Peter Zadek und das Regietheater


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

25 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Das Regietheater der 60er und 70er Jahre
1.1. Definition
1.2. Die Vorläufer des deutschen Regietheaters
1.3. Regietheater in der Kritik

2. Peter Zadek – Regierebell, Provokateur und Erneuerer
2.1. Leben und Wirken
2.2. Der Stil Peter Zadeks

3. Die Arbeit Peter Zadeks dargestellt an ausgewählten Inszenierungen
3.1. Der ‚Bremer Stil’
3.1.1. Held Henry
3.1.2. Maß für Maß 1967
3.2. Inszenierungen der Neunziger Jahre
3.2.1. Maß für Maß 1991
3.2.2. Hamlet 1999

Zusammenfassung

Literatur

„Regisseur sein ist und war ein Privileg und zur selben Zeit eine Tortur.“

Peter Zadek [1]

Einleitung

Das Regietheater, dessen Tradition sich heute über mehr als hundert Jahre zurückverfolgen lässt,[2] hat sich als Methode der Anpassung eines dramatischen Werks an das Regieinteresse weltweit, in Deutschland jedoch besonders entwickelt. Die Regie, die den dramatischen Text als altes künstlerisches Zentrum der Inszenierung ablöste und sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts institutionieren konnte, hat sich inzwischen weiter entwickelt und verselbständigt. Im Anschluss an eine erste Phase der Politisierung und Radikalisierung in den Zwanziger Jahren durch Brecht, Piscator und andere hat das Regietheater seine wohl radikalste Entfaltung in den 60er und 70er Jahren erfahren. In Anlehnung an das Brecht’sche Konzept der Umfunktionierung eines Textes[3], deuteten Regisseure wie Claus Peymann, Fritz Kortner und Peter Zadek die Originalvorlage stets vor dem Hintergrund aktueller Begebenheiten. Autor und Schauspieler wurden dabei den autoritären Ansprüchen des Regisseurs als Führungsfigur der Inszenierung untergeordnet.

Das Regietheater Peter Zadeks, das zu untersuchen Ziel dieser Arbeit ist, war zweifellos etwas besonderes. Unter den Regisseuren, die in den sechziger und siebziger Jahren die deutsche Theaterlandschaft in Aufruhr versetzten, war er mit Abstand der Älteste.[4] Der Tagesspiegel erinnert an ihn als den vehementesten Stücke-Zertrümmerer aller Zeiten[5], Hensel spricht von einem Genie, das „viel Phantasie und Können, Vitalität und Vielseitigkeit, Gegenwartsbewusstsein und Zukunftskühnheit“[6] in einer bisher nie gekannten Art und Weise in einer Person vereint. Zadek, der aus seiner Vorliebe für Shakespeare keinen Hehl machte, wollte dem Publikum einen zeitgemäßen Shakespeare bieten, der in der schauspielerischen Ausgestaltung an das Theater des englischen Dichters erinnern sollte. Wenngleich Zadek durchaus auch Werke von Henrik Ibsen, Anton Tschechow und vielen zeitgenössischen Dichtern zur Aufführung brachte, werde ich mich im Folgenden auf eine kleine Auswahl seiner Shakespeare-Inszenierungen beschränken. Dabei soll der Versuch unternommen werden, anhand eines Vergleichs der Inszenierungen aus den sechziger Jahren und denen der Neunziger Erkenntnisse über seinen Wandel als Regisseur zu gewinnen. Darüber hinaus soll ausgehend von einer Definition des Regietheaters in knapper Form erläutert werden, welche Mittel Zadek einsetzte, um die Shakespeareschen Historienstücke zeitgemäß zu inszenieren und auf welchen Widerstand er in der Öffentlichkeit, aber auch bei Freunden, Kollegen und Kritik traf.

