Das "hessische Salzburg" - Festspiele in Bad Hersfeld

Entwicklung, Strukturen und Ideologie einer Institution kultureller Repräsentation der frühen Bundesrepublik


Examination Thesis, 2003

185 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhalt

1. Festspiele in Bad Hersfeld als Projekt der Geschichtswissenschaft
1.1 Schlaglichter und Erinnerungen – die ‚Pionierzeit der Festspiele’
1.2 Festspielarchiv und Chancen der Quellenlage
1.3 ‚Festspielforschung’ als interdisziplinäres Projekt – die Forschung
1.4 Problemfelder, Vorgehensweise und Fragestellungen
1.5 Festspiele als Indikator – Reflexion der Methode

2. Einordnung der Bad Hersfelder Festspiele
2.1 Annährung durch Definitionen – Entwicklungsetappen des Festspiels als
Kulturinstitution
2.2 Festspielformen der 1950er Jahre – Bad Hersfeld als Prototyp
2.3 Festspiele in Hessen in der Nachkriegszeit

3. Institutionalisierungsversuche und Funktionswandel bürgerlicher
Festlichkeit in der Stiftsruine
3.1 ‚Genius loci’ oder das Verhältnis der Hersfelder zur Stiftsruine
3.2 Bürgerliche Feiern im 19. Jahrhundert
3.3 Institutionalisierungsversuche um die Jahrhundertwende
– Konrad Dudens ‚Festspielverein’
3.4 Festspiele im Nationalsozialismus – Heimatfestspiele?
3.5 Aufbruchsstimmung und Fortsetzung – die Goethefestwoche als Fest-
Spielprojekt

4. Phasenmodell der Bad Hersfelder Festspiele
4.1 Politischer Entstehungskontext der Festspiele
4.2 Erste Phase 1950-1952: Institutionalisierung und Anspruch – ‚hessisches
Salzburg’
4.3 Zweite Phase 1953-1955: Ausbau der Festspiele durch Bund und Land –
‚kulturelles Leuchtfeuer für die SBZ’
4.4
Dritte Phase 1956-1959: ‚Bundesfestspiele’ – ‚Ort nationaler Repräsen-
tation’
4.5 Vierte Phase 1960-1966 und Ausblick: Funktionswandel und Neu-
positionierung – ‚Festspiele in der Krise’

5. Biographische Skizze: Gründungsintendant Johannes Klein

6. Strukturanalyse I : Förderabsichten und Finanzierung
6.1 Fürsprecher in Stadt und Region
6.2 Die ‚Gesellschaft der Freunde der Stiftsruine’ als Lobbyorganisation
6.3 Rolle von Bundesministerien, Auswärtigem Amt und des Bundespräsi-
denten als Schirmherr
6.4 Verhältnis des Landes Hessen und des HR zu den Festspielen
6.5 Festspiele als Finanzierungsrisiko und Standortfaktor

7. Strukturanalyse II: Programmgestaltung, Werbung, geographische
und soziale Herkunft der Besucher
7.1 Einflussnahme der Institutionen auf Programm und Inhalte – der
‚Überörtliche Arbeitskreis Festspiele’
7.2 Strukturen des Programms
7.3 Werbung für die Festspiele – ‚Propaganda’
7.4 Die Herkunft der Zuschauer aus BRD, DDR und dem Ausland
7.5 Sozialer Kontext der Festspielbesucher – Integrationsort für Eliten?
7.6 Veranstaltungen und Orte um die Festspiele

8. Fragen an den Kristallisationspunkt Festspiele – Aspekte von
Kulturpolitik in den 1950er Jahren
8.1 Wie beurteilten die US-Behörden und Militär die Festspiele?
8.2 Gab es Konflikte zwischen Bund und Land in der Frage der
Kulturhoheit?
8.3 Waren die Festspiele ein geplantes Ergebnis von Kulturpolitik?
8.4 Waren die Festspiele Symbol ungebrochener Bürgerlichkeit und
Konservativismus?
8.5 Wie spiegelt sich die Selbstdarstellung der BRD gegenüber dem Ausland
im Festspielprojekt?
8.6 Wie reflektierten die Festspiele das deutsch-deutsche Verhältnis?
8.7 Welche Rolle spielten die Kirchen bei den Festspielen?
8.8 Welche Funktionen hatten die Festspiele als Fest für die nationale Reprä-
sentation der frühen Bundesrepublik

9. Die ‚Ideologie’ der Bad Hersfelder Festspiele
9.1 Ideologische Aspekte in den Festspielreden – Überblicksversuch nach
Feldern
9.2 Die Hofmannsthal-Gedenkrede von Theodor Heuss als Folie für ein
‚Hersfelder Programm’
9.3 Zeitgenössische Kritik: Adornos ‚Jargon der Eigentlichkeit’
9.4 Festspiele als Zeichen immanenter kultureller Modernisierung

10. Rückblick und Ausblick
10.1 Ergebnisse des Ansatzes – Bad Hersfelder Festspiele als Indikator
10.2 Festspiele im Vergleich – kulturelle Repräsentation der jungen BRD

11. Quellen- und Literaturverzeichnis
11.1 Quellen
11.2 Literatur

Mit Politik kann man keine Kultur machen, aber mit Kultur Politik “ .

(Theodor Heuss 1955)

Annährung

Geht man an einem Sommerabend im Juli im Hersfelder Stiftsbezirk spazieren, so hört man Musik hinter den Kirchenmauern, Stimmen, Gespräche, Gesang – Applaus. Die Ruine des ehemaligen Benediktinerklosters ist Hauptveranstaltungsort der Bad Hersfelder Festspiele. Apsis, Seitenschiff, Westchor – im gesamten sakralen Bauwerk wird gespielt. Die Mauern des über einhundert Meter langen Gebäudes ragen weit in den Abendhimmel. Der Mittelalterarchäologe Günther Binding hat die Stiftsruine mit einigem Recht als den größten zusammenhängenden Ruinenkomplex aus karolingischer Zeit nördlich der Alpen bezeichnet.

Als Park inmitten der Stadt gelegen ist der ummauerte Stiftsbezirk auch heute noch in seiner Ausdehnung erkennbar. Der einstige Konflikt zwischen Stift und Stadt, zwischen Bürgertum und Stadtherren, ist städtebaulich gesehen noch gegenwärtig. Die Festspiele als Zeichen einer bürgerlichen Gesellschaft haben die Profanierung des Ortes besiegelt und gleichzeitig eine Auratisierung und Vergegenwärtigung der Vergangenheit intendiert.

Namen wie Sturmius, Lullus, Bonifatius, Lampert, Luther und Tilly werden mit dem Hersfelder Stift verbunden. Im Jahr 1761 wurde die Hallenbasilika von französischen Soldaten als Getreidemagazin benutzt und kurz vor der Eroberung der Stadt in Brand gesteckt, kaum vierzig Mönche lebten mehr im Nachbargebäude. Die Zeit der Hersfelder Kirche war längst abgelaufen. Durch Theater und Musik zog in den letzten 200 Jahren Leben in die Gemäuer ein.

Die im Jahr 1951 gegründeten Festspiele bestehen bis heute und werden im Jahr 2002 von Bundespräsident Johannes Rau eröffnet. In den Festspielen unserer Tage die Veranstaltungen der 1950er Jahre wiedererkennen zu wollen, fällt schwer. Dennoch setzen sich die Bad Hersfelder Festspiele jedes Jahr mit ihrem eigenen Programm, ihrer Identität und Tradition auseinander – mit der Wiederaufnahme von Hofmannsthals ‚Jedermann’ oder mit einem Stück von Brecht: ‚Galilei’. Intendant, Schauspieler sowie der Träger, die Stadt Bad Hersfeld, versuchen dem gerecht zu werden, was sie als Bad Hersfelder Festspiele kennen gelernt haben. Diese produktive Auseinandersetzung findet auf der Bühne statt. Auf diesen Seiten soll die Erinnerung an die Festspiele in einen Zusammenhang gestellt werden: verdichtend, beschreibend, analysierend, interpretierend, rekonstruierend, vergleichend, kritisch – an Quellen gebunden. Betrachtet man die Überlieferung, die das ‚virtuelle Szenenbuch’ der Bad Hersfelder Festspielgeschichte ausmacht, so erschließt sich ein Stück Vergangenheit, das über die Mauern des Stiftsbezirk hinaus verweist und von dort aus konzentrisch Licht auf eine Epoche deutscher Geschichte wirft. Geschichte und Geschichten werden in der Ruine als Medium des Historischen inszeniert und auch dieses Bemühen ist Geschichte geworden.

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1. Festspiele in Bad Hersfeld als Projekt der Geschichtswissenschaft

1.1 Schlaglichter und Erinnerungen – die ‚Pionierzeit der Festspiele’

„Eine kleine Stadt in Nordhessen, wenige Kilometer von der Grenze entfernt, die Deutschland noch immer schmerzlich teilt, wurde während des letzten Jahrzehnts zu einem weit über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinausragenden künstlerischen Mittelpunkt im sommerlichen Theaterleben Deutschlands: Bad Hersfeld. Die Festspiele in der alten Stiftsruine sind zum Begriff geworden“ [1]. (Swiridoff 1959)

„In Ehrfurcht erheischender Stille ruft uns dieses Bauwerk diese Tage wieder zur Sammlung. Wie kein anderer Ort entfaltet die Hersfelder Stiftsruine ihre Geschichtsmächtigkeit. Hier soll mit erlesenem Theater vor einer Zuschauergemeinde jenseits des Alltags der Mensch aus der Masse treten und zu sich finden, zur schöpferischen Veränderung“ [2] . (Heuss 1954)

Ach, wie begannen die deutschen Reichen den Jedermann in den Festspielen zu lieben. Am Abend hatten sie Flußkrebse oder Tafelspitz verschlungen und mit grünem Veltliner oder einem Blauburgunder nachgespült und in der Vorführung wurde ihnen die Leviten gelesen, welch ein Genuß, welch eine Reue als Genuß. So lehrte der populäre Jedermann (er wurde nach dem Krieg vor jeder Schlossruine, auf jeder freien Kirchentreppe, auf jedem Platz gespielt – in Schwäbisch Hall, Wunsiedel und natürlich Bad Hersfeld), daß man doch eigentlich so oder so bezahlen müsse, mit dem Leben[3]. (Karasek 1995 über die 1960er Jahre)

In den 1950er Jahren waren die Bad Hersfelder Festspiele ein gesellschaftliches Großereignis. Jeden Abend im Juli wurde in der Stiftsruine mitten in der Stadt vor 2.000 Zuschauern Mysterien- und Klassikertheater gespielt. Wenn der Bundespräsident und das Diplomatische Corps anreisten, verwandelte sich die nordhessische Kleinstadt in den Schauplatz einer Festveranstaltung von nationalem Rang, die durch ‚Spitzentheater’ über die Zonengrenze, sogar europaweit zu wirken beanspruchte; sie verwandelte sich in das „ hessische Salzburg[4].

Aus den Worten von Heuss und Swiridoff spricht ein Kulturverständnis, das diesen Anspruch widerspiegelt[5]. Die ideologischen, sogar utopischen Züge der Festspiele sind es, die sie schon Ende der 1960er Jahre unzeitgemäß erscheinen lassen, als „ antimodernes Produkt der Moderne“, als „ letzte Bastion bürgerlich-romantischen Weltverständnisses[6] – H. Karaseks Ironie trifft. Hinter dem Pathos, hinter dem ‚Symbol Festspiele’, steckt eine tiefe Unsicherheit, steckt Unbehagen an der modernen Gesellschaft, aber auch die Hoffnung auf eine andere Welt[7].

Das ‚Festspieltagebuch’ eines mondänen Österreichers schildert einen feierlichen Theaterabend im Juli 1954[8]: Die Hotels der Kleinstadt sind belegt, der neue Parkplatz gefüllt mit Limousinen aus dem ganzen Land, die Hersfelder stehen Spalier und lassen sich Autogramme geben. Umgeben von Wald kommt sich der Großstädter „ neu geboren “ vor, „ erfrischt von der Natur[9]. Seine Familie geht vor dem Festspielbesuch im Gourmetlokal ‚Stern’ essen – dann ertönen Fanfaren aus den Mauern der ehemaligen Hersfelder Stiftskirche, die, 1761 zerstört, eine Ruine ist. In Abendroben sammeln sich die Besucher – ‚Das Salzburger Große Welttheater’ von Hugo von Hofmannsthal steht auf dem Programm. Beim Eintritt des Bundespräsidenten „erhebt sich die ganze Zuschauergemeinde “. Die Schauspieler wie Attila Hörbiger, Paula Wessely, Lil Dagover und Franziska Kinz sind aus dem Kino bekannt, im Mittelpunkt aber steht „ das Gleichnis, die geistige Aussage des Stückes[10]. Am Ende gab es keinen Applaus, die Theatergesellschaft tritt schweigend auseinander – um sich um 23:30 in der Kulturhalle der Stadt zum großen Empfang wieder zu treffen. Durch illuminierte Straßen und Gassen werden die Herrschaften aus Bonn, Wiesbaden, Hamburg und Frankfurt zum gesellschaftlichen Höhepunkt chauffiert. Der Wiener Gast trifft viele Bekannte, ein Platz zum Dinner ist für ihn und seine Gattin reserviert; spät in der Nacht erwartet das Kurhotel ‚Waldeck’ seine illustren Gäste. Diese Erinnerung lässt erkennen, dass es sich bei den Festspielen nicht nur um eine Theaterveranstaltung handelte: „ Der Festspielbesuch ist ein Bekenntnis, eine Feier “. Um die Festspiele herum gab es zahlreiche repräsentative Veranstaltungen: Bälle, Empfänge und politische Treffen – ein exklusives sommerliches Gesellschaftsleben.

Ein Besucher der Festspiele könnte sich auch heute fragen, wie es möglich war, in einer Zeit, in der „ eine Festspielsintflut hereinbrach[11], Kulturausgaben aber angesichts materiellen Mangels zu rechtfertigen waren, eine Institution zu schaffen, die binnen weniger Jahre etablierte Festspiele wie Wunsiedel und Schwäbisch-Hall übertraf. Diese Ausgangsfragen sollen gleichzeitig auch die Leitfragen dieser Untersuchung sein: Wer hatte Interesse an dieser Kulturinstitution, welche Motive stecken hinter dem Pathos der Festspielreden – wer finanzierte die Festspiele, wer besuchte sie? Gegen was bezogen die Initiatoren Position? Konkret: Warum kam der Bundespräsident? Warum gab es Grenzfahrten im Rahmenprogramm der Festspiele? Und warum durfte in der Ruine nie Ballett aufgeführt werden? Rahmen und Bezugspunkt dieser Fragen soll stets die These vom ‚hessischen Salzburg’ sein, die gleichzeitig Motto dieser Arbeit ist. Inwiefern hat man sich am Vorbild der Festspiele an der Salzach orientiert, in welchen Bereichen sind Unterschiede zu konstatieren?

Ein erster Schlüssel zur Beantwortung dieser Fragen ist die Erinnerung Hersfelder Bürger: Zeitzeugen berichten vom Glanz der Festspiele, von der weihevollen Atmosphäre – erzählen aus eigener Erfahrung und Anschauung[12]. Als fester Bestandteil der Hersfelder Identität werden die Festspiele bis heute nicht als historisches Phänomen wahrgenommen, ihre Entwicklung ist kaum aufgearbeitet. Jede Generation hat sie neu entdeckt – gerade weil sie viele Trends des Theaterbetriebs widerspiegeln[13]. Natürlich bleiben vor allem die künstlerischen Eindrücke im Gedächtnis haften: die Stars, das Bühnenbild, das Vordergründige; Organisation und Finanzielles entziehen sich der Erinnerung, denn sie sind nicht Teil des Festspielerlebnisses. Vor allem der ehemalige Verwaltungschef der Festspiele, Hans-Georg Vöge, konnte das Bild, das die Archivüberlieferung gab, veranschaulichen und ergänzen[14].

Der zweite Weg der Überlieferung von Erinnerung an die Festspiele sind Fotobände zur Erinnerung an Schauspieler, Stücke und Inszenierungen[15]. Sie sind als Geschenkbände für ein breites Publikum konzipiert und erheben keinen wissenschaftlichen Anspruch. Schon zum 30. Jubiläum hat es eine kleine Ausstellung mit bebildertem Katalog gegeben[16], die umfassendste Publikation, ‚Die große Faszination’, stammt vom Regisseur Frankl aus dem Jahr 1990, der auch die Entstehungsbedingungen und Entwicklung der Festspiele kurz nachzeichnet[17]. Unter dem Titel ‚Welttheater für Jedermann’ folgte zehn Jahre später ein neuer Fotoband, der für jedes Jahr wenige Stichworte zusammenfasst, Anekdoten präsentiert und kurze Aufsätze sowie Interviews enthält[18]. Zum Jubiläum der Fördergesellschaft der Festspiele erschien jüngst eine dünne Festschrift, welche die Leistungen der ‚Gesellschaft der Freunde’ würdigt[19]. Zwei Bände des Theaterphotographen Swiridoff aus den 1960er Jahren enthalten Szenenfotos und lassen das Theatererlebnis lebendig werden[20].

An den jährlich erscheinenden Festschriften, einer weiteren wichtigen Quelle, ist das sich wandelnde Selbstverständnis der Festspiele ablesbar. Mit zahlreichen Reden, Aufsätzen und Textauszügen beanspruchten sie mehr zu sein als Programmhefte[21].

Die Lokal- und Heimatgeschichte hat die Festspiele nicht von den Quellen her betrachtet, keine kritischen Fragestellungen entwickelt; die Historisierung dieses Stückes Zeitgeschichte hat noch nicht stattgefunden[22]. Schriftliche Spuren haben die Festspiele lediglich in zwei Biographien[23] sowie in Sammelbänden[24] und Zeitungsdokumentationen hinterlassen. Erinnerung an die Festspiele ist bisher nicht institutionalisiert oder systematisch aufgearbeitet. Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit den Festspielen – auch aus theaterwissenschaftlicher Sicht – steht noch aus[25].

1.2 Festspielarchiv und Chancen der Quellenlage

Die Städte Wunsiedel, Bad Gandersheim, Recklinghausen und Schwäbisch-Hall haben für ihre kommunalen Festspielunternehmungen in den letzten Jahren Archive geschaffen[26]. Auch in Bad Hersfeld entstand im Oktober 2000 ein solches ‚Festspielarchiv’, das neben dem Aktenschriftgut Presserezensionen, Plakate, die Festschriften, zwei Nachlässe sowie ein umfangreiches Ton- und Bildarchiv enthält[27]. Neben dem Stadtarchiv, dessen Bestände für diese Arbeit mit einbezogen wurden, ist es das größte Archiv in Bad Hersfeld und gibt mit über 700 Aktenordnern einen einmaligen Einblick in Organisation, Finanzierung, Korrespondenz, Bühnentechnik, Regie und Werbung. Vor allem die Bestände für die 1950er Jahre sind den Aktenverzeichnissen zufolge vollständig überliefert[28]. Die städtischen Behörden waren sich erst nicht bewusst, welcher ‚kulturgeschichtliche Schatz’ in den Kellerräumen lagerte; das Archiv ist im Jahr 2000 interessierten Benutzern zur Verfügung gestellt und ausgestattet worden.

In dieser Arbeit können diese Bestände erstmals wissenschaftlich aufgearbeitet werden – die Überlieferungslage ist geradezu ideal, um zu beschreiben, was sich ‚hinter den Kulissen’ der Kulturinstitution ‚Festspiele’ ereignete[29]. Die Bestände der Personalabteilung, der Bühnen- und Kostümtechnik, die zusammen einen Großteil des Archivs ausmachen, müssen entsprechend der Fragestellung unberücksichtigt bleiben; dieses Material stellt für die Theaterwissenschaft einen sehr aussagekräftigen Bestand dar[30].

Um die Perspektive zu erweitern und das Aktenmaterial kontrastiv diskutieren zu können, sollen die Bestände der Archive der Förderinstitutionen hinzugezogen werden: Besonders das Bundesarchiv in Koblenz bietet mit einem eigenen Bestand zu den Festspielen die Möglichkeit zu analysieren, warum verschiedene Bundesinstitutionen die Festspiele fördern[31]. Im Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden findet sich ein Dutzend Akten, die über die Einschätzung von Ministerpräsident Zinn und des Hessischen Kultusministeriums Aufschluss geben[32]. Da auch der Landkreis und das Regierungspräsidium in Kassel die Festspiele unterstützten, schien die Erwartung auf Bestände im Marburger Staatsarchiv berechtigt, wurde aber weitgehend enttäuscht[33]. Da die Festspiele bei Diplomatenbesuchen auch vom Auswärtigen Amt mitorganisiert wurden, durften die dortigen Bestände, die gerade über den Festcharakter der Festspiele Aufschluss geben, nicht vernachlässigt werden[34]. Das Archiv der Förderinstitution ‚Gesellschaft der Freunde der Stiftsruine’ befindet sich in Privatbesitz, konnte aber ausgewertet werden, was gerade zur Erhellung der ersten Festspieljahre beiträgt[35]. Um die Bad Hersfelder Festspiele einzuordnen und Konkurrenzdispositionen auszuloten, boten sich vier hessische Stadtarchive und deren Festspielmaterial für eine vergleichende Perspektive an[36]. Auch im Salzburger Festspielarchiv fanden sich wertvolle Hinweise und Bezüge auf Bad Hersfeld.

Sowohl durch die Dichte der Überlieferung, die für derartige Kulturinstitutionen nicht typisch ist[37], als auch durch die Chance zur Multiperspektivität, besteht die Möglichkeit, die politische Geschichte der Bad Hersfelder Festspiele als Teil der Bundes- und Landesgeschichte in einem erweiterten Horizont anzusiedeln.

