Diese Arbeit beschäftigt sich mit den musikalischen Vorkenntnissen von Schülern und Schülerinnen im Musikunterricht.
Es werden folgende Fragen beantwortet:
Stellen musikalische Vorkenntnisse im heutigen Musikunterricht einen Vorteil dar und kann ein solcher Schüler den Unterricht positiv oder gar negativ beeinflussen?
Welche Rolle schreiben sich die Schüler mit Vorkenntnissen im Musikunterricht zu?
Welche Vorteile bringen ihnen die privat angeeigneten Vorkenntnisse im schulischen Umfeld?
Im Fokus der Untersuchungen sollen nicht bloß die Schüler stehen, sondern auch die Lehrer, deren Verhalten gegenüber den Schülern mit Vorkenntnissen untersucht werden soll. Eine wichtige Frage entsteht in diesem Zusammenhang mit der Erwartungshaltung des Lehrers. Werden durch die Vorkenntnisse des Schülers die Erwartungen an ihn automatisch höher?
Möchte man die Fragestellungen und Themenfelder zusammenfassend zentralisieren, so geht es in dieser vorliegenden Arbeit um die Einflüsse der Schüler mit Vorkenntnissen im Musikunterricht. Um dieses Forschungsvorhaben umzusetzen, wird die Forschung in zwei Teilen entflochten. Im theoretischen Teil soll der aktuelle Forschungsstand erste Aufschlüsse zum Forschungsgegenstand geben. Einen wichtigen Aspekt bietet dabei die Heterogenitätsforschung. Welchen Einfluss haben die Vorkenntnisse auf die Heterogenität der Klassengemeinschaft? Welche Umgangsformen- und empfehlungen gibt es für Musiklehrende im Hinblick auf Schüler mit Vorkenntnissen?
Ein weiteres Forschungsfeld, welches zu betrachten ist, bietet die Kompetenzforschung. Um zu untersuchen, welchen Einfluss ein Schüler auf den Musikunterricht ausüben kann, muss geklärt werden, welche Kompetenzen im musikpädagogischen Kontext allgemein erwartet und gefördert werden. Durch verschiedene Kompetenzmodelle liegen interessante Ansätze vor, wie Kompetenz im Musikunterricht überhaupt zu erfassen ist. Kann auf diese Weise geklärt werden, an welcher Stelle eine Schnittmenge zwischen außerschulischem und schulischem Musikunterricht besteht?
Im zweiten Teil der Arbeit soll schließlich durch eine empirische Untersuchung versucht werden, die Lücken des aktuellen Forschungsstandes zu schließen und die bis dahin offen gebliebenen Fragen zu klären. Dafür wurde eine qualitative Studie im Rahmen eines eigeninitiierten Forschungsprojektes durchgeführt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretischer Teil
2.1. Heterogenität
2.1.1. Begriffsimplikation
2.1.2. Heterogenität im Schulkontext
2.1.3. Leistungsheterogenität im Musikunterricht
2.1.3.1. Eigene Erfahrungen
2.1.3.2. Forschungsstand zum Vorwissen von Instrumentalisten
2.1.3.3. Der Umgang mit Heterogenität als Herausforderung für die Lehrenden
2.2. Kompetenzen und Einstellungen im Musikunterricht
2.2.1. Kompetenzen im pädagogischen Kontext (Begriffserläuterung)
2.2.2. Kompetenz in der Musikpädagogik
2.2.2.1. KoMus Kompetenzmodell
2.2.2.2. Das Fokusmodell
2.2.3. Einstellungen
2.2.3.1. Musikunterricht aus Schülersicht
2.2.3.2. Zielvorstellung von Musiklehrenden
2.2.4. Instrumentalisten im Schulkontext
2.2.4.1. Zahlen und Daten:
2.2.5. Einflüsse und Wirkung von Instrumentalunterricht
2.3. Zwischenfazit
3. Empirische Untersuchung
3.1. Fragestellung und Zielsetzung
3.2. Datenerhebung und Aufbereitung
3.2.1. Empirische Methode
3.2.2. Stichprobe
3.2.3. Wissenschaftliches Interview
3.2.4. Leitfaden
3.2.5. Transkription
3.3. Datenauswertung
3.3.1. Entwicklung eines Kategoriesystems
3.4. Ergebnisse
3.4.1. Darstellung nach Kategorie
3.4.2. Kritik & Reichweite
3.4.3. Diskussion & Ausblick
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Seit vielen Jahren gebe ich selbst außerschulischen Gitarrenunterricht. Als Lehrer erlebt man in den Jahren gute wie auch weniger gute Schüler1 – musikalisch begabte und eben solche, denen man kein musikalisches „Talent“ zuschreiben würde. Einem sehr talentierten Schüler von mir brachte ich das nicht unbedingt notwendige Notenlesen für den Gitarrenunterricht bei. Als klassisch ausgebildeter Gitarrist ist mir dieser musiktheoretische Aspekt sehr wichtig. Meinen Schüler schätzte ich aufgrund meiner Erfahrung mit ihm als ebenso fleißigen und guten Schüler in seinem schulischen Musikunterricht ein. Als ich jedoch davon erfuhr, dass er von seinem Fachlehrer eine gegenteilige Bewertung erhielt und als musikalisch untalentiert bewertet wurde, zweifelte ich an meiner eigenen Urteilskompetenz. Schnell fing ich allerdings an, diese Diskrepanz zu hinterfragen und mich für die möglichen Ursachen dieser unterschiedlichen Bewertung zu interessieren. Vermutlich mag es am unterschiedlichen Erwartungshorizont zwischen mir und dem Fachlehrer liegen. Eventuell gibt einen persönlichen Zusammenhang, oder der Schüler verhält sich im außerschulischen Unterricht anders als im schulischen Musikunterricht. Eine weitere These wäre, dass der Schüler im Unterricht keine Möglichkeit bekommt, sein musikalisches Talent und Können zu zeigen. Hat der Instrumentalunterricht so wenig mit dem schulischen Musikunterricht gemein, dass einem Schüler seine Vorkenntnisse2 nicht helfen?
