Ziel dieser Arbeit ist es, Thesen zur Bewertung der 1990er Jahre als Phase des sozialpolitischen Übergangs am Beispiel der Entwicklung der Krankenversicherung nachzugehen. Die Krankenversicherung wurde als die älteste und eine der tragenden Säulen des Systems der deutschen Sozialversicherung ausgewählt. Zu diesem Zweck soll die Entwicklung der Krankenversicherung in den 1990er Jahren anhand der Literatur einer eingehenden Analyse unterzogen werden, bei der untersucht werden soll, ob und inwieweit grundlegende Konstruktionselemente dieser Säule der Sozialversicherung verändert wurden. Eingeschlossen ist dabei die Fragestellung, inwieweit in den 1990er Jahren der Boden für eine möglicherweise noch ausstehende „große Gesundheitsreform“ bereitet wurde.
Die Arbeit ist dabei wie folgt aufgebaut. Zunächst wird im zweiten Abschnitt die historische Entwicklung der Krankenversicherung seit ihrer Einführung im Jahre 1883 nachgezeichnet. Die dabei aufgezeigten Veränderungen führen zur Frage, inwieweit hiervon die grundlegenden Strukturelemente der Krankenversicherung betroffen waren. Daher werden im dritten Abschnitt die wesentlichen Strukturelemente, die das „alte“ wohlfahrtsstaatliche Arrangement kennzeichnen, zusammenfassend dargestellt und die Funktionsweise des von ihnen gebildeten Systems beschrieben. Daran anschließend wird im vierten Abschnitt konkret der in den 1990er Jahren auf der Krankenversicherung lastende Veränderungsdruck betrachtet, der zu unterschiedlichen gesetzgeberischen Eingriffen und Gegenreaktionen geführt hat. Dabei sollen insbesondere die für die Sozialversicherung im allgemeinen als Reaktion auf die Herausforderungen konstatierten Stress- und Krisensymptome für die Krankenversicherung verifiziert werden. Einer allgemeinen Systematik der erfolgten Eingriffe und Gegenreaktionen folgend werden die sich hieraus ergebenden Strukturveränderungen zusammengefaßt. Im fünften Abschnitt schließlich wird der aktuelle Stand der politischen Diskussion anhand von Veröffentlichungen der Bundesregierung, der politischen Parteien und der Verbände von Krankenkassen und Ärzten referiert.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Historische Entwicklung
3. Das „alte“ wohlfahrtsstaatliche Arrangement
3.1 Grundlegende Strukturprinzipien
3.2 Funktionsweise des Gesundheitswesens
4. Die 90er Jahre als Phase des Übergangs
4.1 Veränderungsdruck
4.2 Eingriffe und Gegenreaktionen
4.3 Strukturveränderungen in den 90er Jahren
5. Stand der politischen Diskussion
5.1 Das Spektrum der Reformmöglichkeiten
5.2 Vorstellungen der Bundesregierung und der regierungstragenden Parteien
5.3 Vorstellungen der Opposition
5.4 Forderungen der Krankenkassen
5.5 Forderungen der Ärzteverbände
6. Zusammenfassung
Literatur
1. Einleitung
Die Entwicklung des Sozialstaates[1] in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg läßt sich nach der parteipolitischen Zusammensetzung der Bundesregierung und nach den Hauptproblemen der Sozialpolitik und ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unterschiedlich charakterisieren und in Phasen einteilen (Schmidt, 1997, Bönker und Wollmann, 1999, Leisering, 1999). So sieht Leisering (1999) insgesamt einen Übergang von restaurativer Ordnungspolitik (1948-53) und expansiver Leistungspolitik (1953-1975) hin zu reflexiver Steuerungspolitik im entwickelten Sozialstaat (seit 1977). Schmidt (1997, S. 82) unterteilt im wesentlichen orientiert an der parteipolitischen Zusammensetzung der Bundesregierung in die fünf Phasen des „Sozialen Kapitalismus“ (1949-1966), der Sanierung und Neuordnung (1966-1969), des Ausbaus des Sozialstaats (1969-1982), der finanziellen Konsolidierung und des Umbaus des Sozialstaats (1982-1989) und der wachsenden Finanzierungsprobleme infolge deutscher Einheit, hoher Arbeitslosigkeit und zunehmender Alterung der Gesellschaft (seit 1989).
