In dieser Arbeit besteht die erste Zielsetzung darin, exemplarisch potentielle Bemessungsgrundlagen für Anreizsysteme in deutschen Kliniken zu nennen und diese Bemessungsgrundlagen auf die Möglichkeit der Implementierung beziehungsweise Unmöglichkeit zu prüfen.
Das zweite Ziel ist, in Kliniken existierende Anreizsysteme sowie deren positive und negative Aspekte aufzuzeigen.
Sowohl für das erste als auch das zweite Ziel ist es unerlässlich, die nachfolgenden Unterziele als Vorbereitung auf die beiden Hauptuntersuchungen mit aufzunehmen:
• Notwendig ist, die Existenz charakteristischer Merkmale der Klinikbranche aufzuzeigen.
• Unerlässlich ist, die bisherige Entwicklung der Klinikbranche aus Kostengesichtspunkten darzustellen.
• Essentiell ist, die Ärzteschaft unter dem Gesichtspunkt der Agency-Theorie zu erläutern.
• Die Basiselemente eines Anreizsystems für Klinikärzte müssen ausgeführt werden.
Inhaltsverzeichnis
Darstellungsverzeichnis
1 Einführung in die Thematik1
1.1 Problemstellung und Erörterung der wissenschaftlichen Relevanz
1.2 Zielsetzung und Eingrenzung der Untersuchung
1.3 Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
2 Möglichkeiten und Grenzen von anreizkompatiblen Entlohnungsformen bei deutschen Klinikärzten
2.1 Merkmale der Klinikbranche
2.1.1 Wirtschaftliche Ausrichtung der Kliniken
2.1.1.1 Kliniken mit erwerbswirtschaftlicher Orientierung
2.1.1.2 Bedarfswirtschaftlich geführte Kliniken
2.1.2 Bereitstellung und Nutzung der Klinikinfrastruktur
2.1.2.1 Administration als Anbieter der Infrastruktur
2.1.2.2 Inanspruchnahme der Infrastruktur durch die Ärzteschaft
2.1.3 Besonderheiten hinsichtlich der Chefärzte
2.1.3.1 Weisungsbefugnis der Chefärzte
2.1.3.2 Recht der Chefärzte auf Privatliquidation
2.1.4 Zusammenfassung der aufgeführten Merkmale
2.2 Bisherige Entwicklung der Klinikbranche aus Kostengesichtspunkten
2.2.1 Kostenanstieg und Ärzte als Mitverantwortliche
2.2.2 Einführung von internen Budgets
2.2.3 Schlussbetrachtung der aufgezeigten Entwicklung
2.3 Ärzteschaft unter dem Gesichtspunkt der Agency-Theorie
2.3.1 Prämissen der Agency-Theorie
2.3.2 Komponenten der Agency-Kosten
2.3.3 Problematik der Chefärzte als „dreifacher Agent“
2.4 Basiselemente eines Anreizsystems für Klinikärzte
2.4.1 Immaterielle und materielle Belohnungen
2.4.1.1 Immaterielle Belohnungen
2.4.1.2 Materielle Belohnungen
2.4.2 Bemessungsgrundlagen
2.4.2.1 Aktivitäten des Arztes als Bemessungsgrundlagen
2.4.2.2 Erreichte Ergebnisse des Arztes als Bemessungsgrundlagen
2.4.3 Anforderungen an Bemessungsgrundlagen
2.4.3.1 Anreizkompatibilität
2.4.3.2 Intersubjektive Überprüfbarkeit
2.4.4 Erfolgszurechnung bei Chefärzten
2.5 Potentielle Bemessungsgrundlagen der variablen Arztentlohnung
2.5.1 Realindikatoren
2.5.1.1 Sterberate
2.5.1.2 Dauer des Klinikaufenthalts
2.5.1.3 Anzahl der Operationen
2.5.2 Monetäre Indikatoren
2.5.2.1 Buchhalterische und zahlungsorientierte Indikatoren
2.5.2.2 Einhaltung des Budgets
2.6 Auseinandersetzung mit existenten Anreizsystemen der Klinikbranche..
2.6.1 Darstellung der Anreizsysteme
2.6.1.1 „Hildesheimer Modell“
2.6.1.2 „Siegburger Modell“
2.6.1.3 Rhön-Klinikum AG
2.6.1.4 Krankenhausverband Coburg
2.6.1.5 Städtisches Krankenhaus Gütersloh
2.6.1.6 Brüderkrankenhaus Trier
2.6.2 Bewertung der Anreizsysteme
3 Resümee und Entwicklungstendenzen
Quellenverzeichnis
Darstellungsverzeichnis
Darstellung 1: Bestandteile und Ablauf der Untersuchung
Darstellung 2: Wirtschaftliche Ausrichtungsmöglichkeiten von Kliniken
