Die Europäische Union ist nicht nur ein Staatengebilde, das ganz auf praktischer Ebene zusammenarbeitet. Den in ihr lebenden Menschen, sowie auch jenen, die sie von anderen Kontinenten oder Nachbarländern aus von außen betrachten, mag der Zusammenschluss der 15 Länder wie ein rein logischer und sinnvoller Verbund vorkommen. Das Leben in und um die Europäische Union wird durch ihre Existenz erleichtert und modernisiert. Zusätzlich zu den alltäglichen anwendbaren Fragestellungen des Lebens in der Europäischen Union stellt sie aber auch ein theoretisches Konstrukt dar. Die Europäische Union existiert nicht nur als Staatenbund, sondern auch als ein für die Wissenschaft, genauer gesagt für die Soziologie, interessantes System.
Um ein System als solches zu erkennen und seine Grenzen abzustecken, müssen drei Prämissen betrachtet werden: die Mitgliedsrolle, die kollektive Identität sowie das Vorhandensein von Verhaltensprogrammen.
Die Mitgliedsrolle definiert sich über die Bereitschaft, Hierarchien anzuerkennen und das Erfüllen von Erwartungen. „Dazu gehören“ darf nur, wer eben diesen Anforderungen entspricht. In der Europäischen Union sind diese Voraussetzungen, die sich in vielen Systemen ganz und gar auf mündliche Absprachen oder rein auf Verhaltensweisen gründen, sogar vertraglich festgehalten. Die Hierarchien schlagen sich in Fragen nieder wie der, welche Länder Vetorechte erhalten und welche nicht, oder wer zwei, wer nur ein Mitglied in der Kommission stellen darf. Ebenso klar definiert sind die zu erfüllenden Erwartungen. Mitgliedsländer der Europäischen Union dürfen ein Haushaltsdefizit von drei Prozent nicht überschreiten und sind schon vor ihrer Aufnahme in den erlauchten Kreis verpflichtet, ihre Verfassungen anzupassen. Beispielhaft seien hier das Einhalten von Menschenrechten, sowie die Abschaffung der Todesstrafe genannt.
Die kollektive Identität ist eine ideologische Abbildung der Mitgliedsrolle. Um als vollwertiges Mitglied anerkannt zu werden, muss sich nicht nur an die entsprechenden Regeln gehalten werden; es muss auch klar erkennbar sein, dass das jeweilige Mitglied die Werte und Normen verinnerlicht hat.
Inhalt
1. Die Europäische Union als System
2. Probleme bei der Koordinierung von Teilsystemen
3. Die Methode der offenen Koordinierung
4. Offene Koordinierung – ein Lösungsansatz für die Systemtheorie?
5. Vorzüge und Probleme der offenen Koordinierung
6. Die Methode der offenen Koordinierung als Lösungsansatz der Systemtheorie Bewertung und Prognose
Literatur
1. Die Europäische Union als System
Die Europäische Union ist nicht nur ein Staatengebilde, das ganz auf praktischer Ebene zusammenarbeitet. Den in ihr lebenden Menschen, sowie auch jenen, die sie von anderen Kontinenten oder Nachbarländern aus von außen betrachten, mag der Zusammenschluss der 15 Länder wie ein rein logischer und sinnvoller Verbund vorkommen. Das Leben in und um die Europäische Union wird durch ihre Existenz erleichtert und modernisiert. Zusätzlich zu den alltäglichen anwendbaren Fragestellungen des Lebens in der Europäischen Union stellt sie aber auch ein theoretisches Konstrukt dar. Die Europäische Union existiert nicht nur als Staatenbund, sondern auch als ein für die Wissenschaft, genauer gesagt für die Soziologie, interessantes System.
Um ein System als solches zu erkennen und seine Grenzen abzustecken, müssen drei Prämissen betrachtet werden: die Mitgliedsrolle, die kollektive Identität sowie das Vorhandensein von Verhaltensprogrammen.
Die Mitgliedsrolle definiert sich über die Bereitschaft, Hierarchien anzuerkennen und das Erfüllen von Erwartungen. „Dazu gehören“ darf nur, wer eben diesen Anforderungen entspricht. In der Europäischen Union sind diese Voraussetzungen, die sich in vielen Systemen ganz und gar auf mündliche Absprachen oder rein auf Verhaltensweisen gründen, sogar vertraglich festgehalten. Die Hierarchien schlagen sich in Fragen nieder wie der, welche Länder Vetorechte erhalten und welche nicht, oder wer zwei, wer nur ein Mitglied in der Kommission stellen darf. Ebenso klar definiert sind die zu erfüllenden Erwartungen. Mitgliedsländer der Europäischen Union dürfen ein Haushaltsdefizit von drei Prozent nicht überschreiten und sind schon vor ihrer Aufnahme in den erlauchten Kreis verpflichtet, ihre Verfassungen anzupassen. Beispielhaft seien hier das Einhalten von Menschenrechten, sowie die Abschaffung der Todesstrafe genannt.
Die kollektive Identität ist eine ideologische Abbildung der Mitgliedsrolle. Um als vollwertiges Mitglied anerkannt zu werden, muss sich nicht nur an die entsprechenden Regeln gehalten werden; es muss auch klar erkennbar sein, dass das jeweilige Mitglied die Werte und Normen verinnerlicht hat.
Verhaltensprogramme, unterteilt unter anderem in Zweck- und Konditionalprogramme, stecken die Regeln fest, nach denen die Mitglieder des Systems handeln sollen. Das System legt somit fest, welche Ziele wie erreicht werden sollen. Ebenso, wie die Mitglieder sich an die Erwartungen anpassen müssen, müssen sie auch den engen Verhaltensmustern folgen, um am Erreichen der gesteckten Ziele mitzuwirken. Nicht zu verwechseln mit dem sogenannten Code, der Entscheidungsregel eines Systems, können Programme sich verändern und sind lernfähig. Programme sind auswechselbar, ohne dass das System seine Identität verliert. Programme können an historisch bedingte Neuerungen oder andere Gegebenheiten angepasst werden.
Nach Werner Faulstich, dem Leiter des Instituts für angewandte Medienforschung an der Universität Lüneburg, ist ein soziales System im Allgemeinen „ein beobachtbarer Handlungsraum, in dem komplexe aber abgrenzbare Handlungsabläufe erkannt oder bestimmt werden können.“[1] Systeme definieren sich über ihre Abgrenzung und ihre Beziehungen zur Außenwelt. Die Grenzen der Europäischen Union sind klar zu erkennen, in Ländergrenzen auf Weltkarten festgelegt. Die Beziehungen der Europäischen Union zu ihrer Umwelt sind vielschichtig. Gegenüber direkten Nachbarländern, wie etwa der Tschechischen Republik oder Polen im Osten, sowie Malta oder der Türkei im Süden, verkörpert das Bündnis ein Ziel, das es zu erreichen gilt. Ein Eintritt in die Europäische Union gilt als Eintrittskarte in ein besseres, oder zumindest wohlhabenderes Leben. Systeme definieren sich immer durch ihre Funktion für die Umwelt. Die Beziehung des Staatenbundes zur unmittelbaren Umwelt lässt sich somit als Vorbildfunktion bezeichnen. Gegenüber anderen Ländern, wie etwa den Vereinigten Staaten von Amerika, ist die Beziehung System ó Umwelt anders definiert. Europa möchte als Gemeinschaft einen Gegenpol gegen das mächtigste Staaten-Gebilde der Welt formen. Die Leistung oder Funktion, die die Europäische Union für ihre entferntere Umwelt, für Länder auf anderen Kontinenten übernimmt, ist eine ganz bodenständige: Systeme wollen ganz allgemein die Komplexität der Umwelt reduzieren, um sie leichter verständlich zu machen. Das System „Europa“ verkörpert so die „alte Welt“, die sich gegen die „neue Welt“ durch Kleinstaaterei, verankerte Kultur, Geschichte, vielleicht auch Konservativismus abgrenzt. Die Europäische Union übernimmt die Funktion des Sprachrohres für eben diese alte Welt. Grenzen zwischen Systemen bestehen in Zielen, die die Mitglieder eines Systems verfolgen. Gemeinsames Ziel der Europäischen Union sind etwa das Bilden eines starken Europas gegen die Weltmacht USA oder aber die Verbesserung der Lebensqualität durch gesteigerte Leistungskraft der Wirtschaft oder einen Ausbau der Freizügigkeit. Wie nach Faulstich können in der Europäischen Union Handlungsprozesse sowie interne Konflikte festgemacht werden, die sie zu einem System machen.
Systeme bestehen aber nicht nur aus dem Großen Ganzen, sondern untergliedern sich in Sub- und Teilsysteme. So grenzen sich innerhalb der Union einzelne Staaten ebenso klar als Teilsysteme voneinander ab wie die Europäische Union als Ganzes von ihrer Umwelt abgegrenzt ist. Neben Deutschland, Frankreich und weiteren klar definierten Teilsystemen existieren aber auch internationale, grenzübergreifende Teilsysteme innerhalb der Europäischen Union. So lässt sich zum Beispiel das Feld der europäischen Finanzpolitik als Teilsystem definieren; ebenso die Bereiche der Außen-, Sicherheits- oder Beschäftigungspolitik, sowie viele andere. Letzteres Teilsystem soll im folgenden näher betrachtet werden.
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[1] Faulstich, Werner: S.23
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- Birte Müller-Heidelberg (Author), 2003, Die Methode der offenen Koordinierung - die Europäische Union aus systemtheoretischem Blickwinkel, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11926
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