Das didaktische Potenzial von Reggaeton für den spanischen Grammatikunterricht


Masterarbeit, 2022

112 Seiten, Note: 2.5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. THEORETISCHE GRUNDLAGEN
2.1 Spanisch lernen mit Reggaeton: Begriffserklärungen
2.1.1 Spanisch lernen - Wie geht das?
2.1.1.a Deduktives Lernen im Spanischunterricht
2.1.1 .b Induktives Lernen im Spanischunterricht
2.1.2 Lernstile nach Felder (1988)
2.1.3 Die Musikrichtung Reggaeton
2.2 Der spanische Grammatikunterricht heute
2.2.1 Bedeutung des Grammatiklernens für den Spracherwerb
2.2.2 Aktuelle Annahmen zu induktivem und deduktiven Grammatikunterricht
2.2.3 Aktueller Forschungsstand zum Einsatz von Liedern im Spanischunterricht
2.3 Lieder im Grammatikunterricht: Planung, Methoden und Übungen
2.3.1 Planung und Phasierung des Spanischunterrichts
2.3.2 Umgang und Methoden für Lieder im Spanischunterricht
2.3.3 Grammatikübungen für Lieder im Spanischunterricht
2.4 Die Besonderheiten des Reggaeton
2.4.1 Der Wert des Reggaeton für den spanischen Grammatikunterricht
2.4.2 Der Wert des Reggaeton für den Umgang mit diversen Lernstilen

3. REGGAETON IM SPANISCHEN GRAMMATIKUNTERRICHT
3.1 Lieder von Maluma, Shakira und Co: ihr Wert für den spanischen Grammatikunterricht
3.2 Lieder von Maluma, Shakira und Co: ihr Wert für den Umgang mit diversen Lernstilen

4. REGGAETON IM SPANISCHEN GRAMMATIKUNTERRICHT: FREMDSPRACHENDIDAKTISCHE DISKUSSION

5. ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT

6. LITERATURVERZEICHNIS

7. ANHANG

8. ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Danksagung

Du warst all‘ die Zeit dieserAnkerfürmich. Ich will nur, dass du weißt:

Ich bin dankbarfürdich.

Julia Engelmann

An dieser Stelle möchte ich mich bei den Personen bedanken, die mich während mei­nes gesamten Studiums und während der Anfertigung dieser Masterarbeit unterstützt und motiviert haben.

Zuerst gebührt mein Dank Frau Prof. Dr. Judith Visser, die meine Masterarbeit betreut und begutachtet hat. Ihre hilfreichen Anregungen und die konstruktive Kritik waren sehr wertvoll und gewinnbringend fürdie Erstellung dervorliegenden Arbeit.

Ebenfalls möchte ich mich bei meinen Kommilitoninnen Jessica Hoffmann, Josephine Ankrah und Nurbanu Yilmaz sowie bei meiner besten Freundin und media naranja Carolin Keune bedanken, die mir mit viel Geduld, Interesse und Hilfsbereitschaft zur Seite standen; dazu zählen diverse Debatten und Lernabende, die zweifellos dazu beigetragen haben, dass diese Masterarbeit in dieser Form vorliegt.

Darüber hinaus möchte ich meinem geschätzten Mentor Bernd Gosemärker nicht nur für das Korrekturlesen, sondern auch dafür danken, dass er mich sowohl in fachlicher als auch in persönlicher Hinsicht auf meinem Weg der (Weiter-) Entwicklung begleitet hat.

Abschließend bedanke ich mich bei den wohl wichtigsten Unterstützerinnen, die mir meine Laufbahn überhaupt erst ermöglicht haben und mir stets emotional beiseite standen: Ein herzliches Dankeschön an meine Eltern Dirk, Iris und Antje, an meinen Bruder Maximilian und an meine Schwester Dominique und auch an meine Tagesmut­ter Margarita. Danke, dass ihr immer an mich geglaubt habt.

Allegra Goltz

Ahlen, März 2022

1. Einleitung

La musica es un lenguaje universal. - Isabel Allende

Die chilenische Schriftstellerin Isabel Allende hebt hervor, dass Musik als universelle Sprache und als Kommunikationsmittel wahrgenommen wer­den kann; denn Musik, Rhythmus und Melodien versteht jedermann. Das Medium Musik hat als großer Bestandteil unserer Gesellschaft einen Ein­fluss auf Menschen: berührt, bewegt und verändert sie.

Die Pädagogin Mirja Blanchard fand im Jahre 2007 heraus, dass das Musikhören zu den bevorzugten Freizeitbeschäftigungen von Schülerin­nen gehört (vgl. Blanchard 2007, S. 28). Die JIM-Studie1]aus dem Jahre 2020 hat zudem erhoben, dass 80% der befragten Jugendlichen in Deutschland täglich und 13% mehrmals pro Woche Musik hören (vgl. Feierabend et al. 2020, S. 14).

Im Jahre 2017 etablierte sich mit zunehmendem Erfolg die lateinameri­kanische Musikrichtung Reggaeton in der internationalen Gesellschaft. Ein Reggaeton-Lied schaffte auf YouTube weltweit erstmals die 6 Milli­arden Aufrufe: Despacito von Luis Fonsi und Daddy Yankee.

Außerdem lässt sich aufzeigen, dass das Ranking auf der Applikation Spotify2 aus Dezember 2020 ergab, dass der Reggaeton-Künstler Bad Bunny mit 8,3 Milliarden Streams international den ersten Platz der meistgestreamten Künstlerinnen belegt.

Neben Musik sind Bildung und Lernen zentrale Begriffe in unserer leis­tungsorientierten Gesellschaft. Insbesondere das Fremdsprachenlernen nimmt durch zunehmende internationale Verflechtungen einen großen Stellenwert in der heutigen Bildung ein. Die Bildungsinstitution Schule spielt hierbei eine zentrale Rolle. Dennoch ist das fremdsprachliche Lernen, insbesondere das Gebiet der Grammatik, seitens der Schülerin­nen oft negativ konnotiert.

Doch wie lässt sich dieser Konflikt lösen? Lassen sich die bevorzugten Freizeitbeschäftigungen von Jugendlichen erfolgreich und gewinnbrin­gend in den fremdsprachlichen Grammatikunterricht eingliedern?

Dieser Masterarbeit liegt die Behauptung zugrunde, dass Reggaeton als besondere Musikrichtung diverse sprachliche Kompetenzen sowie Lern­prozesse fördert und als Gewinn für den spanischen Grammatikunter­richt angesehen werden kann.

