Armut ist ein vielschichtiges globales Phänomen, dem man sich auf unterschiedlichste Art nähern kann und genau hier liegt auch der Ansatzpunkt dieser Arbeit. Zunächst soll Sachs´ Idee einer klinischen Ökonomie verdeutlicht werden, die in ihrer Ausrichtung eng mit den Millenniumszielen der Vereinten Nationen verbunden ist und aus ökonomischer Sicht ausführlich vorführt wie sich die Abschaffung extremer Armut, aus einer ökonomisch-analytischen Perspektive, bewältigen ließe. Im Gegensatz dazu befasst sich der zweite Teil der Arbeit nicht mit einer konkreten Armutsbekämpfungsstrategie, sondern mit Armatya Sens Idee der Entwicklung als Freiheit, die Armut als Mangel an Verwirklichungschancen versteht. Armutsbekämpfung bedeutet in diesem Zusammenhang vielmehr Abschaffung von Unfreiheiten der Menschen in ihrem spezifischen sozialen Kontext, so dass Sens Konzept eine völlig neue Betrachtung der Aufgaben von Entwicklungspolitik ermöglicht.
Die Gegenüberstellung von Sachs Konzept der klinischen Ökonomie zur Abschaffung der extremen Armut und Armatya Sens Sichtweise von Armut als Mangel an Verwirklichungschancen ist exemplarisch für die momentane Armutsdebatte, die gerade auch durch die Benennung der Millennium-Entwicklungsziele (MDG) durch die Vereinten Nationen an Aktualität gewonnen hat. Wie können wir Armut begegnen und welche Vorraussetzungen und Mittel sind dazu notwendig? Gerade diese auf den ersten Blick stark differierenden Ansätze geben gemeinsam ein Bild wie Armutsbekämpfung und Entwicklungspolitik im neuen Jahrtausend aussehen könnte.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Jeffrey D. Sachs – Eine klinische Ökonomie
2.1 Ursachen der Armut
2.2 Die Differenzialdiagnose in der klinischen Ökonomie
2.3 Eine Armutsbekämpfungsstrategie im Sinne der Millenium-Entwicklungsziele
2.4 Ein globaler Pakt
3. Armatya Sen – Entwicklung als Freiheit
3.1 Die Idee von Entwicklung als Freiheit
3.2 Formen der Freiheit, Verfahren und Verwirklichungschancen
3.3 Armut als Mangel an Verwirklichungschancen
4. Konzepte im Vergleich
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Armut gibt es seit Menschengedenken. Ungleichverteilung, Ausbeutung, fehlendes wirtschaftliches Potential, Umweltkatastrophen oder auch schlechte Regierungsführung haben unter anderem dafür gesorgt, dass manche Regionen der Erde dauerhaft arm bleiben und ihre Bevölkerung an verschiedensten Formen des Mangels leidet. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts lebte die Mehrheit der Weltbevölkerung in bemerkenswert armen Verhältnissen, bevor durch die Möglichkeiten der Industriellen Revolution, und dem damit verbundenem wachsenden Welthandel, die Armut vor allem in den westlichen Industrienationen zurückging. Heute konzentriert sich extreme Armut auf Regionen wie Schwarzafrika und Südostasien, während der Rest der Welt zumindest teilweise von den Früchten der 225jährigen Expansion der Weltwirtschaft profitiert.
Doch was genau versteht man unter Armut? Ist es schlichter Mangel an Einkommen? Fehlende persönliche Freiheit oder mangelnder Zugang zu natürlichen Ressourcen?
Eine geläufige und recht einfache Begriffsbestimmung ist die Unterscheidung zwischen relativer und absoluter Armut. Unter relativer Armut versteht man dabei „die Lebenslage von Bevölkerungsgruppen, die im Verhältnis zum allgemeinen Wohlstandsniveau am unteren Ende der Einkommens – und Wohlstandspyramide leben.“ (Nuscheler 2004, S.144) Relativ arme Menschen findet man demnach zwar überall auf der Welt, doch ist sie im Gegensatz zur absoluten Armut auch in den OECD-Ländern von Bedeutung.
Absolute Armut hingegen liegt vor, „wenn Menschen nicht über die zur Existenzsicherung notwendigen Güter (Kleidung, Nahrung, Wohnung) verfügen und ein Überleben in Menschenwürde gefährdet ist.“ ( ebd. S.144)
Es gab im Verlauf der entwicklungspolitischen Diskussion zahlreiche Versuche diese einfache Definition zu differenzieren. So kann man Armut auch als Verwundbarkeit (Vulnerabilität) verstehen, die sich in erster Linie über den Zusammenhang von Armut und Umweltbedingungen definiert, die in Form von Klimaveränderungen und Naturkatastrophen die Entwicklung einer Region massiv hemmen können. (ebd. S.148) Andererseits kann Armut auch aus kultureller oder politischer Perspektive betrachtet werden, so dass Menschen als arm bezeichnet werden, die unter mangelnder politischer oder kultureller Partizipation leiden. (ebd. S.147) Oder man beschreibt einen Menschen als extrem arm, wenn er über weniger als einen Dollar am Tag verfügen kann, wie es beispielsweise die Weltbank oder der IWF lange praktizierten. All diese Kategorisierungen sollen den Umgang mit Armut und insbesondere auch ihre Messbarkeit erleichtern. Gerade mangelnde Daten sind häufige Probleme von Entwicklungsorganisationen und Armutsforschern.
