Für den Autor stellte sich die Frage, inwieweit das pädagogische Handeln Einfluss auf den künftigen Hilfeverlauf haben kann und wie pädagogische Teams mit bindungstraumatisierten Kindern und Jugendlichen professionell umgehen. Diese Frage war der Anlass für die folgende Forschungsfrage: „Stationäre Kinder- und Jugendhilfe & Bindungsabbruch – eine qualitative Studie zu dem Umgang mit Bindungstraumatisierten Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe“.
Diese Ausarbeitung setzt sich aus zwei Themenblöcken zusammen.
Der erste Teil befasst sich mit dem theoretischen Part. Leserinnen und Leser erhalten zunächst eine Einführung in die Traumatologie. Hierbei wird u.a. die physiologischen Reaktionen des menschlichen Körpers beschrieben, sobald sich eine traumatische Situation ereignet. Im Weiteren wird die Bindungstraumatisierung aufgegriffen. Korrelierend dazu, werden Grundlagen der Bindungstheorie beschrieben, da diese beiden Begriffe in engem Kontext zueinanderstehen. Der abschließende Theorieteil, schwängt in die Praxis, da hierbei traumapädagogische Grundhaltungen und Methoden dargestellt werden, welche in der Arbeit mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen Verwendung finden.
Nach Beendigung des theoretischen Überblicks, fokussiert sich diese Arbeit auf den Forschungsteil. Dabei wird zuerst das Forschungsdesign vorgestellt. Um die o.g. Forschungsfrage zu beantworten, hat der Autor drei bindungstraumatisierten Kindern und Jugendlichen der Wohngruppe interviewt. Der Forschungsteil stellt die Aussagen der Kindern und Jugendlichen mit dem theoretischen Wissen gegenüber, mit dem Ziel die Forschungsfrage zu beantworten.
Das Ziel liegt in der Beantwortung der Frage: "Wo liegen die Grenzen im Umgang mit traumatisierten."
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Traumatisierung
2.1 Was ist ein Trauma?
2.2 Die phsyiologischen Reaktionen bei einer Traumatisierung
2.3 Traumatisierungstypen
3 Bindung und Trauma?
3.1 Grundlagen der Bindungstheorie
3.2 Bindungstypen
3.3 Die Bindungstraumatisierung
4 Traumapädagogischer Umgang
4.1 Traumapädagogische Grundhaltungen
4.2 Traumapädagogische Methoden
4.2.1 Psychoedukation
4.2.2 Traumasensible Biographiearbeit
4.2.3 Der sichere Ort
5 Forschungsdesign
5.1 Die Forschungsmethode
5.2 Das Erhebungsinstrument
5.3 Sampling
5.4 Forschungsablauf
5.5 Analyse der Daten
6 Darstellung der Ergebnisse
7 Fazit
8 Literaturquellen
9 Onlinequellen
10 Anhang
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abb. 1: Arten einer Traumatisierung
Abb. 2: Kohärenzgefühl
Tab. 1: Sampling
Tab. 2: Kategorienschema
1 Einleitung
„Werden sie die Maßnahme nach dem Vorfall abbrechen, oder weiterhin das Kind bei Ihnen haben?“. Diese Frage stellte das zuständige Jugendamt der Einrichtung, nachdem es zu einer riesigen Eskalation zwischen zwei Mitarbeitern*innen und einem Kind kam. Für den Autor stellte sich in diesem Kontext die Frage, inwieweit das pädagogische Handeln Einfluss auf den künftigen Hilfeverlauf haben kann und wie pädagogische Teams mit bindungstraumatisierten Kindern und Jugendlichen professionell umgehen. Diese Frage, war der Anlass für die folgende Forschungsfrage: „Stationäre Kinder- und Jugendhilfe & Bindungsabbruch – eine qualitative Studie zu dem Umgang mit Bindungstraumatisierten Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe“.
Diese Ausarbeitung setzt sich aus zwei Themenblöcken zusammen. Der erste Teil befasst sich mit dem theoretischen Part. Leserinnen und Leser erhalten zunächst eine Einführung in die Traumatologie. Hierbei wird u.a. die physiologischen Reaktionen des menschlichen Körpers beschrieben, sobald sich eine traumatische Situation ereignet. Im Weiteren wird die Bindungstraumatisierung aufgegriffen. Korrelierend dazu, werden Grundlagen der Bindungstheorie beschrieben, da diese beiden Begriffe in engem Kontext zueinanderstehen. Der abschließende Theorieteil, schwängt in die Praxis, da hierbei traumapädagogische Grundhaltungen und Methoden dargestellt werden, welche in der Arbeit mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen Verwendung finden.
Nach Beendigung des theoretischen Überblicks, fokussiert sich diese Arbeit auf den Forschungsteil. Dabei wird zuerst das Forschungsdesign vorgestellt. Um die o.g. Forschungsfrage zu beantworten, hat der Autor drei bindungstraumatisierten Kindern und Jugendlichen der Wohngruppe interviewt. Der Forschungsteil stellt die Aussagen der Kindern und Jugendlichen mit dem theoretischen Wissen gegenüber, mit dem Ziel die Forschungsfrage zu beantworten.
Das Ziel dieser Arbeit beschäftigt sich mit den Grenzen und Möglichkeiten, welche in der Arbeit mit bindungstraumatisierten Kindern und Jugendlichen existieren. Ebenso versucht der Autor zu eruieren, inwiefern das pädagogische Handeln und Rahmenbedingen justiert werden müssen, um eine psychische Stabilität bei Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten.
2 Die Traumatisierung
Die folgenden Seiten vermittelt den Lesern*innen Grundwissen über die Traumatologie und den physiologischen Reaktionen des menschlichen Körpers.
2.1 Was ist ein Trauma?
Der Begriff des Traumas kommt aus dem Griechischen und bedeutet “Verletzung”.
Es existieren unterschiedliche Beschreibungen und Definitionen, welche den Trauma-Begriff beschreiben. Fischer und Riedesser (Lehrbuch der Psychotraumatologie, 1998, S.79) definierten eine Traumatisierung folgendermaßen: „ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungmöglichkleiten, das mit Gefühlen von Hilfslosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt.“. Daraus lässt sich ableiten, dass eine Traumatisierung entsteht, sobald auf ein Individuum extreme Geschehnisse einwirken, welche durch eigene Abwehrmechanismen/Bewältigungsmöglichkeiten nicht überwunden werden können. Dies führt in vielen Fällen zu anhaltenden Veränderungen der Wahrnehmung, psychischen Gesundheit und das persönliche Handeln.
2.2 Die phsyiologischen Reaktionen bei einer Traumatisierung
Wie bereits beschrieben, sind traumatische Erlebnisse mit Ohnmachtsgefühlen, Panik und Angst verbunden. „In der Regel ist dies eine Situation, die durch Todesbedrohung gekennzeichnet ist.“ (Brisch, 2017, S. 12) Der menschliche Körper verfügt über drei evolutionsbedingte Abwehrsysteme, um auf eine traumatische Reaktion zu reagieren und diese zu überleben.
1. Kampf- und Fluchtsystem
In existenzbedrohlichen Situationen wird das Gehirn mit Stresshormonen (überwiegend Adrenalin, Noradrenalin, aber auch Cortisol und Glutamat) überflutet, sodass das Individuum instinktiv in den Kampf- und Fluchtsystem wechselt (vgl. ebd.). Bei diesem System ist insbesondere der Hirnstamm, limbisches System (enthält auch den Hippocampus und die Amygdala) und präfrontale Cortex beteiligt. Hierbei kommt es zu extrem physiologischen Reaktionen im menschlichen Körper. Durch das Hormonelle Zusammenspiel erhöht sich der Herzschlag, es fließt mehr Blut in die Muskeln, sowie mehr Sauerstoff, um mehr Kraft und Schnelligkeit zu erlangen. Der Körper pumpt mehr Blut in lebenswichtige Organe, um diese vor großem Blutverlust und Verletzungen zu schützen. Außerdem produziert der Körper mehr Schweiz, damit der mögliche Täter eher abgeleitet. Bei dem Kampf-Fluchtmodus befindet sich das Bewusstsein weitgehend im Autopilot, damit lebensrettende Reaktionen automatischer und schneller ablaufen (vgl. Baierl und Frey, 2016, S. 28).
2. Bindungssystem
Sobald die die traumatische Erfahrung nicht durch den Kampf- und Fluchtmodus bewältigt wird, aktiviert der Körper das Bindungssystem. Hierbei schüttet der Körper das Hormon Oxytocin1 aus, welches im Hypothalamus gebildet wird. Das Hormon sorgt dafür, dass Aktivitäten in der Amygdala gehemmt werden und somit das Kampf- und Fluchtsystem deaktiviert wird. Bei diesem System nimmt das Individuum eine Demutshaltung ein, zittert oder zeigt sich anderweitig hilflos. Dies soll bei Tätern eine Hemmung auslösen (z.B. weiter sexuell missbrauchen oder Gewalt verüben) und bei anderen Menschen z.B. Partner das Hilfesystem aktivieren (vgl. Baierl und Frey, 2016, S. 27).
3. Erstarrungssystem
Sobald die traumatische Situation nicht durch das Kampf- und Fluchtsystem und dem Bindungssystem aufgelöst wird, wird das Erstarrungssystem aktiviert. Bei diesem System sind primär das limbische System, sowie das periaquäduktales Grau beteiligt. „Eine starke parasympathikusaktivierung2 verursacht das allgemeine Herunterfahren des vegetativen Nervensystems bis hin zum Kollaps der psychobiologischen Aktivitäten.“ (Baierl und Frey, 2016, S. 29). Der menschliche Körper schüttet körpereigene Opiate aus, welche schmerzlindernd oder betäubend wirken. Bei dem Erstarrungssystem werden Teile das Großgehirn deaktiviert und alle Abläufe im menschlichen Körper laufen auf der Funktionsebene des Stammhirns. Bei dem Stammhirn werden jegliche funktionelle Abläufe wie Herzschlag, Kreislauf, Blutdruck und Atmung koordiniert. Dies hat zur Folge, dass wir aufgrund des Stammhirns überleben können, anderseits sind einige Areale des Großhirns deaktiviert, welche für Fühlen, Denken, Erinnern, Sprache, Empathie, Handlungsplanung zuständig sind (vgl. Brisch, 2017, S. 2017). Das Individuum wechselt in einen „dissoziativen3 Zustand“. Durch den Prozess des Erstarrens ist es vielen Betroffenen nicht möglich, sich an die traumatische Situation zu erinnern, da lediglich Fragmente von Erinnerungen geblieben sind. Diese Fragmentierte Erinnerungen entstehen, da die normale Gedächtnisfunktion (Hippocampus) durch das Erstarrungssystem überwiegend deaktiviert wurde (vgl. Brisch, 2017, S. 13).
Für die Verständlichkeit des Kapitels „Die physiologischen Reaktionen bei einer Traumatisierung“ befindet sich im Anhang (Anhang I, S. 33 - 34) eine detaillierte Zusammenstellung der genannten Gehirnregionen.
2.3 Traumatisierungstypen
Traumatisierungen unterteilen sich in verschiedenen Kategorien, wie zum Beispiel einfachen Typ-1 und komplexen Typ-2 Traumatisierung. Ebenso existieren Entwicklungstraumatisierungen, Bindungstraumatisierungen, aber auch die Traumafolgestörungen (vgl. Baierl und Frey, 2016, S.24). Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenAbb. 1: Arten einer Traumatisierung
Diese Arbeit beschäftigt sich primär mit der Bindungstraumatisierung, da die spätere Forschungs an Kinder und Jugendliche anknüpft, welche Bindungstraumatisiert sind. Im Anhang befindet sich eine Zusammenstellung unterschiedlicher Traumatisierungsformen. Im Anhang befindet sich sich eine Darstellung unterschiedlicher Traumatisierungsformen (Anhang II, S. 35).
