Wer sich schon immer gefragt hat was Filme wie "Alien", "Pulp Fiction","L.A. Confidential" oder "Lost Highway" gemeinsam haben findet hier die Antwort: Sie alle haben große Anleihen aus den klassischen Film Noir der 40er und 50er Jahre und das macht einen Großteil ihres Charme aus.
Der erste Teil der Arbeit beschäftigt sich mit dem Film noir, geht auf Entstehungsbedingungen, Erzählstrukturen, Themen usw. ein. Der zweite Teil behandelt dann den Neo noir als die moderne Variante.
Mit dem Wissen aus dieser Arbeit wird der Leser beim eigenen Filmgenuss mitbekommen wie viele Filme noir Elemente in sich tragen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der klassische Film noir
2.1. Begriffsentstehung und -praxis
2.2. Entstehungsbedingungen
2.3. Themen
2.4. Stilistische Phänomene
2.5. Erzählstrukturen
2.6. Film noir als Genre?
2.7. Das Verschwinden des klassischen Film noir
3. Vom Film noir zum Neo noir
3.1. Film noir als Methode
3.2. Gesellschaftliche Krisen als Auslöser des noir?
3.3. Die Rennaissance des noir-Films
3.4. Themen des zeitgenössischen Film noir
3.5. Stilmerkmale im zeitgenössischen Film noir
3.6. Erzählstrukturen im zeitgenössischen Film noir
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In Programmzeitschriften oder Filmrezensionen werden regelmäßig bestimmte Labels wie „Western“, „Roadmovie“, „Thriller“ oder eben „Film noir“ vergeben. Hierbei handelt es sich um unterschiedlichste Filme. Produktionen wie „Alien““ (Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt, 1979), „The Terminator“ (Terminator, 1984) oder „L.A. Confidential“ (1997) werden als „Film noir“ oder „Neo noir“ bezeichnet obwohl sie auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben.
Was macht das „noir“ in neuzeitlichen Filmen aus und kann man vom „Film noir“ als Genre sprechen?
Um diese Fragen beantworten zu können ist der Blick auf die Anfänge des Noir-Films unerlässlich.
Aus diesem Grund wird sich das zweite Kapitel um den „klassischen Film noir“ drehen und das dritte Kapitel um die Weiterentwicklung zum „Neo noir“
Schon der Titel der Hausarbeit „Vom Film noir zum Neo noir“ sollte aber deutlich machen, dass es streng genommen keine zwei Phasen gibt, sondern eine permanente Entwicklung stattfand und -findet. Denn mit jedem neuen Werk verändert sich auch der Charakter des noir. Die Einteilung in „klassischen“ Film noir und „Neo noir“ ist aber nicht willkürlicher Natur, sondern soll einen Vergleich zwischen den Anfängen des Noir-Filmes, in denen diese vermehrt auftraten und späteren Produktionen erleichtern.
Damit ein noch besserer Vergleich möglich ist, werden Themen, stilistischen Phänomene und Erzählstrukturen sowohl des klassischen, als auch des zeitgenössischen Noir-Films in jeweils getrennten Kapiteln behandelt.
Ich hoffe das ich zeigen kann, dass Einiges dafür spricht, dass Film noir nicht nur in einer bestimmten Periode auftrat, sondern von dieser ausgehend bis heute lebendig ist.
2. Der klassische Film noir
2.1. Begriffsentstehung und -praxis
Die wechselhafte Entstehungsgeschichte des Begriffes „Film noir“ nimmt die zwiespältige und heterogene Bezeichnungspraxis, wie sie heutzutage üblich ist, schon vorweg:
Kurz vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges verwendeten Filmkritiker in Frankreich den negativ belegten Terminus „film noir“ wenn sie ihrer Meinung nach moralisch verwerfliche Filme bezeichnen wollten. Sie sahen in ihnen subversive Elemente, die die nationalen Kultur der „grande nation“ zersetzten. Solch polemische Rhetorik galt einer Reihe Filme, die man heutzutage zum französischen poetischen Realismus zählt. Diese anfängliche Benutzung des Begriffes wurde aber später durch eine andere ersetzt:[1]
Im Sommer des Jahres 1946 kamen eine Reihe amerikanischer Filme mit Verspätung durch die Kriegsjahre in die französischen Kinos. Für sie entwarf der Filmkritiker Nino Frank in einem Artikel der französischen Filmzeitschrift „L’Écran cinéma“ ebenfalls den Begriff „Film noir“. Vermutlich leitete er den Begriff von der Buchreihe „série noire“ ab, in der Romane von Autoren der amerikanischen hartgesottenen Kriminalliteratur veröffentlicht wurden.