Armut ist ein vielschichtiges globales Phänomen, dem man sich auf unterschiedlichste Art nähern kann und genau hier liegt auch der Ansatzpunkt dieser Arbeit. Zunächst soll Sachs´ Idee einer klinischen Ökonomie verdeutlicht werden, die in ihrer Ausrichtung eng mit den Millenniumszielen der Vereinten Nationen verbunden ist und aus ökonomischer Sicht ausführlich vorführt wie sich die Abschaffung extremer Armut, aus einer ökonomisch-analytischen Perspektive, bewältigen ließe. Im Gegensatz dazu befasst sich der zweite Teil der Arbeit nicht mit einer konkreten Armutsbekämpfungsstrategie, sondern mit Armatya Sens Idee der Entwicklung als Freiheit, die Armut als Mangel an Verwirklichungschancen versteht. Armutsbekämpfung bedeutet in diesem Zusammenhang vielmehr Abschaffung von Unfreiheiten der Menschen in ihrem spezifischen sozialen Kontext, so dass Sens Konzept eine völlig neue Betrachtung der Aufgaben von Entwicklungspolitik ermöglicht.
Die Gegenüberstellung von Sachs Konzept der klinischen Ökonomie zur Abschaffung der extremen Armut und Armatya Sens Sichtweise von Armut als Mangel an Verwirklichungschancen ist exemplarisch für die momentane Armutsdebatte, die gerade auch durch die Benennung der Millennium-Entwicklungsziele (MDG) durch die Vereinten Nationen an Aktualität gewonnen hat. Wie können wir Armut begegnen und welche Vorraussetzungen und Mittel sind dazu notwendig? Gerade diese auf den ersten Blick stark differierenden Ansätze geben gemeinsam ein Bild wie Armutsbekämpfung und Entwicklungspolitik im neuen Jahrtausend aussehen könnte.
2. Jeffrey D. Sachs – Eine klinische Ökonomie
Um Sachs Herangehensweise nachzuvollziehen, muss man sich zunächst sein zu Grunde liegendes Armutsverständnis vor Augen führen. Sachs zu Folge leben von den 6,3 Milliarden Menschen auf der Erde knapp 5 Milliarden zumindest auf der untersten Entwicklungsstufe, d.h. sie verfügen zumindest teilweise über fließendes Wasser, Strom, Nahrung, Kleidung, ein Heim, Bildungschancen sowie medizinische Grundversorgung. Der andere Teil schafft aus verschiedenen Gründen den Sprung auf die erste Stufe nicht aus eigener Kraft und lebt in extremer Armut, da viele oder auch alle der oben genannten Merkmale fehlen. Sachs Hauptaugenmerk gilt diesem Teil der Weltbevölkerung, knapp 1 Milliarde Menschen, die vorwiegend in Schwarzafrika und Südostasien leben. Dabei bezieht er sich aus einer analytisch-ökonomischen Sicht ausdrücklich auf Ziel Eins der MDG der Vereinten Nationen, also der Abschaffung extremer Armut bis 2025. (Sachs 2005, S.69)
2.1 Ursachen der Armut
Das Hauptproblem der ärmsten Länder der Welt besteht laut Sachs darin, dass die Armut der betroffenen Menschen selbst der wesentliche Grund dafür ist, dass sie sich nicht aus eigener Kraft aus ihrer Lage befreien können. Um verstehen zu können wie sich die Lage der einzelnen Haushalte, Länder und Regionen darstellt, gilt es mehrere Teilaspekte zu berücksichtigen.
