Digitale Kommunikation aus dem Blickwinkel christlicher Anthropologie. Eine Untersuchung zu ausgewählten Aspekten

Isolierung oder Solidarität?


Diplomarbeit, 2021

68 Seiten, Note: 13 Punkte


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung: Kurze Bestandsaufnahme und Vorstellung der Leitfragen

2. Kommunikation
2.1. Definition: Kommunikation
2.2. Definition: Digitale Kommunikation
2.3. Eine Erörterung ausgewählter Aspekte der heutigen digitalen Kommunikation im Hinblick auf Gesellschaft und Individuum

3. Digitale Kommunikation aus dem Blickwinkel christlicher Anthropologie
3.1. Die Voraussetzung zum schöpferischen Handeln
3.2. Weltoffenheit als Bedingung zur Öffnung gegenüber Neuem 31
3.3. Vertrauen und die Gefahr des Misstrauens 33
3.4. Kulturrevolution 35
3.5. Vergöttlichungsgefahr im Rahmen der Digitalität
3.6. Endlichkeit und Unendlichkeit im Digitalen
3.7. Der Mensch als Gemeinschaftsgeschöpf
3.8. Pflichten für den Umgang mit digitaler Kommunikation

4. Conclusio und Reflexion: Isolierung oder Solidarität?
4.1. Solidarität? Auswirkungen auf die Gesellschaft
4.2. Isolierung? Auswirkungen auf das Individuum
4.3. Fördert digitale Kommunikation Isolierung oder Solidarität?

5. Ausblick

Literaturverzeichnis

Sammelwerke

Beck, Wolfgang; Nord, Ilona; Valentin, Joachim (Hg.)

Theologie und Digitalität. Ein Kompendium

Herder Verlag Freiburg/ Basel/ Wien 2021

Costanza, Constanze; Ernst, Christina (Hg.)

Personen im Web 2.0. Kommunikationswissenschaftliche, ethische und anthropologische Zugänge zu einer Theologie der Social Media

Band 11 Edition Ruprecht Verlag Göttingen 2012

Gamper, Michael; Mayer Ruth (Hg.)

Kurz & Knapp

Transcript Verlag Bielefeld 2017

Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH (Hg.)

Dokumentation

Band 20

Evangelischer Pressedienst epd Frankfurt/Main 2021

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Handel 4.0. Die Digitalisierung des Handelns. Strategien, Technologien, Transformation

Springer Verlag Berlin/ Heidelberg 2017

Kuhlen, Rainer; Semer, Wolfgang; Strauch, Dietmar (Hg.)

Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation

Walter de Gruyter Verlag Berlin 2013

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Scientific American Band 265

Springer Nature Verlag New York 1991

Systems Research Center (Hg.)

In Memoriam: J.C.R. Licklider 1915-1990

Research Report Band 61

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Monografien

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Ich und du

Philipp Reclam Verlag Ditzingen 2008

Bublitz, Hannelore

Im Beichtstuhl der Medien

Transcript Verlag Bielefeld 2010

Eickelmann, Johanna

Hate Speech und Verletzbarkeit im digitalen Zeitalter. Phänomene mediatisierter Missachtung aus Perspektive der Gender Media Studies

Transcript Verlag Bielefeld 2017

Esposito, Robert

Person und menschliches Leben

Diaphanes Verlag Zürich/Berlin 2010

Haberer, Johanna

Digitale Theologie

Kösel Verlag München 2015

Han, Byung-Chul

Im Schwarm. Ansichten des Digitalen

Matthes & Seitz Verlag Berlin 2013

Hepp, Andreas

Deep Mediatization. Key Ideas in Media and Culturas Studies

Routledge Verlag London 2020

Huizing, Klaas; Rupp, Horst

Medientheorie und Medientheologie

LIT Verlag Münster 2003

Jahraus, Oliver (Hg.)

Niklas Luhmann. Aufsätze und Reden

Philipp Reclam Verlag Stuttgart 2001

Kant, Immanuel

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten

Philipp Reclam Verlag Stuttgart 2020

Misoch, Sabine

Online- Kommunikation

UVK Verlag Konstanz 2006

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Pannenberg, Wolfhart

Systematische Theologie Band 2

Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 1991

Pannenberg, Wolfhart

Was ist der Mensch? Die Anthropologie der Gegenwart im Lichte der Theologie. Kleine Vandenhoeck Reihe

Vandenhoeck & Ruprecht GmbH Göttingen 2011

Rahner, Karl

Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums

Herder Verlag Freiburg 1984

Reckwitz, Andreas

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Suhrkamp Verlag Berlin 2021

Schicha, Christian

Medienethik

UVK Verlag München 2019

Schröter, Jens

Das Netz und die virtuelle Realität

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Aufklärungen. Fünf Gespräche mit Bruno Latour

Merve Verlag Berlin 2008

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Main Works/ Hauptwerke Band 3

De Gruyter Verlag Berlin/ New York 1998

Watzlawick, Paul; Beavin, Janet; Jackson, Don

Menschliche Kommunikation

Huber Bern Verlag Stuttgart/ Wien 1969

Weber, Heike

Das Versprechen mobiler Freiheit

Transcript Verlag Bielefeld 2015

Weber, Stefan

Medien - Systeme - Netze. Elemente einer Theorie der Cyber-

Netzwerke

Transcript Verlag Bielefeld 2001

Internetquellen

https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__130.html

https://journals.sagepub.com/doi/epub/10.1177/1948550620944304

https://www.n-tv.de/wirtschaft/facebook-zahlt-650-Millionen-Dollar-an-Nutzer-article22392671.html

