Anhand von Michel Foucaults Werken wird in diesem Essay der Krieg gegen den Terrorismus interpretiert. Zunächst wird die diskursive Dimension des War on Terror beleuchtet, um zu verstehen, welche Handlungsspielräume daraus erfolgen. Im Anschluss daran wird das foucaultianische Konzept der Biopolitik betrachtet, und wie diese mit dem Sicherheitsdiskurs zusammenhängt und welche realpolitischen Implikationen daraus folgen. Darin liegt letztendlich die Beantwortung der Frage: Wie kann der Krieg gegen den Terrorismus und die damit einhergehenden Maßnahmen legitimiert werden?
Einleitung
Ein Foto das die Welt erschüttert. Darauf zu sehen ist ein Mann, auf einer Kiste stehend, beide Arme von sich gestreckt, mit einem schwarzen Sack auf dem Kopf. An seinen Fingern und an seinen Genitalien sind Stromdrähte befestigt. Im Mai 2004 führen die Bilder aus dem irakischen Gefängnis Abu-Ghuraib zu einem weltweiten Aufschrei. Die Beweisfotos und -videos zeigen US-amerikanisches Wachpersonal, das irakische Insassen oft bis zum Tod vergewaltigt, misshandelt und foltert. Basis des Folterskandals bilden die Torture Memos, verabschiedet durch das US Department of Justice (Greenberg 2005, S. 45ff.). Es handelt sich hierbei um ein Memorandum, welches die Anwendung diverser Foltermethoden an terroristischen Verdächtigen legitimiert (Bybee 2002).
Nach den Anschlägen des panislamistischen Terrornetzwerks Al-Quaida am 11. September 2001 in New York verhängt der damalige Präsident George W. Bush den Ausnahmezustand und erklärt den Global war on Terror. Die Torture Memos sind nur eines in einer Reihe von Gesetzen und Verordnungen, die den exekutiven Handlungsspielraum erweitern (Förster 2017, S. 303- 318). Im Namen der Responsibility to protect werden präventive Überwachung, Kontrolle und Regression zu legitimen Handlungsmaßnahmen des Staates. Aus Gründen der humanitären Ethik und im Interesse der menschlichen Sicherheit sei es notwendig geworden, einen globalen Krieg gegen den Terror zu führen. Gleichzeitig ist das moderne Zeitalter des Liberalismus, indem wir uns heute befinden, wie kein anderes vom Ideal des Friedens geprägt. Das Ideal einer vom Krieg befreiten Gesellschaft und das Ende von Gewalt zum Wohl der gesamten Menschheit, zerschellt jedoch an der bitteren Realität. Krieg, Deportationen, Folter und Massentötungen bestimmen keine Epoche so sehr, wie die liberale Moderne (Reid 2016, S. 2). Wie also ist dieser Widerspruch zu erklären?
Als eine Disziplin, die sich mit der Globalen Ordnung beschäftigt, ist diese Frage in den Internationalen Beziehungen von besonderer Relevanz. Auch Michel Foucault, einer der bedeutendsten Philosophen unserer Zeit, widmete sich dieser Problematik. Anhand seiner Werke soll in diesem Essay der Krieg gegen den Terrorismus interpretiert werden. Zunächst soll die diskursive Dimension des War on Terror beleuchtet werden, um zu verstehen, welche Handlungsspielräume daraus erfolgen. Im Anschluss daran soll das foucaultianische Konzept der Biopolitik betrachtet werden, wie diese mit dem Sicherheitsdiskurs zusammenhängt und welche realpolitischen Implikationen daraus folgen. Darin liegt letztendlich die Beantwortung der Frage: Wie kann der Krieg gegen den Terrorismus und die damit einhergehenden Maßnahmen legitimiert werden?