Aufgrund dieser persönlichen Vorgeschichte habe ich ein ausgeprägtes Interesse an dem Verhältnis zwischen musikalischen Vorkenntnissen und dem schulischen Musikunterricht. Stellen musikalische Vorkenntnisse im heutigen Musikunterricht einen Vorteil dar und kann ein solcher Schüler den Unterricht positiv oder gar negativ beeinflussen? Da ich persönlich bereits vor der weiterführenden Schule mit meiner außerschulischen Instrumentalausbildung begonnen habe, war ich ständig einer der Schüler, der eigenes musikalisches Vorwissen in den Schulunterricht mitbrachte. Als Schüler konnte ich nicht beurteilen, ob der Lehrer dies bemerkte oder in seine Bewertung einfließen ließ. Damals hatte mich allerdings auch niemand dazu gefragt.
Zu meiner Forschungspflicht als Student sehe ich mich nun dazu verpflichtet, diese Fragen zu stellen und sie zu meinem eigenen Forschungsinteresse zu erklären.
Welche Rolle schreiben sich die Schüler mit Vorkenntnissen im Musikunterricht zu? Eine beeinflussende oder eine gleichgestellte Rolle mit denen, die kein musikalisches Vorwissen aufweisen? Welche Vorteile bringen ihnen die privat angeeigneten Vorkenntnisse im schulischen Umfeld?
Im Fokus der Untersuchungen sollen nicht bloß die Schüler stehen, sondern auch die Lehrer, deren Verhalten gegenüber den Schülern mit Vorkenntnissen untersucht werden soll. Kann ein Schüler mit Vorkenntnissen das Leistungsniveau der Klassengemeinschaft aus Lehrersicht stärken und eine unterstützende Funktion übernehmen? Wie geht die Lehrperson mit diesen Schülern um? Erhalten sie eine bevorzugte Behandlung oder werden sie ihren Mitschülern gleichgestellt? Welche Dynamiken können sich dadurch im sozialen Bereich des Unterrichts entwickeln? Eine wichtige Frage entsteht in diesem Zusammenhang mit der Erwartungshaltung des Lehrers. Werden durch die Vorkenntnisse des Schülers die Erwartungen an ihn automatisch höher?
Möchte man die Fragestellungen und Themenfelder zusammenfassend zentralisieren, so geht es in dieser vorliegenden Arbeit um die Einflüsse der Schüler mit Vorkenntnissen im Musikunterricht. Um dieses Forschungsvorhaben umzusetzen, wird die Forschung in zwei Teilen entflochten. Im theoretischen Teil soll der aktuelle Forschungsstand erste Aufschlüsse zum Forschungsgegenstand geben. Einen wichtigen Aspekt bietet dabei die Heterogenitätsforschung. Von dieser erhoffe ich mir vor allem Erkenntnisse über die Leistungsheterogenität im Musikunterricht. Welchen Einfluss haben die Vorkenntnisse auf die Heterogenität der Klassengemeinschaft? Welche Umgangsformen- und empfehlungen gibt es für Musiklehrende im Hinblick auf Schüler mit Vorkenntnissen? Ein weiteres Forschungsfeld, welches zu betrachten ist, bietet die Kompetenzforschung. Um zu untersuchen welchen Einfluss ein Schüler auf den Musikunterricht ausüben kann, muss geklärt werden, welche Kompetenzen im musikpädagogischen Kontext allgemein erwartet und gefördert werden. Durch verschiedene Kompetenzmodelle liegen interessante Ansätze vor, wie Kompetenz im Musikunterricht überhaupt zu erfassen ist. Kann auf diese Weise geklärt werden, an welcher Stelle eine Schnittmenge zwischen außerschulischem und schulischem Musikunterricht besteht?
Im zweiten Teil der Arbeit soll schließlich durch eine empirische Untersuchung versucht werden, die Lücken des aktuellen Forschungsstandes zu schließen und die bis dahin offen gebliebenen Fragen zu klären. Dafür wurde eine qualitative Studie im Rahmen eines eigeninitiierten Forschungsprojektes durchgeführt.
2. Theoretischer Teil
2.1. Heterogenität
2.1.1. Begriffsimplikation
Der Begriff Heterogenität ist durch die deutschsprachige Erziehungswissenschaft zu einem wichtigen Begriff avanciert. Versucht man sich an einer allgemeinen Definition, so lässt sich Heterogenität nicht trennscharf zu verwandten Begriffen wie Diversität und Intersektionalität abgrenzen. Da diese Unschärfe eine Unverständlichkeit des Begriffs Heterogenität evoziert, ist eine Ausarbeitung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden unumgänglich.
Diversität - oder der im internationalen Sprachgebrauch unter „Diversity“ verstandene Begriff - wird ursprünglich als soziologisches Konzept verstanden und findet häufig im Sinne des „Diversity Management“ im ökonomischen Bereich Gebrauch.3 In diesem Kontext wird der Begriff als Programm zur Berücksichtigung der Vielfalt und Verschiedenheit bzw. der Steigerung des Anteils von unterrepräsentierten Gruppen in Organisationen verstanden. In einem erziehungswissenschaftlichen Kontext stehen weniger diese Steuerungsprogramme im Fokus, sondern gesellschaftliche Differenzverhältnisse. Geier und Mecheril verstehen unter Diversität grundsätzlich „die erziehungswissenschaftlich relevante Thematisierung gesellschaftlicher Differenzen“4 als kritischen Impuls gegen die Ignoranz dieser Differenzen in der pädagogischen Praxis. Unter dem ebenfalls populären Begriff „Diversity Education“ wird in einem sexualpädagogischen Kontext eine vielfältige, sexuelle Lebensweise sensibilisiert.5 Der Begriff Intersektionalität stammt ursprünglich aus politik- und rechtswissenschaftlichen Diskursen und kennzeichnet die Überschneidung verschiedener soziokulturellen Differenzkategorien und damit einhergehende soziale Positionierungen. „Intersektionalität versteht soziale Positionierungen als ein Zusammenspiel von unterschiedlichen soziokulturellen Differenzkategorien, wobei diese nur in ihrem jeweiligen Kontext zu verstehen sind“.6 Hierbei sind klassische sozialkulturelle Kategorien wie Geschlecht, Milieu, Ethnizität oder Behinderung mit der Zeit durch sexuelle Orientierung, Alter, Religion etc. ergänzt worden.7
Primär zielt Intersektionalität also auf die Analyse von Macht und Herrschaft, kann aber auch als ein Instrument zur Analyse von Ungleichheit begriffen werden.
