Connells Konzept der Hegemonialen Männlichkeit wird umfassend vorgestellt. Es wird aufgezeigt, welche Antworten Connell mit dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit bietet, welche Vorschläge er macht und in welche Richtung dieses Konzept thematisch weist. Dabei werde ich mich auf drei Problempunkte konzentrieren:
1.) Wie definiert Connell die Pluralität von Männern und Männlichkeit? Wie beschreibt er das Verhältnis von Macht und Männlichkeit? Welche Rolle spielen die Männer bei Connell für die Erhaltung und Reproduktion der Geschlechterhierarchie?
2.) Wie bezieht Connell die Frauen diesbezüglich ein? Welche Fragen hinsichtlich des weiblichen Geschlechts ergeben sich aus Connells Konzept?
3.) In welcher Richtung könnte sich, anknüpfend an oder in Reaktion auf Connells Konzept, die Geschlechterforschung weiterentwickeln? Was sind aus meiner Sicht Kritikpunkte und mögliche neue Ansatzpunkte?
Da Connells Konzept sich auf Männer und Männlichkeit bezieht, ist für den zweiten Punkt natürlich nur eine begrenzte Diskussion der weiblichen Rolle für das Verhältnis von Macht und Geschlecht zu erwarten. Ich werden diesen Punkt trotzdem bearbeiten und zwar unter dem Gesichtspunkt, daß Connells Konstruktion eingedenk der Relationalität der Geschlechter zumindest Ansätze und Anknüpfungspunkte in dieser Richtung erkennen lassen sollte.
Zur Struktur der Arbeit: In den ersten beiden Teilen der Arbeit werde ich Connells Konzept ausführlich darstellen. Dazu werde ich im ersten Teil seine Vorstellungen zu einer Analyse der Geschlechter referieren, um im zweiten Teil dann auf seine Analyse von Männlichkeit einzugehen. Diese beiden Teile sind eng miteinander verflochten und ergänzen und bedingen einander. Dabei werden von Connell eine Reihe von bestehenden Ansätzen und Konzepten besprochen. Zum einen solche, die für die Entwicklung des Konzeptes der hegemonialen Männlichkeit in passivem Sinne grundlegend sind, auf die sich Connell z.B. kritisch bezieht. Zum anderen diejenigen, auf die Connell sein Konzept theoretisch aufbaut. Im dritten Teil der Arbeit werde ich kurz auf die Anwendung des Konzeptes in Deutschland eingehen, um dann im vierten Teil die meines Erachtens bedeutendsten Aspekte des Konzeptes bei der Darstellung von Männlichkeit, Weiblichkeit und der Reproduktion der Geschlechterverhältnisse darzustellen. Dabei werde ich dann Connells Konzept diskutieren und versuchen, die oben gestellten Fragen zu beantworten.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Connells Analyse der Geschlechterverhältnisse
1.1. Die Kritik des Geschlechtsrollenkonzeptes
1.1.1. Talcott Parsons
1.1.2. Joseph Pleck
1.2. Machtanalyse und Kategorialismus
1.3. Biologische vs. soziale Faktoren
1.4. Ansatz einer Theorie der Geschlechter
1.4.1. Das soziale Geschlecht
1.4.2. Soziale Praxis - körperreflexive Praxis
1.4.3. Konfigurationen der Geschlechterpraxis
1.4.4. Die Struktur von Geschlecht
1.5. Politisches Wissen
1.5.1. Die Schwulenbewegung
1.5.2. Der Feminismus
1.6. Geschlecht und Staat
1.6.1. Zum Patriarchatsbegriff
1.6.2. Connells neuer theoretischen Rahmen
1.6.3. Krisentendenzen
2. Connells Analyse von Männlichkeiten
2.1. In der Tradition der Psychoanalyse
2.1.1. Siegmund Freud
2.1.2. Carl Gustav Jung
2.1.3. Alfred Adler
2.1.4. Weitere wissenschaftliche Richtungen in Anlehnung an die Psychoanalyse
2.2. Die Einbeziehung des Körpers in die Analyse von Geschlecht und Männlichkeit
2.2.1. Das bisherige Verständnis
2.2.2. Connells Ansatz
2.3. Bestehende Definitionen von Männlichkeit
2.3.1. Essentialistische Definitionen
2.3.2. Die Definition der positivistischen Sozialwissenschaft
2.3.3. Normative Definitionen
2.3.4. Semiotische Ansätze
2.4. Zur Konstruktion von Männlichkeit
2.5. Männlichkeiten im Rahmen von Geschlechterbeziehungen
2.6. Männlichkeiten und ihre Beziehungen untereinander
2.6.1. Hegemonie
2.6.2. Unterordnung
2.6.3. Komplizenschaft
2.6.4. Marginalisierung und Ermächtigung
2.7. Die besondere Rolle der Homosexualität
2.8. Ethnographie, Geschichte und Wandel von Männlichkeiten
2.9. Männlichkeiten und Staat
2.10. Gewalt, Krisentendenzen und gegenwärtige Veränderungen von Männlichkeiten
2.11. Ausblick
3. Connell in Deutschland
3.1. Michael Meuser: Der männliche Habitus
3.2. Joachim Kersten: Kriminalität und Geschlecht
4. Diskussion des Konzeptes
4.1. Praxisorientierung
4.2. Die Darstellung von Männlichkeit
4.2.1. Der männliche Körper
4.2.2. Die Nutzung psychoanalytischer Erkenntnisse
4.2.3. Differenzierung in Männlichkeiten
4.2.4. Männlichkeit und Gewalt
4.2.5. Männlichkeit und Macht
4.3. Darstellung von Weiblichkeit
4.4. Die Reproduktion des Geschlechterverhältnisses
4.5. Relationalität
4.5.1. Der Hegemoniebegriff
4.6. Möglichkeiten des Konzeptes der hegemonialen Männlichkeit
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
Danksagung
„What matters about oppression is not an ultimate „why“, but this: it exists; it has a history; it is possible to explore its dynamic; and it is possible to fight it.“ (Robert W. Connell 1982: 317)
Einleitung
Im Sommersemester 1999 bekleidete der australische Soziologe und Männerforscher, Robert W. Connell, Professor für Soziologie und Erziehungswissenschaft in Sydney, eine Gastprofessur für Internationale Feministische Studien an der Bochumer Ruhr-Universität. Prof. Connell besuchte Deutschland bereits zwei Jahre zuvor, 1996 als Gast des DFG-Graduiertenkollegs „Geschlechterverhältnis und Sozialer Wandel“ (Universität Dortmund/RUB). Von 1987 bis 1988 war er Präsident der Sociological Association of Australia und New Zealand. Zudem gibt er Fachzeitschriften wie „Theory and Society“, „Gender and Society“, „Journal of Gender Studies“ oder „Gender, Work and Organization“ heraus. Damit, daß sie die „Marie-Jahoda-Professur - Internationale Gastprofessur für Frauenforschung“ mit einem Mann besetzt, beschreitet die Bochumer Frauenforschung einen in Deutschland ungewöhnlichen, wenn nicht sogar sensationellen Weg. Connell ist Erziehungswissenschaftler und Soziologe und gilt derzeit als wichtigster Vertreter der ‘kritischen Männer- und Geschlechterforschung’. Seit Mitte der 1980er Jahre beschäftigt er sich mit den gesellschaftlichen Bedingungen von Männlichkeit. Die Themen Connells sind ein in Deutschland nur wenig diskutiertes und erforschtes Thema. Connell verbindet sozialwissenschaftliche Analysen mit subjektiven Erfahrungen von Männlichkeit und erforscht die gesellschaftlichen Bedingungen von Männlichkeit bei der schulischen Jungensozialisation oder in empirischen Projekten zu Aids, Sexualität und Geschlecht (vgl. Internet-Mitteilung der Ruhr-Universität Bochum vom 17.03.1999).
Connells Augenmerk gilt der weltweiten materiellen Ungleichheit von Frauen und Männern, sein Engagement der Abschaffung des globalen Patriarchats. In einem Interview der TAZ vom 31.07.1999 begründet er sein Engagement für die Abschaffung des Patriarchats mit seinen Erfahrungen im Milieu der sozialen Bewegungen in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren und damit, daß er eine feministische Partnerin hatte. „Man mußte damals die politischen Prinzipien, die man vertrat, leben“. Es sei darauf angekommen, das Privatleben praktisch zu „entpatriarchalisieren“. „Das war eine harte Zeit“, sagt Connell heute, „ich war und bin kein Held des Privatlebens.“ Connell wollte es nicht beim Engagement im Privaten belassen, sondern sich dort gegen das Patriarchat engagieren, wo er arbeitete: an der Universität, in den Sozialwissenschaften (vgl. die tageszeitung, Magazin Nr. 5900: 6).
