Als sich Henri Lebesgue 1902 in seiner Doktorarbeit Gedanken über ein sinnvolles und praktisch einsetzbares Konzept eines Maßes machte, ahnte er nicht, welche Größe das Problem haben würde, an dem er sich versuchte. Er suchte nach einer Funktion, welche jeder Menge von reellen Zahlen einen rellen Wert zuordnete, den man das „Maß der Menge“ nennen konnte. Diese Funktion sollte positiv, abzählbar additiv und invariant unter längentreuen Abbildungen sein. Die Definition einer Maßfunktion mit diesen drei Eigenschaften, welche man als erwartbar ansah, schien auf den ersten Blick völlig natürlich und leicht durchführbar, stellte sich aber schon bald als schwere Aufgabe heraus, die vielleicht sogar unlösbar war. In dieser Arbeit wird die Frage nach der Lösbarkeit des Maßproblems behandelt. Neben dem historischen Kontext stehen dabei hauptsächlich die beiden Ergebnisse im Vordergrund, welche diese Frage beantworteten. Wie sich zwischen 1970 und 1984 entgegen den Erwartungen vieler Mathematiker zeigte, ist es nicht möglich, in ZF + DC die Lebesguemessbarkeit aller Teilmengen der reellen Zahlen zu fordern, ohne auch die Konsistenz von ZFC mit der Existenz einer unerreichbaren Kardinalzahl einzugestehen. Da jedoch diese Existenz nach den Gödelschen Unvollständigkeitssätzen in ZFC nicht entscheidbar ist, bedeutet dies, dass man sich für die Existenz eines vollen Lebesguemaßes auf eine Theorie stützen muss, die echt stärker ist als die übliche Grundlage ZFC, nämlich ZFC + „Es existiert eine unerreichbare Kardinalzahl“.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung - Die Geschichte des Maßproblems
- 1.1 Die Begriffe Maß und Inhalt
- 1.2 Die negative Antwort auf die Frage des Maßproblems
- 1.3 Lösungen des Maßproblems
- 2 Die Lebesguemessbarkeit aller Mengen reeller Zahlen
- 2.1 Das Vorgehen im Beweis
- 2.2 Bekanntes der Forcingmethode
- 2.3 Das Modell
- 2.4 Schrittweise generische Erweiterung
- 2.5 Kodierung von Borelmengen
- 2.6 Die Rolle der Random Reals
- 2.7 ZFDC + LM
- 3 Die Notwendigkeit einer unerreichbaren Kardinalzahl
- 3.1 Das Vorgehen im Beweis
- 3.2 Benötigtes Wissen über Bäume auf 2
- 3.3 Generische Bäume für Arme
- 3.4 Konstruktion des Forcing
- 3.5 ZFDC + ¬LM
- 4 Thesen, Resümee und Anmerkungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Lösbarkeit des Maßproblems, insbesondere die Ergebnisse, die diese Frage beantwortet haben. Der Fokus liegt auf dem historischen Kontext und den zwei zentralen Ergebnissen, die zwischen 1970 und 1984 erzielt wurden.
- Die historische Entwicklung des Maßbegriffs von Cantor und Jordan bis Lebesgue.
- Die Unlösbarkeit des Maßproblems und die damit verbundenen Paradoxien (Vitali, Hausdorff, Banach-Tarski).
- Die Ergebnisse von Banach bezüglich endlich additiver Maße.
- Die Abhängigkeit der Lebesguemessbarkeit aller Teilmengen der reellen Zahlen von der Existenz einer unerreichbaren Kardinalzahl.
- Die Konsequenzen für die Fundamente der Mengenlehre (ZFC).
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 1 bietet eine historische Einführung in das Maßproblem, beginnend mit frühen Ansätzen zur Definition von Maß und Inhalt und kulminierend in der Definition von Lebesgue. Die Unlösbarkeit des Problems wird anhand wichtiger Beispiele veranschaulicht. Kapitel 2 behandelt die Lebesguemessbarkeit aller Mengen reeller Zahlen und deren Beweisführung. Kapitel 3 beleuchtet die Notwendigkeit einer unerreichbaren Kardinalzahl für die Existenz eines vollen Lebesguemaßes.
Schlüsselwörter
Maßproblem, Lebesguemessbarkeit, Mengenlehre, ZFC, unerreichbare Kardinalzahl, Forcing, Paradoxien (Vitali, Hausdorff, Banach-Tarski), endlich additives Maß, historischer Kontext, Mengen von reellen Zahlen.
- Quote paper
- Christof Fiedler (Author), 2008, Das Maßproblem, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119405