1.3 ‚Festspielforschung’ als interdisziplinäres Projekt – die Forschungslage

Eine eigenständige Disziplin ‚Festspielforschung’ gibt es nicht[38] ; die Beteiligung vieler Wissenschaften führt zu einer Atomisierung des Themenfeldes ‚Festspiele’ durch verschiedene Zugänge und Fragestellungen, ohne dass die Ergebnisse zusammengeführt werden. Vor allem die Theaterwissenschaft hat mit ihrem Interesse für Intendanten, Inszenierungen und Bühnenausstattung das Festspiel als ein dem Theater analoges oder angegliedertes Medium entdeckt[39] ; allerdings „ führt die Beschäftigung mit Festspielen in unserem Fach ein Schattendasein[40]. Philologen fragen vor allem nach den Texten von Festspielen und ihrer Funktion als Inszenierungsrahmen von Literatur[41]. Besonders das 19. Jahrhundert wurde erforscht, denn es war die Zeit der nationalen und identitätsstiftenden Festspielideen, die sich vom herkömmlichen Theaterbetrieb abgrenzen wollten. Die Historiker Sauer und Werth haben Fest(spiel)ereignisse im späten 19. Jahrhundert auf ihre Rolle zur Nationalstaatsbildung analysiert[42]. Als patriotische Spiele spiegeln sie nationale Vorstellungen des Kaiserreiches[43]. Sprenger hat die Ideologie in Festspieltexten und ihre Funktion bis zum Ersten Weltkrieg untersucht und ihre Bedeutung zur Vergangenheitsvergegenwärtigung herausgearbeitet[44].

Neben diesen Wissenschaften ist es die Volkskunde, die unter dem Gesichtspunkt regionaler Festkultur das Festspiel als Laien- und Volksschauspiel bearbeitet hat[45]. Die hervorstechendste Arbeit ist die von Schöpel zur ‚Festspielbewegung’ in Süddeutschland[46]. Ihr gelingt es durch den Vergleich, die Entwicklung von Festspielprojekten auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg zu beschreiben und zu plausibel zu machen, aus welchen Gründen neue Festspiele entstehen und warum manche ihre Funktion wieder verloren haben. Zeilingers philosophischer Ansatz, die Entwicklung der Festspielidee(n) nachzuvollziehen, ist noch ergänzungsbedürftig[47]. Die Volkswirtschaftslehre hat die Bedeutung von Festspielen für Wirtschaftsregionen und als Beispiel der Kunstökonomie untersucht[48], die Soziologie beginnt das Thema erst zu entdecken; die Arbeit von Gebhard und Ziegerle fragt beispielsweise nach der sozialen Herkunft der Festspielbesucher Bayreuths, ist aber nicht historisch ausgerichtet[49]. Tourismusführer geben zusätzlich einen Eindruck der Verbreitung von Festspielen[50]. Die ‚Festspielforschung’ ist ein Flickenteppich verschiedenster Ansätze, in denen die historische Dimension als ein Aspekt neben anderen – gerade zur Traditionsstiftung – zu Grunde liegt[51].

Festspielliteratur ist zumeist Literatur über einen Festspielort, über ein bestimmtes Festspielprojekt. Dutzende Monographien versuchen, Festspielerlebnisse mit allen Facetten darstellen zu wollen; so am Beispiel Salzburgs, Bayreuths, Recklinghausens, Wunsiedels, Feuchtwangens[52]. Meist wird die künstlerische Konzeption, die ästhetische Rezeption, das komplexe Gefüge von schauspielerischer Leistung, Organisation und Bühnengestaltung gewürdigt. Dabei gibt es außer einem phänomenologischen und dokumentarischen Anspruch selten eine wissenschaftliche Fragestellung. Die Arbeiten verweisen meist nicht über die Geschichte der eigenen Institution hinaus.

Die Geschichtswissenschaft hat Festspiele als Untersuchungsgegenstand in den 1980er Jahren entdeckt. In der ‚Pionierarbeit’ von Franck geht es um das politische und ideologische Interesse, das hinter den Ruhrfestspielen steckt. Er hat sich auf Erinnerungsliteratur und Quellen gestützt und versucht, die Recklinghäuser Festspiele als Zeichen der Zeit zu verstehen. Dabei ist es ihm gelungen, Konzepte von Kulturpolitik in der frühen Bundesrepublik am Beispiel der Ruhrfestspiele zu analysieren[53]. Ein sehr hohes Reflexionsniveau weisen vier Arbeiten zu den Salzburger und Bayreuther Festspielen auf, die – aus der Perspektive der Geschichtswissenschaft – die Festspielprojekte im Kontext der geistesgeschichtlichen Strömungen beleuchten: Steinberg verfolgt ausgehend von Hofmannsthals Festspielidee die Funktion der Festspiele in Salzburg als Nationalfestspiele und Symbol für ein in Europa aufgehendes Großdeutschland[54]. Gallup zeichnet neben der künstlerischen Geschichte der Salzburger Spiele kontrastiv auch die politische nach[55]. Schrader vergleicht die Entstehung der Bayreuther und Salzburger Festspiele. In dieser Arbeit fehlt aber wie in anderen Publikationen die Rückbindung an Quellen[56]. Das gilt auch für die umfangreichste Arbeit zu den Richard-Wagner-Festspielen von Spotts[57].

Als Standardwerk einer Festspielforschung kann der Tagungsband von Kreis und Engeler gelten, in dem Theaterwissenschaftler, Historiker und Literaturwissenschaftler Festspiele in der Schweiz als Ausdruck von Mentalität und Ideologie ihrer Zeit beschreiben und versuchen, auch Machtstrukturen aufzuzeigen[58]. Der Aufsatz von Stern geht wie der Tagungsband nicht über das Jahr 1945 hinaus, denn „ im Nationalsozialismus fand die Festspielidee Höhepunkt und Perversion zugleich; als Medium ist es im Europa der 50er Jahre suspekt geworden[59]. Dass diese Feststellung nicht zutrifft, zeigen Arbeiten wie die von Fink, der die Heidelberger Festspiele mit allen Kontinuitäten bis in die Nachkriegszeit verfolgt[60]. Auch die Arbeit von Strassmüller zu den Passauer Spielen zeigt ganz deutlich, wie typisch Festspiele für die bundesdeutsche Nachkriegszeit und deren Ideenwelt sind[61].

Festspiele und Festivals sind alles andere als ein deutsches Phänomen. Wie der Band von Csobádi zeigt, gibt es in ganz Europa, in den USA und anderen Ländern Festspielprojekte[62]. In welchem Kontext sie entstehen, was dort gefeiert werden soll und welche Gruppen daran beteiligt sind, ist für jedes Land verschieden zu beantworten[63]. Die Chancen der europäischen Perspektive wurden bisher noch nicht genutzt. Bei der Untersuchung der Spitzenfestivals dominiert immer noch die nationale Perspektive, obwohl Parallelen nicht zu übersehen sind.

Die Chance der Geschichtswissenschaft ist es, Festspiele als Indikatoren historischer Entwicklungen zu begreifen; dabei ist eine Konzentration auf organisatorische und ökonomischen Vorgänge ‚hinter der Bühne’ sinnvoll. Festspiele können erst vor dem Hintergrund von einer mit Ergebnissen der Sozialgeschichte verknüpften Kulturgeschichte, wie sie Hermand und Glaser projektiert haben[64], als Zeichen ihrer Zeit gedeutet werden.

1.4 Problemfelder, Vorgehensweise und Fragestellungen

Jedes der zehn Kapitel beleuchtet mit einer anderen Herangehensweise einen Fragenkomplex zum Thema ‚Bad Hersfelder Festspiele’. Weil der Begriff ‚Festspiele’ diffus ist, kann nur durch eine Annährung durch Definitionen versucht werden, ein Festspielprojekt einzuordnen. Dabei sollen Definitionsvorschläge geprüft und um fehlende Kriterien erweitert werden. Auch der Versuch, die Festspiellandschaft wie sie sich in den 1950er Jahren entwickelt hat, durch Merkmale zu kategorisieren, soll die Festspiele in Bad Hersfeld in den zeitlichen Kontext stellen helfen. Ihr Status und ihr Projektcharakter werden nur durch den Kontrast mit anderen Festspielformen deutlich. Nach diesem Überblick sollen die entwickelten Einordnungskategorien auf das Land Hessen übertragen werden: welche Festspielprojekte, welche (kultur)politischen Pläne gab es, welche Festspielorte waren Konkurrenten[65] ?

Das dritte Kapitel widmet sich den Vorläuferveranstaltungen der Festspiele, bzw. jenen Festen, Feierlichkeiten und Inszenierungen, die dafür gehalten werden. Dabei geht es nicht um die Rekonstruktion von Traditionen, sondern um die Beschreibung einer sich verdichtenden Atmosphäre von Festlichkeit in der Hersfelder Stiftsruine, im historischen Monument[66]. Unter dem Gesichtspunkt der Institutionalisierung sollen verschiedene Feste und Veranstaltungen im Kaiserreich, der Weimarer Zeit und im Nationalsozialismus auf Strukturen untersucht werden, auf die in der Nachkriegszeit Bezug genommen wird.

Anknüpfend an diese Entwicklung dient das nächste Kapitel dem Überblick über fünfzehn Jahre Festspielgeschichte. Um wesentliche Weichenstellungen und Veränderungen sichtbar zu machen, soll ein Phasenmodell konstruiert werden, das Aspekte der Festspielentwicklung unter spezifischen Gesichtspunkten chronologisch bündelt. Grundlage dafür ist eine Einordnung der Festspiele in die politische Landschaft Hessens und der Bundesrepublik; das Modell soll vor allem politische Funktionen der Festspiele veranschaulichen. Jeder Phase sollen Merkmale zugeordnet werden, welche die Entwicklung der Festspiele vom improvisierten Fest zu institutionalisierten Repräsentationsfestspielen nachvollziehbar machen.

Im fünften Kapitel rückt eine Person, der Gründungsintendant Johannes Klein, in den Vordergrund; es thematisiert seinen Beitrag zum Gelingen des Projekts Festspiele – auch in politischer Hinsicht[67]. Das darauf folgende Kapitel stellt Institutionen und Strukturen in den Mittelpunkt. Im ersten Strukturkapitel sollen Förderinstitutionen der Festspiele auf ihre Motive untersucht werden. Was rechtfertigte eine großzügige Unterstützung von zwei Bundesministerien für ein Festspielprojekt in einer hessischen Kleinstadt? Neben dem Beitrag des Bundes sollen auch der des Landes und des Hessischen Rundfunks beleuchtet werden. Dabei sind Finanzierung und ideelle Förderabsichten auf wechselseitige Bedingtheit zu untersuchen. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Fördergesellschaft ‚Gesellschaft der Freunde der Stiftsruine’. Welchen Beitrag konnten die Mitglieder durch die Lobbyarbeit für die Festspiele leisten bzw. welche Aufgabe wurde dieser Institution mit Blick auf Bayreuth und den Salzburger Förderverein zugedacht? Das letzte Teilkapitel soll finanzielle Belange zusammenfassen und unter dem Gesichtspunkt des Finanzierungsrisikos und der Subventionsrechtfertigung analysieren. Welche Rolle die Festspiele in der Bad Hersfelder Wirtschaft, als Standortfaktor, spielten, soll im Kapitel über Interessen und Legitimation gebündelt werden.

Das zweite Strukturkapitel handelt von der Programmgestaltung, der Werbung für die Festspiele sowie deren Besuchern. Zunächst soll geklärt werden, inwiefern eine Unterstützung der Institutionen und Gruppen mit Versuchen einherging, auf die Programmgestaltung der Festspiele Einfluss nehmen zu wollen. Dabei soll insbesondere die Rolle des ‚Überörtlichen Arbeitskreises Festspiele’ in Bonn geklärt werden. Um später ‚ideologische’ Momente analysieren zu können, muss ein Teilkapitel die programmatische und inhaltliche Ausrichtung der Festspiele aufzeigen. Warum wurden bestimmte Autoren und Stücke gespielt und wie ordnet sich der ‚Hersfelder Stil’ in die Theaterlandschaft der 1950er Jahre ein?

Die Festspiele waren im Jahr 1951 völlig unbekannt. Zu erklären wie es gelang, sie überregional, sogar international bekannt zu machen, ohne penetrant für das Kulturanliegen die Werbetrommel zu rühren, ist für das Verständnis der Breitenwirkung der Festspiele unverzichtbar. Welche Strategien der Presse- und Multiplikatorenarbeit sind für den Aufbau des Images der Festspiele und deren Bedeutung als ‚Bundesfestspiele’ entwickelt worden? Woher die Besucher letztlich kamen, soll im nächsten Teilkapitel gezeigt werden. Ausgehend von statistischem Material ist die geographische Herkunft der Zuschauer zu rekonstruieren. Dabei ist zu fragen, ob manche Regionen unterrepräsentiert sind und welche Wirkung die Festspiele in der DDR entfalten konnten. Der Anteil der ausländischen Besucher bei Festspielen gilt als Gradmesser ihrer Reputation – wie ging man in Bad Hersfeld mit Ansprüchen auf internationale Wirkung um? Trotz methodischer Vorbehalte und einer problematischen Quellenlage soll versucht werden zu rekonstruieren, wie die soziale Stellung der Festspielbesucher zu charakterisieren sind. Dafür sollen verschiedene Besuchergruppen mit ihren Erwartungen an die Festspiele vorgestellt werden. Neben der Masse des zahlenden Publikums sollen besonders diejenigen Gruppen in den Blick kommen, die auf Freikarten zurückgreifen konnten. Auch das abschließende Teilkapitel widmet sich der gesellschaftlichen Funktion der Festspiele, indem Festanlässe in deren Rahmenprogramm und Umfeld einbezogen werden. Es soll gezeigt werden, inwiefern diese Veranstaltungen als Teil der ‚gesellschaftlichen Funktion Festspiele’ zu verstehen sind. Welche Infrastruktur entwickelte die Kleinstadt dazu?

Die Bad Hersfelder Festspiele als Indikator können je nach Quellenlage herangezogen werden, um allgemeine politische, kulturelle und ideologische Entwicklungen am Beispiel zu konkretisieren. Im Kapitel 8 sollen Fragestellungen beleuchtet werden, die über die Festspiele hinaus verweisen und Aussagen auf zentrale Fragen bundesdeutscher Geschichte der 1950er Jahre ermöglichen[68]. Bis 1955 waren, so auch in Bayreuth und Salzburg, die amerikanischen Militärbehörden für die Genehmigung kultureller Großprojekte zuständig. Das Quellenmaterial erlaubt es z.B., die Politik der amerikanischen Militärbehörden zu untersuchen und ihren Umgang mit den Festspielen in Bad Hersfeld einzuordnen[69]. Kulturangelegenheiten fallen laut Grundgesetz in die Zuständigkeit der Bundesländer. Inwiefern das Land Hessen Bestrebungen des Bundes begegnete, die Festspiele zu instrumentalisieren, soll ein Kapitel zum Bund-Länder-Verhältnis und dessen Konfliktpotential in Sachen Festspiele klären. Ob die Festspiele darüber hinaus Produkt intentionalen Handelns, Ergebnis von Kulturpolitik, waren und wie jene sich am Beispiel der Festspiele dokumentiert, ist im nächsten Kapitel zu diskutieren. Wie sah das Selbstverständnis der Bildungsbürger aus, die die Festspiele besuchten?

Das Beispiel der Festspiele lässt Aussagen für die Forschungsdiskussion um Kontinuitäten und Brüche von Bürgerlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg erhoffen. Inwiefern sich bildungsbürgerliche Werte, Ansprüche und Ressentiments in der Darstellung der Festspiele im Ausland spiegeln, wird im folgenden Abschnitt problematisiert. Besonders brisant sind Wirkungsabsichten, die auf die DDR gezielt haben können. Welche Rolle hatten die Festspiele an der Zonengrenze und wie sind sie in das Themenfeld deutsch-deutscher Nachkriegspolitik einzuordnen? Die Ära Adenauer[70] wird in der Forschung als Zeit der ‚Rechristianisierung’ charakterisiert. Wie die Kirchen zu den im ehemaligen sakralen Raum Mysterienspiele inszenierenden Festspielen standen, beleuchtet die nächste Frage. Zum Abschluss dieses Kapitels sollen die Festspiele als Kristallisationspunkt nationaler Repräsentation beschrieben werden; wie ist das Fest ‚Festspiele’ zu charakterisieren und in die Festforschung einzuordnen[71] ?

Ideologie und Mentalität, die in Programmatik und Umsetzung der Festspiele zum Ausdruck kommen, sind Thema des letzten Kapitels[72]. Festspielreden sind eine geeignete Quellengattung, um Ideologeme ‚herauszufiltern’ und sie zu thematischen Clustern anzuordnen. Die Ideen und Wertvorstellungen im Umfeld der Festspiele sollen in den zeitgenössischen Diskurs über gesellschaftliche Neugestaltung und Restaurationstendenzen eingeordnet werden. Exemplarisch kann das an der Hersfelder Hofmannsthal-Gedenkrede von Theodor Heuss versucht werden. Als ideologiekritische Folie soll Adornos Begriff vom ‚Jargon der Eigentlichkeit’ auf die Festspielreden angewendet werden. Im nächsten Schritt ist auch Adornos Position zu reflektieren: Auf welche Bedürfnisse wurde mit den Festspielen reagiert und welche Funktion hatten sie in der Nachkriegsgesellschaft? Ob sich auch Evolution und gesellschaftliche Modernisierung in der bundesrepublikanischen Festspiellandschaft spiegeln, ist Gegenstand der abschließenden Frage zu deren ideologischer und mentaler Funktion[73].

Eine Zusammenfassung zeigt, was der Ansatz ‚Festspiel als Indikator’ zu leisten vermag und an welche Grenzen er stößt. Aus den Hersfelder Ergebnissen sollen als Ausblick Thesen für eine vergleichende Festspielgeschichte der ‚langen 1950er Jahre’ stehen, die unter dem Aspekt der ‚nationalen Repräsentation’ Fragen an neue Quellenbestände richtet.

1.5 Festspiele als Indikator - Reflexion der Methoden

In dieser Arbeit soll nicht die Geschichte der Bad Hersfelder Festspiele erzählt werden; dies verlangte, eine Bandbreite zu berücksichtigen, bei der ein Erkenntnisinteresse unterginge. So bleiben die Stücke und Schauspieler, die Musik und Lichttechnik sowie die Inszenierung beinahe unberücksichtigt, obwohl sie die sichtbaren Festspiele ausmachen[74]. In dieser Untersuchung geht es nicht um Vollständigkeit der Erinnerung, sondern um Fragen, die das Phänomen ‚Bad Hersfelder Festspiele’ im historischen Kontext greifbar werden lassen, verweisen sie doch über sich hinaus, sind nicht nur Institution, sondern Symbol für kulturelle Einstellungen und stehen daher für etwas anderes. Als Indikator, als „Brennglas“ zeigt das Festspiel mehr als nur Künstlerisches, es ist Spiegel und Demonstration von Politik, Macht, letztlich Ideologie[75].

Die systemtheoretischen Überlegungen von Luhmann und Baecker zur Bedeutung von Kunst und Kultur als gesellschaftliche Systeme zweiter Ordnung, die Strukturen erster Ordnung wie Ökonomie oder Politik spiegeln und konstituieren, sind eine ideale Folie zur Beschreibung der Indikatorfunktion von Festspielen[76]. Festspiele stellen Werte einer Gesellschaft vor und reflektieren politische, wirtschaftliche Macht und verschmelzen mit der Wirkung des kulturellen Symbols, der ‚Bekenntnishandlung’ des Festspielbesuchs[77]. Bilden sie durch Affirmation gesellschaftliche Zustände nach oder werden sie nicht auch im Festspiel konstituiert[78] ? Der Habitus-Begriff Bourdieus soll helfen, das Verhalten der Festspielrezipienten zu beschreiben. Welche Rolle spielen dabei die Stücke als eigentliche Medien der Festspiele? Ist das Festspiel als Form ‚die Message’? Diese Fragen sind mit den Ergebnissen der Festforschung zu verbinden, denn das Festspiel ist im Kern ein wiederkehrendes Fest. Vor allem die Untersuchungen im Sammelband von Düding und Hettling[79] als auch festtheoretische Abhandlungen könnten interessante Einblicke geben[80]. Vorbildlich zur Historisierung der zeitgeschichtlichen Festkultur scheint der Sammelband von Freitag[81].

In dieser Arbeit wird versucht, Entwicklung und Strukturen einer Kulturinstitution nachzuzeichnen – ist die Beschäftigung mit Festspielen ein typisches Beispiel von Kulturgeschichte? Daniel begreift Kulturgeschichte nicht als Teildisziplin der Geschichtswissenschaft, die sich mit genuin kulturellen Phänomenen, z.B. Festen, beschäftigt[82], sondern als historiographischen Anspruch, Themen interdisziplinär und mit verschiedenen Methoden zu behandeln[83]. Verschiedene historiographische Organisationsmodelle sollen in dieser Untersuchung zur Anwendung kommen und Fragen nach Macht, Strukturen sowie Personen und Einzelphänomenen gleichermaßen thematisieren. Durch unterschiedliche methodische Verfahren sollen Aspekte beleuchtet werden, die eine einzelne Herangehensweise nicht aufzeigen kann. Zwei Kapitel beschäftigen sich mit Strukturen, im ‚Ideologiekapitel’ wird ein hermeneutischer Ansatz angewendet. Dabei entstehen Vernetzungen der Themen durch Wiederaufnahme der Argumentation[84].