3 Bindung und Trauma?
Wie bekannt beschäftigt sich diese Arbeit primär mit der Bindungstraumatisierung. In dieser Begrifflichkeit befindet sich das Wort „Bindung“, welches nachfolgend aufgegriffen wird. Der/Die Leser*innen erhalten Grundlagenwissen über die Bindungstheorie, sowie die verschiedenen Bindungsstile. Der spätere Verlauf dieses Kapitels befasst sich mit dem Auslöser einer Bindungstraumatisierung und den psychischen Folgen für das Individuum.
3.1 Grundlagen der Bindungstheorie
John Bowlby ist der Begründer der Bindungstheorie. Die Bindungstheorie greift ethologische, entwicklungspsychologische, systemische und psychoanalytische Elemente auf. Die Bindungstheorie befasst sich mit frühen Einflüssen auf die emotionale Entwicklung eines Säuglings und versucht das Bindungsverhalten eines Menschen zu erklären (vgl. Karl Heinz Brisch, 2006, S. 35)
Im Laufe der Zeit haben weitere Leute an der Bindungstheorie geforscht und haben neue Erkenntnisse erlangt. Dazu gehört auch Mary Ainsworth, sie konzipierte die "Fremde - Situation" und konnte dadurch Bindungstypen bestimmen.
John Bowlby sieht Bezugsperson und Säugling als Interaktionspartner in einer wechselseitigen Interaktion. Diese wechselseitige Interaktion kann als ein selbstregulierendes System definiert werden (vgl. Karl Heinz Brisch, 2006, S. 35). Eine Bindungsbeziehung zwischen Bezugsperson, sowie einem Kind entstehen durch emotionale Erfahrungen, welches das Kind mit seinen Bezugspersonen erfährt (vgl. Karl Heinz Brisch, 2018, S24). Die Bindung zwischen Bezugsperson und Säugling in diesem System, unterscheidet sich davon, dass "Bindung" ein Teil in der Komplexität der "Beziehung" darstellt (vgl. Karl Heinz Brisch, 2006, S. 35).
Bowlby definiert das Bindungssystem als ein genetisch verankertes System, welches bei dem Säugling nach der Geburt aktiviert wird und eine existenzsichernde Funktion innehat. Das Bindungssystem aktiviert sich, sobald das Kind eine Bedrohung, oder es eine Bedürfnisbefriedigung anstrebt, wie zum Beispiel Geborgenheit oder der Nahrungszufuhr. Das Kind signalisiert durch Blickkontakt, schreien, weinen und dem Herstellen von Körperkontakt, dass es Schutz benötigt (vgl. Karl Heinz Brisch, 2006, S. 36)
Sobald eine Bezugsperson angemessen und prompt auf die Signale des Kindes reagiert, wird dies als feinfühliges Verhalten definiert. Feinfühliges Verhalten setzt voraus, dass eine Bezugsperson in der Lage ist, die Signale des Kindes richtig wahrzunehmen und sie angemessen und prompt zu befriedigen. Sobald eine Bezugsperson über einen gewissen Zeitraum ein feinfühliges Pflegeverhalten zeigt, wird sich daraus eine "sichere" Bindung entwickeln. Werden dagegen die Signale des Kindes nicht richtig verstanden und unzureichend oder inkonsistent befriedigt, entwickelt sich häufiger eine unsichere Bindung. (vgl. Karl Heinz Brisch, 2006, S35).
Gegenüber dem Bindungsbedürfnis steht das Explorationsbedürfnis. Wie bei dem Bindungsbedürfnis - wird das Explorationsbedürfnis als motivationales Verhalten verstanden (vgl. Karl Heinz Brisch, 2006, S. 38). Das Explorationsverhalten eines Kindes beschreibt die Erkundung seiner Umwelt. Auch wenn diese beiden Bedürfnisse einen Wiederspruch darstellen, sind beide enorm wichtig, für den weiteren Entwicklungsverlauf des Kindes (vgl. Karl Heinz Brisch, 2018, S. 26). Das Bindungsbedürfnis und das Explorationsbedürfnis werden abwechselnd aktiviert. Ein Kind ist erst in der Lage seine Umwelt zu erkunden, sobald das Bindungsbedürfnis befriedig ist und das Kind weiß, dass seine Bezugspersonen einen "sicheren Hafen" darstellen (vgl. Karl Hein Brisch, 2018, S.26).
Mit zunehmender motorischer Entwicklung ab dem Krabbelalter ist es notwendig, dass eine Bezugsperson genügend Raum für Exploration schafft, diesem allerdings auch Grenzen setzt. Im gleichen Moment muss die Bezugsperson für das Kind visuell sichtbar sein, sobald das Kind seine Exploration aus diversen Gründen abbricht. Sobald das Kind zu seiner Bezugsperson zurückkehrt, muss das Kind sich emotional aufgenommen fühlen (vgl. Karl Heinz Brisch, 2006, S. 38) Dieses Verhalten wird als "emotionales Auftanken des Säuglings" beschrieben (vgl. Karl Heinz Brisch 2006, S.38).
3.2 Bindungstypen
Ainsworth konzipierte die "Fremde Situation". Mithilfe der Fremden Situation ist es möglich, die Bindungsqualität zu definieren. Im Grundlegenden geht es darum, dass Kind und Bezugsperson voneinander getrennt werden, um das Trennungsverhalten des Kindes zu analysieren. Die Fremde Situation teilt sich in Acht Episoden (vgl. Karl Heinz Brisch, 2006, S. 44). Der genaue Ablauf der „Fremden Situation“ befindet sich im Anhang (Anhang III, S. 36). Mary Ainsworth konnte so Vier Bindungstypen entwickeln.
Im folgendes wird das Verhalten während der Testsituation beschrieben. Im folgendem wird das Verhalten während der Trennung beschrieben und der dazu gehörige Bindungstyp.
Bindungstyp A (unsicher - vermeidende Bindung): Die Kinder wirken bei der Trennung von Bezugsperson unbeeindruckt. Sie spielen auffallend oft für sich alleine weiter. Bei der Wiederkehr bemerken diese kaum oder zeigen Ablehnung durch Ignoranz (vgl. Karl Heinz Brisch, 2018, S. 47).
Bindungstyp B (sichere Bindung): In der Testsituation sind die Kinder kurzfristig irritiert und weinen gegeben falls - Sobald die Bezugsperson den Raum verlässt. Allerdings lassen sie sich durch die Testperson trösten und beruhigen und können sich ihrem Spiel wieder widmen. Sobald die Bezugsperson den Raum betritt, begrüßen sie diese freudig und laufen ihr entgegen (vgl. Karl Heinz Brisch, 2018, S.46 - 47).
Bindungstyp C (unsicher - ambivalente Bindung): Diese Kinder wirken bei der Trennung massiv verunsichert, weinen, laufen zur Tür, schlagen gegen diese und sind durch die Testperson kaum zu beruhigen. Bei Wiederkehr der Bezugsperson zeigen sie abwechselnd anklammerndes und aggressiv-abweisendes Verhalten und sind nur schwer zu beruhigen (vgl. Karl Heinz Brisch, 2018, S. 47).
Bindungstyp D (desorganisierte Bindung): Hauptmerkmal solcher Kinder sind bizarre Verhaltensweisen, wie Erstarren, Schaukeln und andere stereotype Bewegungen. Daneben treten Mischformen der anderer Bindungsmuster auf wie, beispielweise gleichzeitiges intensives Suchen nach Nähe und deren Ablehnung (vgl. Karl Heinz Brisch, 2018, S. 47 - 48).
Anhand dieser entwickelte Ainsworth vier Bindungsstile. Aus Gründen der Formalia ist es nicht möglich diese Stile zu beschreiben, stattdessen befindet sich eine Darstellung im Anhang (Anhang IV, S. 37).
3.3 Die Bindungstraumatisierung
Da nun Grundlagen der Bindungstheorie und verschiedener Traumatisierungen erörtert wurden, widmet sich diese Arbeit der Bindungstraumatisierung. Sobald Kinder und Jugendliche (aber auch Erwachsene) durch Bezugs/Bindungspersonen körperliche-, sexuelle- oder auch psychische Gewalt erleben, handelt es um ein Bindungstrauma. Die Täter*innen werden aufgrund ihrer Position, ihres Wissen oder ihrer Machtstellung als Bindungsperson mit Schutz und Sicherheit assoziiert. Die Täter*innen stellen somit Bindungspersonen dar, welche durch ihre Handlung, existensbedrohliche Gefühle bei Kindern und Jugendlichen auslösen – Emotionen der Ohnmacht und Hilfslosigkeit, welche bei einer traumatischen Situation entstehen, werden dadurch intensiviert (vgl. Brisch, 2017, S. 15 – 17).
Bei einer Traumatisierung des Typ I (einmalig oder kurz andauernd) wie z.B. einem Unfall erhalten die Betroffenen höchstwahrscheinlich Unterstützung durch Bezugspersonen. Bei einer Bindungstraumatisierung, welche den Typ II (mehrmalig oder lang andauernd) charackertisiert, sind die Täter*innen die Ursprung der lebensbedrohnlichen Angst (vgl. ebd.). Bindungstäter können sein: Eltern, Betreeunde Personen, Therapeuten*innen, Lehrer*innen aber auch andere Personen, welche das Opfer als Bindungsperson ansehen könne.
„Bei Bindungstraumatisierungen sitzen die Kinder sozusagen doppelt in der Falle.“ (Brisch, 2017, S.17). Sie erleben einerseits das immer widerkehrende traumataische Ereignis z.B. sexueller Missbrauch und anderserseits haben Kinder und Jugendliche in den meisten Fällen keine Bezugspersonen, welche „erste Hilfe“ leisten könne. Diese Dynamik ruft schwerste psychische Erkrankungen hervor, u.a schwere Persönlichkeitsstörungen, Borderline-Störungen, Angststörungen oder auch eine Depression.In diesem Kontext entwickeln Opfer einer Bindungstraumatisierung häufig eine Posttraumatische Belastungsstörung, welche unbehandelt in eine andauernde Persönlichkeitsveränderung übergeht (vgl. ebd.)
4 Traumapädagogischer Umgang
„Pädagogik ist vor aller Methodik eine Frage der Haltung.“
Mit diesen Worten beginnt Baierl das Kapitel „Liebe allein genügt nicht, doch ohne Liebe genügt nichts: Werte und Haltung in der Traumapädagogik“ und stellt damit dar, dass jegliche traumapädagogische Methoden nutzlos sind, ohne eine traumapädagogische Haltung.
Bindungstraumatisierte Kinder und Jugendliche stellen für die soziale Arbeit ein höchst herausforderndes und komplexes Klientel dar. Pädagogische Mitarbeiter geraten in diesem Kontext an ihre personellen Grenzen und Hilfssysteme scheinen wirkungslos. Häufig enden die Hilfsmaßnahmen, und die Kinder und Jugendlichen erleben einen erneuten Wechsel ihrer Lebenswelt und damit verbundene Bindungsabbrüche. Es stellt sich nun die Frage, inwiefern man dieser Problematik entgegenwirken kann. In diesem Kontext wird die Haltung großer Sozialunternehmen und der gegenwärtigen Sozialpolitik nicht aufgegriffen, da der Rahmen der Praxisarbeit hierfür nicht ausreicht. Vielmehr sollen Leser*innen Wissen über traumapädagogische Standards erhalten.
Im weiteren Verlauf befassen sich die Kapitel mit Techniken und Methoden der traumapädagogischen Praxis.
4.1 Traumapädagogische Grundhaltungen
Wertschätzung als Grundhaltung: Woran lässt sich ein wertschätzendender Umgang erkennen und was empfinden Menschen als Wertschätzung? Wertschätzende Verhaltensweisen zeigen sich u.a. darin, dass sich in der zwischenmenschlichen Interaktion Respekt, Fairness und Freundlichkeit eine elementare Rolle innehaben. Menschen fühlen sich wertgeschätzt, sobald sie sich angenommen und mit ihrer Gefühlswelt verstanden fühlen (vgl. Weiß/Schirmer, 2013, S. 112 – 113). Viele Bindungstraumatisierte Kinder und Jugendliche haben Wertschätzung gegenüber sich selbst verloren – manche haben eventuell den Schritt vom „Opfer“ zum „Täter“ und erfahren dadurch Zurückweisung, sowie Abwertung (vgl. Baierl und Frey, 2016, S. 47). Es ist deswegen Aufgabe der Pädagogen eine wertschätzende Haltung als Grundlage der Zusammenarbeit darzulegen und dem Klientel zu signalisieren, dass sie als Individuum mit ihrer persönlichen Lebensbiografie, Lebenswelt und Lebensweise geachtet werden.
