Seit dem non und nee im Mai und Juni 2005 bei den Referenden in den beiden Gründerstaaten
Frankreich und den Niederlanden überschattete die Verfassungskrise die europapolitische
Landschaft. Neben der Ratlosigkeit über den weiteren Umgang mit dem Verfassungsvertrag
herrschte auch grundsätzliche Orientierungslosigkeit über die Zielrichtung der europäischen
Integration. Vor diesem Hintergrund übernahm die deutsche Bundesregierung im Januar 2007
für 6 Monate den EU-Ratsvorsitz. Ihr ambitioniertes Arbeitsprogramm war breit gefächert und
dicht gefüllt: Angefangen bei Fragen nach der Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit des
europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells über die Schaffung einer Grundlage für die
dringend erforderliche europäische Energiepolitik und die Bekämpfung des internationalen
Terrorismus bis hin zur Erarbeitung einer neuen Ostpolitik sowie konkrete Vorschläge zur
Weiterentwicklung der Nachbarschaftspolitik. Im Zentrum der deutschen Präsidentschaft stand
allerdings zweifellos die V-Frage: Die Bundesregierung sollte durch die Wiederbelebung der
Verhandlungen zum Verfassungsvertrag die Handlungsfähigkeit der EU unter Beweis stellen.
Die Erwartungen an die deutsche Präsidentschaft waren also besonders hoch. Doch kann eine
Ratspräsidentschaft diese Anforderungen mit ihren nur begrenzten prozeduralen Gestaltungs-
und Einwirkungsmitteln überhaupt erfüllen?
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, müssen zunächst die Funktionen und
Handlungsmöglichkeiten von EU-Ratspräsidentschaften untersucht werden. Die vorliegende
Arbeit widmet sich der Analyse des strukturellen Umfelds von EU-Ratspräsidentschaften mit
ihren Erfolgs- und Scheiterungsfaktoren. Dies soll am Beispiel der Verhandlungen des
deutschen Vorsitzes zur Revision des Reformvertrags verdeutlicht werden. Es geht nicht
darum, eine rein inhaltlich-normative Bewertung der Verhandlungsergebnisse unter deutschem
Vorsitz vorzunehmen, sondern diese Arbeit konzentriert sich auf die Funktionsanalyse und die
in ihrem Rahmen identifizierten Erfolgsfaktoren und Handlungsbeschränkungen. Um die
Analyse zu komplettieren, wird die Funktionsbilanz mit den im Reformvertrag vorgesehen
Änderungen im Ratssystem in Bezug gesetzt. [...]
GLIEDERUNG
1. EINLEITUNG
2. DIE ROLLE VON EU-RATSPRÄSIDENTSCHAFTEN
2.1. Entwicklung der EU-Ratspräsidentschaft von der EGKS bis zum Vertrag von Nizza
2.2. Funktionen von EU-Ratspräsidentschaften
2.3. Determinanten zur Durchführung von EU-Ratspräsidentschaften
2.3.1. Ratspräsidentschaftsspezifische Faktoren
2.3.2. EU-interne Faktoren
2.3.3. EU-externe Faktoren
2.4. Bewertung von EU-Ratspräsidentschaften
3. DIE VERHANDLUNGEN ZUR REVISION DES VERFASSUNGSVERTRAGS UNTER DEUTSCHEM VORSITZ
3.1. Ausgangslage und Anforderungen an den deutschen Vorsitz
3.2. Rahmenbedingungen des deutschen Vorsitzes
3.2.1. Ratspräsidentschaftsspezifische Faktoren
3.2.2. EU-interne Faktoren
3.2.3. EU-externe Faktoren
3.3. Die deutsche Verhandlungsstrategie
3.4. Die Funktionen der deutschen Ratspräsidentschaft
3.4.1. Koordinationsfunktion
3.4.2. Vermittlerfunktion
3.4.3. Initiativfunktion
4. IM REFORMVERTRAG VORGESEHENE ÄNDERUNGEN IM RATSSYSTEM
4.1. Vorteile und Defizite der aktuellen Ratspräsidentschaft
4.2. Der künftige EU-Präsident
4.3. Die künftige Vorsitzfunktion in der Außenpolitik
5. FAZIT
6. LITERATURVERZEICHNIS
1. Einleitung
Seit dem non und nee im Mai und Juni 2005 bei den Referenden in den beiden Gründerstaaten Frankreich und den Niederlanden überschattete die Verfassungskrise die europapolitische Landschaft. Neben der Ratlosigkeit über den weiteren Umgang mit dem Verfassungsvertrag herrschte auch grundsätzliche Orientierungslosigkeit über die Zielrichtung der europäischen Integration. Vor diesem Hintergrund übernahm die deutsche Bundesregierung im Januar 2007 für 6 Monate den EU-Ratsvorsitz. Ihr ambitioniertes Arbeitsprogramm war breit gefächert und dicht gefüllt: Angefangen bei Fragen nach der Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells über die Schaffung einer Grundlage für die dringend erforderliche europäische Energiepolitik und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus bis hin zur Erarbeitung einer neuen Ostpolitik sowie konkrete Vorschläge zur Weiterentwicklung der Nachbarschaftspolitik. Im Zentrum der deutschen Präsidentschaft stand allerdings zweifellos die V-Frage: Die Bundesregierung sollte durch die Wiederbelebung der Verhandlungen zum Verfassungsvertrag die Handlungsfähigkeit der EU unter Beweis stellen.