Allen Periodisierungen gemeinsam ist die Tatsache, dass sich in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Kriege zunächst der Wiederaufbau und daran anschließend ein stetes Wachstum des Sozialstaates vollzog. Hinsichtlich der Bewertung der 90er Jahre wird übereinstimmend in sozialpolitischer Hinsicht eine „Phase des Übergangs“ (Bönker und Wollmann, 1999) oder eines „qualitativen Umbruchs“ (Leisering, 1999) gesehen, in der „eine nachhaltige, die überkommenen Grundstrukturen und –prämissen ergreifende Metamorphose des bundesdeutschen Sozialstaats in Gang gekommen ist.“ Eine Mehrzahl von seit Mitte der 90er Jahre erkennbaren Umbrüchen mit seit 1949 unbekannten Elementen würden auf eine „Epochenschwelle des Sozialstaats“ hindeuten (Leisering, 1999). Schmidt (1997, S. 153ff.) spricht von einer „kritischen Schwelle“, einer „Zäsur“, in der die kooperative Sozialpolitik von einer konfliktorischen Sozialpolitik abgelöst werde. Dieser Umbau des Sozialstaats wird als Reaktion auf eine Reihe sich wechselseitig überlagernder und verstärkender Herausforderungen gesehen (Kaufmann, 1997; Bönker und Wollmann, 1999)[2].
Nach Bönker und Wollmann (1999) läßt sich die Sozialpolitik in den 90er Jahren in drei Phasen einteilen. Eine erste noch expansive Phase beinhaltet den Aufbau Ost mit einem Transfer des westdeutschen Institutionengefüges. Diese Phase wird von einer zweiten durch Kürzungs- und Reformaktivitäten gekennzeichneten in allen Bereichen der sozialen Sicherung ab 1993 gefolgt. Gründe für diesen Kurswechsel liegen in der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage und den Konsolidierungsanforderungen des Maastrichter Vertrages. Als dritte Phase sind schließlich zu sehen die restaurativen Maßnahmen der rot-grünen Koalition ab 1998 mit der Aufhebung von Leistungseinschränkungen der alten Regierung, Leistungsverbesserungen und einer Neuregelung der geringfügigen Beschäftigung und der Scheinselbständigkeit. Allerdings ist auch in dieser Politik eine Änderung der Geschäftsgrundlagen der Sozialpolitik mit dem finanzpolitischen Konsolidierungsprogramm ab Juni 1999 zu sehen.
Ziel dieser Arbeit ist es, diesen Thesen zur Bewertung der 90er Jahre als Phase des sozialpolitischen Übergangs am Beispiel der Entwicklung der Krankenversicherung nachzugehen. Die Krankenversicherung wurde als die älteste und eine der tragenden Säulen des Systems der deutschen Sozialversicherung ausgewählt. Zu diesem Zweck soll die Entwicklung der Krankenversicherung in den 90er Jahren anhand der Literatur einer eingehenden Analyse unterzogen werden, bei der untersucht werden soll, ob und inwieweit grundlegende Konstruktionselemente dieser Säule der Sozialversicherung verändert wurden. Eingeschlossen ist dabei die Fragestellung, inwieweit in den 90er Jahren der Boden für eine möglicherweise noch ausstehende „große Gesundheitsreform“ bereitet wurde.
