In der einzigartigen literarischen Welt des argentinischen Schriftstellers Jorge Luis Borges stellt er nicht existierende Menschen, Bücher, die die Geheimnisse der Schöpfung enthalten, Labyrinthe, Spiegel oder Tiger vor. Diese baut er bildlich in seine Gedichte und Geschichten ein, lässt sich selbst aber als Autor oder Erfinder dieser Erzählungen außen vor. Eine seiner Kurzgeschichten – „La biblioteca de Babel“ – soll in dieser Ausarbeitung im Hinblick auf ihren Inhalt, ihre Aussage und ihren Prophezeiungscharakter detailliert betrachtet werden. Dabei wird zunächst ein Einblick in Borges’ Leben und seine wichtigsten Werke gegeben, um einen Rahmen für die nachfolgende Einordnung der Kurzgeschichte „La biblioteca de Babel“ zu schaffen. Hierbei stehen überwiegend Informationen im Vordergrund, die zum Verständnis der Ideen, die Borges in seinen Werken ausführt, beitragen sollen. Gefolgt wird dieser Einblick von der Auseinandersetzung mit der Geschichte „La biblioteca de Babel“, die erstmals in der Kurzgeschichtensammlung El Jardín de Senderos que se bifurcan im Jahr 1941 veröffentlicht wurde. Hier wird zunächst der Inhalt der Kurzgeschichte zusammengefasst, bevor anschließend eine Interpretation unter verschiedenen Gesichtspunkten erfolgt. Dazu gehören zum einen die Rolle des Erzählers, zum anderen aber auch die generelle Bedeutung der Bibliothek und ihre Existenz. Anschließend wird ein Einblick in die Kabbala und das Verhältnis von Borges zu ihr gegeben, da er sie in seine Sicht der Bibliothek und die in ihr enthaltenen Bücher einfließen lässt und ihr eine wichtige Rolle beim Verständnis der Bibliothek verleiht. Ebenso wichtig für die Interpretation der Kurzgeschichte ist vor allem der Berufshintergrund Borges’ in der Zeit der Veröffentlichung von „La biblioteca de Babel“. Das Kapitel hierzu stellt den Abschluss der traditionellen Interpretation der Kurzgeschichte dar.
Zuletzt soll in Kapitel vier ein Einblick in eine Art der Interpretation der Geschichte „La biblioteca de Babel“ gegeben werden, die in den letzten Jahren vor dem Hintergrund der Entwicklung des World Wide Web einen modernen, jetztbezogenen Ansatz findet. Hier sollen zunächst Parallelen zwischen Borges’ Kurzgeschichte und der Nutzung des Internets gezogen und anschließend kritisch betrachtet werden. In Kapitel fünf werden abschließend die wichtigsten Themen der Ausarbeitung kurz zusammengefasst.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Leben und Werk Borges’
3. „La biblioteca de Babel“
3.1 Inhalt
3.2 Interpretation der Kurzgeschichte
3.2.1 Der Erzähler
3.2.2 Existenz und Bedeutung der Bibliothek
3.2.3 Borges und die Kabbala
3.3 Borges – der Bibliothekar
4. „La biblioteca de Babel“ – eine Prophezeiung?
5. Zusammenfassung
Bibliographie
1. Einleitung
In der einzigartigen literarischen Welt des argentinischen Schriftstellers Jorge Luis Borges stellt er nicht existierende Menschen, Bücher, die die Geheimnisse der Schöpfung enthalten, Labyrinthe, Spiegel oder Tiger vor. Diese baut er bildlich in seine Gedichte und Geschichten ein, lässt sich selbst aber als Autor oder Erfinder dieser Erzählungen außen vor. Eine seiner Kurzgeschichten – „La biblioteca de Babel“ – soll in dieser Ausarbeitung im Hinblick auf ihren Inhalt, ihre Aussage und ihren Prophezeiungscharakter detailliert betrachtet werden.