„Du bist gut so, wie du bist“
Partizipation als Grundhaltung: „Die Teilhabe an der Gestaltung der eigenen Lebensbedingungen zählt zu den wichtigsten Einflussfaktoren, die zur seelischen Gesundheit führen.“ (BAG TP 2011). Es ist Aufgabe der Einrichtung, sowie der/die Pädagogen*innen Situationen für die Klienten zu schaffen, an denen sie sich aktiv einsetzten, um an Strukturen und Entscheidungen mitwirken zu können (vgl. Andrea de Hair/ Bausum, 2013, S.115). Durch Partizipationsprozesse erleben Klienten Autonomie und verspüren Selbstwirksamkeit (ebd.).
„Ich schaue auf das, was Du kannst“
Transparenz als Grundhaltung: Kinder und Jugendlichen mit belastenden biographischen Erfahrungen erlebten Macht als missbräuchlich und unberechenbar. Eine transparente Grundhaltung verfolgt das Ziel, Momente der Unberechenbarkeit zu Momenten der Berechenbarkeit werden zu lassen (vgl. Whale/Lang, 2013, S. 118 – 119). Kinder und Jugendliche benötigen „verbale Transparenz“, welche den Klienten stets Erklärungsansätze bietet, um Sachverhalte nachzuvollziehen. Dies verschafft für Klienten Klarheit (vgl. ebd.).
„Jeder hat jederzeit das Recht auf Klarheit“
Freude und Spaß als Grundhaltung: Kinder und Jugendlichen aus prekären Familienkonstellationen internalisierten4 in ihrer Vergangenheit zu ausgeprägt Emotionen wie, Angst, Scham, Schuld und Ekel und Trauer (vgl. Lang, 2013, S121.). Daher gilt es für Pädagogen*innen, die Freudenseite der Klienten zu beleben. „Weiter unterstützt Spaß und Lachen die Serotoninausschüttung und setzt so ein Gegengewicht zur erhöhten Adrenalinausschüttung durch ein erhöhtes Stresslevel, in dem sich traumatisierte Kinder und Jugendliche befinden.“ (BAG TP 2011). Durch die Fokussierung auf Freude in der Pädagogik, erhöht sich auch die Freude auf die Arbeit, welche häufig durch viele unterschiedliche Krisen und Leistungsorientierten Zielformulierung bestimmt ist (vgl. Lang, 2013, S. 123). Durch diese Grundhaltung profitieren nicht nur Klienten, sondern auch der/die Mitarbeiter*innen.
„Viel Freunde entgegen der Belastung“
Autorität als Grundhaltung: Einige traumatisierte Kinder und Jugendliche erlebten Erwachsene in Extremformen. Sie erlebten z.B. ihre Mutter als „machtlos“, da sie den Vater „böse“ nicht stoppen konnte weiterhin das eigene Kind weiter zu missbrauchen. Mit diesen Erfahrungen verbinden traumatisierte Kinder und Jugendliche das Erwachsen werden als eine Wahl zwischen „machtlos“ und „böse“. In diesem Kontext tritt der/die Sozialpädagogin als Autorität ein. Hierbei liegt die Aufgabe sich als Respektperson zu etablieren und als Vorbildfunktion zu dienen (vgl. Baierl und Frey, 2016, S. 48). Dies setzt voraus, dass der/die Akteurin sich der eigenen Macht und Stärke bewusst zu sein, anzunehmen und verantwortungsvoll durchzusetzen. Dies wird erreicht, sobald Fachkräfte als kompetent, durchsetzungsfähig und ernstzunehmend wahrgenommen werden. Dies beinhaltet unter anderem, dass Grenzen gesetzt und gewahrt werden, Raum für Exploration geschaffen wird, Direktiven vorgegeben werden und auch überprüft werden, aber auch angeordnete Konsequenzen durchgeführt werden (vgl. Baierl und Frey, 2016, S. 49). Die Fachkräfte müssen den Gegenpool zu den Wahrnehmungen „machtlos“ und „böse“ darstellen – sie sollen als „stark“ und „gut“ erlebt werden.
„Die Bereitschaft sich als Autorität zu etablieren“
Neben diesen Grundhaltungen existieren weitere Kompetenzen, welche Fachkräfte beherrschen sollte, um professionell agieren zu können.
1. Analysekompetenz: Diese Kompetenz meint die klientenbezogene soziale Diagnose und Verhaltensanalyse. Durch diese Kompetenz werden die sozialen Verhältnisse und Beziehungen analysiert, um Verhalten der Klienten abzuschätzen und einordnen zu können (vgl. Maykus, 2003, S. 55).
2. Interventions- und Aktivierungskompetenz: Durch sozialpädagogisches Handeln, welches auf Gestaltung der Lebenswelt abzielt, zielt diese Kompetenz darauf ab, Fähigkeiten und Ressourcen der Klienten zu aktivieren oder zu reaktivieren (vgl. Maykus, 2003, S. 57).
3. Kooperationskompetenz: Diese Kompetenz beschreibt die Zusammenarbeit derartig zu gestalten, sodass Pädagogen*innen und Klienten gemeinsam Ziele zu eruieren und versuchen diese zu erreichen. Es liegt an dem Pädagogen*in, die Zusammenarbeit erfolgreich zu gestalten (vgl. Maykus, 2003, S. 58).
4. Koordinationskompetenz: Bei dieser Kompetenz steht die Kommunikationsfähigkeit der Mitarbeiter*innen im Fokus. Es sollen intern Vorgehensweisen bestimmt und durchgeführt werden (vgl. Maykus, 2003, S.55).
5. Selbstevaluationskompetenz: „In jedem Fall ist Professionalität nicht mehr denkbar ohne eine umfassende sozialwissenschaftliche, humanwissenschaftliche und ethisch-philosophische Reflexionskompetenz.“ (Gudjons, 2008, S. 367)
Traumapädagogische Grundhaltungen stellen die Grundpfeiler eines gelingenden Alltags dar. Mithilfe der Grundhaltung vermitteln Sozialpädagogen*innen Sicherheit und Schutz, aktivieren verborgene Ressourcen, reduzieren das hohe Stresslevel traumatisierter Kinder und Jugendlichen, zeigen positive Vorbilder und Perspektiven auf und bieten eines – Freude am gegenwärtigen Leben.
4.2 Traumapädagogische Methoden
Neben traumapädagogischen Grundhaltungen und Kompetenzen, besitzen Sozialpädagogen einen Werkzeugkoffer verschiedenster Methoden und Techniken. Im Weiteren werden konkrete Techniken genannt, welche im traumapädagogischen Setting Verwendung finden. Der Autor merkt an dieser Stelle an, dass traumapädagogische Arbeit keine Psychotherapie ersetzt, dennoch ist es möglich durch einen professionellen Umgang bei der Traumabewältigung behilflich zu sein .
4.2.1 Psychoedukation
Traumatische Ereignisse verändern das Selbstkonzept der Betroffenen massiv. Die Individuen internalisieren Selbstbilder, welche mit negativen Gefühlen und Emotionen gekoppelt sind – es kann dazu führen, dass bindungstraumatisierte Kinder und Jugendliche sich als „ohnmächtig“, „schwach“, „böse“ etc. beschreiben, wonach sich ihr Denken & Handeln richtet. Die Psychoedukation zielt darauf ab, den Kindern und Jugendlichen ihre Denk- und Verhaltensweisen angemessen darzustellen (vgl. Scherwath und Friedrich, 2012, S. 118 – 119). Durch das Wissen, welche Klienten erhalten ist es ihnen möglich, ihre verfestigten Selbstbilder zu reflektieren. „Psychoedukation ist also gerichtet auf Selbstakzeptanz, um negativen Selbstbildern entgegenzuwirken und von sekundären Scham- und Schuldsymptomatiken zu entlasten.“ (Scherwath und Friedrich, 2012, S. 119). Antonovsky entwickelte das Konzept der Salutogene5. Hierbei entstand der Begriff „Kohärenzgefühl6 “, welches aus 1. Verstehbarkeit, 2. Handhabbarkeit und 3. Sinnhaftigkeit entsteht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Kohärenzgefühl
Die o.g. Gefühle sind für traumatisierte Kinder und Jugendliche fremd, woran die Psychoedukation anknüpft, die Effekte des Traumas aufzuzeigen, traumaspezifisches Fachwissen weiterzugeben (z.B. Dissoziationen und neurobiologische Vorgänge) und das Verhalten des Klientel rational zu begründen (vgl. Scherwath und Friedrich, 2012, S. 120). Dieses Wissen führt zu einer Entlastung, da Kinder und Jugendliche verstehen, dass ihr Handeln/Denken nicht auf „Dummheit“ basiert, sondern von psychologischen und medizinischen Einflüssen beeinflusst wird (vgl. ebd.). „Insofern ist Psychoedukation nicht als einmaliger Vortrag zu verstehen, sondern kann sich prozessorientiert immer wieder auf neue Teilaspekte beziehen.“ (ebd.).
4.2.2 Traumasensible Biographiearbeit
Bindungstraumatisierte Kinder und Jugendliche bringen häufig eine konfliktreiche und prekäre Biographie mit. Diese Methode setzt daran an, eigenen Lebensspuren zu folgen, Zusammenhänge zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu erkennen und Mut für die Zukunft zu schöpfen (vgl. Scherwath und Friedrich, 2012, S. 123). Die Biographiearbeit verfolgt nicht die Intention die objektiven Begebenheiten herauszufinden, sondern subjektive Wahrnehmung des Individuums zu erleben. Diese passive Methode versucht, dass Menschen ihre Lebensgeschichte (zurück)erobern, subjektives Erleben auszudrücken sich mit der traumatischen Situation befassen (teilweise auch konfrontieren) und eventuell Ressourcen erkennen, welche in der Gegenwart angewendet werden können (vgl. ebd.). Der/Die Sozialpädagoge*in benötigt ein hohes Maß an Sensibilität, da bei der Rekonstruktion gewisser Erlebnisse, die Gefahr besteht das Material berührt wird, welches den/die Erzähler*in Überwältigen (z.B. verdrängte Gewalttaten) könnte. Biografische Erzählungen gelten dann als integriert, wenn sie vollständig erzählbar sind und die in dieser Situation erlebten Gefühle, Körperempfinden und Gedanken erinnert werden können, ohne sie erneut in voller Intensität (Flashback) zu erleben (vgl. Scherwath und Friedrich, 2012, S, 124).
Bei dieser Methode ist der „richtige Zeitpunkt“ von elementarer Bedeutung. Hierfür müssen folgende Bedingungen erfüllt werden:
- Äußere Sicherheit
- Bindungsstabilität gegenüber der begleitenden Fachkraft
- Fähigkeiten zur Stressregulationen bei Auslösung von Schlüsselreizen (Trigger) und Flashbacks
Die Aufgabe der Fachkraft ist das aktive Zuhören, das Verstehen und Annehmen des subjektiven Eindrucks. Daneben ist es hilfreich, wenn die begleitende Person sich in richtigen Momenten impulsgebend einbringt, indem explizite Fragen gestellt werden und Ideen formuliert werden (vgl. Scherwath und Friedrich, 2012, S. 125).
Eine Reflexion zu einem späteren Zeitpunkt ist hilfreich, die biographisch erworbenen Ressourcen, Bewältigungstrategien und Momente der Selbstbemächtigung hervorgehoben werden.