Die Arbeit ist dabei wie folgt aufgebaut. Zunächst wird im zweiten Abschnitt die historische Entwicklung der Krankenversicherung seit ihrer Einführung im Jahre 1883 nachgezeichnet. Die dabei aufgezeigten Veränderungen führen zur Frage, inwieweit hiervon die grundlegenden Strukturelemente der Krankenversicherung betroffen waren. Daher werden im dritten Abschnitt die wesentlichen Strukturelemente, die das „alte“ wohlfahrtsstaatliche Arrangement kennzeichnen, zusammenfassend dargestellt und die Funktionsweise des von ihnen gebildeten Systems beschrieben. Daran anschließend wird im vierten Abschnitt konkret der in den 90er Jahren auf der Krankenversicherung lastende Veränderungsdruck betrachtet, der zu unterschiedlichen gesetzgeberischen Eingriffen und Gegenreaktionen geführt hat. Dabei sollen insbesondere die für die Sozialversicherung im allgemeinen als Reaktion auf die Herausforderungen konstatierten Stress- und Krisensymptome für die Krankenversicherung verifiziert werden. Einer allgemeinen Systematik der erfolgten Eingriffe und Gegenreaktionen folgend werden die sich hieraus ergebenden Strukturveränderungen zusammengefaßt. Im fünften Abschnitt schließlich wird der aktuelle Stand der politischen Diskussion anhand von Veröffentlichungen der Bundesregierung, der politischen Parteien und der Verbände von Krankenkassen und Ärzten referiert. Die jeweiligen Positionen werden in den Kontext des gesamten Spektrums der Reformmöglichkeiten, wie sie in der Literatur diskutiert und in anderen Ländern auch durchaus praktiziert werden, gestellt. Dieser Diskussionsprozeß ist zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Arbeit nach dem Wechsel im Bundesgesundheitsministerium neu begonnen worden und kann daher nur als Momentaufnahme wiedergegeben werden. Die Arbeit schließt mit einer kurzen Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse.
2. Historische Entwicklung
Die Krankenversicherung wurde 1883 im Rahmen der Bismarckschen Sozialgesetzgebung zunächst für Arbeiter der gewerblichen Wirtschaft eingeführt. Zwei Jahre später wurde sie auf das Transport- und Verladegewerbe und einen Teil der Beschäftigten in den Reichs- und Staatsbetrieben erweitert. Entgegen den Vorstellungen Bismarcks wurden keine Reichsversicherungsanstalt geschaffen und keine Reichszuschüsse zur Krankenversicherung vorgesehen. Dies war vor allem auf den Widerstand der Liberalen und des Zentrums im Reichstag zurückzuführen. Ergebnis der parlamentarischen Willensbildung war vielmehr die Schaffung einer Sozialversicherung mit starker finanzieller Beteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit Aufbau eines korporatistischen Interventionsstaates[3] als mittlerer Weg zwischen Markt- und Staatssteuerung (Schmidt, 1997, S. 26).
Mit der Sozialpolitik sollte die Arbeiterschaft für den monarchischen Staat gewonnen werden, gleichsam als „Zuckerbrot“ ein Komplement zur „Peitsche“ des Sozialistengesetzes von 1878. Bedeutung hatte auch die Inkorporierung der gesellschaftlichen Interessen und ihrer Verbände mit dem Hintergedanken, Parlament und Parteien zu schwächen. Auch äußerte sich in den ursprünglichen Gedanken zur Sozialpolitik die Herrschaftsidee des starken Staates, der dem „gemeinen Mann“ als „wohltätige Institution“ erscheinen solle.
Nach 1890 wurde auf gesetzgeberischem Wege der Kreis der Versicherten stetig erweitert. Umfaßte die Krankenversicherung 1885 noch 11,7% der Bevölkerung so waren es 1895 bereits 21,1%, unter ihnen land- und forstwirtschaftliche Arbeiter, Seeleute, Handelsgehilfen und Lehrlinge sowie Landarbeiter. Allerdings wurde mit der Sozialpolitik die klassische Herrschaftsformel „Teile und Herrsche“ umgesetzt (Schmidt, 1997, S. 39). Zum einen wurden die Sozialleistungen (vor allem die Altersrenten) nach Einkommen, Beitragsdauer und Höhe der Versicherungsbeiträge differenziert, zum anderen nach Zugehörigkeit der Versicherten zur Arbeiter-, Angestellten- oder Beamtenschaft. So wurde 1912 eine eigene Angestelltenversicherung ins Leben gerufen.
1911 wurden in der Reichsversicherungsordnung alle Sozialleistungen zusammengefaßt und die Krankenversicherung auf alle Arbeitnehmer in der Landwirtschaft, Dienstboten und das Haus- und Wandergewerbe ausgedehnt. 1914/15 wurde im Ersten Weltkrieg die Wochenhilfe als erster Pfeiler des Mutterschutzes in die Krankenversicherung eingeführt. 1915 waren bereits 43% der Bevölkerung in der Krankenversicherung versichert.
