Mexiko war nicht nur lange Zeit das wichtigste Filmland Lateinamerikas, sondern gehört seit den dortigen Aufnahmen der Gebrüder Lumière auch zu den beliebtesten Drehorten europäischer und nordamerikanischer Regisseure auf dem Kontinent. An drei prominenten Beispielen aus verschiedenen Epochen der Filmgeschichte untersucht Mexiko im filmischen Blick Europas, wie sich der kinematographischen Blick Europas auf Mexiko gewandelt hat.
Eisensteins 1933 gedrehter, aber lange nur ausschnittsweise gezeigter Episodenfilm ¡Qué viva México! weist noch in vielem auf die Tradition europäischer Amerikabilder zurück, wie auch das Selbstverständnis des Regisseurs als „moderner Christoph Columbus“ verrät. Vor allem in der ersten Episode und im Epilog erscheint Mexiko als wilder Garten Eden oder als unverändert archaischen Land, wo nach einem 1929 geprägten Wort von Anita Brenner hinter christlichen Altären stets Idole lauern. Gleichzeitig wirkte Eisensteins fragmentarisches Werk jedoch traditionsbildend für das mexikanische Kino, etwa indem es die Bildsprache der Moralisten in Filmsprache übersetzte.
Buñuels Melodrama "Los olvidados" (1950) reagiert dagegen bereits auf eine weit entwickelte nationale Filmkultur. Gegen deren Vorliebe für grandiose Landschaftsaufnahmen und volkstümliche Szenen setzt es schockierende Bilder aus den Armenvierteln der Hauptstadt, auf denen Kakteen inmitten moderner Ruinen stehen, Kinder in konsequenter Untersicht und dadurch auf einer Stufe mit Tieren erschienen, Mütter ihre Madonnenaura verlieren und Heiligennischen leer blieben. Entsprechend bleibt auf der Handlungsebenen des Films das Ereignis eines Aufstieges oder Ausbruchs der „Vergessenen“ dauerhaft aus.
Gallenbergers Kurzfilm "Quiero ser" wiederum, der 2001 einen Oscar erhielt, setzt sich umgekehrt erkennbar von den harten mexikanischen Großstadtelend der neunziger Jahre ab. In seinem streng konzentrischen Aufbau, seiner besonders im Leitmotiv der Luftballons traditionellen Bildsprache und einer kontrastiven Sujetfügung („rückwärtsgewandter mexikanischer Träumer“ vs. „moderner europäischer Aufsteiger“) zeichnet er ein poetisches Bild der Straßenkinder in der Megalopole, das europäische Zuschauer abermals mit „exotischen Settings“ bedient.
Inhaltsverzeichnis
- Dank
- Vorwort
- 1. Einführung
- 1.1 Mexiko aus europäischer Sicht
- 1.1.1 - Mexiko
- 1.1.1.1 - Natur(-beschreibungen)
- 1.1.1.2 - Kultur
- 1.1.1.3 - Nationale Identität
- 1.1.2 - Europa
- 1.1.3 - Fazit
- 1.1.1 - Mexiko
- 1.2 Mexiko im filmischen Blick
- 1.2.1 – Wahrnehmung
- 1.2.1.1 - Filmemacher
- 1.2.1.2 - Zuschauer
- 1.2.1.3 - Fazit
- 1.2.2 - Wissenschaftliche Filmbetrachtung
- 1.2.2.1 - Filmphilologie
- 1.2.2.2 - Filmsemiotik
- 1.2.2.3 - Rede über Film
- 1.2.2.4 - Fazit
- 1.2.1 – Wahrnehmung
- 1.1 Mexiko aus europäischer Sicht
- 2. Eisensteins bunte Panoramaschau
- 2.1 Einführung in ¡Qué viva México!
- 2.2 Traditionskontext – ein literatur- und filmhistorischer Interpretationsansatz
- 2.3 Mexikos vierter Muralist
- 3. Buñuels provozierender Blick
- 3.1 Einführung in Los Olvidados
- 3.2 Raumstruktur – ein literaturtheoretischer Interpretationsansatz
- 3.3 Schockierend mexikanisch
- 4. Gallenbergers einfühlsame Sicht
- 4.1 Einführung in Quiero Ser
- 4.2 Ikonographie – ein filmspezifischer Interpretationsansatz
- 4.3 Globale Träume
- 5. Zusammenfassung
- 5.1 Mexikobilder der drei Europäer
- 5.2 Einfluß der Filmemacher
- 5.3 Identitätssuche im Filmgeschäft
- 5.4 Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Magisterarbeit untersucht die Wahrnehmung Mexikos im europäischen Film. Das Hauptziel ist es, anhand von drei ausgewählten Filmen – ¡Qué viva México!, Los Olvidados und Quiero Ser – verschiedene europäische Perspektiven auf die mexikanische Kultur zu analysieren und zu vergleichen. Die Arbeit beleuchtet die wechselseitige Beeinflussung der Kulturen und die Rolle des Films bei der Konstruktion nationaler Identität.
- Europäische Wahrnehmung mexikanischer Natur und Kultur
- Der Einfluss der europäischen Filmtradition auf die Darstellung Mexikos
- Die Konstruktion von Mexikobildern in ausgewählten Filmen
- Die Reaktion des mexikanischen Publikums auf die europäischen Filmdarstellungen
- Die Rolle des Films in der Identitätssuche Mexikos
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 1 bietet eine Einleitung und definiert die zentralen Begriffe wie Kultur und nationale Identität im Kontext der Arbeit. Kapitel 2 analysiert Eisensteins ¡Qué viva México!, indem es den Film in die Tradition europäischer Reiseberichte und -filme einordnet und die Faszination des Regisseurs für die mexikanische Kultur und ihre verschiedenen Aspekte beleuchtet. Kapitel 3 widmet sich Buñuels Los Olvidados und untersucht die Raumstruktur des Films sowie die provokanten Darstellungen Mexikos, die zu einer heftigen Reaktion des mexikanischen Publikums führten. Kapitel 4 präsentiert Gallenbergers Quiero Ser und analysiert die filmischen Mittel, die der Regisseur verwendet, um die Armut und das Leben der Straßenkinder einfühlsam darzustellen.
Schlüsselwörter
Mexiko, europäischer Film, Kultur, nationale Identität, ¡Qué viva México!, Sergei Eisenstein, Los Olvidados, Luis Buñuel, Quiero Ser, Florian Gallenberger, Wahrnehmung, Filmsemiotik, Raumstruktur, Ikonographie, Identitätssuche, mexikanisches Kino, Reiseberichte, Muralismus.
- Arbeit zitieren
- M.A. Nadine Wörner (Autor:in), 2003, Mexiko im filmischen Blick Europas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122074