Diese Hausarbeit soll Auszüge aus der aktuellen Forschung im Bereich der kulturell geprägten Gestaltungsunterschiede mobiler Endgeräte aufzeigen und zusammenfassen. In ausgewählten Studien werden vor allem grafische und textuelle Elemente untersucht und näher beleuchtet.
Bevor die Studien im siebten Kapitel vorgestellt werden, erfolgt ein Überblick über die technischen Formen mobiler Endgeräte und die verschiedenen Benutzerschnittstellen solcher Geräte. Außerdem wird das Konzept der User Experience eines Produktes erläutert, welches die Angriffspunkte und Einflussmöglichkeiten interkultureller Gestaltungsmerkmale in einen größeren Rahmen fasst und im Zusammenhang mit weiteren Produktmerkmalen kategorisiert. Abschließend folgt ein kurzes Resümee der Studienergebnisse, sowie daraus abgeleitete Fragestellungen für die weitere Forschung in diesem Bereich.
Inhalt
1 Einleitung
2 Klassen mobiler Endgeräte
3 Mobile User Interfaces
4 Besonderheiten mobiler Endgeräte
4.1 Schneller Zugang und zeitkritische Benutzung
4.2 Interoperabilität und Konsistenz
4.3 Begrenzte Ressourcen und Konnektivität
4.4 Geteilte Aufmerksamkeit und dynamische Kontexte
4.5 Kleine Bildschirme und eingeschränkte Interaktion
4.6 Personalisierung und „Joy of Use“
5 Neuartige Interaktionsformen für mobile Endgeräte
5.1 Multimodale Interaktion
5.2 Gesten
6 User Experience bei mobilen Endgeräten
7 Studien zum Einfluss interkultureller Unterschiede by CHAVAN, Apala Lahiri (2007)
7.1.1 Motivation und Ziele der Studie
7.1.2 Methode und Untersuchungsgegenstände der Studie
7.1.3 Teilnehmer
7.1.4 Ergebnisse
7.1.5 Kritische Betrachtung der Studie
7.2. Studien zur transkulturellen Benutzbarkeit mobiler Endgeräte by STURM, Christian (2006)
7.2.1 Motivation und Ziele der Studie
7.2.2 Methode und Untersuchungsgegenstand
7.2.3 Teilnehmer
7.2.4 Ergebnisse
7.2.5. Kritische Betrachtung der Studie
7.3.1 A Remote Study on East-Western Cultural Differences in Mobile User Experience by YAN, Qifeng / Guanyi Gu (2007)
7.3.2 Motivation und Ziele der Studie
7.3.3 Methode und Untersuchungsgegenstände der Studie
7.3.4 Teilnehmer
7.3.5 Ergebnisse
7.3.6 Kritische Betrachtung der Studie
7.4 A Qualitative Cross-National Study of Cultural Influences on Mobile Data Service Design by CHOI, Boreum et al(2005)
7.4.1 Motivation und Ziele der Studie
7.4.2 Methode und Untersuchungsgegenstand
7.4.3 Teilnehmer
7.4.4 Ergebnisse
7.4.5 Kritische Betrachtung der Studie
8 Fazit
9 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Mobiltelefone und andere portable, elektronische Geräte werden immer mehr und immer intensiver in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Kulturen genutzt. Auf dem deutschen Markt ist eine zunehmende Sättigung zu beobachten und der Trend bei den Verbrauchern geht eher zum Zweitoder Drittgerät. Die Gerätehersteller finden in Europa kaum noch Nischenmärkte und müssen sich auf einen harten Konkurrenzkampf einlassen. In Schwellenund Entwicklungsländern ist die Entwicklung und Verbreitung der Geräte dagegen noch nicht sehr weit fortgeschritten. Der Bedarf nach handlichen und günstigen Kommunikationsund Unterhaltungsgeräten ist jedoch vorhanden und die Zielgruppe äußerst groß. Osteuropa, Südamerika und vor allem Asien sind nach der Prognose vieler Unternehmensberatungen und Manager derjenige Zukunftsmarkt, welcher die höchsten Wachstumsraten verspricht. Die Globalisierung führt nicht nur zu gesteigertem Kommunikationsaufkommen, sondern auch zu einer großen, wachsenden Masse an Menschen, die sich technische Geräte leisten können, welche bis vor einiger Zeit in solchen Regionen nur der Oberschicht vorbehalten waren. Die Analysten gehen dabei von geschätzten Benutzerzahlen im Milliardenbereich aus. Im Gegensatz zu den führenden Industrienationen wächst die Bevölkerung in diesen Ländern stetig, so dass heute bereits acht von zehn Erdbewohnern in den Entwicklungsländern leben. Technische Weiterentwicklung und optimierte Produktionsprozesse machen eine kostengünstige Produktion von leistungsfähigen Geräten möglich, die preislich auch in Indien oder China für viele Menschen erschwinglich sind. Am schnellsten wächst die Mobilfunkbranche mit monatlich sieben Millionen neuen Vertragskunden in Indien (cf. Der Spiegel 2008: 68ff.).
