Walter Benjamin schreibt in seiner Rezension zu "Berlin Alexanderplatz" mit Blick auf Döblins poetologischen Essay "Der Bau des epischen Werks", dass es ihm in seinem Roman gelinge, seine theoretischen Positionen auch literarisch umzusetzen: „Sein letztes Buch zeigt, daß Theorie und Praxis seines Schaffens sich decken.“ Ebenso unterstreicht Döblin selbst, seine theoretischen Konzepte des modernen Epos in der Praxis verwirklicht zu haben: „Ich spreche hier von einem sich entwickelnden Typ moderner epischer Kunstwerke, die ganz bestimmte Formgesetze in sich tragen. Ich habe leicht analysierbare Beispiele in meinen eigenen Büchern gegeben.“ Doch worin besteht dieser neue Typ der Epik? Was sind seine Merkmale? Auf welchen theoretischen Überlegungen beruht er und woraus speisen sich deren Einflüsse? Wie die beiden Zitate andeuten, unterfüttert Döblin sein dichterisches Werk stets mit literatur- und kunsttheoretischen Schriften, die ein hohes Maß an Selbstreflexion aufweisen und das ästhetische Fundament seines Schaffens bilden. Eine Analyse von "Berlin Alexanderplatz" gebietet also zunächst einen genauen Blick auf ebendiese Texte. Dementsprechend zeichnet der erste Teil dieser Arbeit den Entstehungsweg von Döblins romanpoetologischen Überlegungen nach, während der zweite zeigt, wie diese in Berlin Alexanderplatz kulminieren.
„Von einer ‚Poetik’ Döblins zu sprechen, ist eine fragwürdige Sache, “ schreibt Erich Kleinschmidt über dessen ästhetische Schriften, da sie keine konsistente Theorie erkennen ließen. Stattdessen sei für Döblins gedankliche Selbstfindung jener „geradezu anarchischer Eklektizismus“ charakteristisch, der schon seinen ersten kunsttheoretischen Essay "Gespräche mit Kalypso. Über die Musik" auszeichne. Vom Beginn seiner literarischen Tätigkeit an setzt er sich kritisch mit „tradierten und zeitgenössischen künstlerischen Ausdrucksformen“ auseinander und gelangt so allmählich nach dem „Prinzip des kreativen Widerspruchs“ durch die „Abgrenzung von Kunstströmungen der Vergangenheit und Gegenwart […] zu eigenen ästhetischen Anschauungen und Maßstäben.“
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Teil 1: Analyse der Ästhetischen Schriften
- II. 1. Die Bilder der Futuristen
- II. 1.1 Expressionismus und Futurismus
- II. 1.2 Döblins expressionistische Sichtweise des Futurismus
- II. 1.3 Die Unzulänglichkeit der Kunstmittel
- II. 1.3.1 Die neuen Methoden der Futuristen
- II. 1.3.2 Der Sprachskeptizismus
- II. 1.4 Kunst als Transzendenz
- II. 1.5 Der Gang nach innen
- II. 1.6 Der Kubismus
- II. 1.7 Das Schaffen einer neuen Realität aus der Künstlerfantasie
- II. 2. Futuristische Worttechnik. Offener Brief an F.T. Marinetti
- II. 2.1 Der Naturalismus-Begriff
- II. 2.2 Die Kritik an Marinetti
- II. 2.2.1 Unveränderbares Material – Der Bezug zu Fritz Mauthner und Arno Holz
- II. 2.2.2 Die stoffliche Einschränkung
- II. 2.2.3 Der ästhetizistische Stil
- II. 2.3 Fazit: Der literarische Eigenweg
- II. 3. An Romanautoren und ihre Kritiker. Berliner Programm
- II. 3.1 Mehr Öffentlichkeit in der Literaturproduktion
- II. 3.2 Das moderne Epos
- II. 3.3 Antibürgerlichkeit als grundlegende Haltung
- II. 3.4 Die neuen poetologischen Prinzipien
- II. 3.4.1 'Depersonation'
- II. 3.4.2 'Steinerner Stil'
- II. 3.4.3 'Tatsachenphantasie'
- II. 3.4.4 'Kinostil'
- II. 3.5 Kritik an expressionistischer Kunsttheorie
- II. 4. Der Bau des epischen Werks
- II. 4.1 'Das Exemplarische des Vorgangs und der Figuren'
- II. 4.2 Die Legitimierung der Berichtform
- II. 4.3 Das Element des Fabulierens
- II. 4.4 Die Befreiung von Kunstregeln
- II. 4.5 Die Verbindung zum Publikum und dessen gewandelter Rezeptionshaltung
- II. 4.6 Die Rehabilitierung der Autorenpräsenz
- II. 4.7 Der Weg zur künftigen Epik
- II. 4.8 Die Sprache
- III. Teil 2: Die künstlerische Avantgarde in Berlin Alexanderplatz
- III. 1. Die Montage von avantgardistischen Stilen
- III. 2. Eklektizismus als oberstes Prinzip
- III. 3. Der Einfluss des Expressionismus: Ein Vergleich zwischen Die Ermordung einer Butterblume und Berlin Alexanderplatz
- III. 3.1 Über-Ich-Strukturen: Bürgernormen und Gefängnisregeln
- III. 3.2 Die Angst vor Strafe und die Großstadt
- III. 3.3 Der Gesang
- III. 3.4 Das Kriegs-Motiv
- III. 3.5 Der exemplarische Charakter der Figuren
- III. 3.6 Das Übergangslose
- III. 4. Spuren des Futurismus
- III. 5. Dadaistische Elemente
- III. 5.1 Die Verbindung von futuristischen mit dadaistischen Elementen
- III. 5.2 Die Collage - Joyce oder Dada?