Thematischer Hintergrund meiner Arbeit ist eben dieses Hauptanliegen gegenwärtiger Geschlechterforschung, die aus den bestehenden Machtverhältnissen erwachsenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zu beseitigen und mithin eines der Kernthemen - den Zusammenhang zwischen Macht und Geschlecht - zu analysieren (vgl. Connell 1982). Zu diesem Zweck stelle ich Connells Konzept der hegemonialen Männlichkeit in den Mittelpunkt meiner Arbeit, um es vorzustellen, zu diskutieren und mit Hilfe dieses Ansatzes die mich bewegenden Fragen zu verfolgen.
In der Geschlechterforschung ist inzwischen relativ unstrittig, daß es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede gibt, die in irgendeiner Weise eine Ungleichbehandlung von Frauen und Männern im Sinne von Diskriminierungen, Unterdrückungen und Bevorzugungen rechtfertigen (vgl. Hagemann-White 1984). Damit scheint die Grundlage für die Unterdrückung der Frauen zumindest theoretisch beseitigt, auch wenn diese wissenschaftliche Erkenntnis bisher nur begrenzt Einzug in das private, öffentliche, politische und wirtschaftliche Leben gehalten hat. Um so mehr spielt nun aber meines Erachtens die Frage nach der „immer wieder neuen Reproduktion patriarchalischer Geschlechterbeziehungen“ (Gerhard 1990: 424) eine Rolle. Wer oder was sind die Träger der geschlechtlichen Ungleichheiten und der darauf aufbauenden Ungleichbehandlungen? Neben und im Zusammenhang mit strukturellen Ursachen für die Reproduktion als eine Grundlage der Hierarchie (u.a. Connell 1983; Hirschauer 1994; Hoffmann 1997a; Popp 1997) stellt sich die Frage nach dem Zusammenspiel beider Geschlechter bei der Reproduktion der Ungleichheitsverhältnisse. Dies ist meines Erachtens auch ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Beseitigung der Geschlechterhierarchie. Dazu gehört zweifellos die Analyse des Verhältnisses von Macht und Geschlecht, die zu verknüpfen ist mit der Frage, wie die bestehenden Machtverhältnisse immer wieder neu entstehen bzw. welches die ‘Mechanismen’ sind, durch die ein Fortbestehen der patriarchalen Strukturen gesichert wird. Und daran knüpfe ich die Frage nach der geschlechtlichen Differenzierung des Reproduktionsproblems an. Kann man hier überhaupt geschlechtlich differenzieren? Und wenn ja, wie? Diesen Fragen wurde bisher überwiegend entweder ohne geschlechtliche Differenzierung oder mit einem Fokus auf die Männer nachgegangen. Es reicht hierbei meines Erachtens auch nicht aus, auf das ‘historische Gewordensein’ der Verhältnisse (vgl. Gerhard 1990: 423)1 zu verweisen. Dies ist zwar unumgänglich für ein Verständnis der gegenwärtigen und ‘tagtäglichen Reproduktionsmomente’, kann aber eine intensive Beschäftigung mit diesen Momenten als Voraussetzung für eine Änderung bestehender Verhältnisse nicht ersetzen. Was Christine Hohmeyer als ein Aufgabe von Theorie und Praxis der Frauenbewegung sieht, nämlich zu zeigen, „inwieweit der Einzelne an der Herstellung der [Geschlechter]kategorien2 selbst beteiligt ist und diese durch das scheinbar zwanglose Einfügen in die parallele Organisation der Geschlechter stützt“ (Hohmeyer 1998: 496), kann meines Erachtens inklusive der Erweiterung auf ‘ die Einzelne’ als Aufgabe auch der Geschlechterforschung und der Männerforschung gesehen werden.
Natürlich hat diese Problematik einen nicht zu unterschätzenden politischen Aspekt. So schreiben z.B. Armbruster/Müller/Stein-Hilbers (1995), daß neben anderen Autoren auch Böhnisch/Winter in ihrem Buch „Männliche Sozialisation“ (1993) der feministischen Forschung den Vorwurf der Vernachlässigung einer relationalen Perspektive bei der Erforschung des Geschlechterverhältnisses machen würden und bezeichnen dies in Bezug auf Susan Faludi (1993) als „Backlash-Phänomen“. Zumindest für Böhnisch/Winter kann ich dies so nicht nachvollziehen. Vielmehr sehe ich in ihrem Ansatz einen Versuch, aus der Position des (als Mann und Wissenschaftler) ‘Betroffenen’ heraus die feministischen Anregungen aufzunehmen und einen nächsten notwendigen Schritt mit dem Wissen und den Möglichkeiten der Binnenperspektive zu gehen. In diesem Sinn stellt ihr Ansatz für mich mitnichten einen Affront zum Feminismus dar, sondern vielmehr eine wesentliche Bereicherung der Diskussion der aktuellen Probleme der Geschlechterforschung, gerade was die intra- und intergeschlechtliche Relationalität angeht, auf die ich im vierten Teil meiner Arbeit auch noch näher eingehen möchte.
Ich werde im folgenden kurz den Hintergrund beleuchten, der zur Wahl dieses Themas führte, um zu verdeutlichen, was mich bewogen hat, mich gerade dieser Problematik zuzuwenden und warum ich dies unter Einbeziehung des Konzeptes von Connell tun will. Ausgangspunkt ist die Tatsache, daß ich mich im Rahmen meines Hauptstudiums schwerpunktmäßig mit der Geschlechterforschung beschäftigt habe. Dabei stieß ich mit fortschreitender Lektüre der Diskussion zur Geschlechterproblematik auf ein Problem, das ich im weiteren Studium nicht mehr aus den Augen verlor: Es verfestigte sich bei mir der Eindruck einer ‘Schieflage’ in der Diskussion der Geschlechterproblematik dahingehend, daß
a) Männer und Männlichkeit überwiegend als aktiv gestaltend, in der Täterrolle und für die Unterdrückung der Frau (im Sinne struktureller, gesellschaftlicher Unterdrückung) verantwortlich dargestellt werden, daß
b) Frauen und Weiblichkeit meist unter dem Gesichtspunkt der passiven Opferschaft oder in der Rolle der besseren Menschen (in eben diesem strukturellen Sinn) betrachtet werden3 und daß
c) beide Geschlechter dabei mehr oder weniger undifferenziert vereinheitlichend als eine homogene Gruppe oder ‘Geschlechterklasse’ betrachtet werden.
Von einer Schieflage spreche ich deswegen, weil meines Erachtens beide Geschlechter aktiv an der Gestaltung ihres Verhältnisses zueinander beteiligt sind und dies in jeweils sehr differenzierter Form. Wenn man denn, diese Erkenntnis setzt sich in der Geschlechterforschung teilweise durch, nicht von bedeutungsvollen und verhaltensspezifischen Geschlechtsunterschieden sprechen kann (z.B. Hirschauer 1994; Crompton 1995), dann kann man dies als Widerspruch zu dem immer noch bestehenden Fokus auf Männer als dem aktiven Gechlecht in der geschlechterpolitischen Debatte auffassen. Diese Problematik interessiert mich wie gesagt insbesondere unter dem Vorzeichen der Reproduktion der Geschlechterhierarchie.
Insbesondere in der Männerforschung erleben wir so eine Selbstbeschränkung auf Männer und Männlichkeit, die eine Analyse von Frauen und Weiblichkeit ausschließt. „Auf einer inhaltlichen Ebene wird dadurch zum einen die relationale Analyse von Männlichkeiten und Weiblichkeiten vernachlässigt und zum anderen eine tendenzielle Festschreibung der Differenz der Geschlechter verstärkt. [...] Die Relationalität der sozial konstruierten Geschlechterkategorien gerät [...] aus dem Blickfeld“ (Armbruster u.a. 1995: 11). Frauen tauchen so entweder gar nicht oder nur am Rand und dann als passives und unterdrücktes Geschlecht ohne eigenen Anteil an der Konstruktion der Geschlechterverhältnisse auf.
Ein ähnliches Problem besteht in der feministischen Forschung. Bereits in frühen feministischen Analysen des Arbeitsmarktes, so bei Barrett (1983), wird das Geschlechterverhältnis weitestgehend mit der Unterdrückung von Frauen durch Männer gleichgesetzt und auf diesen Aspekt verengt, ohne nach Ursachen zu fragen (vgl. auch Adkins/Lury 1995). Bis in die Gegenwart „wird eine Beschäftigung mit spezifisch männlichen Lebenskontexten abgelehnt und das männliche Geschlecht einzig auf der Grundlage eines Feindbildes bzw. mit dem Status eines potentiellen Täters am Rande in die Analyse weiblicher Lebenszusammenhänge einbezogen“ (Seidel 1997: 114). Dagegen fordert Constance Engelfried, die unterschiedlichen Ebenen auseinanderzuhalten. „Männerwunschbilder, patriarchale Strukturen sowie im Alltag erlebbare Männlichkeiten müssen unterschiedlich reflektiert werden“ (Engelfried 1997: 30). Das Problem schlägt sich weiter nieder in der Spaltung der feministischen Forschung in die Untersuchung der Konstruktion von Geschlecht einerseits und die Analyse von Hierarchien und Ungleichheiten andererseits (vgl. Crompton 1995).
