Bei der Ode 1.14 des Horaz sind wir heute in der glücklichen Lage, einerseits die Deutung des Quintilian zu besitzen und andererseits zwei Alkaiosfragmente, nach denen Horaz seine Ode modelliert haben dürfte. Man kann also direkt zur Ode einen literarischen Hintergrund aufweisen, der in der vorliegenden Arbeit auch gebührend berücksichtigt werden soll.
Bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts war die Auslegung des Quintilian nahezu unangefochten, wenn es auch bereits unter Kommentatoren ab dem 16. Jahrhundert immer wieder Ansätze gab, die Ode auf eine Einzelperson wie beispielsweise Marcus Brutus und die Schlacht bei Philippi zu beziehen oder die navis rein literarisch zu verstehen und die Ode auf eine reale Bootsfahrt zu beziehen, wovon Bentley ausgeht, was Fraenkel jedoch auf den "Hyperkritizismus des 19. Jahrhunderts" zurückführt.
Doch besonders durch zwei Arbeiten, die Mendells von 1938, die er 1965 wiederaufnahm, und die Andersons von 1966, wurde die Notwendigkeit einer Staatsschiff-Allegorie in Frage gestellt und die Diskussion neu, wenn überhaupt erst belebt, wobei die neuen Ansätze bei den Philologen teils auf völliges Unverständnis bis hin zur Ignoranz prallten, teils begeistert aufgenommen und noch weiter ausgeführt wurden.
Aufgrund der Fülle der neueren Ansätze werden in dieser Arbeit nur die Mendells und Andersons exemplarisch vorgestellt, da beide Autoren es als erste wagten, die Interpretation der Ode in eine völlig neue Richtung zu lenken. Alle weiterführenden Gedanken anderer Philologen können somit leider nur am Rande berücksichtigt werden oder müssen ganz außer acht gelassen werden, weil sonst der Rahmen der Arbeit gesprengt würde.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Paraphrase des Inhaltes
3. Sachliche Erläuterungen
4. Sprache und Stil des carmen
5. Interpretation
5.1. Warum ist die Ode als Allegorie zu verstehen?
5.2. Auflösungsmöglichkeiten
5.2.1. Staatsschiff
5.2.1.1. Quintilian
5.2.1.2. Alkaios und Ps.-Heraklit
5.2.1.3. Vertrauter Topos
5.2.2. Andere Varianten
5.2.2.1. Das Schiff des Lebens
5.2.2.2. Das Schiff der Liebe
5.3. Einordnung der Ode (zeitlich und in das Gesamtwerk)
6. Literaturverzeichnis
6.1. Textausgaben und Kommentare
6.2. Sekundärliteratur
6.2.1. Bibliographien
6.2.2. Nachschlagewerke (Literaturgeschichte, Lexika, Grammatiken)
6.2.3. Literatur zu Horaz (insbesondere zu den Oden)
1. Einleitung
Bei der Ode 1.14 des Horaz sind wir heute in der glücklichen Lage, einerseits die Deutung des Quintilian zu besitzen und andererseits zwei Alkaiosfragmente, nach denen Horaz seine Ode modelliert haben dürfte. Man kann also direkt zur Ode einen literarischen Hintergrund aufweisen, der in der vorliegenden Arbeit auch gebührend berücksichtigt werden soll.
Bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts war die Auslegung des Quintilian nahezu unangefochten, wenn es auch bereits unter Kommentatoren ab dem 16. Jahrhundert immer wieder Ansätze gab, die Ode auf eine Einzelperson wie beispielsweise Marcus Brutus und die Schlacht bei Philippi zu beziehen oder die navis rein literarisch zu verstehen und die Ode auf eine reale Bootsfahrt zu beziehen, wovon Bentley ausgeht, was Fraenkel jedoch auf den "Hyperkritizismus des 19. Jahrhunderts" zurückführt.