So finden sich in den Begriffen Diversität und Intersektionalität Gemeinsamkeiten, da sie verschiedene Differenzkategorien untersuchen und gemeinsame soziologische Wurzeln haben. Durch den Einschluss in erziehungswissenschaftliche Diskurse verschob sich der Fokus von Steuerungsfragen hin zu gesellschaftlichen Differenzverhältnissen. Intersektionalität und Diversity verstehen Differenzen jedoch relational und in Machtverhältnisse integriert.8 An dieser Stelle wird der Unterschied zur Heterogenität als erziehungswissenschaftlicher und schulpädagogischer Begriff deutlich: Der Begriff ist „häufig nicht relational, sondern als naturgegebene und individuell-personengebundene Tatsache jenseits von Machtverhältnissen“9 zu verstehen. Lang, Grittner, Rehle und Hartinger fassen die Eigenschaften des Heterogenitätsbegriffs in vier Punkten wie folgt zusammen:10
Relativität: Heterogen ist die Bezeichnung für ein Resultat eines Vergleichs eines bestimmten Merkmals zu einem bestimmten Maßstab. Es ist also keine absolute Eigenschaft.
Partialität: Die Differenzen, die als heterogen bezeichnet werden, sind nur partiell und zeitlich begrenzt, da sie sich stets vergrößern oder verringern können.
Konstruiertheit: Heterogenität kann nur durch das Anlegen eines bestimmten Maßstabs definiert werden. Somit ist der Maßstab auch immer ein Konstrukt.
Wertneutralität: Die Konstruktion von Heterogenität erfolgt zwar immer aus Interesse, ist jedoch normativ und grundsätzlich keine Bewertung.
Da der Begriff Heterogenität für diese Arbeit ausschließlich im erziehungswissenschaftlichen Kontext interessant ist, wird im folgenden Abschnitt der Bezug zur schulpädagogischen Praxis dargestellt.
2.1.2. Heterogenität im Schulkontext
Im Fachportal Pädagogik (FIS) wird deutlich, dass der Begriff Heterogenität in den vergangenen Jahren eine Art Konjunktur in der Schulpädagogik erlebt. In den 1990er Jahren dagegen, existierte nur eine einstellige Anzahl an erziehungswissenschaftlichen Publikationen. In der heutigen Suche, werden mehr als 250 Titel pro Jahrgang gefunden.11 Der Grund für diesen Anstieg an Veröffentlichungen ist nicht eindeutig auszumachen, lässt aber Raum für einige begründete Thesen. So vermutet Baumert, dass die Veröffentlichung der ersten PISA-Ergebnisse und der damit einhergehenden öffentlichen, bildungspolitischen Diskurse über die großen ungleichheitsverstärkenden Effekte der deutschen Schule ein Auslöser ist.12
Als weiteren Impuls kann man den Anspruch und die Forderung an Inklusion von Bildungsinstitutionen betrachten. Obwohl die Forderung primär auf die Überwindung von Differenzen bei Kindern mit und ohne Behinderungen in der Schule zielt, werden mittlerweile auch andere soziokulturelle Differenzkategorien eingeschlossen.
Diese soziokulturelle Ebene der Heterogenität gilt als eine unveränderliche Bedingung oder Ausgangssituation der schulischen Arbeit. Eine weitere Ebene ist die schulleistungsbezogene Heterogenität, die ausschließlich die Leistungsdifferenzen in der Schule beschreibt.13 Da die erste Ebene nicht selten die zweite Ebene bedingt, ist der Auftrag von Schule, die Auswirkung der soziokulturellen Heterogenität auf der schulleistungsbezogenen Ebene zu minimieren. Dabei liegt der Fokus ganz offensichtlich auf dem Lern- und Leistungsverhalten bzw. dem daraus resultierenden Bildungserfolg.14
Heinzel formuliert dazu: „Diese Heterogenitätsdimension bezieht sich auf Fähigkeiten, Behinderung und Begabung von Kindern. Im Fokus steht die Unterschiedlichkeit der Voraussetzungen und Bedingungen des Lernens.“15 Bewertbare Leistungsdifferenzen sind für die Institution Schule eigentlich unverzichtbar, da sie im Sinne der gesellschaftlichen Funktion der Allokation dienen. Schüler werden demnach entsprechend ihrer unterschiedlichen gemessenen Leistungen sozial und beruflich positioniert, um die funktional differenzierte Gesellschaft aufrecht zu halten.
Somit lässt sich feststellen, dass durch die Organisationsform der Schule Heterogenität ein sozial und gesellschaftliches Konstrukt ist. Die aktuelle Tendenz zu einheitlichen Maßstäben und Standards wie dem Zentralabitur steht zwar im Widerspruch zu der Heterogenitätsorientierung, jedoch bestätigen solche vergleichende Maßnahmen erst, dass Homogenität eben nicht selbstverständlich und zu erwarten ist. Heterogenität im schulischen Kontext wird im diskursiven Umfeld also nicht als Problem, sondern häufiger als Chance gesehen. Differenzen unterliegen daher tendenziell positiver Wertung und werden zunehmend als produktive Ressource empfunden. Ob diese Annahme auch für den Musikunterricht gilt, soll im Folgenden untersucht werden.