Im Vergleich zum Heimcomputer sind die Zugangsbarrieren bei mobilen Endgeräten geringer, welche sich vor allem in niedrigeren Kosten und notwendigem technischen Vorwissen äußern. Die Bedienung eines Mobiltelefons ist durch die klassischen Fernsprecher bekannt, und die mobilen Geräte sind an keine fixen Leitungsnetze gebunden. Diese Faktoren tragen zur rasanten Verbreitung der Geräte bei (cf. STURM 2006: 2f.).
Doch für die Konsumenten in Asien oder Afrika ist das billigste Gerät allein noch nicht die favorisierte Lösung. Ohne eine Anpassung der Produkte an die lokalen, alltäglichen Lebensumstände und die kulturellen Implikationen, ist der Erfolg und die langfristige Durchdringung durch solche Geräte fraglich. Die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen in den Schwellenländern sind nicht mit den Ansprüchen europäischer Konsumenten vergleichbar. Die Vorlieben in Bezug auf Formen, Farben und Ästhetik sind genauso unterschiedlich, wie praktische Benutzungsunterschiede, die durch die Lebensumstände und Gewohnheiten entstanden sind. Durch Forschung im Bereich der interkulturellen Merkmale und Bedürfnisunterschiede können große Fehlinvestitionen vermieden werden, die zum Beispiel beim direkten, unveränderten Übertragen westlicher Produkte[1]
auf ausländische Märkte eintreten können. Wie wichtig vorausgehende Forschung und Benutzertests in diesen Ländern sind, zeigen besondere Produkteigenschaften, die für einheimische Verbraucher wichtig und für Außenstehende nicht sofort verständlich sind (cf. Der Spiegel 2008: 69ff.).
Exemplarisch sei hier ein Mobiltelefon genannt, welches speziell auf eine Religionsgemeinschaft zugeschnitten wurde. Das ilkone i800, von der in den Arabischen Emiraten ansässigen Firma SAMCOM electronics, entwickelt und mit besonderen Funktionen für Muslime ausgestattet worden. Vorinstalliert ist der komplette und geprüfte Koran, ein Quibla-Kompass der die Gebetsrichtung nach Mekka anzeigt, einen Ramadanund einen Islamkalender. Zusätzlich erinnert das Gerät den Benutzer fünf Mal am Tag an die Gebetszeiten, stellt sich dazu automatisch auf Lautlos, und kann auf Wunsch einen Gebetsaufruf (Azan) als Alarm abspielen ((cf.) ILKONETEL 2008). Es ist anzunehmen, dass eine derartige Adaption an eine bestimmte Zielgruppe und Religionskultur erfolgt ist, um neue und bisher unberührte Märkte zu erschließen. Gleichwohl zeigt dieses Beispiel, welche Bedeutung einer Kultur beigemessen wird.
Für mobile Endgeräte sind angepasste und vor allem innovative Geräte und Dienste gefragt. Bei rückläufigen Verkaufszahlen sehen auch die großen Marktforschungsunternehmen wie das US-amerikanische Marktforschungsunternehmen Gartner den Bedarf zu benutzergerechten Geräten:
„[…] [Herstellername] need to continue to improve its portfolio, offering not only more applications and functions, but also novel designs and improved user interfaces.“ (HOLLY WINTER, GARTNER 2008)
Die Benutzerschnittstellen der Geräte, welche die direkten Ausprägungen der Mensch-Maschine-Interaktion darstellen, können sehr vielfältig ausgestaltet sein. Hinzu kommt ein Zusammenspiel und eine Abstimmung der unterschiedlichen Schnittstellen. Neben den konventionellen grafischen Interfaces[2], bieten auditive und taktile Interfaces alternative Interaktionsmöglichkeiten.
