Die Figur des Calibans in Shakespeares Stück "The Tempest" unterliegt vielen verschiedenen Deutungen und Darstellungen. Sicherlich rührt dies aus der wenig genauen Beschreibung seiner Person innerhalb des Stückes hervor, da sein Äußeres fast nicht beschrieben wird, was eine Visualisierung seiner Person durch den Leser sehr schwierig macht. Zudem kommt hinzu, dass die geographische Lage der Insel im Stück nicht explizit genannt wird – so erfährt man an keiner Stelle im Stück, wo die Insel, auf der die Schiffsbrüchigen stranden, liegt. Auch dies erschwert eine genaue Einordnung der Figur Caliban.
In letzter Zeit wird im Zuge der postkolonialen Lesart des Stückes Caliban vor allem als die Darstellung des American native beziehungsweise des "American Indian" gesehen und verstanden, und mit eben dieser Betrachtung beschäftige ich mich in diesem Essay. Zunächst untersuche ich dabei die Herkunft und Gründe, die angeführt werden, um diese Betrachtungsweise zu erklären, um danach zu untersuchen, inwieweit diese haltbar sind. Damit zusammenhängend nenne ich Gegenpositionen und –argumente, die sich gegen diese Lesart des Stückes äußern lassen. In diesem Zuge führe ich eine Übersicht über weitere möglich Hintergründe an, die Shakespeare zu der Erschaffung der Person des Calibans bewegt haben mögen, um im Anschluss daran ein vorläufiges Resümee zu ziehen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Caliban als American Indian
3. Caliban als African native
4. Caliban und Irland
5. Caliban als eine wild man -Darstellung
6. Fazit
7. Bibliographie
1. Einleitung
Die Figur des Calibans in Shakespeares Stück The Tempest unterliegt vielen verschiedenen Deutungen und Darstellungen. Sicherlich rührt dies aus der wenig genauen Beschreibung seiner Person innerhalb des Stückes hervor, da sein Äußeres fast nicht beschrieben wird, was eine Visualisierung seiner Person durch den Leser sehr schwierig macht. Zudem kommt hinzu, dass die geographische Lage der Insel im Stück nicht explizit genannt wird – so erfährt man an keiner Stelle im Stück, wo die Insel, auf der die Schiffsbrüchigen stranden, liegt. Auch dies erschwert eine genaue Einordnung der Figur Caliban.
In letzter Zeit wird im Zuge der postkolonialen Lesart des Stückes Caliban vor allem als die Darstellung des American native beziehungsweise des American Indian gesehen und verstanden, und mit eben dieser Betrachtung beschäftige ich mich in diesem Essay. Zunächst untersuche ich dabei die Herkunft und Gründe, die angeführt werden, um diese Betrachtungsweise zu erklären, um danach zu untersuchen, inwieweit diese haltbar sind. Damit zusammenhängend nenne ich Gegenpositionen und –argumente, die sich gegen diese Lesart des Stückes äußern lassen. In diesem Zuge führe ich eine Übersicht über weitere möglich Hintergründe an, die Shakespeare zu der Erschaffung der Person des Calibans bewegt haben mögen, um im Anschluss daran ein vorläufiges Resümee zu ziehen.
2. Caliban als American Indian
Erst zum Ende des 18. Jahrhunderts hin begann man, The Tempest als eine Darstellung der Ausnutzung und Kolonialisierung Amerikas durch Europa zu lesen und zu sehen.[1] Der Grund für diesen Trend hin zu einer Lesart des Stückes mit einer eindeutigen Fokussierung auf Amerika mag dabei vor allem in einem „concurrent cultural and political rapprochement between England and the United States“ gelegen haben. Dabei war das angloamerikanische Verhältnis vor allem während des 19. Jahrhunderts stark strapaziert, wenn nicht sogar feindselig.[2] Bis heute ist die auf Amerika bezogene Lesart des Stückes die am Meisten verbreitete.