In einigen feministischen Konzepten und Publikationen feministischer Literatur (z.B. Dinnerstein 1979; Chodorow 1986; Thürmer-Rohr 1990; Benard/Schlaffer 1994; Musfeld 1996 u.a.) und der Männerverständigungsliteratur (z.B. Farrell 1989; sehr polemisch und teilweise unsachlich Mattussek 1998) wird explizit auf die aktiv mitgestaltende Rolle der Frau für die Geschlechterverhältnisse eingegangen, was aber eher auf die individuelle und zwischenmenschliche, sprich Mikroebene beschränkt bleibt. Mich interessiert nun, warum das so ist bzw. ob diese Widerspiegelung in der Diskussion der Geschlechterproblematik und in der Geschlechterforschung tatsächlich dem realen Verhältnis der Geschlechter, insbesondere bezüglich seiner Reproduktion, entspricht.
Es wäre unsinnig zu leugnen, daß die Sensibilität für diese Aspekte natürlich auch aus meiner eigenen Geschlechtszugehörigkeit erwächst. Ich bin mir im klaren über die Gefahren, denen ich dadurch ausgesetzt bin, wenn ich das Thema dennoch mit soziologischem Anspruch bearbeiten will. Der Leser wird selber beurteilen können, inwieweit mir eine nüchterne wissenschaftliche Herangehensweise geglückt ist und inwieweit ich die vorhandene Emphatie für das Thema in wissenschaftlich-produktive Energie umwandeln konnte. Margrit Brückner schreibt dazu in Bezug auf Sigrid Metz-Göckel (1993), daß eine „bewußte, aber gleichwohl reflektierte Parteilichkeit [...] eine sinnvolle Alternative zu objektivistischen Ausblendungen [ist], wo der Einfluß des Geschlechts auf Themenzuschnitt und Forschungsperspektive geleugnet wird“ (Brückner 1998: 62).
Ein Ziel bei der Erstellung der Arbeit ist es für mich, auch provokant zu sein im Stellen von Fragen und im Aufzeigen möglicher Wege. Ich möchte mich nicht darauf beschränken, vorhandenes Wissen wiederzugeben, eingefahrene Gleise zu benutzen. Das schließt das Risiko ein, Fehler zu machen. Fehler, von denen ich aber hoffe, daß sie auch produktiv sind, indem sie Widerspruch erzeugen und zum Weiterdenken in derzeit weniger etablierten Richtungen anregen. So werden sich dann am Ende der Arbeit sicher auch neue Fragen ergeben, die aus meiner Beschäftigung mit dem Thema resultieren.
Nun zur Frage, warum ich mich bei der Bearbeitung der genannten Probleme wesentlich an Connell orientiere. Sein Ansatz eröffnet für die Männerforschung und damit auch für die Geschlechterforschung neue Qualitäten. Connells Werk hebt sich innerhalb der Männerliteratur dadurch hervor, daß es keinen Versuch einer Revision oder Identitätssicherung von Männlichkeit darstellt. Connell analysiert im Gegenteil Ansätze, die in diese Richtung gehen und zeigt deren Unzulänglichkeiten auf. Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit stellt einen der jüngsten und einflußreichsten Entwürfe einer Theorie der Geschlechterverhältnisse dar, die „im Rahmen einer grundlegenden Revision traditionsreicher Sozialtheorie“ (Armbruster u.a. 1995: 10) eine Strategie des sozialwissenschaftlichen Umganges mit Geschlecht darstellt. Connell geht dabei von der Annahme aus, „daß Geschlechterverhältnisse durch Ungleichheit und Unterdrückung gekennzeichnet sind“ (Armbruster u.a. 1995: 10). Damit wird er einer wesentlichen Forderung an aktuelle Geschlechterforschung gerecht. Sein Anliegen ist es, die Männer als herrschendes Geschlecht zu analysieren, dabei aber geschlechtsintern zu differenzieren. Mit der feministischen Forschung, von der sein Ansatz inspiriert ist, verbindet Connell die wichtigsten Innovationen in den Sozialwissenschaften des 20. Jahrhunderts. Er ist damit ein Autor, der sich der feministischen Herausforderung stellt, indem er versucht, konstruktiv auf innovative Ansätze aufzubauen bzw. ausgehend von den Anregungen des Feminismus nach Lösungen für die Geschlechterproblematik zu suchen. Die feministische Wissenschaftskritik lehnt sich umgekehrt inzwischen teilweise an Connell an. Das Konzept hat eine weltweite Verbreitung erfahren, hat auf empirischem und pädagogischem Gebiet sowie bei wissenschaftlichen Abschlußarbeiten wesentliche Anregungen gegeben. Insbesondere auch seine drei zentralen Strukturen ‘Macht’, ‘Arbeitsteilung’ und ‘Kathexis’ werden in ihrer Zusammenführung zu unterschiedlichen Geschlechterregimes thematisiert. Dabei wurden die drei Strukturen selber bisher weniger stark aufgegriffen. Gerade aber in der Konstellation von ökonomischen, institutionellen und emotionalen Strukturen sieht die Bielefelder Soziologin Ursula Müller ein besonderes Potential hinsichtlich der „Wandlungs- und Beharrungstendenzen im Geschlechterverhältnis“ (Müller 1999: 9). Besonders die tiefergehende Analyse der Struktur emotionaler Besetzungs- und Bindungsmuster könnte in dieser Richtung (auch im Zusammenhang mit den Hintergründen männlicher Gewaltbereitschaft) neue Hinweise erbringen.
Obwohl die Entstehung des Konzeptes in seinen Anfängen bereits gut 15 Jahre zurückliegt, findet es erst jetzt nach und nach Zugang zur Geschlechterforschung im deutschsprachigen Raum. Die Ursachen sind sicher unterschiedlicher Natur. Ein möglicher Grund wären die sprachlichen Probleme, ein weiterer die Tatsache, daß Connell mit seinem Konzept schonungslos an den Grundlagen männlicher Dominanz und männlicher Machtansprüche ansetzt. Ich sehe daher in seiner Arbeit einen wesentlichen Beitrag zur Lösung des Problems der Geschlechterhierarchie.
Welchen Beitrag soll nun meine Arbeit leisten? Zum ersten möchte ich Connells Konzept umfassend vorstellen. Ich werde versuchen, einen Überblick über seine Vorstellungen zu einer Soziologie der Männlichkeit zu geben, die in Überlegungen zu einer Theorie der Geschlechter eingebettet sind. Dabei werde ich auch auf seine grundlegenden Ansichten zu bestehenden Ansätzen eingehen. Gerade angesichts der noch dürftigen Nutzung dieser konzeptionellen Möglichkeit in Deutschland scheint mir eine ausführliche Darlegung des Ansatzes angebracht. Um den aufgeworfenen Fragen bezüglich der von mir vermuteten Schieflage in der Diskussion der Geschlecherproblematik nachzugehen, werde ich mich aus o.g. Gründen dann auf das Konzept von Connell stützen. Ich werde versuchen aufzuzeigen, welche Antworten Connell mit dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit bietet, welche Vorschläge er macht und in welche Richtung dieses Konzept thematisch weist. Dabei werde ich mich auf drei Problempunkte konzentrieren:
1.) Wie definiert Connell die Pluralität von Männern und Männlichkeit? Wie beschreibt er das Verhältnis von Macht und Männlichkeit? Welche Rolle spielen die Männer bei Connell für die Erhaltung und Reproduktion der Geschlechterhierarchie?
2.) Wie bezieht Connell die Frauen diesbezüglich ein? Welche Fragen hinsichtlich des weiblichen Geschlechts ergeben sich aus Connells Konzept?
3.) In welcher Richtung könnte sich, anknüpfend an oder in Reaktion auf Connells Konzept, die Geschlechterforschung weiterentwickeln? Was sind aus meiner Sicht Kritikpunkte und mögliche neue Ansatzpunkte?
Da Connells Konzept sich auf Männer und Männlichkeit bezieht, ist für den zweiten Punkt natürlich nur eine begrenzte Diskussion der weiblichen Rolle für das Verhältnis von Macht und Geschlecht zu erwarten. Ich werden diesen Punkt trotzdem bearbeiten und zwar unter dem Gesichtspunkt, daß Connells Konstruktion eingedenk der Relationalität der Geschlechter zumindest Ansätze und Anknüpfungspunkte in dieser Richtung erkennen lassen sollte.
