„Oberflächenrausch“, so überschreibt Jens Eder seinen Essayband über das postmoderne/-klassische Kino der 90er, das ist „die Inszenierung von Oberflächen, das Design von Texturen. Licht und Schatten, Glanz und Stumpfheit, Haut und Membran.“ FIGHT CLUB (David Fincher, 1999) ist in vielerlei Hinsicht der ultimative Oberflächenrausch zum Ende des Mil-lenniums. Aber was verbirgt sich hinter den körperlichen (Haut und Körper) und ideologi-schen (Männlichkeit, Kapitalismus) Fassaden, die in diesem Film so systematisch zerstört werden? Und wie kann dieser Oberflächenrausch und seine Zerschlagung gedeutet werden? Dieser Frage möchte ich mich von zwei wissenschaftlichen Positionen annähern, die sich in ihrer Methodik diametral gegenüberstehen: Kognitivismus und Poststrukturalismus.
In einem ersten Teil der Arbeit soll es mir um einen kurzen Vergleich der beiden Forschungs-richtungen gehen. Basierend auf einer tabellarischen Gegenüberstellung (siehe Anhang) von Methode, Herangehensweise und geistesgeschichtlichem Hintergrund möchte ich in einem zweiten Teil die herausgearbeitete theoretische Folie über den Film legen. FIGHT CLUB bietet auf der rein denotativen Ebene für eine kognitivistische Analyse ein Reihe von Zugängen und interessanten Fragestellungen, deren konnotative Hintergründe dann für eine poststrukturalis-tische (hier: psychoanalytisch-feministisch) Betrachtung Ansatzpunkt für eine vertiefende Analyse sein können. Für eine kognitivistische Herangehensweise bietet sich vor allem die Narrationstheorie von BORDWELL an, die ich schlaglichtartig zur Verdeutlichung der Ar-beitsweise auf den Film anwenden werde. Demgegenüber gestellt werde ich den poststruktu-ralistischen Zugang zum Film am Beispiel einer feministischen Analyse herausarbeiten, um in einem abschließenden Teil zu einer Bewertung der beiden grundsätzlich verschiedenen Zu-gänge in Bezug auf Nützlichkeit, Anwendbarkeit und Erkenntnisgewinn zu kommen. Ob der von BORDWELL eingeleitete cognitive turn in den Filmwissenschaften tatsächlich einen konstruktiven Beitrag zum Verständnis von Filmen leistet und ob die von den Kognitivisten vorgetragene Kritik an den Grand Theories berechtigt ist, stelle ich im Weiteren zur Diskus-sion.
Für die psychoanalytisch-feministische Analyse Fight Clubs werde ich mich an der These orientieren, dass der Film sich zwar vordergründig als >Männerfilm< darstellt, eigentlich aber einen Abgesang auf Männlichkeit, Patriarchat und damit unweigerlich auf ein kapitalistisches und frauenfeindliches System darstellt und seine eigentliche Heldin in der Figur Marla Singers findet. Da ich den Film als bekannt voraus setzen kann, verzichte ich auf eine Inhaltsangabe im Fließtext und verweise auf das Sequenzprotokoll im Anhang.