Für ihn und Jean-Pierre Chartier, einem anderen frühen Kritiker, spielten Kriterien wie die der Stilistik, Ökonomie oder Produktionstechnik damals nur eine untergeordnete Rolle.[2]
Das „wichtigste Merkmal eines Film noir war für sie die Tatsache, dass das deduktive Moment des traditionellen amerikanischen Kriminalfilms, Investigation und Überführung, durch die psychologische Motivation des Täters ersetzt wurde.“[3]
Unter Filmkritikern entstand eine Diskussion über den Film noir, der Begriff wurde populär und setzte sich mit der Zeit auch im angelsächsischen Raum durch.[4] Entfesselt wurde dort der theoretische Diskurs jedoch erst durch Paul Schraders Text „Notes on Film noir“ aus dem Jahr 1972.[5]
Trotz seiner Popularität gibt es noch heute keine einheitliche Definition des Begriffes „Film noir“. Von Kritikerseite wurde ein Etikett entworfen, das es auf Seiten der Filmproduktion nicht gab. Kein Studiodirektor ist damals zu seinen Kollegen gegangen hat ihnen den Auftrag gegeben einen „Film noir“ zu drehen.[6] Es „existierte kein Produktionsschema, das die Herstellung von Films noirs vorsah. Vielmehr wurde mit der Kritikervariable film noir zum ersten Mal in der Geschichte des Mainstream-Films von außerhalb der Filmproduktion ein massenwirksamer Diskurs installiert.“[7]
Schrader bringt die Problematik auf den Punkt: „Fast jeder Filmkritiker verfügt über eine eigene Definition des Film noir und hat so eine persönliche Liste von Filmtiteln und Daten, um sie zu stützen.“[8].
Eine Schwierigkeit, die damit in Verbindung steht ist die zeitliche Eingrenzung des Film noir. Während einige Autoren Film noir in den 1940er bis 1950er Jahren in den USA verorten, gibt es Andere die gar keine zeitlichen Grenzen setzen. Oft wird zwischen älteren Films noirs und zeitgenössischen sogenannten „Neo noirs“ oder „Post noirs“ unterschieden. Zwar herrscht über die Entstehungszeit Anfang der 1940er Jahre größtenteils Einigkeit. Allerdings ist unklar, wo man hier die zeitliche Grenze zwischen älterem Film noir und Neo noir ziehen soll. Karimi nennt das Jahr 1949. Für die Forscher Borde, Chaumeton und Schrader endet Film noir 1953, für Porfirio sieben Jahre später. Silver und Ward zählen auch Filme aus den Siebziger Jahren zum Film noir.[9]
Um die Probleme zu umgehen, die sich bei beliebig gewählten Datumsgrenzen ergeben und trotzdem filmgeschichtlich argumentieren zu können, spricht James Naremore von „historical film noir”.[10] Anlehnend daran möchte ich hier erst einmal den „historischen“ oder „klassischen“ Film noir vorstellen um dann später die Entwicklung des Noir-Films bis zur Gegenwart zu verfolgen.
Um den historischen Noir-Film zu beschreiben, möchte ich hier die 1940er Jahre als Anfang und das Jahr 1953 als Zäsur und Ende des klassischen Film noir nehmen, wohlwissend, dass auch anderen Einteilungen ihre Berechtigung haben.
Paul Schrader hat auch den klassischen Film noir noch einmal in verschiedene Phasen aufgeteilt:
Die erste Phase seiner interessanten und recht einflussreichen zeitlich-thematischen Unterteilung sieht er von 1941 bis 1946. Im thematischen Mittelpunkt der Filme dieser Phase der Kriegszeit stand der Privatdetektiv und „einsame Wolf“. Es war die Phase der Studiobauten und es gab im Allgemeinen mehr Dialoge als Aktionen.
Die zweite Phase, die realistische Nachkriegsperiode, begann für ihn 1945 und endete 1949. Thema war hier vor allem der Polizeialltag mit politischer Korruption und Problemen des Verbrechens in den Straßen.