2.1.3. Leistungsheterogenität im Musikunterricht
„Kaum ein Schulfach wird so sehr durch heterogene Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler geprägt wie das Fach Musik (...)“16
In der Musikpädagogik und besonders bei Lehrenden scheint Leistungsheterogenität eher als negativ und herausfordernd betrachtet zu werden. Hierzu lohnt es sich zu einem späteren Zeitpunkt, die Wahrnehmung von Heterogenität durch Musiklehrende genauer zu betrachten.
Ergründet man zunächst die Musikpädagogik im Allgemeinen, offenbaren sich Konzeptionen wie die „Auditive Wahrnehmungserziehung“ oder der „Aufbauende Musikunterricht“. Daran lassen sich klare Homogenisierungstendenzen ablesen, die eine Möglichkeit zu einem voraussetzungslosen und homogenen Lernbeginn nahelegen.17
Selbst wenn der Lernbeginn ein homogener wäre, ist es unrealistisch anzunehmen, dass sich die Homogenität einer Lerngruppe im Musikunterricht über 9-13 Schuljahre aufrecht halten lässt. Vielmehr sind es verschiedene Veranlagungen, Interessen und Rahmenbedingungen, die die Leistungsheterogenität im Musikunterricht facetten- und umfangreicher ausdifferenziert als in anderen Fächern. Verschiedene individuelle Voraussetzungen und Kompetenzen der Schüler sind als Heterogenitätsmerkmale im Musikunterricht unterschiedlich stark ausgeprägt.
Überfachliche leistungsbezogene Merkmale wie sprachliche Kompetenz, Lern-, Arbeitsleistung und Bereitschaft, Lesefähigkeit, Denkvermögen, Sozialverhalten etc. wirken sich ähnlich wie in anderen Schulfächern grundsätzlich auch auf den Musikunterricht aus. Diese sind im Musikunterreicht allerdings nur von geringerer Bedeutung. Die bedeutenderen Heterogenitätsmerkmale im Musikunterricht sind die musikbezogenen Interessen der Schüler. Unterschiedlich ausgeprägtes Interesse an Musikgenres und die Rezeption in unterschiedlich ausgeprägter Intensität kann sich zum einen auf die Begeisterung, Identifikation und Leistungsbereitschaft im Musikunterricht auswirken. Zum anderen kann sich die Beschäftigung mit Musik aber auch auf musikbezogene Heterogenitätsmerkmale wie die Auditive Wahrnehmung, Zugänge zur Musik oder musikalische Kreativität beeinflussen. Die positiven Auswirkungen von Konsum von Musik, bspw. der Klassik, auf die musikalische Entwicklung sind in der Forschung allgemein bekannt und sollen in diesem Rahmen nicht weiter ausgeführt werden. Auch die Bedeutung von Musik im Elternhaus kann eine heterogene Prägung auf die Schüler hervorrufen.
Als zentrales Heterogenitätsmerkmal im Musikunterricht steht allerdings die musikalische Erfahrenheit des Schülers durch den Einfluss von außerschulischem Instrumental- oder Gesangsunterricht. Das musiktheoretische und praktische Vorwissen, die musikästhetische Erfahrung und Kompetenzen, welche die Schüler neben der Schule in ihrer Freizeit erlernen, besitzen augenfällig eine sehr große Schnittmenge zu den Kompetenzen, die im Musikunterricht vermittelt werden sollen. Besonders für den musikpraktischen Bereich des regulären Musikunterrichts lässt sich ein Einfluss von diesen Vorkenntnissen auf die Leistung vermuten. Um diese herausfordernde Voraussetzung der Heterogenität im Musikunterricht aus Sicht des Lehrenden darzustellen, soll im Folgenden ein kurzer persönlicher Erfahrungsbericht in Bezug zur Heterogenität im Musikunterricht gegeben werden.
2.1.3.1. Eigene Erfahrungen
Auch ich erkannte bereits früh in meiner Praktikumsphase die Bedeutung von Heterogenität im Musikunterricht. Während meiner ersten hospitierenden Stunden im Musikunterricht der 6. Klasse, bat der Musiklehrer um eine kurze Vorstellung der Schüler und ihren musikalischen Vorlieben und Erfahrungen. Reihum meldeten sich zunächst die Schüler, die stolz von ihren musikalischen Vorkenntnissen erzählten. Einige traten sogar zum Klavier nach vorne, um ein auswendig gelerntes, klassisches Lied vorzuspielen. Ich war zunächst beeindruckt von der entgegengebrachten Begeisterung für die Musik und der angstfreien Präsentation instrumenteller Fertigkeiten. Im gleichen Moment realisierte ich jedoch, dass mehr als die Hälfte der Schülerschaft keine dieser Fertigkeiten oder Erfahrungen im musikpraktischen Bereich teilt. So ergab sich für mich der Eindruck, dass bereits im jungen Schulalter eine relativ große Gruppe mit einem fachlichen Rückstand gegenüber der Klassenkameraden mit musikalischen Vorkenntnissen konfrontiert wird. Im weiteren Verlauf des Praxissemesters verstärkte und bestätigt sich dieses Bild weiter.
Im Unterrichtsgeschehen merkte man als Lehrender schnell, dass die Schüler mit instrumentalen Vorkenntnissen deutlich schneller das geforderte musikbezogene Sachwissen sowie die auditiven und musikästhetischen Kompetenzen anwenden und erweitern konnten. In der Musikklasse saßen Fans und Konsumenten von Deutschrap und Hip-Hop neben Instrumentalisten von klassischen Instrumenten wie Klavier oder klassische Gitarre. Der E-Gitarrist der Schulband saß neben einem Schüler, der einzig zu Festtagen in der Kirche gesungen hatte und nicht das musikalische Gehör und Verständnis besitzt bzw. erlernt hat, um Melodien oder Rhythmen problemlos nachzumachen. Ich habe diese Ausgangslage im Musikunterricht als ungleiche Startbedingungen interpretiert. Dabei handelt es sich zunächst nur um eine persönliche Erfahrung bzw. Empfindung in einem Klassenzimmer. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die vorhandene Heterogenität in vielen, wenn nicht sogar in den meisten Klassenzimmern in Deutschland, eine große Herausforderung für Musiklehrende darstellt. Um diese Annahme, die durch persönliche Erfahrung bestärkt wurde, mit einem wissenschaftlichen Zugang zu versehen und zu belegen, lohnt es sich, einige Studien zum Umgang mit Heterogenität im Musikunterricht vorzustellen. Im ersten Schritt soll dazu der Forschungsstand zu den Instrumentalisten als vermeintliche Hauptvariable der Heterogenität im Musikunterricht, dargestellt werden.