Um dieser Behauptung nachzugehen, werden in der vorliegenden Arbeit zunächst theoretische Grundlagen geklärt: Es werden zentrale Begriffe, Konzepte und Theorien des Spanisch Lernens mit Reggaeton erklärt (Kap. 2.1) und der heutige spanische Grammatikunterricht genauer be­leuchtet (Kap. 2.2). Im Anschluss werden die Planung, Methoden und Übungen für Lieder im Grammatikunterricht behandelt (Kap. 2.3). Da­nach werden die Besonderheiten des Reggaeton aufgeführt (Kap. 2.4). Darauf basierend werden konkret Reggaeton-Lieder sowie entspre­chende Unterrichtsentwürfe und -material dargestellt, welche auf ihren Wert für den spanischen Grammatikunterricht untersucht werden (Kap. 3). Anschließend werden ebendiese Erkenntnisse auffremdsprachendi­daktischer Grundlage diskutiert (Kap. 4). Zuletzt werden die genannten Aspekte und Ergebnisse subsumiert, um das didaktische Potenzial von Reggaeton für den spanischen Grammatikunterricht herauszukristallisie­ren.

Das Hauptziel der vorliegenden Arbeit ist aufzuzeigen, inwieweit sich die Musikrichtung Reggaeton in den spanischen Grammatikunterricht mit Blick aufden Lernzuwachs eingliedern lässt.

2. Theoretische Grundlagen

Um der genannten Fragestellung nachzugehen, sind zunächst theoreti­sche Grundlagen zu schaffen. Dazu werden in dervorliegenden Master­arbeit zentrale Begriffe und Konzepte definiert und erklärt.

2.1 Spanisch lernen mit Reggaeton: Begriffserklärungen

Im Folgenden wird festgelegt, was in der vorliegenden Arbeit unter Ler­nen verstanden wird, da dieser einen dehnbaren Begriff darstellt, welcher jedoch in dieser Arbeit von hoher Relevanz ist. Darüber hinaus wird auf die Lernstiltheorie nach Felder eingegangen. Anschließend werden in Grundzügen der Ursprung und zentrale Charakteristika der Musikrich­tung Reggaeton besprochen.

2.1.1 Spanisch lernen - Wie geht das?

Im Allgemeinen versteht man unter dem Verb lernen, sich sowohl Wissen oder Kenntnisse anzueignen, Fertigkeiten zu erwerben und neu gewon­nene Informationen in dem Gedächtnis einzuprägen (vgl. Duden-Online: lernen).

Betrachtet man zusätzlich das indogermanische Etymon von lernen „lais“ (dt. Spur, Bahn), so sticht der Aspekt heraus, dass Lernen (im Gedächt­nis) Spuren hinterlässt. In Anlehnung an Wasserzieher (1974) verweist die Psychologin Prof. Dr. Rosemarie Mielke darauf, dass das Wort lernen auf das gotische „lais“ (dt. ich weiß) sowie auf das indogermanische „lis“ (dt. gehen) zurückzuführen sei. Diese Wortherkunft lasse darauf hindeu­ten, dass Lernen ein Prozess sei, bei dem man einen Weg geht und da­bei an Wissen oder Fertigkeiten gelange (vgl. Mielke 2001, S. 11).

Bezieht man dies auf das Erlernen der spanischen Sprache, so lässt sich schlussfolgern, dass es sich dabei um einen Lernprozess handelt, in dem Wissen und Kenntnisse über die spanische Sprache sowie über die An­wendung der spanischen Sprache erworben werden.

Ein solcher Lernprozess erfolge nach dem Pädagogen Prof. Dr. Her­mann Giesecke in zwei Formen: Zum einen durch die tätige Anteilnahme an dem Leben sozialer Gemeinschaften (des Freundeskreises, der Fa­milie o.Ä.); zum anderen durch gezielte Interventionen (vgl. Giesecke 6

2001, S. 14). Letzteres spielt insbesondere in dem schulischen Bereich eine Rolle, da Lernprozesse durch Lehrerinnen initiiert und gelenkt wer­den.

In der pädagogischen Psychologie des Lehrens und Lernens wird zwi­schen drei Lernparadigmen unterschieden: zwischen dem Behavioris­mus, dem Kognitivismus und dem Konstruktivismus.

Vertreterinnen des Behaviorismus definieren Lernen als erfahrungsba­sierte Verhaltensveränderung (vgl. Lefrancois 1994, S. 3f). Individuen re­agieren aus behavioristischer Sicht auf das unbekannte Neue so, dass neue kognitive Strukturen gewonnen werden.

So sei es auch beim Fremdsprachenlernen: Schülerinnen ahmen die sprachliche Umwelt nach. Zu dieser Umwelt zählen beispielsweise Lehr­kräfte, Mitschülerinnen oder Tonmaterial, welches im Unterricht ange­wandt wird. Darüber hinaus lernen sie Neues auf Grundlage des bereits Bekannten (vgl. Decke-Cornill/Küster 2014, S. 36f).

Vertreterinnen des Kognitivismus hingegen nehmen Lernen als Wis­senserwerb wahr. Dabei werden diverse Gedächtnismodelle berücksich­tigt, wie das Drei-Speicher-Modell (Sensorisches Gedächtnis, Kurzzeit­gedächtnis, Langzeitgedächtnis) oder das Mehrkomponentenmodell des Arbeitsgedächtnisses (phonologische Schleife, visuell-räumlicher Notiz­block, episodischer Puffer, Steuerung durch zentrale Exekutive).

Konstuktivist:innen sehen Lernen als konstruktiven Prozess an. Der kog­nitiv-konstruktivistische Ansatz besagt, dass das Sprachenlernen inter­aktionsmotiviert sei. Schülerinnen setzen sich mental, selbstorganisiert und aktiv mit sprachlichen und formalen Phänomenen auseinander. Sie bilden beispielsweise Hypothesen, welche die Lernprozesse oder die Sprachreflexion anstoßen. Aus der kognitivistisch-konstruktivistischen Perspektive sind Lehrkräfte keine Modelle zum Nachahmen, sondern provozieren (kommunikative) Interaktionen sowie Denk- und Reflexions­prozesse der Schülerinnen. Das Lernen der spanischen Sprache pas­siere demnach durch Interaktion; Interaktionen zwischen Lehrerinnen und Schülerinnen, aber auch zwischen Schülerinnen untereinander (vgl. ebd.).

Aus der nativistischen Perspektive hingegen sei die Sprechfähigkeit an­geboren. Aus diesem Grund sei im Fremdsprachenunterricht auf ver­ständlichen und interessanten mündlichen oder schriftlichen Input zu set­zen. Dabei sei die sprachliche Korrektheit nicht von primärer Relevanz (vgl. ebd.).

Zusammenfassend lässt sich für die vorliegende Masterarbeit festhalten, dass das Spanisch Lernen als Prozess und als Aneignung von spani­scher Sprachkompetenz aus diversen Perspektiven erklärt und definiert wird. Zentrale Theorien sind hierbei der Behaviorismus (Sprachkompe­tenz als Verhaltensveränderung und Nachahmung), der Nativismus (Sprachkompetenz als angeborene Fähigkeit) sowie der Kognitivismus und Konstruktivismus (Sprachkompetenz als Ergebnis von Interaktion).