„Die anthropologischen Wissenschaften mit ihren Bildern vom Menschen erreichen nie den konkreten Menschen. Weder die biologische noch die Kulturanthropologie, weder die Soziologie noch die Rechtsanthropologie und gewiss auch nicht die Existentialontologie. Ihre Bilder vom Menschen sind Abstraktionen. Abstrakte Betrachtung ist allerdings die Bedingung, ohne die man überhaupt nichts vom Menschen sagen könnte.“1

1. Einleitung: Kurze Bestandsaufnahme und Vorstellung der Leitfragen

Die digitale Welt beeinflusst seit Jahren auf umfangreiche Art und Weise zunehmend den Lebensalltag und das alltägliche Kommunikationsverhalten der Individuen unserer Gesellschaft. Besonders durch die Pandemie seit 2020 hat die digitale Interaktion einen außerordentlichen Stellenwert im Alltag der Nutzer:innen von Kommunikationsplattformen gewonnen. Sie entwickelte sich in vielen Fällen von einer gerne genutzten Möglichkeit zu einer unumgänglichen Notwendigkeit aufgrund von mangelnden Alternativen zur digitalen Kommunikation.2 Die Ausnahmesituation von 2020 und 2021 machte deutlich, wie hilfreich hochentwickelte digitale Kommunikationsmethoden im Alltag der Menschen auch im (Kirchlich-) Religiösen sein und welch zuträglichen Effekt diese innerhalb von Gesellschaftsprozessen haben können, sowie welche Gefahren und Probleme sich damit verbinden. Die Digitalität durchdringt dabei unwiderruflich aber selbstverständlich nahezu jeden Lebensbereich und verändert sich auf rasante Art und Weise. Die Geschwindigkeit, mit der die Technik der digitalen Welt sich hierbei entwickelt, ist so unüberschaubar und außergewöhnlich, dass es selbst auf wissenschaftlicher Ebene schwierig ist, den Fortschritten standzuhalten.3

Deshalb ist es umso unverzichtbarer für die theologische Anthropologie auf diese Entwicklung einzugehen, denn positioniert sie sich nicht zu der unaufhörlich wachsenden Bedeutung der digitalen Kommunikation, besteht die Gefahr, dass die christliche Anthropologie die Chance verpasst, zu Phänomenen der digitalen Welt relevant Einfluss nehmen zu können. Doch nicht nur die Geschwindigkeit, sondern auch die schwindende Grenze zwischen Mensch und Technologie unterstreicht die Signifikanz der Alltagstechnologien für die Theologie.4 Zudem haben digitale Kommunikation und Theologie dasselbe Subjekt: den Menschen.5 Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, inwiefern das Individuum von digitalen Kommunikationsformen beeinflusst wird, inwiefern es sich verändert, inwiefern das gesellschaftliche Miteinander hiervon beeinflusst wird und ob digitale Kommunikation folglich Auswirkungen auf den Umgang von Individuen mit anderen Individuen und auf den Umgang innerhalb der Gesellschaft hat bzw. welche Stellung die christliche Anthropologie hier einnehmen kann. Deshalb soll im Folgenden die Frage geklärt werden, wie die christliche Anthropologie hierzu Stellung beziehen kann, sowie — umgekehrt — inwiefern das christliche Menschenbild von Bedeutung für Aspekte der digitalen Kommunikation ist. Einen Beitrag zu diesen Fragen soll die vorliegende Arbeit leisten.

Aufgrund der Komplexität des Themas wurde eine Auswahl an Aspekten getroffen. Nicht alle Aspekte digitaler Kommunikation in Bezug auf das Menschenbild, die Gesellschaft und das Individuum können analysiert werden. Vorrangig in Betracht gezogen werden die in der Literatur zum Thema vorherrschenden Faktoren: Resonanzbegehren, Interaktionswille und -unwille, Reaktionszwang, Hemmschwellenverschiebung, Fragmentierung und Vervielfältigung des Selbst, Valorisierung, Überschneidung der Realitäten, Kulturbildung, Inklusion und Exklusion, Social Bots, schöpferisches Handeln des Menschen, Bewältigung der Komplexität des Digitalen, Freiheit, Vergöttlichung, Asynchronität, Gemeinschaftswille und etwaige Pflichten für Nutzer:innen (und die anthropologischen Wissenschaften). Nicht soll allerdings beispielsweise der Aspekt der Videotelefonie innerhalb der digitalen Kommunikation diskutiert werden. Grund dafür ist, dass diese zwar technisch gesehen viele Möglichkeiten zur digitalen Interaktion bietet, aber im Vergleich zu anderen Messenger-Möglichkeiten oder sozialen Medien einen anderen Schwerpunkt bildet. Es soll sich hier vielmehr auf die schriftliche Kommunikation über soziale Medien, Blogs oder Messenger-Dienste konzentriert werden, da diese zwei bestimmte Sachen eint: die Möglichkeit zum Abrufen von Inhalten on demand und die kommunikative Einschränkung, da Mimik und Gestik, sowie Tonfall und andere Interpretationshilfen innerhalb von Kommunikation nicht abgebildet werden können. Die Videotelefonie durchbricht diese Barriere und es ist eklatant, dass sie in dieser Hinsicht einen großen Vorteil bietet gegenüber schriftlich-digitaler Kommunikation. Einige der im Folgenden aufgezeigten Thesen, Axiome und Probleme lassen sich dennoch auch hierauf anwenden. Nichtsdestotrotz bieten Messenger-Dienste und soziale Medien ein umfangreiches Diskussionspotential, welches sich diese Arbeit bedienen und die Vor- und Nachteile in Bezug auf das Bild des Menschen vor allem angewandt auf Ideen christliche Anthropologie betrachtet werden soll.