2.1.3.2. Forschungsstand zum Vorwissen von Instrumentalisten
In Ergänzung zu den Forschungsergebnissen der PISA-Studien legten 2012 Bildungsforschende einen zusätzlichen Schwerpunkt auf die kulturelle und musikbezogene Bildung. Dadurch, dass die PISA-Studien ihren Fokus auf soziale Ungleichheit in der Schule auf die Kernfächer und Naturwissenschaften beschränken, kann der Bildungsbericht immerhin ansatzweise diese Lücke füllen und wichtige Erkenntnisse auf sozialkultureller Ebene zum vorliegenden Forschungsinteresse geben:
- Allgemeines Interesse am Musizieren im Elternhaus ist unabhängig vom Sozialstatus oder Migrationshintergrund und erfolgt hauptsächlich ohne Bildungsintention.18
- Schüler, die musikalische Förderung außerhalb der Schule in Vereinen oder Musikschulen erhalten, kommen meist aus Elternhäusern mit höherem Bildungsstandard und seltener mit Migrationshintergrund.19
- Schüler aus einem Elternhaus mit niedrigeren sozioökonomischen Status besuchen seltener Konzerte, Museen oder Theater und zeigen ein größeres Interesse an Musikproduktionen im Hip-Hop und Rap Bereich.
Eine grundsätzliche Heterogenität der Elternhäuser nimmt auch Anne Niessen innerhalb eines schulischen Musikprogrammes wahr. In ihrer Studie zur Heterogenität in JeKi20 -Klassen kommt sie zu folgendem Ergebnis: „Insgesamt ist festzuhalten, dass die JeKi-Lehrenden eine große Heterogenität der Elternhäuser wahrnehmen (...). Verschiedene Kinder und verschiedene Eltern, verschiedene Sozialschichten (...).“21
Die Verstärkung des Klischees zur Abhängigkeit der musikalischen Partizipation vom Elternhaus und einer daraus resultierenden Leistungsheterogenität im Musikunterricht ist dadurch jedoch nicht abzuleiten.
Diesen fehlenden Bezug vom Einfluss von Heterogenitätsmerkmalen, die durch musikalische, außerschulische Aktivitäten entstehen, auf den Musikunterricht, erforscht Günther Bastian.
In einer Studie untersuchte er den Zusammenhang von Leistung als Selbsteinschätzung jugendlicher Instrumentalisten. Die Stichprobe umfasste 2155 Jugendliche, die mindestens einmal bei dem Wettbewerb „Jugend musiziert“ teilnahmen. Das Ergebnis weist deutliche Parallelen zur Untersuchung vom Bildungsbericht auf:
- „Der Umgang mit Musik, das Erlernen eines Instruments korreliert mit der musiksozialen Herkunft der Eltern stärker als mit selbsterworbenem Bildungskapital (...).“22 „Die Korrelation zwischen hohem sozialen Status des Elternhauses und dem Erlernen eines Instruments ist eindeutig: 92% der Jugendlichen wurden der Mittel- und Oberschicht zugeordnet.“23
- 95% der Befragten, die ein Instrument spielen, wiesen sich selbst gute Fachqualifikationen und gute Noten im Schulfach Musik zu. Die Studie bestätigt also eine starke Korrelation zwischen guten Schulnoten und außerschulischer Musikförderung.
Leider ist in dieser Studie nicht klar ersichtlich, auf welche Themenfelder und Kompetenzen im Musikunterricht die Ergebnisse zurückzuführen sind. Die guten Leistungen der Schüler könnten somit auch ausschließlich auf die musikpraktischen Erfahrungen in musikpraktischen Themenfeldern des Unterrichts zurückzuführen sein.
Nimmt man das allgemeine Forschungsverständnis von der hohen Bedeutung von Vorkenntnissen auf die Schulleistung an, so überrascht die geringe Anzahl der Studien, die Heterogenität in der Praxis des Musikunterrichts untersuchen. Der Bildungsbericht weist hier auf die Komplexität der Erforschung hin:
„Auch wenn eigenen künstlerischen Aktivitäten und der damit verbundenen – auch reflexiven – Auseinandersetzung mit ästhetischer Praxis eine besondere Bedeutung für individuelle Bildungsprozesse zukommt, so muss doch zugleich beachtet werden, dass dieser Prozess in seinem Bildungsertrag nicht direkt erfassbar ist.“24
Dies mag auch an einem fehlenden Instrument der Methodik zur Messung von musikpraktischer Leistung in größeren Stichproben liegen.
Der Herausforderung privates Musizieren mit dem schulischen Musikunterricht zu relativieren, nahm sich dennoch Hasselhorn und Lehmann 2015 an.
In der empirischen Studie wurden zwei Thesen untersucht:
1. Für den Bereich der Musikpraxis in Jahrgangsstufe 9 liegt eine überdurchschnittliche Leistungsheterogenität vor.
2. Außerschulischer Instrumentalunterricht kann für diese Leistungsheterogenität verantwortlich gemacht werden.
Dazu erstellten Hasselhorn und Lehmann ein Strukturmodell musikpraktischer Kompetenzen, die aus den Dimensionen Gesang, instrumentales Musizieren und Rhythmusproduktion bestanden. Die Probanden erhielten bei der Durchführung standardisierte Aufgaben für jeden Bereich. Als Stichprobe wählte man Schüler aus sechs verschiedenen Schulen und unterschiedlichen Schulsystemen (Musisches Gymnasium, Gymnasium und Realschule) aus, wovon ca. 46% außerschulischen Instrumentalunterricht erhielten. Die Ergebnisse der Untersuchung liefern wichtige Erkenntnisse für die musikpäSchuldagogische Forschung und bilden zugleich das Fundament der vorliegenden Arbeit.
Die Frage nach der Existenz von Leistungsheterogenität im Musikunterricht kann durch das Ergebnis einer enormen Streuungsbreite der Leistungen in den Dimensionen Gesang und instrumentales Musizieren bejaht werden. In der Dimension der Rhythmusproduktion entspricht hingegen die Streuungsbreite der Standardnormalverteilung. Ob diese Leistungsheterogenität durch den Einfluss von außerschulischem Instrumentalunterricht entsteht, lässt sich durch die Ergebnisse der nach Unterrichtsjahren unterteilten Detailanalyse bestätigen: „Schüler, die bereits länger Instrumentalunterricht erhielten, erzielen in allen drei Dimensionen höhere Leistungen.“25 Die vorliegende Datengrundlage dieser Studie bietet zwar keine Auskunft über das tatsächliche Ausmaß des Einflusses von außerschulischer Musikerfahrung auf die Heterogenität, da hierfür sicherlich auch die Qualität und Intensität des Instrumentalunterrichts berücksichtigt werden müsste. Jedoch kann diese Studie erstmals die grundsätzlich in der Musikpädagogik lange vermutete Leistungsheterogenität im Musikunterricht empirisch quantifizieren, sowie die außerschulische Musikpraxis als dessen Hauptursache identifizieren.
2.1.3.3.Der Umgang mit Heterogenität als Herausforderung für die Lehrenden
An dieser Stelle möchte ich zu der Aussage zurückkehren, bei der Leistungsheterogenität im Musikunterricht als Herausforderung und etwas Negatives für die Lehrenden wahrgenommen wird. Tatsächlich gaben mehr als die Hälfte der befragten Lehrer im Rahmen einer PISA-Studie an, dass Begabungsunterschiede von Schülern als „starke Berufserschwernis“ betrachtet werden.26 Da die Forschung leider empirische Untersuchungen zum Umgang mit Heterogenität von Lehrenden vermissen lässt, muss man sich als Lehrkraft vorerst mit Ratgebern zufriedengeben. Dennoch lohnt sich ein Blick in die Literatur, um ein Verständnis für die Schwierigkeit für die Lehrenden zu bekommen.
Einen didaktisch wertvollen und nach wie vor aktuellen Beitrag leisteten Günther, Ott und Ritzel bereits vor 30 Jahren.27 In einem musikdidaktischen Konzept weisen sie unter anderem auf die besondere Bedeutung von individuellen Voraussetzungen und Interessen der Schüler hin und identifizieren diese als Variable in der Unterrichtsplanung. Sie erstellen ein Konzept bestehend aus sieben Merkmalen. Die folgenden vier Merkmale spielen dabei eine übergeordnete Rolle in der Heterogenitätsproblematik:
1. Das Mitwirken der Schüler bei der Unterrichtsplanung ist Teil des Unterrichts selbst.
2. Erfahrungen, Interesse und Vorkenntnisse der Schüler spielen eine wichtige Rolle, werden im Unterricht angesprochen und strukturieren die Kommunikation über die Unterrichtsentscheidungen mit.
3. Der Lernprozess selbst wird zum Lerngegenstand: Die Bedeutsamkeit vom Lerngegenstand für die Schüler und ihr Lernen ist wichtig.
4. Spontanität, Eigeninitiative, entdeckendes Lernen und Selbsttätigkeit soll gefördert werden. Dazu hilft eine Binnendifferenzierung in Form von Arbeitsteilung, Kooperation oder Gruppenarbeit.28
Besonders das zweite vorgestellte Merkmal des Konzepts ist wichtig für die Akzeptanz und Inklusion von Heterogenität im Unterricht, da es die Lehrenden dazu sensibilisiert, Heterogenitätsmerkmale der Schüler mit in den Unterricht einfließen zu lassen.
Als angehender Lehrer ist jedoch die theoretisch-wissenschaftliche Ausführung der didaktischen Hilfestellungen kritisch zu betrachten, da diese oft ungenau und nicht anschaulich aufgeführt sind und sich dadurch eine Umsetzung in die Unterrichtspraxis schwierig gestaltet. Markus Cslovjecseks Beitrag wirkt hingegen praxisorientierter.29 Er fasst das gemeinsame Musizieren im Klassenverbund als vielversprechende Reaktion auf heterogene Voraussetzungen bei Schülern auf. Weil diese Voraussetzungen und musikästhetischen Erfahrungen sehr unterschiedlich ausgeprägt sein können, hat laut Cslovjecsek die Institution Schule bzw. der Musiklehrende mindestens die Aufgabe, alle Schüler an dem Erlebnis und den Emotionen des praktischen Musizierens teilhaben zu lassen.
Bei der Gestaltung und Planung einer Musikstunde fordert Anne Niessen besonders bei Aufgaben und Leistungsüberprüfungen eine Differenzierung je nach Lernstand der Schüler: „Wenn sie der Förderung aller Schüler dienen sollen, müssen sie Differenzierungsmöglichkeiten bereitstellen, um eine optimale Passung zu erzielen“.30
Besonders bei der Differenzierung von musikalischen Kompetenzen scheint dies besonders herausfordernd für die Lehrkraft.31 Damit es dennoch gelingt, ist eine diagnostische Kompetenz der Lehrkraft zu erwarten.
Fächerübergreifend gesehen umfasst „pädagogische Diagnostik alle diagnostischen Tätigkeiten, durch die bei einzelnen Lehrenden und den in einer Gruppe Lernenden, Voraussetzungen und Bedingungen planmäßiger Lehr- und Lernprozesse ermittelt, Lernprozesse analysiert und Lernergebnisse festgestellt werden, um individuelles Lernen zu optimieren.“32
Die relevantesten Handlungsformen der Diagnostik für den Umgang mit Heterogenität sind das Erfassen, Beobachten und Deuten individueller Lernvoraussetzungen und Lernprozesse der Schüler. Dies gilt als Grundlage für eine zielgerichtete Differenzierung in heterogenen Lerngruppen. Die Instrumentarien, welche den Lehrenden hierbei zur Verfügung stehen, sind Testverfahren, Verhaltens- und Lernprozessbeobachtungen.
Bei der Betrachtung fällt vor allem auf, dass es keinen Musterweg für einen richtigen Umgang mit Heterogenität im Unterricht gibt. Jede neue Unterrichtsstunde und jedes neue Thema schafft unterschiedliche Ausgangslagen und somit neue Situationen. Außerdem könnte eine Aufspaltung in leistungsstärkere und -schwächere Schüler zu einer Konstruktion von Leistungsdifferenzen führen.
Die Abbildung von Michael Eckhart veranschaulicht den anspruchsvollen Kreislauf von Beobachten, Diagnostizieren und didaktischer Anpassung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Dimensionen für den Unterricht in heterogenen Schulklassen (Eckhart 2010, S. 145.)
Für die Diagnostik von Heterogenität im Musikunterricht muss man zunächst verschiedene Bereiche bilden. Einen brauchbaren Vorschlag bringen Hoene und Thurmann mit der Einteilung von Heterogenität im Musikunterricht in fünf Bereiche .33
Durch anonymisierte Eingangstests, Kriterien geleitete Beobachtungs- und Selbsteinschätzungsbögen kann auch der individuelle Lernprozess in den Bereichen Lernstil, Lerntempo, Lerndisposition, Lernstand und Lerninteresse diagnostiziert werden.
Auf Basis der diagnostischen Informationen, die der Lehrende im Anschluss erhält, kann er die Unterrichtsstunde inklusive Differenzierungen planen. Will man die Ausgangslage vor einer solchen Planung visualisieren, findet man in dem Modell der Individualkonzepte von Anne Niessen eine gute Darstellung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Modell der Individualkonzepte (Niessen 2006, S. 227)
Dabei erkennt man, welche Variablen die Bedingungen formen, die der Lehrende bei der Wahl des Vermittlungsprozesses beachten muss, um ein gestecktes Ziel zu erreichen.
Diese Aufgabe wird, wie eingangs beschrieben, oft als Herausforderung gesehen, zumal eine Differenzierung in Arbeitsangebot und Arbeitstempo immer ein Mehraufwand für die Lehrperson in der Vorbereitung bedeutet. Differenzierende Maßnahmen stehen in der Ansicht von Musiklehrenden also in einem ständigen Spannungsfeld zwischen der grundsätzlichen Absicht, Heterogenität im Musikunterricht zu berücksichtigen, und den Herausforderungen des Schullalltags, die eine Umsetzung von Differenzierung erschweren.
Obgleich viele Musiklehrende Heterogenität als Herausforderung oder gar Belastung sehen, sehe ich die Verschiedenheit der Schüler, besonders in Bezug auf die musikalische Vorerfahrenheit, als kreativen Startpunkt und Chance als Gewinn für die Unterrichtsqualität an. Perspektivisch wünschenswert wäre ein praxisnaher Diskurs, der den Umgang mit heterogenen Gruppen im Musikunterricht weiterentwickelt und verbessern kann.
2.2. Kompetenzen und Einstellungen im Musikunterricht
Will man den Einfluss von Schülern mit Vorkenntnissen im Musikunterricht untersuchen, muss zunächst die Frage nach den allgemeinen Kompetenzen geklärt werden: Welche Kompetenzen werden im Musikunterricht gefördert, welche werden von den Lehrenden erwartet? Zu klären ist in diesem Kontext, welche Kompetenzen ein Schüler bereits außerschulisch erlernt hat und ob sich durch eine zu erwartende Schnittmenge eine unterschiedliche Erwartungshaltung und Einstellung gegenüber dem schulischen Musikunterricht entwickelt. Hierbei ist nicht nur die Erwartungshaltung von Schüler gegenüber dem Unterricht gemeint, sondern auch eine mögliche unterschiedliche Erwartungshaltung der Lehrenden.
2.2.1. Kompetenzen im pädagogischen Kontext (Begriffserläuterung)
Die Wurzeln des Kompetenzbegriffs liegen im Staatsrecht. Schon im römischen Staatsrecht wurden Bürger oder Staatsorgane als competens bezeichnet, wenn sie für eine bestimmte Sache rechtmäßig zuständig oder befugt waren.34 Im 13. Jahrhundert steht competentia für die Einkünfte und den Unterhalt eines Klerikers. Eine ähnliche Begriffsbedeutung findet sich im 19. Jahrhundert in der Militärsprache. In diesem Kontext sind mit Kompetenz Ressourcen wie Geld, Lebensmittel, Unterkunft oder Kleidung gemeint, die einem Zugehörigen des Heeres oder der Marine zustanden.
Mit Kompetenz wird also im Staatsrecht nach wie vor eine Zuständigkeit, Befugnis oder Rechtmäßigkeit erklärt.
Auch in der Biologie findet man den Begriff Kompetenz. Hier steht der Begriff für eine Fähigkeit tierischer und pflanzlicher Organismen, eine Entwicklungsreaktion einzuleiten, die gegeben und nicht erlernbar ist.35
Im sozialwissenschaftlichen Kontext geht der Kompetenzbegriff auf den Kommunikationswissenschaftler Noam Chomskys und dessen Linguistik zurück. Chomsky versteht Sprachkompetenz als abstraktes kognitives System, welches keinen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Verhalten einer Person haben kann. Kompetenz ist bei diesem Verständnis nicht direkt beobachtbar.36
Im Gegensatz zu dieser Sichtweise steht der funktional-psychologische Ansatz, der Kompetenz in Situations- und Kontextabhängigkeit menschlichen Handelns betrachtet. Außerdem geht durch den funktionalen Bezug von Kompetenzen auch die Kontextspezifität und Erlernbarkeit einher, die die terminologische Bestimmung des Kompetenzbegriffs prägen.
Erst in den 1970er Jahren wurde der Kompetenzbegriff in einem erziehungswissenschaftlichen und für uns relevanten Kontext verwendet. Heinrich Roth beschreibt erstmals „Mündigkeit als Kompetenz für verantwortliche Handlungsfähigkeit“37 und differenziert zwischen Selbst-, Sach- und Sozialkompetenz. Kompetenz wird in diesen Bereichen demnach als selbstverantwortliche Handlungs- und Urteilsfähigkeit definiert. Neben den kognitiven Leistungsfähigkeiten werden auch emotionale, affektive und motivationale Bereiche einbezogen. Dadurch gewinnt die Bedeutung des Kompetenzbegriffs die Anerkennung der Aspekte Motivation, Zuständigkeit und Verantwortung und beinhaltet somit die zentralen Inhalte des heutigen Begriffsverständnisses.
Eine enorme Konjunktur erlebte der Kompetenzbegriff durch das schlechte Abschneiden Deutschlands bei den Schulleistungsstudien PISA in den 2000er Jahren. Um schulische Lernprozesse zu effektiver zu gestalten, beauftrage das Bundesministerium für Bildung und Forschung eine Gruppe aus Fachwissenschaftlern um Eckkhard von Klieme, um Bildungsstandards zu entwickeln, die „verbindliche Anforderungen an das Lehren und Lernen in der Schule erwirken“38. Dieses Instrumentarium zur Qualitätssicherung und ‑steigerung schulischer Arbeit legt fest, „welche Kompetenzen die Kinder und Jugendlichen bis zu einer bestimmten Jahrgangsstufe mindestens erworben haben sollen“.39 Die Klieme-Expertise fordert 3 Komponenten:
1. Vereinbarung von Bildungszielen in den einzelnen Domänen.
2. Festlegung von Standards in Form von Kompetenzen mit Dimensionen (als Mindeststandards oder Standards mit verschiedenen Niveaustufen).
3. Überprüfung des tatsächlichen Kompetenzniveaus.40
So sollen Bildungsstandards auf der einen Seite einer Schule als Referenzsystem mit verbindlichen Zielen zur Orientierung dienen, und auf der anderen Seite vergleichbare Lernergebnisse evaluieren. Dabei steht nicht nur das Bildungsziel, sondern auch der Bildungsprozess im Fokus. Lehrpläne beschreiben nicht mehr den Input als Lerninhalt einer Stunde, sondern den Output in Form des Kompetenzenerwerbs durch die Unterrichtsstunde.41 Eine Ergebnisorientierung ist somit die notwendige Grundlage für die Lehrperson bei jeder Unterrichtsplanung und -durchführung.
[...]
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit die zum Einschluss beider Geschlechter vorgesehene grammatische Form des generischen Maskulins verwendet.
2 Vorkenntnisse meinen in dieser Arbeit die außerschulische, private Aneignung von instrumentaler Praxis und der ggf. erhöhten musikalischen Kompetenz. Vorkenntnisse = Vorwissen.
3 Vgl. Bohl, Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht, S. 22.
4 Zit. nach Geier/Mecheril, Diversität, S. 235-245.
5 Vgl. Bohl, Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht, S. 22.
6 Zit. nach Knapp, „Intersectionality“, S. 68-81.
7 Vgl. Bohl, Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht, S. 23.
8 Vgl. ebd., S. 23.
9 Zit. nach Bohl, Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht, S. 24.
10 Vgl. Lang, Das Heterogenitätsverständnis von Lehrkräften, S. 315-331.
11 Vgl. www.fachportal-paedagogik.de, letzter Aufruf: 01.02.2021.
12 Vgl. Baumert, PISA 2000.
13 Vgl. Budde, Die Rede von der Heterogenität in der Schulpädagogik, S. 553.
14 Vgl. Stöger/Ziegler, Heterogenität und Inklusion im Unterricht.
15 Zit. nach Heinzel, Umgang mit Heterogenität in der Grundschule, S. 135.
16 Zit. nach Thurmann/Höhne: Umgang mit Heterogenität im Musikunterricht, S. 6.
17 Vgl. Vogt, Vom Umgang der Musikpädagogik mit Heterogenität, S. 9.
18 Vgl. Bildungsbericht, Bildung in Deutschland, S. 161.
19 Vgl. ebd., S. 163.
20 JeKi: Abk. für:„Jedem Kind ein Instrument“.
21 Zit. nach Niessen, die Heterogenität von Erstklässlern aus Sicht der Lehrenden, S. 17.
22 Vgl. Bastian, Jugend am Instrument, S. 72.
23 Vgl. ebd., S. 66.
24 vgl. Bildungsbericht, Bildung in Deutschland, S. 158.
25 Zit. nach Hasselhorn/Lehmann, Leistungsheterogenität im Musikunterricht, S. 174.
26 Vgl. Baumert/Lehmann, TIMS, S. 211.
27 Vgl. Günther/Ott/Ritzel, Musikunterricht 5-11, S. 63.
28 Vgl. ebd., S. 63.
29 Vgl. Cslovjecsek, „Alle müssen wollen“, S. 82.
30 Niessen, Leistungsmessung oder individuelle Förderung?, S. 143f.
31 Vgl. ebd., S. 149.
32 Zit. nach Ingenkamp/Lissmann, Lehrbuch der Pädagogischen Diagnostik, S. 13.
33 Vgl. Hoene/Thurmann, Umgang mit Heterogenität im Musikunterricht, S. 35.
34 Vgl. Fromm, PONS Wörterbuch für Schule und Studium, S. 350.
35 Vgl. Huber, Interkontextualität und künstlerische Kompetenz, S. 164.
36 Vgl. Chomsky, Aspekte der Syntax-Theorie, S. 14.
37 Zit. nach Roth, Pädagogische Anthropologie, S. 180.
38 Zit. nach BMBF, 2003, S. 9.
39 Zit. ebd., S. 9.
40 Vgl. Klieme, Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards, S. 82.
41 Vgl. Helmke, Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität, S. 240.
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