Die vorliegende Arbeit soll zunächst den Begriff der geistigen Mütterlichkeit ideengeschichtlich erläutern und somit für eine Einschätzung zugänglich machen. Anschließend soll dann geprüft werden, ob und wie grundlegende Prämissen dieses Konzeptes Einfluss auf das heutige Berufsbild insbesondere des Grundschullehrers haben könnten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Konzept der geistigen Mütterlichkeit
2.1 Geistige Mütterlichkeit und Schule 5
3. Geistige Mütterlichkeit als „Ursache" für geschlechtsspezifische Berufswahl?
4. Fazit
5. Literatur
1. Einleitung
„Grundschullehrer - Ein Frauenberuf?“ (Brager 2019) titelt das ZDF in einem Artikel vom 17. September 2019. Dieser Titel impliziert, was als gängiges Klischee in der Gesellschaft stark manifestiert ist, nämlich, dass soziale und pädagogische Berufe eine Frauendomäne seien. Ilka Hoffmann, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), äußert sich dazu im Artikel des ZDF: „Wir haben immer noch sehr starre Geschlechterklischees in unserer Gesellschaft und eines der Klischees ist: Mit kleinen Kindern beschäftigen sich Frauen, mit größeren Kindern beschäftigen sich Männer“ (Brager 2019). Doch woher kommen solche gesellschaftlichen Klischees und welchen Einfluss könnten diese auf die Berufswahl von Frauen und Männern haben?
Ein möglicher Ansatzpunkt, sich diese Frage zu erschließen, scheint das Konzept der geistigen Mütterlichkeit zu sein. Dabei handelt es sich um historischbildungstheoretischen Begriff aus der Zeit des Deutschen Kaiserreichs, „mit dem die Frauenbewegung [...] alle Formen von Erwerbstätigkeit in qualifizierten Berufen des Erziehungs- und Sozialwesens definierte“ (Jacobi 1990, S. 208). Die durch diesen Begriff erfolgte starke Konnotation von professionalisierter Pädagogik (und Lehre), so die These dieser Arbeit, könnte das Berufsbild pädagogischer Berufe bis heute geprägt haben.
Die vorliegende Arbeit soll daher zunächst den Begriff der geistigen Mütterlichkeit ideengeschichtlich erläutern und somit für eine Einschätzung zugänglich machen. Anschließend soll dann geprüft werden, ob und wie grundlegende Prämissen dieses Konzeptes Einfluss auf das heutige Berufsbild insbesondere des Grundschullehrers haben könnten.
2. Das Konzept dergeistigen Mütterlichkeit
Grundsätzlich entstammt die Debatte rund um das Thema geistige Mütterlichkeit aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und ist insbesondere eng mit den Arbeiten von Fröbel und Pestalozzi sowie der Frauenbewegung der bürgerlichen Revolution von 1848 bis 1860 verbunden (vgl. Jacobi 1990, S. 209). Die Begriffseinführung der geistigen Mütterlichkeit wird Henriette Schrader-Breymann zugeschrieben (vgl. Jacobi 1990, S. 211). Als Berufsbezeichnung „war [sie] eine tragende Säule des gesellschaftlichen Emanzipationskonzepts der gemäßigten bürgerlichen Frauenbewegung“ (Fleßner 1994, S. 9), zu der auch Schrader-Breymann zählte (vgl. Jacobi 1990, S. 211).
Ausgangspunkt des Konzeptes und der zugrunde liegenden Ideen war der Verweis darauf, dass Frauen nicht aufgrund gleicher Fähigkeiten (berufliche) Gleichberechtigung forderten, sondern aufgrund ihrer spezifisch-weiblichen Fähigkeiten auch im öffentlichen Raum dort tätig sein wollten, wo Männer es nicht konnten - also insbesondere im Fürsorgebereich (vgl. Ehrenspeck 2009, S. 30). Geistige Mütterlichkeit wird verstanden als „Inkarnation von Emotionalität, Wärme, Menschlichkeit und Ganzheitlichkeit sowie als Garant für die moralische und sittliche Erneuerung der Gesellschaft“ (Ehrenspeck 2009, S. 30) und als solches einer eher kalten, zerstörerischen und technikaffinen männlichen Persönlichkeit gegenübergestellt. Insofern ist das Bild der geistigen Mütterlichkeit eng mit einem pessimistischen Männerbild verknüpft, welches auch (in Anlehnung an Kucklick) als „negative Andrologie“ (Ehrenspeck 2009, S. 41) bezeichnet werden kann. Oder anders formuliert: Weiblichkeit tritt im Diskurs um die geistige Mütterlichkeit „als positiver Gegenentwurf zu Männlichkeit auf den Plan“ (Ehrenspeck 2009, S. 43).
Das Konzept der geistigen Mütterlichkeit ermöglichte „die Erweiterung des Betätigungsfelds der Frauen über die Familien- und Hausarbeit hinaus“ (Ambord & Brunner 2018, S. 127). Mütterlichkeit wurde so zum Kulturfaktor und gleichzeitig (in Abgrenzung von einer angenommenen negativen Männlichkeit) ein Argument für die geschlechterspezifische, weibliche Eignung für das pädagogische Berufsfeld. (vgl. Ehrenspeck 2009, S. 45f.)
