„Dem Satz entzogen, ist der Sinn unabhängig von diesem, weil er dessen Bejahung und dessen Verneinung suspendiert, und ist dennoch nur sein entschwundenes Double: genau dieses Grinsen ohne Katze bei Carroll oder die kerzenlose Flamme.“
Nehmen wir uns der reinen Textaussage dieses Ausschnittes aus Deleuze’ Serie der Paradoxa, dem 5. Teil „Vom Sinn“, an, so fällt zunächst auf, dass Deleuze hier eine Einheit von Satz und Sinn formuliert, die eine trennbare ist. Der Sinn kann dem Satz also entzogen werden, und existiert dann als ein Double, wenn auch ein entschwundenes, weiter. Entschwindet dieser Sinn, so muss er, formaler Logik folgend, zuvor in den Satz selbst hinein gelegt, hinein gelesen, gesprochen, oder gesetzt worden sein. Er ist also die Voraussetzung für das Verständnis oder die Bedeutung eines Satzes, für den bestimmenden Inhalt. Daraus erklärt sich, dass er, nunmehr entschwunden, den Satz als ein Abstraktum zurücklässt, über das keine Aussage mehr getroffen werden kann. Die Bejahung und Verneinung seien suspendiert, der Satz als ein hohles Konstrukt, eine verlassene Form, weiterhin als grammatische Schöpfung nackt und bloß existierend.
Inhaltsverzeichnis
1 Eine Annäherung an den Gegenstand
1.1 Gilles Deleuze - „vom Sinn“
1.2 Lewis Carroll - „das Grinsen ohne Katze“
2 Das Paradox
3 Verkörperung und Ereignis
4 Strukturwandel
4.1 Gleichzeitigkeit und Multidimensionalität
Literaturverzeichnis
1 Eine Annäherung an den Gegenstand
1.1 Gilles Deleuze - „vom Sinn“
„Dem Satz entzogen, ist der Sinn unabhängig von diesem, weil er dessen Bejahung und dessen Verneinung suspendiert, und ist dennoch nur sein entschwundenes Double: genau dieses Grinsen ohne Katze bei Carroll oder die kerzenlose Flamme.“[1]
Nehmen wir uns der reinen Textaussage dieses Ausschnittes aus Deleuze’ Serie der Paradoxa, dem 5. Teil „Vom Sinn“, an, so fällt zunächst auf, dass Deleuze hier eine Einheit von Satz und Sinn formuliert, die eine trennbare ist. Der Sinn kann dem Satz also entzogen werden, und existiert dann als ein Double, wenn auch ein entschwundenes, weiter. Entschwindet dieser Sinn, so muss er, formaler Logik folgend, zuvor in den Satz selbst hinein gelegt, hinein gelesen, gesprochen, oder gesetzt worden sein. Er ist also die Voraussetzung für das Verständnis oder die Bedeutung eines Satzes, für den bestimmenden Inhalt. Daraus erklärt sich, dass er, nunmehr entschwunden, den Satz als ein Abstraktum zurücklässt, über das keine Aussage mehr getroffen werden kann. Die Bejahung und Verneinung seien suspendiert, der Satz als ein hohles Konstrukt, eine verlassene Form, weiterhin als grammatische Schöpfung nackt und bloß existierend.
1.2 Lewis Carroll - „das Grinsen ohne Katze“
Nehmen wir uns dazu die Passage des von Deleuze genanntem Beispiel vor, dem Grinsen ohne Katze:
„»All right,«said the Cat; and this time it vanished quite slowly, beginning with the end of the tail, and ending with the grin, which remained some time after the rest of it had gone.
„»Well! I’ve often seen a cat without a grin,« thought Alice;»but a grin without a cat! It’s the most curious thing I ever saw in all my life!“[2]
Was genau geschieht in dieser Situation? Die Katze beginnt von der Schwanzspitze an zu verschwinden, und lässt das Grinsen übrig, das noch einige Zeit sichtbar bleibt. Entsprechend dem Sinn, der sich dem Satz entzieht und diesen zurücklässt, als eine undeutbare, leere Form, die aber mit ihrem Double, dem Sinn, eine Einheit bildete und verbunden bleibt, steht auch dieses Grinsen für seine entschwundene Katze, seinen Sinn, den Ursprung seiner Existenz, seiner Ausdeutung und seinem Inhalt. Ohne die Katze ist das Grinsen nichts und doch alles. Ohne den Sinn ist der Satz nichts, und doch alles, denn nur er kann die Ausprägung des Sinnes aufnehmen und darstellen, nur er kann das Attribut Sinn, den Sinn als Attribut, erfahrbar und erlebbar machen. Auch das Grinsen ist die einzige Möglichkeit der Katze eben zu grinsen, und ein Ereignis darzustellen, eine Situation bewusst zu machen, ein Attribut zu vollziehen, kurz, sich in einer bestimmten Art und Weise auszudrücken, die eine Aussage möglich macht und so einer “Bejahung oder Verneinung“ unterzogen werden kann.