Die Sozialpolitik der Weimarer Republik folgte im wesentlichen den aus dem Kaiserreich übernommenen Pfaden und baute sowohl die Sozialversicherung als auch den korporatistischen Staatsinterventionismus zunächst aus. In den letzten Jahren der Weimarer Republik kam es infolge der sich verschärfenden Weltwirtschaftskrise zu einem zunehmenden Abbau sozialer Leistungen. In der Krankenversicherung kam es mit der 4. Brüningschen Notverordnung von 1931 zu einem Kompromiß zwischen Ärzteschaft, Krankenkassen und Staat, der auch später im Kassenarztgesetz der Bundesrepublik übernommen wurde (Manow, 1994, S. 16).
Im Nationalsozialismus wurde die organisatorische Struktur der Sozialversicherung in weiten Bereichen intakt gehalten, allerdings die Selbstverwaltung zerschlagen und der freiheitliche Korporatismus in einen Zwangskorporatismus transformiert. Ein einheitliches „Versorgungswerk des deutschen Volkes“ scheiterte (Manow, 1994, S. 15).
In der Bundesrepublik Deutschland vollzogen sich zunächst der Wiederaufbau und daran anschließend ein stetes Wachstum des Sozialstaates. Die Differenzierung der Sozialversicherung nach Berufsständen und die organisatorische Vielfalt der Krankenkassen wurden beibehalten. Die Selbstverwaltung wurde wieder errichtet und in allen Sozialversicherungszweigen die paritätische Finanzierung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber und deren Vertretung in der Selbstverwaltung durchgesetzt. Eine grundlegende Reform der Krankenversicherung scheiterte, da eine Selbstbeteiligungskomponente nicht eingeführt wurde und das Anbietermonopol der Ärzte erhalten blieb mit weitreichenden Folgen für die korporative Struktur des deutschen Gesundheitswesens (Leisering, 1999).
Eine Wendemarke in der sozialpolitischen Gesetzgebung setzte Mitte der 70er Jahre mit dem Haushaltsstrukturgesetz von 1975 ein. Im Jahre 1977 wurde erstmals eine private Kostenbeteiligung an der Krankenversicherung eingeführt und die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen zwischen Staat, Pharmaindustrie, Krankenkassen und Ärzteverbänden eingerichtet.
Die Koalition aus CDU/CSU und FDP führte in deutlich höherem Tempo den Trend einer restriktiveren Sozialpolitik weiter. 1983/84 wurde der Krankenversicherungsbeitrag für Rentner eingeführt.
Die von Bönker und Wollmann (1999) angegebenen drei Phasen der Sozialpolitik der 90er Jahre lassen sich für die Krankenversicherung folgendermaßen festhalten.
Phase 1: Expansive Phase des Aufbaus Ost mit einem Transfer des westdeutschen Institutionengefüges
Nach der Wiedervereinigung wurden die westdeutschen Institutionen der Krankenversicherung auf das Gebiet der ehemaligen DDR übertragen. Die hieraus resultierenden Finanzierungslasten wurden vom Bund und den Sozialversicherern übernommen. Bereits mit dem ersten Staatsvertrag vom 18.5.1990 wurden die Grundlagen für eine Angleichung des Krankenversicherungsrechts der DDR an das der Bundesrepublik mit einer Spartentrennung von Renten-, Kranken- und Unfallversicherung und deren Übertragung auf eigenständige Träger sowie der Versorgung durch private Leistungserbringer durch Zulassung niedergelassener Ärzte, Zahnärzte und Apotheker geschaffen (Manow, 1994, S. 120). In diese Phase gehören ebenfalls die Einführung der Pflegeversicherung als Reaktion auf die demographische Entwicklung und das Gesundheitsstrukturgesetz von 1992 noch ohne direkte Patientenbelastungen. Hauptziele dieses gemeinsam von Regierungskoalition und SPD-Opposition verabschiedeten Gesetzes waren eine „Sofortbremsung“ der Kostensteigerung im Gesundheitswesen und Strukturveränderungen mit dem Ziel der Effizienz- und Effektivitätssteigerung.
Phase 2: Kürzungs- und Reformaktivitäten ab 1993
Infolge der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage und der Konsolidierungsanforderungen des Maastrichter Vertrages kommt es zu einem Kurswechsel auch in der Krankenversicherung. Ziel der dritten Stufe der Gesundheitsreform war eine Stärkung der Selbststeuerung und eine Stabilisierung der Beitragssätze. Hierzu sollten die medizinische Versorgung gewährleistet, die Kostensteigerung gestoppt, Rationalisierungsreserven mobilisiert und die Krankenkassen einem größeren Wettbewerbsdruck ausgesetzt werden. In der GKV kommt es zu Einschränkungen bei der Lohnfortzahlung, Leistungskürzungen und einer deutlichen Erhöhung der Eigenbeteiligung. Eine Neuordnung der ambulanten Versorgung und der Krankenhausfinanzierung scheiterte allerdings 1996 in Bundesrat und Vermittlungsausschuß. Mit dem Beitragsentlastungsgesetz wurden 1996 Anhebungen der Beitragssätze und sogar eine Senkung ab 1997 vorgeschrieben.
Phase 3: restaurativen Maßnahmen der rot-grünen Koalition ab 1998 mit der Aufhebung von Leistungseinschränkungen der alten Regierung, Leistungsverbesserungen und einer Neuregelung der geringfügigen Beschäftigung und der Scheinselbständigkeit. Allerdings ist auch in dieser Politik eine Änderung der Geschäftsgrundlagen der Sozialpolitik mit dem finanzpolitischen Konsolidierungsprogramm ab Juni 1999 zu sehen. Eine erneute Diskussion über eine „große Gesundheitsreform“ hat nach dem Wechsel an der Spitze des Gesundheitsministeriums begonnen.
Insgesamt ist festzustellen, dass es seit Einführung der Krankenversicherung eine ganze Reihe von Reformen und Einschnitten gegeben hat, insbesondere in den 90er Jahren aber staatliche Interventionen immer häufiger und in immer kürzerem Abstand aufeinander folgten. Die Krankenversicherung folgt damit dem für die Sozialpolitik insgesamt in der Literatur beobachteten Muster. Nunmehr sich die Frage, inwieweit grundlegende Strukturprinzipien von diesen Veränderungen betroffen waren.
[...]
[1] Der Begriff „Sozialstaat“ wird in dieser Arbeit, darin Kaufmann (1997) folgend, als typisch deutsche Bezeichnung für den „Wohlfahrtsstaat“ gebraucht. Letzterer Begriff wird im Kontext des „wohlfahrtsstaatlichen Arrangements“ zur Kennzeichnung spezifischer Strukturmerkmale verwandt.
[2] Bönker und Wollmann (1999) nennen hier soziodemographische Entwicklungen, d.h. eine alternde Bevölkerung mit veränderten Haushalts- und Familienstrukturen und daraus resultierenden Versorgungs- und Finanzierungsproblemen, veränderte Arbeitsmarktbedingungen durch deutliche Zunahme der Arbeitslosigkeit seit Beginn der 90er Jahre, die deutsche Einigung, die Globalisierung und die daraus resultierende Standortdebatte, die europäische Integration mit den Konsolidierungsverpflichtungen des Maastrichter Vertrages sowie ideologische Verschiebungen hin zum Neoliberalismus. Kaufmann (1997) benennt eine demographische, eine ökonomische, eine soziale, eine internationale und eine kulturelle Herausforderung.
[3] Czada (1992) definiert Korporatismus als „institutionalisierte und gleichberechtigte Beteiligung von gesellschaftlichen Verbänden an der Formulierung und Ausführung staatlicher Politik.“ Der Begriff bezieht sich auf die Korporationen des Ständestaats, denen teilweise öffentliche Gewalt übertragen war. Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung wird als ein frühes Beispiel der Verbändebeteiligung an der Ausführung von Politik angeführt.
- Quote paper
- Dr. Harald Freter (Author), 2001, Die Entwicklung der Krankenversicherung in den 1990er Jahren, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121847
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