2.1 Geistige Mütterlichkeit und Schule
Juliana Jacobi setzt sich in ihrer Arbeit zur geistigen Mütterlichkeit insbesondere auch mit der Rolle des Konzeptes im schulischen Kontext auseinander. So betont sie, dass der Allgemeine Deutsche Lehrerinnenverein (ADLV) Ende des 19. Jahrhunderts seinen Fokus im Zuge der Diskussion hauptsächlich auf zwei Themen richtete: einerseits den erweiterten Zugang von Mädchen zu höherer Bildung und andererseits einer größeren Anzahl an Lehrerinnen an Schulen (vgl. Jacobi 1990, S. 214f.). Durch organisatorische Besonderheiten des Schulsystems und starken Widerstand aus der männlichen Lehrerschaft kam es infolgedessen zu einer „Geschlechterfront“ (Jacobi 1990, S. 215) und auch zu einem Kampf um die Bildungshoheit im höheren Mädchenschulwesen. Die vorherrschende Annahme einer Geschlechterdifferenz wurde zur Argumentationslinie und führte zur „Betonung einer Einzigartigkeit der weiblichen pädagogischen Fähigkeiten gegenüber den Mädchen“ (Jacobi 1990, S. 216).
Schulen und Bildung wurden in Folge zu einem „Kampfplatz männlicher und weiblicher Berufsinteressen“ (Jacobi 1990, S. 217). Das Konzept der geistigen Mütterlichkeit diente hier als Grundlage der Argumentationslinie des ADLV, der seine Forderungen für eine höhere Bildung von Mädchen und eine höhere Anzahl weiblicher Lehrkräfte durchzusetzen versuchte (vgl. Jacobi 1990, S. 217f.). Zwar attestiert Jacobi dem Diskurs großen bildungshistorischen Einfluss, jedoch resümiert sie auch, dass die Argumentation und somit das Anliegen des ADLV sich letztendlich im Diskurs nicht durchsetzen konnten - nicht zuletzt auch aufgrund der Unterschiede zwischen Lehrberufen und der Zielsetzung pädagogischer Erziehungsarbeit im familiären Umfeld (vgl. Jacobi 1990, S. 217ff.). Aufgrund des begrenzten Rahmens der Arbeit kann der Diskurs an dieser Stelle nur in diesem verkürzten Umfang dargestellt werden.
Dennoch scheint es nicht zuletzt aufgrund der prominenten Rolle des Konzeptes der geistigen Mütterlichkeit in historischen Bildungsdiskursen und bei der Ausbildung sozialer und pädagogischer Berufsfelder für Frauen sinnvoll zu fragen, ob die Konzeption des Begriffes und seine Anwendung auf das sozialpädagogische Berufswesen auch heute noch zu einer Stereotypisierung dieser Berufe beitragen.
3. Geistige Mütterlichkeit als „Ursache" für geschlechtsspezifische Berufswahl?
Wie im vorhergehenden Abschnitt erwähnt, wurde durch das Konzept der geistigen Mütterlichkeit (auch in historischen Bildungsdiskursen) die besondere Eignung von Frauen für pädagogische und soziale Berufe betont. Dies funktionierte durch die Zuschreibung bestimmter Eigenschaften an Frauen, ebenso wie durch die Abgrenzung von einer im pädagogischen Kontext als negativ erachteten Männlichkeit. Diese Männlichkeit wurde dabei als sehr technisch und eher kühl beschrieben, während Frauen Qualitäten im Bereich Interaktion und Empathie zugewiesen wurden. Historisch betrachtet erscheint dies völlig plausibel, da die Frauenbewegung sich so gesellschaftliche Zuschreibungen aneigneten konnte, um diese als Argumente für eine Professionalisierung und verbesserte Bildung von Frauen zu nutzen. „Gleichzeitig führte diese Verknüpfung von sozialen Berufen und Weiblichkeit zu einer ökonomischen und gesellschaftlichen Abwertung des Berufs zur »Semi-Profession« und zu geschlechterspezifischen Stereotypisierungen“ (Ambord & Brunner 2018, S. 127; in Anlehnung an: Brückner 2013).
Unter den rund 200.000 Lehrkräften an Grundschulen in Deutschland befanden sich im Jahr 2018 laut statistischem Bundesamt nur 19.000 Männer, was einem Anteil von etwa 9 % entspricht (Destatis 2019). Stuve und Viola Rieske verweisen in ihrer Handreichung für die GEW mehrfach darauf, dass diese Zahlen auch auf ein geschlechterbezogenes Image des Berufsfeldes zurückzuführen seien: „Jungen und jungen Männern steht die Tat igkeit der Grundschullehrkraft offenbar nicht in derselben Weise offen wie andere Tatigkeiten. Ein (aufkommendes) Interesse an dieser Tatigkeit wird gesellschaftlich marginalisiert, da es nicht mit dem vorherrschenden Ideal von Mannlichkeit vereinbar ist“ (Stuve & Viola Rieske 2018, S. 15; vgl. auch S. 21). Dieser Argumentation folgend, scheint es daher durchaus plausibel anzunehmen, dass die historische Bildungsdebatte in Deutschland einen Einfluss auf noch immer bestehende Vorurteile und Geschlechterzuschreibungen der sozialen und pädagogischen Berufe hat.
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- Quote paper
- Stephan Jaskolla (Author), 2021, Geistige Mütterlichkeit. Ein historisches Konzept mit aktuellen Auswirkungen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1193176
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