In einem ersten Schritt (Kapitel 2.) wird zu klären sein, was Kommunikation im Allgemeinen bedeutet (2.1.), bevor eine spezielle Betrachtung der digitalen Kommunikation folgt (2.2.). Anschließend wird eine Erörterung der Auswirkungen derselben heutigen auf die Gesellschaft und auf die einzelnen Individuen anhand von fünf Thesen erfolgen, welche fünf ausgewählte Aspekte der digitalen Kommunikation genauer betrachten (2.3.). Daraufhin folgt der anthropologische Schwerpunkt (3.): Hier wird eine Verbindung von digitaler Kommunikation und christlicher Anthropologie gewagt, welche anhand von zentralen Zitaten aus der Anthropologie Wolfhart Pannenbergs, hauptsätzlich ergänzt und bereichert durch die digitale Theologie Johanna Haberers, aber auch durch weitere unterstützende theologische Einzelstimmen (3.1. bis 3.8.). Im vorletzten Schritt erfolgen die Conclusio und eine Reflexion der gesammelten Erkenntnisse mittels Aufnahme der Frage des ersten Teils des Arbeitstitels: „Isolierung oder Solidarität?“ (4.), aufgeteilt in einen Teil, den die Gesellschaft und die Solidarität (4.1.), und einen weiteren Teil, der das Individuum und die Isolierung betrifft (4.2.), sowie schließlich ein beide Teile verbindend betrachtender Abschnitt (4.3.), bevor zuletzt ein Ausblick zum Thema formuliert wird (5.).

2. Kommunikation

Kommunikation passiert ständig und ununterbrochen, sobald Menschen sich begegnen.6 Das bedeutet, dass Kommunikation eine zentrale Bedingung für Interaktion und Soziabilität ist. Nur durch Kommunikation wird Gesellschaftsbildung überhaupt möglich, da diese der menschlichen Fähigkeit der Interaktion zugrunde liegt. Die digitale Kommunikation bringt Kommunikation allerdings zu neuer Magnitude: Kommunikation wird ortsindepedent und asynchron.

2.1. Definition: Kommunikation

Um der digitalen Kommunikation auf den Grund zu gehen, gilt es zunächst Kommunikation im Allgemeinen zu definieren.

Der Begriff „Kommunikation“ leitet sich aus dem lateinischen Wort „Communicatio“ ab, was den deutschen Ausdrücken „Mitteilung“ oder „Verbindung“ entspricht. Kommunikation bedeutet eine dem Menschen immer schon angeborene Interaktion zwischen Sender:innen und Empfänger:innen über ein Medium, zum Beispiel einen Brief, Bilder, die Sprache oder in der simpelsten Form den menschlichen Körper.7 Grundsätzlich bedeutet Kommunikation dabei die Informations- oder Zeichenweitergabe von Sendenden und Empfangenden zum Beispiel mithilfe von Kommunikationsträgern, entweder verbal durch gesprochenes oder verschriftlichtes Wort, oder nonverbal allein mithilfe von Gestik oder Mimik. Eine gelungene Kommunikation setzt derweil das Wahrnehmen, Verarbeiten der Empfänger:innen und identische Verstehen des Empfangenden der Mitteilung des Intendierten des Senders bzw. der Senderin der Mitteilung voraus, sodass ein Einblick in die Gedanken des Gegenübers konzediert wird. Jedoch ist dieser Vorgang ständig Störfaktoren ausgesetzt, welche eine gelingende Kommunikation erschweren können oder sie unmöglich machen, durch andere Sinnesreize oder unterschiedliche Interpretation von Mimik und Gestik. Da jeder Mensch prinzipiell auch zumindest körperlich ohne Kommunikation und Interaktion als eigenes abgeschlossenes System auskommt, ist die Kommunikation unter zwei oder mehreren Menschen ein Privileg, was prinzipiell nicht immer notwendig, aber im Allgemeinen für die Gesellschaft unabdingbar und situationsabhängig sachdienlich sein kann.8

Die Soziologin und Philosophin Sabine Misoch unterteilt die klassische Kommunikation in verschiedene Kommunikationsformen: intrapersonale Kommunikation, interpersonale Kommunikation, Gruppenkommunikation und Massenkommunikation,9 was bedeutet, dass Kommunikation auf unterschiedliche Weise mit disparaten und unterschiedlich vielen Teilnehmenden einer Konversation vonstattengehen kann.

2.2. Definition: Digitale Kommunikation

Die heutige digitale Kommunikation beschränkt sich schwerpunktmäßig auf interpersonale Kommunikation, Gruppenkommunikation und Massenkommunikation im Sinne von sogenannten tertiären Medien, das heißt durch Einsatz eines (digitalen) Mediums sowohl seitens des Empfangenden, als auch seitens des Sendenden.10 Dabei bedeutet der Terminus „digitale Kommunikation“ all jene Kommunikation, die durch ein digitales Eingabe- oder Endgerät erfolgt. (Die Kommunikation zwischen zwei digitalen Geräten ohne menschliches Einwirken sei hier außer Acht gelassen, da es sich bei der vorliegenden Betrachtung um eine Darlegung mit dem Schwerpunkt der Anthropologie handelt).11 Da die Entwicklung der digitalen Kommunikation so intrikat ist, folgt ein kurzer Abriss des Fortschritts derselben. Dabei werden solche Kommunikationsmedien nicht abgebildet, welche den Konsumierenden in der digitalen Kommunikation passiv sein lassen, wie beispielsweise der Buchdruck mit beweglichen Lettern, das Radio oder das Fernsehen. Im Blick sind vielmehr (Massen-) Kommunikationsmittel, welche es den Agierenden erlauben, selbst in Aktion zu treten und Dialoge und gegenseitigen Austausch zu verarbeiten und betreiben.