Diskursive Dimension des „War on Terror“
Am Tag nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 vermittelten die Aufmacher der Titelseiten vieler internationaler Zeitungen bereits die Botschaft des Krieges. So titelte die USA Today „U.S. under attack“, The Dallas Morning News „War at home“ und die S üddeutsche Zeitung „Terror-Krieg gegen die USA“. Heute ist es nicht mehr zu rekonstruieren wann und von wem der Begriff „Krieg“ im Zusammenhang mit den Anschlägen zum ersten mal benutzt wurde. Möglicherweise war es der NBC-Korrespondent Tom Brokaw, der um 10:30 Uhr, zum Zeitpunkt des Einstürzens des zweiten Turms des World Trade Centers sagte: „there has been a declaration of war by terrorists on the United States, there's nothing short of that“ (Kirchhoff 2018, S. 181). Bedeutsamer als die Tatsache, wer den Begriff in diesem Zusammenhang zuerst verwendete, ist der Fakt, dass er sich rasend schnell ausbreitete und international den Diskurs über den Umgang mit Terror prägte.
Der Diskurs stellt ein zentrales Konzept in Fouaults Werken dar. Der Begriff ist jedoch, wie so oft bei Foucault, nicht statisch sondern wandelt sich in seiner Bedeutung im Verlauf seiner Werke (Lynch 2014, S.120-126). Diskurse sind einerseits Abfolgen von sozialen Wissensvorräten durch die Zeit, in denen gesellschaftliche Bedeutungsproduktion erfolgt und Dingen ihr allgemein anerkannter Sinn verliehen wird (Kirchhoff 2018, S. 179). Ein Diskurs ist für Foucault andererseits ein Zusammenspiel aus Polemik, Sprache und Strategie. Im Gegensatz zu strukturalistischen Ansätzen, die den Bedeutungswandel und die Beziehungen von Aussagen auf rein sprachlicher Ebene untersuchen, ordnet Foucault den Diskurs im Rahmen einer bestimmten sozialen Praxis und Strategie ein. Damit sind Diskurse Möglichkeitsräume des Sagbaren, in denen unterschieden wird, welche Wahrheit bzw. welches Wissen gültig und welches un-gültig ist (Lynch 2014, S. 120-126). Nach Jochen Hörisch lautete die Leitfrage von Foucaults Diskurstheorie: „Wer darf in wessen Namen mit welchen Folgen was zu wem sagen?“ (Hörisch 2004, S. 83). Die Folgen die sich aus dem Diskurs des „War on Terror“ ergeben, lassen sich nachvollziehen, wenn wir die Phrase historisch und politisch einordnen. „War on Terror“ kann heute als feststehende Metapher betrachtet werden.
Nach der Diskursanalyse von Foucault erscheinen in öffentlichen Diskursen Metaphern niemals willkürlich. Vielmehr sind sie Ausdruck von Wissensordnungen und basieren auf Regeln, die steuern was kollektiv gültig ist. Jeder Diskurs ist somit durch seine spezifische Methaphorik gekennzeichnet. Durch die Verwendung dieses methaphorischen Konzepts wird also die Wirklichkeitskonstruktion „Terror ist Krieg“ einer anderen Wirklichkeit, wie z.B. „Terror ist ein Verbrechen“ vorgezogen. Dass diese Wirklichkeitskonstruktion akzeptiert wird, ist bei einem Blick auf die US-amerikanische wenig verwunderlich. So ist die Phrase „war on.“ in den USA im politischen Diskurs bereits auf verschiedene Gegenstände angewendet worden und fest etabliert (Kirchhoff 2018, S. 181). So führte in den 1930er Jahren H. Edgar Hoover, der erste Direktor des Federal Bureau of Investigation, beispielsweise den War against Crime, Präsident Richard Nixon prägte in den 1970er Jahren den Ausdruck War against Drugs, nachdem sein Vorgänger Johnson der Armut den Krieg erklärt hatte (Helmig 2008, S. 196-197). Dabei steht Krieg stets als positiv kontierter Handlungsbegriff, als Aktionismus gegen das Schlechte, Gefährliche und in der Gesellschaft Unerwünschte. Der Begriff „Krieg“ vollzieht also einen Wandel weg von der Bedeutung des Kriegs als etwas, das dem Frieden, der Sicherheit und dem Wohl der Bevölkerung entgegensteht. Wohingegen der Terrorismus als etwas in Erscheinung tritt, das bekämpft werden muss, gegen das Krieg geführt werden muss.