Inhalt
1 EINLEITUNG
2 POST-THEORIE VS. GRAND THEORY – EINE ABGRENZUNG
2.1 Postrukturalismus: Theorie und Methode
2.1.1 Psychoanalyse
2.1.2 Feminismus
2.2 Kognitivistische Filmanalyse
3 FIGHT CLUB ZWISCHEN POSITIVISMUS UND HERMENEUTIK
3.1 Was leistet die kognitivistische Filmanalyse nach Bordwell?
3.1.1 Bordwell angewandt auf Fight Club
3.2 Warum Psychoanalyse und Feminismus helfen können
3.2.1 Blickstrukturen
3.3.2 Kritik an Patriarchat und Kapitalismus
3.2.3 Eine neue Männlichkeit/Weiblichkeit?
3.2.3.1 Marla Singer als Heldin der Geschichte
3.2.3.2 Bob als Zwischenstadium
4 FAZIT UND AUSBLICK
VERWENDETE LITERATUR
ABBILDUNGEN
ANHANG
Tabellarische Gegenüberstellung: Post-Theory vs. Grand-Theories
Sequenzprotokoll
Erklärung
1 Einleitung
„Oberflächenrausch“, so überschreibt Jens Eder[1] seinen Essayband über das postmoderne/- klassische Kino der 90er, das ist „die Inszenierung von Oberflächen, das Design von Texturen. Licht und Schatten, Glanz und Stumpfheit, Haut und Membran.“ FIGHT CLUB (David Fincher, 1999) ist in vielerlei Hinsicht der ultimative Oberflächenrausch zum Ende des Millenniums. Aber was verbirgt sich hinter den körperlichen (Haut und Körper) und ideologischen (Männlichkeit, Kapitalismus) Fassaden, die in diesem Film so systematisch zerstört werden? Und wie kann dieser Oberflächenrausch und seine Zerschlagung gedeutet werden? Dieser Frage möchte ich mich von zwei wissenschaftlichen Positionen annähern, die sich in ihrer Methodik diametral gegenüberstehen: Kognitivismus und Poststrukturalismus.
In einem ersten Teil der Arbeit soll es mir um einen kurzen Vergleich der beiden Forschungsrichtungen gehen. Basierend auf einer tabellarischen Gegenüberstellung (siehe Anhang) von Methode, Herangehensweise und geistesgeschichtlichem Hintergrund möchte ich in einem zweiten Teil die herausgearbeitete theoretische Folie über den Film legen. FIGHT CLUB bietet auf der rein denotativen Ebene für eine kognitivistische Analyse ein Reihe von Zugängen und interessanten Fragestellungen, deren konnotative Hintergründe dann für eine poststrukturalistische (hier: psychoanalytisch-feministisch) Betrachtung Ansatzpunkt für eine vertiefende Analyse sein können. Für eine kognitivistische Herangehensweise bietet sich vor allem die Narrationstheorie von BORDWELL an, die ich schlaglichtartig zur Verdeutlichung der Arbeitsweise auf den Film anwenden werde. Demgegenüber gestellt werde ich den poststrukturalistischen Zugang zum Film am Beispiel einer feministischen Analyse herausarbeiten, um in einem abschließenden Teil zu einer Bewertung der beiden grundsätzlich verschiedenen Zugänge in Bezug auf Nützlichkeit, Anwendbarkeit und Erkenntnisgewinn zu kommen. Ob der von BORDWELL eingeleitete cognitive turn in den Filmwissenschaften tatsächlich einen konstruktiven Beitrag zum Verständnis von Filmen leistet und ob die von den Kognitivisten vorgetragene Kritik an den Grand Theories berechtigt ist, stelle ich im Weiteren zur Diskussion.
Für die psychoanalytisch-feministische Analyse Fight Clubs werde ich mich an der These orientieren, dass der Film sich zwar vordergründig als >Männerfilm< darstellt, eigentlich aber einen Abgesang auf Männlichkeit, Patriarchat und damit unweigerlich auf ein kapitalistisches und frauenfeindliches System darstellt und seine eigentliche Heldin in der Figur Marla Singers findet. Da ich den Film als bekannt voraus setzen kann, verzichte ich auf eine Inhaltsangabe im Fließtext und verweise auf das Sequenzprotokoll im Anhang.
2 Post-Theorie vs. Grand Theory – eine Abgrenzung
Der in den Filmwissenschaften seit den 80ern schwelende Streit zwischen einer kognitivistisch orientierten Forschung auf der einen und (post-)strukturalistischen Zugängen auf der anderen Seite erlebte mit der Veröffentlichung von Post-Theory (1996)[2] einen vorläufigen Höhepunkt. Es geht den Herausgeber David Bordwell, Noel Carroll und den anderen Autoren um die gewichtige Frage, was Filmanalyse und -wissenschaft leisten kann und soll und was sich in den Augen der Kognitivisten seit den 60ern mit dem semiotic turn in den Geisteswissenschaften grundlegend falsch entwickelt hat. Dabei kritisieren sie an den von ihnen abwertend als Grand Theories[3] bezeichneten Zugängen zuvorderst eine dogmatische, theoriegeleitete Grundhaltung und eine, die ästhetisch-formalen Besonderheiten der Untersuchungsgegenstände vernachlässigende, letztlich unwissenschaftliche Herangehensweise. Post-Theory – so der ironisch-programmatische Titel dieses filmtheoretischen Sammelbandes – ist als direkter Angriff auf die Grand Theory mit ihren Methoden (psychoanalytisch-, feministisch-, marxistisch-strukturalistische Analyse von Kultur und Gesellschaft) zu lesen.
Weder der Poststrukturalismus noch der Kognitivismus stellen in den Filmwissenschaften homogene Gedankengebäude bereit – sie bieten lediglich Zugänge für Interpretation, Analyse und Verständnis filmischer Texte und stehen beide für eine bestimmte Art und Weise des Theoretisierens und Nachdenkens über Filme. Da die kognitivistische Filmwissenschaft sich zeitlich nach den poststrukturalistischen Zugängen entwickelt hat und sich explizit als deren Kritik versteht, werde ich erst die seit den 60ern praktizierte poststrukturalistische Schule umreißen, und dann in Abgrenzung dazu auf den von Bordwell federführend eingeleiteten cognitive turn eingehen. Dabei soll es mir nicht um die detaillierte Beschreibung einer geistesgeschichtlichen Entwicklung zweier Theorien bzw. wissenschaftlicher Schulen gehen. Vielmehr möchte ich knapp darstellen, wie verschieden das beiderseitige Verständnis von filmischer Analyse ist und wie unterschiedlich mögliche Ergebnisse einer Analyse in Bezug auf Erkenntnisgewinn und kritische Distanz zum filmischen Gegenstand sein können.
2.1 Postrukturalismus: Theorie und Methode
Unter die sogenannten poststrukturalistischen Ansätze fallen wissenschaftliche Theorien und Schulen, die sich nach dem semiotic turn in den Geisteswissenschaften entwickelt haben und sowohl im angloamerikanischen wie auch im französischen Geistesleben schnell populär und einflussreich wurden. Dabei kann die Betrachtung z.B. eines Films von einer psychoanalytischen, feministischen oder einer marxistischen Fragestellung geleitet sein. Poststrukturalismus bezeichnet also einen Oberbegriff für eine Gruppe theoretischer Diskurse, die ein objektives Wissen über die Welt und den Menschen anzweifeln und die Vorstellung eines sich selbst bewussten Subjekts in Frage stellen.[4] Ebenso wird eine verbindliche Interpretation von
Texten abgelehnt, der Autor/Regisseur als alleiniger Sinngeber entmystifiziert und die Vieldeutigkeit von filmischen/sprachlichen Texten betont.