Eine Designstudie des Handyherstellers Motorola in Zusammenarbeit mit dem Designer Andre Minoli präsentiert ein Mobiltelefon, welches speziell für Entwicklungsländer konzipiert ist. Das Gerät mit dem Namen PVOT wird während der Bedienung durch Standardbatterien und eine Handkurbel mit Energie versorgt ((cf). ANDRE MINOLI 2008).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: PVOT Mobiltelefon (ANDRE MINOLI)
Außer der Energieknappheit sollte die Gestaltung eines Geräts noch weitere Faktoren berücksichtigen. In Afrika haben sich solche Geräte auch in ländlichen Gebieten ohne Stromversorgung sehr schnell verbreitet. Abgeleitet von den familiären Traditionen sind die Geräte dort auch Familientelefone und werden von allen Mitgliedern der Familie genutzt oder an andere verliehen. Die lokalen Benutzungsunterschiede sollten von den Mobiltelefonherstellern in die Entwicklung der Geräte einbezogen werden, denn das Handy zählt mittlerweile in allen Ländern, auch den ärmeren, zur Grundausstattung. Bereits jetzt sind 85 Prozent der schwarzen Kleinunternehmer Südafrikas auf das Handy angewiesen ((cf.) FAZ.NET 2007).
Wissenschaftliche Forschung mit diesem Schwerpunkt wird erst seit wenigen Jahren und auch noch nicht im erforderlichen Masse betrieben. Trotz der voranschreitenden Globalisierung wurden die Benutzeroberflächen von mobilen Endgeräten nur oberflächlich an kulturelle Unterschiede angepasst. Dazu zählt primär die Anpassung an technische Gegebenheiten in den jeweiligen Ländern und die Translation der Texte und Symbole ohne tiefergehende Reflektion der teils unbewussten kulturellen Unterschiede (cf. KIM JI HYE et al. 2007: 531).
Die betroffenen Ebenen der Produktanpassung an verschiedene Nutzergruppen wurden von Christian Sturm in einem generischen Modell abgebildet. Nach diesem sogenannten „TLCC-Modell“ (cf. STURM 2006: 31ff.) gliedert sich die Anpassung in vier meist aufeinander folgende Ebenen:
1. Technische Ebene (technique)
2. Sprachliche Ebene (language)
3. Kulturelle Ebene (culture)
4. Kognitive Ebene (cognition)
Zu Anfang steht die technische Anpassung. Dies betrifft die notwendige Einhaltung von nationalen Standards und Normen, die die Voraussetzung für den erfolgreichen Betrieb eines Geräts in einem anderen Land darstellen. Dazu zählt auch, die für die Kodierung der verschiedenen Schriften notwendigen Zeichensätze bereitzustellen sowie Datums-, Zeitund Währungsvorgaben zu implementieren.
Die sprachliche Ebene umfasst die Prozesse der Übersetzung der Ausgangssprache der Software und der Dokumentation in die jeweilige Zielsprache. Diese Ebene ist funktional von der technischen Anpassung abhängig, da sie ohne diese zumeist überflüssig wäre. Bei einem Großteil der Produkte stellt diese Stufe die letzte Ebene des Anpassungsprozesses dar. Dies geschieht einerseits aus der mangelnden Fähigkeit zum Perspektivenwechsels bzw. Bewusstsein der anderen Kultur und andererseits aus Kostengründen für den Hersteller. Für die sprachliche Anpassung gibt es in großen Firmen eigene Übersetzungsabteilungen und kleinere Unternehmen engagieren für solche Aufgaben erfahrene externe Übersetzungsagenturen. Anzumerken ist, dass sprachliche Anpassung gegenüber der technischen Ebene noch stärkerem Wandel unterlegen ist, da sich die Sprache und ihr Gebrauch meist dynamischer verändern als die technischen Grundlagen (cf. STURM 2006: 31ff.).
Die kulturelle Ebene bezieht sich auf die Berücksichtigung des soziokulturellen und konkreten Nutzungskontextes. Es wird dabei berücksichtig, in welchem existierenden Lebensumfeld das technische Produkt eingebunden wird, und wie der Nutzer unter diesen Voraussetzungen mit dem Gerät interagiert. Es finden dabei Aneignungsund Akkulturationsvorgänge statt, die dem Produkt einen bestimmten Stellenwert im Alltagsleben des Benutzers verleihen. Die dritte Ebene steht ebenfalls für benutzereigene und kulturell geprägte Interpretation der Symbole, Farben, Icons, Melodien und Menüs, die in der Benutzeroberflä- che eingesetzt werden. Das gesamte mentale Benutzungsmodell und das Verständnis seiner verwendeten Metaphern ist von dieser Perspektive abhängig. Die kulturelle Anpassung als Analyse der Kultur und des Benutzungskontextes kann somit als wichtige Phase für grundlegende und frühzeitige Designentscheidungen angesehen werden (cf. STURM 2006: 31ff.).
Die kognitive Ebene ist eine konkrete Ausprägung der vorherigen Ebene. Aus den Informationen über die Kultur wird die Darstellung der Benutzerschnittstelle erzeugt. Dazu zählen spezifische Inhaltsstrukturen und Taxonomien. Wahrnehmungsunterschiede entstehen durch Seherfahrungen und Umwelteinflüsse. Diese führen zu unterschiedlicher räumlicher Orientierung und Sensibilität für optische Täuschungen. Praktisch werden diese Unterschied zum Beispiel beim Design von Navigationssystemen relevant. Eine Orientierung mittels symbolischer Landmarken ist wahrscheinlich effektiver, wenn diese Objekte in der bekannten Umwelt des Benutzers auch häufig auftreten (cf. STURM 2006: 31ff.).
Die genannten kulturellen und die kognitiven Elemente erfordern einen erhöhten produktspezifischen Forschungsbedarf. Dieser menschliche Faktor sollte berücksichtigt werden, damit sich der Benutzer nicht in aufwendigen und hinderlichen Lernprozessen ständig den veränderten Anforderungen zur Bedienung des Geräts anpassen muss.
Diese Hausarbeit soll Auszüge aus der aktuellen Forschung im Bereich der kulturell geprägten Gestaltungsunterschiede mobiler Endgeräte aufzeigen und zusammenfassen. In ausgewählten Studien werden vor allem grafische und textuelle Elemente untersucht und näher beleuchtet.
Bevor die Studien im siebten Kapitel vorgestellt werden, erfolgt ein Überblick über die technischen Formen mobiler Endgeräte und die verschiedenen Benutzerschnittstellen solcher Geräte. Außerdem wird das Konzept der User Experience eines Produktes erläutert, welches die Angriffspunkte und Einflussmöglichkeiten interkultureller Gestaltungsmerkmale in einen größeren Rahmen fasst und im Zusammenhang mit weiteren Produktmerkmalen kategorisiert. Abschließend folgt ein kurzes Resümee der Studienergebnisse, sowie daraus abgeleitete Fragestellungen für die weitere Forschung in diesem Bereich.
2 Klassen mobiler Endgeräte
Um die Masse der betrachteten Produkte genauer festzulegen, erfolgt eine grobe Klassenbeschreibung. Durch die permanente Neugestaltung und Kombination von bestehenden Produkten sind die Übergänge zwischen den Gruppen fließend, und es bilden sich häufig neue Produktgruppen oder werden von Marketingkampagnen als solche dargestellt. Ein Modell von Gorlenko und Merrick (2003) unterscheidet den Grad der Mobilität in fünf Produktgruppen. Der Mobilitätsgrad der Grafik nimmt von links nach rechts zu.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: (GORLENKO / MERRICK 2003: 641)
Die Perspektive dieser Arbeit und der vorgestellten Studien bezieht sich vornehmlich auf die Klasse der handhelds. Begriffe wie Produkt, Gerät oder device beziehen sich im folgenden meist auf diese Kategorie. Ein handheld ist nach Gorlenko und Merrick (2003) ein kleines und leichtes Gerät, das am besten bedient wird, während es in der Hand gehalten wird. Weiter sind die Geräte, abgesehen vom Ladeoder Synchronisationsvorgang, ohne Kabel funktionsfähig und bieten die Möglichkeit zusätzliche Programme zu installieren oder verfügen über einen Internetzugang. Bekannte Vertreter dieser Kategorie sind PDAs[3], Mobiltelefone und Pager. Im Gegensatz zu transportablen Laptops oder Palmtops[4] sind sie vollständig auf mobilen Einsatz ausgelegt (cf. GORLENKO / MER- RICK 2003: 641 f).
3 Mobile User Interfaces
Ketola und Röykkee (2001) stellen fest, dass die Usability von mobilen Endgeräten nicht allein auf das User Interface beschränkt ist, sondern eine dynamische Integration des User Interfaces mit Zubehörprodukten, Übertragungstechnologien, Netzen und Diensten notwendig macht.
Ein mobiles Endgerät sei demzufolge eine Entität, die von verschiedenen Faktoren beeinflusst werde:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Factors affecting to usability in Nokia 7110 (KETOLA/ROYKKEE 2001: 3)
Diese Faktoren werden in drei Kategorien eingeordnet:
- User Interface
- External Interface
- Service Interface
Das User Interface umfasst nach Ketola und Röykkee folgende Elemente:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das External Interface umfasst die Elemente, die zur Benutzung eines mobilen Endgerätes beitragen, aber nicht ein physikalischer Teil des Gerätes sind. Als Beispiel geben Ketola und Roykkee Zubehörprodukte wie Aufladegeräte oder Headsets, PC-Software und zusätzliche Gerätesoftware sowie Hilfedokumente und Bedienungsanleitungen an. Diese Elemente würden zur Gesamt-Usability des Produktes beitragen und im Usability Engineering zu oft vernachlässigt (cf. ebd.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Schließlich führen die Autoren den Begriff des Service Interface ein. Verfügbarkeit, Nützlichkeit und Interoperabilität sind in diesem Bereich wesentlich. Im Falle des mobilen Internets wäre der WAP-Service ein Teil des Service Interface, der WAP-Browser wiederum ein Teil des User Interface. Usability-Probleme beim Einrichten des mobilen Internetzugangs können sowohl auf der Seite des User Interfaces liegen, als auch im Bereich des Service Interface (cf. ebd.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Somit ergibt sich eine Hierarchie von Interfaces, die in der folgenden Abbildung verdeutlicht wird. Hier ist zu erkennen, dass die verschiedenen Interfaces voneinander abhängen. Services können beispielsweise nicht ohne ein User Interface benutzt werden oder Zubehörprodukte nicht ohne ein mobiles Endgerät.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: (KETOLA/ROYKKEE 2001: 6)
Im Vergleich zu Desktopcomputern sei demnach bei der gebrauchstauglichen Gestaltung von mobilen Endgeräten eine holistischere Betrachtung vonnöten, da vor allem die Konnektivität zu Netzen und Diensten essentiell sei und eine Einschränkung in diesem Bereich das effiziente Arbeiten des Benutzers verhindern könne. Interoperabilität durch konsistente Formate über Gerätegrenzen verschiedener Hersteller hinweg sei wesentlich. Funktionen wie beispielsweise der Austausch elektronischer Visitenkarten seien erst gebrauchstauglich und nützlich, wenn ein Benutzer Informationen an einen anderen Benutzer senden könne, das Netz die Informationen ohne Daten zu verlieren transportiere und es dem anderen Benutzer möglich sei, die empfangenen Informationen zu nutzen. Nur durch die Beachtung aller drei von Ketola und Roykkee definierten Interfaces sei eine umfassende Usability gewährleistet. Zudem müssten mobile Endgeräte verschiedenen Kulturen, unterschiedlichen Benutzergruppen wie älteren Menschen und Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen gerechte werden. Ein „design-for-all“-Prinzip müsse angewandt und Anforderungen für eine „universal usability“ erfüllt werden (cf. KETOLA/RÖYKKEE 2001: 2f.).
4 Besonderheiten mobiler Endgeräte
In diesem Kapitel wird auf die Besonderheiten von mobilen Endgeräten im Hinblick auf das User Interface Design und die resultierende User Experience im Vergleich mit Desktopgeräten eingegangen.