Die dritte Phase beschreibt Schrader als den Höhepunkt der Film-noir-Periode. Sie dauerte von 1949 bis 1953. Es war die Periode psychotischer Aktion und eines selbstmörderischen Impulses. Der Noir-Held fing an durchzudrehen. Im Mittelpunkt stand die Zersetzung einer Persönlichkeit.
Am Ende seiner Ausführungen fügt Schrader hinzu, dass diese Phasen nur ungefähre Einteilungen seien und Filme sowie Daten sich zeitweise überlappen würden.[11]
Seine Periodisierung wurde methodisch oft kritisiert und obwohl sie für einzelne Untersuchungen praktisch sein möge, hat sich jedoch der Film noir als Prinzip über diese Phasen hinaus weiterentwickelt, weshalb ich von einer solche Einteilung Abstand nehmen möchte und sie hier nur der Vollständigkeit halber und aufgrund der historischen Bedeutung erwähne.
Auch Burkhard Röwekamp schreibt dazu: „Doch Schrader selbst scheint seiner zeitlichen Einteilung des Film noir in drei Phasen nicht recht zu vertrauen [..] und insbesondere Marc Vernet hat auf die Problematik dieser zeitlichen Eingrenzung hingewiesen.“[12]
Aus diesem Grund werde ich den historischen Film noir als eine Einheit und nicht in diese Phasen unterteilt behandeln.
In den letzten Jahrzehnten konzentrierte sich der theoretische Diskurs auf die Analyse der Themen, Stilistischen Phänomenen und Erzählperspektiven, die als typisch für den klassischen Film noir gesehen werden können und in den nachfolgenden Kapiteln behandelt werden. Im Mittelpunkt neuester theoretischer Diskussionen stand und steht auch immer noch die Frage ob der Film noir ein Genre ist oder nicht. Diese Frage möchte ich danach in Kapitel 2.6. behandeln.
2.2. Entstehungsbedingungen
Der einflussreiche amerikanische Filmwissenschaftler Paul Schrader hat vier wesentliche Bedingungen zur Entstehung des klassischen Film noir in den Vereinigten Staaten, der zur damaligen Zeit als neu- und andersartig empfunden wurde, herausgearbeitet.
Eine Voraussetzung für seine Entstehung war der zweite Weltkrieg und die mit ihm einhergehende Nachkriegs-Desillusionierung, sowie die damit verbundene Neuordnung der amerikanischen Gesellschaft. Viele Menschen empfanden die Rückkehr zur Friedenswirtschaft als desillusionierend. Vor allem die Rolle der Frauen veränderte sich. Sie übernahmen viele Männerarbeiten in Privat- und Arbeitsleben, was wiederum mit den Erwartungen der heimkehrenden Soldaten kollidierte.
Den Grundstock für die Entstehung des Film noir legte außerdem der Nachkriegs-Realismus, der in jedem Filme produzierendem Land zu verzeichnen war. Im Gegensatz zum Studiosystem wurde wieder vermehrt mit Originalschauplätzen gearbeitet.
Der deutsche Einfluss in der Filmproduktion war nach Schrader die dritte wichtige Voraussetzung, ausgelöst durch einen Zustrom von deutschen Emigranten und damit verbunden vor allem der Einfluss des deutschen Expressionismus. Besonders die deutschstämmigen Kameramänner brachten ihre eigenen Einflusse in die Filmproduktion mit ein.
Der letzte Einflussfaktor den Schrader hervorhebt, ist die so genannte „Hartgesottene Tradition“, oder „hard-boiled school of fiction“. Eine Gruppe von Schriftstellern, wie zum Beispiel Dashiell Hammett, Ernest Hemingway, Raymond Chandler und anderen, die mit ihren zähen und harten Helden, die auf zynische Art und Weise handelten und dachten, ihre Leser begeisterten.[13]
Diese vier von Paul Schrader genannten Bedingungen sind in der Filmwissenschaft am anerkanntesten, lassen sich die auch heute noch bei den meisten Autoren finden und sind sicher die wichtigsten Voraussetzungen zur Entstehung des Film noir Anfang der 1940er Jahre. Dennoch gibt es einen Diskurs über die Einflussstärke der jeweiligen Faktoren und ob und in welcher Form auch andere Einflussfaktoren (zum Beispiel das A- und B-Movie System) für das Entstehen der Noir-Filme wichtig sind.