4.2.3 Der sichere Ort
Eine weitere traumapädagogische Methode stellt das Psychodrama dar. Jakob Levi Moreno ist Begründer dieser Methode, welche weltweit Verwendung findet. "Psychodrama als Methode ist ein Gruppenverfahren; ein gruppendynamischer Prozess, der durch ein spontanes szenisches Darstellen das Verhalten der beteiligten Menschen anschauen lässt." (https://www.psychodrama-ems.de/methode // Abruf: 26.06.2021, 20:00). Das Psychodrama kann aber auch in Einzel-Settings Verwendung finden. Diese Verschriftlichung kann aus Platzgründen, nicht auf die Methodik des Psychodramas eingehen, weshalb sich im Anhang eine Darstellung dieser findet. Für den folgenden Teil werden Grundkenntnisse des Psychodramas als bekannt vorausgesetzt.
Bei der Arbeit mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen steht die Stabilisierung der psychischen Verfassung an vorderer Stelle (vgl. Stadler, 2002, S. 177). Eine Stabilisierungstechnik des Psychodramas stellt der "sichere Ort" dar. Diese Technik soll dabei behilflich sein, durch das Trauma verlorene Sicherheit für Kinder und Jugendliche wieder herzustellen. Durch Anleitung der Fachkraft soll das traumatisierte Individuum sich einen sicheren Ort bildhaft und detailliert vorstellen. Die Teilnehmer*innen des Psychodramas, werden dazu angehalten sich einen Ort vorzustellen, an dem diese das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit verspüren. Dies kann ein bekannter Raum sein (z.B. altes Kinderzimmer) oder ein phantasierter Ort (vgl. Stadler, 2002, S. 180). Der sichere Ort wird dazu mit einem Gegenstand gekoppelt (z.B. Uhr oder Brosche). Dies hat den Hintergrund, dass Teilnehmer einen positiven Trigger haben, welcher bei Intrusionen eingesetzt werden kann. Hat die Fachkraft Kenntnis über den positiven Triggern, kann er/sie präventiv intervenieren, um mögliche Flashbacks zu stoppen (vgl. ebd.). Die Auswahl des Gegenstands sollte durch die traumatisierte Person getroffen werden, da die Fachkraft möglicherweise einen Gegenstand wählt, welche an das traumatische Ereignis erinnert und somit eine Trauma-Aura aufweist. Bei der psychodramatischen Arbeit ist es essenziell einen sicheren Ort zu erarbeiten, um mit der Arbeit auf der Bühne zu beginnen, da bei der Traumaexposition mögliche Flashbacks auftreten können. Die Qualität des sicheren Ortes kann geprüft werden, indem die Fachkraft auf der Bühne den positiven Trigger nennt (z.B. Uhr oder Brosche) und anschließend das Individuum nach ihrem/ihrer Sicherheitsgefühl befragt (vgl. Stadler, 2002, S. 180). Ist das Sicherheitsgefühl nicht ausgeprägt genug, um möglichen Intrusionen zu trotzen, muss die Fachkraft durch Abfragen anderer Sinnesqualitäten (Geruch, Geräusche und Berührungen) diesen festigen. Durch diese gezielten Fragen kann sich das Individuum den "sicheren Ort" lebensnaher vorstellen.
Der sichere Ort kann gut in den Alltag der traumatisierten Personen integriert werden und stellt eine wichtige Stabilisierungstechnik dar. Sie vermittelt Sicherheit, Geborgenheit und Selbstermächtigung.
5 Forschungsdesign
Der folgende Verlauf der Praxisarbeit+ befasst sich mit dem Forschungspart. Dies soll dazu dienen die Eingangsfrage "Umgang mit Bindungstraumatisierten Kindern und Jugendlichen" zu beantworten. Hierbei liegt der Fokus auf dem "Allmachts-" und "Ohnmachtsgedanken". Der Forschungsteil soll die Grenzen und Möglichkeiten des pädagogischen Umgangs aufzeigen. Es folgt zunächst ein kurzer Überblick über den Forschungsaufbau, anschließend werden die Ergebnisse dargestellt. Der Autor nutzt für die Ergebnisgewinnung eine qualitative Forschungsmethode.
5.1 Die Forschungsmethode
Die qualitative Sozialforschung gewinnt für die „Untersuchung sozialer Zusammenhänge“ immer mehr an Bedeutung (vgl. Flick, 2016, S.22). Hierbei werden die subjektiven Bedeutungen, Perspektiven, Ansichten sowie Lebensmodelle der Befragten zum Gegenstandsbereich der Forschung. (vgl. Flick, 2016, S.28). Diese Forschungsmethode zielt darauf ab, Lebenswelten, Sichtweisen der Befragten zu verstehen, zu erschließen und eventuell zu verbessern. Nach Mayring (2015, S. 19 – 25) findet die qualitative Sozialforschung in folgenden Bereichen Verwendung: Hypothesenfindung- und Theoriebildung, Pilotstudien, Vertiefungen, Einzelfallstudie, Prozessanalysen, Klassifizierungen und Theorie- und Hypothesenprüfung.
Ein Erhebungsmethode der qualitativen Sozialforschung stellt das Leitfrageninterview dar.
5.2 Das Erhebungsinstrument
Wie bereits angerissen werden die Daten mithilfe des Leitfrageninterviews gewonnen. Dieses Interview basiert auf einen zuvor festgelegten Leitfaden, in dem konkrete Fragen formuliert sind, um die Forschungsfrage zu beantworten. Das Leitfragengestützte ist zugleich eine strukturierte, sowie offene Interviewform, da die im Vorfeld formulierten Fragen dem Interview eine Struktur verleihen, dennoch eine gewissen Spielraum für Ergänzungen und Spielraum lassen (vgl. W. Loosen ,2016, S.139). Das Leitfrageninterview schafft für die Befragten meist eine bekannte Alltagssituation z.B. Bewerbungsgespräch oder journalistisches Interview. Diese Interviewform nutzt daher die Alltagskommunikation als Grundlage, um Wissen über das Forschungsobjekt zu erhalten. „Zu einer wissenschaftlichen Methode wird das Interview durch die Berücksichtigung der an den Forschungsprozess gekoppelten wissenschaftlichen und methodischen Regeln – verbunden mit dem Ziel durch regulierte (einseitig regelgeleitet) Kommunikation reliable (zuverlässig, konsistente) und valide (akkurat, gültig) Informationen über den Forschungsgegenstand zu erfahren.“ (W. Loose, 2016, S. 142)
5.3 Sampling
Das Sampling stellt den Selektionsprozess der zu Untersuchenden dar, welche für die Beantwortung der Forschungsfrage als relevant erscheinen. Der Autor befragt hierbei die Adressaten*innen des Hauses, da diese eine Bindungstraumatisierung aufweisen. Somit stellen sich die jungen Menschen als ideale Interviewpartner dar. Im Rahmen der Forschungsarbeit werden drei Adressaten interviewt. Es wird darauf geachtet, dass die Kinder und Jugendlichen zu dem Zeitpunkt des Interviews psychisch stabil sind, da u.a. über die traumatische Vergangenheit gesprochen wird.
Die folgenden Namen wurden aus datenschutzrechtlichen Gründen verändert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1: Sampling
5.4 Forschungsablauf
Den Leser und Leserinnen wird nun der Forschungsablauf dargestellt.
Das Interview wurde im Gesprächsraum der Wohngruppe durchgeführt. Dies hat den Hintergrund, dass dort eine ruhigere und reizärmere Atmosphäre herrscht. Die jungen Menschen sollten die Möglichkeit erhalten, sich ganzheitlich auf das Gespräch zu konzentrieren. Die Kinder und Jugendlichen wurden im Vorfeld darüber informiert, dass dieses Gespräch ausschließlich den Studienzwecken des Autors diene und es keine direkten Auswirkungen auf sie habe. Die Interviews fanden am Nachmittag statt, damit die jungen Menschen sich von ihrem Schulalltag distanzieren können. Ein weiterer Hintergrund war die personelle Besetzung und der Zeitrahmen, da bei einer möglichen Intrusion es genügend Zeit gibt, um adäquat zu intervenieren. Die Teilnahme am Interview war unverbindlich und erfolgte auf Basis der Freiwilligkeit.
5.5 Analyse der Daten
Die Analyse der Daten erfolgt nach der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring. Der Autor hat sich für diese Auswertungsmethode entschieden, da über persönliche und subjektive Wahrnehmungen der/die Befragten*innen gesprochen wird. Die qualitative Inhaltsanalyse eignet für die Auswertung eines Leitfrageninterviews, da ihr Vorgehen systematisch gegliedert ist und Raum für Interpretationen zulässt. Die Qualitative Inhaltsanalyse dient der theoretisch fundierten Textanalyse, um die Inhalte der Interviewten nicht nur wiederzugeben, sondern auch mit dem erarbeiteten Theoriewissen zu vereinen (vgl. Mayring, 2015, S. 50 – 52).
Im Zentrum der qualitativen Inhaltsanalyse steht das Kategoriensystem. Dieses System dient dazu, die formulierte Forschungsfrage schlussendlich zu beantworten. Im Folgenden wird das Kategoriensystem dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 2: Kategorienschema
6 Darstellung der Ergebnisse
Der folgende Part beschäftigt sich mit den Auswertungen des Interviews. Hierbei werden alle Oberkategorien, inklusive ihrer Unterkategorien systematisch dargestellt.
OK. 1 – Position des/der Adressaten*in Beginn der Maßnahme
Alle Interviewten befinden sich seit längerem in einer stationären Wohnform und sind nach dem 35a SGB VIII untergebracht. B³ äußerte, dass bereits mehrere Maßnahmen seitens des Jugendamtes eingeleitet wurden, jedoch ohne Erfolg. Ähnliches berichtete auch B². Er schilderte, dass er auch durch mehrere Einrichtungen „gezogen sei“ (vgl. L., Z.6). Dieser Umstand stellt eine Herausforderung für die aktuelle Praxis dar. Bindungstraumatisierte Kinder und Jugendliche haben durch Bezugspersonen die immer wiederkehrenden traumatischen Situation viel Sicherheit und Vertrauen in Erwachsene einbüßen müssen[MW1] . Das Einrichtungs-Hopping verstärkt dies, da die Adressaten Gedanken internalisieren wie: „Mich kann sowieso niemand aushalten.“ In diesem Kontext gestaltete sich die pädagogische Arbeit komplex, da die Adressaten ihre Grenzen maximal austesten und es zu Grenzüberschreitenden Situation kommt – die pädagogischen Mitarbeiter*innen müssen hierbei mit komplexen Störungsbilder und negativen Erfahrungen ehemaliger Einrichtungen umgehen.
Grund der Maßnahme
B¹ gab in den Interviews an, dass er sich wegen Karl-Heinz7 (Täter) und seinem Benehmen in einer Einrichtung befinde. B² teilte mit, dass er wegen familiären Spannungen und häuslicher Gewalt in einer Einrichtung sei. B³ äußerte, dass er ebenfalls wegen familiären Spannungen in einer Einrichtung sei. Die Interviews mit den Befragten stellt dar, dass eine gewisse Klarheit darüber herrscht, weshalb sie sich in einer stationären Kinde- und Jugendhilfeeinrichtung befinden (vgl. XY, Z. 12; L. Z.6 und P., Z. 10). Die ist ein zentraler Aspekt in der Arbeit, da Transparenz nötig ist, um an der belastenden Vergangenheit zu arbeiten (vgl. vgl. Baierl und Frey, 2016, S. 47). Daraus schließt das B¹ anlässlich sexuellen Missbrauchs traumatisiert ist, T² wegen häuslicher Gewalt und B³ angesichts immenser intrafamiliärer Konflikte. Anzumerken hierbei ist, dass es den Interviewten nicht möglich war, ausführlicher über ihre Lebensbiographie zu sprechen, da sie in allen drei Fällen höchst komplex ist und belastend ist.