Die Erwartungen an die deutsche Präsidentschaft waren also besonders hoch. Doch kann eine Ratspräsidentschaft diese Anforderungen mit ihren nur begrenzten prozeduralen Gestaltungs- und Einwirkungsmitteln überhaupt erfüllen?
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, müssen zunächst die Funktionen und Handlungsmöglichkeiten von EU-Ratspräsidentschaften untersucht werden. Die vorliegende Arbeit widmet sich der Analyse des strukturellen Umfelds von EU-Ratspräsidentschaften mit ihren Erfolgs- und Scheiterungsfaktoren. Dies soll am Beispiel der Verhandlungen des deutschen Vorsitzes zur Revision des Reformvertrags verdeutlicht werden. Es geht nicht darum, eine rein inhaltlich-normative Bewertung der Verhandlungsergebnisse unter deutschem Vorsitz vorzunehmen, sondern diese Arbeit konzentriert sich auf die Funktionsanalyse und die in ihrem Rahmen identifizierten Erfolgsfaktoren und Handlungsbeschränkungen. Um die Analyse zu komplettieren, wird die Funktionsbilanz mit den im Reformvertrag vorgesehen Änderungen im Ratssystem in Bezug gesetzt. Die Bedeutung von EU-Ratspräsidentschaften hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert, daher soll diese Arbeit die veränderte Position aktueller Ratspräsidentschaften analysieren und beurteilen.
Im ersten Teil der Arbeit wird zunächst ein Überblick über die historische Entwicklung von EU- Ratspräsidentschaften im Institutionsgefüge der EU gegeben. Dann werden die von Ratspräsidentschaften zu erfüllenden Funktionen vorgestellt. Es wird systematisch analysiert welche internen und externen Faktoren diese Aufgabenerfüllung erleichtern bzw. erschweren und welchen Handlungsbeschränkungen Ratspräsidentschaften unterliegen. Im zweiten Teil richtet sich der Blick auf die Verhandlungen zur Revision des Verfassungsvertrags unter deutschem Vorsitz: In welcher Situation übernahm die Bundesregierung die Führung der EU und welche Anforderungen wurden an sie gestellt? Was sind Determinanten und limitierende
Einflussfaktoren einer erfolgreichen deutschen Ratspräsidentschaft? Für welche Vorgehensweise entschied sie sich um einen Verhandlungskompromiss zu erzielen? Konnte die Bundesregierung ihre Funktionen als Ratspräsidentschaft effizient erfüllen? Die Arbeit schließt mit einem Blick auf die im neuen Vertrag von Lissabon konzipierten Reformen des Ratssystems, mit denen sich die Rahmenbedingungen für alle Ratspräsidentschaften ab 2009 ändern werden. Die neue Konzeption mit der Einführung eines auf zweieinhalb Jahre gewählten Präsidenten des Europäischen Rates und die Einführung des EU-Außenbeauftragten wird hinsichtlich ihrer Stimmigkeit im institutionellen Geflecht hinterfragt. Zum Abschluss wird ein Ausblick auf die zukünftige Rolle von Ratspräsidentschaften im Ratssystem gegeben.