2.3. Themen
Films noirs griffen viele Geschichten der “hard-boiled school of fiction” auf und verarbeiteten sie filmisch. Die „Hartgesottene Schule“ entstand Anfang der zwanziger Jahre im Umfeld des Pulp-Magazins „Black Mask“, einem periodisch produziertem Massenheftchen. Diese Art der Kriminalliteratur stand in den dreißiger Jahren in voller Blüte und traf die desillusionierte Stimmung der Zeit. Die knappe Sprache, die sich jeder Psychologisierung verwehrt, hatte ihre Wurzeln im „objektiven Realismus“ Ernest Hemingways und unterstrich die nüchterne Weltsicht der Figuren. Unverblümte Schilderungen von Verbrechen und Gewalt ziehen den Leser in einen Sog einer unberechenbaren und bedrohlichen Welt und sorgen für permanente Verunsicherung. „Genauso düster wie die Figuren sind die zeitgenössischen urbanen Schauplätze der Romane: nächtliche Straßen, schäbige Hotelzimmer, zwielichtige Bars und anrüchige Tanzhallen.“[14]
Die Kriminal- und Detektivgeschichten waren aber nicht die einzigen Quellen der Films noirs. Sie absorbierten auch Elemente aus dem Melodrama, dem Horrorfilm, dem Gangsterfilm und dem Polizeifilm, ohne eindeutig einer dieser Kategorien zugeordnet werden zu können.
Films noirs entstanden unter anderem als Ausdruck der veränderten Lebenssituation nach dem Zweiten Weltkrieg. Die einschneidenden gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Krieg waren, wie schon in Kapitel 2.2 genannt, eine der entscheidenden Entstehungsbedingungen der Schwarzen Serie.[15] „Die Filme thematisierten zum ersten Mal seit der Depression offen die Defizite des American Way of Life.“[16]
Im Gegensatz zum Vorgänger des klassischen Kriminalfilms gab es einen grundlegenden Wandel der Semantik. Der intellektuell überlegene Ermittler à la Sherlock Holmes wurde zum heruntergekommenen Privatdetektiv. Es fand eine Verschiebung von einer berechenbaren Entwicklung zu einem unvorhergesehenen Abenteuer statt. Die Hinwendung zum psychologisch motivierten Verhalten führte zur Abwendung vom Schema der kriminalistischen Ermittlung. Die Konzentration auf die rätselhafte Psychologie der Figuren verstärkte eine Fokussierung auf ihr Verhalten.
Dem Zuschauer wird eine Unterteilung in Gut und Böse unmöglich gemacht, was unweigerlich zur Desorientierung führt: Die Polizei ist korrupt und mischt im Verbrechen mit, Gesetzesbrecher werden teilweise sogar zu Sympathieträgern und der private Ermittler gehört zu gleichen Teilen der Unterwelt und der rechtschaffenen Gesellschaft an. Alle Figuren sind mehrdeutig und widersprüchlich inszeniert. Gut und Böse werden endgültig als zwei Seiten derselben Medaille enthüllt. Der gerechte Kampf wird durch geschäftsmäßige Professionalisierung des Tötens, brutale Übergriffe auf wehrlose Opfer und die Zeremonie der Exekution ersetzt. Übrig bleibt beim Zuschauer ein Gefühl der Entfremdung und der Verunsicherung.[17]
[...]
[1] Vgl. Burkhard Röwekamp (2003): „Vom Film noir zur méthode noir: Die Evolution filmischer Schwarzmalerei“ S. 15-17
[2] Vgl. Barbara Steinbauer-Grötsch (1997): „Die lange Nacht der Schatten. Film noir und Filmexil.“ S. 11-13
[3] Steinbauer-Grötsch, S. 13
[4] Vgl. Steinbauer-Grötsch, S. 13-14
[5] Vgl. Röwekamp, S. 24
[6] Vgl. Richard T. Jameson (1974): Film Noir: Today. In: Film Comment, 11, S. 30
[7] Röwekamp S. 9
[8] Paul Schrader: Taxi Driver (1976). In: Filmkritik, 238, S. 464
[9] Steinbauer-Grötsch S. 27
[10] Vgl. Röwekamp S. 77
[11] Vgl. Schrader, S. 470-472
[12] Röwekamp, S. 126
[13] Vgl. Schrader, S. 464-467
[14] Steinbauer-Grötsch S. 21
[15] Vgl. ebenda, S. 14-21
[16] Ebenda, S. 17
[17] Röwekamp, S. 123-125
- Quote paper
- Ulf Sthamer (Author), 2004, Vom Film noir zum Neo noir, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122219
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