Dabei wird zunächst ein Einblick in Borges’ Leben und seine wichtigsten Werke gegeben, um einen Rahmen für die nachfolgende Einordnung der Kurzgeschichte „La biblioteca de Babel“ zu schaffen. Hierbei stehen überwiegend Informationen im Vordergrund, die zum Verständnis der Ideen, die Borges in seinen Werken ausführt, beitragen sollen. Gefolgt wird dieser Einblick von der Auseinandersetzung mit der Geschichte „La biblioteca de Babel“, die erstmals in der Kurzgeschichtensammlung El Jardín de Senderos que se bifurcan im Jahr 1941 veröffentlicht wurde. Hier wird zunächst der Inhalt der Kurzgeschichte zusammengefasst, bevor anschließend eine Interpretation unter verschiedenen Gesichtspunkten erfolgt. Dazu gehören zum einen die Rolle des Erzählers, zum anderen aber auch die generelle Bedeutung der Bibliothek und ihre Existenz. Anschließend wird ein Einblick in die Kabbala und das Verhältnis von Borges zu ihr gegeben, da er sie in seine Sicht der Bibliothek und die in ihr enthaltenen Bücher einfließen lässt und ihr eine wichtige Rolle beim Verständnis der Bibliothek verleiht. Ebenso wichtig für die Interpretation der Kurzgeschichte ist vor allem der Berufshintergrund Borges’ in der Zeit der Veröffentlichung von „La biblioteca de Babel“. Das Kapitel hierzu stellt den Abschluss der traditionellen Interpretation der Kurzgeschichte dar.
Zuletzt soll in Kapitel vier ein Einblick in eine Art der Interpretation der Geschichte „La biblioteca de Babel“ gegeben werden, die in den letzten Jahren vor dem Hintergrund der Entwicklung des World Wide Web einen modernen, jetztbezogenen Ansatz findet. Hier sollen zunächst Parallelen zwischen Borges’ Kurzgeschichte und der Nutzung des Internets gezogen und anschließend kritisch betrachtet werden. In Kapitel fünf werden abschließend die wichtigsten Themen der Ausarbeitung kurz zusammengefasst.
2. Leben und Werk Borges’
Jorge Francisco Isidoro Luis Borges Acevedo wurde am 24. August 1899 in Buenos Aires, Argentinien, als Sohn von Jorge Guillermo Borges – einem Anwalt und Psychologielehrer – und seiner Frau, Leonor Avecedo de Borges, geboren, und wuchs in einem bilingualen Haushalt auf, der stark von seiner Großmutter väterlicherseits, die Engländerin war, beeinflusst wurde. Einen bleibenden Eindruck von der Philosophie und der englischen Literatur erfuhr Borges bereits in seiner Kindheit durch seinen Vater, während er durch die Ahnenreihe der Mutter, die ausschließlich auf Angehörigen des Militärs basierte, Motive und Themen vereinigte, die er später in seinen Gedichten wieder aufführte und verarbeitete.[1]
Die anarchistische Einstellung seines Vaters verhinderte Borges’ frühe Aufnahme in einer Schule, so dass der junge Jorge Luis erst im Alter von neun Jahren mit seiner Schulausbildung begann. Obwohl er ein ausgezeichneter Schüler war, konnte sich Borges nie richtig in die Schulgemeinschaft, die ihm ausschließlich Argentinischen Nationalismus und eine anti-englische Haltung gegenüber den ehemaligen Kolonialherren zu vermitteln suchte, integrieren.
Im Jahr 1914 verließ Borges’ Familie Argentinien und zog nach Europa. Der junge Borges genoss in der Schweiz die Schulausbildung am Calvin College und erwarb hier nicht nur seinen Schulabschluss, sondern eine Vielzahl an Kenntnissen über europäische Dichter und Philosophen. In Spanien, wohin seine Familie nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zog, begann Borges seine Schriftstellerkarriere zunächst mit der Verfassung von Gedichten, die in der Zeitschrift Grecia[2] abgedruckt wurden, dann indem er einen Kreis von Literaten im „Café Colonial“ beitrat und mit anderen Autoren und Interessenten literarische Diskussionen führte.
