Das literarische Gespräch

Austausch von Leseerfahrungen und Artikulation eigener Gedankengänge


Hausarbeit, 2006

20 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Was ist ein literarisches Gespräch?

3. Das literarische Gespräch im Unterricht

4. Verstehensprozess

5. Das literarische Gespräch in der Lehrerausbildung

6. Gesprächsleitung

7. Das literarische Gespräch in der fachdidaktischen Diskussion

8. Auswertung des literarischen Gesprächs über „Kriegskind“ von Xavier-Laurent Petit

9. Schluss

10. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit dem Thema „Das literarische Gespräch“. Dabei handelt es sich um ein angeleitetes, aber nicht gelenktes Gespräch, indem es in erster Linie um den Austausch von Leseerfahrungen und die Artikulation eigener Gedankengänge geht. Das Gespräch ist zudem nicht lehrerzentriert, sondern ein schüler-kooperierendes Verfahren und hat im Literaturunterricht des Faches Deutsch eine zentrale Bedeutung. Es ist eine Alternative zum fragend- entwickelten Unterricht, der viele Nachteile für die Schüler birgt.

In meiner Arbeit werden zunächst mehrere Definitionen zum Begriff des literarischen Gesprächs vorangestellt und der Ablauf solcher Gespräche erläutert. Einen Schwerpunkt habe ich auf das Thema „Das literarische Gespräch im Unterricht“ gelegt, da es, gerade für Lehramtsstudenten, grundlegend ist und man sich mit diesem zentralen Thema schon in der Ausbildung auseinandersetzen sollte. Im Anschluss steht der Verstehensprozess im Mittelpunkt, welcher eine entscheidende Rolle im literarischen Gespräch spielt. Sehr zentral ist auch der Umgang mit dem literarischen Gespräch in der Lehrerausbildung, was ich in Punkt 5 näher darstellen und beleuchten möchte.

Im Anschluss fügt sich in recht ausführlicher Weise die Gesprächsleitung an, auch hier sollten in der Lehrerausbildung Kompetenzen erworben werden.

Das literarische Gespräch in der fachdidaktischen Diskussion stellt den nächsten Gliederungspunkt meiner Hausarbeit dar. Hier wird unter anderem ein Bezug zur PISA- Studie hergestellt. Es folgt eine kurze Auswertung des literarischen Gesprächs über den Roman „Kriegskind“ von Xavier-Laurent Petit.

Abschließend formuliere ich meine eigene Meinung, fasse mir Wichtiges zusammen und gebe einen kleinen Ausblick.

2. Was ist ein literarisches Gespräch und wie läuft es ab?

Das literarische Gespräch ist im Deutschunterricht von zentraler Bedeutung. Gerade in Gymnasien wird der Schwerpunkt auf textanalytisch fundierte Interpretationen gelegt.

Meist steht eher ein lebendiger Austausch, vor allem von Leseerfahrungen, aber auch von Meinungen, Fragen und Interesseäußerungen im Mittelpunkt. Das literarische Gespräch ist ein Artikulationsmedium von ersten Leseeindrücken und bietet in besonderer Weise die Möglichkeit, die eigenen Schemata in Frage stellen zu lassen, vorausgesetzt, man öffnet sich dem Gespräch und will nicht einfach nur Recht behalten[1]. Es ist ein Medium der gemeinsamen Reflexion über einen Text.

Schüler sprechen ohne weitere Hilfsmittel über einen Text, den sie zuvor ganz gelesen haben, wobei sich das literarische Gespräch grundsätzlich nicht von den auf Erkenntnis ausgerichteten Alltags- und Fachgesprächen unterscheidet[2].

Das Gespräch bietet weitere Vorteile, beispielsweise lernen die Schüler den Umgang mit Menschen, Respekt vor Menschen mit einer anderen Meinung und das Aufeinander-eingehen kennen. Die Lehrerdominanz wird im Vergleich zum fragend-entwickelten Verfahren abgebaut. Allerdings bringt das literarische Gespräch auch Nachteile mit sich:

Einerseits lassen sich die Gespräche nicht leicht in einer Großgruppe, wie einer Klasse realisieren, auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass man Äußerungen einer Minorität von Schülern als gemeinsam erarbeitetes Interpretationsergebnis deutet[3].