Durch engen Quellenbezug ermöglicht eine sozialgeschichtlich inspirierte Untersuchung von Kulturinstitutionen eine greifbarere Form von Kulturgeschichte. „ Neue Impulse für die Zeitgeschichte sind vor allem aus dem Bereich der Kultur zu erwarten“, so Doering-Manteuffel[85]. Das ist möglich, wenn die Geschichtswissenschaft neue Quellengattungen erschließt, sich beispielsweise auf Pathos und Kulturgläubigkeit der 1950er Jahre einlässt, die dem 19. Jahrhundert näher zu stehen scheinen als unserem postmodernen Weltverständnis[86]: „ Niemals hat man eine solche Feierstunde erlebt, nie eine so erlesene Gruppe von Hoffenden, nie hatten unsere Klassiker diese Notwendigkeit zur Strahlkraft, heute Abend verbindet uns ein Fest – aber schweig, der Vorhang der Bad Hersfelder Festspiele öffnet sich![87]

2. Einordnung der Festspiele in Bad Hersfeld

2.1 Annährung durch Definitionen – Entwicklungsetappen des Festspiels als Kulturinstitution

Im deutschsprachigen Raum gibt es heute etwa 300 Kulturveranstaltungen, die sich als Festspiele bezeichnen; diese Selbstbezeichnung soll ein positives Image vermitteln, sagt aber nichts über das Dargebotene aus[88]. Im Gegensatz zum Festival ist mit der Bezeichnung Festspiel der Anspruch auf besonders exklusiv inszenierte künstlerische Leistungen und Klassizität verbunden. Durch zeitliche Begrenzungen – meist auf einige Wochen im Sommer – sollen sich Festspiele vom alltäglichen Kulturbetrieb abheben[89]. Der Begriff ist allerdings diffus: verschiedene Konzepte, Gattungen und Medien können sich hinter dem Schlagwort verbergen. Die Festspiellandschaft ist heute genauso bunt, variantenreich und flächendeckend wie die Kulturlandschaft im Allgemeinen[90]. Der Begriff ‚Festspiel’ hat zwei Kernbedeutungen: er meint sowohl eine literarische Gattung, ein Gelegenheitsspiel pathetischen Inhalts, oder aber die Institution Festspiel, die von nur wenigen Definitionen berücksichtigt wird[91].

Weil es hier um die deutschsprachige Festspiellandschaft und ihre Entwicklung in den 1950er Jahren geht, bietet es sich an, sich einer Einordnung über zeitgenössische Positionierungen anzunähren. Wie definieren sich Kulturinstitutionen im Untersuchungszeitraum, in welcher Funktion sahen sie sich selbst? Die – noch heute – immer wieder beschworene Gefahr einer Inflation der Festspielidee und ihre Unzeitmäßigkeit bestimmen die Festspieldebatte der 1950er Jahre[92]. Gegen neu gegründete Festspielorte versuchen sich die bewährten mit Argumentationsstrategien abzugrenzen: „ Das Festspiel ist eine elitäre Veranstaltung, die dem Außergewöhnlichen dient. Das Besondere sollte das Eigentliche sein – das Wesen eines Ortes, einer Person, einer Kunstrichtung. Festspiele sollten die Spitzenerzeugnisse deutscher Kultur sammeln und sich ihrer Pflege widmen[93]. Ob im Fall Bayreuth, Salzburg oder Oberammergau – anderen Orten sprach man die Festspielwürdigkeit ab und führt den Tourismus als Erklärungsmuster an: „ Nur wenige Festspielorte können Bestand haben, eine Vermassung wäre Ausverkauf von Kultur. Die Ambitionen vieler Städte sind skandalös und lächerlich. Das Authentische und Wahre, das Sublime und Veredelte kann nicht an jeder Flußbiegung zur Entfaltung kommen. Wahrhafte Festspiele, die den Namen verdienen, gibt es nur eine Hand voll[94]. Dass die neu gegründeten Bad Hersfelder Spiele diese Argumentationen übernehmen, scheint erstaunlich: „ Ein Festspiel kann sich nur als das Besondere verstehen; es ist nicht das Beliebige, sondern das Notwendige. In der Bad Hersfelder Stiftsruine muß gespielt werden. Diese Verpflichtung und Verantwortung ist etwas ganz anderes als der Kulturaktionismus unserer Tage, wo findige Bürger versuchen, mit den eigentlichen Kulturstätten zu konkurrieren und sie somit auch entweihen. Nur bestimmte Veranstaltungen dürfen Festspiele heißen![95] Abgrenzung und Legitimation der Originalität des eigenen Festspielanspruches verweisen auch hier auf das Exklusivitätsproblem – wer definiert, was sich Festspiel nennen darf?

Diese zeitgenössischen Selbstbestimmungen und Abgrenzungen stimmen mit Definitionen überein, die das Einzigartige, das Ausgewählte und Authentische als Charakteristika für Festspiele betonen[96]. Dass zur gleichen Zeit so viele Festspiele in der Bundesrepublik entstehen wie nie zuvor, hängt mit dem Bedürfnis der Kommunen in der Nachkriegszeit zusammen, sich ihrer Vergangenheit zu vergewissern und sie auch für ein nationales Publikum verbindlich machen zu wollten. Kulturglaube und Aufbruchsstimmung paarten sich mit dem Anspruch, sich auf ewige, ungebrochene Kulturwerte berufen und aus ihnen Identitätsangebote ableiten zu können. Manchen Festspielorten gelingt dies aus eigener Kraft, ihre Botschaft erscheint als konsensfähig und nicht hinterfragbar. Andere Festspielorte können sich durch politische Unterstützung einen nationalen Anspruch sichern. Deshalb sind Fragen nach Konkurrenz, Macht und Interesse für Festspiele in den 1950er Jahren unverzichtbar.

Vorher sollen allerdings wesentliche Entwicklungen skizziert werden, die zur Einordnung und Definition der Bad Hersfelder Festspielidee herangezogen werden können. Die herkömmlichen Definitionen gehen von der literarischen Gattung ‚Festspiel’ und deren Inszenierung aus und fassen den Terminus vor allem historisch[97]. Sie versuchen das Festspiel als dem Theater analoge Gattung vom Mittelalter über die ‚bürgerlichen’ Meistersinger, Passions- und Mirakelspiele, über die höfischen Festspiele des Barock bis zum Festival unserer Tage zu beschreiben – ohne allerdings die verbindenden Elemente dieser sehr heterogenen Veranstaltungen zu benennen[98]. Schon das Festspiel als Gelegenheitsfest mit theatralischer Umrahmung, wie es noch Goethe verstand, unterscheidet sich von der Festspielkonzeption der Romantiker; jene wollten auf didaktische Weise ‚dem Volk’ einen Kristallisationspunkt für Identität, also Geschichte anbieten[99]. Schon diese Festspielvarianten haben höchst verschiedene Grundlagen.

Eine völlig andere Ausrichtung als die politischen Festspiele im Umfeld der 1848er Revolution hat der Festspielplan Richard Wagners, der wiederkehrende Festspiele mit der künstlerischen Essenz seines Schaffens, seinen Opern, mit Hilfe von Mäzenen wie dem Bayernkönig Ludwig II. institutionalisierte. Das Festspielhaus ist sichtbar gewordener Anspruch, diesen Feiern einen Fixpunkt zu geben – die typischen Ruhmesfestspiele der Kaiserzeit waren dagegen an beliebigen Orten inszenierbar[100]. Die Bayreuther Festspiele von 1876 sind die erste initiierte Festspielinstitution; spätestens an diesem Punkt müssten Definitionen zu einer Unterscheidung kommen, muss zur literarischen Gattung auch die Institution ‚Festspiel’ treten. Bayreuth ist einer der Hauptbezugspunkte für Festspielprojekte im 20. Jahrhundert.

Volksfestspiele, die Ende des 19. Jahrhunderts entstanden und die nationalen Mythen der kaiserlichen Weihespiele auf die lokale Ebene transformierten, sollten eine Gemeinschaftsbildung durch das Mitwirken von Laien ermöglichen[101] ; diese Bewegung setzte sich von elitären und an besondere Orte gebundenen Festspielprojekten ab. In einem nächsten Schritt institutionalisieren sich anfangs des Jahrhunderts auch Musikfestspiele[102]. In den 1920er Jahren wurden auch immer mehr Festspielinstitutionen gegründet, die Stücke auf die Bühne bringen, die nicht als Festspiele geschrieben wurden, sondern die als Klassiker einen Kanon des ‚Schönen, Wahren und Guten’ vorstellten – wie z.B. die Salzburger oder Schwäbisch-Haller Festspiele[103].

In Salzburg wurden im Jahr 1921 Musik-, Theater- und Opernfestspiele durchgeführt, die mit den Namen Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt und Bruno Walter genauso verbunden sind wie mit Calderon, Strauss und Mozart. Nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie und Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg sollten die Festspiele als geistiges Amalgam die Traditionen des 19. Jahrhunderts mit dem Anspruch auf künstlerische Avantgarde verbinden. Ende der 1920er Jahre und im folgenden Jahrzehnt wurden diese ‚Multimediafestspiele’ (Musik, Oper und Theater), gleichsam Metafestspiele, zur erfolgreichsten europäischen Kulturinstitution im Sommer und durch Staraufgebote und repräsentative Veranstaltungen aufgewertet. Neben der Wagnerschen Festspielidee entfaltete diese polyphone und sehr offene Institution die größte Suggestionskraft in den 1950er Jahren – die „ Weltkulturzentrale an der Salzach “ wurde zum Referenzzentrum aller anderen Festspielorte[104].

Das nationalsozialistische Regime versuchte die großen nationalen Festspielinstitutionen zu vereinnahmen, gleichzuschalten[105]. Sie hatten sich als unabdingbar erwiesen: dort wurden Repräsentation und Herrschaftsanspruch demonstriert, dort sollte „dem Ausland die Angst vor dem Kulturvolk Deutschland genommen werden[106]. Die Volks- Heimat- und Historienfestspiele sollten in die mystische Thinginfrastruktur umgewandelt und integriert werden, die allerdings schon im Jahr 1937 aufgegeben wurde. Nur die Festspiele von Bayreuth und Salzburg wurden trotz erheblichen Aufwands bis in die zweite Kriegshälfte fortgeführt; das Jahr 1939 bedeutete für die allermeisten Orte das vorläufige Aus.

Festspiele in den 1950er Jahren sollen hier definiert werden als für eine Zeitspanne regelmäßig wiederkehrende Kulturveranstaltungen mit programmatischer Ausrichtung, die verschiedene Künste in einem anspruchsvollen Rahmen präsentieren, um sich Traditionen zu versichern und sie als konsensuales Identitätsangebot lebendig zu machen; sie sind Institutionen mit Anspruch auf Exklusivität und Klassizität, haben nicht nur unterhaltende und ästhetische Funktionen, sondern sind Projektionsflächen und Ausdruck für die Ideen der Zeit sowie sozialer Inszenierungs-, Integrations- und Distinktionsort. Diese funktionale Definition[107], die auf ästhetische Wertungen verzichtet, um verschiedene Formen von Festspielen zu betrachten und neben einander stellen zu können, soll in dieser Arbeit erprobt werden.

2.2 Festspielformen der 1950er Jahre – Bad Hersfeld als Prototyp

Musikfestspiele, Opernfestspiele und Theaterfestspiele sowie Film- und Passionsfestspiele – die Formen unterscheiden sich schon durch das künstlerische Medium. Die häufigsten sind diejenigen Festspiele, bei denen Theateraufführungen im Mittelpunkt stehen: In den 1950er Jahren waren vor allem Wunsiedel, Schwäbisch-Hall, Jagsthausen, Passau, Bad Hersfeld und Recklinghausen die bekanntesten. Opernfestspiele gelten als teurer und exklusiver; hier profilierten sich Bayreuth, Wiesbaden, Schwetzingen, Bregenz und München[108]. Typische Musikfestspiele sind die Mozartfestspiele in Salzburg und Wien, die Eutiner Festspiele, die Händelfestspiele, die Luzerner und Konstanzer Musikfestspiele sowie diejenigen in Kassel und Ansbach. Die Tradition der Passionsspiele wurde vor allem in Oberammergau und Kaufbeuren erfolgreich wieder aufgenommen. Filmfestspiele wie die in Berlin oder Bochum erschließen ein neues Medium, entwickelten sich aber erst Ende der 1950er Jahre[109].

Die Jahreszeit ist ein weiteres Kriterium: Feiert Wiesbaden Maifestspiele, so sind die meisten Veranstaltungen Sommerfestspiele und profitieren von (Theater)Ferien, Orchesterpausen und sommerlicher Atmosphäre. Aber auch Herbstfestspiele oder Weihnachts- sowie Oster- und Pfingstfestspiele (z.B. in Salzburg) werden veranstaltet. Neben der zeitlichen Stellung ist der Ort ausschlaggebender Faktor für Festspiele, nur sehr wenige fanden an wechselnden Orten statt wie die Arbeiterfestspiele der DDR[110] oder die Schwäbischen Festspielwochen.

Der besondere Platz der Aufführung ist ein wichtiges Distinktionsmerkmal[111]: Festspiele in oder vor historischen Denkmälern sowie solche auf Plätzen, vor Stadttoren und Kirchen sind typisch. Die Landschaft kann neben oder mit einem Denkmal den besonderen Rahmen abgeben; entweder als Landschaftsfestsspiel oder an einem besonderen Naturdenkmal wie die Luisenburgfestspiele, Loreley-Festspiele oder Externsteinfestspiele[112]. Besondere Spielarten stellen Waldfestspiele wie in Twiste, Höhlenfestspiele in Balve, Parkfestspiele wie in Mannheim oder Seefestspiele wie in Starnberg oder Bregenz dar[113].

Der besondere Ort kann sich mit einem speziellen gefeierten Anlass verbinden: eine Schlacht (Murten), eine Hochzeit (Landshut), die Stadtgründung oder ein anderes Anlass (Rothenburger Meistertrunk, Hornberger Schießen) – ihnen ist das identitätsstiftende Ereignis gemein. Das Historienspiel kommt im Historismus auf und erfreut sich auch in den 1950er Jahren großer Beliebtheit[114]. Manche Festspiele sind Personen gewidmet wie die Bayreuther Wagnerfestspiele, die Händelfestspiele (Göttingen), Thälmannfestspiele (Magdeburg), Schubertfestspiele (Düsseldorf) oder Ansbacher und Lichtensteiner Festspiele, die Mozarts bzw. Nestroys Werk pflegen[115]. Ohne einen solchen Referenzpunkt, ohne Erinnerungsfolie entfalten Festspiele keine Suggestionskraft, haben keine Attraktivität für das Publikum.

Der Grad der Institutionalisierung[116] lässt sich an der Veranstaltungsräumlichkeit ablesen. Es macht einen Unterschied, ob Festspiele wie in Bayreuth oder Recklinghausen in einem eigenen Gebäude stattfinden oder wie in München, Wiesbaden oder Schwetzingen im Theater- oder Opernhaus. Manche Festspiele nutzten öffentliche Hallen wie in Worms oder Passau. Die Mehrzahl der Sommerfestspiele sind Freilichtspiele, die in einem historischen oder Landschaftsensemble stattfinden[117]. Manche Freilichtbühnen wie in Marburg, Eisenach, Heppenheim oder Hamm sind als amphitheatrisches Halbrund konstruiert; viele knüpfen an Thingspielpläne der 1930er Jahre an. Andere Festspiele verwandeln Schlösser, Burgen, Stadttore und Marktplätze in eine Bühne[118].

Ein viertes Kriterium zur Einordnung von Festspielen neben Medium, Zeit, Ort oder Anlass ist die Adressatengruppe, die auch eine programmatische Ausrichtung bedingt. Heimat- und Volksfestspiele haben ein anderes Publikum als Arbeiter- und Werksfestspiele wie in Recklinghausen, Wetzlar oder Dresden. Auch Kinderfestspiele, Laienfestspiele, Bauernfestspiele oder Kurfestspiele sind durch die soziale Ausrichtung zu unterscheiden. Anhand dieser Kriterien wird klar, dass Festspiele sehr unterschiedliche Reichweiten haben, deshalb ist noch ein weiteres Kriterium nötig[119].

Freilichtfestspiele wie die von Kamenz oder Ettlingen sind von lokaler Bedeutung, ihr Publikum reist nicht von weit her an. Ihre Funktion ist es, der städtischen Gemeinschaft ihre Geschichte vor Augen zu stellen. Die Wirkung der Bad Gandersheimer oder Eutiner Festspiele geht über den lokalen Rahmen weit hinaus – sie sind in ganzen Regionen ein Begriff und eine touristische Attraktion. Nur sehr wenigen Festspielen gelingt es, ein nationales Renommee aufzubauen: Festspiele in Recklinghausen, München, Oberammergau, Händelfestspiele in Göttingen und auch die Bad Hersfelder sind in den 1950er Jahren auch durch die Medien national bekannt. Ein Besuch ist nicht nur kostspielig – diese Orte sind Treffpunkte nationaler Eliten und des Bildungsbürgertums[120]. Nur sehr wenige Orte sind in ganz Europa, sogar weltweit bekannt: die Bayreuther und Salzburger Festspiele, auch die Luzerner und Münchner Veranstaltungen erfreuen sich eines internationalen Publikums. Die Unterteilung nach dem Bekanntheitsgrad ermöglicht eine Abstufung auch der sozialen Funktion von Festspielen.

Politisches und Repräsentationsinteresse bilden das letzte Kriterium zur Einordnung von Festspielen in den 1950er Jahren, denn die zumeist staatliche Unterstützung ermöglicht finanzielle Spielräume, die entscheidende Vorteile bedeuteten. Festspiele wie in Recklinghausen und Bad Hersfeld wurden vom Bund, Bad Gandersheim, Furth/Wald, Ettlingen und Eutin vom Land finanziert und erschlossen sich Einnahmequellen, über die andere nicht verfügten. Das Mäzenatentum in Bayreuth ermöglichte Inszenierungen von hoher Qualität.

Wie sind die Bad Hersfelder Spiele in dieses Raster mit großer Variationsbreite einzuordnen? Sie sind reine Theaterfestspiele, die im Juli und August eines jeden Jahres stattfinden. Der Ort ist die Stiftsruine in der Mitte der Stadt, die an die Vergangenheit Hersfelds als mittelalterliches Missionszentrum erinnert; diese historischen Mauern werden als national bedeutsames, einzigartiges Denkmal charakterisiert; gleichzeitig waren die Festspiele in den Anfängen dem Werk von Hugo von Hofmannsthal gewidmet. Parallel dazu wurde auch ein Kanon klassischer Stücke entwickelt. Die Ruine ist zwar ein Gebäude, hat aber kein Dach, sodass neben dem Flair des ehemaligen Kirchenraums auch das Naturerlebnis unter freiem Himmel zum Tragen kommt. Die Ruine wird ausschließlich durch die Festspiele genutzt, Bühne und Zuschauersitze werden aus konservatorischen Gründen jedes Jahr neu montiert. Im Untersuchungszeitraum gelang es den Festspielen mit ihrem Anspruch und Programm, zu überregional geachteten Festspielen mit Ambitionen zum internationalen Festspielort zu werden. Besucher kamen aus der ganzen Bundesrepublik, aus der DDR und dem Ausland. Voraussetzung dafür war aber auch politisches Interesse, das mit Subventionen einherging.

Die Bad Hersfelder Festspiele erfüllen viele Kriterien und weisen eine besonders große Breite an Funktionen und Erwartungsanforderungen auf; wegen der politischen Förderung gerade von Bundesinstitutionen und ihres schnellen Aufstiegs können sie als prototypische Theaterfestspiele der 1950er Jahre verstanden werden: „ Die ehrgeizigen Bad Hersfelder Festspiele sind vom Rang neben Salzburg, Berlin und Bayreuth getreten. In Hessen ist gelungen, was an vielen Orten verfehlt wurde: die Schöpfung eines kulturellen Zentrums in karger Zeit – am Rande des Weststaats, aber in seinem geistigen Zentrum[121]. Wie gelang es, die Ruine der Kleinstadt zur Projektionsfläche für ein nationales Anliegen zu machen? Was vom Ergebnis her betrachtet erfolgversprechend scheint, nämlich die Institutionalisierung der Bad Hersfelder Festspiele, stellt sich differenzierter dar, wenn der regionale Entstehungskontext beleuchtet wird. Dass die Festspiele Konkurrenz in der selben Region hatten, die in den 1950er Jahren auf eine erfolgreiche Vergangenheit zurückblicken konnte, lässt den Erklärungsdruck steigen: Wie konnte ein solches ‚hessisches Salzburg’ entstehen?

2.3 Festspiele in Hessen in der Nachkriegszeit

Festspiele sind ein Phänomen des südwestdeutschen und bayerischen Raumes, von dort nahmen sie ihren Ausgang, dort sind sie auch heute noch vorwiegend verbreitet[122]. Begründet wird diese Argumentation mit den Wurzeln von Festspielen im Fronleichnamsspiel und den bürgerlichen Spielen der Reichsstädte[123]. Sieht man allerdings genau hin, erweisen sich diese Traditionen als konstruiert, denn Hornberger Schießen, Landshuter Fürstenhochzeit oder die Oberammergauer Spiele sind Produkte des Geschichtsbedürfnisses des 19. Jahrhunderts[124]. Der Historismus sowie der Versuch, sich lokale Identität zu vergegenwärtigen und ein Ereignis gemeinschaftlich zu feiern, waren universell. Welche Festspiele als Kulturinstitution im Sinne einer funktionalen Definition finden sich in einer Region, die im Gegensatz zum Fichtel- und Erzgebirge nicht den Ruf hat, eine Festspielregion zu sein, nämlich Hessen[125] ? Ein Blick auf andere Festspielorte zeigt, wie stark die Konkurrenz der Hersfelder war:

Die Maifestspiele in Wiesbaden waren seit 1896 ein besonders festlicher Anlass, beim Besuch des Kaisers in seiner Kurresidenz Historienstücke sowie Operntheater im Theaterhaus zu inszenieren[126]. Ganz im Sinne Wagners, dessen Werke regelmäßig auf dem Spielplan standen, sollten sich die Spiele vom Theaterbetrieb durch besondere Qualität und Anspruch absetzen. Bis zum Ersten Weltkrieg wurden die Wiesbadener Spiele für die kurende Aristokratie und das Besitzbürgertum zum ‚Hohenzollern-Ereignis’[127]. Seit der Weimarer Zeit wurden ausländische Spitzeninszenierungen nach Wiesbaden geholt, die Besucherströme weit über das Rhein-Maingebiet hinaus anlockten. Da im Nationalsozialismus ab 1937 kein Spielbetrieb stattfand und die Spiele nicht ideologisch instrumentalisiert wurden, konnten sie in der neuen Landeshauptstadt auf ausdrücklichen Wunsch der Besatzungsmacht wiedergegründet werden. In den 1950er Jahren waren sie neben München und Bayreuth die profiliertesten Opernfestspiele der Bundesrepublik, die sich durch umstrittene Engagements osteuropäischer Ensembles als ‚Fenster zum Osten’ positionierten[128].