Nachdem nun die drei grundlegenden Lernparadigmen erläutert wurden, wird im Folgenden auf zwei dieser Arbeit zugrundeliegenden Lern- und Lehrmethoden für den spanischen Fremdsprachenunterricht eingegan­gen: das induktive und das deduktive Vorgehen.

2.1.1.a Deduktives Lernen im Spanischunterricht

Deduktive Lehrmethoden verweisen im ersten Schritt auf einen allgemei­nen Satz bzw. auf eine allgemeine Regel, ein Gesetz oder eine Defini­tion. Die Fremdsprachendidaktikerin Gertraude Heyd erklärt die deduk­tive Vorgehensweise im Unterricht mit den Worten:

Beim deduktiven Verfahren, geht man von einer Regel aus, die anschlie­ßend durch ein Satzmuster veranschaulicht wird. Dann folgt die Ein­übung. (Heyd 1991.S. 167)

Bezieht man dieses Verfahren aufden spanischen Grammatikunterricht, so lässt sich dafür das Thema der Adjektivangleichung nennen. Schü­lerinnen erhalten nach dem deduktiven Verfahren beispielsweise zuerst die Regel Adjektive werden sowohl im Numerus als auch im Genus an das entsprechende Substantiv angepasst. Darauf folgen konkrete

Beispiele wie el chico guapo, la chica guapa, los chicos guapos, las chi- cas guapas oder ein vorbereiteter, spanischer Text, der mannigfache Ad­jektive enthält. Ebendiese Beispiele beziehen sich auf die genannte Re­gel und bestätigen das Gelernte. Im letzten Schritt üben die Lernenden das neue Grammatikthema durch entsprechende Übungen, um das Ge­lernte anzuwenden und zu festigen.

Kurzum: Das deduktive Verfahren im spanischen Grammatikunterricht steigt vom Allgemeinen zum Besonderen herab (vgl. Riedl 2004, S. 104).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb 1 1: Vereinfachte Darstellung des deduktiven Lernens im Spanischunterricht (eigene Darstellung)

2.1.1.b Induktives Lernen im Spanischunterricht

Bei induktiven Lehrmethoden hingegen werden zuerst konkrete Bei­spiele gezeigt, bei denen die Schülerinnen Gesetzmäßigkeiten erken­nen und selbständig eine Regel oder eine Definition aufstellen. Das in­duktive Lernen erfolgt demnach in einem Dreischritt: Beobachten und Sammeln, Vergleichen und Klassifizieren und Generalisieren oder Sys­tematisieren (vgl. Funk/Koenig 1991, S. 124). Die Fremdsprachendidak­tiker Hermann Funk und Michael Koenig (1991) haben ein Schema ent­worfen, welches ebendiesen Dreischritt des induktiven Verfahrens ver­einfacht darlegt:

Sammeln Ordnen Systematisieren

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb 1 2: Vereinfachte Darstellung des Dreischritts des induktiven Lernens (eigene Darstellung)

Die Fremdsprachendidaktikerin Heyd teilt das induktive Lernen in fünf Schritte ein (vgl. Heyd 1991, S. 167): Zunächst wird das zu behandelnde Grammatikthema in einem Beispielsatz veranschaulicht (1). Die Schülerinnen erkennen und verstehen das grammatische Phänomen (2). Darauf folgt eine erste Festigung durch eine imitative Verwendung des dargelegten Phänomens. Anschließend wird es durch das analoge Verwenden des Materials das zweite Mal gefestigt (3). Erst nach den zwei Festigungsübungen wird die Regel von den Schülerinnen selbstän­dig formuliert (4). Zuletzt wird das Sprachmaterial verwendet und so das Muster aktiviert (5).

In der vorliegenden Arbeit wird sich im Rahmen des induktiven Lehrens und Lernens vor allem auf den Dreischritt nach Funk und Koenig (1991) fokussiert.

Bezieht man dies auf das oben genannte Grammatikbeispiel im Spa­nischunterricht, so führt die Lehrkraft zuerst konkrete Beispiele auf, wie el chico guapo, la chica guapa, los chicos guapos, las chicas guapas oder händigt einen vorbereiteten Text aus, der diverse Adjektive enthält. Die Lerngruppe nimmt zunächst die unterschiedlichen Endungen der Ad­jektive wahr (Beobachten und Sammeln), ordnet sie je nach Endung und Situation (Ordnen und Klassifizieren) und erkennt bzw. formuliert zuletzt die Regel Adjektive werden sowohl im Numerus als auch im Genus an das entsprechende Substantiv angepasst (Generalisieren und Systema­tisieren).

Kurz gesagt: Lernende werden mit neuen Erfahrungen konfrontiert, wel­che sie zuletzt als allgemeine Regel formulieren. Hier steigt man somit vom Besonderen, also von einem konkreten sprachlichen Beispiel, zum Allgemeinen bzw. zu einem allgemeinen Gesetz auf (vgl. Riedl 2004, S. 104).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb 1 3: Vereinfachte Darstellung des induktiven Lernens im Spanischunterricht (eigene Darstellung)

2.1.2 Lernstile nach Felder (1988)

Der US-amerikanische Hochschullehrerin Ingenieurswissenschaften Dr. Richard M. Felder fokussierte sich seit Ende der 1980er Jahre auf die Bildungsforschung. Gemeinsam mit der Erziehungspsychologin Dr. Linda K. Silverman veröffentlichte er 1988 den Artikel „Index of Learning Styles“ und entwickelte ein Lerntypenmodell für Lernende.

Im Lerntypenmodell von Felder und Silverman (1988) gibt es vier auf Präferenzen beruhende Dimensionen, welche einen Lerntyp profilieren. Die Dimensionen beschäftigen sich mit Verarbeitungsprozessen vom Er­kennen bis zur Integration einer neuen Information. In jeder Dimension zeigen zwei Typen die Brandbreite dieser Dimension an.

Sieben Jahre später formuliert Felder gemeinsam mit dem Linguisten Dr. Eunice R. Henriques den Artikel „Learning and Teaching Styles In Foreign and Second Language Education”, in dem Lernstile unter Be­rücksichtigung des Fremdsprachenlernens und -Unterrichts beleuchtet werden. Sie beschäftigen sich in dem Artikel damit, wie das Fremdspra­chenlernen gefördert, gestärkt und effektiv gelehrt werden kann. Dabei beziehen sich Felder und Henriques (1995) auf frühere Werke von Felder et al. (1988, 1993), indem sie sich auf fünf dichotome Lernstildimensio­nen stützen (vgl. Felder/Henriques 1995, S. 22).

Lernstile nehmen sie als charakteristische Annäherung an zu lernende Inhalte wahr.