Bei den Forschungsarbeiten, die sich mit der Thematik Ratspräsidentschaft beschäftigten, bildeten vor allem zwei Richtungen die literarische Grundlage dieser Arbeit: Zum einen wissenschaftliche Arbeiten, die die Kapazitäten der Ratspräsidentschaft als Vermittler und Impulsgeber sowie die generelle Richtung der politischen Steuerungsmöglichkeiten untersuchen und zum anderen Literatur, die sich auf die Herausforderungen, Ambitionen und Evaluierung der Resultate des deutschen Vorsitzes konzentriert. Aufgrund der Aktualität der Reform der EU-Institutionen liegt eine Vielzahl von wissenschaftlichen Beiträgen zu diesem Thema vor. Von zentraler Bedeutung für diese Arbeit waren dabei die wenigen Fachaufsätze, die sich auf die Neuordnung der Ratspräsidentschaft konzentrieren. Dazu gehören beispielsweise Arbeiten von Andreas Maurer, Daniela Kietz, Olga Ilona Niemi sowie Helen Wallace und Geoffrey Edwards.
2. Die Rolle von EU-Ratspräsidentschaften
2.1. Entwicklung der EU-Ratspräsidentschaft von der EGKS bis zum Vertrag von Nizza
Die Position der Ratspräsidentschaft im Institutionsgefüge der EU unterliegt seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) einer permanenten Veränderung. Diese Entwicklungen ergaben sich aufgrund zunehmender Anzahl der Mitgliedstaaten und wechselnder politischer Zielsetzung im europäischen Integrationsprozess.
Im Vertrag von Paris zur Gründung der EGKS und den Verträgen von Rom, mit denen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft gegründet wurden, sind die Bestimmungen zur Ratspräsidentschaft eher rudimentär. Die Präsidentschaft trug als Primus inter pares die Verantwortung für die Einberufung und Leitung der Ratssitzungen mit Hilfe des Ratssekretariats.[1] Ihr wurde der Charakter eines administrativen Instrumentes zugeschrieben. Die Wahrnehmung des Vorsitzes durch die Mitgliedstaaten und die auf der souveränen Gleichheit beruhende Rotation sind dagegen Grundprinzipien, die bereits in den Gründungsverträgen verankert und bis dato beibehalten wurden. In den ersten Jahren der Gemeinschaft wurde die Ratspräsidentschaft in den Mitgliedstaaten nicht als eine Chance, sondern als eine Belastung angesehen.[2] Sie hatte keine institutionelle Bedeutung jenseits formeller Vorkehrungen. Die Möglichkeit der politischen Einflussnahme durch die Ratspräsidentschaft war nicht vorhanden.
Der Bedeutungswandel der Ratspräsidentschaft von einem passiven, administrativen Instrument zu einem aktiven, politischen Instrument hat sich vor allem Ende der 60er und während der 70er Jahre vollzogen. Für die Entwicklung der Ratspräsidentschaft hatte vor allem ihre Rolle bei der Entwicklung der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) eine Bedeutung, da sie die Hauptverantwortung für die Organisation der EPZ übernahm.[3] Des weiteren wurde das Initiativrecht der Präsidentschaft ausgeweitet und vor allem die Sprecherrolle der Ratspräsidentschaft gegenüber verbündeten und befreundeten Staaten festgelegt.[4]
Die Relevanz der Ratspräsidentschaft für die Kooperation mit den anderen Institutionen der EG nahm in den 70er und 80er Jahren stark zu. Beim Treffen der Staats- und Regierungschefs 1977 wurde festgelegt, dass die Ratspräsidentschaft die Agenda für den Europäischen Rat vorbereitet und die Ergebnisse der Ratspräsidentschaft als Schlussfolgerungen publiziert.
Das Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) 1986 brachte für die Präsidentschaft neue Herausforderungen und Verantwortungen. Der Spielraum des Vorsitzes in den Verhandlungen wurde durch das faktische Ende des Luxemburger Kompromisses[5] erweitert, denn die EEA ermöglichte Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit im Rat.
Außerdem wurde die bisherige Praxis des Vorsitzes im Bereich der EPZ vertraglich in der EEA bestätigt und die herausragende Rolle der Präsidentschaft in diesem Politikfeld explizit verankert.
Mit dem Vertrag von Maastricht wurde die Europäische Union gegründet. In diesem Vertrag finden sich insbesondere Bestimmungen zur Ratspräsidentschaft im Zusammenhang mit den beiden neuen intergouvernementalen Säulen Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJSZ).
Der Amsterdamer Vertrag trat am 1. Mai 1999 in Kraft und beinhaltete geringe Veränderungen der Funktion der Ratspräsidentschaft. Die Stellung der Ratspräsidentschaft wurde in der ersten Säule der EU abgeschwächt durch die vermehrte Einbindung des Europäischen Parlaments im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens. Im Dezember 2000 beschloss der Europäische Rat in Nizza einen neuen EU-Vertrag, der nur geringe Integrationsfortschritte beinhaltete. Daher wurden wenige Beschlüsse gefasst, welche die Rechtsgrundlagen des Vorsitzes veränderten. Die Tagungsortpraxis des Europäischen Rates wurde mit der Festlegung Brüssels als festen Tagungsort grundlegend modifiziert. Diese neue Bestimmung wurde wegen des Verlustes der nationalen Profilierung größtenteils negativ beurteilt.[6]
Die Darstellung der Entwicklung der Rechtsgrundlagen verdeutlicht die Expansion des Aufgabenfeldes der Ratspräsidentschaft. Insbesondere hat sie viele neue Funktionen auf dem Bereich der GASP erhalten. Trotzdem hat sich die grundlegenden rechtlich verankerten Kompetenzen der Ratspräsidentschaft im Laufe der Jahre wenig verändert, denn die Hauptfunktion liegt nach wie vor in der Vorsitzführung im Rat sowie in seinen untergeordneten Instanzen im Europäischen Rat.
2.2. Funktionen von EU-Ratspräsidentschaften
“Initiator: The Council remains an institution of diffuse consensus and...an inconstant and often intransigent group of representatives of various nations. Basically, the Presidency is a service which is provided in the overall interest of the Union.”[7]
„EU-Ratspräsidentschaften haben kein Zepter in der Hand. Sie füllen ein symbolisches Machtdispositiv im System des Ministerrates der EU auf Zeit“[8] und haben vertraglich fixierte Pflichten zu erfüllen, die sich aus den laufenden Arbeiten aller EU-Organe sowie spezifischen Sprecher- und Vertretungsaufgaben im außen- und sicherheitspolitischen Bereich ableiten lassen. Grundsätzlich sieht sich die Ratspräsidentschaft immer gleichzeitig mit der Erfüllung mehrerer ihrer unterschiedlichen Aufgaben konfrontiert.[9] Auch wenn diese analytisch voneinander unterschieden werden können, ist eine Trennung in der praktischen Arbeit des Rates nicht ohne weiteres möglich. Situationsbedingt kann die Nachfrage nach der Erfüllung bestimmter Rollen stärker ausgeprägt sein als nach anderen. Die Funktionen der Ratspräsidentschaft ergeben sich aus den gesamten Rechtsgrundlagen und der institutionellen Stellung des Vorsitzes. „Die allgemeine Funktion des Vorsitzes, die sich aus seinen Aufgaben ergibt, wird im Vertrag nicht beschrieben“[10] Daher existiert auch in der Literatur keine einheitliche Klassifizierung der Funktionen. Die Darstellung der Funktionen in der vorliegenden Arbeit lehnt sich an die Kategorisierung der Funktionen der Ratspräsidentschaft von Andreas Maurer:[11]
Initiativfunktion: Es gehört zu den direkten Möglichkeiten einer Präsidentschaft selbst Initiativen in den Verhandlungsprozess einzubringen und damit politische Führung zu demonstrieren. Der Raum für die eigene inhaltliche Akzentsetzung ist allerdings deutlich geringer als gemeinhin angenommen.[12] In der Regel versuchen alle Ratspräsidentschaften durch derartige Initiativen der europäischen Politikagenda ihren eigenen Stempel aufzudrücken und somit langfristig im europäischen Integrationsprozess Spuren zu hinterlassen. Mit der Initiativfunktion lassen sich auch in begrenztem Maße nationale Interessen verfolgen. Dies ist allerdings nur dann erfolgreich, wenn es dem Ratsvorsitz gelingt, derartige Projekte als im gemeinsamen europäischen Interesse liegend, der Öffentlichkeit und den anderen Mitgliedstaaten zu kommunizieren.
