„In their war propaganda films the Nazis, of course, pictured themselves exactly as they wanted to be seen, and when, with the passing of time, some traitor lost its attraction, the propaganda experts did not hesitate to suppress it.“ (Kracauer)
Trotz Aufruf zum „Widerstand bis zum Letzten“ klaffen Realität und Fiktion weit auseinander: Am 19. März schreibt Goebbels angesichts der verlustreichen Lage an der deutschen Ostfront: „Kolberg haben wir nunmehr räumen müssen. Die Stadt, die sich mit einem so außerordentlichen Heroismus verteidigt hat, konnte nicht mehr länger gehalten werden. Ich will dafür sorgen, dass die Räumung von Kolberg nicht im OKW-Bericht verzeichnet wird. Wir können das angesichts der starken psychologischen Folgen für den Kolberg-Film augenblicklich nicht gebrauchen.“
Die berechnete Verführung durch Ästhetisierung und Theatralisierung politischer Inhalte zur Mobilisierung des kollektiven Patriotismus ging nicht mehr auf. An der rauen Wirklichkeit prallte auch die schauspielerische Leistung der UFA-Stars wie Söderbaum oder George ab, denn weder Dialogführung noch der Einsatz symbolträchtiger Bilder konnten zu diesem Zeitpunkt noch mit der Realität Schritt halten.
Der Film zum universalisierten „deutschen Heldentum“ steht auch im Vergleich zur medialen Berichterstattung der späten NS-Täterprozesse Ende Fünfzigerjahre und des spektakulären Eichmann-Prozesses 1960/61 in Israel – nach Abflauen der alliierten Entnazifizierungsmaßnahmen – als sich öffentliche Stimmung wieder allmählich zu Gunsten der Täter veränderte.
Inhaltsverzeichnis
0. Prolog
1. Die Intention hinter „Kolberg“
1.1 Eine filmische Materialschlacht
1.2. Die Entstehungsgeschichte
1.3. Propagandaerfahrene Publikumslieblinge werben fürs Durchhalten
1.3.1. Kristina Söderbaum – die Verkörperung des nationalsozialistischen Frauentypus
1.3.2. Heinrich George – ein wandlungsfähiger Schauspieler
2. „Blut und Boden“- Dialogführung
3.1. „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los“ – Misstrauen gegenüber hohen Militärs
3.2. Aufruf zur Opferbereitschaft
3.3. Maria – das Ideal des „deutschen Mädchens“
3.4. Der Feind
4. Deutsche Filmästhetik im Kontext mit dem Faschismus
4.1. Massenszenen verbildlichen den „Volkskörper“
4.2. Der mächtige Feind
4.3. Optische Umsetzung des nationalsozialistischen Frauenbildes
4.4. Der Feind im eigenen Lager
4.4. „Gott ist mit den Gerechten“
5. Epilog
6. Appendix
6.1. Literaturverzeichnis
6.2. Filmographie
0. Prolog
Zu Beginn möchte ich kurz erläutern, warum ich mich im Rahmen der Vorlesung „Das 20. Jahrhundert auf der Leinwand: Spielfilm-Geschichte(n)“ für die deutsche Produktion „Kolberg“ (D. 1943-45) entschieden habe. Die vordergründig als Historienfilm angelegte Geschichte unterscheidet sich grundlegend von anderen Werken dieses Genres wie etwa „Tanz auf dem Vulkan“ mit Gustav Gründgens (D. 1938) oder „Amphytrion: Aus den Wolken kommt das Glück“ von Reinhold Schünzel (D. 1935), die zwar ebenfalls während des Naziregimes produziert wurden, aber die historisiert verfremdet dargestellte Gegenwart in einem eher kritisch hinterfragenden Licht erscheinen lassen. Im Gegensatz dazu schafft „Kolberg“ – ausgehend von den Memoiren des Kolberger Bürgers Joachim Nettelbeck, eines Seefahrers, Sklavenhändlers und Mitgliedes des Stadtrates – einen direkten Brückenschlag vom preußischen Abwehrkampf gegen Napoleon 1806/07 zur nationalsozialistischen Durchhaltetaktik am Ende des Zweiten Weltkrieges.