The ways in which an individual characteristically acquires, retains, and retrieves information are collectively termed the individual’s learning style, (ebd., S. 21)

Demnach stellt ein Lernstil eine durch Präferenzen in jeweiligen Dimen­sionen bestimmte charakteristische Art dar, sich Informationen anzueig­nen, diese zu speichern und zu vertiefen. Der individuelle Lernstil werde aus den Antworten der Fragen aus den jeweiligen Dimensionen bestimmt (vgl. ebd., S. 22).

Die Dimension Wahrnehmung beschäftigt sich mit der Frage, welche Art von Informationen Lernende präferiert erhalten und ihr Lernen am besten unterstützt. Hier wird zwischen sensorischen und intuitiven Wahrneh­mungen unterschieden.

Sensorisch Lernende bevorzugen eine Informationsgewinnung über die jeweiligen Sinneskanäle, d.h. durch Töne, Gefühle o.Ä. Sie speichern ge­wonnene Informationen vor allem durch Fakten, welche durch Beispiele oder Experimente gewonnen werden. Sie beobachten, nehmen wahr und können Details gut auswendig lernen. Außerdem präferieren sensori­sche Lernerinnen einen Zusammenhang zwischen Lernmaterial und der realen Welt.

Intuitiv Lernende hingegen bevorzugen es, Informationen über interne Prozesse zu gewinnen und Erinnerungen, Möglichkeiten oder Beziehun­gen selbständig herzustellen und zu entdecken. Sie ziehen allgemeine Prinzipien, Theorien und Modelle sowie Ahnungen und Spekulationen vor (vgl. ebd., S. 22f).

In der Dimension Input bzw. Aufnahme geht es um den präferierten Auf­nahmekanal der Lernenden. Hier wird zwischen visuellen und auditiven Kanälen unterschieden.

Visuelle Lernerinnen können sich am besten an visuelle Lernmaterialien wie Bilder, Diagramme, Schaubilder, Mindmaps, Filme etc. erinnern. Akustisch bzw. verbal Lernende präferieren sowohl schriftliche als auch gesprochene Erklärungen sowie Diskussionen. Außerdem haben sie ein auditives Gedächtnis. Beide Lerntypen haben jedoch gemeinsam, dass sie am besten lernen, wenn die zu lernenden Inhalte sowohl visuell als auch verbal dargeboten werden (vgl. ebd., S. 23f).

In der Dimension Organisation geht es darum, welchen Aufbau von Un­terrichtseinheiten Lernende präferieren. Hier wird zwischen dem indukti­ven und dem deduktiven Lernstil unterschieden. Wie im vorangegange­nen Kapitel genauer erläutert, leiten Schülerinnen nach dem induktiven Vorgehen anhand von Beobachtungen allgemeine Regeln und Prinzipien ab, während nach dem deduktiven Lernstil bereits allgemeine Regeln und Prinzipien vorgegeben sind. Diese Dimension wird jedoch von Felder (2002) aufgrund des nachgewiesenen Erfolgs des induktiven Lernens als irrelevant bewertet.

Die dritte Dimension Verarbeitung thematisiert, wie Lernende die gewon­nenen Informationen bevorzugt verarbeiten: aktiv oder reflektiv. Aktiv Lernende wenden aktiv das Neue beispielsweise in Diskussionen, durch Experimentieren oder durch Erklären an. Außerdem bevorzugen sie Gruppenarbeiten. Sie sind die „Macher“.

Reflektive Lernende hingegen bevorzugen Lernsituationen, in denen sie in Einzelarbeit lernen und nachdenken können. Sie sind die „Theoretiker und Denker“ (vgl. ebd., S. 24f).

Die letzte Dimension Verständnis fokussiert sich auf den Umgang mit Schwierigkeiten; d.h. wie Schülerinnen bevorzugt mit Problemen umge­hen und wie sie sich Wissensmengen annähern. Felder und Henriques unterscheiden zwischen sequentiellen und globalen Lernstilen.

Sequentielle Lernerinnen bevorzugen lineare Lernschritte, eine logische Reihenfolge und ein kontinuierliches Lernen, bei dem sie Schritt für Schritt und durch eine langsame Steigung des Lernschwierigkeitsgrades lernen. Die langsame Steigung ist für diesen Lerntyp wichtig, da andern­falls Demotivation und Frustration entstehen.

Global Lernende bevorzugen große Sprünge und nehmen das Lernma­terial beiläufig auf, wobei sie erst am Ende den Zusammenhang und all­gemeine Prinzipien verstehen. Außerdem bevorzugen sie das ganzheit­liche Lernen (vgl. ebd., S. 25f).

A learning-style model classifies students according to where they fit on a number of scales pertaining to the ways they receive and process in­formation. (Felder/Silverman 1988, S. 675)

Insgesamt klassifiziert das Lernstilmodell Lernende mithilfe von Dimen­sionen, welche in den Mittelpunkt stellen, welche Art von Informationen und von Aufnahmekanälen und welche Art von Informationsverarbeitung und -annäherung präferiert werden. Wie bereits erwähnt sind die ge­nannten Dimensionen dichotom. Lernstile seien nach Felder und Silverman (1988) die Kombination der Dimensionsausprägungen. Zu­dem behaupten Felder und Silverman, dass die Ausprägungen situati­onsabhängig und somit je nach Kontext unterschiedlich stark ausgeprägt seien.

2.1.3 Die Musikrichtung Reggaeton

„La müsica es un reflejo de la sociedad y un recorte de la realidad, el reggaetón es un medio de expresión.“(Penagos Rojas 2012, S. 303)

Der Sozialwissenschaftler Yesid Penagos Rojas erklärt den Reggaeton als Spiegel und Ausdrucksmittel der lateinamerikanischen Kultur, der die Realität widerspiegelt.

Der Reggaeton ist eine Musikrichtung, welche auf den Musikrichtungen Reggae, Hip-Hop, Merengue und elektronischer Tanzmusik basiert. Be­züglich ihres Ursprungs lässt sich sagen, dass sie durch Interessenver­treterinnen aus Jamaika, Panama, Nord- oder Lateinamerika und Puerto Rico im Zeitalter des transnationalen Flusses von Menschen, Ideen und Technologien entstanden ist (vgl. Baumann 2010, S. 239). Das Kenn­zeichen einer multiethnischen Musikkultur seien Lokalisierung, Transfor­mation und Transnationalisierung: Der Reggaeton wurde von jamaikani­schen Migrantinnen nach Panama und deren Musikrichtung Reggae be­einflusst.

In Anlehnung an Wayne Marshall erklärt der Musikethnologe und -anth­ropologe Max-Peter Baumann, dass der Reggaeton sich durch die Wei­terentwicklung des jamaikanischen Reggae-Sängers Shabba Ranks und seinem stilbildenden Lied Dem Bow (1990/91) mit elektronischen Mu­sikeffekten entwickelt habe. Insgesamt sei der Reggaeton ein Mix aus Reggae, müsica negra, hip-hop und merengue, den heute auch US-ame­rikanische Musik beeinflusse (vgl. ebd.).

Erst im 21. Jahrhundert schaffte der Reggaeton seinen internationalen Durchbruch (vgl. Günther 2011, S. 6).

Die Soziologin Dr. Dulce Asera Martinez Noruega hingegen spricht da­von, dass der Reggaeton zwar seinen Ursprung in Panama und Puerto Rico habe, jedoch bereits um 1970 existierte. Von dort aus sei die Musikrichtung in der USA verbreitet worden. Als Mix aus Reggae, Hip­Hop, Rap, Salsa, Merengue, Pop und Housemusik gelang der Reggae­ton um das Jahr 2000 von den USA in weitere Länder (vgl. Martinez No­riega 2014, S. 64).

Die Real Academia Espanola definiert die lateinamerikanische Mu­sikrichtung als

Musica de origen caribeno e influencia afroamericana, que se caracte- riza por un estilo recitativo y un ritmo sincopado producido electrónica- mente. (RAE: Reguetón)

Auch hier wird der elektronisch erzeugte Rhythmus betont. Dennoch wird hier der Reggaeton anders als in den vorausgehenden Definitio­nen als Musik karibischen Ursprungs mit afroamerikanischen Einflüs­sen angesehen.

Insgesamt lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass es sich um elektro­nische Musik handelt, welche sich aus diversen, insbesondere latein­amerikanischen Musikrichtungen entwickelt hat.

Es kristallisiert sich bereits in der knappen Ausführung heraus, dass man sich in der Definition und in dem Ursprung der lateinamerikani­schen Musikrichtung aufgrund der Unerforschtheit nicht einig ist. Einig ist man sich jedoch über charakteristische Merkmale ebendieser Mu­sikrichtung, welche Bettina Günther (2011) mit Blick auf den Rhyth­mus, Instrumentierung, Varianten, Texte etc. aufzählt. Im Folgenden be­schränkt sich die Arbeit, auch mit Blick auf den Umfang, nur auf die zentralen Merkmale.

Charakteristisch für den Reggaeton ist der von einem Drumcomputer ge­spielten Dembow-Rhythmus. Es handelt sich hierbei in der Regel um ei­nen Viervierteltakt. Außerdem sind Reggaeton-Lieder von einem spani­schen Sprechgesang geprägt, welcher von jugendsprachlichen Ausdrü­cken und Slang-Wörtern behaftet ist. Darüber hinaus werden besonders sozialkritische Themen aufgegriffen, wie z.B. Kriminalität, Gewalt oder Rassismus, aber auch Themen des alltäglichen gesellschaftlichen Lebens, wie z.B. Liebe, feierliche Veranstaltungen oder Trennungen (vgl. Günther 2011, S. 7f).

2.2 Der spanische Grammatikunterricht heute

In Nordrhein-Westfalen ist der heutige Spanischunterricht insbesondere durch den zentralen Kernlehrplan3](2019) bestimmt. Er zeigt Aufgaben, Ziele oder Kompetenzbereiche und -erwartungen des Spanischunter­richts auf.

Das Ziel des Spanischunterrichts ist die Vermittlung von diversen Kom­petenzen, welche in Abbildung 2 zu erkennen sind. Durch ein grundle­gendes Sprachbewusstsein, was ebenfalls als Ziel des fremdsprachli­chen Spanischunterrichts gilt, sollen Schülerinnen darin gefördert wer­den, elementare Kenntnisse über die Struktur und die Anwendung der Zielsprache zu besitzen sowie davon Gebrauch zu machen, sodass so­wohl mündliche als auch schriftliche Interaktionsprozesse zu bewältigen sind.

Die für das Fach Spanisch angestrebte interkulturelle Handlungsfähig­keit erfolgt durch die Vermittlung grundlegender fachlicher Prozesse, die den untereinander vernetzten Kompetenzbereichen zugeordnet werden können. (KLP 2019, S. 13)

Diese sind an internationale Vorgaben, Kategorien und Referenzniveaus des „Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen“4]des Europarats angelehnt. Zu den angesprochenen Kompetenzbereichen zählen die funktionale kommunikative Kompetenz, die interkulturelle kommunikative Kompetenz, Text- und Medienkompetenz, Sprachlern­kompetenz und Sprachbewusstheit.

Neben der interkulturellen Kompetenz sollen sowohl die Text- und Medi­enkompetenz als auch die funktionale kommunikative Kompetenz ge­schult werden, die in gegenseitiger Wechselwirkung mit der Sprachbe­wusstheit und der Sprachlernkompetenz stehen. Im Grammatikunterricht wird insbesondere die funktionale kommunikative Kompetenz geschult, da hier sprachliche Mittel des Spanischen thematisiert und gelehrt wer­den. Aus diesem Grund steht in der vorliegenden Masterarbeit die funk­tionale kommunikative Kompetenz im Vordergrund und inwieweit diese durch den Einsatz von Reggaeton im spanischen Grammatikunterricht geübt werden kann.

Besonders die funktionale kommunikative Kompetenz ist für die vorlie­gende Arbeit von Relevanz, welche aus diversen Teilkompetenzen be­steht: Hör-/Hörsehverstehen, Leseverstehen, Sprechen (an Gesprächen teilnehmen/zusammenhängendes Sprechen), Schreiben und Sprach­mittlung (vgl. KLP 2019, S. 13).

Das Hör-(Seh-)Verstehen zielt darauf ab, dass Schülerinnen didakti- sierte und authentische Hör- bzw. Hörsehtexte zu unterschiedlichen Kommunikationssituationen verstehen. Das Leseverstehen hat zum Ziel, dass Lernende didaktisierte und authentische Texte unterschiedlicher Textsorten verstehen. Die Teilkompetenz Sprechen zielt darauf ab, dass die Lerngruppe zum einen an Gesprächen teilnehmen und zum anderen sich zu Themen in einem zusammenhängenden Text äußern können. Beim Schreiben geht es um das zusammenhängende Verfassen von Texten. Darüber hinaus zielt die Sprachmittlung darauf ab, dass sich Schülerinnen in zweisprachigen Kommunikationssituationen von didak- tisierten und authentischen Texten und Äußerungen adäquat ausdrü­cken und kommunizieren können. Es handelt sich lediglich um die sinn­gemäße schriftliche oder mündliche Wiedergabe der jeweils anderen Sprache.

Ein zentraler Punkt ist das Verfügen über sprachliche Mittel, welches be­deutet, dass Schülerinnen ein grundlegendes Repertoire sprachlicher Mittel funktional einsetzen. Dazu zählt ein kontinuierlich ausbaufähiger Wortschatz ebenso wie fundamentale Kenntnisse der spanischen Gram­matik und eine korrekte Aussprache (vgl. ebd.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb 2: Ziele des Spanischunterrichts in Nordrhein Westfalen kopiert aus dem KLP Sek I Spanisch NRW (2019)

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem didaktischen Potenzial von Reggaeton und zeigt auf, inwieweit es sich in den spanischen Gram­matikunterricht integrieren lässt. Daher wird in diesem Kapitel zunächst die Bedeutung des Grammatiklernens für den Fremdsprachenerwerb, aktuelle Annahmen zu induktiven und deduktiven Vorgehensweisen im Fremdsprachenunterricht sowie der aktuelle Forschungsstand zu dem Einsatz von Liedern im Spanischunterricht geschildert.

2.2.1 Bedeutung des Grammatiklernens fürden Spracherwerb

Um die Bedeutung des Lernens von Grammatik zu erläutern, muss vor­erst definiert werden, was in der vorliegenden Arbeit unter Grammatik verstanden wird. Der Duden definiert die Grammatik als

Teil der Sprachwissenschaft, der sich mit den sprachlichen Formen und deren Funktion im Satz, mit den Gesetzmäßigkeiten, dem Bau einer Sprache beschäftigt. (Duden-Online: Grammatik)

Aus dieser allgemeinen Definition lässt sich herausfiltern, dass es sich um Gesetze, Regeln und den Aufbau einer Sprache bzw. eines Sprach­systems handelt. Der Linguist Dieter Wunderlich ergänzt diese Definition mit den Worten:

Grammatik ist die Menge der Verfahren einer Sprache, um aus kleinsten bedeutungstragenden Einheiten mithilfe syntaktischer Konstruktionen komplexe Bedeutung herzustellen. (Wunderlich 1977, S.43)

Seiner Definition zufolge trage die Grammatik eine zentrale Funktion in der Sinnkonstruktion sprachlicher Äußerungen. Dies bedeutet, dass es sich bei Grammatik nicht nur um Bereiche der Morphologie und der Syn­tax, sondern auch um bedeutungskonstruierende und semantische Ein­heiten wie Sätze oder Wortgruppen handelt.

Grammatik gilt den beiden Definitionen zufolge als Instrument des Sprachverstehens und trägt eine wesentliche Rolle bei dem Verstehen, Beherrschen und Reflektieren einer Sprache bzw. eines Sprachsystems.

Heyd definiert den Begriffauffremdsprachendidaktischer Grundlage, in­dem sie sich explizit aufden Fremdsprachenunterricht bezieht: Gramma­tik beruhe auf sprachwissenschaftlichen Untersuchungen und sei der Lehr- und Lernstoff, der im Umgang und in der Anwendung von Sprache von Relevanz sei, d.h. um Sätze zu bilden, zu verstehen oder miteinan­der zu verknüpfen (vgl. Heyd 1991, S. 163). Fasst man ihre Definition der Grammatik zusammen, so gilt sie als Voraussetzung für das Beherr­schen und Verstehen einer Fremdsprache.

Auch mit Blick aufden spanischen Fremdsprachenunterricht erkennt der Didaktiker Miguel A. Martin Sänchez ebenfalls die Relevanz des Gram­matiklernens, indem er behauptet: „Io indiscutible es que la gramätica debe estar presente en la clase de espanol. Sin gramätica es imposible hablar“ (Martin Sänchez 2010, S, 71). Ohne Kenntnisse der spanischen Grammatik sei es nicht möglich, sich auf Spanisch auszudrücken, und sei somit ein unablöslicherTeil des Fremdsprachenunterrichts.

Aus den genannten Definitionen lässt sich herauskristallisieren, dass das Grammatiklernen einen legitimen und bedeutenden Platz im Fremdspra­chenunterricht eingenommen hat.

Demnach hat das Grammatiklernen im Spanischunterricht eine zentrale Bedeutung; dennoch wird kontrovers diskutiert, auf welche Art und Weise und mit welchem Ausmaß das Grammatiklernen für den Fremdsprachen­erwerb geschehen soll.

Zum Beispiel spricht sich der Sprachlehrforscher Reinhold Freudenstein in seinem Werk „Grammatik lernen? Nein, danke! Grammatik erwerben? Ja, bitte!“ (2000) gegen die grammatische Progression aus und betont die Bedeutung des beiläufigen Grammatiklernens. Darüber hinaus führe ein zu starker Fokus auf die Grammatik zu penibler Fehlerkorrektur und zur Betonung sprachlicher Richtigkeit.

Die Fremdsprachendidaktiker Prof. Dr. Helene Decke-Cornill und Prof. Dr. Lutz Küster empfehlen an dieser Stelle, ausgehend von kommunika­tiven Anlässen nach passenden sprachlichen Realisierungsmöglichkei­ten zu suchen und ein formbezogenes Lernen einzuschließen (focus on form) und sprechen sich ebenfalls gegen den herkömmlichen Regel­grammatikunterricht aus (focus on forms) (vgl. Decke-Cornill/Küster 2015, S. 174).

Die Ausrichtung und Gestaltung des Grammatikunterrichts werden kont­rovers diskutiert. Es steht jedoch fest, dass Schülerinnen die spanische Grammatik kennenlernen und behandeln müssen, um sich in der spani­schen Sprache auszudrücken. Insgesamt lässt sich in diesem Kapitel festhalten, dass das Grammatiklernen ein zentraler Bestandteil für das Lernen von Spanisch als Fremdsprache ist, jedoch vor allem in Anleh­nung an den Kernlehrplan 2019 im Unterricht eine dienende Funktion trägt:

Die sprachlichen Mittel haben in allen Kompetenzbereichen grundsätz­lich dienende Funktion, die erfolgreiche Kommunikation steht im Vorder­grund. (KLP 2019, S. 13)

In der vorliegenden Arbeit wird demnach die Ansicht vertreten, dass der Fokus im Spanischunterricht keineswegs rein aufGrammatik liegen soll, sondern, dass Schülerinnen die spanische Grammatik beiläufig in Kom­munikationssituationen lernen.

2.2.2 Aktuelle Annahmen zu induktivem und deduktiven Gramma­tikunterricht

Sowohl der induktive als auch der deduktive Lern- und Lehrstil wurde in den vorangegangenen Kapiteln beleuchtet. Nun werden aktuelle Annah­men diverser Untersuchungen zu der Effektivität im Unterricht aufge­zeigt, wobei diese Erkenntnisse zuletzt auf den spanischen Grammatik­unterricht bezogen werden.

Dem Psychologen Karl Josef Klauer (1993) zufolge sei es empirisch be­stätigt, dass induktiv und somit selbständig erarbeitetes Fremdsprachen­wissen besser im Gedächtnis gespeichert sei als deduktiv erarbeitetes Wissen. Darüber hinaus betont er, dass sich das induktive Lernen und Denken positiv auf die Fähigkeit ausübe, eine Fremdsprache zu lernen (vgl. Klauer 1993, S. 1ff).

Darüber hinaus hat die Fremdsprachendidaktikerin Aneta Kletzanderovä (2015) die Effektivität der induktiven Methode bei derfremdsprachlichen Grammatikvermittlung untersucht. Als Fazit der quantitativen Untersu­chung hält sie fest: „Die Ergebnisse der Teste zeigen, dass die induktive Methode im Vergleich zu der deduktiven neuen Grammatik effektiver ver­mittelt werden“ (Kletzanderovä 2015, S.43). In ihrer Untersuchung konnte die Hypothese verifiziert werden, dass Schülerinnen eine Infor­mation oder eine Regel in ihrem Gedächtnis fester verankern, wenn sie diese durch eine induktive Unterrichtsgestaltung selbständig entdecken und erfassen.

Der Linguist Pawel Hostynski (2001) untersuchte Äußerungen von 56 Deutschlernenden einer Oberstufe zu induktivem Vorgehen im Gramma­tikunterricht. Die Befragten äußerten sich subjektiv zu den Vorteilen des induktiven Unterrichts. Sie erwähnten beispielsweise die bessere Behal­tensleistung, welche am häufigsten genannt wurde, die Aktivierung der Lernenden im kognitiven Bereich, die Steigerung der Attraktivität des Un­terrichts, Abwechslung im Unterricht, Lernhilfe durch die Einbeziehung der Grammatikphänomene in den Kontext, die Anschaulichkeit der Grammatikdarstellung, die Steigerung der Verstehensleistung und der Lernmotivation etc. (vgl. Hostynski 2001, S. 47).

Dennoch äußerten sich vier Befragte negativ zu dem induktiven Lernen, indem sie sich aufAspekte beriefen, die sich hinderlich aufihre Lernhal­tung auswirken, wie zum Beispiel der beträchtliche Zeitaufwand oder das Abweichen von den eigenen Lerngewohnheiten, welches bei den Ler­nenden zu Demotivation führte (vgl. ebd., S. 47f).

Das induktive Lernen wurde wegen individueller Lerngewohnheiten und subjektiven Präferenzen von der Minderheit kritisiert, sei dennoch ernst zu nehmen.

Hostynski äußert sich mit Blick auf den hohen Zeitaufwand, „der zwei­felsohne ein Merkmal des induktiven Lernens ist“ (ebd., S. 48):

Es erscheint allerdings logisch, daß [sic] Regelerarbeitung unter aktiver Beteiligung der Lernenden mehr Zeit als die Regeldarbietung im deduk­tiven Vorgehen erfordern muß [sic], (ebd.)

Auch Kletzanderovä erwähnt den hohen zeitlichen Aufwand des indukti­ven Verfahrens, betont jedoch die höhere Effektivität (vgl. Kletzanderovä 2015, S. 43). Nach Angaben der Befragten zahle sich ebendieser Zeit­aufwand aus; dennoch bleibt kritisch zu berücksichtigen, dass die Lehr­kraft viel Zeit in die Erarbeitung eines (neuen) Grammatikthemas einpla­nen und investieren muss (vgl. Hostynski 2001, S. 48).

Mit Blick auf deduktive Vorgehensweisen im Grammatikunterricht gab niemand an, dass das deduktive Lernen, d.h. die Regeldarbietung, eine bessere Behaltensleistung als das induktive Lernen, d.h. die Regelerar­beitung, bringe (vgl. ebd.).

Denise Gwiasda (2015) untersuchte das induktive Lernen im lateinischen Grammatikunterricht, indem sie zwischen August 2012 und September 2014 ca. 400 Schülerinnen niedersächsischer Gymnasien zur induktiven und deduktiven Grammatikeinführung befragte und prüfte. Als wesentli­ches Ergebnis der empirischen Untersuchung hält sie fest, dass das induktive Prinzip nicht grundsätzlich vorzuziehen ist, da in den meisten Fällen durch ein deduktives Vorgehen ein höheres Maß an Grammatikkenntnissen erworben werden konnte. (Gwiasda 2015, S. 45)

Dennoch sind die Befragten nicht grundsätzlich von einem entdeckenden bzw. induktiven Grammatiklernen abgeneigt; ihr Wunsch nach Sicherheit lasse sich durch Arbeit im Plenum und durch zusätzliche Erklärungen der Lehrenden erfüllen. Gwiasda nennt diese Art von Unterricht gelenktes entdeckendes Lernen (vgl. ebd., S. 51).

Abschließend ist die Untersuchung von Sandra Gabrielsson zu erwäh­nen, welche belegt, dass die befragten Spanischlerner:innen nach eige­nen Angaben das deduktive Grammatiklernen effektiver und das induk­tive schwieriger finden. Subjektiven Angaben zufolge lernten sie durch die deduktive Unterrichtsführung mehr. Die Untersuchungen jedoch ergaben, dass das induktive Grammatiklernen effektiver sei. Dabei be­tont siejedoch, dass es sich um minimale Unterschiede handelt, sodass nicht eindeutige und endgültige Schlüsse gezogen werden können (vgl. Gabrielsson 2011, S. 24).

Es lässt sich für die vorliegende Masterarbeit festhalten, dass ein induk­tives Vorgehen im Spanischunterricht effektiver, jedoch zeitintensiver ist. Der Unterricht erscheint attraktiver und abwechslungsreicher. Darüber hinaus werden die Verstehensleistung und die Lernmotivation gesteigert. Dennoch ist ein deduktiver Grammatikunterricht nicht auszuschließen, da Schülerinnen hier ebenfalls ein hohes Maß an Wissen gewinnen kön­nen.

2.2.3 Aktueller Forschungsstand zum Einsatz von Liedern im Spa­nischunterricht

“[...] sin müsica no se puede aprenderespanol.”(Rojas Pichardo 2000, S. 183)

Der Romanist Juan Pedro Rojas Pichardo unterstreicht die Bedeutung der Musik im Prozess des Spanischlernens. Er behauptet, dass man ohne Musik kein Spanisch lernen könne. Stützt man sich auf seine These, lässt sich im spanischen Fremdsprachenunterricht nicht auf Mu­sik verzichten. Doch wie ist der aktuelle Forschungsstand zum Einsatz von Liedern im Spanischunterricht?

Einleitend ist anzumerken, dass keine theoretisch und empirisch beleg­ten Hypothesen und Untersuchungen zum positiven oder negativen Ein­fluss von Reggaeton-Liedern für den spanischen Fremdsprachenunter­richt existieren; jedoch ist der Einsatz von Liedern allgemein im Fremd­sprachenunterricht bereits aus diversen Perspektiven betrachtet und un­tersucht worden. Die folgenden Erkenntnisse und Annahmen sind im Rahmen der vorliegenden Masterarbeit ebenfalls auf Reggaeton-Lieder zu übertragen.

Die Integration von Musik in den Fremdsprachenunterricht wird in man­nigfachen Untersuchungen als positiv und effektiv bewertet (vgl. Khag- haninejad/Fahandejsaad 2016, S. 16). Unterschiedlichen Meinungen zu­folge werden durch Musik unter anderem kulturelle Aspekte vermittelt. Zum Beispiel sei jedes Arbeiten mit spanischen Liedern automatisch eine Auseinandersetzung mit der spanischen Kultur (vgl. Schatt 2007, S. 107).