Erstens: Die physikalische Geographie. Darunter versteht man in erster Line die geografischen und klimatischen Bedingungen, die ein Land oder eine bestimmte Region aufweist. Gebirge, wenige schiffbare Flüsse oder fehlende Infrastruktur wie Bahnhöfe, Häfen und Flugplätze führen zu hohen Transportkosten, die wiederum ausländische Investoren abschrecken und somit das Wachstum hemmen. Schlechte Böden oder Dürreperioden führen zu Ernteausfällen und mangelnder Nahrungsmittelversorgung, während tropisches Klima in vielen Fällen die Ausbreitung von Krankheiten wie Malaria oder Bilharziose fördert. Andere Faktoren sind Naturkatastrophen, gerade im Zuge der globalen Erwärmung, wie beispielsweise Überschwemmungen, Wirbelstürme, Tsunamis und andere Naturkatastrophen. Dies sind nur einige Beispiele für die Auswirkungen geografischer oder klimatischer Bedingungen, die zu mangelndem Wachstum einer Volkswirtschaft führen und somit Entwicklung beeinträchtigen können. (Sachs 2005, S.76 – 78)
Zweitens: Die Steuerfalle. Wenn die Bevölkerung eines Landes so verarmt ist, dass keine Steuern mehr an den Staat abgeführt werden können, fehlen den betroffenen Regierungen häufig die Mittel für Investitionen, beispielsweise in das Gesundheitssystem, Infrastrukturmaßnahmen oder Bildungsinstitutionen. Öffentliche Investitionen spielen aber eine gewichtige Rolle bei der Förderung des Wachstums, da es Aufgabe des Staates ist oben genannte Ausgaben zu tätigen. (ebd. S.78)
Drittens: Schlechte Regierungsführung. Grundvoraussetzung für das Wachstum und die positive Entwicklung eines Landes ist eine verantwortungsvolle Führung seitens der jeweiligen Regierungen. Der Staat ist verantwortlich für öffentliche Investitionen, die innere Sicherheit, eine unabhängige Justiz und wirtschaftliche Stabilität. Korruption, Staatsverschuldung oder Staatsversagen führen laut Sachs unweigerlich zu Wirtschaftsproblemen und im Extremfall auch zu Putschen, Bürgerkriegen oder Revolutionen. „Staatsversagen und wirtschaftliches Scheitern können sich gegenseitig in eine Abwärtsspirale der Instabilität treiben.“ (ebd. S. 78-79)
Viertens: Kulturelle Schranken. Die kulturellen und religiösen Werte einer Bevölkerung können ebenfalls zu wirtschaftlichen Problemen führen. So ist zum Beispiel die fehlende Gleichberechtigung der Frau ein wesentliches Problem vieler Länder, da so die Hälfte der Bevölkerung zwar einen familiären und kulturellen, aber keinen finanziellen Beitrag zum Wachstum eines Landes leisten kann, da ihre Rolle auf Kindererziehung und Haushaltsführung beschränkt bleibt.
Ähnliches gilt für ethnische Minderheiten, die beispielsweise von bestimmten Berufen oder Bildungsinstitutionen ausgeschlossen oder gar verfolgt werden. In beiden Fällen schwächt sich die jeweilige Gesellschaft entscheidend selbst. (ebd. S. 79)
Fünftens: Geopolitik. Hierunter versteht Sachs in erster Linie Handelsprotektionismus zwischen Staaten oder auch Sanktionierung von Staaten. Diese Maßnahmen und Barrieren führen ihm zu Folge nur zu steigender Armut, während das verantwortliche Regime in der Regel an der Macht bleibt. (ebd. S.80)
Sechstens: Keine Innovation. Auf Grund von mangelnder Kaufkraft in den betreffenden Ländern ist der Anreiz für Innovationen auf Seiten der Wirtschaft und Forschung geringer als beispielsweise in westlichen Industriestaaten. „Reiche Länder haben einen großen Markt, was den Anreiz zu Innovationen erhöht, neue technische Entwicklungen auf den Markt bringt, die Produktivität weiter steigert, den Markt daher ausdehnt und wieder neue Anreize für Innovationen schafft.[…] In den meisten armen Ländern, vor allem in den kleineren, lässt sich dieser Prozess meist gar nicht erst in Gang bringen.“ (ebd. S.81) In Folge entfallen laut Sachs 98 % der weltweiten Patente auf lediglich 20 Länder.
Siebtens: Die demographische Falle. In den meisten Ländern der Welt ist in den vergangenen Jahrzehnten die Geburtenrate zurückgegangen. Gerade in den Wohlstandsgesellschaften halten sich die Zahlen nahe der Reproduktionsrate von 2, d.h. jede Frau bringt im Durchschnitt eine Tochter zur Welt. In den ärmsten Ländern der Erde beträgt die Reproduktionsrate jedoch meist 5, was dazu führt, dass sich die Bevölkerung von Generation zu Generation verdoppelt. Dies kann laut Sachs verheerende Folgen haben. Auf Grund der Armut der Familie können viele Eltern ihre Kinder meist nicht ausreichend ernähren und medizinisch versorgen. Meist erhält nur eins, meist ein Junge, Zugang zum Bildungssystem, so dass ein Großteil der Kinder ebenfalls in Armut leben wird und wiederum viele Kinder bekommt, was dann erneut zu steigender Armut führen kann.
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- Florian Meyer (Author), 2006, Wege aus der Armut, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118594
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