Die Geschichte der digitalen Kommunikation beginnt mit einer Utopie. So schrieb bereits 1968 Joseph Carl Robnett Licklider, ein in der Exegese und Interpretation der anfänglichen Kommunikationsgeschichte des Digitalen wegweisender amerikanischer Psychologieprofessor, euphorisch: „ Unemployment will disappear from the face of the earth forever, for consider the magnitude of the task of adapting the network‘s software to all the new generations of computers, coming closer and closer upon the heels of their predecessors until the entire population of the world is caught up in the infinite crescendo of on-line interactive debugging.“ 12

1973, fünf Jahre nachdem Licklider diese Stellungnahme zur digitalen Kommunikation in Kooperation mit Robert Taylor veröffentlichte, entstand die erste E-Mail. Die Verbreitung der E-Mail als Kommunikationsmedium hatte unerwarteten und augenblicklichen Erfolg und brachte die Möglichkeit der orts- und zeitindependenten, schnellen Kommunikation auf einen nie da gewesenen Höhepunkt. Der digitale Computer, durch den E-Mails versendet werden konnten, ermöglichte nun eine völlig neue Art der Kommunikation, weshalb dem digitalen Computer schon von Anbeginn an menschliche Züge zugeschrieben wurden. Er sei intelligent, autonom, multitaskingfähig und konsequent.13 Die Attraktivität der digitalen Kommunikation durch E-Mails lag besonders in der Flexibilität. Die digitalen Nachrichten zeichneten sich dadurch aus, dass sie von überall aus möglich und asynchron übermittelbar waren. Doch keineswegs war diese Art von Kommunikation von Anfang an bereits völlig ausgereift. Auch in der digitalen Kommunikation taten sich für die Ausführung der Kommunikation Störfaktoren auf. Hürden stellten anfangs die hohen Kosten für Computer dar.14 Rückblickend betrachtet war auch die Unhandlichkeit der Geräte, sowie die umständliche Art und Weise der Technologie, durch die die digitale Kommunikation ermöglicht wurde, aber auch die Dezimierung der beanspruchten Sinneswahrnehmungen, durch die Missverständnisse in der Kommunikation wahrscheinlicher wurden,15 als dies der Fall in der analogen und persönlichen Interaktion war und ist, problematisch. Jedoch war bereits zu Beginn auch evident, dass die Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft waren: Taylor und Licklider schrieben bereits 1968 in Rückbezug auf Oliver Selfridge, der zehn Jahre zuvor einen Vortrag zur Simulation von Lernprozessen mithilfe intelligenter Technologie geschrieben hatte, über die „Intelligenz“ eines zum Teil autonomen Programms namens „OLIVER“. Dieses Programm konnte einen Nutzer oder eine Nutzerin von einem Computer analysieren und personenspezifische Angebote von Informationen darlegen. So konnten nicht nur die noch ausstehenden technischen Möglichkeiten, sondern auch diejenigen Möglichkeiten, die zur digitalen Kommunikation beitrugen, erheblich erweitert werden. Retrospektiv betrachtet ist diese Technik der Vorläufer der überall im Netz zu Marktzwecken benutzten Algorithmen.16 Man denke hierbei zum Beispiel an Social Bots oder die in der Netzkommunikation angewendeten Filterblasen, in denen sich Nutzer:innen oftmals unwissend wiederfinden, da deren Interessen durch Algorithmen analysiert werden. So werden zum Beispiel im Social-Media-Bereich nur oder hauptsächlich Beiträge von Menschen angezeigt, die dieselben Präferenzen teilen oder Beiträge posten, dessen Inhalt den Interessen der Nutzer:innen entspricht, sodass Interaktionen nahezu nur mit ähnlich Gesinnten möglich sind, oder an Social Bots.17

Als bedeutend in der Entwicklung der digitalen Kommunikation trat das Forschungsprojekt „CERN“ in Genf hervor, eine Europäische Organisation für Kernforschung des Militärs, das 1989 das World Wide Web entwickelte, welches 1993 für die Öffentlichkeit freigegeben wurde. Es formte sich die digitale Kommunikation zu einem Medium, das weitere Grenzen überschritt. Zunächst war es für den internen militärischen Gebrauch gedacht, wurde aber aufgrund der einfachen Applikationsmöglichkeit für die öffentliche Nutzung freigegeben. Das World Wide Web stellte Dienste grafisch dar und bot die Möglichkeit einer Übersicht der Angebote.18 Das Internet ermöglichte im Anschluss eine Annäherung zur Realisation der bis dahin noch durch fehlende praktische Umsetzung begrenzten utopischen Ideen: Am 28. Februar 1990, 27 Jahre nach der ersten E-Mail, ersetzte das Internet das „ARPANET“ des Militärs, welches wiederum bereits 1983 vom „MILNET“ ersetzt wurde.19 Zeitgleich zum World Wide Web wurde im selben Jahr, 1993, die erste Short Message Service (SMS) verschickt.20 Die SMS verstand sich als kurze Nachricht, die auf eine Zeichenanzahl von 160 Zeichen begrenzt war und den Vorteil gegenüber der E-Mail brachte, dass sie von überall aus durch mobile Endgeräte gesendet werden konnte. Sie brachte die Mobilität der digitalen Kommunikation auf eine neue Ebene der Konnektivität und Vernetzung.

1996 schließlich brachte Nokia das erste Global Massaging Service- Smartphone heraus: das Nokia 9000. Erstmalig wurde hier die Möglichkeit, SMS und E-Mails zu versenden, in ein Gerät fusioniert. Es hatte darüber hinaus weitere multilaterale Funktionen und war internetfähig.21