Darstellung 3: Chefarzt als „dreifacher Agent“
Darstellung 4: Basiselemente eines Anreizsystems
1 Einführung in die Thematik
1.1 Problemstellung und Erörterung der wissenschaftlichen Relevanz
Statistisch gesehen besteht kein Zweifel, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Ausgaben für die Klinikbranche als sehr hoch einzustufen sind.
Im Jahr 2005 wiesen vier von 17 betrachteten Staaten höhere Ausgaben für Leistungen in Kliniken bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt auf. Die Ausgaben betrugen deutschlandweit 3,7 %; damit verursachten diese Ausgaben über ein Drittel der gesamten Gesundheitsausgaben bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt.[1] Diese Situation darf als besorgniserregend bezeichnet werden.
Aus diesem Grund ist eine genauere Untersuchung der den Kliniken zuzurechnenden Ausgaben sinnvoll. Im Jahr 2005 enthielten diese Ausgaben ca. 64 % Personalkosten. Hierbei verursachte die Ärzteschaft aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Qualifikation und der daraus resultierenden Bezahlung ca. 25 % dieser Kosten.[2] Ergänzt werden muss, dass Ärzte lediglich ca. 15 % der gesamten Vollzeitbeschäftigten stellten.[3] Zusätzlich hatten sie die Kosten des medizinischen Bedarfs für ihre Aufgabenerfüllung mit ca. 47 % an den gesamten Sachkosten zu verantworten.[4]
Folglich sollte der personalkostenintensive Berufsstand der Klinikärzte zu einer effizienteren Arbeitsweise angehalten werden, um die durch sie zu verantwortenden Kosten zu senken. Eine Möglichkeit kann der Einsatz von anreizkompatiblen Entlohnungsformen sein.
Die wissenschaftliche Relevanz der anreizkompatiblen Entlohnungsformen bei Ärzten in der Krankenhausökonomie darf zum jetzigen Zeitpunkt als gegeben erachtet werden, weil wie in den vorherigen Absätzen aufgezeigt die Klinikbranche eine desolate Ausgabensituation zu verzeichnen hat und neuartige Entlohnungspraktiken eingeführt werden müssen, um diese Entwicklung zu unterbrechen oder sogar umzukehren.
Ebenfalls ist die wissenschaftliche Relevanz der in dieser Abhandlung angesprochenen Thematik nicht anzuzweifeln, wenn bedacht wird, dass in Dissertationen die Einführung von Anreizsystemen für deutsche Klinikärzte wahrscheinlich erst gegen Ende der 1990-er Jahre zum ersten Mal untersucht wurde.[5] Mindestens drei weitere wissenschaftliche Publikationen haben dieses Thema zum Inhalt.[6] Allerdings ist die Untersuchung von Möglichkeiten und Grenzen der anreizkompatiblen Entlohnungsform bei Klinikärzten bei keiner dieser Arbeiten der Schwerpunkt.
1.2 Zielsetzung und Eingrenzung der Untersuchung
In dieser Arbeit besteht die erste Zielsetzung darin, exemplarisch potentielle Bemessungsgrundlagen für Anreizsysteme in deutschen Kliniken zu nennen und diese Bemessungsgrundlagen auf die Möglichkeit der Implementierung beziehungsweise Unmöglichkeit zu prüfen.
Das zweite Ziel ist, in Kliniken existierende Anreizsysteme sowie deren positive und negative Aspekte aufzuzeigen.
Sowohl für das erste als auch das zweite Ziel ist es unerlässlich, die nachfolgenden Unterziele als Vorbereitung auf die beiden Hauptuntersuchungen mit aufzunehmen:
- Notwendig ist, die Existenz charakteristischer Merkmale der Klinikbranche aufzuzeigen.
- Unerlässlich ist, die bisherige Entwicklung der Klinikbranche aus Kostengesichtspunkten darzustellen.
- Essentiell ist, die Ärzteschaft unter dem Gesichtspunkt der Agency-Theorie zu erläutern.