Außerdem kann man das literarische Gespräch differenzieren. Dem im Sinne der Frankfurter Gruppe entwickelten literarischen Gespräch steht ein Moderator vor. Dadurch soll die Lehrerdominanz abgebaut und ein möglichst herrschaftsfreier Diskurs ermöglicht werden. Die Mitarbeiter des Heidelberger Projektes hingegen gehen von einem geleiteten Gespräch aus, und kritisieren das in Frankfurt entwickelte moderierte literarische Gespräch. Im Sinne des Heidelberger Projektes wird die Aufgabe der Leitung beispielsweise von der Lehrperson übernommen, sie grenzt sich dabei stark von der Moderation und der Steuerung ab. Außerdem darf sich der Gesprächsleiter selbst in das Gespräch einbringen und seine subjektiven Standpunkte vertreten, was im moderierten literarischen Gespräch nicht der Fall ist[4]. Der Leiter des Gesprächs ist also ein gleichberechtigter Mitinterpret.

In der Regel finden literarische Gespräche mit einer überschaubaren Anzahl von Personen als Kreisgespräche statt. Ein Moderator leitet das Gespräch (im Frankfurter Modell).

Zunächst läuft das Gespräch so ab, dass Anfang und Ende des jeweiligen Textes oder Buches vom Moderator vorgelesen werden. In der darauf folgenden Vorleserunde wählt jeder Schüler eine Textstelle aus, die ihm besonders beliebt, welche sehr interessant erscheint oder aufschlussreich ist und liest diese vor. Einer beginnt, die Schüler entscheiden selbst, wer jeweils spricht. Es knüpft sich das so genannte Blitzlicht an. Jeder gibt einen möglichst kurzen Kommentar oder seine Meinung zum gelesenen Werk ab. In der nun folgenden Diskussion werden Themen und Probleme aufgegriffen und besprochen.

Während des Gesprächs sollte sich der Moderator, meist die Lehrperson, mit eigenen interpretatorischen Beiträgen, Bemerkungen und Kommentaren zurückhalten, um zu frühe Äußerungen ausschließen zu können und somit der Produktivität der Schüler nicht im Wege zu stehen. Die Lehrperson soll sich mehr auf die Leitung des Gesprächs konzentrieren.

Steht die Diskussion einmal still, soll der Lehrer die Schüler nicht mit Fragen konfrontieren, für die sofort eine abrufbereite Antwort bereitsteht. In einem solchen Fall sollen Impulse gegeben werden, die die Schüler zum Überlegen anregen und die zum Verstehensprozess beitragen. Hier steht also nicht das Fragen beantworten, sondern das Problemlösen im Vordergrund.

3. Das literarische Gespräch im Unterricht

In der Literatur gibt es, wie in anderen Fächern auch, vielfach Kontroversen, Streits und Meinungsverschiedenheiten, beispielsweise, wenn es um die Frage des Kanons geht. Es wird darum gestritten, ob es einen Kanon geben soll, das heißt, verbindliche Werke, die jeder Schüler lesen muss und welche dies sein sollen oder ob es so etwas wie den Kanon gar nicht geben soll. Momentan besteht kein offizieller Kanon, aber man spricht von einem so genannten „heimlichen Kanon“, es gibt also Werke, die beispielsweise in der Oberstufe von fast jedem Kurs gelesen werden. Zu nennen wären hier beispielsweise „Faust“ oder „Effi Briest“. Eng mit dem Kanon-Streit verknüpft ist die Frage nach den entsprechenden oder richtigen Methoden des Literaturunterrichts.

Das Gespräch über Literatur war bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts die Methode der Wahl, andere Verfahren spielten nur eine geringe Rolle[5].

Heute spielen im Literaturunterricht das Gespräch über Literatur durch das fragend-entwickelnde Gespräch und das durch den Lehrer geleitete Interpretationsgespräch die wesentlichsten Rollen. Allerdings ist dieser Umstand keineswegs erwünscht, vor allem weil es das eigenständige Denken einschränkt und die Abhängigkeit der Schüler vom Lehrer steigert.

