Digitale Medien sind aus der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Die jungen Menschen nutzen Smartphones und andere digitale Endgeräte zur Informationsbeschaffung, zum Spielen und hauptsächlich zur Kommunikation. Kinder und Jugendliche unterliegen im digitalen Raum allerdings auch besonderen Risiken und Gefahren. Eine dieser Gefahren, die häufig in der Schule in Erscheinung tritt, betrifft das Cybermobbing.
Welche Möglichkeiten und Grenzen gibt es für die Schulsozialarbeit, um gegen das Phänomen Cybermobbing unter Kindern und Jugendlichen und im Lebensraum Schule vorzugehen? Von dieser Fragestellung ausgehend behandelt, erörtert und diskutiert die vorliegende Arbeit die Themen:
- Mediennutzung und Medienverhalten von Kinder und Jugendlichen,
- Das Phänomen Cybermobbing,
- Schulsozialarbeit,
- Maßnahmen gegen Cybermobbing,
- Möglichkeiten und Grenzen der Schulsozialarbeit gegen Cybermobbing.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Mediennutzung und Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen
2.1 Gerätebesitz
2.2 Inhaltliche Aspekte der Mediennutzung
2.3 Beliebteste Internetangebote
2.4 Risiken und Gefahren im digitalen Raum
2.5 Zusammenfassung
3. Das Phänomen Cybermobbing
3.1 Vom Mobbing zum Cybermobbing
3.2 Begriffsbestimmung Cybermobbing
3.3 Formen von Cybermobbing
3.4 Klassische Mobbing vs. Cybermobbing
3.5 Häufigkeit von Cybermobbing
3.6 Cybermobbing Rollen
3.7 Rechtliche Aspekte im Zusammenhang mit Cybermobbing
3.8 Zusammenfassung
4. Schulsozialarbeit
4.1 Begriffsklärung und Definition Schulsozialarbeit
4.2 Zielgruppen und Ziele von Schulsozialarbeit
4.2.1 Kinder und Jugendliche
4.2.2 Lehrpersonal und im Schulkontext Tätige
4.2.3 Erziehungsberechtigte
4.2.4 Kooperationspartner
4.3 Angebote, Methoden und Handlungsprinzipien der Schulsozialarbeit
4.3.1 Angebote der Schulsozialarbeit
4.3.2 Methoden der Schulsozialarbeit
4.3.3 Handlungsprinzipien der Schulsozialarbeit
4.4 Spezielle Rahmenbedingungen der Schulsozialarbeit an der Bergschule X
4.5 Zusammenfassung
5. Maßnahmen gegen Cybermobbing an Schulen
5.1 Grundsätzliche Überlegungen
5.2 Handlungsebenen
5.2.1 Maßnahmen auf Schulebene
5.2.2 Maßnahmen auf Klassenebene
5.2.3 Maßnahmen auf individueller Ebene
5.2.4 Maßnahmen gegen Cybermobbing
5.3 Zusammenfassung
6. Möglichkeiten und Grenzen der Schulsozialarbeit gegen Cybermobbing
7. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Gerätebesitz Jugendlicher 2020 in Prozent (MPFS 2020, S. 10)
Abbildung 2: Entwicklung tägliche Onlinenutzung 2010-2020 (MPFS 2020, S. 33)
Abbildung 3: Inhaltliche Verteilung der Internetnutzung 2020 in Prozent (MPFS 2020, S. 35)
Abbildung 4: Wichtigste Apps 2020 - bis zu drei Nennungen (MPFS 2020, S. 38)
Abbildung 5: Verbreitung von falschen/beleidigenden Informationen 2020 in Prozent (MPFS 2020, S. 61)
Abbildung 6: Mir sind im letzten Monat begegnet: in Prozent (MPFS 2020, S. 63)
Abbildung 7: Mir sind im letzten Monat begegnet: in Prozent (MPFS 2020, S. 65)
Abbildung 8: Zusammenhänge zwischen Aggression Gewalt und Mobbing (Politi 2020, S. 3)
Abbildung 9: Häufigkeit von Cybermobbingfällen in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht (Schneider, Katzer, Leest 2013, S. 94 zit. in Jannan 2015, S. 43)
Abbildung 10: Häufigkeit von Cybermobbing in Abhängigkeit von der Schulform (Schneider, Katzer, Leest 2013, S. 94 zit. in Jannan, 2015, S. 44)
Abbildung 11: Häufigkeit verschiedener Schikanen bei Cybermobbing in Prozent (Schneider, Katzer, Leest 2013, S. 94 zit. in Jannan, 2015, S. 44)
Abbildung 12: Schematische Darstellung der „Surf-Fair“ Module (Pieschl, Porsch 2012, S. 51)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Überschneidungen Aggressionen, interpersonelle Gewalt und Mobbing (Wachs et al. 2016, S. 34)
Tabelle 2: Formen des Cybermobbings (vgl. Jannan 2015, S 41 f.)
Tabelle 3: Vergleich von Cybermobbing und traditionellem Mobbing hinsichtlich der Definitionskriterien traditionellen Mobbings und Cybermobbing spezifischer Charakteristika (Schenk 2020, S. 276)
Tabelle 4: Rollenverteilung bei Schülermobbing (vgl. Jannan 2015, S. 29; Salmivalli 1996 zit. in Wachs et al. 2016, S. 64)
Tabelle 5: Steckbrief No Blame Approach (verändert nach Wachs et al. 2016, S. 122-124)
1. Einleitung
Die Digitalisierung hat längst in unser aller Alltag Einzug gehalten und ist heutzutage aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Sie beeinflusst, wie wir arbeiten, lernen, die Freizeit gestalten, konsumieren und kommunizieren. Das Thema Digitalisierung scheint in der öffentlichen Debatte allgegenwärtig und wird dabei in vielerlei Zusammenhängen thematisiert und diskutiert. So heißt es beispielsweise in der Präambel des Strategiepapiers „Bildung in der digitalen Welt“ der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 2016:
„Die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche führt zu einem stetigen Wandel des Alltags der Menschen. Der Prozess betrifft nicht nur die sich zum Teil in hoher Dynamik verändernden beruflichen Anforderungen, sondern prägt in zunehmendem Maße auch den privaten Lebensbereich: Smartphones und Tablets sind mit ihrer jederzeitigen Verfügbarkeit des Internets und mobiler Anwendungssoftware zum allgegenwärtigen Begleiter geworden. Sie ermöglichen nahezu allerorts und jederzeit den Zugriff auf unerschöpfliche Informationen und eröffnen immer neue Kommunikationsmöglichkeiten in unterschiedlichen Kontexten. Gleichzeitig entstehen neue Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe und der aktiven Beteiligung an politischen Entscheidungen. Digitale Medien, Werkzeuge und Kommunikationsplattformen verändern nicht nur Kommunikations- und Arbeitsabläufe, sondern erlauben auch neue schöpferische Prozesse und damit neue mediale Wirklichkeiten.“ (KMK 2016, S. 8)
Es wird verdeutlicht, dass die Digitalisierung zunehmend in alle Lebensbereiche Einzug hält und dass sich dadurch der Alltag der Menschen ständig verändert. Durch den unbegrenzten, orts- und zeitunabhängigen Zugriff auf Informationen für jedermann und durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten ergeben sich neue Teilhabemöglichkeiten. Ferner erlauben digitale Medien neue kreative Prozesse. Die Kultusminister betonen in ihrem Strategiepapier die enormen Chancen, die die Digitalisierung der Gesellschaft eröffnen kann.
Der bekannte Internetaktivist, Blogger und Buchautor, Sascha Lobo (2016), schrieb in seiner Spiegel Online-Kolumne „Die Mensch-Maschine“:
„Digitalisierung! Zugleich Fluch, Verheißung und alternativlos, das Großthema der Stunde. Der Mittelstand, die Bildung, die Industrie, die Medien, die Politik, die Gesellschaft, alle digitalisieren. Irgendwie.“ (Lobo 2016, zit. in BPB 2020, S. 4)
Das Zitat zeigt, dass die Digitalisierung ausnahmslos jeden direkt oder indirekt betrifft. Durch das Wort „Irgendwie“, wird jedoch auch deutlich, wie der Begriff mit Unsicherheit besetzt ist.