1. Das Regietheater der 60er und 70er Jahre

1.1. Definition

In den sechziger und siebziger Jahren fand eine radikale Umgestaltung der Theaterlandschaft und der von ihr zu erfüllenden Aufgaben statt. Bemühten sich die Theater in der unmittelbaren Nachkriegszeit um unpolitische und wenig pathetische Aufführungen, so zeigten sich spätestens ab 1968 neue Tendenzen in der Auswahl und der Bearbeitung der Spielvorlagen. In dieser Phase des deutschen Stadt- und Staatstheaters, die durch den Begriff Regietheater geprägt ist, traten die Regisseure als neue Gestalter der Dramen auf und scheuten nicht vor mitunter radikalen Mitteln zurück, um den Texten neue, bis dahin unbekannte Aussagen zu entlocken.

Im klassischen Sinne ist ein Theater als Regietheater zu bezeichnen, in dem weder Dramatiker noch Schauspieler, sondern einzig und allein der Regisseur die Führungsrolle übernimmt.[7] Der Regisseur ist folglich nicht nur der künstlerische Leiter, der für Einrichtung und Einstudierung einer Inszenierung verantwortlich ist, sondern darüber hinaus auch Autor, der den Originaltext nach eigenem Ermessen interpretiert und verändert. Helmut Flashar formuliert es wie folgt:

„Im Extremfall meint es [das Regietheater] die Sprengung der Form des Dramas, nie dagewesene Eingriffe in den Text (nicht nur Streichungen), den Aufbau einer völlig neuen Bildsymbolik und in Verbindung damit den Anspruch des Regisseurs, gleichberechtigt mit dem Autor, den Text als Material für eigenes Gestalten anzusehen, also keine dienende Rolle dem Dichter und seinem Drama gegenüber mehr einzunehmen.“[8]

Beim Regietheater geht es also weniger um den Versuch einer originalgetreuen Interpretation als vielmehr um die freie Produktion, für die der Text nur noch den Ausgangspunkt darstellt. Nachdem sich im 19. Jahrhundert also der Aufgabenbereich eines Regisseurs einzig aus der Koordination der äußeren, nicht jedoch der inneren, künstlerischen Abläufe einer Inszenierung zusammen setzte[9], gestattete das Regietheater des 20. Jahrhunderts dem Regisseur die Freiheit, Eingriffe jedweder Art in den Originaltext vorzunehmen.

1.2. Die Vorläufer des deutschen Regietheaters

Während der unmittelbaren Nachkriegszeit bestach das Erbe der nationalsozialistischen Kulturpolitik durch eine Theaterlandschaft, die weder die expressionistische Strömung der Vorkriegszeit aufzugreifen imstande war noch Werke verfolgter Autoren der vergangenen Jahre ans Tageslicht brachte. Im Inszenierungsstil und in der Textverwendung äußerte sich die Verarbeitung der Traumata in einem stark dokumentarischen, sachlichen, oft unpolitischen Ausdruck. Siegfried Melchinger nennt die Nachkriegsjahre „zehn dürre Jahre“[10], in denen sich eine Flut ausländischer Stücke und Autoren, die zwölf Jahre lang zurückgehalten worden waren, über die deutschen Bühnen ergoss, während deutsche Dramatiker dieser Entwicklung nichts Adäquates entgegenzusetzen hatten.

Erst gegen Ende der fünfziger Jahre kristallisierten sich zwei Strömungen heraus, die von etlichen deutschen Autoren aufgegriffen und umgesetzt werden. Es handelt sich dabei einerseits um das Theater des Absurden, andererseits um das Theater Bertolt Brechts. Obwohl Brecht weder im Westen noch im Osten Deutschlands unumstritten war, übte er dennoch einen unbestreitbaren Einfluss auf das deutsche Theater beiderseits der Zonengrenze aus. Nachdem das absurde Theater um 1963 aus dem Blickpunkt des Interesses geraten war, hatte Brecht laut Max Frisch „die durchschlagende Wirkungslosigkeit des Klassikers“[11] erreicht.