Geistesgeschichtlich kann der Poststrukturalismus als eine durchaus kritische Modifikation des Strukturalismus aufgefasst werden. Kennzeichnend für beide Ansätze ist die Betonung der Zeichenhaftigkeit von gesellschaftlichen und kulturellen Phänomenen, Texten oder konventionalisierten Verhaltensweisen. Der Strukturalismus geht auf Arbeiten des Schweizer Linguisten Ferdinand de Saussure zurück, der mit den Begriffen langue und parole die sprachliche Zeichen von den ihnen zugewiesenen Bedeutungen entkoppelte und das Verhältnis zwischen z.B. dem Lautbild >Stuhl< und der uns als Stuhl bekannten Sitzgelegenheit als ein arbiträres bezeichnete. Der Wert sprachlicher Zeichen entstehe „nicht aus seiner Bezogenheit zur Wirklichkeit, sondern primär aus seiner Stellung im Relationsgefüge des Sprachsystem“.[5] Es sind die Unterschiede zu Zeichen eines sprachlichen Paradigmas, die Bedeutung synchron konstituieren. Derrida radikalisierte das Verhältnis zwischen Zeichen und festgeschriebenen Bedeutung später mit der Einführung des Kunstwortes Différance und sprach den Zeichen und Texten ein (hermeneutisches) Sinnzentrum und eine verbindliche Bedeutung ab.
Während es den Strukturalisten aber in erster Linie um eine „formale Analyse der Diskurse als symbolischer Ordnungssysteme“ ging[6], so bedeutete der Poststrukturalismus eine Verschiebung zu Fragen, die ideologische Funktion und die Veränderbarkeit von eben diesen Strukturen betreffend. Dabei machten sich die Poststrukturalisten eine von Jacques Derrida entwickelte Methode zu Nutze, mit deren Hilfe sie Widersprüche in Texten aufspüren und mit den postulierten Absichten konfrontieren konnten[7] – die Dekonstruktion. „Deconstruction is not (…) a theory but a strategy“[8], eine Technik des nicht nur linearen Lesens, die in deutlicher Abgrenzung zur hermeneutischen Tradition der autorzentrierten, oftmals werkimmanenten, den verbindlichen Textsinn suchenden Interpretation steht. Um den (post-)strukturalistischen Ansatz zu verdeutlichen, möchte ich kurz auf Psychoanalyse und Feminismus und ihre Relevanz für die Filmwissenschaft eingehen.
2.1.1 Psychoanalyse
Die Psychoanalyse betrachtet das menschliche Bewusstsein nur als die Oberschicht von Identität, während die Faktoren, die das Denken und Handeln weitgehend bestimmen, im Verborgenen, im Unterbewussten schlummern. Setzt man diese Sichtweise in Analogie zum Kino, dann können die auf der Leinwand zu sehenden Bilder zwar auf einer denotativen Ebene als Geschichten gelesen werden, die aber zum einen vom Autor/Regisseur intendierte, tiefere Bedeutungsschichten verdecken, zum anderen aber in jedem Fall ein kollektives Unbewusstes beherbergen. Dabei bedienen sich Filmschaffende dieser kultureller Stereotypen und Strukturen eher unbewusst[9], indem sie Wirklichkeit vorgeblich abbilden und eine bestimmte Ordnung (z.B. der Geschlechter) präferieren, die bei unkritischer Rezeption vom Publikum übernommen wird, weil es diese dargestellte Ordnung für die Wirklichkeit hält.
Zentrale Frage für eine psychoanalytische Lesweise ist, ob Filme – unabhängig von den Inhalten – Strukturen abbilden, ein bestimmtes (ideologisches, geschlechterspezifisches) Bewusstsein erzeugen oder transportieren.[10] Im Mittelpunkt des Interesses stehen nicht die dargestellten Inhalte, sondern die vom Hollywoodkino standardisierten Codes und Erzählstrukturen, die filmisches Verstehen strukturieren und leiten. „Es soll gezeigt werden“, schreibt Laura Mulvey, „wie das Unbewusste der patriarchalischen Gesellschaft die Filmform strukturiert hat.“[11]
Während Feministinnen Theorie und Praxis der freudschen Psychoanalyse zwar „aufgrund ihrer unabweisbar sexistischen Grundannahmen“[12] ablehnten, so wurde gerade in der noch jungen Disziplin der (feministischen) Filmwissenschaft das begriffliche Instrumentarium der Psychoanalyse (Projektion, Voyeurismus, Kastrationsangst, etc.) auf das Dispositiv des Kinos übertragen und für die Dekonstruktion der im Kinoapparat und in Hollywoodfilmen vorherrschenden Machtund Geschlechterkonstellationen nutzbar gemacht. Das Kino mit seiner Apparatur wurde in Analogie[13] zu psychoanalytischen Begrifflichkeiten gesetzt und als Vermittler für unbewusstes Begehren verstanden – eine Methode, die Bordwell und Carroll als besonders unwissenschaftlich deklassierten.