Während im Desktopkontext viele Richtlinien existieren, um die Gestaltung von User Interfaces zu optimieren (cf. SHNEIDERMAN 1998), gibt es im mobilen Kontext nur wenige Richtlinien. Gong und Tarasewich versuchen, diese Lücke unter Verwendung von Shneidermans „Golden Rules of Interface Design“ (1998) zu schließen (cf. GONG/TARASEWICH 2004: 3751).
4.1 Schneller Zugang und zeitkritische Benutzung
Im Gegensatz zum Desktopkontext, wo lange Bootzeiten den schnellen Zugang zum Gerät verhindern und dieser auch meistens nicht oberste Priorität hat, ist in den unterschiedlichen Kontexten mobiler Geräte ein schneller Zugang zu Informationen und Anwendungen vonnöten.
Diese zeitkritische Benutzung erhöht die Relevanz von Shortcuts für die Usability. Fehler bei der Eingabe können vermieden werden und sich wiederholende Aufgaben können vereinfacht werden. Bridle und McCreath (2006) haben den Einsatz von Shortcuts bei Mobiltelefonen untersucht und herausgefunden dass schon einfache Shortcuts die Anzahl der gedrückten Tasten verringern können und somit den Zeitaufwand der Ausführung einer Aufgabe verkürzen.
Aussagekräftige Rückmeldungen des Systems sind in zeitkritischen Situationen ebenso wichtig wie in sich geschlossene Dialoge. Sie sollten jederzeit vom Benutzer gesteuert werden können, um Frustration zu vermeiden. (cf. GONG/TARASEWICH 2004: 3751f.).
4.2 Interoperabilität und Konsistenz
Konsistenz innerhalb des User Interfaces eines Gerätes ist wie bei Desktopcomputern auch im mobilen Kontext relevant. Mobiltelefone gleicher Serien wie zum Beispiel S60 von Nokia haben bereits bestimmte Konventionen, die allerdings von Drittanbietern von Software nicht durchgängig befolgt werden. Bei der Gestaltung neuer User Interfaces für mobile Endgeräte gilt es, auf Konsistenz zu achten und vorhandene Standards zu befolgen (cf. ROTO 2006: 51).
Im mobilen Kontext ist besonders auf die Konsistenz zwischen verschiedenen Plattformen hinzuweisen. Der Austausch von Dateien zwischen einem mobilen Endgerät und einem Desktop-PC sollte problemlos möglich sein und die technischen Schnittstellen sollten kompatibel sein (cf. GONG/TARASEWICH 2004: 3752). Der Begriff Interoperabilität beschreibt die ”Fähigkeit von zwei oder mehr Softwarekomponenten, trotz unterschiedlicher Programmiersprachen, Interfaces oder Ausführungsplattformen, zu kooperieren“ (WEGNER 1996).
Durch die Vielzahl an Marken und Technologien auf dem Mobilfunkmarkt ist eine vollständige Interoperabilität heutzutage noch nicht vorhanden. Für eine optimale Usability ist Interoperabilität allerdings ein wichtiger Faktor.
4.3 Begrenzte Ressourcen und Konnektivität
Aufgrund geringerer Systemressourcen ist bei mobilen Endgeräten laut Gong und Tarasewich (2004) die Umkehrbarkeit durchgeführter Aktionen problematischer, da alte Systemstände nicht wiederhergestellt werden können. Dies sollte bei der Entwicklung berücksichtigt werden, um Eingabefehler besser behandeln zu können. Unterbrechungen in der Verbindung zu Netzen und Diensten können weiterhin dazu führen, dass Informationen verloren gehen (cf. GONG/TARASEWICH 2004: 3753).