Koordinationsfunktion: Die grundlegende Funktion des Ratsvorsitzes ist die Organisation der Ratsgeschäfte. Dazu gehört zum einen die zeitliche und inhaltliche Koordinierung der Sitzungen des Rates auf allen Ebenen (Arbeitsgruppen, Ausschüsse, Ministerräte, usw.) während der Amtszeit der Präsidentschaft. Zum anderen muss die Arbeit der Ratsgremien „sowohl vertikal (innerhalb der Politikbereiche, d.h. Generaldirektionen) als auch horizontal (über die Politikbereiche und Generaldirektionen hinweg) mit der Arbeit der anderen EU-Institutionen und – Organe, allen voran derjenigen des Europäischen Parlaments, koordiniert werden.“[13]
Die Repräsentanten der EU-Ratspräsidentschaft haben beispielsweise die Pflicht, an den Plenartagungen des Parlamentes teilzunehmen um das Arbeitsprogramm und die Bilanz des Vorsitzes vorzustellen, Erklärungen abzugeben oder mündliche Anfragen zu beantworten. Sie nehmen an den Sitzungen der parlamentarischen Ausschüsse teil, an den Trilogsitzungen zwischen Parlament, Ratsvorsitz und Kommission sowie an den Rechtssetzungsverfahren.
Gerade wegen der komplexen Entscheidungsverfahren in der EU ist die Koordinationsfunktion von großer Bedeutung und fordert, vor allem mit der Einführung des Mitentscheidungsverfahrens, von den Repräsentanten der Ratspräsidentschaft immer mehr Energie und Tatkraft.[14]
Vermittlerfunktion: In seiner Funktion als Vermittler obliegt es dem Ratsvorsitz, Konsens zwischen den Positionen der EU-Mitgliedstaaten in den Verhandlungen im Rat, bei den interinstitutionellen Verhandlungen zwischen Rat und Parlament sowie zwischen dem Rat und Drittstaaten herzustellen. Idealerweise übernimmt die jeweilige Ratspräsidentschaft im Entscheidungs- und Verhandlungsprozess die Rolle des ehrlichen Maklers, der zwischen den unterschiedlichen Positionen vermittelt. Neben den Vermittlungsbemühungen während der Sitzungen bedient sich die Präsidentschaft zur Konsensherstellung bilateraler Gespräche um die Positionen der am Verhandlungsprozess beteiligten Akteure zu sondieren. Ein weiteres Instrument ist die Beautragung von Expertengruppen. Bei der Ausübung der Vermittlerfunktion kann sich der Ratsvorsitz in zunehmendem Maße inhaltlich, taktisch und strategisch auf die Beamten des Ratssekretariats stützen.[15]
Geschäftsführungsfunktion: Unter die Funktion der Geschäftsführung fällt die Erstellung von Tagesordnungen für die Sitzungen des Rates, des Ausschusses der ständigen Vertreter und der Arbeitsgruppen. Daneben gilt es die Sitzungen ordnungsgemäß zu leiten, den Delegationen der Mitgliedstaaten das Wort zu erteilen und zu entziehen sowie den Zeitpunkt für die Feststellung eines Konsenses oder die Durchführung einer Abstimmung zu wählen. Zusätzlich müssen die Arbeitsschwerpunkte bestimmt und Vorschläge zu spezifischen Themen für öffentliche Aussprachen vorgelegt werden.
Sprecherfunktion: Diese Funktion hat eine interne und externe Dimension. Intern repräsentiert der Ratsvorsitz den Rat gegenüber den anderen EU-Institutionen. Jede Ratspräsidentschaft stellt beispielsweise das Programm des Vorsitzes im Plenum des Europäischen Parlaments vor und zieht auch gegenüber dem Europäischen Parlament Bilanz. Präsidentschaftsvertreter nehmen in der Regel an allen Sitzungen der Ausschüsse des EP teil, um dort Frage und Antwort zu stehen und neue Legislativprojekte vorzustellen. Zudem vertritt der Vorsitz den Rat in den interinstitutionellen Verhandlungen mit dem EP. Die externe Vertretung der EU im Bereich der GASP obliegt auch dem Ratsvorsitz. Gemeinsam mit dem Hohen Vertreter der GASP und dem Kommissar für Außenbeziehungen bildet der Ratsvorsitz eine Troika, die die EU gegenüber Drittstaaten sowie internationalen Organisationen und Konferenzen vertritt.