- III. 5.3 Lautmalereien
- III. 5.4 Dada als Avantgarde - Die Antibürgerlichkeit
- III. 6.1 Naturalistische Elemente
- III. 6.2 'Die Überwinterungsform des Naturalismus'
- III. 7. Die Neue Sachlichkeit
- III. 7.1 Vom Expressionismus zum 'neuen Naturalismus'
- III. 7.2 Die Forschungslage zur Neuen Sachlichkeit
- III. 7.3 Alfred Döblin und die Neue Sachlichkeit
- III. 7.4 Berlin Alexanderplatz im Kontext der Neuen Sachlichkeit
- III. 7.4.1 Die Rolle der Tageszeitung
- III. 7.4.2 Ästhetizismus und Zeitung: d'Annunzio und die Homosexuellen
- III. 7.4.3 Der Gebrauchswert als Lehrstück
- III. 7.4.4 Beckers Verortung des Romans in der Neuen Sachlichkeit
- IV. Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert Alfred Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz" im Kontext der künstlerischen Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts. Ziel ist es, die poetologischen Prinzipien Döblins zu untersuchen und deren Einfluss auf die Gestaltung des Romans aufzuzeigen. Dabei wird der Bezug zu verschiedenen avantgardistischen Bewegungen wie Futurismus, Expressionismus, Dadaismus und der Neuen Sachlichkeit hergestellt.
- Döblins poetologische Konzepte und deren Entwicklung
- Der Einfluss verschiedener Avantgarde-Bewegungen auf "Berlin Alexanderplatz"
- Die stilistische Vielschichtigkeit des Romans und deren Wirkung
- Die Beziehung zwischen Döblins Ästhetik und seiner gesellschaftlichen Kritik
- Die Rezeption von "Berlin Alexanderplatz" im Kontext der damaligen Kunsttheorien
Zusammenfassung der Kapitel
I. Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und skizziert den Forschungsansatz. Sie umreißt die zentralen Fragen, die im Laufe der Arbeit behandelt werden, und erläutert die methodische Vorgehensweise. Der Fokus liegt auf der Untersuchung der poetologischen Prinzipien in Döblins Werk und deren Umsetzung in "Berlin Alexanderplatz".
II. Teil 1: Analyse der Ästhetischen Schriften: Dieser Teil befasst sich eingehend mit Döblins ästhetischen Schriften und seinen theoretischen Überlegungen zur Literatur. Es werden seine Auseinandersetzungen mit dem Futurismus, Expressionismus und anderen avantgardistischen Strömungen analysiert. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Entwicklung seiner poetologischen Konzepte, wie etwa die "Depersonation" oder der "Kinostil", und deren theoretische Grundlagen. Die Kapitel zeigen die Entwicklung von Döblins Gedanken über die Möglichkeiten und Grenzen der literarischen Darstellung auf, seine Kritik an bestehenden Traditionen und seine Suche nach neuen Ausdrucksformen. Die Auseinandersetzung mit Marinetti beispielsweise illustriert Döblins kritische Auseinandersetzung mit dem Futurismus und seinen Bemühungen um eine eigenständige Positionierung.
III. Teil 2: Die künstlerische Avantgarde in Berlin Alexanderplatz: In diesem zentralen Teil der Arbeit wird die Anwendung der in Teil 1 dargestellten poetologischen Prinzipien in "Berlin Alexanderplatz" analysiert. Der Roman wird als ein komplexes Gefüge verschiedener avantgardistischer Stile betrachtet – Expressionismus, Futurismus, Dadaismus und die Neue Sachlichkeit –, wobei der Eklektizismus als ein zentrales Organisationsprinzip des Romans herausgestellt wird. Die einzelnen Kapitel beleuchten die spezifischen Merkmale der jeweiligen Avantgarde-Bewegung und deren Bedeutung für die Gestaltung des Romans. Der Vergleich mit anderen Werken Döblins, wie "Die Ermordung einer Butterblume", verdeutlicht die Entwicklung seiner Schreibweise und seines literarischen Programms. Die Analyse der narrativen Techniken, der Sprache und der Charaktere im Roman verdeutlicht den Einfluss dieser verschiedenen Avantgarde-Bewegungen auf die Gestaltung des Romans. Die Rolle der Tageszeitung und der Ästhetizismus werden als weitere relevante Aspekte der Neuen Sachlichkeit im Kontext des Romans untersucht.