Gute Konnektivität sei gegeben, wenn das Mobiltelefon „[…] die schnellste/günstigste verfügbare Verbindung so automatisch benutzt wie der Benutzer es möchte. Außerdem sollten Datenverbindungen möglich sein ohne die Netzwerkeinstellungen konfigurieren zu müssen, auch wenn man sich in fremden Netzen befindet.“ (ROTO 2006: 52)
4.4 Geteilte Aufmerksamkeit und dynamische Kontexte
Während Desktopcomputer meist eine relativ stabile Umgebung aufweisen, gibt es bei mobilen Endgeräten multiple und dynamische Kontexte. In einer Studie
von Roto (2006) werden folgende Nutzungskontexte von Mobiltelefonen angegeben:
- In öffentlichen Verkehrsmitteln
- An Haltestellen und Bahnhöfen
- Beim Gehen auf der Straße
- In Cafés, Restaurants und Pubs
- In Shoppingcentern
- In Parks
- Auf dem Universitätscampus
- In Hotelzimmern
- Während Besprechungen und Vorlesungen
- In Restaurants
- Zu Hause
- Während des Autofahrens
(cf. ROTO 2006: 54)
Für die Benutzung des mobilen Internets stellt Roto (2006: 54) fest, dass das Nachrichtenlesen auf dem Arbeitsweg einer der beliebtesten Anwendungsfälle sei und das mobile Internet vor allem zur Verkürzung der Wartezeit in Cafés, vor Damentoiletten oder an Bushaltestellen und Bahnhöfen genutzt werde.
Umwelteinflüsse wie blendendes Licht, störende Nebengeräusche oder schlechte Wetterverhältnisse können die Benutzung des Gerätes erschweren. Auch die Anwesenheit anderer Personen kann einen Benutzer beispielsweise vom Gebrauch der Spracheingabe abbringen, da er nicht die Ruhe der anwesenden Personen stören möchte. Dieser soziale Kontext wird von Roto (2006: 55) besonders hervorgehoben.
Weiterhin kann es Situationen geben, in denen ein Gerät anstatt mit zwei Händen nur mit einer Hand bedient werden kann. Eine Möglichkeit, diese verschiedenen Kontexte zu berücksichtigen, ist die Integration von adaptiven Funktionalitäten, die sich an die Situation anpassen und den Kontext berücksichtigen. (cf. GONG/TARASEWICH 2004: 3754).
Durch multiple Kontexte entsteht zudem mehr Ablenkungspotential. Besonders in Situationen, in denen der Benutzer außer der Bedienung des mobilen Endgerätes mit wichtigen Primäraufgaben wie Autofahren beschäftigt ist, ist der Einsatz von alternativen Einund Ausgabemöglichkeiten wie Sprache und Klängen zu empfehlen. Auch um das Kurzzeitgedächtnis zu entlasten sind derartige Interaktionsformen vorzuziehen (cf. GONG/TARASEWICH 2004: 3753).
Roto (2006: 55) stellt in ihrer Studie fest, dass bei der Benutzung des mobilen Internets die Länge der Aufmerksamkeit auf ladende Seiten nur vier Sekunden beträgt, im Gegensatz zu Laborbedingungen, wo der Benutzer zehn Sekunden Aufmerksamkeit aufbringt, um auf ladende Webseiten zu warten.
4.5 Kleine Bildschirme und eingeschränkte Interaktion
Durch den technologischen Fortschritt ist es möglich, Mobiltelefone und andere mobile Endgeräte immer kleiner zu gestalten. Die daraus resultierende Handlichkeit wird begleitet von kleineren Bildschirmen und kleineren Tasten.
Aus der geringen Bildschirmgröße resultiert die verkleinerte Darstellung von Gestaltungselementen wie Fonts und Icons. Ist bei Desktopcomputern für eine gute Usability die eindeutige Darstellung von Icons nötig, gilt dies durch den begrenzten Bildschirmplatz und die eventuelle Ablenkung in besonderem Maße für mobile Endgeräte. Bei der Navigation in tiefen Hierarchien kann der Benutzer schnell die Übersicht verlieren. Das Kurzzeitgedächtnis wird hier stark belastet, da durch die geringe Bildschirmgröße nur wenige Orientierungspunkte gegeben werden können. Bei der Gestaltung derartiger Geräte sollte hierauf besonderes Augenmerk gelegt werden. Gong und Tarasewich empfehlen die Gestaltung von „Top-Down“-Interaktion: Um den Benutzer nicht mit zuviel Informationen auf einmal zu konfrontieren und um Scroll-Bewegungen zu vermeiden sei es ratsam, zuerst die nötigsten Informationen zu zeigen, und erst dann, wenn der Benutzer sich dazu entscheidet, alle Informationen anzuzeigen (cf. GONG/TARASEWICH 2004: 3754f.). Jones und Marsden (2006: 252) stellen fest, dass vor allem eine geringe Bildschirmbreite den Lesefluss behindert. Eine geringe Bildschirmhöhe stört den Lesefluß hingegen nur marginal.