Empfindung der Maßnahme
Anschließend wurde über die Empfindung der gegenwärtigen Unterbringungen gesprochen. Hierbei stellte sich heraus, dass die die Befragten die gegenwärtige Wohngruppe als „schön“ und angenehm beurteilen. B¹ äußerte, dass der Aufenthalt schön sei, aufgrund seines Zimmers und dem Umstand, dass er in seiner neuen Schule Freunde gefunden habe (vgl. XY, Z. 25 – 32). B³ ist erfreut darüber, dass seine Rechte in der Einrichtung gewahrt werden, da dies in der Vergangenheit nicht der Fall war (vgl. P. Z. 3 – 10). Diese Aussagen sind von hoher Bedeutung, da das pädagogische Setting einen sicheren Hafen darstellen soll. Für Bindungstraumatisierte Kinder und Jugendliche, stellen personelle und räumliche Sicherheit einen hohen Stellenwert dar (vgl. Stadler, 2002, S. 177). Dies betonte auch B¹, da er äußerte er sei die Wohngruppe sicherer als zuhause (vgl. XY, Z. 45). Für B² hat diese Sicherheit ebenso einen hohen Stellwert. Durch negative Erfahrungsmuster (Entzug von Essen in der ehemaligen Einrichtung) äußert der Adressat, dass er ein Gefühl von Sicherheit entwickelte, da das pädagogische Team seinen Hunger angemessen stille (vgl. L., Z. 36 -38). T³ verbalisierte ebenfalls, dass er sich aktuell „geborgen“ und „sicher“ fühle (vgl. P., Z. 34). Diese Aussagen unterstreichen die Aussage, dass „Sicherheit“ und „Geborgenheit“ essenzielle Emotionen sind, um das Bindungstraumata zu verarbeiten. In diesem Kontext müssen die Akteure der sozialen Arbeit dafür sorgen, dass die o.g. Gefühle an die Adressaten vermittelt und vorgelebt werden. Dies gelingt durch den richtigen Mix aus „Wertschätzung und Autorität als Grundhaltung“. Hierbei werden die jungen Menschen einerseits als Individuen mit ihrem Verhalten und Biographie als Menschen wahrgenommen, anderseits erfahren sie durch die pädagogischen Mitarbeiter*innen Grenzen und verantwortungsvolle Vorbilder (Modelllernen).
OK.2 - Grenzen – Möglichkeiten (Allmacht vs. Ohnmacht)
Möglichkeiten pädagogischer Arbeit
Es wurde bereits beschrieben, dass Bindungstraumatisierte Kinder und Jugendliche eine höchst komplexe Adressatengruppe für die Kinder- und Jugendhilfelandschaft darstellt. Hierbei werden die pädagogischen Mitarbeiter*innen oftmals mit Grenzüberschreitenden Situationen, Kontrollverlusten seitens der des/der Adressaten*in und vielem mehr konfrontiert. In diesem Abschnitt versucht der Autor zu eruieren, an welchem Punkt sich die pädagogischen Grenzen befinden und welche Möglichkeit ein/e Akteur*in besitzt.
In den Interviews mit den Befragten stellte sich heraus, dass die Tagesstruktur einen elementaren Teil dazu beiträgt, um die Möglichkeiten der pädagogischen Arbeit auszuschöpfen. B³ erzählte, von der jetzigen Tagesstruktur und der damit einhergehenden Sicherheit (vgl. P., Z.40). Ähnliches berichtet auch B² er äußerte ebenso, dass die Strukturen im Haus einen Grundpfeiler darstellen (vgl. L.. Z. 44). Auffällig hierbei ist, dass beide Adressaten erwähnen, dass sie „Schule“ als vollkommen „alltäglich“ erachten. Es stellt sich heraus, dass die pädagogischen Möglichkeiten in enger Relation mit der Tagesstruktur stehen. B¹ teilte mit, dass er seit seinem Aufenthalt im Haus weniger „austicken“ würde und sein Verhalten bessern steuern könne (vgl. XY, Z. 48 – 52). Auch B² berichtete, dass er sich mit seiner Gefühlswelt bei den Pädagogen*innen angenommen fühle. Die Möglichkeit in der pädagogischen Arbeit mit Bindungstraumatisierten Kindern besteht darin, negative Bindungsrepräsentationen abzubauen und durch positive Bindungserfahrungen zu ersetzten. Kinder und Jugendliche müssen durch pädagogische Fachkräfte lernen, wie eine Beziehung (Freundschaftliche- oder Liebesbeziehung) funktioniert und was diese ausmacht. Die Pädagogen*innen haben die Möglichkeit, dass Ur-Vertrauen ihrer Adressaten erneut aufbauen. Parallel dazu ist es nötig, dass mit Methoden das Bindungstraumata bewältigt werden kann. Dies geschieht in der Praxis oftmals in enger Kooperation mit den Kinder- und Jugendpsychiatrien und den Therapeuten*innen.
Es gilt traumakompensatorische Muster zu erkennen, wahrzunehmen und anzunehmen, um anschließend alternative Möglichkeiten zu entwickeln, wie diese Adressatengruppe ihre Gefühle anderweitig reguliert.
Bewältigungsstrategien der jungen Menschen
Bindungstraumatisierte Kinder und Jugendliche entwickelten über die Jahre diverse Abwehrmechanismen8, um den Belastungen standzuhalten. Diese Verhaltensweisen behalten Kinder und Jugendliche weiter, da diese sich im permanenten „Alarmmodus“ befinden, um auf Gefahren schnellstmöglich zu reagieren. Dies äußerst sich u.a. darin, dass sich konstant Stresshormone im Körper befinden. Hinzu kommt das Stresshormone vom Körper langsamer abgebaut werden. Diese Mechanismen sind im Grunde genommen selbstzerstörerisch, da sie an der Entwicklung und einer angemessen sozialen Teilhabe hindern. Die Interviewten eigneten sich vor allem folgende Mechanismen an: Identifikation9 („Ich habe genauso viel sagen wie ein/e Pädagoge*in.“), Regression („ich verhalte mich wie ein Kleinkind, um Aufmerksamkeit zu bekommen.“), Isolation („Ich ziehe mich von allen zurück, um nicht verletzt zu werden.“) und Verleugnung („Das stimmt nicht mit der Realität überein“). Zudem neigen die drei Befragten dazu in Kontrollverlusten dazu, ihre Emotionen und Gefühle gegen Gegenstände und/oder Personen zu richten (externalisierendes Problemverhalten). Dies wird in folgenden Interviewabschnitten deutlich: Interview XY: (vgl. XY, Z. 86 – 91). Auch B² sagte, dass er seine Emotionen (Wut) gegen Gegenstände richten würde (vgl. L., Z. 52 – 56). Darüber hinaus teilte der junge Mensch mit, dass er absichtlich aus einem Fenster gesprungen sei, um sich selber zu verletzten10 (internalisierendes Problemverhalten) (vgl. L., Z. 59 -65). Auch B³ neigt dazu willkürlich Gegenstände zu zerstören (vgl. P., Z. 45 – 52). Die Bewältigungsstrategien des Befragten sind ähnlich zu B² - in Situationen voller Hilfslosigkeit/Trauer/Wut richtet er seine Emotionen gegen sich selber (vgl. P., 63 – 68). Diese Hilfsschreie müssen die Pädagogen*innen wahrnehmen und darauf feinfühlig& augenblicklich reagieren.
Dieses Verhalten mag auf viele unbegründet und irrational wirken, dennoch hatte dieses Verhalten in der Vergangenheit eine existenzsichernde Funktion. Das dysfunktionale ist ein zweischneidiges Schwert: Es dient einerseits die Lebenswelt der traumatisierten Kindern und Jugendlichen zu schützen und verleiht Handlungssicherheit, andererseits verhindert es ihre Entwicklung, sowie den Traumaverarbeitungsprozess.
Grenzen pädagogischer Arbeit
Gegenüber den Möglichkeiten der traumapädagogischen Begleitung stehen Grenzen. Diese Grenzen existieren auch, wie eine Studie von EQUALS11 aufzeigt – hierbei endet jede Kinder- und Jugendhilfemaßnahme in einem Abbruch. Dabei stellen die Fachkräfte in drei von vier Fällen eine schlechte Prognose (bei regulären Austritten wird zu 70% eine gute Prognose gestellt.) Grund hierfür ist das herausfordernde Verhalten der Adressaten*innen. Hinzu kommt eine steigende Wachstumsdynamik bei den Eingliederungshilfen für seelisch behinderte junge Menschen (§35a SGB VIII). Aus einem Bericht des Landesjugendamt Westfalen und Rheinland geht hervor, dass das Fallzahlenvolumen im Jahr 2017 (23.532) sich zum Jahr 2008 (8.843) verdreifacht hat (vgl. HzE Bericht 2019, S. 27). Die Abbruchrate ist ein Indiz für die pädagogischen Grenzen, anderseits steigt der Bedarf an 35a Fällen, welche eine intensivpädagogische Betreuung benötigen.
Es wurde bereits angeschnitten das Bindungstraumatisierte Kinder ein höchst herausforderndes Verhalten aufzeigen, wie im „Bewältigungsstrategien der jungen Menschen“ beschrieben wurde. Pädagogische Akteure der Heimerziehung sollten sich darüber bewusst sein, dass sie in vielen Fällen den Adressaten*innen als Projektionsfläche dienen. Sozialpädagogen*innen müssen hierbei Diskriminierungen, Beleidigungen, Grenzüberschreitende Situationen etc. standhalten. Dabei ist es nicht untypisch, dass auch geschultes/studiertes Personal an die eigene psychische Grenze gelangt. Diese Aussagen werden im Interview mit B¹ unterstrichen, da er selber sagt, dass er in Kontrollverlusten begrenzt werden muss (vgl. XY, Z. 100 – 103). Im Interview mit B³ wird ebenfalls die Grenze der Pädagogik deutlich. Wie bereits beschrieben, befindet sich der junge Mensch länger in einer stationären Maßnahme, auf Grundlage des §35a. Dabei hat er bereits mehrere Wohngruppen durchlaufen, doch es war bisher keiner möglich den destruktiven Verhaltensweisen Einhalt zu gebieten (vgl. P., Z. 53 – 59). Außerdem spricht er an wenig später an, dass er mit den aktuellen Gegebenheiten zufrieden sei und nichts ändern wollen (vgl. P., Z. 74). Die ehemalige Einrichtung geriet ebenfalls mit dem Sozialverhalten des B² an seine Grenze, da er einen Suizidversuch durchführte. Dies setzt voraus, dass es im Vorfeld extreme Auseinandersetzungen mit dem jungen Menschen gab, da der einzige Ausweg der gewollte Tod war (vgl. L., Z. 62 – 65).
Inwieweit die Formen des pädagogischen Umgangs angepasst sein sollten, wird im folgenden Teil untersucht.
OK. 3 – Umgangsmöglichkeiten
Formen des pädagogischen Umgangs
Abschließend ergibt sich die Frage, in welcher Form die pädagogische Konzeption einer Einrichtung, ausgerichtet sein sollte, um den Hilfe- und Förderbedarf bindungstraumatisierter Kinder und Jugendlicher zu decken. Die Interviewten äußerten sich hierbei unterschiedlich. Die kommende Forschungsfrage steht in enger Relation, mit der vorherigen Frage: „Wie gehst du damit um, wenn dich etwas belastet?
B¹ und B² äußerten sich konkreter, auf die Frage: „Hast du eine Idee, wie dich Betreuer*innen unterstützen können, wenn dich etwas belastet?“. B² verbalisierte, dass er das pädagogische Team als Kompensation ansehen würden, um Belastungen auszuhalten. Er verwies explizit darauf, dass er mit dem pädagogischen Personal (aber auch dem Jugendamt) redet, um sich zu regulieren (vgl. L., Z. 81 – 92). B¹ kommunizierte, dass er in Konflikten auf sein Zimmer geschickt werden solle, aber auch festgehalten werden müsse, sobald er „austickere“ (vgl. XY, Z. 98 – 103). B³ gab an, dass er keine weiteren Hilfen benötigen, würde, da ihm die Tagesstruktur in der Wohngruppe genügend „Hilfe“ verleihen würde (vgl. P., Z. 71 – 74).
Diese Aussagen mögen sich unterschiedlich anhören, dennoch kristallisiert sich ein weiteres Mal heraus, dass die Befragten sich nach Sicherheit sehnen. Dies teilt B³ mit, indem er die Tagesstruktur als Sicherheit ansehe. B² möchte nach den unzähligen Bindungsabbrüchen beständige Bezugspersonen haben, welche Sicherheit vermitteln. B³ sehnt sich nach Begrenzung in schwerwiegenden Auseinandersetzungen. Er testet dabei seine Grenzen aus, um herauszufinden, ob die Pädagogen ihn auszuhalten und sich als sichere Bezugspersonen etablieren. Der Gedanke nach Sicherheit ist hierbei vollkommen rational und logisch, da bindungstraumatisierte Kinder und Jugendliche ihre primären Bezugspersonen verloren haben, welche (eigentlich) mit „Sicherheit und Schutz“ assoziiert werden (vgl. Brisch, 2017, S. 15 – 17). Für Leserinnen und Leser ergibt sich die Frage, inwieweit Pädagogen*innen Sicherheit vermitteln können und tragfähige Bindungen12 aufbauen können.
Um die die Formen der pädagogischen Arbeit zu erkennen, sollten Sozialpädagogen*innen mit der Bindungstraumatisierung vertraut sein, da psychische Gedankengänge, sowie Verhalten- und Reaktionsweisen der Kinder und Jugendlichen rational erscheinen. Dies entlastet Fachkräfte immens, da sie einerseits erkennen, dass das oppostionelle Verhalten der Adressaten*innen einen Ursprung hat (und in keinerlei Zusammenhang mit ihrer Persönlichkeit steht). Andererseits ist es Akteuren*innen möglich ihre pädagogische Grundhaltung zu justieren.
Um Sicherheit an die die Adressaten zu vermitteln, sind traumapädagogische Grundhaltungen, aber auch feinfühlige13 Reaktionen notwenig. Der Autor erachtet hierbei „Wertschätzung als Grundhaltung“ für elemtar, da den Adressaten*innen täglich aufgezeigt wird, dass sie als Menschen geschätzt werden, hingegen ihr negatives Sozialverhalten nicht. „Jedoch ist Autorität als Grundhaltung“ eine wichtige Säule, da täglich im pädagogischen Alltag Grenzen ausgestet (oftmals auch überschritten werden). Hierbei haben Pädagogen*innen die Möglichkeit, sich als „gute“ Erwachsene darzustellen, Grenzen zu ziehen und aufrechtzuerhalten. Dabei signalisieren die Fachkräfte den Kindern und Jugendlichen, dass ihr Sozialverhalten ausgehalten wird. Dennoch sollten andere Grundhaltungen in der Pädagogik Verwendung finden. Die Fachkräfte müssen den Kindern und Jugendlichen aufzeigen, dass ihre Persönlichkeit geschätzt& annerkannt wird ihr Fehlverhalten dagegen nicht.
Eine besondere Form in der Arbeit mit bindungstraumatisierten Kindern und Jugendlichen stellen die Famlilienanalogen Wohngruppen dar. Hierbei sind die Gruppengrößen kleiner, es wohnt ein/e Pädagoge*in im Haus, welche als beständige Bezugsperson fungiert, zudem ist die pädagogische Arbeit näher an der Lebenswelt des Kind oder dem Jugendlichen, da das Setting familärer gestaltet ist. Zudem erfüllt diese Wohnform eine Funktion: Sie vermittelt Sicherheit durch die o.g. Aspekte. Traumapädagogische Methoden sind für jegliche Wohnformen, welche bindungstraumatisierte junge Kinder und Jugendliche betreuen essenziell.
Auf Basis der Interviews zeichnet sich ab, dass bindungstraumatisierte Adressaten*innen geschultes Personal, traumapädagogische Konzepte, 1:1 Betreuung und (wirklich) belastbares Personal benötigen, um eine Grundlage der produktiven Zusammenarbeit zu schaffen.
7 Fazit
Diese Ausarbeitung beschäftige sich mit zwei Teilen. Den ersten Teil bildet der Theorieteil, welcher schwerpunktmäßig ausfolgenden Teilen besteht:
1. Einführung in die Traumatologie
2. Grundlagen der Bindungstheorie und das Bindungstrauma
3. Traumapädagogische Grundhaltungen und Methoden
Der Forschungsteil ist hierbei der zweite Part. In diesem wurden die Interviews analysiert und mit dem theoretischen Wissen gegenübergestellt. Dabei untersuchte der Autor primär Grenzen und Möglichkeiten pädagogischer Arbeit mit bindungstraumatisierten Kindern und Jugendlichen.
Viele Fachkräfte der Heimerziehung, besitzen Wissen über Traumatisierungen und den daraus resultierenden Folgen. Ein Teilziel dieser Arbeit ist es daher, Basiswissen über das Themenfeld einer Bindungstraumatisierung zu vermitteln. Wie bekannt, ist Wissen der Schlüssel zum Erfolg. Dieses Wissen ist fundamental um den Adressaten*innen angemessen zu begegnen, da in diesem Fall das pädagogische Vorgehen spezifischer geplant& durchgeführt wird. Gekoppelt mit traumapädagogischen Grundhaltungen, Kompetenzen und Methoden wird das Fundament für eine erfolgreiche Arbeit geschaffen. Es gilt außerdem zu beachten, dass die Pädagogen*innen mit ihrem Erkenntnissen das pädagogische Handeln weitsichtiger reflektieren können. Dies kann ich aus eigener Erfahrungen bestätigen, da viele Verhaltensweisen der Kinder und Jugendlichen begründet erscheinen, durch diese Erkenntnis war es mir möglich, sensibler& feiner Gespräche zu steuern, um deeskalierend auf die jungen Menschen einzuwirken.
Die Forschungsfrage der Arbeit handelte um eine Analyse, bezüglich der pädagogischen Möglichkeiten& Grenzen. Diese Frage kann ich nun beantworten.
Die professionelle soziale Arbeit, bietet bindungstraumatisierten Kinder und Jugendlichen, die Möglichkeit auf eine positive Entwicklung des Sozialverhaltens, der Verarbeitung von traumatischen Erlebnissen und der Veränderung der verinnerlichten Bindungsrepräsentation. Durch traumapädagogische Intervention ist es möglich, die Langzeitfolgen der Betroffenen zu lindern, gar zu vermeiden. Diese Erfolgsaussichten existieren, dennoch bestehen Grenzen in der Pädagogik, welche folgend benannt werden. Die Grenzen der Pädagogik liegen meiner Auffassung nach in den Pädagogen*innen und Einrichtungen selber. Dies wurde deutlich, dass alle Befragten in ihren jungen Jahren diverse stationäre Hilfsmaßnahmen durchlaufen sind, welche wiederrum in einem Abbruch endeten. Die institutionellen und konzeptionellen Bedingungen vieler Einrichtungen, können der Komplexität von bindungstraumatisierten Kindern und Jugendlichen schlichtweg nicht standhalten. Viele Faktoren begünstigen die Grenze der pädagogischen Arbeit mit bindungstraumatisierten Kindern und Jugendlichen, dazu gehören: Fachkräftemangel, fehlende Konzepte, begrenzte Zusammenarbeit mit Therapeutinnen* und Psychologen*innen, fehlendes Wissen und einige mehr. Zudem ist die intensivpädagogische Kinder- und Jugendhilfelandschaft ausbaufähig. Diese Adressatengruppe benötigt, wie bereits angerissen eine traumapädagogische Pädagogik, wozu u.a. die Integrierung von psychologischem Wissen in den pädagogischen Alltag hilfreich wäre.
In der Analyse stellt sich für mich abschließend heraus, dass Sicherheit der Schlüssel zum Erfolg ist, denn bindungstraumatisierte Kinder und Jugendliche haben diese verloren und sind misstrauisch gegenüber „neuen“ Erwachsenen, da sie kein weitere Enttäuschung erfahren wollen. Ob sich Pädagogen*inne als „sicherer Hafen“ erweisen wird hierbei gründlich ausgetestet. Pädagogische Teams müssen diesen Umstand aushalten, um einen Zugang zu den Kindern und Jugendlichen zu erhalten. Dieser Prozess ist nervenzehrend, dennoch unumgänglich, um eine Grundlage der Zusammenarbeit zu schaffen. Hierbei ist es hilfreich die Verhaltensweisen von den Kindern und Jugendlichen auf psychologischer Ebene zu betrachten. Nach Baierl ist Sicherheit ebenfalls eine notwenige Voraussetzung für traumapädagogisches Handeln. „Sicherheit empfinden die betroffenen Kinder und Jugendlichen, wenn sie
- Sich an einem äußeren sicheren Ort befinden, an dem keine Gefahren drohen;
- Sich bei Menschen befinden, die sie schützen und alle Gefahren abwehren;
- Sicherheit bei sich selbst finden, also auf sich selbst vertrauen und davon ausgesehen, alle Herausforderungen und Gefahren sicher meistern zu können
- Alle äußeren Gefahren sowie sie bedrängende innere Bilder ausblenden und sich an einem inneren sicheren Ort befinden.“ (Baierl, 2016, S. 56)
Abschließend möchte ich mitteilen, dass die bindungstraumatisierte Adressatengruppe oftmals aggressiv, kalt, unberechenbar und bösartig wirkt. Hinzu kommt ihr herausforderndes Verhalten, welches häufig in eine delinquente Richtung abdriftet. Doch hinter diesen Kindern und Jugendlichen verbergen sich tragische Geschichten, ein Kampf um das Überleben und weinende Kinderseelen. Ob ihnen Rechnung getragen wird, liegt in der Verantwortung der/die pädagogischen Mitarbeiter*innen, Sozialeinrichtungen und der Sozialpolitik. Allerdings haben auch die besten Konzepte und die motiviertesten Mitarbeiter*innen kein Garant für einen positiven Hilfeverlauf, da immer wieder Menschen aus dem System fallen. Das ist die Realität der sozialen Arbeit.
8 Literaturquellen
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10 Anhang
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
I. Gehirnregionen
Hirnstamm – „Der Hirnstamm ist der entwicklungsgeschichtlich älteste Teil des Gehirns, den wir uns mit den meisten Tieren teilen. Er steuert lebensnotwenige Systeme des Körpers wie Atmung, Kreislauf, Herzfrequenz, Schwitzen sowie den Wechsel zwischen Wach und Schlafen.“ (Baierl und Frey, 2016, S. 28).
Limbisches System – „Das limbische System sitzt im Mittelhirn und beherbergt unter anderem den Hippocampus und die Amygdala (Mandelkern). Im limbischen System laufen viele Informationen aus vielen Hirn- und Körperregionen zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. Es wesentlich beteiligt an der Steuerung des vegetativen Nervensystem, der Gedächtnisbildung (insbesondere der der Strukturierung von Gedächtnisinhalten), der Entstehung und dem Umgang mit Gefühlen, der Bewertung und Wiedererkennung von Situationen sowie der unterbewussten Gefahreneinschätzung und somit an Angst-, Kampf- oder Fluchtreaktionen.“ (ebd.).
Hippocampus – „Konkret handelt es sich um eine Verbindungsstelle zwischen dem Kurzzeitgedächtnis und dem Langzeitgedächtnis. Als Schnittstelle empfängt der Hippocampus eine Vielzahl an Informationen. Diese stammen aus sensorischen Systemen, die Reize aus der Umwelt aufnehmen. Im Vordergrund stehen Sinneseindrücke, allen voran das Sehen, Hören und Schmecken. Die Aufgabe des Hippocampus ist es nun, eine Selektion vorzunehmen. Im Einzelnen werden Reize abhängig von ihrer Intensität und Dringlichkeit mit einer Relevanz versehen. Von der Fülle an Informationen wird nur ein Bruchteil weitergeleitet. In den zutreffenden Hirnarealen findet zuletzt die Verarbeitung und Speicherung statt.“ (https://medlexi.de/Hippocampus// Abruf: 22.06.2021, 20:00)
Amygdala – „Die Amygdala (Mandelkern) ist ein Teil des limbischen Systems im Gehirn. Zusammen mit dem Hippocampus regelt diese Hirnregion emotionale Äußerungen. Vor allem die Entstehung von Angstgefühlen ist im Mandelkern verankert.“ (https://www.netdoktor.de/anatomie/gehirn/amygdala/ // Abruf: 22.06.2021, 20:05).