Doch besonders durch zwei Arbeiten, die Mendells von 1938, die er 1965 wiederaufnahm, und die Andersons von 1966, wurde die Notwendigkeit einer Staatsschiff-Allegorie in Frage gestellt und die Diskussion neu, wenn überhaupt erst belebt, wobei die neuen Ansätze bei den Philologen teils auf völliges Unverständnis bis hin zur Ignoranz prallten, teils begeistert aufgenommen und noch weiter ausgeführt wurden.
Aufgrund der Fülle der neueren Ansätze werden in dieser Arbeit nur die Mendells und Andersons exemplarisch vorgestellt, da beide Autoren es als erste wagten, die Interpretation der Ode in eine völlig neue Richtung zu lenken. Alle weiterführenden Gedanken anderer Philologen können somit leider nur am Rande berücksichtigt werden oder müssen ganz außer acht gelassen werden, weil sonst der Rahmen der Arbeit gesprengt würde.
2. Paraphrase des Inhaltes
Horaz richtet sich in carmen 1.14 an ein Schiff, das vor kurzer Zeit in einen Seesturm geraten ist, dadurch beträchtliche Schäden am nautischen Instrumentarium erlitten hat und nun droht, erneut direkt auf den nächsten Seesturm zuzusteuern.
Um das Schiff davon zu überzeugen, daß es wohl das Beste sei, in den Hafen einzulaufen, hält Horaz dem Schiff dessen gravierende Schäden vor, die es nicht mehr zulassen, auf große Fahrt zu gehen, geschweige denn, den nächsten Sturm zu überstehen. Doch trotz seines schlechten Zustandes, dem kein Seemann mehr traut, scheint es sich immer noch seiner edlen Abkunft zu rühmen und uneinsichtig zu sein.
Doch da Horaz, der vor einiger Zeit noch Widerwillen gegen das Schiff hegte, seine positiven Gefühle für das Schiff wiederentdeckt hat, rät er dem leckgeschlagenen Schiff, gefährliche Gewässer zu meiden.
3. Sachliche Erläuterungen
Das von Horaz angesprochene Schiff befindet sich zwischen zwei Unwettern, eines hat es gerade überstanden, das kommende scheint seine Schatten schon drohend vorauszuwerfen. Im Moment des Angesprochenwerdens ist das Schiff allerdings keiner direkten Gefahr ausgesetzt.
Die Information, daß das Schiff gerade aus einem Unwetter kommt, kann der Leser sowohl den Versen vier bis zehn entnehmen, in denen Horaz dem Schiff dessen Schäden aufzählt, die aus dem überstandenen Sturm resultieren, als auch dem ersten und zweiten Vers, da Horaz das Schiff vor den novi fluctus warnt, die es wieder, ausgedrückt durch das Präfix re- in referent (V.1), auf das Meer verschlagen werden.
Nach dem ersten Vers ließe sich annehmen, daß sich das Schiff also bereits im Hafen befinde, da es erst durch die novi fluctus auf das Meer (in mare) zurückgetrieben würde. Doch diese Vermutung wird durch occupa portum (V.2/3) widerlegt, da occupa"nur vom Einnehmen dessen, was man nicht besitzt, gesagt werden kann". Mit in mare (V.1) kann Horaz demnach nicht das Meer insgesamt, sondern nur den Teil des Meeres meinen, den wir heute als "Hochsee" bezeichnen. Das Schiff muß man sich vermutlich also zwischen Hafen und hoher See vorstellen, eventuell ein Stück vor der Küste noch in Sichtweite, aber noch nicht im Schutze des Hafenbeckens.
Horaz scheint das Schiff durch fortiter (V.2) zusätzlich motivieren zu wollen, denn er sieht es als einen Akt der fortitudo nicht der ignavia an, den schützenden Hafen anzulaufen.
In den Versen vier bis zehn werden dann die Schäden des Schiffes im einzelnen von Horaz angeführt, eingeleitet durch nonne vides ut (V.3), wobei diese Frage mit nonne wie ein Appell an die Vernunft und Einsicht des Schiffes wirkt, die es, wie die Verse elf bis 13 verdeutlichen, noch nicht besitzt.