2.3. Determinanten zur Durchführung von EU-Ratspräsidentschaften
Die Rahmenbedingungen haben einen wesentlichen Einfluss auf die Durchführung einer Ratspräsidentschaft. Die für den Ablauf einer Ratspräsidentschaft förderlichen und abträglichen Faktoren lassen sich unterteilen in ratspräsidentschaftsspezifische, EU-interne und EU-externe Faktoren:[16]
2.3.1. Ratspräsidentschaftsspezifische Faktoren
Zu den ratspräsidentschaftsspezifischen Faktoren zählen die politischen Rahmenbedingungen im Vorsitzland, der Vorbereitungsprozess und die Durchführungsphase.
[...]
[1] Vgl. Geoffrey Edwards/Helen Wallace: Die Präsidentschaft im Ministerrat. Eine zentrale Rolle im Entscheidungsprozess vom EG und EPZ, Bonn: Europa Union Verlag, 1978, S. 34.
[2] Vgl. Edwards/Wallace, a.a.O., S. 73.
[3] Vgl. Simon J. Nuttall: European Political Co-operation, Oxford: Oxford Press, 1992, S. 12.
[4] „Der Vorsitz nimmt die Rolle des Sprechers der Neun wahr und tritt auf diplomatischer Ebene für sie auf.“, Schlusskommuniqué des Pariser Gipfels (09./10.12.1974).
[5] „Stehen bei Beschlüssen, die mit Mehrheit auf Vorschlag der Kommission gefasst werden können, sehr wichtige Interessen eines oder mehrerer Partner auf dem Spiel, so werden sich die Mitglieder des Rates innerhalb eines angemessenen Zeitraums bemühen, zu Lösungen zu gelangen, die von allen Mitgliedern des Rates unter Wahrung ihrer gegenseitigen Interessen und der Interessen der Gemeinschaft angenommen werden können.", Luxemburger Kompromiss vom .29. Januar 1966.
[6] Vgl. Olga Ilona Niemi: Perspektiven der Ratspräsidentschaft in einer erweiterten Europäischen Union, Frankfurt am Main: Peter Lang GmbH, 2005, S. 36.
[7] Homepage der finnischen Ratspräsidentschaft, in: http://presidency.finland.fi/doc/eu/eu_4pres.htm, Abruf am 25.02.2008.
[8] Andreas Maurer: Erwartungsmanagement in der Europäischen Union. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2007 und künftige Sollbruchstellen im EU-System, in: http://www.swp- berlin.org/de/common/get_document.php?asset_id=4490 (Stiftung Wissenschaft und Politik), S. 3, Abruf am 26.01.2008.
[9] Vgl. Daniela Kietz: Methoden zur Analyse von EU-Ratspräsidentschaften, in: http://www.swp- berlin.org/common/get_document.php?asset_id=3984 (Stiftung Wissenschaft und Politik), S. 9, Abruf am 26.01.2008.
[10] Niemi, a.a.O., S. 61.
[11] Vgl. Michael Dauderstädt/Barbara Lippert/Andreas Maurer: Die deutsche Ratspräsidentschaft 2007: Hohe Erwartungen bei engen Spielräumen, in: http://library.fes.de/pdf-files/id/04140.pdf (Friedrich Ebert Stiftung), S. 7, Abruf am 26.01.2008.
[12] Vgl. Punkt 2.4.
[13] Kietz, a.a.O., S. 11.
[14] Vgl. Michael Dauderstädt/Barbara Lippert/Andreas Maurer, a.a.O., S. 11.
[15] Geschäftsordnung des Rats der Europäischen Union vom 22.03.2004, Art. 23 (3).
[16] Vgl. Niemi, a.a.O., S. 68.
- Quote paper
- Nadja Berseck (Author), 2007, Die Rolle von EU-Ratspräsidentschaften am Beispiel der Verhandlungen zur Revision des Verfassungsvertrags unter deutschem Vorsitz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121575
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