Durch diese technischen Entwicklungen sind Menschen nun in der Lage, mithilfe von Computern dem menschlichen Desiderium nach Erreichbarkeit umfangreich gerecht zu werden. Die Wurzel der intelligenten Computer liegt bereits in der Idee zu einer leistungsfähigen Rechenmaschine bei Alan Turning 1937 und John von Neumann.22 Durch die Kombination von Medientechnologie, dem Computer und der Weiterentwicklung dieser zu tragbaren Computern, wie Tablet, Laptop, Smartwatch oder Handy, wurde die digitale Kommunikation von festen Orten schließlich vollends entkoppelt und asynchron. Web-Chats, Newsgroups, Web-Logs, besonders der sozialen Medienkanäle wie Facebook (seit 2004), Instagram (seit 2010) oder Snapchat (seit 2011), mit denen angemeldete Nutzer:innen sich über Fotos, Videos, Kommentare oder Blog-Einträge austauschen können, bieten die Möglichkeit, auf vielfältige Weise, schnell und übersichtlich über Handy, Tablet, Laptop oder Computer kommunizieren zu können. Sie brachten der spätmodernen Gesellschaft die Möglichkeit, ständig und von überall aus mit anderen Menschen der ganzen Welt zu interagieren. Der Informatiker Mark Weiser konstatierte hierzu schließlich passend: „ The most profound technologies are those that disappear. They weave themselves into the fabric of everyday life until they are indistinguishable from it.23

Genau zwanzig Jahre nach der Stellungnahme von Mark Weiser bewahrheitet sich seine Einschätzung mehr denn je: Durch die Covid-19-Pandemie beginnend im Jahr 2020 und den deutschlandweiten zeitweisen Lockdowns sind Menschen nun mehr denn je im Alltag auf die digitale Kommunikation angewiesen. Dabei mussten sich nicht nur digitale Interaktionen in vielen Segmenten schnell und mit hohem Wirkungsgrad ausbreiten, sondern auch die Gesellschaft ist zu einer in der Geschichte unvergleichlichen Ansammlung von Individuen in Form der „homo digitales“ und von Digitalem abhängig geworden.24

Die Entwicklung der digitalen Kommunikation ist also vielschichtig. Rückblickend betrachtet stellte das Militär anfangs die einzige Instanz dar, die zu Beginn der Entwicklung des Digitalen die finanziellen Möglichkeiten hatte, eine technologische Errungenschaft wie das Internet, welche das Fundament für die derartige Entwicklung des Digitalen darstellte, zu finanzieren und zu verwirklichen. Aber auch die technische Entwicklung von Browsern, Java und die diese Art von Kommunikation vorantreibenden „neuen“ Medien waren Voraussetzungen für die schnelle und erfolgreiche Geschichte der digitalen Interaktionsmöglichkeiten, die sich uns heute bietet. Die Entwicklung darf also nicht einseitig betrachtet werden: Die Fortschritte des Digitalen unterlagen zu jeder Zeit Umständen, die zu einem Erfolg oder Misserfolg ihrer Forschungen und Veröffentlichungen führten. So zum Beispiel hatte der sich bereits im kalten Krieg anbahnende Skeptizismus in Bezug auf den Kapitalismus Auswirkungen auf einen Wechsel zum Postfordismus, genauso wie Makro-Trends auf die wachsende Individualisierung.25 So kann man also davon ausgehen, dass der „Boom“, den diese Art von effizienter digitaler Kommunikation durch das Medium des Tablets, Handys oder des Internets erlebt hat, vielen verschiedenen Umständen unterlegen war und mit diesen in einer reziproken Beziehung stand. Die Individualisierung beispielsweise wurde auch durch die digitalen Fortschritte vorangetrieben.26 Dass das Internet, welches diese Art von webbasiertem Austausch erst möglich machte, seinen gesamten Ursprung im Kriegsdienst des Militärs hätte und es dann lediglich — quasi als Epiphänomen — zur Inanspruchnahme für die Öffentlichkeit bereitgestellt wurde, betrachtet nicht die ganzen Tatsachen.27 Mittlerweile hat die neue Technologie schließlich eine so große Signifikanz inne, dass sich Begriffe wie „Digital Natives“, „Deep Mediatization“28 oder „Digitale Kultur“ etabliert haben, die deutlich machen, wie digitale Medien soziale Strukturen, Beziehungen und Kommunikationspraktiken geprägt haben.

2.3. Eine Erörterung ausgewählter Aspekte der heutigen digitalen Kommunikation im Hinblick auf Gesellschaft und Individuum

Offensichtlich hat die digitale Kommunikation unabhängig von ihrer Provenienz einen Progress erfahren, der eine gewisse, nie dagewesene, unvorhersehbare Eigendynamik entwickelt hat, welche nicht zuletzt Auswirkungen hat auf Lebensbereiche wie beispielsweise die Ökonomie, Politik, aber auch die Freizeitgestaltung vieler Menschen. Die Theologin Johanna Haberer behauptet sogar, dass die Erfindung des Internets eine von vier Menschheitsentwicklungen war, die die Kultur grundlegend verändert haben (neben dem Erlernen des Sprechens, des Schreibens und dem Buchdruck).29 Der Soziologe Andreas Reckwitz hingegen betrachtet die spätmoderne digitale Technologie kritischer als „ Kulturmaschine “ und begründet dies damit, dass die moderne Unterhaltungstechnologie im Vergleich zur „ alten Technik der Industriegesellschaft “ die Kulturalisierung der Gesellschaft (gefährlich) forciert, indem sie diese rezipiert und virtuell iteriert.30 Beide Betrachtungsweisen machen dabei die Relevanz der Digitalität in heutiger Zeit deutlich. Es drängt sich deshalb die Frage auf, inwieweit diese „ grundlegende Menschheitsentwicklung “ oder „ Kulturmaschine “ sich auf die Gesellschaft und später auch das Menschenbild auswirkt. Im Folgenden werden diesbezüglich fünf Thesen aufgestellt, die jeweils erläutert und diskutiert werden.

2.3.1. Erste These: Interaktionsmöglichkeiten und deren Nutzung

These 1: Die einzelnen Kommunikationsmöglichkeiten des Digitalen diversifizieren zwar die Kommunikation mit Mitmenschen im Alltag, jedoch differieren sie jeweils durch den Grad an Interaktionsmöglichkeiten und der tatsächlichen Nutzung dieser Möglichkeiten.