Im einzelnen erwähnt er das verlorene Ruderwerk (remigio, V.4) an den Planken (latus, V.4), die schon krachenden Rahen (antennae, V.6), ein plurale tantum, da die Segelstange aus zwei einzelnen Stangen bestand, und die fehlenden Taue (sine funibus, V.6 ) um das Schiff.
Nisbet und Hubbard geben drei Alternativen zum Verständnis der funibus, um zu klären, wie der Plural von carinae (V.7) zu verstehen sei:
Die Schiffstaue können Bug und Heck unter dem Schiff hindurch am Kiel entlang verbinden. In diesem Falle wäre carinae auch als Plural aufzufassen, weil sie den Vorder- und Hinterteil des Schiffskieles meinen.
Die zweite Möglichkeit der "Verkabelung" wäre, sich die Kabel horizontal um die Planken gegürtet vorzustellen, wobei hier auch die griechische Entsprechung ÞpozÇmata von der Grundbedeutung her paßt. An diese Alternative halten sich auch Kiessling und Heinze.
Bei dieser "Verkabelungsmöglichkeit" sehen Nisbet und Hubbard allerdings Probleme mit dem Plural carinae, den sie deshalb nicht als Synekdoche pluralis pro singulari akzeptieren wollen, weil das Schiffsinventar sonst im Gedicht so detailliert beschrieben sei.
Die dritte Variante, die Kabel um das Schiff zu gürten, besteht darin, die Kabel von der einen Schiffsseite senkrecht unter dem Kiel hindurch bis hoch zur anderen Seite zu schnüren. Damit sehen Nisbet und Hubbard ebenfalls den Plural carinae wie im ersten Falle begründet, indem sie diese wiederum als die Vorder- und Hintersektion des Kieles verstehen.
Wenn aber auch der Plural von carinae nicht ganz klar zu deuten ist, so ist dennoch wichtig, daß es sich hier keinesfalls - wie sonst so häufig - als Synekdoche pars pro toto handelt, da, wie Nisbet und Hubbard bemerken, Horaz auch schon in den Versen zuvor (drei bis sechs) detailliert die Einzelteile des Schiffes aufzähle und damit in den Versen neun und zehn fortfahre.
Kiessling und Heinze sehen diese Erwähnung der fehlenden Taue, die nur bei Kriegsschiffen wie Trieren regelmäßig, ansonsten aber nur in Notsituationen angelegt wurden, als zusätzlichen Vorwurf, daß Schiff habe in seiner Überhebung nicht einmal diese Vorkehrung getroffen, obwohl es dies bei seinem schlechten Zustand bitter nötig hätte.
di (V.10) benennt ein weiteres Teil des Schiffes wie zuvor malus (V.5), lintea (V.9) etc. und meint die am Heck, der sichersten Stelle des Schiffes, angebrachten Götterbilder, jedoch zu unterscheiden von den Gallionsfiguren am Bug, die oft den Namen des Schiffes trugen. Diese Götterbilder galten als tutela der Schiffe und standen als Symbol der Sicherheit, weshalb sie wohl auch erst zum Schluß in der Aufzählung der Schäden genannt werden, als Höhepunkt sozusagen. Vielleicht rührt ihre Schlußposition außerdem daher, weil sie auch am Schiff die hinterste Position einnehmen.
Die recht auffällige und einprägsame Alliteration Pontica pinus in Vers elf, als Apposition zu dem Vokativ silvae filia nobilis (V.12) zu verstehen, soll die Edle des Holzes, aus dem das Schiff gefertigt ist, und somit auch die edle Herkunft verdeutlichen, die in Vers 13 noch direkt mit genus et nomen ausgesprochen wird. Pontica pinus ist eine Metonymie für "gutes Holz", wie Cycladas (V.20) für "gefährliche Strömung" (s.u.).
Pontisches Schiffsbauholz - genauer: aus den Wälder Sinopes, die hier als silvae nobilis bezeichnet werden - war schon zu Theophrasts Zeiten berühmt.
Auch der phaselus von Catull rühmt sich seiner pontischen, edlen Herkunft:
Amastri Pontica et Cytore buxifer,
tibi haec fuisse et esse cognitissima
ait phaselus.