Der Rezipient soll sich emotional fallen lassen, um schlussendlich im kollektiven Heldentum aufzugehen. Dazu gibt man sich todernst und faschistisch „schneidig“ in Schritt und Dialog. Lächelnde Helden wie Gründgens in „Tanz auf dem Vulkan“ – vom bissig satirischen Stil „Amphytrions“ einmal ganz abgesehen – passen nicht in den heroisch rührseligen Stil, denn sogar am „siegreichen Ende“ ist für positive Gefühlsregungen kein Platz, da das Klima aus Trauer und Zerstörung nur vom alles betäubenden Nationalstolz übertrumpft wird. Aufbegehrendes Lachen wird der Zuschauer ebenfalls nicht finden, denn sogar ein zartes, politisch korrektes Lächeln steht hier schon für Schwäche.[1]
Zur Analyse des Films tauchten zahlreiche Fragen auf: Wodurch wird aus einem Film, der ähnlich farbenprächtig ist wie „Baron Münchhausen“ (D. 1943, Drehbuch Berthold Bürger alias Erich Kästner), ein eindeutiges Propagandamachwerk? Durch welche Stilelemente kann man „Kolberg“ ziemlich schnell als „nationalsozialistisches Produkt“ erkennen – und gibt es solche Spezifika überhaupt? Wenn ja, wodurch soll „das Volk“ sehend und hörend in die „richtigen Bahnen“ emotionalisiert werden? Wie werden dazu die Dialoge gestaltet und welcher Form der Sprachmodulation bedient man sich dabei? Wie wird der Heimatbegriff bildlich umgesetzt und worauf achtet man hierbei besonders, um die Herzen der Zuseher zu gewinnen? Last, but not least: Wie agieren die Schauspieler, nehmen die Figuren auf das traditionelle nationalsozialistische Rollenbild Rücksicht und wie standen die betreffenden Schauspieler und der Regisseur zum nationalsozialistischen Regime?
Der erste Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Intention hinter „Kolberg“, der zweite vertieft sich in die Umsetzung der Materie, wobei der Schwerpunkt der Analyse auf der Propagandawirkung der Dialoge und der Kraft der Bilder liegt. Als Quellen dienten natürlich der Film selbst, sowie entsprechende begleitende Literatur inklusive der Memoiren des Jochim Nettelbeck.
1. Die Intention hinter „Kolberg“
1.1 Eine filmische Materialschlacht
Kurz vor der endgültigen Niederlage Nazideutschlands sollte die letzte Uraufführung eines NS-Filmes das Volk nochmals zum „Durchhalten“ aufrufen. Der deutsche Propagandafilm „Kolberg“ wurde am symbolträchtigen 30. Jänner 1945 – dem zwölften Jahrestag der nationalsozialistischen Machtübernahme – gleichzeitig im zerbombten Berlin und in der heiß umkämpften Atlantikfestung La Rochelle uraufgeführt, wobei hier die Filmrollen bereits per Fallschirm abgeworfen werden mussten. Die Lage in Berlin sah zu dieser Zeit nicht viel rosiger aus, denn die Rote Armee war kaum 80 km von der Hauptstadt des Dritten Reichs entfernt und die kriegsbedingte Tristesse angesichts der unaufhaltsamen Niederlage hatte bereits vom Großteil der deutschen Bevölkerung Besitz ergriffen. Die beabsichtigte propagandistische Wirkung des monumentalen Nazi-Machwerks hielt sich daher in Grenzen und „das Volk“ verzichtete auf einen heroischen „Abwehrkampf“.[2]
1. 2. Die Entstehungsgeschichte
Im Sommer 1943, als das deutsche Kriegsglück bereits brüchig geworden war (u.a. Wende an der „Ostfront“ im Winter 1941/42), wurde der „größte Film aller Zeiten“ vom Propagandaminister Joseph Goebbels in Auftrag gegeben. Der historische Stoff um die Verteidigung der Pommerschen Stadt Kolberg (heute Kolobrzeg in Polen) gegen Napoleon sollte unter der propagandistisch erfahrenen Leitung von Veit Harlan die Herzen der Bürger fürs Durchhalten gewinnen. Der Film stützt sich großteils auf die Biografie des preußischen Volkshelden Joachim Nettelbeck (1738-1824), wobei auch ein historisches Schauspiel mit dem Namen „Colberg“ in fünf Akten von Paul Heyse aus dem Jahr 1865 existiert. Nettelbeck, Seefahrer und Mitglied der kommunalen Verwaltung, pocht – trotz Widerstand des Stadtkommandanten Loucadou – auf ein Bürgerheer zur Verteidigung, der von den Franzosen 1806/7 belagerten Festungen Kolberg, wodurch er schließlich als „Bürgerpatriot“ Berühmtheit erlangt.[3]