Das Konzept des Terrorismus findet seine Anfänge zur Zeit der Französischen Revolution. Jedoch führt es damals noch eine gänzlich andere Bedeutung. Dieser Wandel bzw. eigentlich radikaler Bruch von der Bedeutung damals, zu dem, was wir heute darunter verstehen, kann durch die foucaultianische historiographischen Methode der Genealogie nachvollzogen werden. (Erlenbusch-Anderson 2018, S.22). Die Genealogie deckt Verästelungen von Machtstrategien auf, die wieder einen Diskurs prägen (Lexikon Foucault, S. 165). Im Jahr 1794 wird der Begriff Terrorismus zum ersten mal von dem Journalisten Jean-Lalbert Tallien verwendet, und bezieht sich dabei auf die Schreckensherrschaft von Robespierre. Innerhalb weniger Wochen ist der Begriff nicht mehr auf die Person Robespierre beschränkt, sondern bezeichnet allgemein ein gewaltsames Regierungssystem (Erlenbusch-Anderson 2018, S.46-52). Im 19. Jahrhundert kommt der Begriff seiner heutigen Bedeutung schon deutlich näher. So steht „Terrorismus“ in der Zeit nach 1945 im Zusammenhang mit innerstaatlicher politischer Gewalt, die auf eine Veränderung der nationalen Ordnung abzielt. Es geht also um die Gründung eines eigenen Staates, die Befreiung von Fremdherrschaft oder eine Veränderung der Staats- und Regierungsform. Als typische Beispiele sind die Anschläge der RAF in Deutschland, der IRA in Großbritannien, die ETA im Baskenland und die kurdische PKK zu nennen. Seit Ende der 1960er Jahre erscheint eine neue Form von Terrorismus auf der weltpolitischen Bühne. Es etablieren sich terroristische Organisationen und Netzwerke, die über Ländergrenzen hinweg operieren. Dies ist die Geburtsstunde des transnationalen Terrorismus. Die Zielsetzungen des nationalen und transnationalen Terrorismus bleiben bestehen, jedoch verändert sich die Strategie. Ausländer sind nun nicht mehr unglückliche zufällige Opfer, sondern werden ein strategisches Mittel. Durch die Internationalisierung werden Schockmomente produziert, die garantieren, dass der Rest der Welt den jeweiligen lokalen Konflikt nicht mehr ignorieren kann. Paradigmatisch sind hierfür die Flugzeugentführungen 1968, um palästinensische Häftlinge freizupressen oder die Entführung und Geiselnahme von israelischen Sportlern bei den Olympischen Spielen 1972 (Schneckener 2005, S. 43-45). Die vom Terrorismus ausgehende Gefahr ist nun nicht mehr an interne Konflikte gebunden, sondern stellt eine mehr oder weniger abstrakte, unberechenbare und allgegenwärtige Gefahr von Aussen dar. Durch das metaphorische Konzept des War on Terror wird der Terrorismus personifiziert und damit besiegbar. Es ermöglicht die Vorstellung eines klaren Sieges, der gegen ein abstraktes komplexes soziales Problem so nicht plausibel erscheint (Kirchhoff 2018, S. 183).
Es ist diese diskursive Dimension, welche Vorstellungen vom War on Terror schafft, die Notwenigkeit der anti-terroristischen Maßnahmen in den Fokus rückt und damit politische Handlungsspielräume eröffnet. Eben jene Notwenigkeit des War on Terror, des Kriegs gegen die Bedrohung der eigenen Sicherheit, basiert auf dem, was Foucault als Biopolitik bezeichnet.