- Die Basiselemente eines Anreizsystems für Klinikärzte müssen ausgeführt werden.
Diese Ausarbeitung ist aus drei Gründen auf die deutschen Klinikärzte eingegrenzt. Erstens würde eine internationale Betrachtung den Rahmen dieser Arbeit gravierend überschreiten. Zweitens ist die wissenschaftliche Relevanz für die isolierte Betrachtung von deutschen Klinikärzten, wie bereits weiter oben aufgeführt, beachtlich. Drittens besteht kein Grund dafür, das Pflegepersonal zusätzlich in die Untersuchung mit aufzunehmen, weil durch das bereits aufgeführte Zahlenmaterial sehr deutlich wird, alleine ein effizienteres Verhalten der Ärzte kann zu großen Einsparungen führen. Aufgrund der isolierten Betrachtungsweise der deutschen Problematik stützt sich diese Arbeit vorwiegend auf deutschsprachige Literatur, weil die nationale Branche andere Besonderheiten (z. B. bei Gesundheitssystemen und rechtlichen Restriktionen) aufweist als die internationale.[7]
1.3 Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
Im Kapitel 2.1 sind diejenigen Merkmale der Klinikbranche aufgeführt, welche die Charakteristik dieser Branche auszeichnen. Des Weiteren können diese Merkmale positive oder negative Auswirkungen auf die Anreizsysteme und/oder deren Bemessungsgrundlagen haben. Die bisherige Entwicklung der Klinikbranche aus Kostengesichtspunkten wird im Kapitel 2.2 dargelegt. Bestimmte Entwicklungen können die Ausgestaltung der Anreizsysteme beeinflusst und es notwendig gemacht haben, die Systeme mit bestimmten Bemessungsgrundlagen zu versehen. Die Thematik der Bemessungsgrundlagen fließt in das Kapitel 2.4 ein. Vorhergehend (Kapitel 2.3) wird das Grundverständnis für die Auseinandersetzung mit Anreizsystemen und Bemessungsgrundlagen der klinischen Praxis dargelegt. Dazu gehören Kenntnisse sowohl über Prämissen als auch Komponenten der Agency-Theorie. Zusätzlich wird die Problematik der Chefärzte als „dreifacher Agent“ erläutert. Im Kapitel 2.4 werden die Basiselemente eines Anreizsystems für Klinikärzte vorgestellt. Hierunter fallen immaterielle und materielle Belohnungen, Bemessungsgrundlagen sowie deren Anforderungen und die Erfolgszurechnung bei Chefärzten. Im Kapitel 2.5 werden potentielle Bemessungsgrundlagen der variablen Arztentlohnung erörtert und beurteilt. Hierbei findet eine erste Einteilung in Realindikatoren und monetäre Indikatoren statt. Die Auseinandersetzung mit existenten Anreizsystemen der Klinikbranche erfolgt im Kapitel 2.6. Zuerst werden die Anreizsysteme dargestellt, danach erfolgt deren Bewertung. Im Kapitel 3 wird ein Resümee gezogen und die möglichen Entwicklungstendenzen von anreizkompatiblen Entlohnungsformen bei Klinikärzten werden vorgestellt. Aus der Darstellung 1 (Seite 4) sind die Bestandteile und der Ablauf der Untersuchung zu entnehmen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darstellung 1: Bestandteile und Ablauf der Untersuchung
2 Möglichkeiten und Grenzen von anreizkompatiblen Entlohnungsformen bei deutschen Klinikärzten
2.1 Merkmale der Klinikbranche
2.1.1 Wirtschaftliche Ausrichtung der Kliniken
Anhand ihrer Zielsetzung lassen sich erwerbswirtschaftliche und bedarfswirtschaftliche Kliniken unterscheiden.[8] Kliniken mit erwerbswirtschaftlicher Ausrichtung streben primär die Gewinnerzielung an. Hingegen ist die Bedarfsdeckung die primäre Aufgabe der bedarfswirtschaftlich geführten Kliniken.[9] Aufgrund der Vorreiterrolle des angloamerikanischen Wirtschaftsraums in der Krankenhausökonomie ist ebenfalls eine Unterscheidung in „For-Profit“ (erwerbswirtschaftlich) und „Non-Profit“ (bedarfswirtschaftlich) üblich.
Nachfolgend wird aufgezeigt, wie sich erwerbswirtschaftlich und bedarfswirtschaftlich orientierte Kliniken hinsichtlich der Unterscheidungskriterien Trägerschaft, Bezeichnung und Rechtsform differenzieren. Die Trägerschaft und die Rechtsform haben im Lichte der Unternehmensverfassung einer Klinik die zentrale Bedeutung.[10] Ebenfalls wird angesprochen, wie gut die Kontrollgremien und Anreizmechanismen in der jeweiligen Form der wirtschaftlichen Ausrichtung ausgestaltet sind.
2.1.1.1 Kliniken mit erwerbswirtschaftlicher Orientierung
Erwerbswirtschaftlich geführte Kliniken unterliegen einer privaten Trägerschaft.[11] Sie werden als private Kliniken bezeichnet.[12]
In der Bundesrepublik Deutschland bestanden im Jahr 2005 insgesamt 1.846 Krankenhäuser. Davon nahmen private Kliniken mit 487 Häusern weniger als ein Drittel aller Kliniken ein.[13] Die privaten Kliniken haben die Möglichkeit, sich als natürliche oder juristische Personen des Privatrechts eintragen zu lassen.[14] Im Allgemeinen werden die Rechtsform der „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ und die „Aktiengesellschaft“ bevorzugt.[15]
Eine explizite Aussage über die Qualität der Kontrollgremien bei privaten Kliniken kann nicht getätigt werden, weil dazu die relevante deutschsprachige Literatur nicht im ausreichenden Umfang vorliegt. Allerdings ist eine abgeleitete Aussage möglich. Eine wirksame Kontrolle der ärztlichen Tätigkeiten erfordert Fachwissen auf dem medizinischen Gebiet. Unbestritten verfügen eher Mediziner als Wirtschaftswissenschaftler über dieses Wissen. So nimmt beispielsweise in den Vereinigten Staaten von Amerika bei privaten Kliniken in über 50 % der Fälle die Ärzteschaft eine Mehrheit in Kontrollorganen ein.[16] Unter der Annahme der Übertragbarkeit dieser Gegebenheit auf deutsche Kliniken darf abgeleitet werden, dass die Effektivität dieser Gremien als durchschnittlich bis leicht überdurchschnittlich zu bewerten ist. Allerdings muss einschränkend erwähnt werden, ein vorwiegend durch Ärzte kontrolliertes Gremium kann zu Missbrauch führen.
Weitgehend akzeptiert in privaten Kliniken ist, auch die Ärzteschaft kann durch verschiedenste Instrumente zum effizienteren Verhalten veranlasst werden. Hierunter können ohne weiteres Anreizsysteme wie eine Beteiligung am Gewinn beziehungsweise Abteilungsgewinn gesehen werden.[17]
2.1.1.2 Bedarfswirtschaftlich geführte Kliniken
Kliniken mit einer bedarfswirtschaftlichen Ausrichtung haben im Jahr 2005 mehr als zwei Drittel der Gesamtheit der Kliniken ausgemacht.[18]
Der Bereich der auf Bedarfsdeckung ausgerichteten Kliniken lässt sich in zwei Modelle hinsichtlich der Trägerschaft differenzieren.[19] Zum einen sind es die Häuser mit einer öffentlichen Trägerschaft (z. B. Gebietskörperschaften); diese werden als öffentliche Kliniken bezeichnet. Zum anderen unterhalten auch kirchliche Träger oder Träger der freien Wohlfahrtspflege (beispielsweise Stiftungen und Vereine) Krankenhäuser. Diese Häuser werden von privaten Trägern betrieben und freigemeinnützige Kliniken genannt.[20]
Bezüglich der Wahl der Rechtsform ist es unabdingbar, erneut zwischen freigemeinnützigen und öffentlichen Kliniken zu unterscheiden. Freigemeinnützigen Kliniken ist die Rechtsform im privaten und öffentlichen Recht freigestellt. Öffentliche Kliniken unterliegen Einschränkungen hinsichtlich ihrer Rechtsform. Die Wahlmöglichkeiten sind je nach Bundesland verschieden.[21]
Wird erneut die Anzahl der Mediziner in den Kontrollgremien zur Beurteilung herangezogen, ergibt sich bei den freigemeinnützigen und öffentlichen Kliniken ein ernüchterndes Bild. Die Ärzteschaft ist kaum in diesen Gremien vertreten.[22] Somit ist die Qualität der Kontrollgremien als stark verbesserungswürdig zu bezeichnen.
Ebenfalls muss die Situation bezüglich der Anreizsysteme bei den bedarfswirtschaftlich geführten Kliniken wesentlich schlechter als bei den privaten Kliniken beurteilt werden. Zumindest in kommunalen Kliniken ist eine Erfolgsbeteiligung für einen Großteil der Arbeitnehmer wie auch der Ärzteschaft wenig verbreitet.[23] Um die Leistungsfähigkeit von freigemeinnützigen und öffentlichen Häusern zu verbessern, müssen unter anderem effektive Anreizsysteme eingeführt werden, welche auch die medizinischen Leiter und die Ärzte mit einbeziehen.[24]
Bezogen auf die Thematik dieser Arbeit ist hinsichtlich der Gegenüberstellung von privaten Kliniken auf der einen Seite, sowohl freigemeinnützigen als auch öffentlichen Kliniken auf der anderen Seite festzustellen, private Kliniken haben die Instrumente zur Effizienzsteigerung bei den Medizinern bereits eingeführt und monetäre Anreizsysteme sind als nicht unüblich zu bewerten.
Die Darstellung 2 gibt einen Überblick über die wirtschaftlichen Ausrichtungsmöglichkeiten bei erwerbswirtschaftlich und bedarfswirtschaftlich geführten Kliniken.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darstellung 2: Wirtschaftliche Ausrichtungsmöglichkeiten von Kliniken[25]
2.1.2 Bereitstellung und Nutzung der Klinikinfrastruktur
Ohne sich genauer mit der internen Organisation einer Klinik auseinandergesetzt zu haben, ist es überraschend, dass diese Organisation „... eine besondere Art von verbundener Produktion durch zwei zu diesem Zweck vereinigte Betriebe mit jeweils eigenen Autoritätslinien ...“[26] aufweist. Diese beiden „Betriebe“ unterscheiden sich unter anderem gravierend bezüglich der Bereitstellung und Nutzung der klinikeigenen Infrastruktur.
Ausgehend von der in der Problemstellung dieser Arbeit angesprochenen Zielsetzung, einen effizienteren Ressourceneinsatz bei Medizinern zu forcieren, sind die Grundlagen der Bereitstellung und Nutzung der internen Infrastruktur einer Klinik anzusprechen. Wegen der Thematik der variablen Entlohnung bei Ärzten liegt der Schwerpunkt der nachfolgenden Betrachtung auf der Inanspruchnahme der Ressourcen durch die Ärzte.
2.1.2.1 Administration als Anbieter der Infrastruktur
Die Aufgabe der Klinikverwaltung ist es, den Ärzten die notwendige Infrastruktur für deren Aufgabenerfüllung bereitzustellen.[27] Ein aus betriebswirtschaftlichen Gesichtpunkten überlegter Einsatz der Ressourcen ist das Ziel der Administration. Daher liegt ihr Hauptaugenmerk auf einer sinnvollen Bereitstellung der Infrastruktur hinsichtlich der Quantität.[28] Die Verwaltung versucht allerdings, die Mediziner nicht nur bezüglich der Quantität, sondern auch im Hinblick auf die ständige Verfügbarkeit der Infrastruktur zu beschränken.[29]
Nicht ausgelastete klinische Abteilungen binden sowohl Kapital als auch Mitarbeiter und beeinträchtigen das anzustrebende Ziel der Kostenreduzierung. Daher wird die Klinikleitung versuchen, die Auslastung der Abteilungen zu erhöhen. Dies ist entweder möglich durch Reduktion der Abteilungen oder komplette Auslagerung der Abteilungsaufgaben; eine Vergabe bestimmter Abteilungen an externe Dienstleister (z. B. Apotheke, Radiologie und Labor) ist denkbar. Eine Mehrauslastung der Abteilungen zur Fixkostendegression kann auch durch Einwirkung auf die Klinikärzte erreicht werden, entweder mehr Behandlungen vorhandener Patienten durchzuführen oder zusätzliche Patienten in die entsprechende Klinik einzuweisen.
2.1.2.2 Inanspruchnahme der Infrastruktur durch die Ärzteschaft
Die Bemühungen der Administration um eine effiziente Bereitstellung der Infrastruktur werden allerdings zum großen Teil durch die zentrale Rolle der Ärzte in dem sozialen System der Klinik konterkariert.[30] Dies ist dadurch zu begründen, dass das Wohl der Patienten von den Ärzten abhängt. Ein ärztlicher Fehler kann unter Umständen schwerste gesundheitliche Folgen für den Patienten haben.[31]
Weiter unterliegt die Ärzteschaft bei medizinischen Aspekten bezüglich ihrer Inanspruchnahme der bereitgestellten Ressourcen absolut keiner Weisungsbefugnis der Klinikleitung.[32] Dies wird beispielsweise daraus ersichtlich, dass alleine der Arzt über die Behandlungsmethode und -dauer des Patienten entscheidet.[33]
Ebenfalls darf davon ausgegangen werden, die Mediziner unterstützen eventuelle Restriktionen der Verwaltung hinsichtlich der ständigen Verfügbarkeit der Infrastruktur nur beschränkt. Begründet ist dieses Verhalten mit dem ärztlichen Berufsethos, dass dem Patienten geholfen werden muss und ihm nicht geschadet werden darf.[34] Deshalb machen es die medizinischen Anforderungen aus Sicht der Ärzte nötig, die Abteilungen der Klinik in ihrer Kapazität nicht zurückzustufen. Ansonsten könnte ein Patient nicht behandelt werden oder der Arzt müsste die Entscheidung treffen, welcher Patient zuerst behandelt wird.[35] Durch das Berufsethos der Ärzte ist ebenfalls begründet, unnötige Behandlungen nicht anzuordnen.
Auch die Tatsache, dass Klinikärzte, mit Ausnahme der Chefärzte mit neueren Arbeitsverträgen[36], keine Kompensation für die Nutzung der Ressourcen leisten müssen[37], trägt sicherlich nicht zu einer effizienteren Arbeitsweise bei.
Subsumierend für das Kapitel 2.1.2 ist festzustellen, die Mediziner waren beispielsweise im Jahr 2005 für ca. 47 % der Sachkosten in den Kliniken verantwortlich.[38] In der jetzigen Situation sind die Bemühungen der Administration, einen effizienteren Einsatz der Ressourcen zu forcieren, nahezu aussichtslos (vorwiegend bei bedarfswirtschaftlichen Kliniken), weil wie oben erwähnt die Ärzteschaft in den Kliniken die entscheidende Rolle einnimmt. Eine Lösung dieses Problems ist durch vermehrten Einsatz von anreizkompatiblen Entlohnungsformen bei bedarfswirtschaftlich geführten Kliniken denkbar.
2.1.3 Besonderheiten hinsichtlich der Chefärzte
Die Chefarztfunktion im deutschen Klinikwesen nimmt anders als zumindest in Frankreich und Großbritannien mit einem Kollegialsystem[39] eine hervorgehobene Stellung ein. Das wird bereits durch das folgende Zahlenbeispiel deutlich: 9 % aller Klinikärzte haben die Position des Chefarztes inne.[40]
Allerdings spiegelt nicht nur diese Zahl den immensen Einfluss der Chefärzte wieder, sondern auch ihre Weisungsbefugnis gegenüber dem medizinischen Personal.[41] Zusätzlich besitzen sie neben ihrem Gehalt das Recht auf die so genannte Privatliquidation[42], das heißt Einnahmen für die an Privatpatienten durchgeführten Behandlungen zu erhalten.[43]
Nachfolgend werden die Weisungsbefugnis des Chefarztes und sein Recht auf Privatliquidation dargelegt. Dies ist von Bedeutung, weil diese Thematik Auswirkungen auf die Beurteilung der im späteren Verlauf der Arbeit angesprochenen Anreizsysteme (Kapitel 2.6) hat.
2.1.3.1 Weisungsbefugnis der Chefärzte
Fachabteilungen oder Funktionsbereiche in einer Klinik werden von einem Chefarzt geleitet.[44] Diese Aufgabe ist ihm von dem Träger der entsprechenden Klinik übertragen worden.[45]
Der Chefarzt ist mit dem Recht ausgestattet, nachgeordneten Ärzten, Pflegekräften und Medizintechnikern seiner Abteilung Weisungen zu erteilen und diese zu beaufsichtigen. Seine Befugnisse erstrecken sich sowohl auf die Diagnostik als auch auf die Therapie.[46]
Chefärzte sind dazu berechtigt, Tätigkeitsbereiche und Einzelaufgaben an ärztliche und nichtärztliche Mitarbeiter zu delegieren. Diese müssen dazu fachlich und persönlich in der Lage sein. Dies zu beurteilen, obliegt dem Chefarzt.
Chefärzte sind zugleich Fachärzte des jeweiligen medizinischen Fachgebiets und daher dazu befähigt, Behandlungen eines bestimmten Patientenkreises selbst durchzuführen. Deshalb sind sie berechtigt, mit diesen Patienten dementsprechend abzurechnen.
Abschließend für das Kapitel 2.1.3.1 ist festzustellen, Chefärzte müssen aufgrund ihres Weisungsrechts bei der Ausgestaltung von Anreizsystemen berücksichtigt werden. Ohne dass der jeweilige Chefarzt zu einer effizienteren Arbeitsweise durch Anreize bewegt werden kann, wird es dem nachgeordneten medizinischen Personal kaum möglich sein, Behandlungen in ihrer Effizienz zu steigern.
2.1.3.2 Recht der Chefärzte auf Privatliquidation
Die Anfänge des Privatliquidationsrechts gehen beispielsweise in der Stadt München bis auf den Anfang des 13. Jahrhunderts zurück. Schon zu diesem Zeitpunkt ist es Ärzten eingeräumt worden, wohlhabende Münchener Bürger gegen ein Extrahonorar zu behandeln. Aus dieser Zeit besteht auch die Beobachtung, dass Ärzte sich wenig um die Grundversorgung der Bevölkerung kümmern, wozu sie von der Stadt bezahlt werden, und bevorzugt die wohlhabenden Bürger kurieren.[47]
Nicht nur zu der Entstehungszeit der Privatliquidation scheint diese für die Ärzteschaft eine lukrative Verdienstmöglichkeit gewesen zu sein, sondern auch in der heutigen Zeit hat diese ihren monetären Reiz für Ärzte augenscheinlich nicht verloren. Der Geschäftführer des
Klinikums Stuttgart, Dr. Ralf-Michael Schmitz, spricht davon, dass einige Ärzte durchaus an den „Futtertrögen“ sitzen.[48] Der Arzt als Fachabteilungsleiter verdient durch die Privatliquidation nach Meinung des Präsidenten der Berliner Ärztekammer, Günther Jonitz, unter bestimmten Konstellationen genauso viel wie das gesamte medizinische Personal der jeweiligen Abteilung. Nach seiner Ansicht handelt es sich in diesen Fällen um zweistellige Millionenbeträge. Allerdings schränkt er ein, es gehe dabei noch um ältere Arbeitsverträge der Chefärzte.[49] Trotz dieser Einschränkung erscheint diese Aussage zu weit gegriffen. Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft empfindet Chefärzte zwar als Großverdiener, allerdings flössen diesen durch die Privatliquidation konservativ gerechnet ca. € 200.000,- zu. Bei Kardiologen und Chirurgen kann der Betrag auch bei ca. € 1.000.000,- liegen.[50] Andere Experten schätzen die Verdienstmöglichkeiten durch das Privatliquidationsrecht auf € 500.000,-[51] und noch höher.[52]
Die Einstellung der meisten Leitungsorgane der Kliniken hinsichtlich des Privatliquidationsrechts von Chefärzten dürfte negativ sein. Zwar existieren einige Einrichtungen, welche dieses Recht für sich zu Nutzen wissen. So generiert der Helios-Konzern ca. € 1.400-, mehr bei Privatpatienten[53] und das Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke nimmt durch diese ungefähr einen sechsstelligen Betrag (höchstwahrscheinlich bezogen auf das Jahr) ein.[54] Der Großteil der Leitungsorgane wird mit großer Wahrscheinlichkeit dieses Recht einschränken beziehungsweise abschaffen wollen. Grund dafür ist die kostenlose Nutzung der Infrastruktur der Klinik (siehe Kapitel 2.1.2.2) durch die Chefärzte für die Behandlung der Privatpatienten.[55] Allerdings findet dazu zurzeit ein Umdenken statt, welches im nachfolgenden Absatz deutlich wird.
[...]
[1] Vgl. Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. (Zahlen 2007), S. 65.
[2] Vgl. Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. (Zahlen 2007), S. 46.
[3] Vgl. Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. (Zahlen 2007), S. 33. Prozentuale Angabe berechnet durch den Verfasser.
[4] Vgl. Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. (Zahlen 2007), S. 45.
[5] Vgl. hierzu ausführlich Hoffmann (Krankenhaus 1989).
[6] Vgl. hierzu ausführlich Ernst (Krankenhaus-Controlling 2000), Laslo (Anreizorientierte Vergütung 2008) und Schwartz (Krankenhaussektor 1997).
[7] Vgl. Helmig/Tscheulin (Krankenhausmanagement 1998), S. 95.
[8] Vgl. Aldag (Rahmenbedingungen 1988), S. 6.
[9] Vgl. Schwartz (Krankenhaussektor 1997), S. 43.
[10] Vgl. Sachs (Handlungsspielräume 1994), S. 57.
[11] Vgl. Schwartz (Krankenhaussektor 1997), S. 43.
[12] Vgl. Fischer (Marktstruktur 1988), S. 54.
[13] Vgl. Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. (Zahlen 2007), S. 14.
[14] Vgl. Fischer (Marktstruktur 1988), S. 54.
[15] Vgl. Schwartz (Krankenhaussektor 1997), S. 43.
[16] Vgl. Sloan/Becker (Internal Organization 1981), S. 228.
[17] Vgl. Schwartz (Krankenhaussektor 1997), S. 47.
[18] Vgl. Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. (Zahlen 2007), S. 14.
[19] Vgl. Schwartz (Krankenhaussektor 1997), S. 10.
[20] Vgl. Aldag (Rahmenbedingungen 1988), S. 6.
[21] Vgl. Schwartz (Krankenhaussektor 1997), S. 43 f.
[22] Vgl. Sloan/Becker (Internal Organization 1981), S. 228.
[23] Vgl. Böckle (Leistungsanreize 1993), S. 99.
[24] Vgl. Kovner (Hospital Governance 1981), S. 260.
[25] Vgl. Schwartz (Krankenhaussektor 1997), S. 44.
[26] Gäfgen (Allokationswirkungen 1982), S. 112.
[27] Vgl. Harris (Internal Organization 1977), S. 473.
[28] Vgl. Gäfgen (Allokationswirkungen 1982), S. 112 f.
[29] Vgl. Gäfgen (Allokationswirkungen 1982), S. 113.
[30] Vgl. Schwartz (Krankenhaussektor 1997), S. 37.
[31] Vgl. Wrigley/McKevitt (Professional Ethics 1994), S. 75.
[32] Vgl. Gäfgen (Allokationswirkungen 1982), S. 112.
[33] Vgl. Harris (Internal Organization 1977), S. 474.
[34] Vgl. Schriewer (Standortbestimmung 1998), S. 2686.
[35] Vgl. Gäfgen (Allokationswirkungen 1982), S. 113.
[36] Vgl. Albrecht (Operation Streik 2006), S. 1.
[37] Vgl. Harris (Internal Organization 1977), S. 474.
[38] Vgl. Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. (Zahlen 2007), S. 45.
[39] Vgl. Albrecht (Operation Streik 2006), S. 2 und Walger/Köpf (Einkommen 2005), S. 1076.
[40] Vgl. O. V. (Deutliche Spreizung 2006), S. 119 und Walger/Köpf (Einkommen 2005), S. 1076.
[41] Vgl. Hoffmann (Dienst 1983), S. 149.
[42] Vgl. Walger/Köpf (Einkommen 2005), S. 1076.
[43] Vgl. Schweitzer (Operation 2000), S. 1.
[44] Vgl. Hoffmann (Dienst 1983), S. 148.
[45] Vgl. Ernst (Krankenhaus-Controlling 2000), S. 11.
[46] Vgl. hierzu und zu folgenden zwei Absätzen Hoffmann (Dienst 1983), S. 148-151.
[47] Vgl. Steinkohl (Siechtum 2008), S. 50.
[48] Vgl. O. V. (Deutliche Spreizung 2006), S. 118.
[49] Vgl. Schweitzer (Operation 2000), S. 1.
[50] Vgl. Selbach/Wittrock (Betrogene Generation 2006), S. 1.
[51] Vgl. Selbach/Wittrock (Betrogene Generation 2006), S. 2.
[52] Vgl. Walger/Köpf (Einkommen 2005), S. 1076.
[53] Vgl. Neubacher (Heiße Luft 2008), S. 2.
[54] Vgl. Schweitzer (Operation 2000), S. 2.
[55] Vgl. Schweitzer (Operation 2000), S. 1.
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