Im Zuge der aktuellen Corona-Pandemie hat sich die rasante Entwicklung im Bereich der Digitalisierung zuletzt zusätzlich beschleunigt. Viele Lebensbereiche, wie Arbeit, Bildung und Freizeit, haben sich geradezu zwangsläufig in den digitalen Raum verlagert. Insbesondere Kinder und Jugendliche waren während der Lockdown-Maßnahmen und den damit einhergehenden Schulschließungen auf digitale Medien angewiesen, um soziale Kontakte, die über den engsten Familienkreis hinausgehen, pflegen zu können, um zu kommunizieren und um an der allgemeinen Schulbildung teilhaben zu können. Kinder und Jugendliche nutzen heutzutage zwar wie selbstverständlich Smartphones oder andere digitale Endgeräte, sie sind jedoch gleichzeitig vielerlei spezifischen Bedrohungen und Gefahren im digitalen Raum ausgesetzt. Eine dieser besonders gravierenden Gefahren betrifft das Cybermobbing. So berichten zum Beispiel insgesamt 29 Prozent der im Rahmen der JIM Studie 2020 befragten Kinder und Jugendlichen, dass schon mal jemand falsche oder beleidigende Dinge per Handy oder im Internet über sie verbreitet hat. Der Anteil der betroffenen Kinder und Jugendlichen hat sich dabei in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht. (vgl. MPFS 2020, S. 60 f.)
Auch in meinem Arbeitsalltag als Schulsozialarbeiter an einem staatlich anerkannten Gymnasium in katholischer Trägerschaft werde ich leider nicht selten mit Fällen von Mobbing und/oder Cybermobbing unter den Schüler*innen konfrontiert. Für die betroffenen Kinder und Jugendlichen sind die Folgen dabei oft gravierend und zumeist leidet das gesamte Klassenklima unter der Situation. Die Arbeit gegen Mobbing und/oder Cybermobbing stellt für mich als Schulsozialarbeiter dementsprechend eine große Herausforderung dar, um zu einer Atmosphäre beizutragen, in der sich alle Kinder und Jugendlichen wohlfühlen und die von einer Kultur des gegenseitigen Respekts, der Wertschätzung und des freundlichen Miteinanders aller geprägt ist.
Die zentrale Fragestellung dieser Arbeit lautet daher: Welche Möglichkeiten und Grenzen gibt es für die Schulsozialarbeit, um gegen das Phänomen Cybermobbing unter Kindern und Jugendlichen und im Lebensraum Schule vorzugehen? Ausgehend von dieser Fragestellung ist die Arbeit ist wie folgt aufgebaut:
Im folgenden Abschnitt werden zunächst aktuelle Entwicklungen hinsichtlich der Mediennutzung und des Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen dargestellt Das Kapitel nimmt dabei insbesondere Kinder und Jugendliche an Gymnasien, die sich also in einer Alterspanne von etwa 10 bis 19 Jahren befinden, in den Fokus. Sie stützt sich dabei hauptsächlich auf die aktuelle JIM Studie (2020) des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest zum Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen.
Anschließend wird das Phänomen Cybermobbing detailliert erörtert. Hierzu werden zunächst die Begriffe Mobbing und Cybermobbing bestimmt und voneinander abgegrenzt. Es folgt eine Betrachtung der verschiedenen Erscheinungsformen von Cybermobbing und eine Beschreibung Cybermobbing-spezifischer Mechanismen. Es wird ausgeführt, welche verschiedenen sozialen Rollen beim Cybermobbing von Bedeutung und welche rechtlichen Aspekte von Relevanz sind.
Es folgt eine ausführliche Beschreibung des Arbeitsbereiches Schulsozialarbeit. Nach einer Begriffsbestimmung erfolgt die Darstellung der Zielgruppen und Ziele von Schulsozialarbeit sowie ihrer Arbeitsfelder, Methoden und Handlungsprinzipien. Ferner werden die spezifischen Rahmenbedingungen der Schulsozialarbeit an der Bergschule X skizziert.
Der anschließende Abschnitt stellt verschiedene Maßnahmen für die Interventions- und Präventionsarbeit gegen Mobbing und/oder Cybermobbing auf unterschiedlichen Handlungsebenen im Kontext Schule in ihren Grundzügen vor.
Um schließlich die zentrale Fragestellung der vorliegenden Arbeit zu beantworten, folgt die Erörterung spezieller Möglichkeiten der Schulsozialarbeit, um gegen das Phänomen Cybermobbing unter Kindern und Jugendlichen vorzugehen. Dies geschieht anhand der Betrachtung einzelner Möglichkeiten und der jeweiligen Grenzen bzw. Einschränkungen.
Im Fazit sollen die im Rahmen der Arbeit gewonnen Erkenntnisse nochmals pointiert zusammengefasst und ein Ausblick auf zukünftige Herausforderungen, im Zusammenhang mit Cybermobbing unter Kindern und Jugendlichen, für die Schulsozialarbeit gegeben werden.
2. Mediennutzung und Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen
Dass die Digitalisierung und neue Medien unser Leben dramatisch verändern, wurde bereits in der Einleitung angedeutet. Der folgende Abschnitt beschreibt nun die Mediennutzung und das Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen anhand der aktuellen Studien KIM „Kinder, Internet, Medien“ (2021) und JIM „Jugend, Information, Medien“ (2020) des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest (MPFS), einer Basisuntersuchung zum Medienumgang von 6- bis 13-Jährigen (KIM) bzw. von 12- bis 19-Jährigen (JIM).
2.1 Gerätebesitz
Mittlerweile kann man davon ausgehen, dass die allermeisten Kinder und Jugendlichen spätestens nach dem Übergang auf eine weiterführende Schule über ein Smartphone verfügen. So zeigen die aktuellen Studien des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest (MPFS), dass in der Gruppe der Sechs- bis 13-Jährigen nur die Hälfte der Kinder ein eigenes Smartphone besitzt (vgl. MPFS 2021, S. 11). In der Gruppe der 12- bis 19-Jährigen ist dies bereits bei 94 Prozent der Kinder und Jugendlichen der Fall (vgl. MPFS 2020, S. 8). Abbildung 1 zeigt den Gerätebesitz der 12 bis 19-Jährigen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Gerätebesitz Jugendlicher 2020 in Prozent (MPFS 2020, S. 10)
Verglichen mit 2019 erhöhte sich der Gerätebesitz vor allem bei Computern/Laptops (+7%), Tablets (+13%), Wearables (+11%) und Smart-TVs (+14%) (vgl. a.a.O., S. 8).
Bei Befragungen, die ich im Rahmen eines Medienpräventionsprojektes in allen fünften Klassen der Bergschule X durchgeführt habe, gaben sogar alle der 62 teilnehmenden Schüler*innen an, ein eigenes Smartphone zu besitzen.
2.2 Inhaltliche Aspekte der Mediennutzung
Hinsichtlich der inhaltlichen Aspekte der Mediennutzung berichtet die JIM-Studie, dass 89 Prozent der Kinder und Jugendlichen täglich das Internet nutzen und dieser Anteil mit dem Alter der Kinder und Jugendlichen kontinuierlich steigt. Schülerinnen und Schüler von Gymnasien liegen dabei mit 91 Prozent vor Kindern und Jugendlichen anderer Schulformen mit 86 Prozent (vgl. a.a.O., S. 33).
Im Vergleich der Jahre 2019 und 2020 zeigt sich, dass sich die Nutzungsdauer des Internets um 26 Prozent erhöht hat. Die Autoren der Studie vermuten hinter diesem deutlichen Anstieg den Einfluss der besonderen Corona-Pandemie Situation, in der Homeschooling und der Wegfall verschiedener Freizeitaktivitäten zu einer verstärkten Internetnutzung führten (vgl. ebd.). Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der täglichen Onlinenutzung seit dem Jahr 2010:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Entwicklung tägliche Onlinenutzung 2010-2020 (MPFS 2020, S. 33)
Den größten Anteil der Nutzungszeit nimmt der Bereich Unterhaltung mit 34 Prozent ein. Danach folgen die Bereiche Spiele mit 28 Prozent und Kommunikation mit 27 Prozent. Dabei spielen Social Media Dienste und Messenger die größte Rolle. Die Informationssuche nimmt mit 11 Prozent den kleinsten Anteil ein (vgl. a.a.O., S. 34). Abbildung 3 zeigt die inhaltliche Verteilung der Internetnutzung gruppiert nach Geschlecht, Alter und Schulform:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Inhaltliche Verteilung der Internetnutzung 2020 in Prozent (MPFS 2020, S. 35)
2.3 Beliebteste Internetangebote
Die Internetangebote bzw. Anwendungen mit der größten Bedeutung für die Kinder und Jugendlichen sind in ihrer Rangfolge WhatsApp mit 82 Prozent, gefolgt von Instagram mit 46 Prozent und YouTube mit 31 Prozent. Es folgen die Angebote von Snapchat (19 %), Spotify (16 %), TikTok (10 %) mit etwas Abstand und die weiteren Anwendungen Google, Netflix, Facebook und Twitter mit um und unter 5 Prozent. Die Präferenzen von Mädchen und Jungen unterscheiden sich dabei etwas. Während WhatsApp für beide Geschlechter gleichermaßen die größte Bedeutung hat, ist YouTube bei den Jungen entgegen Instagram und TikTok bei den Mädchen von größerer Wichtigkeit. Darüber hinaus gewinnen oder verlieren einzelne Angebote mit zunehmendem Alter der Kinder und Jugendlichen an Bedeutung (vgl. a.a.O., S. 37). Abbildung 4 zeigt die wichtigsten Apps der Kinder und Jugendlichen im Jahr 2020 gruppiert nach Geschlecht:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Wichtigste Apps 2020 - bis zu drei Nennungen (MPFS 2020, S. 38)
Auffällig ist dabei, dass mit Ausnahme von Spotify, einem Musikstreaming-Dienst, mit WhatsApp, Instagram, YouTube, Snapchat und TikTok die Angebote die wichtigste Bedeutung bei Kindern und Jugendlichen haben, die entweder ihren Hauptnutzen in der Kommunikation haben oder zumindest die Möglichkeit zum kommunikativen Austausch bieten.
Interessant in Bezug auf WhatsApp ist, dass 94 Prozent aller Kinder und Jugendlichen den Messenger- und Social Media Dienst mehrmals wöchentlich und sogar 86 Prozent täglich nutzen. In einer WhatsApp Klassengruppe sind mit 87 Prozent im Jahr 2020 deutlich mehr Kinder und Jugendliche als noch im Jahr 2019 mit 69 Prozent. Die Autoren vermuten auch hier als Ursache für den großen Anstieg den Einfluss der Pandemie-Situation, durch die der persönliche Kontakt zu den Mitschüler*innen nur noch eingeschränkt möglich war (vgl. a.a.O., S. 39).
Es lässt sich festhalten, dass Smartphones und andere digitale Endgeräte zu ständigen und selbstverständlichen Begleitern der Kinder und Jugendlichen geworden sind und sich ein großer Teil der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen, sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Kontext, im digitalen Raum befindet.
2.4 Risiken und Gefahren im digitalen Raum
Leider machen Kinder und Jugendliche im digitalen Raum nicht nur positive Erfahrungen. Im Netz sind sie auch spezifischen Risiken und Gefahren, wie z.B. Beleidigungen, Hassbotschaften oder Desinformationen, ausgesetzt. So berichten insgesamt 29 Prozent der im Rahmen der JIM Studie 2020 befragten Kinder und Jugendlichen, dass schon mal jemand falsche oder beleidigende Dinge per Handy oder im Internet über sie verbreitet hat. Der Anteil der insgesamt betroffenen Kinder und Jugendlichen hat sich von 19 Prozent im Jahr 2018, über 21 Prozent im Jahr 2019 auf aktuell 29 Prozent erhöht. Kinder und Jugendliche an Haupt- und Realschulen sind hier mit 35 Prozent etwas stärker betroffen als Schüler*innen an Gymnasien mit 25 Prozent (vgl. a.a.O., S. 60 f.). Abbildung 5 zeigt den Anteil der Kinder und Jugendlichen, die der Aussage - „Es hat schon mal jemand falsche oder beleidigende Sachen über mich per Handy oder im Internet verbreitet.“ – zustimmen, gruppiert nach Alter und Geschlecht:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Verbreitung von falschen/beleidigenden Informationen 2020 in Prozent (MPFS 2020, S. 61)
Außerdem gaben insgesamt 38 Prozent der Kinder und Jugendlichen an, dass sie in ihrem Umfeld schon mal mitbekommen haben, wie jemand absichtlich fertiggemacht wurde. Der Anteil der Mädchen ist hier mit 45 Prozent etwas höher als der Anteil der Jungen mit 38 Prozent. Dass sie schon einmal selbst Opfer solcher Angriffe wurden, bejahen insgesamt 11 Prozent der Kinder und Jugendlichen - 15 Prozent der Mädchen und 8 Prozent der Jungen (vgl. ebd.). Bei einer Klassengröße von etwa 25 Schüler*innen, ergeben sich so durchschnittlich zwei bis drei betroffene Kinder und Jugendliche pro Schulklasse, was nach meiner Ansicht erheblich ist.
Neben den beleidigenden Inhalten, die direkt und persönlich an die Betroffenen gerichtet sind, machen Kinder und Jugendliche im digitalen Raum weitere negative Erfahrungen, wie Hassbotschaften, extreme politische Ansichten, Verschwörungstheorien, Fake News und beleidigende Kommentare in sozialen Netzwerken. So gab nur ein Viertel der im Rahmen der JIM Studie befragten Kinder und Jugendlichen an, dass ihnen keines der genannten Phänomene innerhalb des vergangenen Monats begegnet ist (vgl. a.a.O., S. 62), wie in Abbildung 6 dargestellt wird:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Mir sind im letzten Monat begegnet: in Prozent (MPFS 2020, S. 63)
Hinsichtlich bewusster Desinformation - also Fake News und Verschwörungstheorien - sowie der Verbreitung extremistischer Inhalte sind jüngere Kinder und Jugendliche mit formal niedrigerem Bildungsgrad tendenziell stärker betroffen als ältere mit formal höherem Bildungsgrad (vgl. a.a.O., S. 63).
Bei beleidigenden Kommentaren und Hassbotschaften in sozialen Netzwerken sind jüngere Kinder und Jugendliche mit niedrigerem Bildungsgrad ebenso deutlich häufiger betroffen als ältere mit höherem Bildungsgrad (vgl. a.a.O., S. 64), wie in Abbildung 7 dargestellt wird:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: Mir sind im letzten Monat begegnet: in Prozent (MPFS 2020, S. 65)
2.5 Zusammenfassung
Kinder und Jugendliche wachsen heutzutage mit einem großen Medienangebot auf. Ihnen stehen verschiedene internetfähige digitale Endgeräte, wie Smartphones, Computer/Laptops, Tablets, Spielekonsolen usw. zur Verfügung. Man kann feststellen, dass das Internet für Kinder und Jugendliche das Alltagsmedium schlechthin ist. So sind 89 Prozent aller Kinder und Jugendlichen täglich online. Dabei hat sich die Nutzungsdauer des Internets im Jahr 2020, vermutlich bedingt durch die Corona-Pandemie und die damit verbundene Verlagerung von Freizeitaktivitäten in den digitalen Raum, im Vergleich zu den Vorjahren, deutlich erhöht. Die wichtigsten inhaltlichen Aspekte der Mediennutzung sind die Bereiche Unterhaltung, Kommunikation, Spiele und Information. Die Präferenzen unterscheiden sich dabei etwas je nach Alter und Geschlecht. Während z.B. bei Jungen Spiele eine größere Bedeutung haben, ist bei Mädchen der Bereich der Kommunikation wichtiger. Unabhängig davon bezeichnen beide Geschlechter WhatsApp als die ihnen wichtigste Anwendung, um sich mit anderen auszutauschen. Darüber hinaus finden sich unter den beliebtesten und wichtigsten Apps weitere Messenger Dienste und vor allem Social Media Angebote, die allesamt auch Möglichkeiten der Kommunikation bieten. Kinder und Jugendliche begegnen im Internet aber auch verschiedenen Risiken und Gefahren und ein mit 29 Prozent erheblicher Anteil der Kinder und Jugendlichen gibt an, dass schon mal falsche oder beleidigende Dinge über sie im Internet verbreitet wurden. 38 Prozent aller Kinder und Jugendlichen haben schon einmal mit mitbekommen, dass jemand absichtlich im Internet fertiggemacht wurde. Dass sie schon einmal selbst Opfer solcher Angriffe wurden, bestätigen immerhin elf Prozent der Kinder und Jugendlichen.
Die Ergebnisse der Studie spiegeln wider, dass der digitale Raum und neue Medien zu einem selbstverständlichen Teil der Lebenswirklichkeit junger Menschen geworden sind. Kinder und Jugendliche verbringen einen großen Teil ihrer Zeit im digitalen Raum und nutzen die vielfältigen Möglichkeiten des Internets zur Unterhaltung, zum Spielen, zur Kommunikation und zur Informationsbeschaffung. Sie sind dort aber auch verschiedenen Risiken und Gefahren ausgesetzt. Für die Erziehung allgemein und für die Schulsozialarbeit speziell ergeben sich hier zukünftige Herausforderungen, um Kinder und Jugendliche einerseits zu digitaler Teilhabe zu befähigen und sie gleichzeitig vor Risiken und Gefahren zu schützen.
3. Das Phänomen Cybermobbing
Im vorangegangenen Abschnitt wurde bereits herausgearbeitet, dass der digitale Raum immer mehr zu einem selbstverständlichen Teil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen geworden ist und dass sich dieser Entwicklungstrend der vergangenen Jahre durch die Corona-Pandemie-Situation der letzten zwei Jahre zusätzlich beschleunigt hat. Für die Kinder und Jugendlichen bot der digitale Raum während der Zeit der Lockdown-Maßnahmen mit Schulschließungen und massiv eingeschränkten Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, die Chance mit der Außenwelt, die über den engsten Familienkreis hinausgeht, in Kontakt zu bleiben. Auch für mich als Schulsozialarbeiter eröffnete der digitale Raum die Möglichkeit, den Kontakt zu Schüler*innen und Eltern - zumindest virtuell - nicht abreißen zu lassen. Es wurde jedoch auch verdeutlicht, dass eine erhebliche Zahl von Kindern und Jugendlichen im digitalen Raum von Formen des Cybermobbings betroffen sind und von derlei Erfahrungen berichten. Die empirische Befundlage bestätigt dabei meine eigene Alltagserfahrung, in der ich häufig mit akuten Fällen von Cybermobbing unter Schüler*innen konfrontiert bin.
Inhaltlicher Kern des folgenden Abschnitts ist daher die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Cybermobbing. Zunächst werden die Begriffe Mobbing und Cybermobbing bestimmt, konzeptionell eingeordnet und voneinander abgegrenzt. Danach erfolgt die Darstellung der verschiedenen Formen von Cybermobbing, der Häufigkeitsverteilung sowie von rechtlichen Fragestellungen, die im Zusammenhang mit Cybermobbing von Relevanz sind.
3.1 Vom Mobbing zum Cybermobbing
Die meisten Definitionsversuche von Cybermobbing haben gemeinsam, dass sie sich auf den Begriff des klassischen, traditionellen oder analogen Mobbings beziehen und Cybermobbing als eine entsprechende Unterform in der digitalen Welt verstehen (vgl. Schenk 2020, S. 175). Obwohl dieses Verständnis zu kurz greift und Cybermobbing einige spezifische Besonderheiten aufweist, welche zentrale Annahmen des traditionellen Mobbingbegriffes verletzen, muss man, um Cybermobbing zu verstehen, demnach zunächst wissen, was traditionelles Mobbing bedeutet (vgl. Wachs et al. 2016, S. 82; Schenk 2020, S. 275).
Mobbing ist ein wesentlicher Risikofaktor sowohl für emotionale als auch Verhaltensprobleme. Da Mobbing viele unterschiedliche Erscheinungsformen hat, ist es schwierig, eine Definition zu finden, die alle Facetten des Mobbings einschließt. Um Mobbing und betroffene Kinder frühzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, ist es dennoch notwendig, Mobbing zu verstehen und sich an eine Begriffsbestimmung anzunähern (vgl. Politi 2020, S. 2).
Die Mobbingforschung gehört zu einem Teilbereich der Aggressionsforschung. Deswegen zunächst zum Phänomen des klassischen Mobbings und dessen Einordnung innerhalb der Begriffe „Aggression“, „Gewalt“ und „Mobbing“. Obwohl diese Begriffe in der Alltagssprache oft wenig differenziert verwendet werden, sind sie keinesfalls auch so zu verstehen. Vielmehr handelt es sich bei Aggression um einen übergeordneten Begriff von Gewalt und Mobbing (vgl. ebd.), wie auch in Abbildung 8 illustriert wird:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8: Zusammenhänge zwischen Aggression Gewalt und Mobbing (Politi 2020, S. 3)
So versteht man unter Aggression ein Verhalten, welches spezifisch, zielgerichtet und beabsichtigt ist, um die eigene Person, andere Personen oder Gruppen, ein anderes Lebewesen oder Gegenstände zu zerstören oder zu schädigen. Hinzu kommen Emotionen wie Wut. Aggressionen können dabei in vielen unterschiedlichen Formen auftreten. Wesentlich für Aggressionen ist, dass die Handlung beabsichtigt ist (vgl. Wachs et al. 2016, S. 31 f.).
In Abgrenzung zu Aggression spricht man von Gewalt, wenn körperliche und/oder soziale Macht darüber hinaus eine Rolle spielt. Der Täter oder die Täter also dem Opfer überlegen sind. Gewalt kann dabei sowohl durch körperliche als auch durch subtilere Gewaltformen, wie Drohungen oder Einschüchterungen, gekennzeichnet sein. Mit Gewalt sind also aggressive Handlungen gemeint, die durch ein Machtungleichgewicht gekennzeichnet sind (vgl. a.a.O., S. 33).
Die Definitionen von Mobbing weisen einige Überschneidungen zu den Begriffen „Aggression“ und „Gewalt“ auf. Demnach ist Mobbing immer aggressives Verhalten sowie Ausdruck von Gewalt, aber nicht jede Form aggressiven Verhaltens oder von Gewalt ist auch Mobbing. Trotzdem beinhaltet der Begriff Mobbing einige zusätzlich Merkmale, die ihn von den anderen Begriffen unterscheidet (vgl. Scheithauer et al. 2003, zit. in Politi 2020, S. 3; Wachs et al. 2016, S. 33 f.).
Nun finden sich in der Fachliteratur zahlreiche Definitionen des Mobbingbegriffs, die sich mehr oder weniger stark voneinander unterscheiden. Über die im wissenschaftlichen Fachdiskurs weitgehend Einigkeit herrscht und welche in zahlreichen Publikationen zitiert und rezipiert wird, stammt von dem schwedischen Psychologen Dan Ake Olweus. Demnach liegt Mobbing dann vor,
„[…] wenn eine schwächere Person wiederholt und über einen längeren Zeitraum verletzenden Handlungen von einer oder mehreren überlegenen Personen ausgesetzt ist und das Opfer sich nicht aus eigener Kraft gegen die Übergriffe zur Wehr setzen kann.“ (Olweus 1978, zit. in Wachs et al. 2016, S. 2).
Aus dieser Definition lassen sich die Kriterien Wiederholungsaspekt, Verletzungsabsicht und Machtungleichgewicht ableiten, die allesamt gleichzeitig gegeben sein müssen, um von Mobbing in Abgrenzung zu Aggression oder Gewalt zu sprechen.
Unter Wiederholungsaspekt versteht man dabei, dass die Handlungen wiederholt und über einen längeren Zeitraum erfolgen. Findet ein Verhalten nur einmalig statt, so handelt es sich also nicht um Mobbing. Der Schweregrad des Mobbings wird dabei durch die Anzahl der Wiederholungen und die Zeitspanne bestimmt (vgl. Wachs et al. 2016, S. 18).
Dass die Mobbing-Täter mit dem klaren Vorsatz, ihr Opfer zu schädigen, handeln, ist mit Verletzungsabsicht gemeint. Mobbing ist dementsprechend immer eine beabsichtigte Handlung, die eine Schädigung des Opfers zum Ziel hat. Da Mobbing ein Phänomen ist, das sich in relativ stabilen sozialen Gruppen, wie z.B. auch Schulklassen, vollzieht, und sich die Beteiligten daher zumeist gut kennen, ergeben sich für die Täter vielfältige Möglichkeiten, die sie häufig systematisch und strategisch ausnutzen, um ihr Opfer zu schädigen (vgl. a.a.O., S. 18 f.).
Unter Machtungleichgewicht versteht man, dass Mobbing immer in einer Beziehung stattfindet, die durch ein Machtungleichgewicht zugunsten des oder der Täter gekennzeichnet ist. Der Machtvorteil kann dabei sowohl tatsächlich vorhanden als auch subjektiv empfunden sein und kann auf unterschiedlichen Umständen beruhen. Machtfaktoren können z.B. körperliche Überlegenheit oder auch ein höheres Ansehen innerhalb einer Klasse sein (vgl. a.a.O., S. 19).
In späteren Arbeiten ergänzt Olweus (1999) noch die Kategorien Bekanntheit und Provokation als weitere Bestimmungsfaktoren von Mobbing.
Mit Bekanntheit ist gemeint, dass Mobbing in bekannten sozialen Gruppen stattfindet und sich Täter und Opfer entsprechend kennen. Wohingegen sich aggressives Verhalten auch spontan gegen fremde Personen richten kann (vgl. Olweus 1999, zit. in Schenk 2020, S. 275; Wachs et al. 2016, S. 35).
Unter Provokation versteht man, dass das Mobbingverhalten nicht durch das Opfer provoziert wurde (vgl. Olweus 1999, zit. in Schenk 2020, S. 275).
Mobbing ist also eine spezielle Form von Gewalt und aggressivem Verhalten, welches sich durch die oben genannten Kennzeichen und Kriterien von diesen unterscheidet. Ein mutwillig von einem Schüler zerstörter Füller muss demnach keine Sachbeschädigung sein, sondern kann in einer Reihe negativer Handlungen einem anderen Schüler gegenüber als Mobbing gewertet werden. Wohingegen eine Schlägerei bei der zwei Jungen einen dritten verprügeln trotz des vorhandenen Machtungleichgewichts nicht Mobbing sein muss, wenn nicht auch alle anderen Mobbing-Kriterien erfüllt sind. Nicht jede Gewalt ist somit zugleich Mobbing, jedoch ist Mobbing immer Gewalt (vgl. Jannan 2015, S. 22 f.).
Die Tabelle 1 fasst die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Aggression, Gewalt und Mobbing anhand der Kriterien Wiederholungsaspekt, Verletzungsabsicht und Machtungleichgewicht zusammen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Überschneidungen Aggressionen, interpersonelle Gewalt und Mobbing (Wachs et al. 2016, S. 34)
Dabei ist zu erwähnen, dass die Unterscheidung insofern für die Praxis von Relevanz ist, da Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, Aggressionen oder Gewalt zu unterbinden, sich als nicht geeignet erweisen können, um wirksam und nachhaltig gegen Mobbing vorzugehen (vgl. Wachs et al. 2016, S. 35).
Darüber hinaus gibt es noch weitere Differenzierungsmöglichkeiten, um Mobbing von anderen Verhaltensweisen, wie beispielsweise Belästigung oder Necken, abzugrenzen (vgl. a.a.O., S. 35). Auf die Betrachtung dieser Unterscheidungen soll im Rahmen dieser Arbeit jedoch zu Gunsten einer genaueren Erörterung des Cybermobbingbegriffes verzichtet werden.
Im weiteren Verlauf der Arbeit soll Mobbing als eine beabsichtigte Handlung einer überlegenen Person gegenüber einer unterlegenen Person, die wiederholt und über einen längeren Zeitraum auftritt, um dem Opfer zu schaden, verstanden werden.
3.2 Begriffsbestimmung Cybermobbing
Wie auch zum klassischen Mobbingbegriff existieren in der Literatur ebenso zahlreiche Definitionen zum Cybermobbingbegriff. So definieren Smith und Kollegen (2008) den Begriff Cybermobbing als:
„[…] aggressive und intentionale Handlung, die von einer Gruppe oder einem Individuum auf elektronischem Wege ausgeführt wird und gegen ein Opfer, welches sich nicht oder nur schwerlich verteidigen kann, gerichtet ist.“ (Smith et al. 2008, S. 376, zit. in Schenk 2020, S. 274).
Hier stellt sich die Frage, was sind das für Handlungen und auf welchem elektronischen Weg finden diese Handlungen statt. Deswegen richten andere Definitionen den Fokus auf die Verwendung der verschiedenen elektronischen Medien, die beim Cybermobbing eine Rolle spielen, und nennen dabei die sieben Kategorien: Mobbing durch Textnachrichten, Bilder oder Videos, Anruf, Email, Chat, Instant Messaging und Websites (vgl. Smith et al. 2006 zit. in Schenk 2020, S. 274 f.). Dieser Definitionsansatz beantwortet also die Frage nach dem elektronischen Wege, auf dem die Mobbinghandlungen stattfinden.
Bleibt die Frage nach den Handlungen, um die es sich beim Cybermobbing handelt. Also die Bestimmung von Cybermobbing anhand von Verhaltensweisen, die auf elektronischem Wege stattfinden. Um Cybermobbing handelt es sich demnach bei:
- Belästigung: An oder im Namen des Opfers werden belästigende Nachrichten, anstößige und/oder unerwünschte Inhalte versendet.
- Bloßstellung: Über das Opfer werden private Informationen im Internet verbreitet.
- Diffamierung und Rufschädigung: Über das Opfer werden Falschbehauptungen verbreitet.
- Demütigung: Veröffentlichung von demütigendem Material z.B. peinliche Bilder oder Videos.
- Bedrohung: Oft in anonymisierter Form (vgl. Weitzmann 2017 zit. in Schenk 2020, S. 274).
Riebel (2008) ergänzt hier in seiner verhaltensbasierten Definition noch den Punkt: Ausschluss, der sich bei Weizmann (2017) nicht ausdrücklich finden lässt:
- Ausschluss: Absichtliches Ausschließen aus Online-Gruppen oder –Aktivitäten, wie z.B. bei Spielen (vgl. Riebel 2008 zit. in Wachs et al. 2016, S. 84).
Bis heute gibt es keine allgemein akzeptierte Definition von Cybermobbing. Manche fassen den Begriff enger, andere weiter. Studien zu dem Thema sind daher auch nur schwer untereinander zu vergleichen. Aufgrund dessen plädieren Porsch und Piechl (2012) dazu, Cybermobbing aus der Perspektive der Opfer zu definieren. Wie verschiedene Studien gezeigt haben, entspricht dies auch am ehesten der Ansicht von Kindern und Jugendlichen (vgl. Jannan 2015, S. 40). Demnach ist Cybermobbing folgendermaßen definiert:
„Cybermobbing sind alle Formen von Schikane, Verunglimpfung, Betrug, Verrat und Ausgrenzung mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien, bei denen sich das Opfer hilflos oder ausgeliefert und (emotional) belastet fühlt oder bei denen es sich voraussichtlich so fühlen würde, falls es von diesen Vorfällen wüsste.“ (Porsch, Pieschl 2012, S. 137 zit. nach Jannan 2015, S. 40).
Diese Definition nennt also verschiedene aggressive Handlungen und betont ausdrücklich die Opfer-Perspektive. Indem die Definition auch Handlungen einschließt, bei denen sich das Opfer hilflos, ausgeliefert und emotional belastet fühlen würde, falls es davon wüsste, fasst diese Definition den Cybermobbing-Begriff noch etwas weiter.
Andere Autoren weisen darauf hin, dass es zwar theoretisch möglich ist, Cybermobbing und klassisches Mobbing voneinander zu unterscheiden, dies in der Praxis aber wenig sinnvoll, da die analoge und digitale Welt zunehmend miteinander verschmelzen und es daher reines analoges Mobbing ohne digitale Anteile nicht mehr gibt (vgl. Hilt, et al., 2021, S. 26). Für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist dies in der Schule ebenso der Fall. Die Mobbingfälle haben nie ausschließlich nur analoge Komponenten, sondern immer auch digitale. Es erscheint daher sinnvoll, auch bei der Arbeit gegen Cybermobbing, den Blick auf das klassische Mobbing nicht zu vernachlässigen.
Für die weitere Arbeit soll Cybermobbing als eine Art der Aggression, eine Gewaltform und eine Form des Mobbings, die durch eine Vielzahl von Verhaltensweisen und auf unterschiedlichen Wegen unter Zuhilfenahme digitaler Medien bzw. im digitalen Raum stattfindet, verstanden werden. Es spielt dabei zunächst keine Rolle, ob das Opfer schon Kenntnis von den Handlungen hat, sondern ob es sich bei Kenntnis der Handlungen, hilflos, ausgeliefert und emotional belastet fühlen würde. Die denkbaren Handlungen sind dabei ebenso vielfältig wie die Art der verwendeten Medien.
3.3 Formen von Cybermobbing
Darüber hinaus gibt es viele verschiedene Erscheinungsformen, anhand derer man Cybermobbing bestimmen kann. Die jeweiligen Verhaltensweisen sind dabei wiederholt und können einzeln und in Kombination auftreten. So berichten Opfer davon, dass Täter oft verschiedene Formen und unterschiedliche Medien einsetzen (vgl. Wachs et al. 2016, S. 84). Dabei müssen sich Interventionen gegen Cybermobbing stets an der konkreten Form des Übergriffes orientieren (vgl. Jannan 2015, S. 42). Ferner können sich durch den technologischen Fortschritt und das Entstehen neuer Trends schnell neue Formen von Cybermobbing entwickeln, die man heute noch nicht kennt und auf die man reagieren muss (vgl. Wachs 2016, S. 85). Die Tabelle 2 fasst in Anlehnung an Jannan (2015) die häufigsten Formen des Cybermobbings und die entsprechenden Beschreibungen zusammen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Formen des Cybermobbings (vgl. Jannan 2015, S 41 f.)
3.4 Klassische Mobbing vs. Cybermobbing
Wie bereits ausgeführt, ist die digitale Lebenswelt, ob im privaten oder schulischen Bereich, bei Kindern und Jugendlichen zu einem selbstverständlichen Bestandteil geworden. Ein ausschließlich klassischer Mobbingfall ist daher zwar theoretisch denkbar aber praktisch eher unwahrscheinlich. Wohingegen ein ausschließlich digitaler Mobbingfall durchaus denkbar ist. Für die Opfer liegt die besondere und zusätzliche Belastung dabei in den Besonderheiten des Mobbings im digitalen Raum verglichen mit dem analogen Raum begründet, auf die nun eingegangen wird.
Cybermobbing unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht vom klassischen analogen Mobbing, weshalb man es nicht als reine Unterform dessen sehen kann. Oftmals wurde deshalb dafür plädiert, Cybermobbing als eigenständiges Phänomen zu betrachten (vgl. Kubiszewski et al. 2015 zit. in Schenk 2020, S. 279.).
Während sich beispielsweise Mobbing im Schulkontext im vordigitalen Zeitalter auf die Zeit des Vormittags und auf den Raum der Schule und den Schulweg beschränkt hat, kann Cybermobbing zeit- und ortsunabhängig erfolgen. Hinzu kommen weitere wesentliche Unterschiede von Mobbing im digitalen Raum, die man bei der Arbeit gegen dieses Phänomen und bei der Entwicklung und Auswahl geeigneter Maßnahmen und Methoden berücksichtigen muss.
Ein wesentlicher Unterschied betrifft den Aspekt der Anonymität. Während ein Opfer den Täter beim klassischen Mobbing kennt, kann der Täter beim Cybermobbing völlig anonym agieren, indem er beispielsweise eine unterdrückte Rufnummer oder gefälschte Identität nutzt (Wachs et al. 2016, S. 82).
Das Machtverhältnis verändert sich. Körperliche oder zahlenmäßige Überlegenheit sind weniger entscheidend als bessere Medienkompetenzen, Reichweite oder Öffentlichkeit. (vgl. ebd.).
Die Reichweite ist beim Cybermobbing viel größer als beim analogen Mobbing. Der Täter hat die Möglichkeit, schnell ein großes Publikum zu erreichen. Ein peinliches Video oder Foto kann sich schnell viral verbreiten und auch dann noch unkontrolliert große Kreise ziehen, wenn der eigentliche Konflikt längst beendet ist. (vgl. ebd.).
Das Fehlen des Blickkontaktes, der Wahrnehmung von Mimik und Gestik kann zu Enthemmung führen und dadurch besonders schwere Attacken begünstigen. Im digitalen Raum sind die emotionalen Folgen für das Opfer, für den Täter nicht unmittelbar sichtbar, was die Entstehung von Schuldgefühl, Reue und Empathie erschwert (vgl. ebd.).
Cybermobbing ist zeit- und ortsunabhängig. Es kann rund um die Uhr ausgeführt werden, egal an welchem Ort sich das Opfer auch befindet. Es gibt keinerlei Rückzugsmöglichkeit für das Opfer (vgl. a.a.O., S. 83).
Der Raum, in dem Cybermobbing stattfindet, ist weitgehend durch die Eltern unbeaufsichtigt. Kinder und Jugendliche wenden sich bei Problemen im digitalen Raum selten an Erwachsene, da sie Strafen wie Handy-, Spiele- und/oder Internetverbot fürchten (vgl. ebd.).
Es zeigen sich also viele spezifische Charakteristika von Mobbing im digitalen Raum, die besondere Gefahren und Risiken mit sich bringen und dadurch besondere medienspezifische Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern. Für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Schulsozialarbeit ergeben sich daraus verschiedene Anknüpfungspunkte, die es bei Konzeption, Durchführung oder Auswahl geeigneter Maßnahmen zu berücksichtigen gilt. Tabelle 3 unterscheidet in Anlehnung an Schenk (2020) traditionelles Mobbing von Cybermobbing und stellt die Definitionskriterien klassischen Cybermobbings den besonderen Eigenschaften von Cybermobbing gegenüber:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3: Vergleich von Cybermobbing und traditionellem Mobbing hinsichtlich der Definitionskriterien traditionellen Mobbings und Cybermobbing spezifischer Charakteristika (Schenk 2020, S. 276)
Wie verschiedene Studien belegen konnten, nutzen Mobbing-Täter auch digitale Medien, um ihr Opfer zu mobben. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass Opfer von traditionellem Mobbing in der Schule auch häufig Opfer von Cybermobbing werden (vgl. Gradinger, Strohmeier, Spiel 2009 zit. in Wachs et al. 2016, S. 88). Laut Olweus (2012) sind nur zirka 10 bis 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die Mobbing in der Schule erleben, nicht gleichzeitig auch Opfer von Cybermobbing (vgl. Olweus 2012 zit. in Wachs et al. 2016, S. 88). Kinder und Jugendliche, die von beiden Formen des Mobbings betroffen sind, zeigen dabei besonders gravierende Belastungen, verglichen mit Kindern und Jugendlichen, die entweder nur traditionelles, oder Cybermobbing erleben (vgl. Wachs et al. 2016, S. 91). Täter und Opfer von Cybermobbing stammen dabei zumeist aus einem gemeinsamen sozialen Kontext, wie beispielsweise einer Schulklasse. Da Mobbing-Situationen, die in der Schule entstehen, im außerschulischen Kontext weiter ausgetragen werden und umgekehrt, spielt die Schule bei der Arbeit gegen Cybermobbing eine wichtige, wenn nicht die entscheidende Rolle (vgl. Wachs et al. 2016, S. 89).
3.5 Häufigkeit von Cybermobbing
An deutschen Schulen ist Mobbing die am häufigsten vorkommende Gewaltform (vgl. Jannan 2015, S. 25). Die Häufigkeitsverteilung von Cybermobbing unter Kindern und Jugendlichen ist für die Schulsozialarbeit dabei von nicht unerheblicher Bedeutung. Die Cybermobbingfälle nehmen ab der Kinderzeit kontinuierlich zu und erreichen ihren Höhepunkt in der Alterspanne zwischen 12 und 15 Jahren, also im Alter der Pubertät (vgl. Jannan 2015, S. 43). Präventionsansätze müssen daher schon in den Klassen fünf und sechs ansetzen. Außerdem sind von Cybermobbing mehr Mädchen als Jungen betroffen. Die Häufigkeit von Cybermobbingfällen in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht ist in Abbildung 9 in Anlehnung an Schneider, Kratzer und Leest (2013) dargestellt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9: Häufigkeit von Cybermobbingfällen in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht (Schneider, Katzer, Leest 2013, S. 94 zit. in Jannan 2015, S. 43)
Fälle von Cybermobbing treten dabei an allen Schulformen in verschiedener Häufigkeit auf. Die Häufigkeit nimmt dabei mit zunehmendem Bildungsniveau ab. Die meisten Fälle von Cybermobbing gibt es demnach an Hauptschulen und die wenigsten an Gymnasien. Allerdings ist die Häufigkeit von 10 Prozent auch dort noch immer erheblich. Abbildung 10 zeigt die Häufigkeit von Cybermobbing in Abhängigkeit von der Schulform in Anlehnung an Schneider, Kratzer und Leest (2013):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 10: Häufigkeit von Cybermobbing in Abhängigkeit von der Schulform (Schneider, Katzer, Leest 2013, S. 94 zit. in Jannan, 2015, S. 44)
Hinsichtlich der Formen von Cybermobbing überwiegen aus Sicht der Kinder und Jugendlichen Beleidigungen und das Verbreiten von Gerüchten. Abbildung 11 zeigt die Häufigkeit verschiedener Cybermobbing-Handlungen. Dabei ist an der von Schneider, Kratzer und Leest (2013) zitierten Studie auffällig, dass außer bei der Veröffentlichung von Fotos und der Verbreitung peinlicher Fotos oder Videos, Mädchen häufiger Täter*innen sind. Einen Zusammenhang zwischen Cybermobbing und Geschlecht bestätigen andere Studien hingegen nicht. Abbildung 11 stellt die Häufigkeit verschiedener Formen der Schikane bei Cybermobbing, gruppiert nach Geschlecht, dar:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 11: Häufigkeit verschiedener Schikanen bei Cybermobbing in Prozent (Schneider, Katzer, Leest 2013, S. 94 zit. in Jannan, 2015, S. 44)
3.6 Cybermobbing Rollen
In der Mobbing-Forschung wurde lange Zeit der Fokus fast ausschließlich auf die Täter und die Opfer und deren Interaktion gelegt. Die aktuellere Forschung geht jedoch davon aus, dass neben Tätern und Opfern weitere Beteiligte mit unterschiedlichen Rollen Einfluss auf den Mobbing-Prozess haben und Mobbing durch eine hochkomplexe Gruppendynamik gekennzeichnet ist (vgl. Salmivalli 2010 zit. in Wachs et al. 2016, S. 63).
Grundsätzlich unterscheidet man in der Forschungsliteratur sowohl zu klassischem als auch zu Cybermobbing zwischen drei Gruppen unmittelbar Beteiligter bzw. Hauptakteuren (vgl. Wachs et al. 2016, S. 22; Wilde 2020, S. 82-86):
Die Mobbing-Täter initiieren, veranlassen oder üben Mobbing aus (vgl. Wachs et al. 2016, S. 22). Sie übernehmen in der Gruppe die Führungsrolle (vgl. Salmivalli et al. 1996 zit. in Wilde 2020, S. 82) und sind durch das Streben nach Dominanz und Macht motiviert. Mobbing-Täter können dabei einzeln oder häufig auch als Gruppe agieren. In einer Gruppe von Tätern kann es dabei vorkommen, dass es keine Führungsfigur gibt, sondern die gesamte Gruppe als Täter agiert (vgl. Wilde 2020, S. 82).
Die Mobbing-Opfer sind direkt vom auf sie gerichteten Mobbing betroffen (vgl. Wachs et al. 2016, S. 22). Im Gegensatz zu den Mobbing-Tätern sind Mobbing-Opfer immer Einzelpersonen (vgl. Jannan 2015, S. 29). Hinsichtlich der Rolle der Mobbing-Opfer gibt es zwei gegensätzliche Theorien (vgl. Wilde 2020, S. 85).
Erstere besagt, dass Mobbing-Opfer bestimmte Eigenschaften haben, die sie anfälliger für Mobbing machen (Olweus 1991; Schäfer 1996 zit. in Wilde 2020, S. 84). Dabei unterscheidet man zwischen deutlich häufiger vorkommenden passiven Opfertypen sowie selteneren provozierenden Opfertypen. Die passiven Opfer sind durch die folgenden Merkmale gekennzeichnet:
- körperlich schwächer, übergewichtig oder anderweitig physisch auffällig,
- Persönlichkeit eher ängstlich, unsicher, sensibel und vorsichtig,
- in der Klasse oft still und zurückhaltend,
- reagieren auf Angriffe eher mit Weinen und Rückzug, wehren sich nicht,
- manchmal aus überbehütetem Elternhaus,
- geringes Selbstwertgefühl (vgl. Jannan 2015, S. 35; Wilde 2020, S. 84).
Die provozierenden Opfer sind insgesamt auffälliger und bieten dadurch eine größere Angriffsfläche für mögliche Mobbing-Täter. Ihre typischen Merkmale sind:
- ängstlich und aggressiv,
- haben Konzentrationsschwierigkeiten und wirken hyperaktiv,
- leicht reizbar,
- drängen sich gerne in den Vordergrund,
- werden von anderen abgelehnt (vgl. Jannan 2015, S. 35 f.; Wilde 2020, S. 85).
Andere Theorien besagen, dass Opfer von Mobbing keine typischen Merkmale tragen und von ihren Tätern somit willkürlich ausgewählt werden. Das bedeutet, dass grundsätzlich jeder Opfer von Mobbing und/oder Cybermobbing werden kann (vgl. Jannan 2015, S. 36; Lagerspetz et al. 1982 zit. in Wilde 2020, S. 85). Sicherlich mag es bestimmte Persönlichkeitseigenschaften geben, die Mobbing begünstigen. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass Kinder und Jugendliche mit diesen Eigenschaften automatisch Opfer von Mobbing werden. Äußerlichkeiten können sehr unterschiedlich sein und besondere Eigenschaften, die Mobbing „rechtfertigenden“ ließen sich bei jedem finden. Außerdem suggeriert die Theorie, die Mobbing-Opfern typische Eigenschaften zuschreibt, dass die Opfer von Cybermobbing gewissermaßen eine Mitschuld an ihrer Situation tragen, durch das sie so sind, wie sie sind (vgl. Jannan 2015, S. 36). Was nach meiner Ansicht der professionellen Haltung von Sozialarbeiter*innen widersprechen sollte.
Schließlich gibt es bei den Mobbing-Hauptbeteiligten noch eine Mischform, die Gruppe der sogenannten Täter-Opfer (vgl. Wachs et al. 2016, S. 22). Diese agieren sowohl als Opfer als auch Täter von Cybermobbing. Oftmals sind dies Kinder und Jugendliche, die selbst unter Mobbing leiden oder gelitten haben und dann später zu Tätern werden, um selbst nicht mehr Opfer zu werden (vgl. Wilde 2020, S. 86).
Obwohl sich die einzelnen Rollen überschneiden, was sich besonders an den Täter-Opfern zeigt, bleiben Mobbing-Rollen im Zeitverlauf relativ stabil. Dies gilt besonders für die Opfer von Mobbing. So sind Kinder und Jugendliche, die bereits in der Grundschule betroffen waren, oftmals auch an der weiterführenden Schule Opfer von Mobbing (vgl. Olweus 1999 zit. in Wachs et al. 2016, S. 22).
Neben den drei Gruppen von Hauptakteuren gibt es noch weitere Rollen, die einen nicht unwesentlichen Einfluss auf den Mobbing-Prozess haben und durch deren Mitwirkung sich das Mobbing entweder verstärken oder abschwächen kann. Diese Rollen sind die Assistenten und Verstärker der Täter, die Verteidiger der Opfer und Außenstehende (vgl. Jannan 2015, S. 28 f.; Wachs et al. 2016, S. 63 f.; Wilde 2020, S. 86 f.).
Die Assistenten unterstützen die Täter aktiv, indem sie z.B. das Opfer festhalten, ebenfalls beschimpfen oder beileidigen. Die Verstärker unterstützen die Täter zwar nicht aktiv, zeigen jedoch ein Verhalten, was die Täter bestärkt und das Opfer dadurch zusätzlich erniedrigt, indem sie Lachen, die Täter anfeuern oder ihnen Bewunderung entgegenbringen. Die Verteidiger sind Personen, die das Opfer aktiv unterstützen und dabei aktiv eingreifen, indem sie z.B. Hilfe suchen, selbst anbieten oder den Tätern deutlich zu verstehen geben, dass sie ihr Verhalten missbilligen. Die Außenstehenden sind schließlich Personen, die sich aus dem Mobbing-Prozess heraushalten. Sie beteiligen sich also weder aktiv noch passiv am Mobbing (vgl. Jannan 2015, S. 28 f.; Wachs et al. 2016, S. 63 f.; Wilde 2020, S. 86 f.). Bezüglich der Verteilung dieser Rollen ergaben verschiedene Studien, dass man 87 Prozent der Schüler*innen eine eindeutige Rolle zuweisen konnte. Nur 12,8 Prozent konnte man keine klare Rolle zuweisen (vgl. Salmivalli et al. 1996 zit. in Wachs et al. 2016, S. 63 f.). Das zeigt, dass die große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen in einem Klassenverband in irgendeiner Weise am Mobbing-Geschehen beteiligt ist und darauf Einfluss hat. Tabelle 4 stellt die verschiedenen Rollen im Mobbing-Prozess mit ihrer jeweiligen Auftretenshäufigkeit und Beschreibungen zusammen:
Tabelle 4: Rollenverteilung bei Schülermobbing (vgl. Jannan 2015, S. 29; Salmivalli 1996 zit. in Wachs et al. 2016, S. 64)
Mobbing tritt umso häufiger auf, je mehr Assistenten und Verstärker in einer Klasse vorhanden sind. Gibt es hingegen mehr Verteidiger in einer Klassengemeinschaft, so tritt Mobbing entsprechend seltener auf (vgl. Wachs et al. 2016, S. 67).
Jannan (2015) betont die Tatsache, dass Täter und Assistenten mit einem Gesamtanteil von 15 Prozent im Verhältnis zur restlichen Lerngruppe in der deutlichen Minderheit sind. Wenn es dem pädagogischen Personal entsprechend gelingt, einen großen Teil der restlichen Schüler*innen in den Interventions- oder Präventionsprozess mit einzubeziehen, ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Erfolg zu erwarten (vgl. Jannan 2015, S. 30).
3.7 Rechtliche Aspekte im Zusammenhang mit Cybermobbing
Auch wenn Cybermobbing in Deutschland keinen eigenen Straftatbestand darstellt, können bestimmte Verhaltensweisen, die im Zusammenhang mit Cybermobbing auftreten, durchaus und in nicht unerheblicher Weise strafbar sein (vgl. Hilt et al. 2021, S. 45; Schenk 2020, S. 289 f.). Rechtsverstöße, die bei Cybermobbing vorliegen können, sind die folgenden:
- Beleidigung (§ 185 Strafgesetzbuch): „Wer eine Person beschimpft, beleidigt oder anderweitig durch Äußerungen oder Handlungen in ihrer Ehre verletzt oder demütigt, macht sich strafbar.“ (Hilt et al. 2021, S. 45)
- Üble Nachrede und Verleumdung (§§ 186 & 187 Strafgesetzbuch): „Wer z.B. in Foren, sozialen Netzwerken oder Blogs Unwahrheiten über eine andere Person verbreitet oder Beleidigungen ausspricht, die dazu dienen, dem Ansehen der Person zu schaden, macht sich strafbar.“ (ebd.)
- Nötigung (§ 240 Strafgesetzbuch): Wer einer anderen Person Gewalt oder anderweitigen Schaden androht, sofern dieser einer Forderung nicht nachkommt, etwas zu tun, zu dulden oder etwas zu unterlassen, macht sich strafbar.“ (ebd.)
- Bedrohung (§241 Strafgesetzbuch): „Wer einer anderen Person mit einem Verbrechen droht, das sich gegen die Person selbst oder gegen eine dieser nahestehenden Person richtet, macht sich strafbar.“ (ebd.)
- Erpressung (§ 253 Strafgesetzbuch): „Wer einer anderen Person Gewalt antut oder Schäden androht, um sich selbst oder einen Dritten zu bereichern, macht sich strafbar.“ (ebd.)
- Nachstellung/Stalking (§ 238 Strafgesetzbuch): Wer einer Person beharrlich gegen dessen Willen nachstellt, macht sich strafbar (vgl. ebd.).
- Recht am eigenen Bild (§§ 22 & 23 Kunsturheberrechtsgesetz): Grundsätzlich kann jede Person selbst bestimmen, ob und in welchem Zusammenhang Bilder von ihr veröffentlicht werden. Wer dagegen verstößt, macht sich strafbar (vgl. a.a.O., S. 46).
- Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 Strafgesetzbuch): Wer unerlaubt von einer anderen Person Tonaufnahmen herstellt, macht sich strafbar. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese Aufnahmen weitergegeben und veröffentlicht werden. Dabei kann schon die Verbreitung in nicht-öffentlichen Online-Chats strafbar sein (vgl. ebd.).
- Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a Strafgesetzbuch): „Wer eine andere Person in deren Wohnung oder einer intimen Umgebung, etwa in einer Dusche, in der Toilette oder der Umkleide heimlich fotografiert oder filmt, macht sich strafbar. Das gilt umso mehr, wenn solche Aufnahmen weitergegeben und veröffentlicht werden.“ (ebd.)
- Verletzung des Briefgeheimnisses und Ausspähen von Daten (§§ 202 & 202a Strafgesetzbuch): Die Verletzung des Briefgeheimnissen nach § 202 greift zwar im Online-Bereich, z.B. beim unerlaubten Öffnen einer Email, nicht. Jedoch lässt sich in diesem Zusammenhang § 202a StGB „Ausspähen von Daten“ anwenden, wenn die Daten „gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert“ waren. Entsprechend macht sich strafbar, wer unberechtigterweise verschlüsselte eine E-Mail liest oder sich unrechtmäßig das Passwort einer anderen Person verschafft (vgl. ebd.).
- Verbreitung pornografischer Schriften (§ 184 Strafgesetzbuch): „Wer einer Person unter 18 Jahren eine pornografische Schrift anbietet oder überlässt, an einem Ort, der Personen unter 18 Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, wird mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe belegt.“ (ebd.)
- Verbreitung kinderpornografischer Schriften (§184b Strafgesetzbuch): „Wer Fotos oder Videoclips von unter 14-jährigen Personen besitzt, sich verschafft oder weiterleitet, in denen deren Genitalien in eindeutiger Weise positioniert oder sexuelle Handlungen abgebildet sind, macht sich strafbar.“ (ebd.) Bei dieser Straftat handelt es sich um ein sogenanntes Offizialdelikt. Dementsprechend muss die Polizei immer Ermittlungen und Strafverfolgung einleiten, auch dann, wenn die abgebildete Person selbst keine Strafanzeige stellt (vgl. ebd.).
Die Strafbarkeit der Handlungen gilt dabei allerdings nur für Personen ab 14 Jahren, die also bedingt strafmündig sind (vgl. ebd.).
Eine alternative Möglichkeit, um zu erreichen, dass Täter ihr Verhalten einstellen, bietet der zivilrechtliche Weg. Die rechtlichen Mittel können hier von einer informellen Aufforderung durch das Opfer über die Abmahnung und Unterlassungsklage bis hin zur einstweiligen Verfügung reichen. Welche rechtlichen Maßnahmen ergriffen werden sollten, hängt dabei jeweils von der individuellen Situation und dem Schweregrad des Mobbing ab. Zunächst sollten sich Opfer grundsätzlich an eine Vertrauensperson wenden, um gemeinsam Handlungsschritte auszuloten. Eine rein rechtliche Bearbeitung ohne pädagogische Intervention ist dennoch wenig sinnvoll, sind doch psychosoziale Interventionsstrategien zur Bekämpfung von Cybermobbing oft effektiver als polizeiliche oder juristische Maßnahmen (vgl. Weizmann 2017 zit. in Schenk 2020, S. 290).
3.8 Zusammenfassung
Cybermobbing ist eine Form des Mobbings, die unter Verwendung elektronischer Medien, wiederholt und über einen längeren Zeitraum durchgeführt wird, um eine andere Person zu schädigen. Je nach Weite der Definition schließt Cybermobbing dabei mehr oder weniger Formen bzw. Verhaltensweisen ein, z.B. Beleidigungen, Verunglimpfungen, Bedrohungen oder der Ausschluss bzw. das demonstrative Ignorieren der Opfer. Obwohl Mobbing mit und ohne Verwendung elektronischer Medien viele Parallelen aufweist und eine Trennung zwischen klassischem analogen Mobbing und Cybermobbing in der Praxis daher wenig sinnvoll erscheint, hat Cybermobbing einige Besonderheiten, die man kennen muss, um wirksam gegen dieses Phänomen vergehen zu können. So haben Täter viele Möglichkeiten, ihre Opfer anonym zu quälen. Darüber hinaus kann Cybermobbing zeit- und ortsunabhängig erfolgen, sodass es für Opfer keinerlei oder kaum Rückzugsmöglichkeiten mehr gibt, um sich den Attacken zu entziehen. Dadurch, dass kein Augenkontakt zwischen Tätern und Opfern besteht, wird ferner die Entstehung von Mitgefühl oder Hemmungen auf Seiten der Täter eingeschränkt. Die Häufigkeit von Cybermobbing steigt ab der Kinderzeit kontinuierlich an und erreicht ihren Höhepunkt im Alter der Pubertät.
Neben Tätern und Opfern als Hauptbeteiligte gibt es noch weitere Rollen, die für die Dynamik eines Cybermobbingprozesses von großer Bedeutung sind. So haben auf Seiten der Täter, Assistenten und Verstärker, und auf Seiten der Opfer, Verteidiger, einen starken Einfluss auf den Mobbing-Prozess. Je mehr Assistenten oder Verstärker in einem Klassenverband auftreten, desto wahrscheinlicher ist Cybermobbing, je mehr Verteidiger hingegen auftreten, desto unwahrscheinlicher ist es. In Deutschland stellt Cybermobbing keinen eigenen Straftatbestand dar. Nichtsdestotrotz kann Cybermobbing vielerlei Verhaltensweisen beinhalten, die von nicht unerheblicher straf- und zivilrechtlicher Relevanz sind. Maßnahmen gegen Cybermobbing sollten dabei nie ausschließlich juristisch oder polizeilich erfolgen, sondern durch zumeist effektivere psychosoziale Interventionsstrategien flankiert werden.
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- Quote paper
- Marcel Nachtwey (Author), 2021, Cybermobbing unter Kindern und Jugendlichen. Möglichkeiten und Grenzen der Schulsozialarbeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1183412
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