Die Idee der Laienfestspiele verbreitete sich nach 1900 im ganzen Deutschen Reich[129]. Kleine Festspielorte entstanden im Rothaargebirge; dort werden Heimatstücke auf die Bühne gebracht. Als Naturtheater sind sie im Freien untergebacht und wurden in der Thing-Bewegung der Nationalsozialisten stark gefördert[130]. Sind es dort Kommunen und Vereine, so war es in Eppstein Fürst Christian Ernst zu Stolberg, der im Jahr 1913 Laienfestspiele anregte[131]. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg nahm man diese Tradition auf, die bis zum heutigen Tag besteht[132]. Parallel dazu haben traditionsreiche Städte wie Marburg und Gelnhausen in den 1920er Jahren ihre identitätsstiftende Heimatgeschichte im Festspiel institutionalisiert. Die Elisabeth-Festspiele bestehen seit 1925, die Kaiserspiele der Pfalzstadt Gelnhausen wurden ein Jahr später gegründet und ab dem Jahr 1951 für drei Spielzeiten reaktiviert.

Die Festspiele auf der Darmstädter Mathildenhöhe stehen in Zusammenhang mit der Künstlerkolonie und den Sezessionsausstellungen der Jahrhundertwende. Bis 1911 wurde unter dem Motto der ‚Lebensreform’ expressives Tanz- und Klassikertheater gespielt[133].

Im Jahr 1932 wurden auf dem Frankfurter Römerberg zum ersten Mal Festspiele veranstaltet. Vor historischem Hintergrund gab man Klassikertheater: ‚Faust’, ‚Wallenstein’, ‚Hamlet’, ‚Nibelungen’, ‚Urgötz’[134]. Diese Freilichtbühne wurde unter Gauleiter Sprenger neben dem Thingplatz Loreley zum zentralen kulturellen Repräsentationsobjekt ausgebaut[135]. Die Römerbergspiele standen unter der Schirmherrschaft von Goebbels und wurden als reichswichtiges Festspiel neben den Heidelberger Spielen und denen in Weißenburg zu den wichtigsten auch im Ausland wahrgenommenen Festspielen ausgebaut[136]. Diese Tradition konnte nach 1945 nicht mehr reaktiviert werden, in der zerstörten Stadt fand sich im Kreuzgang des Karmeliterklosters jedoch ein idealer romantisierter Ort für Theater unter freiem Himmel[137]. Bis 1958 konnte das Frankfurter Publikum dort Klassikerinszenierungen sehen.

Die Heppenheimer Festspiele an der Bergstraße, damals noch Freilichtspiele in einem hergerichteten Steinbruch, sollten als kulturelles Zentrum von Hessen-Starkenburg seit 1934 zu Thingspielen ausgebaut werden[138]. Dieser Plan scheiterte zwar, dennoch etablierten sich die Festspiele mit Klassikertheater für den südhessischen Raum und wurden nach dem Krieg reaktiviert – auch erhebliche Landeszuschüsse konnten das „ Festspielereignis der Rhein-Neckar-Region “ nicht über das Jahr 1959 hinaus etablieren[139].

Die erste Festspielneugründung in Hessen waren die Kronberger Festspiele, die – auf private Initiative zurückgehend – von den Hessischen Staatstheatern mit ihren Spitzeninszenierungen bespielt werden sollten[140]. Das Land versuchte, die Taunusstadt analog zu Wiesbaden zum Zentrum für Theaterfestspiele auszubauen, das scheiterte aber bereits im Jahr 1953[141].

Den Ruhrfestspielen vergleichbar wurden die Wetzlarer Festspiele als Bildungsort für Arbeiter von den Firmen Buderus und Leitz zusammen mit der Stadt gegründet[142]. Die Freilichtbühne im Rosengarten wurde ab 1950 Schauplatz für Klassikerinszenierungen mit Starbesetzung. Die Firmen, die dem Kulturbedürfnis ihrer Arbeiter durch die generöse Finanzierung entgegenkamen, zogen sich aber schon Mitte der 1950er Jahre zurück, sodass die Stadt einsprang und die Festspiele fortführte. In Höchst war es der gleichnamige Chemiekonzern, der in den Nachkriegsjahren eine Festspieltradition aus dem Stadtjubiläum entwickeln half[143]. Eine ganze Reihe von Festspielen entstanden um 1950: so in Limburg, Gießen und Weilburg; keines dieser Projekte setzt sich zu dieser Zeit durch, denn auch Hessen erreichte die sprichwörtliche Festspielsintflut, das Geld der Kommunen für Kultur war knapp. Nach dieser ‚Gründerzeit’ setzten sich schnell die prestigeträchtigsten Festspielorte durch, manche Festspielprojekte wurden Jahrzehnte später wieder entdeckt und reaktiviert wie Heppenheim und Weilburg[144]. Abgesehen von Twiste und Borken im Rothaargebirge und Bad Hersfeld hat sich in Nordhessen kein Festspielprojekt durchsetzen können[145].

Als 1951 die Bad Hersfelder Festspiele gegründet wurden, bestanden mehrere ehrgeizige Festspielprojekte, die vor allem auf die Zuschauer des Rhein-Main-Gebietes angewiesen waren. Repräsentative Funktion hatten die Wetzlarer und Wiesbadener Spiele, politisch protegiert wurden die Kronberger und Heppenheimer Initiativen. Da man sich in Bad Hersfeld bewusst von Heimatfestspielen distanzierte, fielen viele Festspiele, die auch in Hessen zu dieser Zeit aus dem Boden schossen, als Konkurrenten aus. Die Hersfelder traten in Konkurrenz zu den etablierten Festspielen mit überregionaler Bedeutung. Am dortigen Beispiel ist sehr gut sichtbar, wie man in der Stiftsruine verschiedene Festspiel- und Theaterprojekte zu beheimaten versucht, die an anderen Orten Hessens in anderer Form verwirklicht wurden – bis der ‚Festspielfunke’ letztlich in den 1950er Jahren unter spezifischen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen übersprang. Das Bezugssystem dieser Feiern war das 19. Jahrhundert, das die Traditionen bis ins Mittelalter rückbinden sollte. Die Vorläuferveranstaltungen der Bad Hersfelder Festspiele werden heute zur Legitimierung und Traditionsstiftung herangezogen – Ausgangspunkt ist die Ruine und ihre mittelalterliche Vergangenheit.

3. Institutionalisierungsversuche und Funktionswandel bürgerlicher Festlichkeit in der Stiftsruine

3.1 ‚Genius loci’ oder das Verhältnis der Hersfelder zur Stiftsruine

Wenn man von den Festspielen in Bad Hersfeld sprechen will, muß man mit dem genius loci anfangen “ – es ist üblich geworden, Publikationen zu den Bad Hersfelder Festspielen ein Kapitel zur Geschichte des Bauwerks voranzustellen[146]: Gründung durch Lullus und Sturmius in den Wäldern der ‚Buchonia’, Streit mit Fulda, Blüte unter tätigen Äbten, Studium und Bibliothek, Gelehrte wie Lampert und Haimo, Mission im Osten, Predigt Luthers – all diese Stationen sind in einen vielzitierten Kanon eingeflossen, der mit der Zerstörung der Basilika im Jahr 1761 zu enden pflegt.

Das Verhältnis der Hersfelder zu dieser Ruine ist ein besonderes. Mahnend an einstige Größe, appellierend zu einer Nutzung, die über das Denkmalhafte hinaus geht, ist die Stiftsruine ein exponierter Ort in der Bad Hersfelder Stadttopographie – er liegt im Zentrum und ist eine Fläche, die dem Alltagsleben und einer modernen Nutzung entzogen ist. Die Bad Hersfelder Festspiele sind ein Versuch, sich der imaginierten Vergangenheit zu versichern und zu stellen, ein Versuch, den monumentalen und leblosen Stiftsbezirk zu beleben, ihn in die Realität, die Gegenwart einzubinden – nicht als Freiluftmuseum, sondern als Freilichtbühne. Die Bad Hersfelder Festspiele sind auch eine Institution der Erinnerungskultur – Rahmen und Medium der Festspiele ist die Ruine.

Im Jahr 1888 schreibt der Hersfelder Gymnasialprofessor Konrad Duden: „ Die Ruine in der Stadt ist für diese Bürgerschaft zu groß, denn zu deutlich stehen sich einstmalige Größe, die Blüthe des Mittelalters, und die heutige Zeit gegenüber. Die Ruine ist nicht nur Nationaldenkmal, sie ist Mahnmal, Forderung, kurz: Hypothek auf den Umgang mit ihr[147]. Bis in das Jahr 1951 fand die Stadt, fanden die Bürger keine geeignete Nutzung. Museum war die Ruine nur in eingeschränkten Maße, zumal es nie einen nennenswerten Tourismus gab, andere Nutzungen verboten sich. Festspiele als angemessene, feierliche Wiederbelebung und Selbstvergewisserung versprachen einen adäquaten Umgang mit dem Bauwerk, das seit 1761 verfiel und das im 19. Jahrhundert gleichzeitig immer sakrosankter und bedeutungsschwangerer wurde. Die Festspiele zum Rahmen und Medium zu machen, war die Lösung eines Dilemmas und die Antwort der Hersfelder auf die Herausforderungen ihrer Geschichte.

Nach der Zerstörung durch französische Truppen wurde die Ruine zum Problem. War der Stern des Stifts auch lange gesunken, so mussten sich die Hersfelder entscheiden: Ein Wiederaufbau wurde von den fürstlichen Stellen in Kassel abgelehnt, zumal die Stadtkirche das zentrale städtische Gotteshaus war. Kurfürst und Dekan dagegen gaben die Trümmer der Ruine frei[148]. Zahlreiche Bürgerhäuser stehen auf Fundamenten aus karolingischen Mauerresten, Dutzende Balken wurden andernorts eingezogen – das Bauwerk wurde profaniert, die Kirchenschiffe um 1800 bereits als Friedhof genutzt. Im Jahr 1818 wurde in Kassel entschieden, den Landesbaumeister von Müller mit einem Abriss der Ruine zu beauftragen, die Ruine gefährde den Verkehr, sei dem Stadtbild abträglich, behindere eine Bebauung der Innenstadt und könne Gartenanlagen weichen. Von Müller allerdings sorgte für die Erhaltung der Ruine[149]. Nicht nur Hersfelder Bürger, sondern auch Intellektuelle aus dem ganzen Land protestierten gegen die Pläne aus Kassel, die Ruine zu schleifen. Stattdessen wurden Mittel zur Konservierung eingesetzt. Ende der 1820er Jahre ist „ das Denkmal den Nachlebenden gesichert “, war die Grundlage auch für spätere Feste in der Ruine geschaffen. Seitdem finden keine Bestattungen mehr in der Ruine statt, es war verboten, Mauern abzutragen. Die Hersfelder entwickelten ein neues Verhältnis zum Stiftsbezirk, sie fielen seit der Jahrhundertmitte in ein überschwängliches Lob: „ Ein einzigartiges Zeugnis deutscher Baukunst, ein nationales Denkmal wie es seines Gleichen sucht[150].

Nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie stellten die Salzburger Festspiele ein Zeichen des Neuanfangs und der Institutionalisierung von Identität und Erinnerung dar. Dass sich das Festspielprojekt in Bad Hersfeld nach dem Zweiten Weltkrieg durchsetzte, scheint kein Zufall zu sein. Das Bedürfnis nach Selbstvergewisserung war so stark wie nie zuvor, nie war der Glaube an kulturelle Werte so präsent. Die Aneignung der Vergangenheit und der Versuch, die Leerstelle in der Stadt mit einem Zeichen von Hoffnung und Mahnung zu beleben, waren Beweggründe für die Festspielgründung. Das Ziel der Festspiele sei es laut Gründungssatzung des Fördervereins ‚Gesellschaft der Freunde der Stiftsruine’ aus dem Jahr 1951, „ in der Ehrfurcht vor der Vergangenheit, in Festigkeit für die Gegenwart, im Glauben an das Zukünftige, genährt aus den Quellen echter Religiosität tiefen Menschtums und tätiger Heimatliebe der Erhaltung der Stiftsruine durch Bewahrung des Geistes zu dienen[151].

So sehr die Festspiele auch mit der Ruine verbunden sind, so sind diese Verbindungslinien nicht im Mittelalter zu suchen, sondern im jeweiligen Verhalten der Hersfelder zur Ruine im Zentrum ihrer Stadt.

3.2 Bürgerliche Feiern im 19. Jahrhundert – „ die Bürgergemeinde sammelt sich “

Ich wurde schon als Kind vor 60 Jahren von älteren Hersfelder Bürgern belehrt, daß die Stiftsruine als der geschichtsträchtigste Ort der Stadt immer wieder feierliche Veranstaltungen von besonderer[152] Bedeutung beherbergte[153]. Aus dieser Erinnerung Hans-Georg Vöges spricht das mündlich weitergegebene Bewusstsein für die Stiftsruine als Ort von Festlichkeit – dennoch ist bis heute wenig über Aufführungen in der Stiftsruine im 19. Jahrhundert bekannt[154]. Für welche Veranstaltungsformen wurde die Ruine genutzt und wer förderte diese?

Kann man die Festaufführungen des 19. Jahrhunderts überhaupt als Vorstufen zu den Nachkriegsfestspielen interpretieren? Eine direkte Linie, eine Tradition, lässt sich nur schwer (er)finden, dennoch motivierte der Erfolg der Nachkriegsfestspiele die Suche nach Vorbildern[155]. Die sich verdichtende Atmosphäre von Festlichkeit in der Ruine kann hingegen anhand der Quellen nachvollzogen werden.

Fast alle gesellschaftlichen Entwicklungen mitsamt ihren ideologischen Implikationen wurden in der Stiftsruine inszeniert[156]. Die festlichen Veranstaltungen beginnen mit Musik und Theater: Schillers ‚Ode an die Freiheit’ wurde in der Vertonung Beethovens 1830 in der Ruine aufgeführt[157]. In der Zeit des Biedermeier zelebrierten kulturell engagierte Bürger szenische Darstellungen deutscher Klassiker in der Ruine – erste Vorboten von ‚säkularem Gottesdienst’[158]. In der Zeit der Revolution von 1848 fanden „ vaterländische Kundgebungen “ statt, so wurde z.B. der Verfassungsvorschlag des Paulskirchenparlamentes verlesen[159]. Die Hersfelder Zeitung berichtet nicht jeden Sommer, aber zwischen 1850 und 1870 häufiger von Spielen in der Apsis: Schüleraufführungen, Gesangsdarbietungen. Der Landrat erlaubt Aufführungen, verbietet aber Gauklern den Auftritt „ im nationalen Heiligthum unserer Bürger[160]. Der Ton der Publizistik erhielt eine nationalistische Färbung, die Ruine wird als „ mittelalterliches Monument erster Ordnung “ und als „ Missionsstätte des Deutschthums “ deklariert[161]. Der Bau einer preußischen Militärschule im Jahr 1866 im Stiftsbezirk dokumentiert den Machtanspruch des Bismarckreiches. Auch das Militär wusste die Ruine als würdigen Ort für seine Zwecke zu instrumentalisieren, denn Fahnenweihen und Vereidigungen wurden dort gefeiert[162]. Der Sieg gegen Frankreich von 1870/71 war „ Stoff und Anlass “ für vaterländische Spiele[163] – die Ruine mit ihrer Geschichte entwickelte sich zum imaginierten Schauplatz nationaler Geschichte im lokalen Rahmen[164]. In der Folgezeit wurde das Mittelalter entdeckt; seit 1881 ist die Ruine Kulisse und Authentizitätsmedium für historische Spiele[165]. ‚Lampertus, der Hersfelder’ oder ‚Der Vogt und die Magd’ sind zwei typische volkstümliche, dem Deutschtum und dem Historismus verpflichtete Historienstücke. Der Rahmen war für Geschichtsinszenierung ideal. Die Stiftsruine wurde zum nationalistisch aufgeladenen Denkmal, zu einem Festort, der eine feierliche Nutzung provozierte[166], zum „ Katalysator nationaler Mentalität[167].

Versuche einer Institutionalisierung von Festveranstaltungen sind nicht festzustellen; in der Ruine wurden die Höhepunkte des städtischen Gemeinschaftslebens inszeniert. Für zahlreiche Festveranstaltungen sorgten die Träger der bürgerlichen Gesellschaft und ihre Institutionen – vor allem die Vereine[168]. Spätestens seit den 1860er Jahren gab es in Hersfeld eine Reihe Sängervereine, die ihre Oratorien und Festkonzerte in der Ruine zur Aufführung brachten[169]. So wurde als Höhepunkt des ‚Hessischen Sängerfestes 1894’ nach einem Gottesdienst in der Ruine das Abschiedssingen aller Chöre veranstaltet[170]. Am Ende des 19. Jahrhunderts hat sich die Ruine als gemeinschaftskonstituierende ‚Leerstelle’ bewährt, die mit kulturellen und politischen Inhalten gefüllt wurde.

„Unsere Ruine verlangt nach dem Höchsten. Nach den Stücken der Klassik und nach den Partituren der musikalischen Genies unserer Nation. Das sind wir diesem Orte schuldig“ [171] . Die Ruine war nicht nur Ort der Inszenierung, sondern appellierte an das Bewusstsein der Bildungsbürger der Stadt, sie provozierte zur Sinnstiftung. Der Gedanke diesem Feierbedürfnis durch ein gemeinschaftsstiftendes wiederkehrendes Ereignis ein Gefäß zu geben, lag nahe.

3.3 Ein Institutionalisierungsversuch um die Jahrhundertwende – Konrad Dudens ‚Festspielverein’

Konrad Duden war seit 1875 in Hersfeld Gymnasialdirektor und stand in regem Austausch mit vielen Persönlichkeiten seiner Zeit[172]. Duden hat von Festspielbewegungen wie in Bayreuth und Thale und um deren Reformanliegen gewusst – vor allem interessierte ihn der Bildungsgedanke des Laientheaters als ‚Schauspiel des Volkes für das Volk’[173]. Dieses Konzept sollte der Stärkung lokaler Identität dienen und ist stark didaktisch ausgerichtet. Als Duden 1896 als bekanntester Bürger der Stadt an die Öffentlichkeit trat, um „Volksfestspiele“ in der Stiftsruine anzuregen, stieß das auf spontane Zustimmung[174]. Fünfundzwanzig Bürger planten zunächst, ein Weihnachtsstück in der Stiftsruine aufzuführen. Die Realisierung scheiterte an den für Bühne und Kostümen notwendigen 800 Mark[175]. Auch der von Duden im Jahr 1902 gegründete ‚Festspielverein’ scheiterte letztlich an mangelndem Interesse. Das Versepos ‚Bruder Lolls’ sollte als Volksstück eine ständige Heimat in der Stiftsruine finden[176]. Der Finanzrahmen war aber auch in diesem Fall nicht solide genug für ein Festspielvorhaben. Duden versuchte auch nicht, die Stadt als Finanzier oder Träger zu gewinnen[177]. Der Versuch, Festspiele auf der Basis von Laienspielen zu institutionalisieren, ist ein Baustein im Konzept Dudens, Hersfeld zur Fremdenverkehrsstadt zu entwickeln[178]. Auf Duden geht auch die Initiative zurück, das Hersfelder Heilwasser zu fördern und die Stadt als Kurort aufzubauen[179]. Festspiele, und seien es Laienspiele für die Bürgerschaft, sollten auch über die Stadt hinaus zu einer Einnahmequelle werden: „Der Festspielverein dient nicht nur uns Hersfeldern zur Erbauung und Belehrung durch die Historie dieses Ortes, die Spiele sollen auch nach außen wirken und zeigen was die Bürger für ein reiches Kulturleben geschaffen haben“ [180] . Hier wird die Funktionsverschiebung vom Festort der Gemeinde hin zu einem überregionalen Festspielort in Zusammenhang mit einem Institutionalisierungsversuch greifbar.

In den Jahren bis 1919 hat sich allerdings kein Projekt etabliert. Dass die Ruine im Sommer sporadisch für Rezitationen genutzt wurde, belegen Presseberichte der Jahre 1910 und 1912[181]. Im Jahr nach dem Ersten Weltkrieg führt der ‚Hersfelder Chorverein’ unter Leitung von Alfred Fischer Haydns ‚Jahreszeiten’ auf – vor großem Publikum, das auch von außerhalb der Stadt kam; die vier Aufführungen hatten großen Erfolg[182]. Geradezu typisch für die zwanziger Jahre sind die Aufführungen von Jugendgruppen, die der völkisch-nationalistischen Wandervogelbewegung zuzurechnen sind[183] ; ‚Meister Ekkard’ und ‚Der Antichrist’ waren zwei wiederholt in der Ruine inszenierte Stücke. Dass man Gruppen von außen in der Ruine gastieren ließ, zeigt die Bereitschaft der Vertreter der Stadt, über das lokale Volks- und Laientheater hinaus zu gehen. Langsam löste ein national ausgerichtetes Konzept das lokalpatriotische ab, in Hersfeld keimt ein Sendungsbewusstsein für die Ruine.

In den Jahren nach 1927 findet fast in jedem Sommer ein Kulturereignis in der Ruine statt: 1927 feiert der Chorverein Haydns ‚Erste Walpurgisnacht’ und im Folgejahr inszenieren Hersfelder Bürger auf Initiative des Geschichtsvereins das Heimatspiel ‚Die Vitalisnacht’[184]. 4000 Besucher sehen im Juni 1928 dieses Stück, das vom Intendanten der Südwestdeutschen Bühne Frankfurt inszeniert wurde[185]. Neben der logistischen Leistung und finanzieller Planung, in der die Stadt zum ersten Mal eingebunden war[186], wurde die Ruine komplett als Zuschauerraum genutzt. Alle vorherigen Spiele haben nur einige hundert Besucher angezogen. Die ‚Vitalisspiele’ waren Vorbild für spätere Veranstaltungen.

3.4 Festspiele im Nationalsozialismus – Heimatfestspiele?

Da es seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer wieder Ansätze und Möglichkeiten gab, eine musikalische oder theatralische Tradition in der Ruine zu begründen, sollte man meinen, dass dies in einem totalitären System verwirklicht wurde, das romantische Festlichkeit stark instrumentalisierte – die „ Stiftsruine als Missionszentrum des Deutschtums “ war ein exponierter Ort zur Inszenierung von Traditionsverständnis. Das Reichpropagandaministerium hatte seit 1933 über 200 Orte mit Naturtheatern oder Freilichtspielen gefördert, um sie in die – schon 1937 gescheiterte – Thingbewegung zu überführen[187] ; im Jahr 1935 trat auch Hersfeld als zahlendes Mitglied in den ‚Reichsbund deutscher Freilichtspiele’ ein[188]. Magistrat und Kreiskulturbeauftragter Stadelmann wollten aus der Feier zum 1200-jährigen Bestehen der Stadt eine Festspieltradition entwickeln[189]. Heimatspiele sollten der „ historischen Belehrung und völkischen Erbauung “ dienen. Die kulturelle Bedeutung Hersfelds im Mittelalter als Missionszentrum für ‚Ostdeutschland’ wurde stark betont.

Die Feierlichkeiten in der Ruine häuften sich zum Stadtjubiläum im Jahr 1936: Der Magistrat gab ein Stück beim Kasseler Heimatdichter Karl Schmid in Auftrag; er solle „ den Reigen der Volksfestspiele eröffnen“ [190]. Die Presse fragte: „ Wird Hersfeld Festspielstadt?[191] Als Schmid aber die Hersfelder Bürgerschaft durch Zechprellerei, aufbrausende Starallüren und Beleidigung der lokalen Machthaber brüskierte und daraufhin ins Irrenhaus Haina eingeliefert wurde, hatte Hersfeld einen Skandal[192]. Keiner mochte das Stück sehen, die hessische Presse zeigte sich amüsiert – die Hersfelder waren mit ihren Festspielplänen blamiert.

Als Ersatz für dieses Heimatspiel kam die Aufführung des Kasseler Intendanten Ulbrich sehr gelegen[193]. Er inszenierte am 31. Mai desselben Jahres vor 3.000 Zuschauern den ‚Faust’ mit überregional renommierter Besetzung. In seinen Lebenserinnerungen heißt es: „Hier gebot grandioseste Tradition die Möglichkeit einer Weihebühne von monumentalstem und seltensten Format, an die weder Heidelberg mit seinen Schlossfestspielen noch die Salzburger Domfront heranreichen“ [194]. Nicht nur in dieser Einschätzung zeichnet sich ein mit Ansprüchen aufgeladener Plan von künftigen Spielen ab – auch die lokale Presse überschlug sich in Lobesworten: „Die Ruine hat ihren Meister gefunden; Goethes deutsches Wort in diesen heiligen Hallen ruft uns alle zu nationaler Besinnung. Was ist der Mensch? Hier ist er zum Schöpfermenschen erhoben, der in Demut innehält“ [195] . Hier wird Klassik ideologisiert.

Ein anspruchs- und prestigegeleitetes Projekt begann zu keimen, die Traditionen bürgerlicher Selbstvergewisserung sowie die Laienspieltradition traten in den Hintergrund. Anders als bei Duden, der von den Hersfelder Bürgern ausging, wird hier die Absicht deutlich, die Ruine für Feierstunden in nationalem Rahmen zu nutzen, sie zum Medium einer romantisierenden Tradition zu machen[196]. Um überregionale Aufmerksamkeit bemühte man sich auch im August des Jubiläumsjahres 1936, als der Sprechchor der Berliner Universität ‚Faust II’ und Goethes Prometheusdichtung rezitierte[197].

Ein letztes Mal wurde im Jahr 1939 ein Heimatstück, ‚Die Stunde des Kaisers’, aufgeführt – mit geringem Erfolg, denn die Zeit der Heimat- und Laienspiele schien vorbei[198]. Die Stars und die Atmosphäre des Jahres 1936 konnten das im Blut-und-Boden-Stil gehaltene Heimatstück nicht liefern. Hersfeld war nun vollends im Festspielfieber, die Bürger entwickelten ein Bewusstsein für die Außergewöhnlichkeit des Ortes. Diese Pläne scheiterten allerdings zu dieser Zeit, eine Festspieltradition hat sich vorerst nicht etabliert, weil keine Personen und Institutionen die Hersfelder förderten.

Seit 1932 hatte der Chorverein Haydns Jahreszeiten aufgeführt, die Stiftsruine wurde stärker für Musikalisches genutzt[199]. Eine unabhängige sängerische Tradition brach aber fast ab, als der NS-Kulturbeauftragte Stadelmann den Gubener Musiker Hans Petsch nach Hersfeld holte, der das Kurorchester leiten sollte, denn man plante in den 1930er Jahren, die Stadt systematisch zum Badeort auszubauen[200]. Unter Petsch wurden die Hersfelder Sänger gleichgeschaltet – er war staatlich legitimierter Leiter aller Chöre und Begründer einer anderen Spieltradition in der Stiftsruine: Bei Fackelschein wurde vor einigen Hundert Zuschauern in der Ruine 13 Mal das ‚Hexenlied’ von Wildenbruch aufgeführt – von 1931 bis 1939 war eine Tradition in der Ruine entstanden[201]. Als der Chorverein im Jahr 1943 Haydns ‚Jahreszeiten’ aufführte, war ein Gast zugegen, der für die Festspiele zur Schlüsselfigur werden sollte – ein Bekannter von Stadtmusikdirektor Petsch, Johannes Klein, Festspielintendant des Jahres 1951[202].

3.5 Aufbruchsstimmung und Fortsetzung – die Goethe-Festwoche als Festspielprojekt

In den Jahren 1945 bis 1947 wurde die Ruine gelegentlich für Gottesdienste und Versammlungen genutzt; so wurde der neue Landrat dort vereidigt, Dankgottesdienste für Kriegsrückkehrer abgehalten[203]. Nach Kriegsende blühte auch das kulturelle Leben in der unterdessen zum ‚Bad’ avancierten Stadt auf[204]. Der Festspielgedanke schlummerte im Hersfelder Bildungsbürgertum und wurde durch die Kulturbegeisterung der Nachkriegszeit beflügelt[205]. Der Impuls hieß Goethe-Jahr![206]

[...]


[1] Swiridoff, Das große Spiel, S. 5. Paul Swiridoff, einer der bekanntesten Theaterphotographen der Bundesrepublik stellt diese Sätze seinem großen Hersfeld-Band ‚Das große Spiel’ aus dem Jahr 1961 voran.

[2] Heuss, Hofmannsthal, S. 4. Siehe Abb. 19 und 20 im Anhang dieser Arbeit zu Heuss als Festspielgast.

[3] Karasek, 50er Jahre, S. 306. Siehe eine Szene aus dem Hersfelder ‚Jedermann’ auf Abb. 10 im Anhang.

[4] FAH-K 9/78. Diese Bezeichnung der Süddeutschen Zeitung ist nicht nur ein Etikett, sondern beinhaltet – so die These dieser Arbeit – ein Programm. Selbst Bayreuth wurde 1951 bei der Neugründung als „ deutsches Salzburg “ propagiert; vgl. Seifert, Neubayreuth, S. 6; Heym bezeichnet die Bad Hersfelder Festspiele in FAH-R1 mit denselben Worten. In Festschrift 1952 postulierte Schröder: „ Hersfeld übertraf Salzburg “. Die Salzburger Nachrichten titelten: „ Hersfeld spielt was Salzburg versäumt “; zu einer Zeit, in der die ‚unzeitgemäße’ Mysterientradition in Salzburg fast aufgegeben worden wäre; vgl. Gallup, Salzburg, S. 192.

[5] Zu verschiedenen Definitionen von Kultur aus historischer und soziologischer Sicht vgl. Franck, Ruhrfestspiele, S. 15-22 zur Rolle von Kultur als Selbstverständigungsprozess am Beispiel von Festspielen.

[6] Kreis in ders./Engeler, Festspiel, S. 166 sowie Moser in Ebd., S. 57.

[7] Matt in Engeler/Kreis, S. 14 sowie Kreis in Ders./Engeler, Festspiel, S. 188.

[8] Inauen, Festspielsommer. Diese Reiseerinnerungen beschreiben eine typische bildungsbürgerliche Festspielreise. Zu diesem Stammpublikum vgl.: Steinberg, Ideologie, S. 38-56; Kyrer, Nutzen, S. 67-81 und Gebhard/Ziegerler, Pilgerfahrt. Kontinuitäten der Festspielreise durch Deutschland gibt es bis heute. Quellenkritisch ist anzumerken, dass diese Schilderungen nur bedingt als Abbildung der Realität zu werten sind. Vgl. Gerteis, Festspiele, mit ähnlicher thematischer Ausrichtung als Pendant aus dem Jahr 2000.

[9] Inauen, S. 34. Ähnliche Schilderungen der Festspielatmosphäre sind zu finden in Wagner, Merian, S. 47.

[10] Inauen, S. 37. Vgl. Abb. 13-22 im Anhang dieser Arbeit zum gesellschaftlichen Umfeld der Festspiele.

[11] Ihering zitiert nach Glaser, Kulturgeschichte, II, S. 249. Vgl. auch Klein in Stiftsruine, Nr. 2, S. 3.

[12] Für diese Arbeit wurden sieben zeitgeschichtliche Interviews geführt, die protokolliert vorliegen; die Veröffentlichung erfolgt im Einverständnis mit den Gewährsleuten. Übersicht vgl. S. IV. Zur Methodik vgl.: Vorländer in ders., Oral History, S. 7-28; Niethammer, Kollektives Gedächtnis; Botz/Weidenholzer, mündliche Geschichte, S. 23-51 sowie De Hart, Oral Sources, S. 582-595.

[13] Vgl.: Lotschak in Paris, Welttheater, S. 154. Vgl. auch den Beitrag von Kalkofen in Csobádi, Fest, S. 731-746 zum „ Festspiel als Institution des Kulturellen Gedächtnisses im 20. Jahrhundert “.

[14] Hans-Georg Vöge war von 1951 bis 1967 der Organisator der Festspiele bei der Stadtverwaltung und stand dem Autor wiederholt für Gespräche zur Verfügung – dafür bin ich ihm sehr zu Dank verpflichtet.

[15] Auch für andere Festspielorte wurden derartige Erinnerungsbücher publiziert. In ihnen ist meist reichhaltiges Bildmaterial abgedruckt, aus wissenschaftlicher Sicht sind sie wenig ergiebig. Typisch sind: Schulten, Wetzlar; Mohr, Frankfurt; Mettin, Wunsiedel; Meersmann, Gandersheim; Grüb, Schwetzingen; Bär, Bregenz. Die offizielle Geschichte der Bayreuther Festspiele von Mack aus dem Jahr 1974, oft nachgedruckt, muss ebenfalls in dieses Genre eingeordnet werden. Fink, Theater, S. 14 bezeichnet diese Gattung als „ Memoirliteratur “.

[16] Vgl. Schönmuth/Rauche: 30 Jahre Festspiele. Auch im Jahr 2000 wurde eine Jubiläumsausstellung organisiert, ein Katalog erschien nicht, die Ausstellung wurde nicht überregional wahrgenommen.

[17] Dieser Band ist in zwei Teile gegliedert. Im letzten sind alle 40 Festspieljahre auf je einer Doppelseite mit Bildern, den Stücken und Schauspielern präsentiert. Auf S. 9-14 versucht der Herausgeber eine theoretische Einführung zu Entwicklung und Programm der Festspiele zu geben. Der Mediävist Handke stellt in einem Beitrag die Stiftsruine aus kunstgeschichtlicher Sicht vor (S. 19-29). Der Journalist Starcke bietet auf S. 29 Auszüge aus der Hersfelder Zeitung zu Festspielinitiativen um die Jahrhundertwende. Der von vielen Bildern durchsetzte grundlegende Artikel zur „ Pionierzeit der Festspiele “ stammt vom ehemaligen Verwaltungschef Vöge (S. 27-74), der die wesentlichen Stationen der Festspielentwicklung aus seiner Erinnerung Jahr für Jahr aufzeigt. Den Abschluss bildet ein Aufsatz von Zillinger über „ Hersfeld in der Stunde Null “ (S. 74-76). Frankl charakterisiert den Band als „ Dokumentation “, das Bildmaterial zur Erinnerung liefern und Gespräche mit Hersfelder Bürgern wiedergeben solle. Diese Publikation war Ausgangspunkt vieler Fragestellungen. Im Laufe meiner Recherchen habe ich den Horizont dieser Erinnerungen in Frankls Sinn zu erweitern versucht: „ Das Buch will Grundlage zur weiteren Beschäftigung und nötigem Aufarbeiten sein “.

[18] Der Bildband von Paris im Jahr 2000 zum 50-jährigen Jubiläum der Spiele erschienen, bleibt vom historischen Gehalt hinter der Vorgängerpublikation zurück. In Form von Bildkollagen wird Geschichte anekdotisch vermittelt, eine systematische Aufarbeitung unter einer Themenstellung ist an keiner Stelle intendiert.

[19] Diese Festschrift hat Dietz herausgegeben, der als Neffe des ersten Intendanten und Laienschauspieler ein Kenner der Festspiele ist; auch mit ihm wurden Interviews geführt; vgl. S IV.

[20] Swiridoff, Hersfelder Szenen sowie ders., Großes Spiel.

[21] Die Festschriften sind unter FAH-F-1 ff. überliefert. Zur Redaktion vgl. FAH-A700-613. Mertz, Theater, S. 181 zur repräsentativen Rolle von Festschriften. Vgl. auch Kistner, Kreuzgangspiele, S. 72.

[22] Neuhaus, Geschichte; Rauche, 35 Jahre in Festschrift Bad Hersfeld; Mitze in Klosterbote, S. 32-34.

[23] Vollert, Meine Leben; Ulbrich, Leben für die Bühne. Der erste war Vorsitzende der ‚Gesellschaft der Freunde der Stiftsruine’, letzterer der erste Regisseur nach dem Krieg. Siehe S. 35-39.

[24] Wagner, Merian, S. 42-47 sowie Vöge in Mühlhausen, Hessen, S. 275-278.

[25] Im Jahr 1976 entstand eine unpublizierte Seminararbeit an der Universität Karlsruhe zur ‚Wechselwirkung von Ruine und Schauspielen’. Der einzige wissenschaftliche Beitrag ist Ehlers, Fremdenverkehr. Bisher wurde nur das private Archiv der ‚Gesellschaft der Freunde der Stiftsruine’ zu Orientierung benutzt, die städtischen Bestände wurden nie hinzugezogen.

[26] Vgl. den Arbeitsbericht der Arbeitsgemeinschaft Festspiele von 1999, S. 12 oder Mettin, Wunsiedel, S. 2. Festspiele in privater Trägerschaft haben den Nachteil einer ungesicherten Überlieferungspraxis. Der öffentliche bis staatstragende Charakter der Hersfelder Spiele führte zu einer guten Überlieferung der Akten. Vorbildlich sind die Bestände der Salzburger Festspiele erschlossen, während die Bayreuther Bestände der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind.

[27] Vgl. dazu Hersfelder Zeitung vom 6. Juli, 2000, S. 4. Das Archiv befindet sich in einem Archivkellerraum am Markt 1 in Bad Hersfeld; eine Einsichtnahme erfolgt nach Absprache. Ein Archivplan ermöglicht sowohl schnelle Orientierung als auch wissenschaftliche Überprüfbarkeit.

[28] Dies ist dem Zufall zu verdanken, dass die Bestände in separaten Räumlichkeiten untergebracht waren und sehr wenig entfernt wurde. So sind z.B. serielles Schriftgut wie Rechnungen oder Telefonprotokolle sowie Rückläufe von Postkartenaktionen vorhanden. Erst für die 1970er Jahre ergeben sich erhebliche Lücken.

[29] Nach Steinberg, Salzburg, S. 9 ist damit auch das Verlassen von Oberflächenstrukturen und die Suche nach latenten ideologischen Motivationen gemeint. Csobádi in ders., Fest, S. 87-97 zur „ Interdependenz von Kunst und Ökonomie “ am Beispiel von Festspielen; dieser Ansatz ist allerdings erweiterungsbedürftig.

[30] Die Bestände FAH-A410 bis -414 werden auch aus Datenschutzgründen ausgeklammert. Die Bestände zur Festspielorganisation A300 bis -303 sind spannend, müssen aber wie diejenigen zu Bühnengestaltung (A510 bis 514), zu Technik und Baulichkeit (A521 bis A527) außen vor bleiben.

[31] Vgl. die Bestände auf S. II. Während die Überlieferung des Bundespräsidialamtes und des Innenministeriums, dessen Bestände als Mikrofiches vorliegen, ausgesprochen vollständig ist, sind die Bestände des Gesamtdeutschen Ministeriums bisher kaum inventarisiert. Obwohl gerade dieses Ministerium erhebliche ideologische Interessen an den Festspielen hatte, konnten die Akten erst nach intensiver Recherche eingesehen werden. Eine Inventarisierung steht noch weitgehend aus.

[32] In diesem Archiv fehlen teilweise Korrespondenzen aus den Jahren 1953/54. Die Hauptbestände sind HStA-504-2101f.; HStA-504-2814; HStA-504-2819 sowie HStA-504-798, die sich ausschließlich Bad Hersfeld widmen. Korrespondenz mit den Bundesministerien findet sich v.a. in HStA-504-2101f.

[33] Im dortigen Archiv sind nur die Akten bis 1945 einsehbar, was interessante Funde für Festveranstaltungen im 19. Jahrhundert sowie für die Zeit des Nationalsozialismus ermöglichte. Die relevanten Festspielakten von Kreis und Regierungspräsidium befinden sich zwar seit 1972 im Archiv, konnten aber aus Personalmangel nicht inventarisiert werden. Eine Benutzung war nicht möglich.

[34] Vgl. AA-B90-210 und AA-B90-145. B90-10f.; B90-147ff. sowie B90-230 zu allgemeinen Planungen der kulturpolitischen Abteilung. Dort zu detaillierten Planungen zu Protokoll und ‚Hersfelder Doyen’.

[35] Dieses Archiv befindet sich im Besitz von Hans Lapp, Bad Hersfeld und besteht aus 2 m Akten, die v. a. Korrespondenz mit Mitgliedern aber auch Ministerien enthalten. Aus diesen Beständen konnte die Funktion der ‚Gesellschaft’ als Lobbyinstitution rekonstruiert werden. Vgl. Korrespondenz in FAH-A700-210.

[36] Vor allem die Städte Wiesbaden (Maifestspiele), Heppenheim (Starkenburgfestspiele), Frankfurt (Römerberg- und Karmeliterspiele) als auch Kronberg (Hessische Theaterfestspiele) und Wetzlar (Industriefestspiele) verfügen über reichhaltiges Material zu ihren Festspielen. Die Bestände wurden bisher kaum ausgewertet, was im Falle Wiesbadens erstaunt. Eine Geschichte der Maifestspiele nach 1918 gibt es bisher nicht.

[37] Die Überlieferung der Bayreuther Festspiele befindet sich in Privatbesitz und ist weder vollständig noch erschlossen. Das hohe Maß staatlicher Beteiligung sichert im Hersfelder Fall die Überlieferung.

[38] Der Begriffsvorschlag stammt von Kreis in Kreis/Engler, Festspiel, S. 12. Zu Desideraten und Forschungsdefiziten vgl. Sauer/Werth, Lorbeer, S. 8-10.

[39] Beispiele für Arbeiten zu Intendanten sind Gelsing, Burrmeister und Neumann, Barthels. Haddenhorst, Wiesbaden zur Gestaltung der dortigen Festspiele. Mit Schwerpunkt im 19. Jahrhundert beschreibt sie die Bühnengestaltung und Kostüme und geht auf den Entstehungskontext kaum ein. In diesen Arbeiten werden Festspiele als „ Teil des Theaterbetriebs “ verstanden (vgl. Michel, Inszenierungen). Einen Überblick zu theaterwissenschaftlichen Fragestellungen geben: Bahn, Theater; Daiber; Theater seit 1945; Lange, Theater in Deutschland; Rischbieter, Theater. Hervorgehoben sein Mertz, Das geteilte Theater, der stark analytisch ist und die theaterwissenschaftliche Forschung zusammenfasst und Schuler, Kollegienkirche.

[40] Kreis in ders./Engeler, Festspiel, S. 4. Eichberg, Thingspiel, S. 95-102 liefert eine Erklärung für die „ Fremdheit des Festspiels nach 1945 “. Die Beschäftigung mit Fest- und Weihespielen als Symbolen der Bourgeoisie und als Machtdemonstration „ sind Forschern peinlich “ und nicht politisch korrekt.

[41] In Neumann, Weimar, wird die Hebbel-Rezeption im Festspiel beschrieben; diese Arbeit bietet aber über philologische Fragen hinaus interessante Hinweise zu den Weimarer HJ-Festspielen. Gaier in Csobádi, Fest, S. 617-627 zu Hölderlin, Ebd. Jäckel, S. 653-662 zu Th. Mann, Surowska, S. 663-674 zu Rilke.

[42] Sauer/Werth, Lorbeer und Palme. An einzelnen Stationen wird beschrieben wie Festspielereignisse mit Machtstrukturen und deren Inszenierung gekoppelt sind. Thomke in Engler/Kreis, Festspiel, S. 150-165 sowie Charbon in ebd., S. 166-188 zu Mischformen von Festspiel und nationaler Feier.

[43] Festspiele in Österreich, der Schweiz und Luxemburg müssen in eine überregionale Betrachtung integriert werden, vgl. Stadler in Balz/Engeler, Festspiel, S. 115-122. Eine Grenzziehung ist nicht sinnvoll.

[44] Sprenger, Festspiele sowie ders., Inszenierte Nation. Beide zum Festspiel als Medium des Kaiserreiches.

[45] Das Thema Fest sowie die Laienspielbewegung machen die Volkskunde zu einer vermittelnden Disziplin zwischen Theater- und Geschichtswissenschaft. Vgl. den Ansatz von Stadler, Freilichttheater, S. 71-100, der Festspiele aus Volksfesten herleitet. Francks Ansatz, die Ruhrfestspiele als Beitrag zur Geschichte der Arbeiterkultur (S. 192) zu werten, wird von der eigenen Argumentation überholt, denn v.a. Elitenkultur und politische Interessen werden in der Arbeit thematisiert. Kühnel in Csobádi, Fest, S. 161-181 zu Festspielen aus anthropologischer Sicht (Übergangsrituale, Nachkriegssituation); vgl. auch Schmid, Festspiel, S. 11-22.

[46] Schöpel, Naturtheater. Die Autorin definiert fast alle Festspiele als Naturtheater und gibt einen typisierenden Überblick über Freilichtfestspiele auf S. 52-92, 117-134 (1950er Jahre), Siehe Anhang, S. XXXVIII.

[47] Zeilinger, Festspielidee leitet den Festspielgedanken aus mythischem Denken her; dabei fokussiert sie die Romantik (S. 16-56), Nietzsche (S. 57-74) sowie die Neoromantik der 1920er Jahre (S. 74-106).

[48] Vgl. Kyrer, Wirtschaft sowie Gaubinger, Bedeutung als typische betriebswirtschaftliche Analysen.

[49] Gebhard / Ziegerle, Pilgerfahrt ins Ich. Vgl. für Salzburg: Schöndorfer, Festspiele, mit ähnlichen Ansprüchen. In der Soziologie wurden Festspiele als Elitenveranstaltungen bisher gemieden vgl. Ebd., S. 12. Vgl. Sauer/Werth, Lorbeer, S. 8-10 zur soziologischen Ausrichtung der Festspielforschung.

[50] Auf dem aktuellen Stand, allerdings ohne Hinweise zur Geschichte, ist Fischers Festspielführer, viele historische Angaben finden sich in Zeutschels Festspiellexikon, das allerdings sehr unvollständig ist. Immer noch grundlegend ist Pahlens Führer ‚Festspiele in Europa’ aus dem Jahr 1979, der zu jedem Festspielort einen kurzen Abriss bietet. Auch der Überblick von Klewitz zu Festspielen in Ostbayern stellt eine bunte Festspielregion mit all ihren touristischen Facetten vor.

[51] Vgl. exemplarisch das Vorwort von Kistner, Kreuzgangfestspiele, S. 6.

[52] Über den Status von Erinnerungsbüchern hinaus gehen: (Salzburg) Kaut, Salzburg; Fuhrich, Salzburg; Angermüller, Festspiele, Gallup, Salzburg; Kaindl-Hörnig, Resonanz; Kainberger, Subventionen; (Bayreuth) Karbaum, Bayreuth; Bauer, Wagner; Bronnenmeyer, Tempel; (Recklinghausen) Limbach, Ruhrfestspiele; Dirks, Fest; Pölking, 50 Jahre; Pächer, Ruhrfestspiele; Bischof, Quo vadis; (Bregenz) Bär, See; Bischoff, Bregenzer Festspiele; Hammer; Bregenzer Festspiele; (Feuchtwangen) Kistner, Kreuzgangfestspiele, Klemm, Kreuzgangfestspiele; (Wunsiedel) Doll, 100 Jahre; Mettin, Luisenburgfestspiele; Monschau, Festspiele Wunsiedel. Diese Arbeiten lassen sich als wissenschaftliche einordnen, haben aber meist keine (historische) Fragestellung.

[53] Franck, Ruhrfestspiele, S. 11f. zu historischer Fragestellung und Quellenbezug in der Festspielforschung.

[54] Steinberg, Ideologie. Diese mentalitätsgeschichtliche Studie versucht eine gesellschaftl. Kontextualisierung. Auch Hofmann in Kirchgässner, S. 143-168 widmet sich Salzburg als geistigem Festspielort.

[55] Gallup, Salzburg. Neben vielen kritischen Ansätzen und ausführlicher Gesamtdarstellung werden finanzielle und politische Aspekte nicht systematisch aufgearbeitet; die Theaterfestspiele sind unterrepräsentiert.

[56] Schrader, Festspiel. Die Magisterarbeit endet mit dem Jahr 1938 und vergleicht vor allem die Ideen der Festspielgründer Hofmannsthal und Wagner miteinander, ohne über deren Vergleichbarkeit zu reflektieren (v.a. S. 97-114). Auch Kapitel zu Organisation und Finanzierung (S. 32-34, 85f., 102-104) sowie zur Struktur des Publikums (S. 88f., 105f.) greifen viel zu kurz. Sie beschreibt beide Festspiele, um eine Synthese herzustellen. Auch Schanze in Csobádi, S. 55-64 versucht einen Vergleich zwischen Salzburg und Bayreuth.

[57] Die Arbeit besticht durch Reflexionsniveau und Ausführlichkeit. Der Autor geht allerdings nicht quellenkritisch und vor und vernachlässigt die Überlieferung; Karbaums Studie ist dagegen solider und quellenkritisch.

[58] Kreis/Engeler, Festspiel. Kreis, Professor für Zeitgeschichte in Basel, fragt S. 188-193 nach der Vergegenwärtigungsfunktion von Festspielen in der Moderne. Matt fragt nach der Funktion des Festspiels in der Gemeinschaft, Moser versucht an Beispielen die Entwicklung von Festspielen im deutschsprachigen Raum aufzuzeigen. Die Schweiz ist das Land mit der am besten dokumentierten und aufgearbeiteten Festspielgeschichte in Europa, allerdings fehlen oft die Verbindungen zur Entwicklung in Deutschland und Österreich. Thomke in Csobádi, Fest, S. 719-730 zum nationalen Festspiel in der Schweiz. Vor allem Stadler, Freilichttheater, S. 71-193 ausführlich zu Ursprüngen schweizerischer Festspielkultur und deren regionale und nationale Identitätsfunktion. Konziser ders. in Kreis/Engeler, Festspiel, S. 73-123.

[59] Stern in Capitani, S. 309-337 zum Schweizerischen Festspiel als Identitätsstiftung. Moser in Kreis/Engeler, Festspiel, S. 62: „Mit dem 3. Reich geht auch die ‚große Zeit’ des Festspiels unter“. Vgl. diese These auch in der kritischen Bayreuth-Literatur: Gebhard/Ziegerle, Pilgerfahrt, S. 27 („ Entpolitisierung“).

[60] Fink, Heidelberg. Diese Magisterarbeit beleuchtet besonders die politischen Implikationen von 1921-1944.

[61] Strassmüller, Passau beleuchtet vor allem die Rolle der Amerikaner als Initiatoren und die Grenzlage Passaus.

[62] Csobadi, Fest. Dieser aspektreiche Tagungsband zu den Salzburger Festspielen liefert die umfangreichste internationale Einordnung. Vgl. lediglich den Ansatz Schöpel, Naturtheater, S. 36-39 zu Frankreich sowie knapp: Gerteis, Festspiele, zu Glyndebourne, Aix, Orange, Luzern und Verona.

[63] Vgl. erste Ansätze einer europäischen Perspektive: Bremer in Csobádi, Fest, S. 275-285. Zu Großbritannien: Puschmann, S. 437-448, Tschechien: Vera, S. 503-518, Polen: Sugiera, S. 531-541. Zur USA: Müller, S. 449-461 (dort seien Festspiele eigenfinanziert und hätten keine Funktion für Eliten, S. 451).

[64] Die beiden einschlägigen Arbeiten zur Kulturgeschichte der Bundesrepublik von Glaser und Hermand wurden für diese Arbeit ausgewertet. Der Band Kulturpolitik von Abelein sowie der 3. Band in Benz’ Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Kultur, wurden hinzugezogen, vor allem Rieschbieter, S. 73-109 zum Theater nach 1945. Auch Schallück, Kulturelle Entwicklung, (bes. S. 93-111) und Brackert/Werfel, Kultur wurden berücksichtigt.

[65] Um diese Einordnung vornehmen zu können, wurden exemplarisch städtische Archive ausgewertet. Hierfür war es auch sinnvoll, die Bestände des Staatsarchivs in Wiesbaden zu untersuchen, denn dort findet sich eine reichhaltige Gegenüberlieferung.

[66] Archiv der Hersfelder Zeitung (HZ); wenige Hinweise zu Theaterveranstaltungen und öffentlichen Kundgebungen haben sich im Bestand des Hessischen Staatsarchivs in Marburg erhalten. Diese beiden Überlieferungsstränge konnten miteinander abgeglichen werden; vgl.: StAM-121-2706 sowie -9497.

[67] Der Nachlass von Johannes Klein befindet sich in Familienbesitz und konnte nicht eingesehen werden; die Intendantenkorrespondenz lässt aber auf Amtsführung und -verständnis sowie Netzwerke schließen.

[68] Dazu ist die Einordnung durch Standardwerke zur Bundesrepublik in den 1950er Jahren unverzichtbar. Hinzugezogen wurden: Sontheimer, Ära Adenauer (zur Kultur der Adenauerzeit S. 133-142), Doering-Manteuffel, Ära Adenauer (zur Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie Außenpolitik); Morsey, Bundesrepublik (v.a. S. 24-74); Grosser, BRD; Schildt, 1950er Jahre; Schildt, Ankunft; Conze/Lepsius, Sozialgeschichte; Thränhardt, Geschichte; Düwell, Entwicklung der BRD sowie Abelshauser, Lange 50er. Zur Mentalität der 1950er Jahre vgl. Doering-Manteuffel, Ära Adenauer, S. 211-218. Schildt, Ankunft, S. 87-105 versucht ähnliches. Zum Desiderat einer Ideengeschichte der 1950er Jahre vgl. Doering-Manteuffel, Adenauerzeit, S. 53-55. Forschungsberichte für die Zeitgeschichtsforschung geben ders. Zeitgeschichte nach 1945; Erkner, Sozialgeschichte und Hockerts, Zeitgeschichte.

[69] Hier sollen die kulturpolitischen Leitlinien der Besatzungsbehörden der Praxis gegenüber gestellt werden. Es werden insbesondere die Ergebnisse von Döring-Manteuffel, Westernisierung, und für den Fall Bayreuth Henze-Döring in Clemens, Kulturpolitik, S. 39-54 hinzugezogen.

[70] In dieser Arbeit soll nicht dem Periodisierungsvorschlag einer ‚Ära Adenauer’ gefolgt, sondern vielmehr der Vorschlag Glasers überprüft werden, der den Einschnitt für kulturelle Veränderungen 1967/68 konstatiert und mit Abelshauser von den ‚langen 1950er Jahren’ spricht. Vgl. Doering-Manteuffel, Ära Adenauer, S. 7-14 zur Positionsbestimmung und Periodisierung. Vgl. ausführlich Broszat, Zäsuren nach 1945.

[71] Zum Festspiel als Spiegel nationaler Identität vgl. Würffel in Csobádi, Fest, S. 753-765. Matt in Kreis/Engeler, Festspiel formuliert die These, „das Festspiel ist Popaganda, davon ist auszugehen“. Eine anregende Soziologie des Festspiels ist bei Gebhard/Ziegerle, Pilgerfahrt, S. 21-29 entwickelt.

[72] Eine „Skizze der ideologischen Landschaft der fünfziger und sechziger Jahre“ hat Schildt, Ankunft, S. 149-175 vorgelegt. Vgl. auch Engelmann, Wirtschaftswunderland. Die Epoche prägende und die Ideologie der Zeit analysierende Publikationen wie Schelsky, Wohlstandsgesellschaft, de Gassset, Masse, sollen Folie für diesen Versuch sein. Zur Ideologie als Konstituens von Festspielen vgl. Moser in Kreis/Engeler, Festspiel, S. 55 sowie Matt ebd., S. 12f. Dabei ist besonders interessant, dass Moser, S. 62 davon ausgeht, die Gattung sei nach 1950 entpolitisiert. Immerhin eine scheinbare Entpolitisierung konstatiert Schöndorfer, Festspiele, S. 31f. am Salzburger Beispiel. Dass das Gegenteil der Fall ist, soll in dieser Arbeit gezeigt werden.

[73] Vgl. Morsey, BRD, S. 189-191 zur Modernisierung als Forschungsparameter. Grundsätzlich: Nipperdey, Modernisierung in ders., Nachdenken, S. 44-59.

[74] Vgl. zu den ausgesparten Themen: Paris, Welttheater, S. 157-192 sowie Frankl, Faszination, S. 215-222 (Aufführungen mit genauen Daten) sowie S. 223-248 zu den Stücken mit ihren Besetzungen. Zur musikalischen Ausgestaltung vgl. Dietz in Frankl, Faszination, S. 195; vgl. Frankl, Faszination, S. 152. Zur Stimmung bei Proben und hinter den Kulissen vgl. die Stimmungsbilder in Paris, Welttheater, S. 44-51.

[75] Zu diesem Ansatz vgl. Hettling/Nolte, Fest, S. 9.

[76] Luhmann, Kunst der Gesellschaft; Baecker, Kultur, S. 46f. und 114f. sowie Bourdieus Konzept von Kunst als kulturellem Kapital und Machtfaktor; Fuchs, Kulturpolitik, S. 165 und Glaser, Kulturgeschichte,2, S. 15f., der das Kulturbedürfnis als Substitut für Macht begreift. Vgl. Bischoff, quo vadis, S. 152-154 zur historisch-materialistischen Methode in der Anwendung auf Festspielgeschichte.

[77] Vgl. Baecker, Kultur, S. 24-28 zur affirmativen Kultur, die mittels normativer Kompetenzen die Tradition gegen eine moderne Gesellschaft stellt. Vgl. auch Matt in Engeler/Kreis, Festspiel, S. 12-26.

[78] Vgl. Kulturinstitutionen als „ Medien der Vergesellschaftung “ in Fuchs, Kulturpolitik, S. 37 sowie S. 146.

[79] Düding, Fest und Hettling, Feste liefern einen Querschnitt von öffentlicher Festkultur bis 1918. Vgl. jüngst auch Friedrich, Festive Culture mit einem ähnlichen Ansatz und weiteren Fallstudien bis 1990.

[80] Vgl. Assmann, Fest; Baxmann, Feste der Revolution; Ouzouf, Fete; Gebhardt, Fest, Feier, Alltag; Gerhard, Fest und Alltag; Haug/Warning, Fest; Huizinga, Homo Ludens; Piper, Zustimmung; Ders., Phänomen des Fests; Schulz, Fest; Hermand, Feiern; Hugger, Stadt und Fest; Chartier in Dülmen, S. 153-176. Neben Gebhard, Fest, Feier, Alltag, S. 178-187 gibt es keine Ansätze zur Beschreibung der Festkultur der Bundesrepublik.

[81] Freitag, Drittes Reich im Fest. Studentische Beiträge liefern ein Panorama der Festkultur im Dritten Reich aus lokalen Archiven. Vgl. auch die Fallstudien zum 19. Jh. in Düding, Fest und Hettling/Nolte, Bürgerliche Feste. Einen Überblick zur Festforschung geben Hugger in ders., S. 7-21 sowie Maurer, Fest. Blum, Kunst Konzern, S. 32-65 zum Fest der Nachkriegszeit als Übergangsritual, Identifikationsmedium und fragt nach der Spiegelung von Herrschaft und Kulturverständnis am Beispiel von Höchst. Zur Historisierung der Zeitgeschichte nach 1945 vgl. Doering-Manteuffel, Adenauerzeit, S. 74.

[82] Vgl. ausführlich Daniel, Kompendium, dies. Klio dichtet sowie Wehler, Kulturgeschichte und ders. Herausforderung. Zur Rolle der Geschichtswissenschaft bei der Rekonstruktion von vergangenen Festformen als „ Wiederherstellung des Wissens über eine verschwundene Welt “ und dem Fest-Boom in der Geschichtswissenschaft vgl. Chartier in Dülmen, S. 153 sowie Maurer, Feste. Diese Arbeit versucht das Fest ‚Bad Hersfelder Festspiele’ zu rekonstruieren und dem Verständnis der Gegenwart gegenüberzustellen.

[83] Daniel, Kompendium, S. 13f. Fink, Theater, S. 7 zur Anwendung auf die ‚Festspielgeschichtsschreibung’.

[84] Dem soll auch dadurch Rechnung getragen werden, dass die Vernetzung von Bezügen durch Fußnoten erleichtert wird, denn manches Thema gerät an mehreren Stellen in den Blick wie der ‚Festspielfilm’.

[85] Doering-Manteuffel, Zeitgeschichte, S. 29. Schildt, Ankunft, S. 197f. „Die Geschichte der Kultur ist [innerhalb der Zeitgeschichte] im engeren Sinne bisher noch kaum von Historikern beachtet worden“. Zur Selbstvergewisserungsfunktion des Festspiels vgl. Matt in Kreis/Engeler, Festspiel, S. 15f. sowie S. 188f. sowie Hettling/Nolte, Fest, S. 16f.

[86] In dieser Differenz sowie im ideologischen Gehalt liegen Ursachen dafür, dass Festspiele ein eher unbeliebter Forschungsgegenstand sind – Pathos und Konservativismus erscheinen als suspekt. Schölpel bemerkt schon in der Forschung in den 1960er Jahren ein „ Unbehagen am Festspiel “.

[87] Inauen, S. 34. Hier trügt die Erinnerung, denn die Bad Hersfelder Festspiele kennen keinen Vorhang.

[88] Vgl. Klewitz, Festspiele, S. 3. Zum Vergleich für 1920 und 1933 Schöpel, Naturtheater, S. 99 sowie 117. Historische und aktuelle Zahlen vgl. Vergleichende Theaterstatistik, S. 9-57. Einen guten Überblick über die Festspieldichte gibt Seitz, Gespielte Geschichte in Bayern. Ironisch Gerteis, Festspiele.

[89] Vgl. die Überlegungen zu Qualität, Nichtalltäglichkeit usw. in Zeilinger, Festspielidee, S. 7f.

[90] Ebd. S. 10-16 sowie Gerteis, Festspiele. Vgl. auch die Karte im Anhang dieser Arbeit, S. XXXVI.

[91] Kohlschmidt, Reallexikon, S. 458-461: „Das Festspiel wird definiert als Form der Gelegenheitsdichtung, die sich zu einem festlichen Zeitpunkt einer Gesellschaft präsentiert und ihre Ideale widerspiegelt. Zur einmaligen festlichen Gelegenheit kann die Wiederholung als Konstituens treten. Die Wurzeln des Festspiels liegen primär im Kultischen begründet; die mittelalterliche Tradition der Passions- und Fastnachtsspiele gehört genauso in diesen Zusammenhang wie die Mysterienspiele der 20er Jahre mit ihren Symbolen und Allegorien; die höfische Variante des Festspiels klingt mit Brentano und Goethe zu Beginn des 19. Jh. aus. Die geistlichen Dramen der Reformationszeit sind ebenso prägend für die Gattung wie die katholischen Schul- und Ordensdramen z.B. der Katholiken. Neben der Kirche und einer säkularen oder anderen Gemeinde ist das Festspiel an den Fürstenhöfen der Renaissance fassbar. Seit der Zeit der Meistersinger gibt es auch im städtischen Bürgertum eine Festspieltradition, die unter patriotischen Vorzeichen historische Orientierung verschaffen soll. In Romantik, Liberalismus und Nationalismus unterliegt das Festspiel politischen und ideologischen Wandlungen; schon im 17. Jahrhundert findet sich Patriotismus in Festspielen. Mit Wagner entsteht ein Festspiel der beginnenden Moderne von höherer Ordnung. Heute dominiert der Typus des Lokalfestspiels an historischen Orten und das großbürgerliche Nationalfestspiel (Bayreuth). Der Nationalsozialismus nutzte das Festspiel, v.a. das Laien- und Jugendspiel sowie die Thingspiele und knüpften an die Traditionen an.“

Vgl. auch Definition in Wilpert, Sachwörterbuch, S. 295f. Gattungsbezogen vgl. Moser in Engeler/Kreis, S. 50-53. Einen Überblick über andere Definitionsansätze gibt Schrader, Festspiel, S. 3-5. Zeilinger, Festspielidee, S. 5-10 sowie Engeler in Ders./Kreis, Festspiel, S. 29-35. Panagl in Csobádi, Fest, S. 151-159 zum Verhältnis von Spiel und Festlichkeit. Vgl. auch Huiszinga, Ludens.

[92] Zur Krisenstimmung im Festspielbetrieb vgl. Sprenger, Nation, S. 266-270. Kaut, Umfeld, S. 43-48 sowie Stern in Capitani, S. 320-322. Vgl. auch Schallück, Kulturelle Entwicklung, S. 96 zu Festspielen als Leistungsschau; Rougemont in Maske, S. 97, Passow in Csobádi, Fest, S. 245-255 zu Ansprüchen u. Besonderheit von Festspielen. Vgl. Sauer/Werth, Lorbeer, S. 138f. zur Festspielschwemme der 1920er Jahre.

[93] Rougemont in Maske, S. 97.

[94] Klaus in Maske, S. 101f. Noch Schrader, Festspiel, S. 108-111 diskutiert in ihrer Magisterarbeit die Festspielwürdigkeit der Salzburger Festspiele und wendet eine sehr enge Definition an.

[95] Intendant Klein in FAH-R1/67. Vgl. dagegen eine heutige Einschätzung in Gerteis, Festspiele.

[96] Vgl. Bundesinnenministerium, Kunst; Hagelberg, Kultur, S. 1323f. sowie Rougeont in Maske, S. 98.

[97] Vgl. Sauer, Werth, Lorbeer sowie Sprenger, Festspiel.

[98] Sehr heterogene Entwicklungslinien werden unter dem Begriff Festspiel zusammengefasst; Beispiele für solche Argumentationen: Klewitz, Festspiele, S. 7 sowie Schrader, Festspiel, S. 3f., Sauer/Werth, Lorbeer, S. 10-18. Terzakes in Maske, S. 133-136 zum antiken Festspiel. Vor allem Stadler, Freilichttheater, S. 71-100 (Mittelalter), S. 101-116 (Renaissance), der einen breiten Überblick über Volksfestlichkeiten in der Schweiz und deren Beitrag zur Identitätsentwicklung gibt. Gegen Kontinuitätsthesen vgl. Bimberg in Csobádi, Fest, S. 579-603 und Moser in Kreis/Engeler, Festspiel, S. 50 und Schöpel, Naturtheater, S. 13.