Ein zentraler Bestandteil einer jeden Kultur ist die Sprache. Dabei haben Lieder und Sprachen gemein, dass sie aus akustischen Informationen, Phonemen, Tönen sowie Regelmäßigkeiten bestehen und auf Regeln bzw. auf einem Regelsystem basieren. Die Sprache wird in der Musik durch den Gesang aufgegriffen und widergespiegelt. Es sind beispiels­weise verschiedene grammatikalische Themen und Strukturen einer Sprache in Liedtexten zu finden (vgl. Khaghaninejad/Fahandejsaad 2016, S.18f). Diese sprachlichen Erscheinungen und Strukturen stellen einen erheblichen Teil des spanischen Grammatikunterrichts dar.

Welche sprachlichen Ziele der Spanischunterricht verfolgt, ist im KLP festgehalten. Hier wird betont, dass die Kommunikationsfähigkeit als fun­damentales Ziel des fremdsprachlichen Spanischunterrichts gelte. Eben­diese Fertigkeiten werden im Spanischunterricht durch kommunikative Situationen sowohl in interpersonalen als auch in medialen Kontexten realisiert (vgl. Bade et al. 2009, S. 188). Zu den interpersonalen Kontexten zählen beispielsweise der mündliche und schriftliche Bereich sowie das Hören und Erfragen von Informationen; zu den medialen Kon­texten zählen Medien wie das Radio oder Lieder. Durch den Einsatz von Liedern im Spanischunterricht können beide Kommunikationssituationen provoziert werden (s. Kapitel 2.3.3).

Lieder appellieren aufgrund ihrer Melodie, ihres Rhythmus und der in­strumentellen Ausgestaltung an die Emotionen der [Lernerinnen], Dies stellt neben dem Liedtext immer auch einen Sprechanlass dar. (Grüne- wald/Küster2015, S. 163).

Dies bedeutet, dass durch diverse einleitende Sprechanlässe die Sprechkompetenz geschult werden kann. Da Lieder in der Regel The­men liefern, die Lernerinnen emotional ansprechen, ist dieses Potenzial insofern auszuschöpfen, als es zur schriftlichen oder mündlichen Anre­gung zu nutzen ist (vgl. ebd.).

Die Fremdsprachendidaktikerin Camilla Badstübner-Kizik erwähnt eben­falls das Potenzial von Liedern im Unterricht, indem sie sowohl die Münd­lichkeit als auch die Schriftlichkeit berücksichtigt. Lieder können einen Anreiz für die Produktivität darstellen, um sich beispielsweise schriftlich oder mündlich zu dem Lied auszudrücken. So könne neben der Sprech­kompetenz auch die Schreibkompetenz geschult werden (vgl. Badstüb­ner-Kizik 2007, S. 16ff). Des Weiteren besteht die zusätzliche Möglichkeit der Schulung der Lesekompetenz, indem ein Liedtext während und nach dem Musikhören in Textform vorgelegt werden kann.

Durch das Hören des gesungenen Liedtextes entsteht im Spanischunter­richt ein Prozess des Hörverstehens. „Der emotionale Zugang und die Bedeutung der Musik für die meisten Jugendlichen schaffen ein Hörinte­resse“ (Grünewald/Küster 2015, S. 163). Dieses Interesse gilt als Moti­vation und somit als Motor für das Hörverstehen. Die Hörerinnen wollen erfahren, worum es in dem Lied geht (vgl. ebd.).

Zusammengefasst: Lieder lassen im Spanischunterricht reproduktive Ak­tivitäten zu, die neben der Hör-(Seh-)Kompetenz sowohl die Lese-, Schreib-, als auch die Sprechkompetenz schulen.

Außerdem bieten Lieder einen Anlass zur Nachahmung. An dieser Stelle lässt sich beispielhaft das Phänomen des sogenannten Ohrwurms auf­führen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird der Ohrwurm definiert als

[...] eine willkürlich auftretende Erinnerung an zuvor durch Anhören me­morierte Musik. Es äußert sich durch eine nicht willentlich hervorgeru­fene auditive Imagination, welche häufig mit der Praxis einhergeht, den .Ohrwurm' durch Singen, Summen, Pfeifen oder Mitklopfen des Rhyth­mus' zu begleiten, (vgl. Hemming 2009, S. 205)

Es besteht demnach die Möglichkeit, dass Schülerinnen den spanischen Liedtext, welcher authentische grammatische Strukturen enthält, intern oder extern aufsagen. Diese internen oder externen Wiederholungen führen zur Internalisierung des Gehörten und zum Speichern der akusti­schen Information im Langzeitgedächtnis (vgl. ebd., S. 204f). Das heißt für den spanischen Grammatikunterricht, dass gesungene morphosyn- taktische Strukturen intern oder extern wiederholt und im Langzeitge­dächtnis gespeichert werden.

Beim Hören und Singen des Liedes werde auch die Aussprache ge­schult. Diverser Untersuchungen zufolge habe Musik eine relevante Be­deutung bei der Entwicklung von phonemischem Bewusstsein, verbalem Gedächtnis, Wortschatz und Sprachkompetenz (vgl. Torkeh/Shabani 2014, S. 28). Behalten wir das Beispiel des Ohrwurms bei, so sagten Schülerinnen den Liedtext samt der grammatischen Strukturen, der Wörter und der spanischen Phoneme auf und verinnerlichten diese.

[...]


1 JIM st e ne Abkürzung für Jugend Information und Medien. Es hande t s ch um e ne Bas sun- tersuchung zum Med enverha ten von Jugend chen zw sehen 12 und 19 Jahren n Deutsch and.

2 Spotify ste nd g ta er Stream ngd enst für Mus k, Podcasts und V deos, m t dem man Zugrff auf L eder und andere künst er sehe (nternat ona e) Inha te hat (vg . On ne: Spot fy).

3Kern ehrp an für d e Sekundarstufe I, Gymnas um, n Nordrhe n-Westfa en; m Fo genden KLP genannt

4 m Fügenden GERS genannt

Ende der Leseprobe aus 112 Seiten

Details

Titel
Das didaktische Potenzial von Reggaeton für den spanischen Grammatikunterricht
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
2.5
Autor
Jahr
2022
Seiten
112
Katalognummer
V1192415
ISBN (eBook)
9783346639998
ISBN (Buch)
9783346640000
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Reggaeton, Spanisch, Didaktik, Fremdsprachendidaktik, Lingustik, Musik, Lieder, Pop, Grammatik, Grammatikunterricht
Arbeit zitieren
Allegra Goltz (Autor:in), 2022, Das didaktische Potenzial von Reggaeton für den spanischen Grammatikunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1192415

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