Die Familie Borges verließ den Europäischen Kontinent im Jahr 1921 und kehrte nach Argentinien zurück, wo Jorge Luis den ultraistischen Literaturgeist aus Spanien verbreiten wollte. In Buenos Aires gründete er, zusammen mit Freunden, die Zeitschrift Prisma und veröffentlichte 1923 seine erste Gedichtsammlung Fervor de Buenos Aires. Es folgten weitere Gründungen von Zeitschriften und Veröffentlichungen von Essays und Gedichten in Magazinen. In den 30er Jahren nahm Borges eine Stelle als Bibliothekar in der Stadtbibliothek von Buenos Aires, Miguel Cané, an, während er weitere Werke, wie Historia Universal de la Infamia und Historia de la Eternidad, publizierte, ebenso wie zu verschiedenen Magazinen mit Literaturkritiken beitrug.[3]
Nach neun Jahren Bibliothekarstätigkeit – eine Arbeit, die Borges stets als wenig befriedigend beschrieb –, seiner Mitarbeit beim Sur, der damals wichtigsten argentinischen Literaturzeitschrift, und der Publikation seiner wohl bekanntesten Werke El Jardín de Senderos que se bifurcan (1941), Ficciones (1944) und El Aleph (1949), verlor Borges aufgrund seiner antifaschistischen Ansichten dem Regime des argentinischen Diktators Juan Domingo Perón gegenüber seinen Posten in der Bibliothek. Erst nach dessen Absetzung im Jahr 1955 übernahm Borges wieder eine bibliothekarische Stelle, diesmal als Direktor der Nationalbibliothek. Im selben Jahr wurde er Leiter der Philosophischen Fakultät und schließlich ein Jahr später Professor für englische und amerikanische Literatur. Es folgten Auszeichnungen wie die Ehrendoktorwürde der Universidad de los Andes in Kolumbien (1963) oder die Ehrendoktorwürde der Universität Oxford in Großbritannien (1970).[4]
Trotz seines stets abnehmenden Sehvermögens bis hin zur völligen Blindheit etablierte sich Jorge Luis Borges als wichtiger Literaturkritiker, Übersetzer und Autor. Er teilte sich 1961 den „internationalen Verlegerpreis Formentor“[5] (Mallorca, Spanien) mit Samuel Beckett und erhielt auch in den folgenden Jahren bis zu seinem Tod im Jahr 1986 Anerkennungen für seine Werke in Form von Auszeichnungen und Literaturpreisen. Dazu gehörten, unter anderem, der Goldene Schlüssel der Stadt Bogotá, Kolumbien (1978), und der „Premio Cervantes“ in Spanien (1980)[6] ; die größte Auszeichnung – der Literaturnobelpreis – blieb ihm jedoch verwehrt.
3. „La biblioteca de Babel “
3.1 Inhalt
In „La biblioteca de Babel“ beschreibt der Erzähler das unendlich große Universum, das von anderen auch als die Bibliothek bezeichnet wird („El universo (que otros llaman la Biblioteca)“[7] ). Hierbei handelt es sich um eine Anreihung sechseckiger Galerien, die über Lüftungsquellen in ihrer Mitte verfügen und von einem niedrigen Geländer umzäunt sind, und von deren Ecken man jeweils das nächstgelegene Stockwerk einsehen kann. In jedem Sechseck befinden sich an vier Seiten jeweils fünf Bücherregale – insgesamt zwanzig in jedem Sechseck –, während zwei Seiten leer stehen. Von diesen freien Seiten führen schmale Gänge zu weiteren Galerien, die stets gleich aufgebaut sind. In die oberen und unteren Geschosse der Bibliothek gelangt man über spiralförmige Wendeltreppen, die sich ebenfalls im Gang befinden.
Ferner existiert in jedem Gang ein Spiegel. Der Erzähler selbst stellt heraus, dass dieser das Unendliche vermittelt, während die anderen Bewohner von dem Spiegel auf die Endlichkeit der Bibliothek schließen, da diese sonst einer visuellen Verdoppelung nicht bedürfe („Los hombres suelen inferir de ese espejo que la Biblioteca no es infinita (si lo fuera realmente ¿a qué esa duplicación ilusoria?); yo prefiero soñar que las superficies bruñidas figuran y prometen el infinito“[8] ). Beleuchtet werden die Sechsecke durch jeweils zwei so genannte Lampen, die jedoch nur unzureichend Licht spenden.
Die Bewohner der Bibliothek sind Menschen, die dort geboren wurden und auch an diesem Ort sterben werden – wie auch der Erzähler („me preparo a morir a unas pocas leguas del hexágono en que nací“[9] ). Sie arbeiten als Bibliothekare und verfügen in den Gängen über zwei Räume – einen zum Schlafen und einen für ihre „necesidades finales“[10], eine Toilette.