Jede:r kann und niemand muss Fabrikant:in bzw. Teilhaber:in von und an Interaktion sein und digitale Interaktionsgelegenheiten nutzen. Andreas Reckwitz stellt in diesem Zusammenhang fest: Die Vernetzung der Internetnutzer:innen im virtuellen Raum im Sinne einer kommunikativen Eigenproduktion „ bringt ganz generell eine strukturelle Asymmetrie zwischen einer extremen Überproduktion von Kulturformaten (…) und einer Knappheit der Aufmerksamkeit der Rezipienten hervor.“ 31 Die Theologin Constanze Constanza spricht hier in Anlehnung an Markt- und Konsumkontexten von „ Prosumern “, was eine Mischung aus „Producer“ und „Consumer“ bedeutet. Dieses mache deutlich, dass prinzipiell jeder zum und zur Produzierenden und Konsumierenden von digitalen Inhalten werden kann. Durch das Interesse an einer Rückkopplung, das heißt einer Reaktion, ist das Individuum, das bedeutet der Nutzer beziehungsweise die Nutzerin immer in Kontakt zur Öffentlichkeit und hat nicht nur ein Interesse an der Resonanz eines Gegenübers, sondern ist auf dessen Replik gar angewiesen, denn ansonsten scheitert die intendierte Interaktion. Diese Tatsache wird dadurch verstärkt, dass eine gewisse Disproportion besteht zwischen dem Begehren des Inhaltproduzenten nach Aufmerksamkeit und der begrenzten Kapazität der Zuschauenden. Aus diesem Grund scheint nicht alle digitale Kommunikation zu gelingen. Problematisch ist derweil, dass das Resonanzbegehren das Potential hat, übermächtiges Verlangen zu werden, vergleichbar mit einer Sucht. Verstärkt wird die Asymmetrie durch die sogenannten Filterblasen, in denen einzelnen Nutzern jeweils mithilfe von Algorithmen individuell nur ein kleiner Teil der verfügbaren möglichen „Gegenüber“ angezeigt wird, sodass viele kleine Publika entstehen, wobei andere Publika für den und die Nutzenden nur begrenzt visibel sind und aktiver Ansprache bedürfen. So kann es passieren, dass auf eine Aktion keine Reaktion folgt oder auf einen Kommentar kein Gegenkommentar, da diese entweder in der Masse der zur Verfügung stehenden Kommentare — seien es öffentliche, beispielsweise in sozialen Medien, oder private, beispielsweise durch private Messenger-Dienste — untergehen oder außerhalb des üblichen Algorithmus zum Beispiel von sozialen Medien liegen und nicht mehr von der Aufmerksamkeit der Adressierten erfasst werden, ob absichtlich — etwa durch selbst gesetzte Filter — oder ungewollt — durch Algorithmen. Das führt zu einem Dilemma, denn die Begierde des auf Resonanz Hoffenden wird nicht gestillt.

Für den analogen Austausch kann dieses Vakuum aber auch von Nutzen sein: Analoger Diskurs ist nicht so sehr von einer Knappheit an Aufmerksamkeitsangeboten geprägt. So kann diese Resonanzenttäuschung auch zu einem neuen Bewusstsein in Bezug auf analoge Kommunikation führen, denn diese hat eine größere Chance, das Bedürfnis des Menschen nach Resonanz zu befriedigen und bringt der „Face-to-Face“ Kommunikation dann einen neuen hohen Stellenwert.

Innerhalb der Gruppe der Menschen, die digitale Kommunikation nutzen, gibt es nicht zu missachten auch Nutzer:innen, die zwar Profile in diversen sozialen Medien besitzen, jedoch keinen eigenen Inhalt produzieren, nur passiv partizipieren und keinen Wunsch nach Resonanz zeigen. Diese bleiben dort lediglich Zuschauer:innen und bilden stets das (anonyme) „Gegenüber“ des und der sich Offenbarenden auf der anderen Seite.32 Sie nehmen zwar teil an digitaler Öffentlichkeit, isolieren sich jedoch von der Gesellschaft, sodass sie beinahe unsichtbar in dem Kosmos der digitalen Kommunikation werden. Vergleichbar ist dies mit der Situation in der analogen Welt, in der eine Öffentlichkeit oder eine Gruppe zu einem bestimmten Beitrag — im Digitalen würde man vom Anglizismus „Posting“ sprechen — diskutiert und innerhalb dieser Öffentlichkeit Einzelne dieses zwar wahrnehmen, jedoch nicht in Interaktion mit anderen (Kommentatoren, Teilhabern oder Wahrnehmenden) treten. Diese Personengruppe stellt jedoch eine Minderheit dar und lässt sich nur auf soziale Medien übertragen, in der Regel jedoch nicht etwa auf digitale Messenger-Dienste, da diese die affektive Resonanz eines Gegenübers unmittelbar fordern, denn hierbei handelt es sich häufiger um eine Eins-zu-Eins Kommunikation, im Gegensatz zu der Massenkommunikation der sozialen Medien, die zugänglich ist für eine gewisse größere Öffentlichkeit.

