In der Arbeit wird untersucht, ob die Funktion der Urban Legends mit der der traditionellen Sagen vergleichbar ist.
Dabei wird zunächst auf die Merkmale beider Gattungen im Einzelnen eingegangen, um diese dann in einem Vergleich gegenüberstellen zu können. Urban Legends, ‚Moderne Sagen‘, hört man überall, in jeder Sprache und in allen sozialen Schichten. Jeder kennt mindestens eine, aber nur wenige sind sich dessen wirklich bewusst. Täglich finden sie in unterschiedlichsten Varianten an den verschiedendsten Orten der Welt statt. Trotzdem ist jede einzelne angeblich mit absoluter Sicherheit wahr und einzigartig und oft einem Freund eines Freundes selbst vor kurzem passiert.
In seinem 1981 erschienenen Buch „The Vanishing Hitchhiker: American Legends and their Meanings“ stellt der Folklorist Jan Harold Brunvand fest, dass Sagen, Legenden, Mythen und Folklore nicht nur bei sogenannten „primitiven“ oder traditionellen Gesellschaften vorkommen und man durch die Untersuchung solcher Sagen viel über urbane und moderne Kultur lernen kann.
In dieser Arbeit soll untersucht werden, was die moderne Sage über unsere Kultur preisgeben kann, und der These nachgegangen werden, die besagt, dass sie die gleiche Funktion aufweist wie die traditionelle Sage, in der Elfen, Zwerge und Riesen zu Hause sind und die wie keine andere Volkserzählung menschliche Angst thematisiert. Als Beispiel einer modernen Sage stelle ich die „Iss-Popcorn-trink-Cola-Studie“ vor. Obwohl dieses Ereignis und die Berichterstattung darüber genau genommen in dem großen Feld zwischen Gerücht, Verschwörungstheorie und moderner Sage anzusiedeln ist, zeigt sich hier besonders gut, wie es die Inhalte der Populärkultur beeinflusst, die wiederum die Motive der modernen Folklore bestimmt. So kann eine mögliche Entstehungsweise einer modernen Sage nachvollzogen werden.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Urban Legends
1. Iss Popcorn! Trink Cola!
2.1 Urban Legends und Folklore unserer Zeit
2.2 Die Funktion moderner Sagen
III. Traditionelle Sage und Märchen
1. Die Merkmale traditioneller Sagen und Märchen
2. Die Funktion traditioneller Sagen und Märchen
IV. Traditionelle und moderne Sage
1. Die Nähe zwischen Vergangenheit und Gegenwart
2. Die Funktion traditioneller und moderner Sage im Vergleich
V. Ausblick
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
I. Einleitung
Urban Legends, ‚Moderne Sagen‘, hört man überall, in jeder Sprache und in allen sozialen Schichten. Jeder kennt mindestens eine, aber nur wenige sind sich dessen wirklich bewusst. Täglich finden sie in unterschiedlichsten Varianten an den verschiedendsten Orten der Welt statt. Trotzdem ist jede einzelne angeblich mit absoluter Sicherheit wahr und einzigartig und oft einem Freund eines Freundes selbst vor kurzem passiert.
In seinem 1981 erschienenen Buch „The Vanishing Hitchhiker: American Legends and their Meanings“ stellt der Folklorist Jan Harold Brunvand fest, dass Sagen, Legenden, Mythen und Folklore nicht nur bei sogenannten „primitiven“ oder traditionellen Gesellschaften vorkommen und man durch die Untersuchung solcher Sagen viel über urbane und moderne Kultur lernen kann.[1]
In dieser Arbeit soll untersucht werden, was die moderne Sage über unsere Kultur preisgeben kann, und der These nachgegangen werden, die besagt, dass sie die gleiche Funktion aufweist wie die traditionelle Sage, in der Elfen, Zwerge und Riesen zu Hause sind und die wie keine andere Volkserzählung menschliche Angst thematisiert. Als Beispiel einer modernen Sage stelle ich die „Iss-Popcorn-trink-Cola-Studie“ vor. Obwohl dieses Ereignis und die Berichterstattung darüber genau genommen in dem großen Feld zwischen Gerücht, Verschwörungstheorie und moderner Sage anzusiedeln ist, zeigt sich hier besonders gut, wie es die Inhalte der Populärkultur beeinflusst, die wiederum die Motive der modernen Folklore bestimmt. So kann eine mögliche Entstehungsweise einer modernen Sage nachvollzogen werden.