2.1.2 Feminismus
Der Feminismus hat keine eigenen Begrifflichkeiten wie die Psychoanalyse oder der Marxismus. Aus einem „emanzipatorischen Impuls“[14], der schon im 19. Jahrhundert als Reaktion auf die männliche Dominanz in allen Lebensund Arbeitsbereichen spürbar war, hat sich in den 1970er Jahren eine transdisziplinäre Sichtweise auf die Welt in den Sozialund Kulturwissenschaften entwickelt, die ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern nicht nur auf der Ebene der Tatsachen verortete, sondern in den zugrundeliegenden Strukturen vermutete. Manifeste kulturelle Produkte (Filme, Literatur, Witze, erzählte Geschichten etc.) und die ihnen zugrunde liegenden sprachlichen Strukturen waren tendenziell auf männliche Bedürfnisse und Wünsche zugeschnitten und repräsentierten die auf der Oberfläche virulenten Muster der Unterdrückung und Ungleichheit. Im Gegensatz zu den sichtbaren und für Frauen[15] spürbaren Diskriminierungen waren diese latent und wurden und werden von Frauen und Männern unbewusst bedient, benutzt und erduldet. Während es im alltäglichen Sprachgebrauch nur feine Nuancen waren, die ein Übergewicht männlicher Dominanz zum Vorschein brachten, so sah Laura Mulvey in ihrem wegweisenden Essay Visual Pleasure and Narrative Cinema (1975) die Frauen z.B. im klassischern Hollywoodkino in einer ungleich prekäreren Situation: Vermittelt durch Blickstrukturen, die Männer zum aktiven Subjekt des Blickes machten und Frauen zu begehrens-, hassensund bemitleidenswerten Objekten degradierten, waren sie im und durch den identifikatorischen Prozess der Kinosituation gezwungen, sich in einem gleichsam masochistischen Akt diesem Blick zu unterwerfen, oder – ohne es zu merken – sich mit den durchweg männlichen Helden zu identifizieren und damit ihr Sosein als Frau zu verleugnen.
Eine feministische Analyse versucht nun, diese Blickund Machtstrukturen zu dekonstruieren, indem sie sich z.B. psychoanalytischer Termini bedient, mit konventionellen Interpretationsmustern bricht und feststehende Begriffe in Frage stellt. „Einen Begriff in Frage zu stellen heißt zu fragen, wie er funktioniert, welche Besetzungen er trägt, welche Ziele er anstrebt, welche Veränderungen er erfährt.“[16] Damit ist auch umrissen, wie eine feministische oder auch allgemein kulturkritische Wissenschaft z.B. an einen Text oder ein gesellschaftliches Phänomen herangeht. Es geht darum, Konventionen, Stereotypen oder einfache Begriffe in Frage zu stellen und zu schauen, wer von der tradierten und kanonisierten Bedeutungsauslegung profitiert. Für die feministische Theorie waren es in erster Linie Fragen nach gesell- schaftlichen Hierarchien und ihren Ursprüngen, der Konstruiertheit von körperlicher Sexualität und gesellschaftlichem Geschlecht (sex vs. gender) und dem übergeordneten Diskurs von Kultur/Natur.[17]
Neben der Hervorhebung und Stärkung einer weiblicher Identität und der Bekämpfung diskriminierender Denkschablonen und Verhaltensweisen gegenüber Frauen in allen Bereichen einer patriarchalisch organisierten Gesellschaft, geht es der feministischen Gesellschaftskritik auf einer theoretischen Ebene auch „um eine Kritik an der heterosexuellen Matrix, die Identitäten wie Kulturen in den Begriffen der Opposition Mann und Frau organisiert.“[18]
2.2 Kognitivistische Filmanalyse