Präfrontale Cortex – „Der präfrontale Cortex – auch Cortex praefrontalis – ist ein Teil des Frontallappens der Großhirnrinde (Cortex). Er befindet sich an der Stirnseite des Gehirns und ist eng mit den sensorischen Assoziationsgebieten des Cortex, mit subcorticalen Modulen des limbischen Systems und mit den Basalganglien verbunden. Der präfrontale Cortex oder Stirnlappen wird als oberstes Kontrollzentrum des Gehirns angesehen, denn hier werden die Signale aus der Außenwelt mit bereits gespeicherten Gedächtnisinhalten und emotionalen Bewertungen abgeglichen und nach den richtigen Handlungsmöglichkeiten gesucht. Der Stirnlappen startet die je nach Situation, angemessene Handlung, während gleichzeitig der präfrontale Cortex die emotionalen Prozesse im Gehirn wie eine Art Supervisor reguliert: “Supervisory Attentional System” (SAS). Der präfrontale Cortex gilt daher als Gehirnzentrum für Planung, Impulskontrolle und Sozialverhalten.“ (https://lexikon.stangl.eu/896/praefrontaler-cortex // Abruf: 22.06.2021, 20:15).
Hypothalamus - Der Hypothalamus ist eine wichtige „Schaltzentrale" unseres Körpers. Er ist ein Gehirnbereich im Zwischenhirn und befindet sich unterhalb (=hypo) des Thalamus. Der Hypothalamus koordiniert als übergeordnetes Zentrum Wasser-, Salzhaushalt und Blutdruck. Er sorgt dafür, dass unsere Körpertemperatur konstant bleibt und regelt die Nahrungsaufnahme. Der Hypothalamus beeinflusst unser Gefühls- und Sexualverhalten (https://www.internisten-im-netz.de/fachgebiete/hormone-stoffwechsel/hormondruesen-und-moegliche-erkrankungen/hypothalamus.html // Abruf: 22.06.2021, 20:30) periaquäduktales Grau - Das periaquäduktale Grau oder auch zentrales Höhlengrau ist eine Ansammlung von Nervenzellkörpern, ein Kerngebietskomplex, der die „Wasserleitung“ des Mittelhirns umgibt. Dieser Kernkomplex ist wichtig für die opioiderge, absteigende Schmerzunterdrückung. In diesem Zusammenhang sendet er Signale zu den serotoninergen Raphe-Kernen. Außerdem hat er noch eine wichtige Funktion im limbischen System und koordiniert nebenbei Angst- und Fluchtreflexe. (https://www.biologie-seite.de/Biologie/Periaqu%C3%A4duktales_Grau // Abruf: 22.06.2021, 20:40).
II. Arten von Traumatisierungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
III. Ablauf der fremden Situation
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
IV. Bindungsstile
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
V. Darstellung der Abwehrmechanismen
Identifikation – Erhöhung des eigenen Selbstwertgefühls durch Identifikation mit einer anderen Person oder Institution, die oft eine herausragende Stellung innehat (vgl. https://flexikon.doccheck.com/de/Identifikation // Abruf: 15.08.2021, 20:30)
Regression – „Unter Regression (lateinisch: re-gredi = zurückgehen) versteht man den Rückgriff auf kindliche Verhaltensmuster. Dazu gehören grundsätzlich alle Verhaltensweisen, die es erlauben, von der Frontlinie des zweckgerichteten Handelns zurückzutreten und sich zweckfreien Daseinsformen hinzugeben.“ (https: ////www.seele-u//www.seele-und-gesundheit.de/psycho/abwehrmechanismus.html#verl // Abruf: 15.07.2021, 20:45)
Isolation – „Als Affektisolierung bzw. Isolierung vom Affekt wird ein Abwehrmechanismus bezeichnet. Der Vorgang besagt, dass ein Erlebnis oder ein Verhalten zwar nicht vergessen wird, aber durch Verdrängung seinen Gefühlsgehalt bzw. seine assoziative Verbindungen mit anderen Gedanken oder mit der übrigen Existenz des Individuums verliert. So kann in ähnlicher Weise auch der Affektgehalt einer Vorstellung usw. eingebüßt werden, welcher der Verdrängung anheimfällt.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Affektisolierung#cite_note-PSM-1 // Abruf: 15.08.2021, 20:50)
Verleugnung – „Bei der Verleugnung werden Tatsachen oder deren Bedeutung bei der Konstruktion eigener Sichtweisen ignoriert. Oder sie werden bei der Kommunikation mit dem Umfeld nicht eingestanden. Dabei kann es sich um persönliches Erleben oder um sachliche Zusammenhänge handeln, deren Eingeständnis das persönliche Erleben in unerwünschter Weise zu verändern droht.“ (https: ////www.seele-u//www.seele-und-gesundheit.de/psycho/abwehrmechanismus.html#verl // Abruf: 15.08.2021, 20:55)
VI. Studie von EQUALS
Abbrüche in der der stationären Jugendhilfe
Abbrüche stationärer Maßnahmen können die Belastungen der Kinder und Jugendlichen verschärfen. Daneben sind sie auch mit Ohnmachtsgefühlen bei den pädagogischen Mitarbeitenden und einem enormen Ressourcenaufwand für die jeweilige Institution verbunden. Dennoch ist das Thema in der Schweiz wenig untersucht. In einer Stichprobe mit rund 400 Austritten wurde nun eine Abbruchrate von 35.6% ermittelt. Die Daten zur Stichprobe stammen aus dem Projekt EQUALS
Einleitung
Abbrüche in der stationären Jugendhilfe können gravierende Folgen für die weitere Entwicklung der Kinder und Jugendlichen haben. Jede gescheiterte Maßnahme minimiert die Erfolgsaussichten der darauffolgenden und aggraviert die Bindungsproblematik der betroffenen Kindern und Jugendlichen (Mascenaere & Knapp 2004). In der Folge leiden Menschen mit vielen Beziehungsabbrüchen häufiger unter einer geringen Lebensqualität und benötigen wegen psychischen und somatischen Problemen öfter professionelle Hilfe als andere (Aarons et al. 2010, Rubin et al. 2004).
Auf der anderen Seite ist vermutlich jeder Abbruch auch für die pädagogischen Mitarbeitenden ein belastendes Ereignis. Auch für sie bedeutet er das abrupte Ende einer Beziehung, in welcher sie sich persönlich engagiert haben. Darüber hinaus endet ein konkretes Hilfesetting, in welches einst eine gewisse Hoffnung gelegt worden war und eine Menge an Kraft investiert wurde. Gefühle von Misserfolg oder Ohnmacht dürften nachvollziehbar und nicht selten sein. Hinzu kommt, dass in den Institutionen insgesamt ein besonderer Aufwand geleistet werden muss, um aus der oftmals turbulenten Situation eines Abbruchs „das Beste“ für die jungen Menschen und deren Familien herauszuholen und „noch Schlimmeres“ zu verhindern. Notfallkoffer werden gepackt, weitere Unterstützungen schnell und kreativ organisiert. In einigen Fällen gilt es, trotz aller Anstrengungen sehr ungewisse Ausgänge auszuhalten, wenn sich beispielsweise die Jugendlichen und ihre Familien einer weiteren Unterstützung entziehen oder vielleicht auch deren Finanzierung nicht möglich erscheint.
Es sollte also im Interesse aller Beteiligten liegen, das Thema der Abbrüche genauer unter die Lupe zu nehmen und in größeren Stichproben zu untersuchen, wie häufig sie sind und ob sich Ansatzpunkte finden lassen, wie sie möglichst verhindert werden können.
Im internationalen Vergleich
In internationalen Studien werden Abbruchraten in der stationären Jugendhilfe zwischen 20% und 60% beziffert. Aus Deutschland berichtet eine Studie, die ausschließlich auf das Thema fokussiert, eine Abbruchrate von 48% (Tornow et al. 2012). Gemäß der Jugendhilfestatistik in Deutschland liegt die Zahl irgendwo zwischen 40% und 45%, jede fünfte stationäre Maßnahme endet im ersten Jahr ungeplant (statistisches Bundesamt 2009). Oft bleibt es jedoch schwierig, die Zahlen direkt zueinander in einen Bezug zu setzen, da Abbrüche teils unterschiedlich definiert wurden.
Aus der Schweiz liegt bisher eine Analyse der Stichprobe des „Modellversuchs zur Abklärung und Zielerreichung in stationären Maßnahmen“ vor. Gemäß dieser wurden 16% der Maßnahmen während des Beobachtungszeitraums von einem Jahr abgebrochen (Schmid et al. 2014). Weitere repräsentative Zahlen für die Schweiz sind noch unbekannt.
Methode der Auswertung
Die Daten für folgende Auswertungen stammen aus insgesamt 14 Institutionen aus der Schweiz, die seit 2012 im EQUALS-Tool ihre Austritte registriert haben. EQUALS ist ein Zusammenschluss von engagierten sozialpädagogischen Institutionen, die gemeinsam ein Tool zur (Verlaufs-)Dokumentation und institutionsinternen Qualitätssicherung nutzen und die dabei gewonnen Daten auch wissenschaftlichen Auswertungen zur Verfügung stellen.
Insgesamt enthält die Stichprobe 124 männliche und 258 weibliche Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 20 Jahren. Die Institutionen wurden drei Gruppen von Institutionstypen zugeordnet: Kinderheime (4 Institutionen), Jugendheime (8 Institutionen) und Durchgangs-/Beobachtungsstationen (DS/BEO, 2 Institutionen). In der Gruppe DS/BEO befinden sich nur junge Frauen.
Die Informationen zu den Austritten werden von den sozialpädagogischen Bezugspersonen erfasst. Dabei wird es bewusst diesen überlassen, welche Austritte sie als Abbruch empfinden und nicht als „reguläre Beendigung der Maßnahme“ einstufen würden. Dieser folgt eine weitere subjektive Einschätzung über die Prognose des weiteren Verlaufs. Ergänzend werden weitere Daten zum Austritt erhoben (Zeitpunkt, Gründe für Abbruch, anschließender Lebensort).
Ergebnisse
Über alle Einrichtungen hinweg endet jede dritte Maßnahme in einem Abbruch. In drei von vier Fällen stellen die sozialpädagogischen Bezugspersonen nach einem Abbruch eine schlechte Prognose (vs. 70% gute Prognosen bei den regulären Austritten).
Die Abbruchraten unterscheiden sich dabei zwischen den Institutionstypen: In den Kinderheimen sind es etwas über 30%, in den Jugendheimen 45%, in den DS/BEO wenig mehr als 25%. Zwischen den Geschlechtern gibt es keine Unterschiede in den Abbruchraten.
In den Kinderheimen lag die durchschnittliche Aufenthaltsdauer bei etwas mehr als zwei Jahren. Dabei gibt es keinen Unterschied, ob es zu einem regulären Ende oder zu einem Abbruch gekommen ist. In den Jugendheimen erfolgten die Abbrüche hingegen schon nach 6 Monaten, während die regulär ausgetretenen Jugendlichen mit durchschnittlich 11 Monate signifikant länger in den Institutionen geblieben waren. In den DS/BEO war die durchschnittliche Aufenthaltsdauer mit 2 Monaten rund ein Monat kürzer als bei einer regulären Beendigung.
Regelverstöße und mangelnde Kooperation der Familien
Als häufigste Gründe für die Abbrüche wurden Regelverstöße angegeben, gefolgt von einer permanenten Abwesenheit der KlientInnen. Bei jedem zehnten Abbruch wurde ein nicht mehr zu kontrollierender Suchtmittelkonsum als Grund benannt. In der Gruppe der Kinderheime allerdings wurde an erster Stelle und bei jedem dritten Abbruch eine fehlende Kooperation der Familie angegeben. Bei den Jugendlichen fiel auch fremdgefährdendes Verhalten unter die meistgenannten Gründe.