Dem Erzähler zufolge kann der Mensch, der die Bibliothek bewohnt, nur ein Werk des Zufalls oder eines böswilligen Weltschöpfers sein, da er stets der unvollkommene Bibliothekar („bibliotecario imperfecto“[11] ) ist. Währendessen kann das Universum – die Bibliothek – nur von einem Gott erschaffen worden sein, da es mit seinen enormen Zahl an Bücherregalen, voll von rätselhaften Bänden, den unermüdlichen Treppenstufen für den Reisenden und Latrinen für einen Bibliothekar perfekt ausgestattet ist.
Die unzähligen Bücher der Bibliothek enthalten alle Kombinationen des orthographischen Systems, das aus fünfundzwanzig Symbolen besteht. Hierzu zählen sowohl die zweiundzwanzig Buchstaben des Alphabets als auch das Semikolon, der Punkt und der Abstand zwischen den einzelnen Wörtern. Diese Feststellung erlaubt es die Theorie zu entwickeln, dass die Bibliothek alle Bücher enthalte, die auf eben diesen fünfundzwanzig orthographischen Symbolen basieren, was wiederum bei den Bibliothekaren für einen wahren Glücksrausch sorgt. Die unendliche Anzahl verschiedener Bücher wird durch die Aussage von Bibliothekaren gefestigt, dass es in der gesamten Bibliothek keine zwei gleichen Bücher gebe („ No hay, en la vasta Biblioteca, dos libros idénticos.“[12] ). Dies führt zu der Annahme, dass die Bibliothek ein Buch enthalten müsse, das alle gewünschten Informationen zur Herkunft der Menschen, zur Kreation der Bibliothek und gar zur Zukunft einschließt. Die Suche nach diesem Buch, ebenso wie nach einem Buch, das die Rechtfertigungen für die Taten der Menschen enthält, gestaltet sich jedoch schwierig. Die Gründung von Sekten, die die Bücher vergöttern, Würfelspiele durchführen, um das gewünschte Buch zu finden, oder gar die Bücher vernichten, die sich als nutzlos erweisen, zeigen den schwerfälligen Verlauf dieser Suche. Auch die systematische Ermittlung von gesuchten Büchern stellt sich als aufwendig und unerfüllbar dar, was wiederum von der anfänglichen Hoffnung zur übermäßigen Verzagtheit führt („A la desaforada esperanza, sucedió, como es natural, una depresión excesiva.“[13] ).
Als Konsequenz der Unmöglichkeit das perfekte Buch zu finden, wird die Behauptung aufgestellt, dass in der Bibliothek nur Unsinn enthalten sei. Vernünftiges in den Büchern zu finden sei fast unmöglich, was wiederum in dem Glauben resultiert, dass die Bibliothek das Werk einer verwirrten Gottheit sei. Dem stellt sich der Erzähler entgegen, und stellt fest, dass jedes Erzeugnis der Bibliothek verschlüsselt und ausschließlich bildlich gemeint ist. Auch würde eine Buchstabenfolge wie „dhcmrlchtdj“ in irgendeiner Sprache etwas bedeuten.
[...]
[1] Vgl. Camartin, Iso, „Jorge Luis Borges“, in: Eitel, Wolfgang (Hg.): Lateinamerikanische Literatur in Einzeldarstellungen, Stuttgart: Kröner 1978, S. 33.
[2] Woodall, James, Jorge Luis Borges: Der Mann im Spiegel seiner Bücher, Berlin: Ullstein 1999, S. 69.
[3] Vgl. Rodríguez Monegal, Emir, Borges: una biografía, México: Fondo de Cultura Económica 1987, S. 278.
[4] Vgl. Woodall, S. 219, 310f.
[5] Camartin, S. 33.
[6] Woodall, S. 310, 311.
[7] Borges, Jorge Luis, „La biblioteca de Babel“, in: Borges, Jorge Luis, Narraciones, 17. Auflage, Madrid: Ediciones Cátedra 2006, S. 105.
[8] Borges, „La biblioteca de Babel“, S. 106.
[9] Ibid.
[10] Ibid.
[11] Borges, „La biblioteca de Babel“, S. 107.
[12] Borges, „La biblioteca de Babel“, S. 109.
[13] Borges, „La biblioteca de Babel“, S. 110f.
- Quote paper
- Eveline Podgorski (Author), 2008, Zu Jorge Luis Borges: "La biblioteca de Babel", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119437
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