Zur Struktur der Arbeit: In den ersten beiden Teilen der Arbeit werde ich Connells Konzept ausführlich darstellen. Dazu werde ich im ersten Teil seine Vorstellungen zu einer Analyse der Geschlechter referieren, um im zweiten Teil dann auf seine Analyse von Männlichkeit einzugehen. Diese beiden Teile sind eng miteinander verflochten und ergänzen und bedingen einander. Dabei werden von Connell eine Reihe von bestehenden Ansätzen und Konzepten besprochen. Zum einen solche, die für die Entwicklung des Konzeptes der hegemonialen Männlichkeit in passivem Sinne grundlegend sind, auf die sich Connell z.B. kritisch bezieht. Zum anderen diejenigen, auf die Connell sein Konzept theoretisch aufbaut. Im dritten Teil der Arbeit werde ich kurz auf die Anwendung des Konzeptes in Deutschland eingehen, um dann im vierten Teil die meines Erachtens bedeutendsten Aspekte des Konzeptes bei der Darstellung von Männlichkeit, Weiblichkeit und der Reproduktion der Geschlechterverhältnisse darzustellen. Dabei werde ich dann Connells Konzept diskutieren und versuchen, die oben gestellten Fragen zu beantworten.
1. Connells Analyse der Geschlechterverhältnisse
Connells Konzept ist, auch wenn es erst seit wenigen Jahren und nur langsam Einzug in den deutschsprachigen Raum hält, bereits über 10 Jahre alt. Es wurde 1985 mit einem Aufsatz von Carrigan, Connell und Lee (1985, deutsch: 1996) begründet, von Connell in „Gender & Power“ (1987) erstmals vollständig ausformuliert und in „Masculinities“ (1995, deutsch: „Der gemachte Mann“, 1999) weiter ausgebaut. Daneben gibt es eine Reihe von Aufsätzen, die er in Verbindung mit diesem Thema verfaßte.
Connells Anliegen ist es herauszufinden, welche Art von Gesellschaftstheorie die realen Geschlechterverhältnisse am angemessensten beschreiben kann. Ein solches Konzept kann keine geschlossene Theorie sein. Connell betont, „daß eine Gesellschaftstheorie der Geschlechterverhältnisse sowieso kein festgeschlossenes System ist, sondern eher ein Netzwerk von Einsichten und Argumenten über Zusammenhänge“ (Connell 1986: 331). Ursache dafür sind in erster Linie die Vernetzungen zwischen allen gesellschaftlichen Bereichen und dem Geschlechteraspekt. Eine Tatsache, die von Connell in seinen Arbeiten immer wieder ausführlich beschrieben wird. Sein Vorgehen bzgl. der Anbindung an bestehende Ansätze ist grundsätzlich so, daß er auf eine Vielzahl von Ansätzen insbesondere der feministischen Forschung, aber auch der Geschlechterforschung überhaupt zurückgreift. Es handelt sich also um ein breites Spektrum von Traditionslinien, auf denen sein Ansatz aufbaut. Dies steht im Zusammenhang auch mit seinem eigenen Anspruch hinsichtlich seiner Arbeit, die er nicht als fertigen Ansatz begreift. Vielmehr will er sie verstanden wissen als Anregung und Vorschlag, im Rahmen der Geschlechterforschung in einer bestimmten Richtung weiter zu arbeiten. Er legt also kein fertiges Konstrukt vor, sondern einen möglichen Ansatz, der mit der Einladung verbunden ist, ihn zu benutzen, weiterzuentwickeln oder zu widerlegen.
Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit ist eingebettet in umfangreiche Vorstellungen Connells zur Konstruktion der Geschlechter, ihrem Niederschlag und ihren Beziehungen in allen gesellschaftlichen Bereichen, ist eingebettet in seine Vorstellungen zu einer Theorie der Geschlechter. Das Ziel, eine realitätsnahe Soziologie der Männlichkeit und Politik der Männlichkeit, sieht er als „Teil eines radikalen Ansatzes einer allgemeinen Theorie der Geschlechterverhältnisse“ (Carrigan/Connell/Lee 1996: 40). Nur so könne Männlichkeit sinnvoll thematisiert werden. Er entwickelt also eine komplexe und umfassende Sicht auf den patriarchalen Staat, auf Politik in ihrer Verbindung zum Geschlecht, auf die geschlechtspezifische Arbeitsteilung und ihre Auswirkungen auf die Verteilung des Kapitals, auf den männlichen Körper und dessen Bedeutung für die Konstruktion von Geschlecht usw. Diese Einbindungen und Vorstellungen Connells sollen hier mit vorgestellt werden, da sie für das Verständnis seines Hegemoniekonzeptes wichtig sind und dessen Einbettung in den gesamtgesellschaftlichen Rahmen deutlich machen, ebenso wie den theoretischen Hintergrund, vor dem Connell sein Konzept entwickelt hat.
Im folgenden soll es darum gehen, Connells Ansichten und Bewertungen zu bisherigen Erkenntnissen auf dem Gebiet der Geschlechterforschung darzustellen, um auf diesem Wege die Generierung seines Konzeptes verständlich und nachvollziehbar zu machen. Tim Carrigan, Robert W. Connell und John Lee unterstreichen die Bedeutung früher Ansätze einer Soziologie der Geschechter als „Grundlage jenes Bezugsrahmens [...], der den Großteil der neueren Literatur zur Männlichkeit bestimmt hat“ (Carrigan/Connell/Lee 1996: 38/39). Dazu gehören auch Ansätze, deren Unzulänglichkeiten inzwischen erkannt wurden und die in negierter Form Eingang in die Entwicklung gehalten und so zu neuem Wissen beigetragen haben.
Zur Geschlechterthematik hat es bisher Ansätze aus verschiedenen Wissenschaftsgebieten gegeben. So hat die Psychoanalyse Forschungen zu Sexualität und Persönlichkeitsentwicklung angestellt, die jedoch nur begrenzt Verwendung in der neueren Geschlechterforschung fanden. Weitere Felder sind die Familiensoziologie, die Psychologie der Geschlechterrollen und der Geschlechtsunterschiede sowie die traditionelle Anthropologie mit Fokus auf Verwandtschaftsverhältnisse in primitiven Gesellschaften. Feminismus und Schwulenbewegung haben inzwischen zu der Einsicht geführt, daß der Geschlechteraspekt eine zentrale gesellschaftliche Rolle spielt und damit auch keine biologische, sondern eine gesellschaftliche Struktur besitzt. Die enge Verknüpfung der Struktur der Geschlechter mit Macht, Ungleichheit und Unterdrückung, ihre Vielschichtigkeit und ihr Folgenreichtum werden immer offensichtlicher (vgl. Connell 1986).
Mit dem Begriff ‘Geschlechterverhältnisse’ beschreibt Connell die Vernetzungen bzw. das Netzwerk von Argumenten oder Themen wie geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, politische Einstellung zur sexuellen Objektwahl, Unterordnung der Frau unter den Mann und ihre kulturell-praktische Verankerung, die Rolle des Körpers im gesellschaftlichen Beziehungskontext usw. Begriffe wie ‘Patriarchat’ oder ‘Sexualpolitik’ erfassen nur Teilbereiche dieses Netzwerkes, während ihm der Begriff ‘gesellschaftliche Beziehungen der Geschlechter’ von Young u.a. (1981) zwar treffender, aber zu umständlich erscheint. Connell zieht deshalb den Begriff ‘Geschlechterverhältnisse’ vor. In diesem Kontext warnt er davor, bei der Behandlung dieses Themas die enorme Komplexität aus dem Auge zu verlieren und unzulässig auf bestimmte Aspekte (z.B. den politischen) zu verengen. Als Beispiel nennt er Dorothy Dinnerstein (1976), die bei der Untersuchung emotionaler Faktoren den Einfluß homosexueller Beziehungen und Einflüsse ausblendet und dadurch die ganze Darstellung zum ‘normativen Normalfall’ verzerrt. Connell dazu: Natürlich sei es „unmöglich, alles auf einmal theoretisch zu erfassen. Aber es ist notwendig, die ganze Struktur im Auge zu behalten“ (Connell 1986: 332).
Die ältere Darstellung des Geschlechterverhältnisses bewegt sich im wesentlichen in zwei Kategorien. Die erste mit einer Betonung der gesellschaftlichen Konstruktion der Geschlechterverhältnisse und die zweite mit der Basis, daß Frauen und Männer als bereits gegebene Kategorien verwendet werden und darauf aufbauend Macht- und Ausbeutungsbeziehungen zwischen ihnen untersucht werden. Zur ersten Kategorie gehört wesentlich das Konzept der Geschlechtsrollen, zu dem es von verschiedenen Seiten eine Reihe von Einwänden gibt. So auch von Connell. Auf dessen Kritikpunkte soll hier näher eingegangen werden.