Anders herum kann es allerdings passieren, dass Nutzer:innen unwillkürlich zur Interaktion gezwungen werden: Es entsteht ein Reaktionszwang durch Eins-zu-Eins Kommunikation, Verlinkungen von Personenprofilen und durch die Option, Inhalte zu teilen und diese an andere weiterzuleiten. Dadurch werden die Empfänger:innen oder Verlinkten zur Interaktion genötigt. Ihnen bleibt schlussendlich zwar die Möglichkeit, Interaktion viel einfacher aufgrund der niedrigeren Hemmschwelle und der gewissen Distanz, die die Digitalität mit sich bringt, als es in analoger Kommunikation möglich wäre, zu verweigern und die Ansprache zu ignorieren. Nichtsdestotrotz entsteht ein ethischer Konflikt, denn Formen der Höflichkeit fordern streng genommen die Interaktion. Oft fallen in diesem Zusammenhang der digitalen Kommunikation allerdings Formen der Galanterie, wie Expressionen der Ansprache, zugunsten der immer beliebter und radikaler werdenden Verknappung von Texten weg,33 was dazu führt, dass das Ernstnehmen des Gegenübers in der kollektiven Rezeption potentiell in den Hintergrund rücken kann. Vor diesem Hintergrund ist ein Hader der in Interaktion Gezwungenen nachvollziehbar, denn eine Achtung durch Mitmenschen und das Gefühl wahrgenommen zu werden fördern erst die Lust zur Interaktion. Der Verlust oder die Verknappung von Galanterieformen wiederum deuten darauf hin und unterstützen die Annahme, dass das Ansinnen der Ansprache keines ist, das an dieses spezielle Individuum mit seiner Identität gerichtet ist, wie es vornehmlich in analoger Kommunikation der Fall ist, sondern unter Umständen dem narzisstischen Sehnen nach Vergewisserung des Selbst geschuldet ist. Stimmt diese Annahme, dann liegt der Fokus der webbasierten Kommunikation weniger auf der Kommunikation an sich, sondern vielmehr auf dem Inhalt des Kommunizierten. Dies wiederum führt zur zweiten These.

2.3.2. Zweite These: Öffentlich geteilte private Inhalte

These 2: Soziale Medien verleiten dazu, private Inhalte öffentlich zu teilen, was wiederum Auswirkungen auf Individuen und die Wahrnehmung der analogen Gesellschaft auf jene hat.

Die Distinktion der Kategorien von privat und öffentlich ist ein modernes Phänomen, das jedoch durch webbasierte Möglichkeiten bereits enthierarchisiert wird mithilfe einer Hemmschwellenverschiebung.34 Konkret findet im Rahmen der Veröffentlichung von Inhalten eine Grenzverschiebung statt, die die Hemmschwelle, Privates öffentlich zu machen, nach unten korrigiert. Ein dies befruchtender, naheliegender Grund, dass private Inhalte öffentlich geteilt werden, ist der bereits angerissene Wunsch nach Feedback und Reflexion, nach dem Nachsehen seiner Selbst und der Bestätigung der eigenen Person. Der und die Nutzende, der beziehungsweise die seine und ihre Inhalte teilt, differenziert potentiell nicht, ob es sich bei einem Kommentar oder einem Feedback anderer um eine Resonanz in Bezug auf das Ich des inhalteteilenden Subjekts oder das Abbild dessen, welches naturgemäß immer nur einen Ausschnitt des Selbst beinhalten kann, handelt. Das liegt einerseits darin begründet, dass einerseits durch die Einschränkung an der digitalen Kommunikation zur Verfügung stehenden Sinnesreizen, die dem Gegenüber geboten werden, nicht die gesamte Person in den Fokus rücken kann. So inszeniert und produziert sich das Individuum selbst und vermarktet ein Abbild seiner selbst online in der Rolle eines Identitätsmanagers oder einer Identitätsmanagerin für das digitale Abbild der eigenen Person stärker, als es in der analogen Realität der Fall ist. Die Unterscheidung zwischen analogem, echtem Selbst und dem Abbild des Selbst des Produzierenden des Inhalts tritt dabei in den Hintergrund. Das Individuum wird zu einem inkompletten Abbild seiner selbst, einem fragmentierten Selbst, das immer nur einzelne, zumeist die subjektiv als besser bewerteten, Seiten des tatsächlichen Selbst zeigt. Andererseits liegt dies an dem Mangel von Mimik, Gestik oder Tonfall innerhalb der digitalen Kommunikation, welche sich beispielsweise mittels Bild oder Text vollzieht, die in der analogen Interaktion Interpretationshilfen zum richtigen Verstehen von Inhalten bietet. Das Subjekt versucht dabei trotz der Fragilität einer gelingenden Kommunikation immer, sein Abbild authentisch zu präsentieren.35

[...]


1 Pannenberg, Wolfhart: Was ist der Mensch? Die Anthropologie der Gegenwart im Lichte der Theologie, in: Kleine Vandenhoeck Reihe, Bd. 1139 7, Göttingen 2011, S. 95.

2 Von Scheliha, Arnulf: Homo digitalis? Anthropologische Erwägungen zu den Chancen und Grenzen digitaler Kommunikation, in: Dokumentation, Bd. 20, Frankfurt/Main 2021, S. 4.

3 Weber, Stefan: Medien - Systeme - Netze. Elemente einer Theorie der Cyber- Netzwerke, Bielefeld 2001, S. 7.

4 Vgl. Eickelmann, Johanna: Hate Speech und Verletzbarkeit im digitalen Zeitalter. Phänomene mediatisierter Missachtung aus Perspektive der Gender Media Studies, Bielefeld 2017, S. 19.

5 Huizing, Klaas; Rupp, Horst: Medientheorie und Medientheologie, Münster 2003, S. 8.

6 „Man kann nicht nicht kommunizieren." - in: Watzlawick, Paul; Beavin, Janet; Jackson, Don: Menschliche Kommunikation, Stuttgart/ Wien 1969, S. 53.

7 Huizing, Klaas; Rupp, Horst: Medientheorie und Medientheologie, S. 6.

8 Der Soziologe Niklas Luhmann ist Autor des berühmten hierzu passenden Zitates: "Kommunikation ist unwahrscheinlich. Sie ist unwahrscheinlich, obwohl wir sie jeden Tag erleben, praktizieren und ohne sie nicht leben würden." In: Jahraus, Oliver (Hg.): Aufsätze und Reden, Stuttgart 2001, S.78. Diese Feststellung markiert gleichzeitig nicht nur die oben erwähnte Relevanz für das Gelingen einer Gesellschaft, sondern auch diejenige für das Individuum.