[99] Vgl. Dustmann, Goethe, zur klassischen Festspielkonzeption. Würffel in CsobÁdi, Fest, S. 753-765 sowie Stern in Capitani, S. 309-337 zum Festspiel als Medium nationaler Identität. Zur Entwicklung der literarischen Gattung bis 1800 vgl. Sauer/Werth, Lorbeer, S. 23-51. Zum Höhepunkt der Festspielliteratur im 19. Jh. vgl. ebd., S. 52-95. Zu Festspielideologie der Romantik vgl. Zeilinger, Festspielidee, S. 16-56, speziell zu Wagner/Nietzsche, S. 57-72. Schöpel, Naturtheater, S. 15-39 zum Freilichttheater im 19. und 20. Jahrhundert. Vgl. Flemming, Festspiel zum Festspiel als historische Literaturgattung.

[100] Vgl. zur Baugeschichte und den politischen Grundlagen Bauer, Hügel; S. 34-43 zur Nachkriegszeit. Moser in Kreis/Engeler, Festspiel, S. 50f. geht davon aus, dass man erst um 1850 von „Festspielen als säkularisierte konservativ-affirmativer Gattung und als Werte-Normen-Symbol sprechen könne“. Gebhard/Ziegerle, Pilgerfahrt, S. 33-50 skizzieren die Bayreuther Festspielgeschichte zusammenfassend. Vgl. auch pointiert Friedrich, Aura zur Festspielidee Richard Wagners. Zu Festspielen des Kaiserreiches vgl. Wienfort in Hettling/Nolte, Feier, S. 157-191.

[101] Vgl. Naef in Engeler/Kreis, Festspiel, S. 40-49. Sauer/Werth, Lorbeer, S. 106-121 zur Laien- und Freilichtbewegung, ebd. S. 122-148 zum späten Kaiserreich. Schöpel, Naturtheater, 22-45. Stadler, Freilichttheater, S. 176-194 leitet diese Bewegung aus vormodernen Wurzeln her. Zeilinger, Festspielidee, S. 73-106. Vgl. als repräsentative zeitgenössische Quelle: Walcher, Bergtheater.

[102] Erste Ansätze zur Einbeziehung von Musikfestspielen Lichtenhahn in Engeler/Kreis, Festspiel, S. 223-230 sowie Ders. in Hugger, Fest, S. 161-179. In Zürich wird zur Zeit eine Dissertation von Samuel Weibel mit dem Thema ‚Musikfestspiele um die Jahrhundertwende im Spiegel der Publizistik’ erarbeitet.

[103] Vgl. auch Mettin, Wunsiedel, S. 37 sowie Schöpel, Naturtheater, S. 47-64, S. 59 zum Klassikertheater.

[104] Vgl. Gerteis, Festspiele, S. 29-41 (‚Maßstab Salzburg’).

[105] Eichberg/Dultz, Thingspiel, S. 41-71, 181-218. Standardwerk zum Thingspiel ist Stommer, Volksgemeinschaft. Vgl. Wolff, Massentheater, S. 166-227. Schöpel, Naturtheater, S. 92-116. Ebd. S. 117f. zur Nachkriegszeit. Vgl. Frank in Haug/Warning, Fest, S. 610-639 zur Genese des Thingspiels aus dem Festspiel.

[106] StAF-S3-T354; vgl. auch Steinberg, Salzburg, S. 103-106.

[107] Vgl. Überlegungen von Matt in Kreis/Engeler, Festspiel, S. 12-26 zu Funktionen von Festspielen.

[108] Vgl. Herz in Csobádi, Fest, S. 199-209 zu Opernfestspielen als Festspiel.

[109] Vgl. Pahlen, Festspielführer. Moser in Kreis/Engeler, Festspiel, S. 59f. sowie Flemming in Maske, S. 147-159 zu den Festspielen in Oberammergau, deren Geschichte in den 1950er Jahren Desiderat ist.

[110] Weil die Recklinghäuser Festspiele an einem geschichtslosen Ort, in einer Zechenhalle, abgehalten wurden, stand eine Verlegung oft zur Disposition Franck, Ruhrfestspiele, S. 32,114 und 155. Zu den Arbeiterfestspielen, die als neuer Festspieltypus gedacht waren vgl. Möser, Arbeiterfestspiele. Die seit 1959 (Bitterfelder Kulturprogramm) abwechselnd in den Bezirkshauptstädten der DDR veranstalteten Festspiele integrieren Theater, Kabarett, Film, Photographie, Musik und Volkskunst unter dem Etikett „ sozialistische Volkskultur der DDR “ und „ Festspiele des ganzen Volkes “. Der Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit sollte aufgehoben werden. Beteiligt waren alle Groß- und Massenorganisationen des Staates, der die Spitzenerzeugnisse seiner Kunst den Brudervölkern vorstellte. Die Arbeiterfestspiele sind Symbol eines totalen staatlichen Kulturprogramms und militärischer Demonstrationsort. Bisher ist die Geschichte dieser und anderer Festspiele in der DDR ein Desiderat, vgl. noch Bernhard, Festspiel in NDL, S. 108-120 zum Festspielprojekt ‚Störtebeekerfestsspiele’ auf Rügen.

[111] Vgl. hierzu ausführlich in Hoffmann in Kirchgässner, S. 143-168 am Beispiel Salzburg.

[112] Zum Natur- und Landschaftstheater als Festspiel vgl. Stadler, Naturtheater, S.12-35, 45f. und 57-63. Zur exponierten Festspielörtlichkeit vgl. Zeilinger, Festspielidee, S. 146-151; Schöpel, Naturtheater, S. 150-154.

[113] Vgl. Festspiele Europa sowie Zeutschel, Festspielführer und Bischoff, Bregenzer Festspiele.

[114] Vgl. Schöpel, Naturtheater, S. 117-134. Zu erklären ist diese Entwicklung v.a. durch das Bedürfnis nach der Versicherung von Traditionen.

[115] Vgl. Zeutschel, Festspielführer sowie Fischer, Festspiele.

[116] Zur Anwendung des Institutionalisierungsbegriffs auf Festspiele vgl. Hoffmann in Kirchgässner, S. 163-168. Ein Festspielprojekt gilt als institutionalisiert, wenn es gelingt, mehr als zehn Jahre lang eine Tradition zu etablieren, bekannt zu machen und (politisch) abzusichern sowie ein Programm zu entwickeln.

[117] Vgl. Schöpel, Naturtheater, S. 7-14 gibt eine Definition des Festspiels in der Landschaft. Vgl. auch die Untersuchung von Dittmer, Freilufttheater, der dieses Medium am Beispiel Berlins beschreibt sowie Hagel, Freilichttheater.

[118] Stadtler, Naturtheater, S. 45f. Zeilinger, Festspielidee, S. 151-156 zu Festspielhäusern.

[119] Gebhard/Ziegerle, Pilgerfahrt, S. 77-87 u.ö. sowie Kyrer, Wirtschaft.

[120] Vgl. S. 131-133 dieser Arbeit sowie Bürklin, Elite, Wehling, Elite sowie Ziegler, Großbürgertum und Gebhard/Ziegerle, Pilgerfahrt, S. 10-16. Zum Habitus des Bildungsbürgertums vgl. Bollenbeck, Bildung und Kultur, und Siegrist, Bürgerlichkeit und ders., gebildete Klassen. Vgl. auch Lundgreen, Bürgertum. Zum Bildungsbürgertum allg. vgl. Engelhardt, Bildungsbürgertum, v.a. 180-226.

[121] Wagner in Merian, S. 43.

[122] Stadler, Freilichttheater, S. 25. Moser in Kreis/Engeler, Festspiel, S. 59 vertritt eine gegenteilige Position.

[123] Schöpel, Naturtheater, S. 30 und 52-64 sowie Klewitz, Festspiele, S. 7 und 10.

[124] Stadler, Freilichttheater, bes. S. 164-167 als Beispiel der Traditionskonstruktion für Schweizerische Festspiele; vgl. kritisch Moser in Engeler/Kreis, Festspiel, S. 50f., Anm 50; Schöpel, Naturtheater, S. 13 sowie Hobshawn in Kessel, Inventing, S. 97-121.

[125] Die Grenzen des Bundeslandes zum Kriterium zu machen, ist problematisch. Vgl. auch die gemeinsame Überlieferung in HStA-504-2107. Siehe Anhang dieser Arbeit, S. IXL. Neben den Dr.-Eisenbart-Festspielen in Hannoversch-Münden seit 1925 sind auch die Freilichtspiele in Eisenach sowie von Lorchhausen in den Kontext der hessischen Festspiele und ihres Einzugsbereiches hinzuzuziehen. Vor allem Festspiellandschaften in den neuen Bundesländern und in Schlesien und Ostpreußen sind heute kaum mehr rekonstruierbar. Für Sachsen vgl. Vogt in Csobádi, Fest, S. 257-267, der von der heutigen Situation ausgeht..

[126] Vgl. die theaterwissenschaftliche Arbeit von Haddenhorst. Zu ihrer Vorgeschichte, Kapitel I (Rolle Wiesbadens als Residenz sowie zu Theateranbauten und den ersten Intendanten). Besonders von Interesse ist die Rolle der Kaiserfestspiele als Teil höfischer Repräsentation (S. 30-33), in deren Umfeld Empfänge, Bälle und Bankette stattfanden. Das Festspielprogramm als pädagogische Aufgabe wird vom Monarchen mitbestimmt, das historische Schauspiel patriotischer Färbung dominiert (S. 45-48).

[127] Das Publikum – zum großen Teil ausländischer Herkunft – beschreibt Haddenhorst als „ auserwählte Gemeinde [...] für ein vaterländisches Bekenntnis “ und Geldadel, kann aber kein empirisches Material verwerten (S. 39-42). Zum Opernprogramm vgl. ebd. sehr ausführlich S. 60-111.

[128] Ähnlich wie in Bayreuth sollten alte Traditionen und „ glanzvolle Vergangenheit “ auch in Wiesbaden überwunden werden; das Motto der Festspiele war die „ Völkerverständigung“ über den „ Austausch der europäischen Spitzenproduktionen“. Mit Diplomaten, Festspielbällen und der Eröffnung durch Bundespräsidenten, Bundeskanzler und die alliierten Oberkommissare sollten die Festspiele zum „ Kulturzentrum am Mittelrhein “ werden. Als sich die Festspiele zum „ Schaufenster des Ostens “ zur „ geistigen Verständigung “ entwickelten, schaltete sich das Auswärtige Amt ein, das Gastspiele aus Prag und Belgrad kritisierte. Die Festspielleitung und Festspielkommission warben damit, dass in Wiesbaden keine Bundes- oder Landesmittel eingesetzt wurden. Fast ein Viertel des jährlichen Kulturetats lässt sich die Landeshauptstadt die alljährliche Repräsentation kosten. Die Opernfestspiele kosteten schon 1951 mit 340.000 DM das Fünffache der Bad Hersfelder Spiele, die Kosten stagnierten bei ca. ½ Million bis Ende der 1950er Jahre. Die Geschichte der Maifestspiele nach 1950 ist trotz guter Quellenlage nicht aufgearbeitet. Reichhaltige Bestände sind: StAWi-B7 und StAWi-NL32-83 bis 87 sowie HStA-504-5061 sowie HStA-502-8443 und der komplette Bestand HStA-428, der einer Auswertung harrt. Vgl. auch den Bestand BA-B122-5140.

[129] Vgl. ausführlich Schöpel, Naturtheater, S. 40-64 sowie Naef in Engeler/Kreis, Festspiel, S. 40-49.

[130] Zu Festspielen im Nationalsozialismus vgl.: Blubacher, Lörrach, in Allmende, S. 222-237; Moser in Kreis/Engeler, Festspiel, S. 59f. Zur Festkultur im Nationalsozialismus vgl. Mosse, Nationalisierung, S. 91-154 (v.a. zu Festspielen S. 134-142) sowie Thamer in Schulze, Fest, S. 352-369 Gebhard, Fest, Feier, Alltag, S. 146-155. Vgl. Eichberg/Dultz, Thingspiel, S. 41-71, 181-218. Vgl. auch Wolff, Massentheater, S. 166-227 v.a. zur sakralen Funktion und Volksgemeinschaft sowie Schöpel, Naturtheater, S. 92-117. Als Standardwerk zum Thingspiel kann Stommer, Volksgemeinschaft gelten.

[131] Die Festspiele waren als Historienspiele geplant, der Festspielausschuss der Gemeinde sorgte für die Finanzierung und Hunderte Laienspieler bespielten bis 1914 die ganze Stadt mit Burg; vgl. Picard, Burgfestspiele, S. 11-16. Der Verkehrsverein sorgte für den Eintritt in den Reichsbund deutscher Freilichtspiele und Dramen „ im Dienste nationalsozialistischer Agitation zogen in die Burg ein “. Nun mussten Berufsschauspieler verpflichtet werden, KDF sorgte für ausreichend Zuschauer in der Taunusgemeinde; vgl. Picard, Burgfestpiele, S. 17-19.

[132] Zur Wiedergründung im Jahr 1950 vgl. Picard, Burgfestspiele, S. 21f. sowie Oster, Festschrift. Im Dienste der Fremdenverkehrsförderung wurden die Festspiele mit Berufsschauspielern als Veranstaltung für höchste und edle Kunst gegründet. Träger wurde die Volkshochschule, das finanzielle Risiko führte dann zum Engagement der Stadt. Gespielt wurden Goethe, Shakespeare und Lessing, seit 1956 eher unbekannte Volksstücke; vgl. ebd. S. 31-34. Vgl. auch Überlieferung zur Förderung in HStA-504-2107.

[133] Vgl. Buchholz, Theater als Fest in Ders. u.a. (Hrsg.), Die Lebensreform, Band II, S. 471-485 mit Abb.

[134] Sowohl 1951 und 1956 gab es Initiativen, die Festspiele „ sieben Sommer voller Glanz 1932-1939 “ wiederzubeleben. Der Initiator der Römerbergfestspiele wurde schon 1924 initiativ, 1933 aber als Jude denunziert. Jedes Jahr wurde eine „ ganze Heerschau “ für Statisten abgehalten, denn die Massenszenen auf dem lichtdomartig ausgeleuchteten Römer waren mit über 900 Personen enorm. Die Spiele unter dem Motto ‚Volk spielt für Volk’ wurden von Goebbels eröffnet, der eine Spieltradition seit dem Mittelalter konstruierte. Das „ Bayreuth des Schauspiels “ auf geheiligtem Platz sollte insbesondere dem Ausland ein anderes Deutschland zeigen. Mit über 50 Aufführungen pro Sommer wurden ca. 90.000 Besucher erreicht!

[135] Vgl. Schültke, Propaganda, S. 130-151 und Hansert, Bürgerkultur. Dort zur Konzeption des Festspiels als Inkarnation der Volksgemeinschaft. Als Thingplatz wurde nicht der Römerberg, sondern die Loreley aufgebaut, auf der das Frankfurter Ensemble spielte (Vgl. auch Stommer, Volksgemeinschaft, S. 215; Fritzlar, Saalburg, Fulda, Kassel, Vogelsberg waren weitere Thingprojekte in Hessen). Nach dem Weltkrieg wurde die dortigen Loreley-Festspiele zum exponiertesten Festspielprojekt von Rheinland-Pfalz.

[136] Als Festspiele des neuen Deutschland sollten sie „in der Zeit von Gräuelmärchen und Hetze das Ansehen wiederherstellen “. Vgl. StAF-S3/354 sowie StAF-Mag-6180 und -6116. Zahlreiche Presserezensionen aus dem Ausland werden als Zeichen des Respekts für das Dritte Reich gewertet. Zur Erinnerung an diese Spiele erschien 1968 ein sehr unkritischer Erinnerungsband, der sich nur der künstlerischen Seite zuwendet und ausschließlich Rezensionen und Bilder enthält: Mohr, Römerbergspiele.

[137]Wie nah den Frankfurtern Hersfeld schon gerückt ist “ – die Konkurrenz verhindert eine Neugründung genauso wie die politische Notwendigkeit. StAF-S3/H4759 dokumentiert die Kreuzgangfestspiele, die an die Stelle der Römerbergfestspiele traten, aber als „ Oase der Ruhe in der aufzubauenden Großstadt “ mit Mysterienspielen eine andere Programmatik entwickelten. „ Geistige Durchtränkung “ und das Katholische wurden betont. Gefördert wurden sie neben der Stadt vom Rundfunk. Die Spiele wurden 1959 nach Restaurierungsarbeiten eingestellt. Vgl. auch Hansert, Bürgerkultur.

[138] Vgl. StAHp-330-205: Aus dem Heimatspiel ‚Um Stadt und Volk’ wurde eine Festspieltradition, die vom Reichsbund der Freilichtspiele aufgebaut wurde. Durch Kulturgroschen und Subventionen aus Berlin kamen 30.000 RM zusammen. Der Bürgermeister als Vereinsvorstand musste aber schon bald ein großes Defizit vermelden. Ab 1937 spielte man Klassikerstücke, konnte sich aber wegen der Nähe zu den beiden reichswichtigen Festspielen Heidelberg und Frankfurt nicht profilieren.

[139] Vgl. StAHp-330-400ff. Der ‚Bergsträßer Festspielverein 1932 e.V.’ gewährleistete Kontinuität. Sehr schnell sorgten das Kultusministerium, der Regierungspräsident sowie der Kreis für Zuschüsse. Neben einem Nibelungstück wurden ‚Tell’ und Klassiker gegeben. Jedes Jahr schlossen die Festspiele mit einem Defizit von ca. 10.000 DM, der Gesamtetat lag bei ca. 50.000 DM. Aus Wiesbaden kamen mit 10.000-30.000 DM erhebliche Zuschüsse. Im Jahr 1957 werden 30.000 DM Funklotteriemittel an den Festspielverein überwiesen, um Schulden zu begleichen. Darin äußerte sich der „ Kulturwille Hessens “ in der Nähe von Öttigheim und Schwetzingen ähnliche Festspiele zu veranstalten. Eine Beschäftigung mit den Heppenheimer Festspielen, die 1959 finanziell am Ende waren, wäre von Interesse; vgl. auch HStA-504-2107.

[140] Vgl. Neubronner, Freilichtspiele S. 157-163. Mit Blick auf das Frankfurter Publikum beschloss der Magistrat im März 1947 Freilichtfestspiele. Nach Lizenzerteilung durch die Amerikaner wurden ‚Sommernachtstraum’ und der ‚Freischütz’ gegeben, das Kultusministerium intervenierte bei der Programmgestaltung. Die gastierenden Passionsspiele besuchten 5.000 Besucher. Durch 10.000 RM Zuschuss im Jahr 1948 durch das Ministerium sollten die Kronberger Spiele zum „ größten Kulturunternehmen in Hessen “ werden. Sonderzüge wurden eingesetzt, umfangreiche Werbung betrieben, die Stadt beteiligte sich mit jährlich 5.000 DM. Der Erfolg: Jährlich 40.000-50.000 Besucher zwischen 1947 und 1953! Mit Einnahmen von über 200.000 DM waren die Festspiele in dieser Zeit viel größer und erfolgreicher als die Hersfelder Spiele. Mit zinslosen Darlehen der Stadt und Landeszuschüssen bis 1953 in Höhe von 5.000 DM sollten die Festspiele zur ‚Hessischen Festspielwoche’ ausgebaut werden; vgl. StAK-1029 sowie HStA-504-6399.

[141] Hatten schon die Folgen der Währungsreform das Unternehmen finanziell belastet, so verstanden es die Bühnenpächter Blume und Krug nicht mehr, ein zugkräftiges Programm anzubieten und die städtischen Darlehen zurückzuzahlen. Die Stadt hatte sich als Träger zurückgezogen, im Jahr 1953 gab das Kultusministerium die ehrgeizigen Pläne auf. Vgl. StAK-1029 sowie HStA-504-6399 und HStA-502-8454.

[142] Vgl. StAWz-A127 bis 129 sowie HStA-504-2107 sowie Schulz, Industriefestspiele.

[143] Die Studie von Blum, Kultur und Konzern, untersucht die Wechselwirkungen zwischen Förderinstitutionen (Hoechst-AG: „ Wir sehen uns in der Tradition der Kurfürsten von Mainz “) und bürgerschaftlichem Engagement sehr genau. Zur Vorgeschichte vgl. S. 168-176. Wie im Laienspiel Geschichte verarbeitet wurde vgl. S. 177-213; dort auch eine ausführliche Analyse zur Festspielideologie. Wertetradierung, Religiosität, Familien- und Bürgersinn werden im Kapitel ‚Das Verständnis von Kultur und Herrschaft im Festspiel’ als Konsens der Nachkriegsgesellschaft am Beispiel Höchst beschrieben; vgl. ebd. Kapitel 4. Vgl. HStA-504-1780.

[144] So Festspiele in Weilburg; vgl. auch HStA-504-6403 zur Landesförderung und Volksbildungswerk.

[145] Zur Hessischen Festspiellandschaft heute vgl. Fischer, Festspielführer sowie Zeutschel, Festspiel-Lexikon. Vor allem die 1980er und 1990er Jahre haben mit den Eltviller Festspielen, dem Rheingau-Taunus-Festival und den neuen Römerbergfestspielen zahlreiche neue Kulturhöhepunkte hervorgebracht.

[146] So Vöge in Mühlhausen, Hessen, S. 275 oder in Frankl, Faszination oder Heym, Festspiele.

[147] StAH-Mag-Kart.37/4. Vgl. Abb. 30ff. im Anhang dieser Arbeit.

[148] Dass die Ruine Jahrzehnte lang als Baustofflieferant genutzt wurde, zeigt Handke, Stiftsruine, S. 67-98. Er nimmt an, dass diese Praxis erst um 1820 eingestellt wurde. Vgl. auch zeitgenössische Schilderungen der Ruine: Wille in Wiegand, Lesebuch, S. 67-68 (1789) sowie auf. S. 69-72.

[149] Zu den Aktivitäten Müllers vgl. Neuhaus, Hersfeld sowie Handke in Frankl, S. 19-26. Programmatisch für Müllers Einstellung ist der Aufsatz ‚’Eine denkmalpflegerische Pionierthat’ in Weigand, Lesebuch, S. 73 sowie ‚Spendenaufruf von 1831’, ebd., S. 78f.: „ Die Gründer dieses Domes würden seufzen [...] Der Geist der Väter ist aber heute nicht erloschen, wir achten und würdigen diesen Tempel “. Die Ruine wurde in den 1820er Jahren auch Titelmotiv von Taschenkalendern; vgl.: Denkmaltopographie, Hersfeld, S. 37.

[150] AHZ-18-2324. Vgl. die Abb. der Skizzen von Müllers im Anhang dieser Arbeit (Abb. 30ff.).

[151] Dietz, Festschrift, S. 27.

[152] StAM-A121-2706. Das Zitat stammt aus einem Protokoll des Landrats als Chef der Polizeibehörde.

[153] Frankl, Faszination, S. 27. Diese Informationen bezog Vöge vom ehemaligen Bürgermeister André. Seine Aufzeichnungen – neben den Presseberichten wichtige Quelle – sind verschollen. Dass dieses Wissen mündlich weiter gegeben wurde, zeigt auch, dass sich bis 1970 kein Hinweis für frühe Aktivitäten in der Ruine findet; vgl.: Mitze in Klosterbote, 1970.

[154] Vgl. Mitze in Klosterbote, der die erste Aufführung 1928 datiert sowie Frankl, Faszination, S. 213, dessen Übersicht auch mit dem Jahr 1928 beginnt. Vgl. neuerdings Dietz, 50 Jahre auch zur Vorgeschichte.

[155] Vorläuferveranstaltungen werden von vielen Festspielorten zur Traditionsbildung herangezogen, ohne auf die unterschiedlichen Rahmenbedingungen einzugehen; vgl. Kaut, Salzburg, S. 9-11 sowie Gallup, S. 11-24 sowie Stadler in Kreis/Engeler, Festspiel, S. 73-123. Einzig Mettin, Wunsiedel, S. 7-10 kann eine Traditionslinie bis ins späte 18. Jh. plausibel machen. Kritisch Moser in Kreis/Engeler, Festspiel, S. 50f.

[156] Vgl.: Düding, Fest, S. 7-13 sowie Sprenger, Inszenierte Nation, S. 48-66.

[157] Vöge in Frankl, Faszination, S. 27. Ein Jahr später kommt es zu ersten Aufständen im Vormärz. Ein Panorama der Zeit und eine Beschreibung eines Festes gibt: Hartert in Wiegand, Lesebuch, S. 47-52. Vgl. auch Lichtenhahn in Hugger, Stadt und Fest, S. 161-179 zu bürgerlichen Musikfesten. Dass die Ruine bereits in den 1770er Jahren – der Sturm-und-Drangphase – bespielt worden sei, wie das Vöge in Mühlhausen, Hessen, S. 275 behauptet, ist nicht nachweisbar und mentalitätsgeschichtlich betrachtet unwahrscheinlich, da sich erst Jahrzehnte später ein historisches Bewusstsein für diesen Ort greifen lässt.

[158] Zur Funktion der Klassikerfeiern als Gottesdienstersatz vgl. Bermbach, Festspiele, S. 106-114 und Chartier in Dülmen, S. 175, Zeilinger, Festspielidee, S. 78 sowie Kuhlemann, Bürgertum und Religion in Lundgreen, S. 293-318 und Koselleck, Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert.

[159] AHZ-1848-16. In StAM-121-A2908 wurde 1848 festgelegt, dass die Ruine nicht zu politischen Festen benutzt werden solle; der Landrat bestimmt, dass lediglich „ Angelegenheiten aller Bürger nebst staatlichen Proclamationen “ Platz in der Ruine finden sollten. Zur Revolution in Hersfeld vgl.: Neuhaus, Geschichte, S. 78 sowie Müller in Wiegand, Lesebuch, S. 52-54. Militär, Bürgergarden und die Gemeinde feierte mehrfach zusammen, so am 6. August 1848 ein Volks- und Verbrüderungsfest. Zur Einordnung vgl.: Düding, Fest, S. 7f. sowie Dotzenrod in ebd., S. 46-66. Nolte in Ders./Hettling, Feste, S. 63-94 sowie Brophy in Friedrich, Festival Culture. Vgl. für Hintergründe: Nipperdey, Deutsche Geschichte.

[160] Bei den Veranstaltungen handelt es sich nicht um Theateraufführungen, sondern um rezitative Feiern wie zu Schillers 50. Todestag 1855 oder dem Geburtstag von Landgraf Moritz von Hessen. Solche Verehrungsfeiern wurden behördlich genehmigt – unangemessen empfundene Veranstaltungen erhielten keinen Einzug in die Ruine. Vgl.: AHZ-1872-27 und StAM-121-2908.

[161] Vgl.: AHZ-1867, 12 und 1868, 16. Dies Zitate stammen aus der Feder eines Kommentators der Zeitung.

[162] Soldaten ließen sich vor der Ruine ablichten wie StAH, 16, 312 zeigt. Auch Vereine nutzten die Ruine als Kulisse für repräsentative Photos. Den Bürgern sei der Stiftsbezirk allerdings aus militärischen Gründen versperrt gewesen, was eine Bespielung der Ruine verhindert hätte (Vöge in Mühlhausen, Hessen, S. 276).

[163] Sprenger, Festspiel, S. 51. ‚Der Germania Ringen’ wurde 1871 aufgeführt. Vgl. AHZ-1871-34 und 1872-36. Wer initiativ wurde, wird nicht deutlich. Es ist zu vermuten, dass üblicherweise Schüler Darsteller waren. In welchem Zusammenhang das Stück mit der Militärschule stand, ist unklar. Zur Rolle der Sedanfeste und von vaterländischen Festspielen vgl.: Schellack in Düding, Sedanfeste, S. 278-297 sowie Sprenger, Festspiel, S. 48-66 und ders.: Festspiel. Vgl. auch Witt in Schulze, Fest, S. 306-317 sowie Kipper in Berding, Erinnerung, S. 17-38. Ausführlich und Standard: Sauer/Werth, Lorbeer, S. 52-96.

[164] Vgl. den Roman ‚Die Zaunkönige’ von Freytag, der in Hersfeld spielt (Textauszüge in Wiegnad, Lesebuch, S. 120-124.) sowie Ricarda Huchs Beschreibung Hersfelds in ihrer Sammlung ‚Deutsche Städte’. Die Stiftsruine wurde in beiden Fällen als nationales Denkmal stilisiert. Im Jahr 1883 dichtet E. v. Wildenbruch das in Hersfeld spielende Hexenlied; vgl.: Wiegand, Lesebuch, S. 112-119. Vgl. Klemm, Kreuzgangfestspiele, S. 7-9 zur Imagination von Geschichte in Feuchtwangen.

[165] Zur Verbindung von imaginierter Geschichte und dem Entwurf eines zyklischen Geschichtsverständnisses vgl. Sprenger, Festspiel, S. 59f. sowie Ders., inszenierte Nation, S. 266. Gentry in Hermand, S. 9-24 zu Feiern für das Mittelalter im 19. Jahrhundert. Zu Kontinuitäten bis heute vgl. Seitz, Historische Spiele.

[166] Die Parallele zwischen sich entwickelnder Festspielkultur und der Ausbreitung von (vaterländischen) Denkmälern wird in der Forschung diskutiert. Vgl.: Sprenger, Inszenierte Nation, S. 257f. sowie Nipperdey, Nationalidee, S. 527-585, ausführlich Tacke, Denkmal sowie Thomke in Engler/Kreis, Festspiele, S. 150-165 zum Festspiel als Denkmal.

[167] Sprenger, Festspiel, S. 48. Vgl. Stadler, Naturtheater, S. 53 „zur Induzierung des besonderen Ortes mit weihendem Sinn“.

[168] In Hersfeld waren Turner und Sänger in fast einem Dutzend Vereinen organisiert. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich durch die Textilproduktion eine dünne bürgerliche Oberschicht, vgl.: Neuhaus, Hersfeld, S. 98ff. Vgl. zu Vereinen als Träger von Festkultur Nipperdey, Deutsche Geschichte. Zu Vereinen als Festspielträgern vgl. Stern in Capitani, S. 309-337. Vgl. v.a. grundlegend Düding, Gesellschaftlicher Nationalismus, S. 219ff. und 299ff.

[169] Laut Dietz, Chorverein, S. 5-20 entstanden zwischen 1860 und 1898 fünf Vereine: Germania (1860), Quartettverein (1872), Sängerverein (1875), Sängerchor (1880) und der Liederkranz (1898). Vgl. Düding in Ders., Fest, S. 166-191 zu Gesangsvereinen und deren Festen im 19. Jahrhundert.

[170] Vgl.: AHZ-1894-36 sowie Dietz, Chorverein, S. 6. Vgl. auch StAH-A138/12.

[171] Dieses für das 20. Jahrhundert programmatisch werdende Motto stammt von Bürgermeister Carl Strauß aus dem Jahr 1895 (AHZ 1895, 46.). Vgl. StAM-121-A9479 zu Freilichttheater nach 1888 in Hersfeld.

[172] 1829 geboren kam Duden 1876 nach Hersfeld. Vgl. ausführlich Kempe, Duden, S. 3-35.

[173] Einschlägige Titel wie Walcher, Bergtheater befinden sich in Dudens Nachlassbibliothek. Zur Idee des Volkstheaters für Laien vgl. Schöpel, Naturtheater, S.40-47, 194-202 sowie Naef in Kreis/Engeler, S.40-49. Vgl. Schneider in Friedrich, Festival Culture, S. 265-280 zur Festkultur in den 1910er Jahren.

[174] Vgl.: Dietz in Frankl, S. 29 sowie Schönmut, S. 3f. und Mitze in Klosterbote, S. 22f.

[175] Vgl.: AHZ-1902-35 und StAH-A139. Zur Finanzierung vgl. auch Starcke in Frankl, Faszination, S. 29.

[176] Vgl.: Dietz in Frankl, S. 29 sowie Schönmut, S. 4 und Mitze in Klosterbote, S. 22f.

[177] In den städtischen Akten findet sich kein Hinweis für kulturpolitische Aktivitäten der Stadt, da Kulturelles dem Vereinswesen zugeschrieben und nicht als öffentliche Aufgabe wahrgenommen wurde.

[178] Vgl.: Stadt Bad Hersfeld, Festschrift, S. 34-48. Dort ist die Entwicklung zum Kurort geschildert. Schöpel Naturtheater, S. 47f. zu Festspielen in Kurorten.

[179] Zur Rolle Dudens im Hersfelder Kurbetrieb vgl.: Rauche in Stadt Bad Hersfeld, S. 95-101.

[180] StAH-R-127. Zu diesem Projekt vgl. auch StAM-121-A9479.

[181] Was genau sich hinter diesen Rezitationsabenden verbirgt, wird auch aus der Zeitung nicht klar. Das Theaterspiel war immer von einer Bühne abhängig; die meisten Veranstaltungen dieser Größe dürften nur wenige Besucher angesprochen haben, zumal die Hersfelder Bildungsbürgerschicht nicht sehr viele Personen bzw. Familien umfasst hat.

[182] Zu Fischer als Organisator von Kulturveranstaltungen vgl. Dietz, Chorverein, S. 9-19. Kraft in Wiegand, Lesebuch, S. 21: „ Hersfeld ist eine kleine Musikstadt geworden mit Darbietung von künstlerischer Höhe “.

[183] Vgl.: Dietz, Festschrift, S. 8. Vgl. allgem. Hornauer, Massenchor, S. 130-148 sowie Eichberg/Dultz, Thingspiel, S 71-103, Wolff, Massentheater, S. 72-157 Festspielen in den 1920er Jahren, wobei die Rolle von Arbeiterfestspielen überwiegt. Vgl. Mettin, Wunsiedel, S. 24-36 als typisches Festspiel. Zusammenfassend zu Festspielen in dieser Zeit vgl. Sauer/Werth, Lorbeer, S. 148-158, Schöpel, Naturtheater, S. 47-52. Zu dieser völkischen Gruppe vgl. Roßbach, Leben, S. 86-102 und Sauer, Roßbach. Der Leiter dieser erfolgreichen Jugendgruppe war der ‚berüchtigte’ Freischärlerführer Gerhard Roßbach, Gründer der NSDAP in Berlin, der nach dem Zweiten Weltkrieg die ‚Gesellschaft der Freunde von Bayreuth’ aufbaute und wegen der Nähe zu seinem Wohnort Weilburg die Bad Hersfelder Festspiele mehrfach besuchte.

[184] Vgl. Claremont, Vitalisnacht. Dieses Stück inszeniert das Zusammengehörigkeitsgefühl der Hersfelder Bürger, die sich gegen den Abt auflehnten. Hauptinitiatoren des Stücks waren die Hersfelder Hans Post und Bernhard André, beide waren im Vereinsleben stark engagiert. Vgl. Dietz, 50 Jahre, S. 13f.

[185] Einen kurzen Pressespiegel bietet Schoof in Frankl, Faszination, S. 30; vgl. auch ‚Die Geburtsstunde der Bad Hersfelder Festspiele 1928’ in: Heimat und Bild 27 (1971), S.1f. sowie in Schoof, Stiftsruine, 2, S. 7-10. Dietz, 50 Jahre, S. 13. 150 Bürger spielten mit. Es verbanden sich gemeinschaftsstiftendes Volkstheater mit dem Ehrgeiz, sich mit dem bekannten Intendanten und Schauspielern einen Namen zu machen.

[186] Der Verein konnte nicht alle logistischen Leistungen erbringen. Der Magistrat unterstützte die Spielgruppe materiell (Bühnenmaterial) sowie durch flankierende Werbung, die 4000 Zuschauer kamen auch v.a. Rotenburg, Fulda und Kassel. Dietz, 50 Jahre, S. 13. Vgl. auch FAH-A1.

[187] Vgl.: Schöpel, Naturtheater, S. 93 sowie Reichsbahnzentrale, Festspiele (Anh. XXXVII). Zu Festspielen im Nationalsozialismus. vgl.: Blubacher, Lörrach, in Allmende, S. 222-237. Zur Festkultur im Nationalsozialismus vgl. Mosse, Nationalisierung, S. 91-154 (v.a. zu Festspielen S. 134-142) sowie Vondung, Ideologischer Kult. Strukturelle Parallelen zum Thing sind auch noch in den 1950er Jahren spürbar; vgl. Eichberg/Dultz, Thingspiel, S. 41-71, 181-218. Vgl. auch Wolff, Massentheater, S. 166-227 v.a. zur sakralen Funktion und Volksgemeinschaft. Als Standardwerk zum Thingspiel kann Stommer, Volksgemeinschaft gelten. Ausführlicher Überblick in Sauer/Werth, Lorbeer, S. 159-224. Neumann (bes. S. 99-125) zu Festspielen in Weimar im Nationalsozialismus ist richtungsweisend. Es gibt keine Literatur, die die Festspielbewegung getrennt von der Thingidelogie betrachtet; problematische Vermischung v.a. bei Sauer/Werth. Zu den Salzburger Festspielen in diese Zeit vgl. ausführlich Gallup, Salzburg, S. 110-175 sowie Angermüller, Festspiele, S. 43-101 und auf breiter Quellenbasis Fuhrich, Salzburg, S. 161-300 sowie Willatschek, Salzburg. Die Geschichte von Festspielen im Nationalsozialismus ist ein Desiderat.

[188] Vgl.: FAH-A1/56-59 (Korrespondenz mit dem Reichsbund); ausführlich zu dieser Organisation vgl.: Eichberg/Dultz, Thingspiel, S. 35-40, 181-188, 203-212, Wolff, Massentheater, S. 226-229. Die ausführlichste Untersuchung ist Stommer, Volksgemeinschaft; v.a. Kapitel 2, 3 und 6. Dort zur Finanzierung, Verbreitung und Ideologie der Thingspiele. Werner in Csobádi, Fest, S. 675-687 zum Umfunktionieren von Festspielen der 1920er Jahre zu Thingspielen. Zur Rolle von Festspielen im Gegensatz zum Thingspiel vgl. Braumüller, Freilicht- und Thingspiel u.a. Schriften dieses ideologischen Vordenkers. Entwicklung, Struktur und Scheitern des ‚Reichsbundes’ wären lohnende Forschungsansätze; vgl. BAB-R55-20100ff.

[189] Vgl. StAH-Mag-35: „ Der neue Kulturwillen soll Ausdruck finden in einer Volks- und Massenspieltradition, die im ganzen Land aufblüht. Da soll unser Gau nicht nachstehen, zumal wir einen der würdigsten Orte in ganz Mitteldeutschland vorweisen können.“ (NS-Kulturbeauftragter Stadelmann). Siehe Dok. auf S. LI.

[190] Vgl.: StAH, R 126, 45. Vgl. Schöpel, Naturtheater, S. 127 zu Festspielgründungen aus Stadtjubiläen. Vgl. auch Schmuhl in Hettling/Nolte, Fest, S. 124-156.

[191] Vgl. Vöge in Mühlhausen, Hessen, S. 276.

[192] Diese tragische Episode wird in der Bad Hersfelder Festspielgeschichte verschwiegen. Schmids zahlreiche Ausfälle und Affronts provozierten Bevölkerung und Behörden. Als er von einer Eskorte für die Olympiafeier begleitet durch die Stadt ritt, ließ ihn der Landrat festnehmen und sorgte für eine Heimeinlieferung. Vielleicht waren diese peinlichen Geschehnisse der Grund dafür, dass im Jahr 1936 keine Festspieltradition entstehen konnte. Vgl. ausführlich die zahlreichen Protokolle des Landrats in StAM-121-A2706.

[193] Ulbrich war von amerikanischen Theateroffizieren seines Amtes enthoben worden, suchte aber für sich und das Ensemble – das Staatstheater lag in Trümmern – nach neuen Spielstätten; unter anderem nach 1945 in Hersfeld, vgl. Frankl, Faszination, S. 17f. Ulbrich war in seiner Funktion als Intendant des Weimarer Nationaltheaters Chef der Weimarer Jugendfestspiele der HJ. Vgl. BAB-R32-319.

[194] Ulbrich, Leben, S. 89. Vgl. Fink, Theater, zu Heidelberg.

[195] AHZ, 1936 145. Hier sind viele Stichworte der Festspielideologie der 1950er Jahre prägfiguriert.

[196] AHZ-1936/144: „ Hier in Hersfeld soll Besonderes entstehen. Hier kann eine deutsche Wallstätte aufkeimen, denn einen solchen Ort gibt es selten. Hier vereinigen sich Stärke der Kaiser mit dem Missionswillen der Reichskirche, die Wortgewalt Luthers mit dem Schwert der Bürger. Diese Stätte gehört allen Deutschen.“

[197] Vgl. Vöge in Frankl, S. 33.

[198] Die Schauspieler stammten von bekannten Bühnen, allerdings spiegelt sich darin nicht wie Vöge vermutet die künstlerische Qualität wider, sondern der Zwang des Regimes anstatt Laien nun Schauspieler zu engagieren. Vgl. Vöge in Frankl, Faszination, S. 33 Dietz, 50 Jahre, S. 16.

[199] Vgl.: Dietz, Chorverein S. 9-18.

[200] Zur Person von Petsch vgl.: Dietz, 50 Jahre, S. 14. Petsch war Orchesterdirektor in Guben und kam 1931 nach Hersfeld. Er stieß sich an Vereinsstrukturen und geriet mit dem Musiklehrer Fischer in Konflikt, der als Leiter des Chorvereines abgesetzt wurde. Alle Hersfelder Chöre waren im Volkschor zusammengefasst worden und unterstanden gegen heftigen Widerstand Petsch, der in den 1950er Jahren musikalischer Leiter der Festspiele wurde; vgl. ausführlich Frankl, Faszination, S. 138f. sowie Paris, Welttheater, S. 82-85.

[201] Vgl.: Wildenbruch in Wiegand, Lesebuch, S. 112-119 sowie Dietz, 50 Jahre, S. 9-12. Zum Festspieldichter Wildenbruch und seiner ideologischen Ausrichtung vgl. Sauer/Werth, Lorbeer, S. 96-106.

[202] Vgl. Dietz, 50 Jahre, S. 16. Vgl. Abb. 11 im Anhang dieser Arbeit.

[203] Vgl. vor allem das reichhaltige Bildmaterial in FAH-B3 sowie AHZ, 1946-427. Siehe Abb. 3f. im Anhang.

[204] Vgl. Zillinger in Frankl, Faszination, S 75; dort zu Theateraufführungen und „ Kulturinitiativen “.

[205] Vgl. Daiber, Theater, S. 26-32 zur Aufbruchsstimmung und zum Glauben an kulturelle Werte.

[206] Das Goethe-Jahr bedeutete für die deutsche Nachkriegsgesellschaft eine Möglichkeit, sich als Trägerin ewiger Werte und klassischer Ideale in die Kontinuität positiv konnotierter deutscher Geistesgeschichte zu stellen. Die Initiative kam hier aus dem Vereinsleben. Vor allem der Chorverein und die Gymnasiallehrer waren an der Organisation einer Goethe-Feier interessiert. Vgl.: Glaser, Kulturgeschichte,1, S. 318-322. Mandelkow in Schildt, S. 541-551 sowie Nägele in Hermand, Feiern, S. 97-122 zu den Goethe-Feiern 1932 und 1949. Vgl. ähnliche Veranstaltungen zur Institutionalisierung: Gallup, Salzburg, S. 30-34.

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Details

Title
Das "hessische Salzburg" - Festspiele in Bad Hersfeld
Subtitle
Entwicklung, Strukturen und Ideologie einer Institution kultureller Repräsentation der frühen Bundesrepublik
College
Johannes Gutenberg University Mainz  (Historisches Seminar)
Grade
1,0
Author
Year
2003
Pages
185
Catalog Number
V120474
ISBN (eBook)
9783640239788
ISBN (Book)
9783640239870
File size
1645 KB
Language
German
Keywords
Salzburg, Festspiele, Hersfeld
Quote paper
Holger Reiner Stunz (Author), 2003, Das "hessische Salzburg" - Festspiele in Bad Hersfeld, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120474

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