Post-Theory versammelt eine Vielzahl von Aufsätzen zu unterschiedlichen filmspezifischen Problemen und Fragestellungen, die sich nicht als Theorie im eigentlichen Sinne versteht, sondern vielmehr eine Anspielung auf das angestrebte Umdenken in den Filmwissenschaften ist, das mit BORDWELL und CAROLL als Herausgeber des gleichnamigen Essaybandes ihre Hauptvertreter hat. In der Tradition der russischen Formalisten wollen Sie mit der seit den 1960ern in den Geisteswissenschaften vorherrschenden Theorielastigkeit brechen und eine Kultur des Theoretisierens etablieren:
„A theory of films defines a problem within the domain of cinema (defined nondogmatically) and sets out to solve it through logical reflection, empirical research, or a combination of both. Theorizing is a commitment to using the best canons of inference and evidence available to answer the question posed“.[19]
Große Probleme haben BORDWELL und seine Mitstreiter mit der poststrukturalistischen Konzeption der RezipientInnen. Während für die Culturals Studies oder eine feministische Filmkritik mitentscheidend ist, wer (Frau/Mann, Hetero/Homo, arm/reich etc.) einen Film guckt (und wer und warum einen Film macht), so werden für eine kognitionstheoretische Analyse ideologische, soziökonomische und geschlechtsbezogene Fragestellungen (Ausnahme: sie werden im Film explizit thematisiert) weitestgehend ausgeklammert. Die Rezipienten werden als – polemisch – geschichtslose Black Boxes behandelt, die über ihren Kognitionsapparat Filme sehen, verstehen und bewerten können.
Es geht ihnen darum, den Film aus sich heraus zu analysieren, ihn in seiner formalen Ästhetik und dem Einsatz seiner filmsprachlichen Mittel zu betrachten und nicht ein externes Theoriegebäude auf den Film zu applizieren. Die Nachvollziehbarkeit von narrativen Mustern und die aktive kognitive Verstehensleistung der RezipientInnen interessiert mehr als detaillierte Betrachtungen nicht-narrativer und extradiegetischer Elemente, wie in der dekonstruktivistischen Lesweise praktiziert.
Die kognitivistische Filmanalyse steht in einer szientistischen Tradition. Damit ist das Bestreben gemeint, die Methoden der exakten Naturwissenschaften auch auf die Geisteswissenschaften zu übertragen. Mit diesem Ansatz steht sie im gewissen Sinne dem Strukturalismus nahe, der sich in den Geisteswissenschaften durchaus mit dem Anspruch formiert hat, die Analyse von Kulturprodukten verifizierbarer und >wissenschaftlicher< anzugehen.[20] Ausgehend vom filmischen Gegenstand wird z.B. induktiv (oder bottom-up) anhand einzelner Einstellungen oder Szenen ein spezifisches filmisches oder thematisches Problem analysiert und bearbeitet. Dabei sollten Wissenschaftler nicht von einer dem filmischen Gegenstand eigent- lich fremden Theorie (wie z.B. der Psychoanalyse) geleitet, sondern mit einer konkreten Fragestellung an ein Objekt herantreten und mit den Ergebnissen einer kleinschrittigen Analyse (middler range inquiry) zu verallgemeinerbareren Aussagen über einen Film oder eine Gruppe von Filmen (eines Regisseurs, eines Genres, eines Landes zu einer bestimmten Zeit) kommen. Ähnlich den empirischen Naturwissenschaften stehen die beobachtbaren Oberflächen der Dinge im Vordergrund, also formale Aspekte (Licht, Dekor, Farben) Strukturmerkmale (Montage des Materials, Narrativik) oder filmische Besonderheiten (Auflösung der Filmhandlung in Bilder, Kameraeinstellungen, Blickrichtungen der filmischen Figuren etc.), die dann in einen größeren (historischen, ästhetischen) Kontext gerückt werden. Leitende Fragestellung dieses konstruktivistischen Ansatzes ist, „was der Zuschauer mit dem Film macht, um ihn zu verstehen, bzw. wie der Film strukturiert ist, damit er verstanden werden kann“[21]. Im Gegensatz dazu versucht die postrukturalistische Analyse dieses naheliegende Verständnis aufzubrechen und zu de-konstruieren.
Die Zuschauer werden als aktive, die fabula mitentwickelnde Agenten betrachtet, die über ihren Wahrnehmungsapparat Bildinformation und Erzählmuster verstehend nachvollziehen können. Über den Fortlauf der Narration können sie Hypothesen aufstellen und so beabsichtigte Lücken in der Filmhandlung und konventionalisierte Aussparungen[22] schließen und den Fortlauf der Story antizipieren. Damit stärkt die Zuschauerkonzeption der kognitiven Filmtheorie, die Autonomie der Rezipienten und steht der Rezeptionsästhetik und ihrer Idee eines idealen Lesers nah. WULFF erkennt jedoch in diesem Punkt eine entscheidende und viel kritisierte Inkosistenz des kognitivistischen Ansatzes, da diese teil-autonomen, am Filmverständnis mitarbeitenden Rezipienten nicht in ihrem Eingebundensein in soziale und historische Kontexte gesehen[23], sondern als von diesen isoliert betrachtet werden. Während es für die psychoanalytisch-feministisch arbeitenden Ansätze entscheidend ist, wer den Film guckt (z.B. soziokultureller, ethnischer Hintergrund weiblicher/männlicher RezipientInnen), sind die Zuschauer für die Kognitivisten weitestgehend eigenschaftslose Wesen, ausgestattet mit der Fähigkeit, Filme zu gucken und zu verstehen. BORDWELLS vertritt die These, dass formale Aspekte des Films kulturübergreifend verstanden werden können und dass psychische und kulturelle Faktoren diesen Verstehensprozess nur bedingt beeinflussen.
Die Vertreter einer kognitivistischen Filmwissenschaft gehen davon aus, dass es zwischen der gesprochenen/geschrieben Sprache und einer filmischen Ausdrucksweise fundamentale Unterschiede gibt:
„Current evidence seems to favor the existence of two processing systems in the brain, and hence the partial independence of pictorial systems from natural language.“[24]
Diesen Umstand sehen sie im (Post)-Strukturalismus nicht ausreichend berücksichtigt, da hier Filme analog zur Sprache gesehen werden und formale und ästhetische Eigenschaften des Films nicht ausreichend Berücksichtigung finden:
"Most film scholars have still not become comfortable with analyzing the visual and aural aspects of films. (...) likewise avoid exploring medium-specific factors".[25]
[...]
[1] Jens Eder (Hrsg.), 2002: Oberflächenrausch. Postmoderne und Postklassik im Kino der 90er Jahre. Münster:Lit.
[2] David Bordwell/ Noel Carrol 1996: Post-Theory. Reconstructing Film Studies. Wisconsin University Press.
[3] Die Veröffentlichung von Post-Theory bedeutete insofern eine Entschärfung der Polemik, da die frühere Bezeichnung SLAB durch Grand Theories ersetzt wurde. Das Akronym SLAB stand für Saussure, Lacan, Althusser und Barthes – die Väter und Hauptvertreter der verschiedenen poststrukturalistischen Analysemethoden, die zwar nicht explizit für und über den Film gearbeitet haben, deren Arbeiten auf den Gebieten der Sprachwissenschaft (Saussure), Psychoanalyse (Lacan), Marxismus (Althusser), (Post-)Strukturalismus (Barthes) aber maß- geblich auf die Geisteswissenschaften im angloamerikanischen und französischen Raum seit den 60ern wirkten. Das Lautbild SLAB ist sicherlich nicht zufällig homonym zum englischen slap, was soviel wie Ohrfeige bedeutet.