Das gelenkte Interpretationsgespräch war nach dem 2. Weltkrieg, aber auch noch bis Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre die dominierende Methode im Literaturunterricht. Erst Mitte der 70er Jahre dachten vor allem Vertreter der „Kritischen Didaktik“ über neue Methoden nach. In den 80ern wurden Unterrichtskonzepte entwickelt, die den Kanonstreit wieder entfachten und mit ihm den Methodenstreit[6]. Auf der einen Seite wollte man Grund- Haupt- und Realschülern die Lust am Lesen, durch das Lesen von Freizeitlektüre, in der Schule näher bringen. Der Austausch der Leseerfahrungen spielt hierbei die zentrale Rolle. Auf der anderen Seite wollte man am Kanon und dem gelenkten Interpretationsgespräch festhalten, Unterricht sollte durch produktivere Verfahren des Textumgangs attraktiver gestaltet werden. Beim lernzielorientierten Interpretationsgespräch können Leseerfahrungen in einem offenen Gespräch ausgetauscht werden. Es wird von der Grundannahme ausgegangen, dass das einsame Lesen sehr produktiv und identitätsstiftend sei[7].

Während der 90er Jahre entwickelte sich das Gespräch über Literatur im Unterricht zu einem eigenen Themenschwerpunkt in der Forschungsdiskussion. Auch heute wird noch kontrovers über das literarische Gespräch diskutiert und geforscht.

Die eigentliche Aufgabe von Schule und Unterricht ist es, Lernprozesse anzuregen, diese zu steuern und zu kontrollieren. Um die „Verhaltensänderungen auf vorgegebene Verhaltens-

normen hin“ Wirklichkeit werden zu lassen, müssen verschiedene Unterrichtsformen wie beispielsweise im Gespräch die darstellende, die erarbeiten- lassende und die entdecken-lassende Unterrichtsform zum Einsatz kommen[8].

Weiterhin hat die Gesprächserziehung, vor allem durch das literarische Gespräch, einen hohen Stellenwert in Grund-, Haupt-, und Realschulen. Hier muss in besonderem Maße auf die Interpretationsdifferenzen geachtet und diese auch toleriert werden.

Das literarische Gespräch ersetzt allerdings nicht die Vermittlung literarischen Wissens in Lehr- Lern- Diskursen, stellt aber eine Alternative hierzu dar. Als produktives Verfahren im Umgang mit Texten scheint es vereinbar zu sein.

Generell wird das literarische Gespräch im Unterricht oft durchgeführt, allerdings kaum zum Meinungs- und Gedankenaustausch der eigenen Leseerfahrungen, sondern eher, um einen Text zu deuten, also des interpretatorischen Willens wegen. Dies ist vor allem in Gymnasien der Fall.

Vertreter der Kinder- und Jugendliteratur fordern eine „Entschulung“ des Literaturunterrichts zur Annäherung von Freizeit- und Schullektüre, aber viele Kritiker halten dagegen, dass sich die Pennäler, wenn überhaupt, mit der Freizeitlektüre nicht derart auseinandersetzen, wie das im Unterricht geschehen sollte[9].

Als Aufgabe des literarischen Gesprächs im Unterricht wird nicht die geschlossene Interpretation eines Textes gesehen, sondern die Entfaltung von Textsinn im Gesprächs-prozess[10]. So hat der Literaturunterricht zwei wesentliche Aufgaben:

Er soll unterschiedliche literarische Rezeptionskompetenzen vermitteln, aber auch die Fähigkeit des Schülers schulen, sich mit einem Text auseinandersetzen zu können und sich mit diesem vertraut zu machen. Deshalb ist es nötig, im Unterricht eine Phase für die Sozialform des freien Gesprächs zu schaffen und diese klar vom ursprünglichen Unterricht abzugrenzen.

Bei der theoretischen Begründung der Legitimation des literarischen Gesprächs im Unterricht steht der Verstehensprozess im Vordergrund[11].

Durch das Gespräch wird aber nicht nur Lese- und literarische Kompetenz, sondern auch Disziplinierung, Spontaneität und vor allem die Kommunikationsfähigkeit gefördert, was gerade in der heutigen Zeit eine wichtige Schlüsselkompetenz darstellt. Was mit Sorge beobachtet wird, ist die Tatsache, dass der Text dabei oft in den Hintergrund tritt.

Weiterhin sollte durch das Gespräch die literarische Verständigung durch die Vergewisserung über eigene und fremde Verstehensschemata verbessert werden[12].

In der Schule kommt es oft zur Dilemmasituation des Lehrers, ob er sich nun am Gespräch beteiligen oder eher abstinent verhalten soll. Normalerweise sollte sich die Lehrperson auf die Moderation des Gesprächs konzentrieren und mit seinen Auffassungen, Meinungen und Bemerkungen zum Text zurücktreten. So wird den Schülern nichts vorweggenommen und die eigens erarbeitete Interpretation des Lehrers wird den Schülern nicht aufgedrückt. Weiterhin werden auch abwegig erscheinende Beiträge von Schülern zugelassen und können mit dem Text in Verbindung gesetzt werden. Auch der Enthusiasmus, den eine Lehrperson für einen Text hegt, den man eventuell auch schon öfter unterrichtet hat, kann als Dominanz der Lehrerrolle wirken und die Schüler in den Widerstand treiben. Somit würde die durch die Notenverteilungsmacht und die Überlegenheit des Lehrers an Wissen und Erfahrung ohnehin gegebene Asymmetrie der Unterrichtskommunikation verstärkt werden[13]. Es wird erkennbar, dass die Lehrperson die optimale Balance zwischen Interaktion, Beteiligung und Abstinenz finden muss, was nur möglich ist, wenn man sich Handlungs- und Leitungskompetenzen durch Erfahrung aneignet. Wie man sieht, spielt das Lehrerverhalten im Unterricht eine große Rolle und hat auch einen wesentlichen Einfluss auf die Verstehensleistungen der Schüler.

Mit Hinsicht auf die institutionellen Zwänge in der Schule stellt sich aber auch die Frage, inwieweit das Gespräch in diesem Rahmen überhaupt möglich ist oder schon von vornherein verzerrt wird. Hier spielen das Eingreifen oder Nichteingreifen der Lehrperson sowie der Notendruck die größten Rollen.

[...]


[1] Vgl. Christ, Hannelore; Fischer, Eva; Fuchs, Claudia; Merkelbach, Valentin; Reuschling, Gisela: „Ja aber es kann doch sein…“ In der Schule literarische Gespräche führen. Frankfurt am Main, 1995, S. 17, 33.

[2] Vgl. a. a .O., S. 119.

[3] Vgl. Härle, Gerhard; Steinbrenner, Marcus (Hg.): Kein endgültiges Wort. Die Wiederentdeckung des Gesprächs im Literaturunterricht. Hohengarten, 2004, S. 292.

[4] Vgl. Härle, Gerhard; Steinbrenner, Marcus; 2004, S. 293.

[5] Vgl. Härle, Gerhard; Steinbrenner, Marcus, 2004, S. 1.

[6] Vgl. Christ, Hannelore; Fischer, Eva; Fuchs, Claudia; Merkelbach, Valentin; Reuschling, Gisela, 1995, S. 8.

[7] Vgl. a. a. O., S. 9.

[8] Vgl. Ritz-Fröhlich, Gertrud: Das Gespräch im Unterricht. Anleitung, Phasen, Verlaufsformen. Bad Heilbrunn, 1982, S. 29.

[9] Vgl. Christ, Hannelore; Fischer, Eva; Fuchs, Claudia; Merkelbach, Valentin; Reuschling, Gisela, 1995, S. 35.

[10] Vgl. Härle, Gerhard; Steinbrenner, Marcus, 2004, S. 11.

[11] Vgl. a. a. O., S. 10.

[12] Vgl. Wieler, Petra: Gespräche über Literatur im Unterricht. Aktuelle Studien und ihre Perspektiven für eine verständigungsorientierte Unterrichtspraxis. In: Der Deutschunterricht, Jg. 50, H. 1, 1998, S. 36.

[13] Vgl. Härle, Gerhard; Steinbrenner, Marcus, 2004, S. 20.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Das literarische Gespräch
Untertitel
Austausch von Leseerfahrungen und Artikulation eigener Gedankengänge
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für deutsche Sprache 1)
Veranstaltung
Literatur und Schule
Note
2
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V121156
ISBN (eBook)
9783640252060
ISBN (Buch)
9783640252350
Dateigröße
468 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gespräch, Literatur, Schule
Arbeit zitieren
Katharina Keil (Autor:in), 2006, Das literarische Gespräch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121156

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