Dabei beinhaltet The Tempest jedoch nur sehr wenige direkte Anspielungen auf den amerikanischen Kontinent: So werden die Bermuda-Inseln im Stück namentlich genannt,[3] ebenso spricht Caliban in der Gegenwart von Prospero von seinem Gott Setebos, der der „Patagonian god mentioned by Pigafetta“ ist.[4] Zudem wird mit Stephanos Ausspruch „salvages and men of Ind“[5] in dem Stück wohl auf American Indians angespielt. Genauso wie Trinculo mit ziemlicher Sicherheit von American Indians spricht wenn er sagt:„When they [=Englishmen] will not give a doit to relieve a lame beggar, they will lay out ten to see a dead Indian“[6].[7]
Diese Nennungen führten mitunter zu der Annahme, dass die Insel, auf der die Schiffbrüchigen landeten, deren Namen aber während des Stückes nicht genannt wird, die Bermudas sein könnten.[8] Doch gibt es zu dieser Annahme auch eine Vielzahl von Gegenstimmen, die besagen, dass die Insel der Schiffbrüchigen nicht mit den Bermudas gleichzusetzen sei, da diese bei ihrer Entdeckung unbevölkert gewesen seien und nicht wie im Stück dargestellt bereits bevölkert waren. Dennoch mag dies natürlich nicht gänzlich ausschließen, dass Shakespeare sie für sein Stück absichtlich bevölkerte, um eben eine Konfrontation der Europäer mit den Einheimischen darstellen zu können. Auf jeden Fall scheint Shakespeare mit der Nennung der Bermuda-Inseln auf ein zeitgenössisches Ereignis, nämlich den Schiffbruch der Sea Venture im Jahre 1609 und der anschließenden Strandung der Besatzung auf den damals noch unbewohnten Bermudas, anzuspielen.[9]
Die Eigenschaften Calibans ähneln dabei durchaus denen, die zu der damaligen Zeit den American Indians zugeschrieben wurden:
Caliban’s beastliness, for example, seems to mirror accounts of New World natives by a variety of Continental and English observers and secondary reporters, as do his susceptibility to alcohol and his sexual appetite.[10]
Vor allem auch, dass er Alkohol nicht kennt, wird häufig als ein Zeichen für seine Abstammung als American Indian gesehen.[11] Dennoch lassen sich auch Eigenschaften Calibans finden, die gegen eine Gleichsetzung seiner Figur mit einem American native sprechen und ihn zu einem „curiously unrepresentative Indian“ machen.[12] Vor allem äußerlich gleicht er nicht dem Bild eines Indianers der damaligen Zeit. Caliban wird als hässlich, deformiert und monsterähnlich dargestellt. Dies seien Attribute, die nach Vaughan und Vaughan niemals American Indians zugeschrieben wurden: „Rather, most European observers praised Indian physique and physiognomy“.[13] Zudem „lacks [Caliban] the characteristics and accoutrements that the surviving pictorial and literary evidence presents as typically Indian: body paint, feathers, huts, canoes, tobacco, bows and arrows – minor signifiers that would have shouted ‚Indian’ to a Jacobean audience“.[14]
Auch die Untersuchung der Etymologie des Wortes „Caliban“ kann aber eine Gleichsetzung Calibans mit einem American Indian durchaus unterstützen: So wird das Wort „Caliban“ von vielen als ein Anagramm von „Can[n]ibal“ gesehen. „Cannibal“ stand dabei damals sowohl für die Einwohner der Neuen Welt als auch für die noch heute geltende Bedeutung eines Anthropophagen.[15]
Daneben existieren weitere etymologische Erklärungsversuche, nach denen das Wort „Caliban“ beispielsweise von „Caribana“ komme, eine Bezeichnung der nördlichen Region Südamerikas, die oft auf Karten des ausgehenden 16. Jahrhunderts erscheint.[16] Dies würde Caliban ebenfalls zu einem Vertreter der Neuen Welt machen, wenn auch nicht zu einem Inselbewohner.
Doch lassen sich auch hier wiederumeinige Gründe finden, die sich gegen die amerikanische Lesart richten. So stellt sich sicherlich die Frage, warum sich Shakespeare des Wortes „Cannibal“ als Ausgang für „Caliban“ bediente, wenn er gar keine Züge eines Menschenfressers aufweist:
If […] the name is an anagram of cannibal, throughout The Tempest Caliban is never shown to be in the least interested in eating human beings. Just like his name refuses quite to match the word „cannibal“, so his behaviour, too, is not what might be expected of a man-eater.[17]
[...]
[1] Vgl. Vaughan, Alden T. und Virginia Mason Vaughan. Shakespeare’s Caliban. A Cultural History. Cambridge: Cambridge University Press, 1991. 118.
[2] Ebd., 124.
[3] Shakespeare, William. „The Tempest“. In: The Tempest. Hg. Virginia Mason Vaughan und Alden T. Vaughan. London: The Arden Shakespeare, 1999, 165, 1.2.229.
[4] Ebd., 176, 1.2.374.
[5] Ebd., 210, 2.2.57.
[6] Ebd., 208, 2.2.31-32.
[7] Vgl. Vaughan, Shakespeare’s Caliban, 42-43.
[8] Vgl. ebd., 123.
[9] Vgl. hierzu Weimann, Robert. „Shakespeares Sturm: Die Repräsentation des Anderen im kolonialen Diskurs der frühen Neuzeit“. In: Ränder der Moderne. Repräsentation und Alterität im (post)kolonialen Diskurs. Hg. Robert Weimann. Frankfurt: Suhrkamp, 1997. 172.
[10] Vaughan, Shakespeare’s Caliban, 274-275.
[11] Vgl. hierzu Baert, Barbara. „Caliban as a Wild-Man. An Iconographical Approach“. In: Constellation Caliban: figurations of a character. Hg. Nadia Lie und Theo d’Haen. Amsterdam: Rodopi, 1997. 54: „The lack of familiarity with strong drink is another stereotype associated with the Indian“.
[12] Vaughan, Shakespeare’s Caliban, 275.
[13] Ebd.
[14] Ebd.
[15] Vgl. ebd., 26-27.
[16] Vgl. ebd., 28.
[17] Franssen, Paul. „A Muddy Mirror“. In: Constellation Caliban: figurations of a character. Hg. Nadia Lie und Theo d’Haen. Amsterdam: Rodopi, 1997. 37.
- Quote paper
- Andreas Kirchmann (Author), 2006, Caliban - Darstellung des "American native" in Shakespeares Stück "The Tempest"?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122231
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