1.1. Die Kritik des Geschlechtsrollenkonzeptes
Das Konzept der Geschlechtsrolle ist wesentlicher Bestandteil der theoretischen Bezüge, auf denen Connell sein neues Konzept aufbaut, da es bei den Versuchen, eine Sozialwissenschaft der Männlichkeit zu erstellen, eine zentrale Rolle spielte. Der Rollenbegriff an sich stammt aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Während der umfangreichen Erforschung von Geschlechtsunterschieden Mitte des vorigen Jahrhunderts4 kam das Konzept der sozialen Rolle auf. Es wurden zwei Möglichkeiten der Verbindung des Rollenkonzeptes und des sozialen Geschlechts gesehen. Erstens, die Rolle als abhängig von bestimmten Situationen zu betrachten und zweitens, Männlichkeit und Weiblichkeit als ein dem biologischen Geschlecht anhaftendes Bündel allgemeiner Erwartungen zu begreifen und dies als Geschlechtsrolle zu benennen. Dabei war diese zweite Möglichkeit die öfter angewandte. Die Geschlechtsrolle wurde in der Regel als kulturelle Ausformung der biologischen Geschlechtsunterschiede betrachtet (vgl. Connell 1999: 41).
1.1.1. Talcott Parsons
Später entstand die funktionalistische Geschlechtsrollentheorie, für die Parsons als Schlüsselfigur anzusehen ist. Schon bei Parsons aber wurde die Geschlechtsrolle teilweise unhinterfragt vorausgesetzt. Ein Problem, daß charakteristisch für das Rollenkonzept ist. Biologische Unterschiede lehnte Parsons als Erklärung von Geschlechtsrollenmustern jedoch ab und brachte statt dessen die Bedeutung von strukturellen Differenzierungen zum Ausdruck. Strukturelle Erfordernisse einer sozialen Ordnung sind nach Parsons die Ursache bzw. Grundlage für die Herausbildung von Geschlechtsrollenmustern und deren generationsübergreifende Reproduktion. Er verwendete die Psychoanalyse zur Erklärung des Rollenerwerbs über Internalisierung, indem er verschiedene Formen der ‘ödipalen Krise’ als mitverantwortlich für die Herstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit benannte. Seine Schlußfolgerung war, daß die Geschlechtsrolle ein Teil der Persönlichkeitstruktur ist. Parsons machte mit diesem Ansatz den Versuch, die Beziehungen zwischen Individuum und Gesellschaft zu benennen - ein zentrales Problem der Sozialwissenschaften.
Carrigan/Connell/Lee kritisieren an Parsons Argumentation, daß sie, wie später bei Chodorow, auf einem „normativen Standardfall“ (Carrigan/Connell/Lee 1996: 43; siehe auch Punkt 1.1.) basiert. Zudem besteht das Problem der Nichterfassung des Machtaspektes innerhalb der Geschlechterverhältnisse - ebenfalls ein häufig wiederkehrender Fakt bei Theorien zur Erfassung von Geschlechterverhältnissen. Erst mit der zweiten Frauenbewegung kam es zu Forschungen über Frauen und ihren Benachteiligungen. Der Rollenbegriff wurde zwar über längere Zeit akzeptiert und auch umfassend angewandt, inzwischen dominieren aber seine Defizite wie die Ausblendung des Machtaspektes und die Inkohärenz hinsichtlich der unterschiedlichen Argumentationen die Diskussion (vgl. Carrigan/Connell/Lee 1996: 45).
Durch die o.g. problematische Differenzierung in Frauen- und Männerrollen ist das Rollenkonzept nicht in der Lage, konkrete Lebensrealität zu beschreiben, da Variationen innnerhalb der Rollen nur als Abweichung von der Norm erfaßt werden können. Einer Norm, die jedoch ein Großteil z.B. der Männer nicht erreichen, da sie den gesellschaftlichen Erwartungen hinsichtlich ihrer Rolle nicht gerecht werden, z.B. weil sie arbeitslos sind. Dieses Problem der Unterscheidung zwischen Erwartungen und tatsächlichem Verhalten stellt sich besonders in der funktionalistischen Geschlechtsrollentheorie, in der es für Variationen und Konflikte innerhalb der männlichen Geschlechtsrolle zwei mögliche Erklärungen gibt. Zum ersten das Verschwimmen von Männer- und Frauenrolle. Dabei wird das Nicht-Annehmen-Können weiblicher Rollenaspekte durch Männer dann letztendlich im Rückgriff auf die ‘männliche Natur’, also auf einen biologischen Fakt erklärt. Zum zweiten erfolgt die Erklärung über unterschiedliche individuelle Erfahrungen, die „ein Spektrum von Persönlichkeiten hervorbringen“ (Carrigan/Connell/Lee 1996: 46). Die Ausprägungen dieser Formen von Männlichkeit werden aber an Vorstellungen von einem essentiellen Selbst festgemacht. Männlichkeit ist dann der gesellschaftliche Druck, unter dem sich Männer zu einem Extrempunkt der Ausprägungen, z.B. besonders ‘hart’ oder ‘weich’, bewegen müssen. Diese unterschiedlichen Erklärungen weisen auf die instabile Basis und den statischen Charakter des Geschlechtsrollenkonzeptes als Gesellschaftstheorie hin.
Die Probleme des Ansatzes wirkten sich auch wesentlich auf die Forschungen zu Männlichkeit aus. So gab es verschiedene Versuche einer Sozialwissenschaft der Männlichkeit auf der Grundlage des Konzeptes der Geschlechtsrolle; die Ambivalenz der Darstellung der Geschlechterverhältnisse in der Männerliteratur rührt von dieser Tradition her.
1.1.2. Joseph Pleck
Mit Erstarken des Feminismus in den 1970ern wurde die Rollenforschung zu einem politischem Instrument. Die bedeutsame Erkenntnis der Veränderbarkeit der Geschlechtsrolle fällt in diese Zeit. Ab Mitte der 1970er griff auch die Männerbewegung in den USA dieses Konzept auf. Einer ihrer wichtigsten Vertreter ist der Psychologe Joseph Pleck, der in eine „traditionelle“ und eine „moderne“ Geschlechtsrolle unterteilte (vgl. Connell 1999: 43). Pleck kritisierte die funktionalistische Geschlechtsrollentheorie als „Männer-rollenidentität“ bzw. „normative Geschlechtsrollentheorie“ (Connell 1999: 43), da das Verhältnis von Rolle und Selbst als Übereinstimmung zwischen Norm und Rolle beschrieben wird. Pleck hält jedoch interne statt externe Kontrollmechanismen für notwendig. Die normative Geschlechtsrollentheorie lähme sozialen Wandel, da das Individuum die traditionellen Rollennormen nicht hinterfragen könne. Als Alternative schlägt er eine „nicht-normative Geschlechtsrollentheorie vor, die zwischen Selbst und Rolle unterscheidet“ (Connell 1999: 44).
Trotzdem bleiben laut Connell noch „intellektuelle Beschränkungen der Rollenperspektive“ (Connell 1999: 45) bestehen. Sie sei logisch nicht eindeutig genug, beziehe das soziale Verhalten der Menschen zu sehr auf externe Faktoren und untertreibe dabei soziale Ungleichheit und Macht. Das Handeln der Menschen sei zu sehr auf Strukturen bezogen, die auf biologischen Unterschieden statt auf sozialen Beziehungen beruhen. Das soziale Geschlecht bliebe damit auf zwei homogene Kategorien begrenzt. Unterschiede zwischen Männern und Frauen werden übertrieben wahrgenommen, während andere Strukturen wie Rasse, Klasse oder Sexualität vernachlässigt werden. Dagegen sind Verhalten und Erwartung zentral und „Menschen, die Machtstrukturen angreifen [...], können einfach nicht in die[se] Rollenkategorien von ‘Norm’ und ‘Abweichung’ eingeordnet werden“ (Connell 1999: 46). Die Frage nach dem Machtaspekt ist jedoch wichtig für die Erfassung sozialer Dynamik. Da in der Männerrollenforschung die Auffassung herrscht, Veränderungen kämen ‘von außen’ und würden nicht innerhalb des Geschlechterverhältnisses ausgelöst, hat der Männerrollenansatz einen eher reaktiven Charakter. Eine notwendige „strategische Politik der Männlichkeit“ (Connell 1999: 46) hat so kaum eine Chance der Entwicklung. Der Wandel in den Rollen des Rollenkonzepts kann nicht in seiner historischen Dimension als „Zusammenspiel von Handlung und Struktur“ (Carrigan/Connell/Lee 1996: 47) erfaßt werden, sondern wird als passiv zu Erfahrendes gezeichnet. Wandel kann so „nicht als dialektische Entwicklung innerhalb der Geschlechterverhältnisse“ (Carrigan/Connell/Lee 1996: 46) begriffen werden.