II. Urban Legends
1. Iss Popcorn! Trink Cola!
Im September 1957 berichtete die US-amerikanische Presse über die subliminalen[2] Botschaften, die James Vicary[3] nach eigener Darstellung alle fünf Sekunden mit Hilfe eines Tachistoskopes[4] für Sekundenbruchteile in Kinofilme untergebracht hatte. Sie forderten die Kinobesucher auf, Popcorn zu essen und Coca Cola zu trinken („Eat Popcorn and Drink Coke“), womit Vicary über die Dauer von sechs Wochen den Umsatz von Cola um 18% und den Umsatz von Popcorn um 58% gesteigert haben wollte. Diese Aufdeckung brachte einen Sturm der Entrüstung in der Bevölkerung hervor, die Menschen fragten sich beängstigt, welche subliminalen Botschaften man mit dieser Methode sonst noch in ihr Unterbewusstsein transportieren könnte - oder bereits transportiert hatte! Ein US-amerikanischer Bundesausschuss und der Verband der Rundfunksender verbot daraufhin diese vermeintliche Werbemethode. Andere Länder zogen nach.
Die Begebenheit fand große Beachtung in der Populärkultur. Meist wird die Methode als extreme Form der Gehirnwäsche dargestellt, die sogar auch nur auf einzelne, vorher ausgewählte Personen wirken kann. Sie taucht in einem breiten Genre- und Zielgruppenspektrum auf, so zum Beispiel in der US-amerikanischen Zeichentrickserie „The Simpsons“, im Hollywood-Film „Fight Club“[5], in der Science-Fiction-Fernsehserie „Sliders“[6] oder in der Comic-Buchreihe „Lustiges Taschenbuch“. Im Jahr 1990 wurde die Rockgruppe „Judas Priest“ angeklagt, weil angeblich einer ihrer Songs subliminale Botschaften satanischen Inhalts enthielt, die zwei junge Männer in den Selbstmord getrieben hätten.
Unter der Leitung von Walter Weir wiederholte eine Gruppe unabhängiger Forscher 1984 Vicarys Experiment unter kontrollierten und nachvollziehbaren Bedingungen.[7] Es konnte keine Veränderungen im Kaufverhalten von derart beworbenen Produkten festgestellt werden. In einem Interview, das Vicary 1962 der Zeitschrift „Advertising Age“ gab, offenbarte er, dass es die sogenannte „Iss-Popcorn-trink-Cola-Studie“ nie gegeben habe. Einziger Zweck der Zeitungsente sei gewesen, für ein umsatzschwaches Marketing-Unternehmen neue Kunden zu gewinnen, was auch mit gutem Erfolg funktioniert hatte. Die Forscher Anthony Pratkanis und T.E. Moore kommen in ihrem Artikel „An Update on Sublime Influence“ aus dem Jahr 2000 zu dem Schluß, dass auch die neueren wissenschaftlichen Belege „nur unsere ursprüngliche Einschätzung belegen, dass Handlungen, Motive und Glaube nicht empfänglich sind für eine Manipulation durch den Gebrauch von kurz präsentierten Nachrichten oder Aufforderungen“.
Die moderne Angst, undurchsichtigen politischen oder wirtschaftlichen Mächten ausgeliefert zu sein, hat zahlreiche moderne Sagen entstehen lassen. Häufig beschreiben sie angebliche Manipulationen des Militärs oder großer Konzerne aus den Vereinigten Staaten und sind eng verwandt mit Verschwörungstheorien und Gerüchten. Rolf Wilhelm Brednich stellte 1990 bereits fest, dass „moderne Sagen [...] manchmal nichts anderes als erzählerisch ausgestaltete Gerüchte“ sind.[8] Im Laufe der Zeit kann eine Geschichte so durch kontinuierliches Weitererzählen einen dramaturgischen Handlungsstrang mit Pointe bekommen und es kann nicht mehr nachvollzogen werden, woher die einzelnen Elemente der Erzählung stammen. Der Mythos der subliminalen Beeinflussung ist noch immer lebendig, da die Medien lediglich über die sensationelle ursprüngliche Geschichte, nicht aber der Dementierung berichteten.
[...]
[1] Brunvand, 1981, 11-26.
[2] subliminal bedeutet in der Psychologie unterschwellig, also jenseits der Wahrnehmungsschwelle. Dennoch sollen sie nach dem Glauben vieler Menschen auf das Unterbewusstsein einwirken und sie so „steuern“.
[3] James McDonald Vicary, Werbefachmann und Publizist, geb. 1915 in Detroit.
[4] ein Experimentalgerät aus der Wahrnehmungspsychologie, das sehr kurze (bis unter eine Millisekunde) Darbietungen von visuellen Reizen, z.B. Bildern oder Symbolen, ermöglicht.
[5] Es wird gezeigt, wie einzelne Bilder eines menschlichen Penis in einen Kinderfilm eingefügt werden, was zur Folge hat, dass die Kinder im Kinosaal anfangen zu weinen - und auch im Film selbst sind subliminale Bilder mit eingeschnitten.
[6] In der Folge „Fröhliche Weihnachten“ werden die Menschen in einer vom zentralen Gedanken des ausufernden Konsums geprägten Gesellschaft von unterschwelligen Werbebotschaften traktiert, die sie zum Kauf von immer weiteren Waren und Dienstleistungen (notfalls per Kredit) bewegen.
[7] Walter Weir: Another Look at Subliminal ’Facts‘. In: Advertising Age, Oktober 1984.
[8] Brednich, 1990, 24.
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.