der Lage, sich an die veränderten Bedingun- gen anzupassen. Der Faktor 8, Unternehmerisch handeln und Leistung erbringen wird mit r = .38 von Leistungsmotivation und negativer Verträglichkeit vorhergesagt. Personen mit einer hohen Ausprägung auf diesem Faktor arbeiten ergebnisorientiert. Sie erbringen die beste Arbeitsleistung, wenn das Arbeitsergebnis als Leistungskriterium fungiert und der persönliche Einsatz somit sichtbar wird. Diese Personen zeigen ein Verständnis für wirt- schaftliche Zusammenhänge. Ferner sind sie stetig auf der Suche nach Selbstverwirkli- chungs- und Karrieremöglichkeiten.
Bartram wählte als Prädiktoren der „Great Eight“ Persönlichkeitseigenschaften, da Eigen- schaften Prädispositionen einer Person darstellen, über Situationen hinweg das gleiche Verhalten zu zeigen (Robertson & Callinan, 1998). McClelland (2000) versteht die beiden Motivationsfaktoren need for achievement und need for power and control in seiner Moti- vationstheorie ebenfalls als Persönlichkeitseigenschaften. In diesem Zusammenhang ist je- doch anzumerken, dass sich Persönlichkeitseigenschaften nicht immer in Form von tat- sächlichem Verhalten bemerkbar machen, da die Situation als Moderatorvariable eine Rol- le spielt (Kanning, 2004). Im nächsten Kapitel wird zusammenfassend der derzeitige Stand der Forschung zum Generalfaktor „g“, zu den „Big Five“ und zu den beiden Motivations- faktoren als eignungsdiagnostische Prädiktoren für Berufsleistung dargestellt.
Der Nutzen dieses Modells besteht darin, dass es das Verständnis für die der Berufsleis- tung zu Grunde liegenden Faktoren fördert, in dem vorliegenden Fall Intelligenz, Persön- lichkeit und Motivation (Bartram & Kurz & Baron, 2003).
Als zusätzlicher Vorteil kann genannt werden, dass verschiedene Aspekte von Berufsleis- tung getrennt voneinander untersucht werden können. Ferner wird das Modell der Forde- rung gerecht, bei der Entwicklung von Berufsleistungsmodellen der Mehrdimensionalität dieses Konstruktes Rechnung zu tragen (Bartram, 2005; Campbell, 1990; Marcus & Schu- ler, 2006; Motowildo & Borman, 1997; Robertson & Callinan, 1998).
Bartrams (2005) Modell spielt für den empirischen Teil der Arbeit insofern eine Rolle, als dass zum einen die Fragen des Experteninterviews an die 20 Dimensionen des Modells an- gelehnt sind. Zum anderen wurden die im Rahmen der Interviewstudie erfassten erfolgskri- tischen Verhaltensweisen von Praktikanten im Einzelhandel und in der Gastronomie mit- tels Inhaltsanalyse einer der 112 Kompetenzkomponenten zugeordnet. Die 112 Kompe- tenzkomponenten wiederum sind Bestandteil 20 übergeordneter Kompetenzdimensionen, die wiederum in die acht Faktoren auf höchster Ebene eingehen. Eine detaillierte Beschrei- bung der Entwicklung der Interviewstudie und der Vorgehensweise bei der Zuordnung der einzelnen Verhaltensweisen zu einer der 112 Kompetenzkomponenten erfolgt im Metho- denteil.
[...]
- Quote paper
- Diplom Wirtschaftspsychologin (FH) Katja von Marquardt (Author), 2006, Entwicklung zweier branchenspezifischer Kompetenzmodelle für den Einzelhandel und die Gastronomie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122322
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