Erstmalig erschienen 1895. Auszug: Aus den Hinterthüren des Stuttgarter Hof-Theaters, die in den dichten Baumgang zum Park münden, traten die Schauspieler; die Probe war zu Ende. Die Damen, meist noch in bescheidener Morgen-Toilette, eilten mit gesenkten Köpfen, gleichsam incognito, durch die unscheinbarsten Sträßchen ihren Wohnungen zu, während die männlichen Kollegen, laut perorirend, in Gruppen gingen, um hier mit königlicher Herablassung einen Gruß zu erwidern, dort vor einem schnell und unhörbar daher galoppirenden Offizier mit gerunzelter Stirn auf die Seite zu springen. Als letzter trat der Souffleur auf die Straße, ein graues, verwittertes Männchen, dessen schmalschnabeliger Hahnenkopf mit den kleinen, schwarzen, hurtig herumrollenden Augen, dem gesträubten, grauen Schnauz mit dem schwarzen Flecken darin, just unter der Nase, und dem Nackengelock auf dem grünlich schimmernden Rockkragen, den Besuchern des Schloßplatzes eine wohlbekannte und oft belächelte Erscheinung war.»Grieß Gott, Herr Schaible, jetz’, Sie werdet a Freud’ habe«rief es ihn mit rauher Stimme, aber in freundlichem Ton von einer Bank her an; ein dicker, pelzbesetzter Seidenklumpen, aus dem nur ein großes, rothes Gesicht hervorguckte, wälzte sich mühsam auf die Seite, um ihm die Hand hinzustrecken. Der Souffleur erhob den Kopf, aber ohne den sonderbar pfiffigen und pikanten Ausdruck, der ihm sonst eigen war.»Sie kommt nicht,«sagte er kopfschüttelnd.»Wenn nur erst meine Frau wüßt’ Eben hab’ ich den Brief –
Aus den Hinterthüren des Stuttgarter Hof-Theaters, die in den dichten Baumgang zum Park münden, traten die Schauspieler; die Probe war zu Ende. Die Damen, meist noch in bescheidener Morgen-Toilette, eilten mit gesenkten Köpfen, gleichsam incognito, durch die unscheinbarsten Sträßchen ihren Wohnungen zu, während die männlichen Kollegen, laut perorirend, in Gruppen gingen, um hier mit königlicher Herablassung einen Gruß zu erwidern, dort vor einem schnell und unhörbar daher galoppirenden Offizier mit gerunzelter Stirn auf die Seite zu springen. Als letzter trat der Souffleur auf die Straße, ein graues, verwittertes Männchen, dessen schmalschnabeliger Hahnenkopf mit den kleinen, schwarzen, hurtig herumrollenden Augen, dem gesträubten, grauen Schnauz mit dem schwarzen Flecken darin, just unter der Nase, und dem Nackengelock auf dem grünlich schimmernden Rockkragen, den Besuchern des Schloßplatzes eine wohlbekannte und oft belächelte Erscheinung war.»Grieß Gott, Herr Schaible, jetz’, Sie werdet a Freud’ habe«rief es ihn mit rauher Stimme, aber in freundlichem Ton von einer Bank her an; ein dicker, pelzbesetzter Seidenklumpen, aus dem nur ein großes, rothes Gesicht hervorguckte, wälzte sich mühsam auf die Seite, um ihm die Hand hinzustrecken. Der Souffleur erhob den Kopf, aber ohne den sonderbar pfiffigen und pikanten Ausdruck, der ihm sonst eigen war.»Sie kommt nicht,«sagte er kopfschüttelnd.»Wenn nur erst meine Frau wüßt’ Eben hab’ ich den Brief – .«Er drückte mit dem Finger auf die Brusttasche, in der es knitterte; man hätte meinen können, er habe dort eine Stelle, die ihn schmerze.
»Aber Aber Warum? Wenn mer frage darf? Ist mir aber leid«staunte die dicke Frau, einst eine hochgefeierte Tänzerin des Hof-Theaters. Schaible blickte verstört vor sich hin.»Ja, ja, mir ist’s nur um meine Alte, – die schläft schon seit vierzehn Tagen nimmer Nun, – nun, – was ist zu machen? Nichts zu machen«Er griff den Hut und schoß plötzlich davon über den heiteren, belebten Schloßplatz, der an diesem Gründonnerstage so frühlingsmäßig aufgeräumt aussah. Ostern fiel früh, noch in den März dieses Jahres, und doch war schon alles so staunenswerth vorgeschritten. Wie hatte er sich auf dem Herweg an dem Dufte der frisch bestellten, sauber gelockerten Beete, an den neu ergrünenden Rasenflecken gefreut, wo neben der winterlichen Krähe schon ein blankes, blauglänzendes Starenmännchen gärtnern ging.»Soweit ist’s in Frankfurt sicher nicht, die Lotte würd’ eine Freud’ haben, – muß es doch meiner Frau sagen, daß dem Kind seine Primeln vor dem Schloß in voller Blüthe sind.«
Das war vor drei Stunden gewesen, und nun, – ja, nun war’s gleichgültig, Primeln und Amseln und sogar die liebe, warme Sonne, die vom hellblauen, durchsichtigen Himmel so wohlmeinend auf die bunten Kinderhütchen schien und auf die schön geputzten und gewaschenen weißen Pudel, die mit Spazierschritten ihre halbgeschorene Pfötchen den farbigen Beinen ihrer Herren nachsetzten. Die Lotte kam nicht aus Frankfurt, konnte nicht abkommen, der gestrenge Singmeister wollte nichts von Ferien wissen, hatte über Zeit- und Geldvergeudung gebrummt. Je nun – Aber zwei Jahre, – das ist doch eine hübsche Zeit, wenn man nur die eine hat. Und die Alte, – im Anfang war’s ihm, als könne sie die Trennung von der Lotte nicht überleben Keine Nacht recht geschlafen, und am Tage, wenn er sie doch allein lassen mußte, geschwollene Augen und ein so wehevolles, entbehrendes Lächeln um die schmalen Lippen. Und jede Bewegung, jeder Gedanke, jede Erinnerung und jede Hoffnung bezieht sich auf das Kind. Aber das ist nicht bei ihr allein, das geht ihm gerade so. Wenn sie mitsammen die Königstraße hinabwandern, kein größeres Vergnügen, als so vor allen Schaufenstern stehen zu bleiben, zu gucken, zu schweigen und endlich sich schmunzelnd zuzuflüstern:»Das wären jetzt Schüh’le für d’ Lotte, – die goldige da, gelt, herzig sind’s?«»Grad wollt’ ich’s sagen Aber guck emal da, die nette Blumeg’schirrle, – jetzt wenn die Lotte – .«»Und hier hascht alle mitenander, de Mozart mit seim wundervolle G’sichtle und seim Nackezopf, de Beethoven mit eme große, wilde Lockehaar und em Titanetrotz, de Händel wie e Staatsminister, de melancholische Schubert, de Mendelssohn, – lebensgroße Photographien Das wäre eppes – .«»Aber de Haydn g’seh i net? Wo ischt au der Haydn? I möcht geh’ frage, warum daß der Haydn net da ischt Aber es lohnt net, – es würd so e Mordsgeld koschte«Und dann unterhielten sie sich, was für ein Gefühl das sein müßte, wenn man immer gleich so hineingehen und kaufen könnte, was einem gefiele. Natürlich für das Kind, denn für sich selbst waren sie so anspruchslos, daß ihnen das knappe Geldchen, das der Souffleur-Posten eintrug, gewiß genügt hätte. Aber die Lotte Ein einziges, liebes, begabtes Kind von zwanzig Jahren, – für wen sind denn eigentlich alle schönen und reizenden Dinge in der Welt, wenn nicht für solche Lotten? Nun, es hatte ja Glück gehabt, das Kind, da sich ein Mann wie der für ihre Stimm interessirt, – der erste Konzertträger Deutschlands sie in die Schule nimmt Wer hätte das hoffen dürfen, daß sich solch ein Mann eines alten Schulkameraden erinnern, seinen Besuch freundlich aufnehmen, seine Tochter hören und ihre Ausbildung dem mittelosen Vater wie etwas Selbstverständliches vorschlagen wird, und daß er nicht nur die Kosten der Ausbildung, sondern sogar den größeren Theil ihres Unterhalts für drei Jahre in Frankfurt selber trägt Ja, es ist etwas Ungeheuerliches, und man will sich das bißchen Tyrannei schon gefallen lassen, wenn es zu des Kindes Bestem ist. Ein bißchen Tyrannei Aber so viel, daß er sie zwingt, das pfennigweise von den Eltern zusammengebrachte Reisegeld wieder zurückzuschicken mit der trockenen Bemerkung, es sei besser, sie warte noch ein Jahr, dann sei es vielleicht etwas Rechtes? – – – Immer langsamer ging Schaible, je mehr er sich seiner Wohnung näherte, und nicht nur, weil die Hohenheimerstraße eine Steigung macht. Was wird seine Frau sagen Heute morgen hat er ihr noch eigenhändig ein großes Netz voll Spinat vom Markt an der Planie geholt.»Das ischt emal e Gründonnerstag, der trägt sein’ Namen mit Recht, heut z’Mittag mach’ ich Laubfrösch’«Auf der dritten Treppe schon duftet ihm das Frühlingsgericht entgegen, und nun ist ihm der Hunger vergangen. Soll er’s ihr denn vorher sagen, daß die Lotte nicht kommt? Dann rührt sie keinen Bissen an, und Laubfrösche, das ist ein so langes Geschäft, soll sie denn zwei, drei Stunden umsonst gewiegt, gerührt, gebrutzelt haben? Wiederum, wenn er sie essen läßt, und sagt’s ihr nachher? Da bekommt’s ihr nicht, macht sie elend, ja sterbenskrank, alle Aufregung schlägt bei ihr auf den Magen, und ihm geht es ebenso. Sie sind nicht wie andre Leute. Immer ganz droben oder ganz drunten, alle beide. Die Lotte was das ruhige Element, so sonderbar das ist. Das Kind konnte so wundervoll lachen; von kleinauf schon. Wenn es hinfiel und die Mutter todtenbleich und zitternd aufschrie, als seien ihm alle Knöchlein zerbrochen, – immer hat es schnell die Thränen verschluckt und gelächelt:»I bin scho wieder auf«Wie soll man so ein Kind nicht vergöttern Zwei Jahre fort, zwei lange Jahre Und nun soll zu den zweien noch ein drittes kommen, ein langes, langsam schleichendes Jahr. Und dann nachher? Wenn man auch nur ein wenig in die Zukunft sehen, ein Zipfelchen von dem dunklen Schleier heben könnte Wird sich’s denn auch lohnen? Wird die Stimme ausreifen, das musikalische Gefühl sich bewähren? Wird das Mädel mehr Glück haben als ihre Eltern? Vorsicht im Urtheil mag ja gut, nothwendig sein, aber der Teufel halte es aus, so im Dunkeln gelassen zu werden – Und nun, – nun ist da die Glasthüre zum vierten Stock, und dahinter ist seine Frau in der Küche bei den Laubfröschen, und er zittert und seufzt und flucht durch einander, bis er sich endlich einzutreten getraut. Aber was ist das? Sie weiß es doch nicht etwa schon? Sie kommt ihm stumm ein paar Schritte entgegen, drückt ihm hastig die Hand und geht wortlos in die Küche zurück, ihre Lippen zucken heftig, das Gesicht ist roth und verweint – – .»Hermine«ruft er und geht ihr nach. Sie hat schon das Taschentuch vor den Augen.»Ach, es ist was furchtbar Trauriges passirt, – Du hast mir’s gleich, – aber ich kann’s nicht, – und wenn Du’s erst weißt – .«Er bringt schon gar kein Wort mehr heraus, er hält das magere Handgelenk seiner Frau umklammert und fühlt das schnelle, hüpfende Klopfen.»Es kann doch nichts mit der Lotte sein? – Mann,«flüstert die alte Frau und enthüllt ihre fließenden Augen,»denk’ nur, um Gotteswille, die Emilie – – .«Er athmet auf, es wälzt sich etwas von seiner Brust, die Zunge wird frei:»Was ist mit der Emilie?«»Ach, sie hat sich ins – hat sich ins Wasser gestürzt.«Die alte Frau lehnt sich an des Mannes Schulter und schluchzt, abgebrochene Worte murmelt sie dazwischen:»Unter der Eiche, – am Neckar, weißt, – zwanzig Jahr, – so alt wie unsere Lotte, – es ist mir so furchtbar, fuurcht-bar«Ja, sie ist ganz aus einander, die gute Frau. Ihre hageren Backen glühen fieberroth, immer wieder ringt sie die Hände. Schaible ist nicht minder erschüttert; die Emilie Leuthäuser war ja sein Liebling gewesen, soweit das ein anderes Kind neben der Lotte sein konnte. Es ist wie ein böser Traum, daß solch ein feuriges, schönes Geschöpf im kalten Wasser soll erloschen sein wie eine Rakete. Er sieht die brennenden Blicke, fühlt noch die heißen Finger des armen Kindes, die so schmerzhaft drückten, wenn sie Abschied nahm.
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