Zu hinterfragen ist laut Carrigan/Connell/Lee auch, daß geschlechtliche Normen verallgemeinert werden und mit ihnen dann männliches und weibliches Erleben beschrieben wird. In Folge der Fokussierung auf Einstellungen bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Realitäten, wird in der Rollenliteratur die Polarität zwischen Männern und Frauen gefördert, da die „Einstellungen und Zwänge hervorgehoben werden, die künstlich eine strikte Unterscheidung zwischen Männern und Frauen schaffen“5 (Carrigan/Connell/Lee 1996: 47). Die Ausklammerung der Machtfrage bezeichnen Carrigan/Connell/Lee in der Konsequenz als „eine durchgängige und schwerwiegende Fehleinschätzung der Position heterosexueller Männer innerhalb der Geschlechterpolitik (sexual politics) in den entwickelten kapitalistischen Ländern“ (Carrigan/Connell/Lee 1996: 48). Dementsprechend wird auch das Interesse der Männer an ihrer Macht und ihr Widerstand gegen eventuelle Veränderungen des männlich-weiblichen Machtgefälles in der auf dem Rollenkonzept aufbauenden Männerliteratur nicht thematisiert. Diesen Widerstand gegen eine Veränderung zu verstehen, ist ein Ziel neuer Geschlechtersoziologie. Ein Weg, dies zu erreichen, sei der über die Psychoanalyse bzw. deren Erkenntnisse. Dazu müsse sie aber in erweiterter Form Anwendung finden. Insbesondere die bei Parsons noch ausgeklammerte emotionale Komplexität innerhalb der Männlichkeit, die unbewußten Konflikte und die Tiefenpsychologie werden hier genannt.
1.2. Machtanalyse und Kategorialismus
Die im Geschlechtsrollenansatz vernachlässigte Analyse von Machtverhältnissen ist zentral in der zweiten Kategorie der Darstellung von Geschlechterverhältnissen, dem Zugang über „Machtanalyse und Kategorialismus“ (Connell 1986: 335). Hier ist der radikale Feminismus als ein Vertreter mit verschiedenen Hauptrichtungen zu nennen. Eine dieser Richtungen wird charakterisiert durch eine Konzentration auf die sexuellen Herrschaftsverhältnisse, die als Kern der Geschlechterproblematik angesehen werden, sowie durch eine Zentrierung auf Männergewalt gegen Frauen. Eine andere Herangehensweise ist die, Männergewalt hinsichtlich des Zusammenhanges mit strukturellen Umständen, z.B. der Dynamik des Kapitalismus zu hinterfragen und auf die durch diese Gewalt geformten Umstände, z.B. die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, hinzuweisen. Dabei werden Frauen und Männer als bereits vorgefertigte Kategorien benutzt, die nicht mehr hinterfragt werden müssen. Für Connell zeigt sich die Charakteristik des Kategorialismus dabei deutlich, wenn z.B. von der Annahme eines biologischen Charakters der Kategorien ausgegangen wird (biologischer Determinismus). Ein anderes Beispiel ist die Anwendung eines radikal vereinfachten, normativen Modells der Familie als Grundlage von Arbeiten über Individualpsychologie und Ehe (vgl. Connell 1986: 336). Dabei wird ein analysierter Standardfall als normativ angenommen und auf alle Frauen und Männer verallgemeinert. Eine Folge des kategorialen Denkens für den Feminismus ist, daß wichtige und einflußreiche Kategorien wie Rasse, Klasse, Nationalität usw. ausgeblendet werden und daß das Problem des Heterosexismus nicht erfaßbar ist6.
Connell konstatiert für die Geschlechterforschung eine generelle Gefahr, Geschlechtermodelle biologisch zu erklären. Gesellschaftliche Konfigurationsprozesse werden hinsichtlich des Geschlechts naturalisiert, da „die gesellschaftlichen Kategorien des Geschlechterverhältnisses [...] fest und sichtbar mit einem biologischen Unterschied und mit der Funktion in einem biologischen Prozeß verbunden sind“ (Connell 1986: 338). Connell sieht in einer Umkehrung, nämlich der Überdeutung gesellschaftlicher Konstruktion, keine Lösung des Problems. Er fordert statt dessen eine Methode ein, die die Beziehungen zwischen biologischem Prozeß und Gesellschaftsstruktur erfaßt. Als Verbindungsglied, das hier zu einer Aufklärung beitragen könnte, sieht er einen Aspekt von Praxis an und verweist auf die nötige Einbeziehung des Macht- und des Politikbegriffes in das Denken über Geschlechterpolitik. Die Verbindung zwischen persönlichem Leben und Gesellschaftsstruktur muß herstellbar sein, ohne in Voluntarismus oder Kategorialismus bzw. biologischen Determinismus zu verfallen. Ansätze in Richtung einer Theorie der Praxis, die als Grundlage zur Überwindung des Kategorialismus dienen können, bieten Arbeiten von Foucault, Donzelot, Bourdieu (vgl. Connell 1986: 339/340) und Sartre. Die zentrale Frage, die Connell dazu stellt, lautet: „Wie kann eine Gesellschaftstheorie der Geschlechterverhältnisse [...] die Frage der biologischen ‘Grundlagen’, der natürlichen geschlechtlichen Unterschiede behandeln? In erster Linie ist eine wirklich gründliche Ablehnung der Vorstellung erforderlich, daß der natürliche Unterschied eine ‘Grundlage’ des Geschlechts ist, daß die gesellschaftlichen Ausprägungen nur eine verfeinerte Ausführung des natürlichen Unterschieds darstellen“7 (Connell 1986: 340). Das Problem ist, daß das ‘Natürliche’ immer schon durch eine gesellschaftliche Brille gesehen wird.
1.3. Biologische vs. soziale Faktoren
In der Auseinandersetzung mit Patriarchatstheorien greift Connell dieses Problem bei der Darstellung der Geschlechterverhältnisse auf. Connell schlägt in seinem Aufsatz „Class, Patriarchy, and Sartres Theory of practice“ (1982) eine Herangehensweise in Anlehnung an Sartres Theorie der Praxis vor, mit der dieser die Unterschiede zwischen Klassen theoretisch zu erfassen versuchte. Dabei will er Sartres Ansatz ähnlich wie den der Psychoanalyse nicht als adäquate Basis, in diesem Fall für eine Theorie der Klasse oder des Patriarchats, verstanden wissen, sondern vielmehr als einen Ausgangspunkt und eine mögliche Richtung für eine angemessene soziale Theorie, die viele Probleme des Strukturalismus umgeht und anspruchsvollere Betrachtungen von Klasse und Patriarchat zuläßt.
Der Versuch der Verbindung von Klassen- und Geschlechterverhältnissen wurde bereits vom Feminismus thematisiert. Im Zentrum verschiedener Versuche der theoretischen Verbindung steht das Klassen-Patriarchats-Problem. Dabei wird von der Annahme zweier grundsätzlicher Strukturen ausgegangen. Diese sind Kapitalismus (Produktion) und Patriarchat (Reproduktion). Um eine Verbindung zwischen beiden herzustellen, wird die eine Struktur mit Hilfe der anderen analysiert. Die Beschreibung der Strukturen gestaltete sich jedoch bisher problematisch, da der Funktionalismus als Grundlage diente. So, wie in den Klassentheorien das Problem der Definition der Klassen über a) den strukturellen Determinismus oder b) Empirismus und Voluntarismus besteht, leiden Patriarchatstheorien an einem ähnlichen, tiefsitzenden Widerspruch. Einerseits gibt es verschiedene Formen des biologischen Determinismus, über die die Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen von alten Differenzen der physischen Stärke und Funktionen in der Reproduktion hergeleitet werden. Auf der anderen Seite steht die Betonung der sozialen Konstruktion. Nur letztere ist seriös gestützt . Aber eine Position totaler sozialer Determination ist laut Connell unhaltbar für ein und dieselbe körperliche Unterscheidung durch die ganze menschliche Geschichte hindurch (vgl. Connell 1982: 315).
Connell macht nun den Vorschlag, die Strukturen unter Bedingungen der Praxis zu überdenken und dazu ein Konzept der Praxis zu benutzen. Sartres epistemologisches Interesse galt sowohl der Verständlichmachung der gesamten sozialen Welt als auch des individuellen Lebens. Dazu entwickelte er eine Theorie der Praxis, in der er drei Ebenen unterscheidet. Erstens die individuelle Praxis, zweitens die kollektive, jedoch passive Aktivität, die er „praktische Trägheit“ („practico-inert“) nennt und drittens die entwickelten Gruppenphänomene (vgl. Connell 1982: 317 und Connell 1987: 81). Die ‘praktische Trägheit’ bezeichnet die Konsequenzen menschlicher Aktion, z.B. den Stand der technischen Entwicklung. Das 19. Jhd. kann so z.B. als eine passive Struktur des Proletariats angesehen werden. Menschliche Aktivität erzeugt eine Welt passiven Seins, die sich in einer Form sozialer Gruppierung niederschägt - den „series“ (Connell 1982: 309). Diese sind gegeben, wenn verschiedene Menschen in ein und derselben Situation über ein Objekt oder eine Logik außerhalb von ihnen selbst definiert werden (z.B. eine Warteschlange oder Hörer einer Radiosendung). „Seriality“ (Connell 1982: 309) ist dabei die Zuweisung dieser „unity-indispersion“ (Connell 1982: 309). Sartre schlägt sie als grundlegenden Charakter des „class being“ vor. Klasse ist so Passivität oder - weil alles in der sozialen Welt menschliche Aktivität ist - „passive Aktivität“ (Connell 1982: 309), d.h. Aktivität, die den Stempel einer fremden Logik aufgedrückt bekommt.
Die Übertragung auf die Geschlechterproblematik sieht nun nach Connell so aus, daß die Geschlechter-Kategorie wie die Klassen-Kategorie mehr als nur eine Form der Praxis ist. Die biologische Differenzierung (z.B. die Gebährfähigkeit) kann als passiv-erfahrene Bedingung verstanden werden, die aber verbunden ist mit einer begrenzten Zahl von Praktiken und deren Konsequenzen, deren Charakteristik Sartre als „practico-inert“ bezeichnet. ‘Frauen’ und ‘Männer’ sind dann soziale Kategorien „with some of the characteristics of seriality“ (Connell 1982: 316), einem Bereich paralleler Situationen, in denen Aktion über externe Logiken (hier die Biologie) definiert wird. Diese Kategorien sind nicht gleichzusetzen mit den Geschlechterkategorien der sozialen Praktiken. Das tatsächliche Geschlechtersystem ist damit nicht einfach soziales plus biologisches Sein oder manifestiert in Gruppenpraktiken plus ‘practico-inert’. Vielmehr ist die soziale Geschlechterkategorie von Negation und Überwindung der „serial dispersion“ (Connell 1982: 316), der körperlichen Kategorie bestimmt. Es gibt ein ständiges Bemühen, die soziale Definition der Geschlechter zu stützen, da die biologische Logik und die „inert practice“ (Connell 1982: 316) dies nicht vermögen. Deshalb gibt es vermännlichende und verweiblichende Praktiken (z.B. Erziehung), mit denen eine willkürliche Differenzierung festgeschrieben wird. Die Geschlechterkategorie „far from being externally given under a biological statue“ (Connell 1982: 316), wird ständig neu konstruiert und widerspricht sich intern. Sie ist ein bewegliches Verhältnis zwischen verschiedenen Formen von Praktiken. Connell bringt für diese durch die Praktiken der Negation entstandenen geschlechtlichen Verhältnisse auch den Begriff der ‘sozialen Solidarität’ des Geschlechts, die jedoch keine biologischen Kategorien impliziert (vgl. Connell 1987: 81). Sinnvoll ist dieser Erklärungsversuch nur unter Beachtung der Tatsache der Machtverhältnisse zwischen den Mitgliedern der Hauptkategorien - der Unterordnung der Frauen unter die Männer. Dieses Problem versuchen viele Argumente des Patriarchatskonzeptes zu erklären. Connell läßt bewußt offen, ob wir dies (wie die Klassenausbeutung) erklären sollen oder müssen8. Seiner Meinung nach sollten wir vielmehr erkennen, daß Unterdrückung überhaupt existiert, daß sie eine Geschichte hat, daß ihre Dynamik erforscht werden kann und daß wir in der Lage sind, sie zu bekämpfen. Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern wie die zwischen Klassen sind historische Strukturen, denen nichts als ihre eigene Logik der Entwicklung auferliegt. Zentral dabei ist, daß der Bestand der Unterdrückungsstrukturen kein natürlicher Fakt, sondern auf praktische Leistungen zurückzuführen ist. Sartre sagt über Klassen, daß die Ausbeutung und der Prozeß des Kapitals nur bestehen bleiben können, weil sie durch das Projekt der Ausbeutung erhalten werden. Gleiches gilt für das Patriarchat. Es kann ebenfalls nicht erhalten werden ohne das Projekt der Unterdrückung, das von den Männern kollektiv unterstützt wird. Hinsichtlich einer eventuellen Mitschuld von Frauen (und parallel dazu für den Kapitalismus die Komplizenschaft der Arbeiterklasse) sollte kein Zweifel darüber bestehen, daß die Männer mit ihrer Macht die Hauptverantwortung tragen (vgl. Connell 1982: 317). Klasse und Patriarchat können nicht als in getrennten Praxis-Sphären existent betrachtet werden, sondern sind als Formen der Strukturierung zu verstehen, die in denselben Formen von Praxis zu entdecken sind. Eine Beschränkung auf die beiden Strukturen Klasse und Patriarchat ist nicht zwingend, aber sie scheinen neben anderen wie Rasse, Alter u.a. die bedeutungsvollsten zu sein. Ihr Verständnis und die Einsicht in ihr Funktionieren sind Voraussetzung dafür, grundlegende Verhältnisse, nämlich die der Unterdrückung, zu verändern.
Connell sieht den natürlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern also nicht als eine Bedingung an, die nur passiv ertragen wird, denn menschliche Entwicklung ist abhängig gerade von einer Erweiterung des Natürlichen im menschlichen Bewußtsein. Sie ist abhängig „von der Transzendenz des Natürlichen durch gesellschaftliche Praxis“ (Connell 1986: 341) und nicht von passivem Ertragen eines natürlichen Urzustandes gekennzeichnet. Die Beziehungen zwischen Natur und Gesellschaft sind als historischer Prozeß von Umwandlungen zu verstehen: Umwandlungen der Natur durch Praxis einerseits und der Praxen selber andererseits. Diese „praktische Transformation“ verweist auf die „praktische Negation. [...] Die gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse sind kein Ausdruck der natürlichen Schemata, [denn] sie negieren den biologischen Status“9 (Connell 1986: 341). Ein Beleg dafür ist das gesellschaftliche Bestreben, die Verschiedenheit von Frau und Mann zu belegen. Die Verschiedenheit ist aber von viel geringerem Ausmaß, als die Bestrebungen glauben machen wollen. Die Unterschiede zu Objekten der natürlichen Umwelt (z.B. zu Tieren) sind bei weitem größer. Vor diesem Hintergrund sind sich die beiden Geschlechter sehr ähnlich. Daraus zieht Connell den Schluß, daß das Gesellschaftliche selber in höchstem Maße unnatürlich ist, weil es Natur negiert. Aus diesem Grund können gesellschaftliche Strukturen auch nicht auf eine natürliche Basis zurückgeführt werden. Die Natur wird dabei aber nicht ausgeschlossen, sondern der Bezug, wenn er auch ein negierender ist, bleibt bestehen. Connell verwirft den Begriff „Determinierung“ zur Umschreibung dieser Beziehung zwischen Natur und Gesellschaft und schlägt statt dessen den der „praktischen Relevanz“ (Connell 1986: 342) vor. Die Praxen, auf denen diese Beziehungen aufgebaut werden (z.B. Praxen der Macht und der Sexualität), ihre Struktur und Organisation, sieht Connell nun als eine Schlüsselgröße an „auf dem Weg zu einer Analyse der Substrukturen der Geschlechterverhältnisse als einem gesellschaftlichen Feld“ (Connell 1986: 343). Der von ihm vorgeschlagenen Praxisorientierung für eine Theorie der Geschlechterverhältnisse schreibt Connell ein großes Potential auf wissenschaftlichem und geschlechterpolitischem Gebiet zu. Sie sei in der Lage, bei der Suche nach einer Lösung der Geschlechterfrage „mehr Komplexität und Undeutlichkeit“ (Connell 1986: 343) zuzulassen. Zudem könne sie Wege aufzeigen, wie sich die verschiedenen politischen Seiten in der Geschlechterdebatte (Feminismus, Schwulen- und auch Männerbewegung) miteinander verbünden können.
1.4. Ansatz einer Theorie der Geschlechter
Aufbauend auf die o.g. Erkenntnisse sind für Connells Vorstellungen einer Theorie der Geschlechter die drei Strukturen ‘Macht’, ‘Arbeitsteilung’ und ‘Kathexis’, die sich zu unterschiedlichen Formen von Geschlechterregimes konstituieren, zentral. Auf der Suche nach einer ‘Soziologie der Männlichkeit’ verhält sich Connell kritisch zum kategorialen Denken, lehnt er eine strukturalistische Herangehensweise ab und orientiert sich eher an praxisphilosophisch ausgerichteten Werken.
1.4.1. Das soziale Geschlecht
Große Bedeutung hat für Connell die bereits verbreitete Anerkennung des sozialen Charakters von Geschlecht. Geschlecht ist demnach „mehr als ein individuelles Merkmal“ und als „hochentwickelter und sehr wirkungsvoller Bereich gesellschaftlicher Praxis“ (Connell 1995a: 61) zu begreifen. Connell spricht deshalb auch fast ausschließlich vom sozialen Geschlecht. Dieses definiert er als „eine Weise, gesellschaftliche [bzw. soziale] Praxis zu ordnen. Die tagtägliche Lebensführung wird durch vergeschlechtlichte Prozesse in ein geordnetes Verhältnis zur Arena der Reproduktionsarbeit gebracht, die durch körperliche Strukturen und Prozesse menschlicher Reproduktion definiert wird. Dieser Schauplatz umfaßt sexuelle Erregung und Geschlechtsverkehr, Gebären und Kinderpflege, körperliche Geschlechtsunterschiede und -ähnlichkeiten“ (Connell 1995a: 63). Connell vermeidet bewußt den Begriff ‘biologische Grundlagen’, um auf den historischen sowie, in Abgrenzung zu einfachen starren biologischen Determinanten, den den Körper einbeziehenden Charakter zu verweisen. So bezieht sich soziale Praxis ständig auf den Körper, reduziert sich aber nicht auf diesen. Das Verhältnis von Sozialem und Biologie stellt sich in Anknüpfung an die Darstellungen in Punkt 1.3. so dar, daß „das soziale Geschlecht [...] genau in dem Ausmaß [existiert], in dem das Biologische das Soziale nicht determiniert“10 (Connell 1999: 92). An die Stelle der biologischen Evolution als Entwicklungsmodus ist der historische Prozeß getreten, der damit auch ausschlaggebend ist für Klassifizierungen, Differenzierungen, Zuordnungen usw.
Connell sieht das soziale Geschlecht eng verknüpft mit anderen sozialen Strukturen wie Rasse, Nationalität und Klasse und geht davon aus, daß das eine nicht ohne das andere betrachtet werden kann, daß es also immer Zusammenhänge zwischen diesen Strukturen gibt.
1.4.2. Soziale Praxis - körperreflexive Praxis
Der Begriff der sozialen Praxis spielt in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle und wird von Connell folgendermaßen beschrieben: „Die Soziale Praxis ist kreativ und erfinderisch, aber nicht ursprünglich. Sie reagiert auf bestimmte Situationen und entsteht innerhalb fester Strukturen von sozialen Beziehungen“ (Connell 1999: 92). Geschlechterbeziehungen sind dabei zentral.
Um das Verhältnis von Körper und sozialer Praxis zu beschreiben, schlägt Connell den Begriff „körper-reflexive Praxis“ (Connell 1995a: 63) vor. Diese begrenzt er nicht auf das Individuum, sondern weitet sie auf soziale Beziehungen und Symbolismen, sowie gesellschaftliche Institutionen aus. Diese sind entscheidend für die „Ausprägungen von Männlichkeit und Weiblichkeit als bedeutungsvolle Körper und verkörperte Bedeutung“ (Connell 1995a: 63). Die körperreflexiven Praxen wiederum sind verantwortlich für die ‘Adressierung’ der Körper durch den gesellschaftlichen Prozeß, wobei ihre ‘Materialität’ erhalten bleibt. Anschließend daran umfaßt „der soziale Prozeß als vergeschlechtlichtes Geschehen [...] das Gebären, die Kinderpflege, Jugend und Älterwerden, das Vergnügen beim Sport und beim Sex“ (Connell 1995a: 63) usw. Ausführlicher gehe ich auf die Einbeziehung des Körpers in Punkt 2.2. ein.
1.4.3. Konfigurationen der Geschlechterpraxis
Männlichkeit und Weiblichkeit stellen Konfigurationen der Geschlechterpraxis dar, wobei der Prozeßcharakter dieser konfigurierenden Praxis entscheidend ist. Connell spricht auch von einer „dynamischen Sicht der Organisation von Praxis“, über die wir Männlichkeit und Weiblichkeit als „Geschlechterprojekte“ (Connell 1999: 92) verstehen können. Geschlechtsbezogene Konfigurationspraktiken sind in allen Bereichen des Lebens zu finden. Ein Beispiel ist der individuelle Lebenslauf, in dem sich die verschiedensten Diskurse überlagern, Praxis also nicht kohärent ist. Das führt dazu, daß Geschlechtsidentitäten „brüchig und veränderlich“ (Connell 1999: 93) sind. Das will Connell in Anlehnung an Wendy Hollway (1984) und für die Organisation des sozialen Geschlechts in symbolischen Praktiken nicht nur auf den individuellen Lebenslauf bezogen wissen, sondern auf einen weit darüber hinaus gehenden Zeitraum (z.B. Männlichkeiten in der Literatur, die für mehrere Generationen bestimmend sind). Die Konfiguration von Geschlecht und damit auch von Männlichkeit ist also beileibe nicht auf den individuellen Lebenslauf beschränkt, sondern als ein permanenter historischer Prozeß zu verstehen. Neben dem individuellen Lebenslauf, bei dem Persönlichkeit und Charakter die Konfiguration der Praxis darstellen (thematisiert z.B. in psychoanalytischen Beiträgen zum Geschlecht), gibt es weitere Bereiche dieser die Geschlechter konfigurierenden Praxis. So den Bereich des Diskurses, den der Ideologie oder den der Kultur, in denen Geschlecht in symbolischen Praktiken organisiert wird (über Massenmedien, Schulbücher, Sprache usw.), und Institutionen wie Staat, Arbeitsplatz oder Schule, die ebenfalls vergeschlechtlicht sind.
1.4.4. Die Struktur von Geschlecht
Die geschlechtlich bestimmten Beziehungen innerhalb einer Institution bezeichnet Connell als „Geschlechterregime“ (Connell 1995a: 65). „Die Strukturierung von Geschlechterregimen im Zusammenhang mit der vergeschlechtlichten Strukturierung der Kultur sowie des Privatlebens kann als Geschlechterordnung einer Gesellschaft bezeichnet werden“ (Connell 1995a: 65). Geschlechterregime sind ebenso wie die Geschlechterordnung historische Produkte und unterliegen damit auch historischem Wandel. Connell weiter: „Das soziale Geschlecht [besitzt] eine vielschichtige innere Struktur [...], in der verschiedene Logiken überlagert sind. [...] Jede Form von Männlichkeit (als Konfiguration von Praxis) ist gleichzeitig in einer Reihe von Beziehungsstrukturen verortet, die durchaus unterschiedlichen historischen Entwicklungslinien folgen können“ (Connell 1999: 94). Dies macht die große Komplexität der Konfigurationen deutlich, inklusive interner Widersprüchligkeiten und historischer Brüche. Um diese Komplexität der Struktur des sozialen Geschlechts angemessen erfassen zu können, schlägt Connell ein mindestens dreistufiges Modell vor, in dem a) Machtaspekte, b) Produktionsbeziehungen und c) die emotionale Bindungsstruktur (Kathexis) zu analysieren sind (vgl. Connell 1999: 94 ff.).
1.4.4.1. Machtbeziehungen
Die Struktur der Machtbeziehungen bezeichnet hauptsächlich die vom Feminismus als patriarchal bezeichnete Gesellschaftsstruktur, die sich durch die Unterordnung der Frau unter den Mann bzw. männliche Dominanz auszeichnet und als gesellschaftlich umfassend bezeichnet werden kann. Diese Struktur ist nach wie vor vorherrschend, auch wenn teilweise Bewegungen in Richtung einer angestrebten Gleichberechtigung zu verzeichnen sind.
1.4.4.2. Produktionsbeziehungen
Für die Struktur der Produktionsbeziehungen sind die geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen bestimmend. Diese umfassen die bekannten geschlechtlichen Zuweisungen von Produktionsaufgaben an Frauen und Männer (Frauen- vs. Männerberufe). Connell verweist hier ausdrücklich auf den Aspekt der wirtschaftlichen Konsequenzen, die sich nicht auf die unterschiedlichen Löhne beschränken, sondern unbedingt auf das Kapital zu erweitern sind, über das Männer auf Grund ihrer wirtschaftlichen Stellungen verfügen. Diese „geschlechtsbezogene Akkumulation“ von Reichtum sieht Connell in einem „direkten Zusammenhang mit dem Reproduktionsbereich[,] vermittelt über das gesellschaftiche Geschlechterverhältnis“ (Connell 1999: 95).
[...]
1 Einen kurzen Überblick über den Forschungsstand zur Entwicklung der ‘Geschlechtscharaktere’ bietet Ursula Renold (1997).
2 Eigene Einfügungen in Zitaten habe ich generell mit eckigen Klammern gekennzeichnet.
3 Zum Einfluß dieses Verständnisses auf die Jugendarbeit siehe Hoffmann (1993).
4 Die Unterschiede sind bei fast allen untersuchten psychologischen Merkmalen bekanntlich entweder nicht oder sehr gering vorhanden.
5 Hervorhebung im Original.
6 In der neueren feministischen Literatur gibt es inzwischen verschiedene Ansätze, in denen diese Probleme erkannt wurden und die sich entsprechend umorientieren.
7 Hervorhebungen im Original.
8 Sartre versucht es mit dem Mangel-Aspekt (vgl. Connell 1982: 314).
9 Hervorhebung im Original. Siehe dazu auch die Negation des 'Praktisch-Trägen' bei Sartre.
10 Hervorhebung im Original.
- Quote paper
- Rene Stauß (Author), 2000, Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1189713
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