(4.13ff.)
Die Antithese der Verse elf bis 15, eingeleitet mit quamvis, legt dar, daß kein timidus navita (V.14), ein kollektiver Singular, das Schiff trotz seiner edlen Herkunft, trotz seines bemalten Heckes mehr freiwillig bestiege.
Ein bemaltes Heck - hier mit der Alliteration pictis [...] puppibus in Form eines Hyperbaton bezeichnet (V.14) -, wie es hier die navis trotz aller Schäden aufzuweisen hat, wurde in der Antike allerdings eher als ein Zeichen von Armut und im Gegensatz zu den eigentlichen nautischen Qualitäten verstanden.
Die Verse 17 und 18 bringen zum Ausdruck, welche negativen Gefühle Horaz für das Schiff noch vor einiger Zeit für das Schiff hegte (nuper) und welche Sehnsüchte und große Sorgen, betont durch die Litotes non levis (V.18), das Schiff jetzt, da er es anspricht, (nunc) in ihm auslöse.
Kiessling und Heinze wie auch Nisbet und Hubbard weisen darauf hin, daß die Ausdrücke taedium, desiderium und cura Worte eines Liebenden in der erotischen Dichtung seien. desiderium, wie auch die permanente Verwendung der zweiten Person Singular, die den Sprecher aus der Situation des Schiffes auszuschließen scheint, lassen sich außerdem als Hinweis deuten, daß Horaz sich selbst nicht an Bord des Schiffes befinde.
Die Kykladen, vor denen Horaz das Schiff in der dritten direkten Aufforderung oder Ermahnung (nach occupa, V.2, und cave, V.16) warnt, galten aufgrund ihrer tückischen Winde bereits in der Antike als eine besonders schwierig zu passierende Stelle in der Ägäis.
Kiessling und Heinze deuten nitentis in Vers 19 so, daß die Felsenküsten an sich nicht geschimmert haben, daß aber die antiken Autoren den Marmorbruch dort kannten und sie sich deshalb die Felsen so vorstellten.
Einen besonderen Anlaß zur Nennung dieses Meeresteiles sehen sie allerdings nicht, die Kykladen sollen nur der Anschaulichkeit dienen. Man könnte sie demnach als Metonymie (Konkretum statt Abstraktum) für "gefährliche Strömung" auffassen.
Das Glänzen der Felsen könnte auch durch die Sonneneinstrahlung auftreten. Aber die Nennung der Kykladen überhaupt als eine besonders gefährliche Gegend für die Seefahrt sei typisch für eine Ortsfremden. Archilochus beipielsweise würde die Inselgruppe in diesem Zusammenhang nicht erwähnen, weil er dort einheimisch sei und daher die gefährlichen, unpassierbaren Stellen kenne.
4. Sprache und Stil des carmen
Die Sprache des gesamten carmen wirkt sehr lebendig. Laut Syndikus "weht heißes, dramatisches Leben durch das Gedicht.":
Extrem kurze Sätze wie in den ersten zwei Versen wechseln sich mit recht langen Sätzen ab (V.3ff.). Der Tonfall im Gedicht wechselt ständig: Mal ruft Horaz aus (V.1), mal fragt er rhetorisch (V.2; V.3ff.), befiehlt und fordert auf (V.2/3; V.15/16; V.20) und macht Aussagen (V.9ff.).
Der Eindruck der Dramatik wird gleich zu Beginn der ersten Strophe vermittelt, die emphatisch mit der Exclamatio o navis beginnt, wobei o (V.2) sogleich in der darauffolgenden Frage noch einmal anaphorisch aufgenommen wird. Horaz spricht in Form einer Apostrophe ein Schiff ein, das er damit personifiziert.
Nach drei kurzen, erregten Sätze in den Versen eins bis drei, die aus einem Ausruf, einer Frage und einer Aufforderung bestehen, folgt wiederum eine im Vergleich zum Vorausgegangenen relativ lange Frage, eingeleitet mit nonne vides, ut (V.3), die bis zu Vers neun reicht.
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