Die Anhänger dieser beiden Strömungen begannen, neue Wege zu gehen. Es kristallisierte sich eine Gruppe deutschsprachiger Autoren heraus, die eine neue künstlerische Richtung prägten, die allgemein als Dokumentartheater bezeichnet wird.[12] Erstmals in der Nachkriegszeit ließ sich auch in den Inszenierungen eine einheitliche Tendenz erkennen, die von Distanz und formaler Objektivität beeinflusst war.[13]

Daran schloss sich eine Phase politischer Radikalisierung an, die bereits mit der 1962 in Köln aufgeführten, stark auf die Tagespolitik bezogenen Sozial-kritik von Luigi Nonos „Intolleranza“ begann und später durch die Studentenunruhen 1968 forciert wurde. Neben diese inhaltliche trat die formale Radikalisierung. Die provokanten Aussagen wurden durch szenische Agitationen unterstützt, Klassiker mussten einer schonungslosen Umstrukturierung und entsprechender Inszenierung weichen.[14] Zunehmend beschränkte sich diese freie Inszenierungsweise nicht nur auf Klassiker, sondern wurde vielmehr auf jegliche Vorlage übertragen. In den späten Sechzigern erfolgte mit Regisseuren wie Peter Stein, Claus Peymann und Peter Zadek der Durchbruch des politisierten, an Brecht orientierten neuen Regietheaters der Achtundsechziger-Generation, das den Regisseuren mehr denn je die Funktion eines Autors gewährte.

In den Siebzigern ging die Suche nach neuen Ausdrucksformen weiter, wobei der Versuch unternommen wurde, das „Theater des Establishments“[15] weiterhin zu überwinden. Die Theaterarbeit, die nun vor allem durch die Blütezeit des Regietheaters geprägt wurde, charakterisiert Georg Hensel wie folgt:

„Aus den Regie-Methoden der sechziger Jahre wurde in den siebziger Jahren eine enervierende Manie. Zu ihr gehören:

die absichtsvolle Banalisierung der Ideen, Gefühle, Stoffe, Stücke; Schauspieler, die nicht sprechen lernen wollten und die aus Vorsatz häßlich waren; keine Schönheit, keine Überhöhung, kein Pathos, kein Exempel.“[16]

Das Regietheater der 60er und 70er Jahre gilt als das „neue Regietheater“, eine Formulierung, die den Unterschied zum Regietheater der zwanziger Jahre aufzeigen soll.

[...]


[1] Zadek (1998), S. 16.

[2] Vgl. Hammacher (2002), S. 3.

[3] Vgl. Moninger (1996), S. 262f.

[4] Vgl. Hensel (1998), S. 546.

[5] Vgl. http://www2.tagesspiegel.de/archiv/2001/03/05/ak-ku-551132.html, Abrufdatum: 02.09.2002.

[6] Hensel (1998), S. 553.

[7] Vgl. Zabka/Dresen (1995), S. 68.

[8] Flashar (1991), S. 225.

[9] Vgl. Sucher, C. Bernd (Hrsg.): Theaterlexikon - Begriffe. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1996, S. 348ff.

[10] Melchinger (1970), S. 4.

[11] Frisch, zit. nach Melchinger (1970), S. 5.

[12] Vgl. Melchinger (1970), S. 6.

[13] Vgl. Melchinger (1970), S. 7.

[14] Vgl. Michael/Daiber (1990), S. 156.

[15] Rühle (1992), S. 87.

[16] Hensel (1995), S. 200.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Peter Zadek und das Regietheater
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Fachbereich 11)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2003
Seiten
25
Katalognummer
V11851
ISBN (eBook)
9783638179003
Dateigröße
634 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Regietheater, Peter Zadek
Arbeit zitieren
Franziska Hillmer (Autor:in), 2003, Peter Zadek und das Regietheater, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11851

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Peter Zadek und das Regietheater



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden