Gegenstand dieser Arbeit ist Des Mädchens Busen, eines jener Gedichte, die
Georg Maurer schon 1961 für die erste Auflage des Dreistrophenkalenders auswählte.
Maurer war, als er es schrieb, 43 Jahre alt, seit 4 Jahren verheiratet und Vater einer
Tochter. Ob dem Gedicht ein wahres Erlebnis zugrunde liegt, ob Maurer bei seinen Wanderungen durchs Leipziger Rosental (wo er gern poetische Fundstücke aufspürte)
ein junges Liebespaar beobachten konnte, ob sich gar hinter dem artikulierten Ich der
Autor selbst verbirgt – all das kann nicht beantwortet werden und ist, wie sich zeigen
wird, für die Interpretation unerheblich.
Erheblich ist indessen die lautliche Gestaltung des Gedichts, die neben formalen
und inhaltlichen Aspekten ausführlicher besprochen werden soll. Mittels der Vokale
und Diphthonge gibt Maurer seinen Versen einen spezifischen Klang und kann so ihren
semantischen Gehalt intensivieren.
Als Ansporn für die Interpretation soll ein Zitat von Heinz Czechowski dienen.
Er schreibt, dass die Gedichte des Dreistrophenkalenders „wohl naiv zu genießen sind,
sich aber der wirkliche Genuss erst dann einstellt, wenn man in ihnen die Bündelung
von Erfahrung und gedanklicher Durchdringung erkennt“.
Inhalt
1. Einleitung
2. Der Gegenstand der Interpretation
3. Die Interpretation
3.1. Formale Aspekte des Gedichts
3.2. Das Gedicht knapp erfasst
3.3. Der Titel
3.4. Strophe I
3.5. Strophe II
3.6. Die Symbolik der Taube führt zu Aphrodite
3.7. Strophe III
4. Abschließende Bemerkungen
5. Literatur
1. Einleitung
Der 2. Weltkrieg veränderte Georg Maurer (geboren 1907) als Menschen und als Dichter. Der in Leipzig lebende Lyriker zerbrach nicht an seinen Erlebnissen. Vielmehr erlangte er nach Kriegsende den Ruf eines unerschütterlichen Optimisten. Er begeisterte sich für kommunistische Ideale und löste sich von seinen mystischen Wurzeln. In den Jahren seiner Jugend hatte er noch „auf vielen Spaziergängen durch Parks und Wälder Trost bei den Bäumen“[1] gesucht. Einen Ausweg aus seiner regressiven Grundstimmung fand er über die Auseinandersetzung mit Marx’ Schriften. Der aktive, der produzierende Mensch bestimmte ab da nicht nur die Thematik seiner Dichtung, sondern stand auch Modell für Maurer selbst bei seinem lyrischen Schaffen.
In der Euphorie seiner neu erworbenen Lebenslust schrieb er 1950 und 1951 die rund 400 Gedichte des Dreistrophenkalenders. Bis sie als Buch erscheinen konnten, sollte allerdings noch ein Jahrzehnt verstreichen. In den 1950er Jahren sei „Dichtung als direkte Versifizierung politischer Haltungen“[2] aufgefasst worden, begründete Maurer das lange Desinteresse der DDR-Verlage. Erst nach einigen Jahren habe man „durch die Haut schauen und an äußeren Zügen die innere Konstitution entdecken gelernt“[3]. Die veröffentlichten Dreistrophenkalender waren bald vergriffen. Neue Auflagen folgten, für die nun auch renommierte Zeichner Illustrationen angefertigt hatten.
Wie der Buchtitel Dreistrophenkalender schon andeutet, ist die Gliederung in drei Strophen (die fast immer vier Zeilen umfassen) das gemeinsame formale Merkmal der Gedichte. Inhaltlich stellen die Metaphern, die überwiegend der Natur entnommen sind, eine Gemeinsamkeit dar. Für Georg Maurer ist die Natur „kein Fluchtraum [mehr], kein Refugium, in das sich der Dichter zurückzieht, uneins mit sich und der Welt“[4], sondern ein mannigfaltiger Fundus poetischen Materials. Im Gedicht kann sich Maurer die Natur aneignen. Er nutzt Naturbilder, um seiner Freude und seinen philosophischen Überzeugungen lyrischen Ausdruck zu verleihen.
Gegenstand dieser Arbeit ist Des Mädchens Busen, eines jener Gedichte, die Georg Maurer schon 1961 für die erste Auflage des Dreistrophenkalenders auswählte. Maurer war, als er es schrieb, 43 Jahre alt, seit 4 Jahren verheiratet und Vater einer Tochter. Ob dem Gedicht ein wahres Erlebnis zugrunde liegt, ob Maurer bei seinen Wanderungen durchs Leipziger Rosental (wo er gern poetische Fundstücke aufspürte) ein junges Liebespaar beobachten konnte, ob sich gar hinter dem artikulierten Ich der Autor selbst verbirgt – all das kann nicht beantwortet werden und ist, wie sich zeigen wird, für die Interpretation unerheblich.
Erheblich ist indessen die lautliche Gestaltung des Gedichts, die neben formalen und inhaltlichen Aspekten ausführlicher besprochen werden soll. Mittels der Vokale und Diphthonge gibt Maurer seinen Versen einen spezifischen Klang und kann so ihren semantischen Gehalt intensivieren.
Als Ansporn für die Interpretation soll ein Zitat von Heinz Czechowski dienen. Er schreibt, dass die Gedichte des Dreistrophenkalenders „wohl naiv zu genießen sind, sich aber der wirkliche Genuss erst dann einstellt, wenn man in ihnen die Bündelung von Erfahrung und gedanklicher Durchdringung erkennt“[5].
2. Der Gegenstand der Interpretation
Des Mädchens Busen
Des Busens Tauben schauen aus,
eng angepresst ans Taubenhaus,
von leichtem Spitzenduft verhängt,
durch den das Taubenpaar sich drängt.
In zarter Wolke tritt es vor,
von lauter Milde schwellend dicht
und übertritt des Leibchens Flor
und ist nun ganz im Rosenlicht.
Ich halt wie Falken an den Ketten
der Blicke Schüsse jäh zurück
und lass das Taubenpaar sich retten
in meine Hand – gefüllt vom Glück.
3. Die Interpretation
3.1. Formale Aspekte des Gedichts
Das Gedicht ist in drei Strophen mit je vier Versen gegliedert. Zunächst fällt auf, dass jede Strophe syntaktisch aus einem Satz besteht. Die Satzschlusszeichen verstärken den jeweiligen Strophenschluss.
Strophe I und Strophe II sind durch Zeilenstil gekennzeichnet, d.h. Haupt- und Nebensätze schließen mit dem Versende ab. Im Unterschied dazu finden sich in Strophe III zwei Enjambements (vom 1. zum 2. und vom 3. zum 4. Vers), durch die aber keine Syntagmen gebrochen werden. Den letzten Vers teilt mittig eine Zäsur, die mit einem Gedankenstrich deutlich markiert ist.
Das Metrum, ein alternierender Vierheber mit Auftakt (Jambus), wird im ganzen Gedicht durchgehalten. Bereits der Titel ist jambisch. Alle Versenden sind männlich, ausgenommen der 1. und 3. Vers in Strophe III sowie der Titel.
Das Reimschema des Gedichts lautet in der Kurzform: a a b b c d c d e f e f. Strophe I (Paarreim) unterscheidet sich hier von Strophe II und III (jeweils Kreuzreim). Die Reinheit der Reime ist durchweg gegeben.
Die obigen Beobachtungen spiegeln den strengen formalen Aufbau des Gedichts wider. Als ersten Eindruck vermittelt es Harmonie, erzeugt durch in sich geschlossene Strophen, gleichmäßige Verse, das monotone Metrum und die reinen Endreime.
Bei der Interpretation gilt den formalen Abweichungen, durch die jede Strophe einen eigenen Charakter erhält, erhöhte Aufmerksamkeit. Strophe I hebt sich durch den Paarreim von den Strophen II und III (Kreuzreim) ab. Strophe III verspricht aufgrund der beiden Enjambements, in denen eine weibliche Kadenz eingebettet ist, und aufgrund der Zäsur weitere Interpretationsimpulse.
Es bietet sich nun an, jede Strophe separat zu interpretieren und die Ergebnisse anschließend zusammenzuführen. Damit die Interpretation anschaulich bleibt, soll die ‚Handlung’ des Gedichts knapp nacherzählt werden.
3.2. Das Gedicht knapp erfasst
Der Titel des Gedichts kündigt den Busen eines Mädchens als Thema an. Bereits mit dem 1. Vers verlässt der Text jedoch die Sphäre eines menschlichen Körpers und wechselt ins Tierreich. So ist nun plötzlich von „Tauben“ die Rede, die zuerst aus einem mit „Spitzenduft“ verhängten „Taubenhaus“ herausschauen, um wenig später, gehüllt in eine „zarte[...] Wolke“ und über „des Leibchens Flor“ hinweg, ins „Rosenlicht“ zu tre- ten. Zuletzt finden die Tauben, bei denen es sich um ein „Taubenpaar“ handelt, in der Hand eines „Ich“ Zuflucht. Das Ich hat kurz zuvor „der Blicke Schüsse“ aufgehalten, welche sich „wie Falken an den Ketten“ gebärdeten. Anscheinend waren es die Falken, vor denen sich die beiden Tauben in Sicherheit gebracht haben.
Die Tauben werden über ein vorangestelltes Genitivattribut vorgestellt („Des Busens Tauben“). Der Genitiv drückt Zugehörigkeit aus. Die Tauben stehen demnach in untergeordneter Beziehung zum Busen; sie können abstrakt gesehen ein Bestandteil des Busens sein, aber auch seine Bewohner. Da es zwei Tauben sind, liegt nahe, sie mit den Brüsten des Mädchens gleichzusetzen. Das Ich hält also zum Schluss zwei Brüste in der Hand, die im Text als Tauben bezeichnet werden.
Unverkennbar ist Des Mädchens Busen ein erotisches Gedicht: Zuerst werden die Brüste einer Frau interessiert betrachtet; schließlich kann das artikulierte Ich diese Brüste berühren. Emotionale Prozesse und Handlungen, die währenddessen stattfinden, sind allegorisch beschrieben.
3.3. Der Titel
Maurer verwendet in seinem Gedicht an vier Stellen eine Substantivgruppe mit vorangestelltem Genitivattribut, was für den Alltagsgebrauch des Deutschen untypisch ist („Des Mädchens Busen“, „Des Busens Tauben“, „des Leibchens Flor“, „der Blicke Schüsse“). Dadurch wird ein gehobener Stil erzeugt. Der gehobene Stil betont, dass im Gedicht keine Banalitäten thematisiert werden. Außerdem erlaubt die Wortstellung den durchgängigen Gebrauch des jambischen Metrums.
Bereits der Titel („Des Mädchens Busen“) entspricht der Substantivgruppe mit vorangestelltem Genitivattribut – mit dem soeben beschriebenen Effekt. Das Besondere am Titel ist, dass er im Gegensatz zu den drei anderen Fällen nicht als Metapher gelesen werden kann.
[...]
[1] Maurer 1973, S. 59.
[2] Ebd., S. 56.
[3] Ebd.
[4] Czechowski 1973, S. 90.
[5] Ebd., S. 88.
- Quote paper
- Volkmar Abel (Author), 2001, "Des Mädchens Busen" - Interpretation eines Gedichts aus Georg Maurers Dreistrophenkalender, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119019
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