Roto (2006: 50) weist darauf hin, dass Benutzer von mobilen Browser- Anwendungen nicht vornehmlich der kleinen Bildschirm des Mobiltelefons stört, sondern vielmehr die fehlende Optimierung bestimmter Webseiten für die mobile Benutzung. Hier ist festzustellen, dass gute Usability nicht allein auf der Gestaltung des User Interfaces des Mobiltelefons beruht, sondern auch auf den Diensten, die benutzt werden, also dem Service Interface.
Durch eng beieinander liegende Tasten und der zuvor erwähnten zeitkritischen Benutzung kann es bei mobilen Endgeräten schnell zu Eingabefehlern kommen. Systeme zur Erleichterung der Texteingabe wie das weit verbreitete „Text on 9“ können das Arbeiten mit kleinen Tastaturen erleichtern. Alternative Interaktionsmöglichkeiten, wie im nächsten Kapitel beschrieben können das Arbeiten erleichtern und in dynamischen Kontexten zu verbesserter Interaktion führen.
Interessant ist die von Roto (2006: 51) beobachtete Eigenheit eines japanischen Benutzers, der die Eingabe per Keypad eines Mobiltelefons der Eingabe durch eine Desktop-Tastatur vorzog. Hier wäre zu untersuchen, ob dies eine kulturelle Eigenheit ist oder eine neue Generation von Benutzern, welche vertrauter mit Keypads von Mobiltelefonen ist als mit Desktoptastaturen.
4.6 Personalisierung und „Joy of Use“
Mobiltelefone werden selten mit anderen Personen geteilt. Das Mobiltelefon bekommt somit einen persönlicheren Charakter als der Desktopcomputer. Roto (2006: 53) vergleicht die Beziehung des Benutzers zu seinem Mobiltelefon mit der Beziehung eines Autofahrers zu seinem Auto. Emotionen und der „Joy of Use“ bei der Benutzung spielen also, gerade bei der jüngeren Generation, eine große Rolle (cf. GONG/TARASEWICH 2004: 3755).
Gong und Tarasewich empfehlen daher, dem Benutzer die Möglichkeit zu geben, das Produkt personalisieren zu können. Sei es aus ästhetischen Gründen durch die Veränderung der Software-Farben oder eine automatische Anpassung des Bildschirms an die gegebenen Lichtverhältnisse. Die User Experience bei der Benutzung mobiler Endgeräte wird im nächsten Kapitel behandelt.
5 Neuartige Interaktionsformen für mobile Endgeräte
Aufgrund der zuvor beschriebenen Besonderheiten bzw. Einschränkungen mobiler Endgeräte bei der Einund Ausgabe und der Vielzahl an dynamischen Kontexten sind alternative Interaktionsparadigmen eine Möglichkeit, die Usability zu erhöhen.
5.1 Multimodale Interaktion
Als Beispiel für den derzeitigen Stand der Forschung wird das Interface Shoogle vorgestellt, welches neuartige Ansätze zeigt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 5: Shoogle (JOHN WILLIAMSON 2007)
[...]
[1] Der Begriff „westlich“ bezieht sich hier und im weiteren Text im Wesentlichen auf die europäischen Länder sowie die USA und Kanada.
[2] Interface/ user interface wird im folgenden als Synonym für Benutzerschnittstelle oder Benutzungsschnittstelle genutzt
[3] personal digital assistant: tragbarer Computer ohne Telefonfunktion
[4] oder clamshells: kleiner und leichter als Laptops, die für kurze Zeiträume (Minuten) auch in der Hand bedient werden können.
- Quote paper
- Marcel Knust (Author), Janina Hasse (Author), Johannes Baeck (Author), Ina Siebald (Author), 2007, Kulturspezifische Faktoren bei der Gestaltung von Benutzerschnittstellen für mobile Endgeräte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119748
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