Schlüsselwörter
Alfred Döblin, Berlin Alexanderplatz, Avantgarde, Futurismus, Expressionismus, Dadaismus, Neue Sachlichkeit, Poetik, Roman, Stil, Montage, Eklektizismus, Depersonation, Kinostil, Gesellschaftliche Kritik, Literaturtheorie.
Häufig gestellte Fragen zu: Analyse von Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz" im Kontext der Avantgarde
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert Alfred Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz" im Kontext der künstlerischen Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts. Der Fokus liegt auf der Untersuchung der poetologischen Prinzipien Döblins und deren Einfluss auf die Gestaltung des Romans. Dabei wird der Bezug zu verschiedenen avantgardistischen Bewegungen wie Futurismus, Expressionismus, Dadaismus und der Neuen Sachlichkeit hergestellt.
Welche Zielsetzung verfolgt die Arbeit?
Die Arbeit untersucht Döblins poetologische Konzepte und deren Entwicklung, den Einfluss verschiedener Avantgarde-Bewegungen auf "Berlin Alexanderplatz", die stilistische Vielschichtigkeit des Romans und deren Wirkung, die Beziehung zwischen Döblins Ästhetik und seiner gesellschaftlichen Kritik sowie die Rezeption von "Berlin Alexanderplatz" im Kontext der damaligen Kunsttheorien.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in vier Teile: Eine Einleitung, einen ersten Teil zur Analyse der ästhetischen Schriften Döblins, einen zweiten Teil zur Analyse der künstlerischen Avantgarde in "Berlin Alexanderplatz" und ein abschließendes Fazit. Der erste Teil untersucht Döblins Auseinandersetzung mit dem Futurismus, Expressionismus und anderen Avantgarde-Bewegungen und die Entwicklung seiner poetologischen Konzepte. Der zweite Teil analysiert den Roman "Berlin Alexanderplatz" als ein komplexes Gefüge verschiedener avantgardistischer Stile (Expressionismus, Futurismus, Dadaismus, Neue Sachlichkeit), wobei der Eklektizismus als zentrales Organisationsprinzip herausgestellt wird.
Welche Avantgarde-Bewegungen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt den Futurismus, den Expressionismus, den Dadaismus und die Neue Sachlichkeit. Der Einfluss dieser Bewegungen auf Döblins poetologische Konzepte und die Gestaltung von "Berlin Alexanderplatz" wird detailliert untersucht.
Welche Schlüsselkonzepte werden analysiert?
Schlüsselkonzepte der Analyse sind Döblins poetologische Prinzipien (z.B. "Depersonation", "Kinostil"), Montage, Eklektizismus, die Beziehung zwischen Ästhetik und gesellschaftlicher Kritik, sowie die Rolle verschiedener literarischer Techniken und Stilmittel im Roman.
Welche Rolle spielt der Eklektizismus in "Berlin Alexanderplatz"?
Der Eklektizismus wird als zentrales Organisationsprinzip des Romans "Berlin Alexanderplatz" dargestellt. Döblin verbindet verschiedene avantgardistische Stile und Techniken, ohne sich einer einzigen Bewegung eindeutig zuzuordnen.
Wie wird "Berlin Alexanderplatz" im Kontext anderer Werke Döblins betrachtet?
Der Roman "Berlin Alexanderplatz" wird im Vergleich zu anderen Werken Döblins, wie "Die Ermordung einer Butterblume", betrachtet, um die Entwicklung seiner Schreibweise und seines literarischen Programms aufzuzeigen.
Welche Rolle spielt die Neue Sachlichkeit in der Analyse?
Die Neue Sachlichkeit wird als eine wichtige Einflussgröße auf "Berlin Alexanderplatz" untersucht. Die Analyse beleuchtet Aspekte wie die Rolle der Tageszeitung, den Ästhetizismus und den Gebrauchswert des Romans als Lehrstück.
Welche methodische Vorgehensweise wird angewendet?
Die methodische Vorgehensweise wird in der Einleitung erläutert und basiert auf einer detaillierten Analyse von Döblins ästhetischen Schriften und einer stilistischen Analyse von "Berlin Alexanderplatz" im Kontext der relevanten Avantgarde-Bewegungen.
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- Magister Artium Julian Philipp Schlüter (Author), 2008, Konzept eines modernen Epos. Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119577