Goebbels’ Vertrauensmann Harlan[4] – „des Teufels Regisseur“ – durfte für den „heroischen Abwehrkampf“ der Kolberger trotz zunehmend schwieriger Produktionsbedingungen aus dem Vollen schöpfen, denn mehr als acht Millionen Reichsmark standen für den teuersten Film des Dritten Reiches zur Verfügung. Obwohl ständig die Gefahr von Luftangriffen bestand, wurden ungeheure Massenszenen umgesetzt. Mehr als 10.000 Wehrmachtssoldaten konnten statt am wirklichen Schlachtfeld nun unter der Leitung Veit Harlans Krieg spielen. Es wurde in der Tat in keiner Weise gespart: Um im Sommer das Drehen von Schneeszenen zu ermöglichen, mussten 100 Eisenbahnwaggons mit Salz an den Drehort in Pommern gebracht werden. Dies setzte sich bis zur Premiere fort, für die, auf Anordnung des Reichsfilmintendanten ein Berliner Kino wieder notdürftig aufgebaut werden musste. Trotz allen Aufwandes lief der farbenprächtige Durchhalteappell aber nicht mehr lange in den Kinos und nur wenige wagten sich unter der ständigen Bedrohung von Luftangriffen zur Filmvorführung. Trotz Agfacolor-Qualität sowie gigantischen Menschen- und Materialaufwandes erreichte die Botschaft, dass eisernes Durchhalten in scheinbar aussichtsloser Situation zum Erfolg führt, nicht mehr seinen Adressaten.[5]
1.3. Propagandaerfahrene Publikumslieblinge werben fürs Durchhalten
Der Handlung wird vor allem von zwei Schauspielern getragen: Heinrich George als extrem patriotischem Bürgermeister Nettelbeck und Kristina Söderbaum als nicht weniger opferbereitem Mädchen Maria, das im Kampf um die Heimat menschlich als auch materiell alles – außer ihrem Onkel Nettelbeck – verliert. Beide populären UFA-Stars hatten sich schon vor dem Prestigeprojekt „Kolberg“ als systemtreu erwiesen, indem beide u.a. im – laut Joseph Goebbels – „ersten wirklich antisemitischen“[6] NS-Hetzfilm „Jud Süß“ ihre Propagandaqualität bewiesen.
[...]
[1] Margit Frölich, Hanno Loewy, Heinz Steinert, Lachen darf man nicht, Lachen muss man. In: Lachen über Hitler – Auschwitz-Gelächter. Filmkomödie, Satire und Holocaust, ed. Margit Frölich, Hanno Loewy, Heinz Steinert (Frankfurt am Main 2003) 9-20.
[2] Kolberg. In: //de.wikipedia.org/ wiki/Veit_Harlan (Zugriff: Wien, am 18.7.2005).
[3] Joachim Nettelbeck, Lebensbeschreibung des Seefahrers, Patrioten und Sklavenhändlers Joachim Nettelbeck. Von ihm selbst aufgezeichnet, ed. J. C. L. Haken ((Frankfurt am Main 1992) 375f.
[4] Veit Harlan (geb. 22.9.1899 in Berlin, gest. 13.4.1964 auf Capri), Schauspieler und einer der bekanntesten Filmregisseure im Dritten Reich. Nach Kriegsende – aufgrund von NS-Propagandafilmen wie Jud Süß – Anklage („Verbrechen gegen die Menschlichkeit“), die aber mit einem Freispruch (Einstufung als „Entlasteter“) endete. Ein Berufsverbot wurde nie ausgesprochen, seine Nachkriegsproduktionen lösten aber teilweise Demonstrationen und Boykottaufrufe aus. In: Hermann Weiß, Personenlexikon 1933-1945 (Frankfurt 2002) 179f.
[5] Kolberg. In: //de.wikipedia.org/ wiki/Veit_Harlan (Zugriff: Wien, am 18.7.2005)
[6] Tagebucheintragung Joseph Goebbels. In: Ebd.
- Quote paper
- MMag. Silvia Kornberger (Author), 2005, „Kolberg“ – Der letzte Propagandafilm des Dritten Reiches, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120467
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.