Wenn dieser Sinn und sein Satz aber als Double und Original existieren, so stellt sich die Frage wie sie zeitlich und räumlich zu verorten sind. Um dieses Problem näher einzukreisen und bestimmen zu können, muss als Aspekt der Betrachtung herangezogen werden, wie ein Sinn zu seinem Satz und umgekehrt kommt.
2 Das Paradox
Ein erster Schritt ist hierbei die Darstellung, warum ein Sinn überhaupt paradox ist und wie sich das auf das Ausgedrückte im Satz niederschlägt.
Deleuze in eigenen Worten und so komprimiert und hoffentlich klar als möglich zusammengefasst:
Weil der Sinn auf der Schwelle zwischen Satz und Ding, zwischen Bezeichnetem und Ausgedrücktem steht und nicht nur beides verbindet, sondern sich in beidem findet und von dort hervorschimmert und wahrgenommen, schemenhaft in dieser Verschränkung innerhalb seines Seins, entdeckt wird, ist er paradox.
Im Satz findet sich dieses Paradoxon, so Deleuze, in zwei Formen wieder: zum einen die unbegrenzte Wucherung, zum anderen die sterile Verdopplung.
In beiden Fällen geht er davon aus, dass eine Bezeichnung nur dann vorgenommen werden kann, wenn ihr Sinn schon erfasst ist. Der Sinn ist also schon vorausgesetzt, wenn man den ersten Satz, die erste Bezeichnung formuliert, woraus er schließt, dass diese Bezeichnung niemals den zuvor erfassten Sinn enthalten kann. Dies führt nun in einem Fall zu einer sich immer weiter bereits zitierten verschränkenden Wucherung mit Sinnverweisen innerhalb von aufeinanderfolgenden Sätzen, die an dieser Stelle nicht weiter betrachtet werden soll, oder zur sterilen Verdopplung. Dies ist die Möglichkeit den durchschimmernden Sinn zu fassen zu kriegen, ihn vom Satz zu trennen, in Form des Infinitivs oder Partizips, und so als Double festzuhalten.
3 Verkörperung und Ereignis
In dieser Form lässt sich herauslesen, was eingangs bereits festgestellt worden ist: Der Sinn ist das Attribut, das im Satz erst wirken kann, das vorher nichts ist, jedenfalls nicht konstatierbar und nicht von Bedeutung, das erst im Satz wirklich wird, indem es mit diesem verschmilzt, oder wie Deleuze formuliert, im Satz „insistiert oder subsistiert“, das folglich so “steril“ erfasst, seine eigene Bedeutung offenbaren kann. Der Sinn ist dann nämlich endlich sichtbar in seiner Existenz außerhalb des Bezeichnetem, des Dinges, und bekommt nun eine “Sterilität“, eine in seiner Separation erfassbare Räumlichkeit, die er im Satz selbst nie erlangen kann. Er ist dort nur Verdinglichung seiner selbst, doch er erlebt seine Seinsformen nicht selbst. Er haucht dem Ding Leben ein, als Attribut, als nähere Bestimmung; das Ding selbst aber steht im Zusammenhang der Welt und erleidet und erlebt. Der Sinn selbst ist Beschreibung des Zustandes, nicht Erlebnis oder Vollzug, er ist ein unkörperlicher, der die Ereignisse notwendig begleitet.
Der Sinn könnte in diesem Zusammenhang also auch als Oberflächenphänomen bezeichnet werden, als ein außerdingliches Phänomen, dass in seiner Gleichzeitigkeit extern für sich, wenn auch bedeutungslos, steht, und intern durch das Ding und in ihm, wirkt. An dieser Stelle steht das Grinsen ohne Katze für die Katze und für sich. Wir können also das Grinsen als ein außerdingliches Phänomen wahrnehmen und gleichzeitig noch als das Grinsen der Katze, als ihren situativen Ausdruck verknüpfen. Das Grinsen ist hier in einer weiteren Form gleichzeitig, nämlich als aktives und passives Attribut. Es wird aktiviert durch seine Zugehörigkeit zur Katze und besteht daneben als passives So-sein, ohne Bezug zu etwas, ohne Existenz in einem Körper, ohne Bedeutung.
Das Ereignis lässt sich nun nicht mehr in einer zeitlichen Abfolge durch Knotenpunkte eines linear betrachtbaren Kausalclusters erklären. Als ein Aufeinanderprallen von Objekten, von Molekülen oder Entitäten in einem bestimmten Umfeld in einer bestimmten Reihenfolge. Ereignisse können vielmehr geschehen, oder auch nicht und das an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten – eine Unzahl von Realitäten, von realen Möglichkeiten, die durch das Grinsen repräsentiert werden. Der Sinn hat sich entzogen und ist doch da. Er verlässt seinen aktuellen Körper, um in ihm zurück zu bleiben und gleichzeitig an anderer Stelle, an außerkörperlicher Virtualität, zu bleiben, oder sich in einer anderen Form zu verwirklichen.
[...]
[1] G. Deleuze, 5. Serie der Paradoxa – Vom Sinn. 1993, S. 52.
[2] L. Carroll, Penguin 1994, S. 33.
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- B.A. Felicitas Aull (Author), 2008, Das Grinsen ohne Katze, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122037
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