Biopolitik und Sicherheit
Das Konzept der Biopolitik
Die Biopolitik ist ein Konzept Foucaults, das die Bevölkerungspolitik seit Ende des 18. Jahrhunderts beschreibt. Im klassischen Zeitalter des 17. und 18. Jahrhunderts habe die Disziplinarmacht den Diskurs bestimmt. Die Disziplinarmacht wirke auf die Körper der Individuen, die durch ständige Überwachung der kleinsten Teile ihres Lebens diszipliniert würden. In seinem Werk Überwachen und Strafen erläutert Foucault dieses Disziplinierungsmodell, welches allmählich angepasst und auf Gesellschaften als Ganzes angewendet wird. Nun erscheint Ende des 18. Jahrhunderts eine neue From der Macht: Die Bio- Macht. Die Bio-Macht ist weniger angelegt auf Disziplinierung der einzelnen Individuen, sondern fungiert vielmehr als regulierende Kraft der Bevölkerung. So schreibt Foucault in Society Must be Defended: „Biopolitics' last domain is, [...] control over relations between the human race, or human beings insofar as they are living beings, and their environment, the milieu in which they live.“ (Foucault 2003, S. 244 f.) Bei der Bio-Macht handelt es sich also um regulierende Lebenstechnologien, die auf Statistiken, Messungen und Datenerhebungen beruht und mit flächendeckenden Maßnahmen, wie beispielsweise Geburtenregelung, Bau von Arbeitersiedlungen oder Einrichtung von Fürsorgesystemen, arbeitet. Sowohl die Disziplinarmacht als auch die Bio-Macht koexistieren im Zeitalter der Biopolitik und vereinen sich in der Normierungsmacht. Diese definiert was normal und abnormal ist, was gültig und was ungültig ist. Das Resultat ist letztendlich eine Normalisierungsgesellschaft, deren Ziel die Optimierung der Leistungsfähigkeit, des Wohlstandes und des Wohlergehens der Bevölkerung ist (Foucault 2003, S.240 -260). Wenn nun das höchste Ziel der Biopolitik die Vermeidung von Unfällen, die Verlängerung der Lebensdauer, die Verbesserung des Lebens, also ganz Allgemein die Steigerung des Wohls der Bevölkerung ist, wie kann dann gleichzeitig Krieg erklärt und gerechtfertigt werden? Denn Tatsache ist, auch wenn die liberale Moderne am stärksten das Ideal des Friedens verfolgt, ist sie epochal durch Zunahme der militärischen Kapazitäten und Gewalt gekennzeichnet (Reid 2016, S. 2).
Das Sicherheitsdispositiv
Um dies zu verstehen muss die Biopolitik in Verbindung mit dem Sicherheitsdiskurs betrachtet werden. Foucault zufolge biete der Staat der Bevölkerung einen Sicherheitsvertrag an, der ihr ein friedliches Leben innerhalb der von ihm geschützten Grenzen garantiere. Deren Sicherung sei seine Hauptaufgabe. Der Wohlfahrtsstaat verspreche nun Sicherheit in einem breiten Sinn: vor Unsicherheiten, Unfällen, Schäden, Risiken, Arbeitslosigkeit. Die Menschen akzeptieren diese immer sich weiter entwickelnde, fürsorgende Macht, die Steuern, die Hierarchie, den Gehorsam, weil der Staat sie schützt (Demirovic 2008, S. 232).
Bevor Sicherheit jedoch überhaupt Gegenstand eines Diskurses werden kann, muss ihr ein praktisches Problem vorausgehen (Dillon, Lobo-Guerrero 2008, S. 274) . An dieser Stelle bringt Foucault das Sicherheitsdispositiv ins Spiel. Ein Dispositiv beschreibt er als „das Netz“, das „Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes“ miteinander verknüpft. Das Dispositiv ist also ein Mechanismus, der bestimmte Diskurse erst entfalten lässt, um infolge dessen Entscheidungen zu produzieren. Dispositive entstehen immer als Reaktion aus einem sozialen Notstand heraus und dienen dazu in einer Krise reagieren zu können.
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- Quote paper
- Vera Mair (Author), 2022, Biopolitik und der Diskurs um Sicherheit im Angesicht des War on Terror. Eine Interpretation mit Hilfe des Werks von Michel Foucault, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1190710
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