[4] Vgl. Jonathan Culler, 2002: Literaturtheorie. Eine kurze Einführung. Stuttgart: Reclam, S.182.
[5] Ansgar Nünning 2004 (Hrsg.): Grundbegriffe der Literaturtheorie. Stuttgart: Metzler, S.260f.
[6] Lena Lindhoff: Einführung in die feministische Literaturtheorie. Stuttgart: Metzler, S.73.
[7] Vgl. Stefan Münker/Alexander Roesler 2000: Poststrukturalismus. Stuutgart: Metzler, S.141.
[8] Elsaesser, Thomas/ Buckland, Warren 2002: Studying Contemporary American Film. A guide to movie analysis. New York: Oxford University Press, S.129.
[9] Aber auch die bewusste Verwendung von Stereotypen (z.B. Feier des Mannes/Patriarchat und seiner Stärke) aus einem konservativ-reaktionärem Interesse ist denkbar.
[10] Hermann Kappelhoff, 2003: Kino und Psychoanalyse. In: Felix, Jürgen: Moderne Film Theorie. Mainz: Bender, S.132.
[11]Mulvey, Laura (1973): Visuelle Lust und narratives Kino. In: Gislind Nabakowski u.a. (Hrsg.) (1980) Frauen in der Kunst. Bd. 1, Frankfurt am Main, S.30.
[12] Culler, S.184.
[13] z.B. Kamera=Voyeur, Zuschauer=Voyeur, Projektion von Bildern/Wünschen, Träumen, Begierden
[14] Vladimir Biti, 2001: Literaturund Kulturtheorie. Ein Handbuch gegenwärtiger Begriffe. Reinbek: Rowohlt, S.221
[15] seit den frühen 80ern lag der Focus der feministischen Theorie nicht mehr ausschließlich auf dem Geschlechterdiskurs, sondern wurde im Rahmen der der Queer-Theories und der postcolonial studies auf die Diskriminierung anderer Randgruppen in westlichen Gesellschaften angewandt und ausgeweitet.
[16] Judith Butler, zitiert in: Hof, Renate (2003): Kulturwissenschaft und Geschlechterforschung. In: Nünning, Ansgar/ Nünning, Vera: Konzepte der Kulturwissenschaften: Theoretische Grundlagen – Ansätze – Perspektiven. Stuttgart: Metzler, S. 338.
[17] Vgl. Renate Hof, S.338f.
[18] Culler, S.183.
[19] David Bordwell, 1996: Introduction. In: Bordwell/Carroll (Hrsg.): Post-Theory. Reconstructing Film Studies. Wisconsin University Press, S.XIV.
[20] Vgl. Ansgar Nünning, S.260.
[21] Stephen Lowry, zitiert in: Hartmann, Britta/ Wulff, Hans J 2003.: Neoformalismus – Kognitivismus – Historische Poetik des Kinos. In: Felix, Jürgen (Hrsg.): Moderne Film Theorie. Mainz: Bender, S.204.
[22] z.B. Einsteigen in Auto oder Flugzeug = Überbrücken von räumlicher Distanz.
[23] Vgl. Wulff/Hartmann, S. 204.
[24] Edward Branigan 1984: Point of View in the Cinema. New York: Mouton, S.15.
[25] Bordwell: Post-Theory, S.14.
- Quote paper
- Alexander Thiele (Author), 2005, Vergleichende Gegenüberstellung kognitivistischer und psychoanalytisch-feministischer Analysemethoden am Beispiel von David Finchers 'Fight Club', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121456
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