9 Misoch, Sabine, Online- Kommunikation, Konstanz 2006, S. 33ff.

10 Huizing, Klaas; Rupp, Horst: Medientheorie und Medientheologie, S. 7.

11 S. Misoch, Online- Kommunikation, S. 37.

12 Zu deutsch (gemäß eigener freier Übersetzung): „Arbeitslosigkeit würde für immer von der Erdoberfläche verschwinden, denn nähme man die Größe der Aufgabe in Angriff, die Netzwerk-Software auf alle Generationen von Computern anzuwenden, käme man den Vorhergehenden mehr und mehr auf die Fersen, bis die gesamte Bevölkerung der Welt eingenommen ist von dem unendlichen Crescendo der interaktiven Online-Fehlerbehebung.“, Systems Research Center (Hg.), In Memoriam: J.C.R. Licklider 1915-1990, Research Report Band 61 , Californien 1990, S. 31.

13 Schröter, Jens: Das Netz und die virtuelle Realität, Bielefeld 2004, S. 10.

14 Das erste Smartphone beispielsweise kostete so viel wie ein Kleinwagen.

15 Fachterminologisch spricht man von der „ Kanalreduktionsthese “, die konstatiert, dass durch digitale Kommunikation die Sinnesfähigkeiten der Nutzer:innen reduziert und neuronale Schaltkreise geschwächt werden. Aus: Döring, Nicola: Modelle der Computervermittelten Kommunikation, in: Kuhlen, Rainer; Semer, Wolfgang; Strauch, Dietmar (Hg.): Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation, Berlin 2013, S. 426f.

16 Schröter, Jens: Das Netz und die virtuelle Realität, S. 56.

17 Zu Social Bots siehe Kapitel 2.3.5.

18 Misoch, Sabine: Online- Kommunikation, S. 44.

19 Schröter, Jens: Das Netz und die virtuelle Realität, S. 99f.

20 Weber, Heike: Das Versprechen mobiler Freiheit, Bielefeld 2015, S. 216.

21 Müller-Schloer, Christian: Embedded Microprocessor Systems, Amsterdam 1996, S. 161.

22 Reckwitz, Andreas: Gesellschaft der Singularitäten, Berlin 2021, S. 227.

23 Zu deutsch (gemäß eigener freier Übersetzung): „Die Technologien, die am tiefgreifendsten sind, sind diejenigen, die verschwinden. Sie weben sich in den Stoff des Alltags ein, bis es nicht mehr möglich ist, sie hiervon (dem Alltag) zu trennen.“ Weiser, Mark: The Computer for the 21st Century, in: Scientific American, Band 265, New York 1991, S. 94.

24 Von Scheliha, Arnulf, Homo digitalis?, S. 4.

25 C. Müller-Schloer, Embedded Microprocessor Systems, S. 286-290.

26 Reckwitz, Andreas, Gesellschaft der Singularitäten, S. 225-271.

27 Eine hierzu in Kritik stehende Position vertritt Stefan Weber, der das Internet als ein „Kind des Militärs und im speziellen Fall ein Kind des Kalten Kriegs“ darstellt. Dennoch räumt er ein: „(…) mit der Erfindung des World-Wide-Web lässt sich beobachten, dass das Internet vom Militär über die Wissenschaft mit stark wachsender Geschwindigkeit in alle übrigen sozialen Systeme eindringt.“ und dass es „keine Vorhersage-Möglichkeiten für die Evolution neuer Medien (…) gibt.“ in: Weber,Stefan: Medien - Systeme - Netze, S. 84.

28 Hepp, Andreas: Deep Mediatization. Key Ideas in Media and Culturas Studies, London 2020.

29 Haberer, Johanna: Digitale Theologie, München 2015, S. 11.

30 Reckwitz, Andreas: Gesellschaft der Singularitäten, S. 227.234.

31 Reckwitz, Andreas: Gesellschaft der Singularitäten, S. 238.

32 Hannelore Bublitz weist auf das oft abwertend genutzte Wort „Voyeurismus“ und reduziert den reinen Voyeurismus nur auf das „Zuschauen“. In: Bublitz, Hannelore: Im Beichtstuhl der Medien, Bielefeld 2010, S. 15f.

33 Gamper, Michael; Mayer, Ruth: Erzählen, Wissen und kleine Formen. Eine Einleitung., in: Gamper, Michael; Mayer Ruth (Hg.): Kurz & Knapp, Bielefeld 2017, S. 7-22.

34 Reckwitz, Andreas: Gesellschaft der Singularitäten, S. 237.

35 Reckwitz, Andreas: Gesellschaft der Singularitäten, S. 244-247.

Ende der Leseprobe aus 68 Seiten

Details

Titel
Digitale Kommunikation aus dem Blickwinkel christlicher Anthropologie. Eine Untersuchung zu ausgewählten Aspekten
Untertitel
Isolierung oder Solidarität?
Hochschule
Evangelische Kirche im Rheinland; Düsseldorf
Note
13 Punkte
Autor
Jahr
2021
Seiten
68
Katalognummer
V1214524
ISBN (eBook)
9783346663771
ISBN (eBook)
9783346663771
ISBN (eBook)
9783346663771
ISBN (Buch)
9783346663788
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theologie, Religion, Publizistik, Systematische Theologie, Praktische Theologie, Isolierung, Solidarität, Digitale Kommunikation, Christlich, Anthropologie, Pannenberg, Haberer, Reckwitz, Gesellschaft, Kultur, Evangelisch
Arbeit zitieren
Marie Marten (Autor:in), 2021, Digitale Kommunikation aus dem Blickwinkel christlicher Anthropologie. Eine Untersuchung zu ausgewählten Aspekten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1214524

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