Bei mehr als der Hälfte erfolgte nach Abbruch eine Rückführung in die Familie. Bei etwa 15% fand ein Wechsel in ein weiterführendes sozialpädagogisches Setting statt. Genauso viele waren anschließend in der Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgenommen worden. Im Vergleich der Institutionstypen bleibt die „Option Familie“ in allen Gruppen an der ersten Stelle. Die Psychiatrie hingegen wird nur bei den Jugendlichen und bei den jungen Frauen aus der Durchgangs- und Beobachtungsstation als besonders häufige Anschlusslösung benannt. Zudem liegen in diesen beiden Gruppen Institutionen des Straffvollzugs auf dem dritten Platz.
Limitationen
Aufgrund der begrenzten Stichprobe haben die Ergebnisse keinen vollen Anspruch auf Repräsentativität. Daneben könnten sie aufgrund der subjektiven Bewertung eines Abbruchs verzerrt sein, wenngleich gemeinhin ein Konsens darüber besteht, dass Abbrüche ungeplant sind und meist mit einer Uneinigkeit im Helfer- und Herkunftssystem einhergehen. Zudem erfolgen die Meldungen der Austritte nicht automatisch, so dass Selektionseffekte, die zu einer Überschätzung der Abbrüche führen, nicht gänzlich auszuschließen sind: eventuell werden Abbrüche eher in EQUALS dokumentiert als reguläre Beendigungen. Andererseits spricht die Tatsache, dass die Ergebnisse eher unter denen von anderen Studien liegen, eher für eine hohe Repräsentativität der Stichprobe.
Diskussion & Ausblick
Über alle Einrichtungen hinweg zeigt sich, dass die regulären Austritte gegenüber den Abbrüchen im Verhältnis zwar überwiegen, aber eben leider auch gesagt werden muss, dass jede dritte Heimunterbringung in einem Abbruch endet. Im Vergleich von verschiedenen Institutionstypen ist die Abbruchrate in den Jugendheimen besonders hoch. Die wesentlich geringere Abbruchquote in den Beobachtungs- und Durchgangsstationen ist, neben der zeitlichen Begrenzung der Aufenthalts und der höheren Präsenz der Behörden im Platzierungsprozess, vermutlich auch auf den etwas höheren Personalschlüssel und ihre interdisziplinären Konzepte zurückzuführen.
Die Zahlen liegen zwar unter der aus Deutschland berichteten Abbruchrate und bewegen sich im internationalen Vergleich im unteren Mittelfeld, in Anbetracht der gravierenden Folgen von Abbrüchen dürfte es „ein einfach weiter so“ eigentlich nicht geben.
Man könnte einwenden, dass natürlich nicht jedes ungeplante Ende per se negativ sein muss. Dass nur bei jedem vierten Abbruch eine positive Prognose gewagt wird, spricht jedoch nicht dafür. Insgesamt erscheint die Relation an Abbrüchen problematisch, insbesondere auch, wenn in so vielen Fällen die Psychiatrie oder die Institutionen des Straffvollzugs der Heimunterbringung als nächste Aufenthaltsorte folgen.
In einem nächsten Schritt wäre es wichtig zu wissen, welche Faktoren zu den Abbrüchen führen und welche einen regulären Verlauf positiv beeinflussen. Auch hier finden sich noch wenige bekannte Studien, die einen systematischeren Einblick geben. Auf Grundlage von EQUALS ist es möglich, die Informationen zu den Austritten mit weiteren Daten zu den Kindern und Jugendlichen in Beziehung zu setzen. Diese Ergebnisse werden in dieser Rubrik in den nächsten Newslettern berichtet.
(https://www.integras.ch/de/aktuelles/357-abbrueche // Abruf: 16.08.2021, 23:00)
VII. Antinomie – Nähe und Distanz
Antinomien sind “widersprüchliche Anforderungen, in deren Spannung pädagogisches Handeln (…) hervorgebracht wird.” (Bentz, 2013, S.4). Dem zu Folge sind Antinomien Paradoxien, welches sich z.B. innerhalb einer pädagogischen Beziehung entwickeln können. Im Umgang mit Antinomien besteht die Möglichkeit, dass Konflikte auftauchen, da beide Anforderungen von hoher Bedeutung sind (z.B. Nähe und Distanz). Aus diesem Grund muss zwischen diesen Extrema eine Balance gefunden werden, anstatt sich auf ein Extremum zu beschränken (vgl. Bentz, 2013, S. 4). In diesem Kontext gestaltet es sich oftmals schwierig, das richtige Mittelmaß zu finden. In der Praxis der sozialen Arbeit, werden Fachkräfte oftmals mit Situationen konfrontiert, welche Verunsicherung innehaben, da es beispielsweise nur bedingt erkennbar ist, welche Folgen (sei es positive oder negative) ihr Handeln mit sich trägt. Es ist die Aufgabe der Fachkräfte, diesen Antinomien (Widersprüchen)mit einer professionellen Praxis zu begegnen (vgl. Lentzen, 2019, S.130). In der Praxis können diese vier Antinomien entstehen:
1. Die Antinomie von Freiheit und Zwang
2. Die Antinomie von Organisation und Interaktion
3. Die Antinomie von pädagogischen Einheitsentwürfen und kultureller Vielfalt
4. Die Antinomie von Nähe und Distanz
Die Handlungsantinomie: Nähe und Distanz
Die Begrifflichkeiten „Nähe“ und „Distanz“ stellen für Menschen im privaten Zusammenhang zwei Gegenpole dar, welche klar getrennt werden. Doch im Kontext der sozialen Arbeit gewinnen diese zwei Begriffe eine essenzielle Rolle im Hinblick auf professionelles Handeln. Es folgt zunächst eine Begriffsklärung über die Begrifflichkeiten „Nähe“ und „Distanz“ – im Anschluss folgt die Konsequenz, welche sich für Akteure der sozialen Arbeit ergibt, um professionell zu handeln.
In der Literatur (Nähe und Distanz – Ein Spannungsfeld pädagogischer Professionalität) stehen Begriffe wie „Liebe, Zuneigung, Bindung, Intimität und Schutz“ im Zusammenhang mit dem Paradigma „Nähe“. Nach Thiersch stellt der Alltag der Klienten und Akteuren die Nähe dar (Thiersch, 2019, S. 43). Innerhalb dieser Nähe wird zwischen weiteren Bereichen differenziert. Dazu gehören Raum, Zeit und soziale Beziehungsmuster. Im Kontext der Zeit wird „Nähe“ durch gemeinsames Erleben hergestellt (vgl. ebd.). Der Raum meint impliziert Erfahrungen und Einsicht in Lebensräume (vgl. ebd., S. 44). Soziale Beziehungsmuster bezieht sich hierbei auf die Rollenerwartung. Menschen befinden sich in mehreren Rollen (z.B. Mutter, Arbeitnehmerin, Tochter, Schwester uvm.). Innerhalb dieser Rollen wird Nähe unterschiedlich definiert, da sich manche Rollen näher an der Gefühlswelt hängen. (vgl. ebd.).
Nach Heiner (2010, S. 13) bedarf es für eine professionelle Nähe drei Variablen: Akzeptanz, Authentizität und Empathie. Akzeptanz beschreibt die bedingungslose Wertschätzung gegenüber den Klienten, sowie eine aufmerksame/feinfühlige Haltung. Unter dem Begriff Authentizität wird der transparente Umgang mit seinen eigenen Gefühlen verstanden. Aufmerksames/Feinfühliges Verhalten eröffnet Akteuren die Möglichkeit sich in Klienten hineinzuversetzen, um ihre Gefühlswelt zu verstehen (vgl. ebd.). Nähe ist in einer professionellen Beziehung zwischen Akteur und Klient wesentlich, um eine Basis zu schaffen, um miteinander arbeiten zu können. Den Gegenpool zur Nähe bildet die „Distanz“. Dieser wird in der Literatur (Nähe und Distanz – Ein Spannungsfeld pädagogischer Professionalität) als „Freiraum“, „Neutralität“ und „Sachlichkeit“ beschrieben. Akteure der sozialen Arbeit werden in jeglichen Kontexten mit hochemotionalen Konflikten konfrontiert. Eine Distanznahme ermöglicht in solchen Situationen weiterhin rational zu handeln und bedacht zu agieren (vgl. Dörr & Müller, 2019, S. 15). „… eine Distanz vom unmittelbaren Druck des Bedrohlichen zu gewinnen, dieses zu begreifen und darüber konstruktiv zu arbeiten.“ (Dörr & Müller, 2019, S.15). Heiner sieht eine professionelle Distanz in der Differenzierung zwischen persönlichen und beruflichen Beziehungen. Die berufliche Beziehung zwischen dem/der Akteur*in und Klient*in ist durch Zielsetzungen, sowie Aufgaben geprägt, dadurch ist diese Beziehung des Inhaltes und Umfang begrenzter als eine private Beziehung. Auch wenn diese Differenzierung für den/die Akteur*in sich als schwierig darstellt, ist dies notwendig, um die eigene Emotionale Stabilität zu gewährleisten und einen Raum für Reflexion zu erhalten. (vgl. Heiner, 2010, S. 129)
VII. Interview XY
1 – I: Magst du mir erzählen, wie es Dir geht?
2 – B: Nicht so gut.
3 – I: Kannst du auch sagen warum?
4 – B: Wegen KH und wegen meinem Benehmen. #00:12
5 – I: Gibt es noch sonst noch etwas? #00:14
6 – B: Ich vermisse meine Mutti. #00:17
7 – I: Okay, also du darfst gerade die Mutti nicht sehen wegen KH und deinem Benehmen? #00:19
8 – B: Ja! #00:27
9 – I: Kannst du mir erzählen, seit wann du in einer Einrichtung lebst? #00:30
10 – B: Seitdem ich neun bin. #00:35
11 – I: Ah okay, also schon eine Weile. #00:38
12 – B: Also mit neun Jahren war ich dann in einer Einrichtung. #00:40
13 – I: Du hast die kommende Frage nun beantwortet. Also weißt du, weshalb du in einer Einrichtung wohnst? #00:45
14 – B: Ja, wegen meinem Benehmen und dem Täter. #00:49
15 – I: Magst du ein wenig über den Täter und dein Benehmen sprechen? #00:53
16 – B: Über mein Benehmen nur. #01:00
17 – I: Was ist den so an deinem Benehmen? #01:02
18 – B: Weil ich immer austicke und Tabletten nehme. #01:04
19 – I: Was passiert den so, wenn du austickst? #01:12
20 – B: Da ärger ich Mama manchmal und andere Leute. #01:14
21 – I: Weißt du auch, wie du die Menschen um dich ärgerst? 01:20
22 – B: Ich beleidige manchmal, aber nicht immer und ärgere alle.01:23
23 – I: Also du beleidigst welche, was passiert noch so? #01:31
24 - B: Ich tickere dann aus und werde übelst laut 01:34
25 - I: Ah okay, seit wann lebst du nun bei uns in der Wohngruppe? #01:41
26 - B: Wie lange jetzt schon? #01:44
27 - I: Ja, genau. #01:47
28 - B: Äh 6 Wochen, sogar über 6 Wochen schon. #01:50
29 - I: Du lebst sogar ein bisschen länger bei uns. Schon 2 Monate. Wie findest du das Leben bei uns? #01:55
30 - B: Ich finde es eigentlich ganz schön. #02:04
31 - I: Kannst du auch sagen, warum du es schön findest? 02:07
32 - B: Weil ich ein schönes Zimmer habe und einen Haufen Freunde gefunden habe. #02:10
33 – I: Das ist aber schön! #02:13
34 - B: Sogar in der Schule. # 02:15
35 - I: Ah okay. Kannst du das Haus in drei Worten beschreiben? Also was für Wörter schießen Dir in den Kopf? #02:17
36 - B: Ganz komische. #02:27
37 - I: Was für Komische zum Beispiel? #02:29
39 - B: Warum ich hergekommen bin und alles. #02:30
41 - I: Aber hast du auch hier Gedanken, wie zum Beispiel "Sicherheit"? Also fühlst du dich sicher In der Wohngruppe? #02:33
45 - B: Ja, sogar sicherer als zuhause, aber da fühle ich mich auch ein bisschen sicher. #02:42
46 - I: Hast du noch andere Gedanken, welche du mit der Einrichtung verbindest? Also wenn Du das Leben in drei Worten beschreiben müsstest, wie würdest du das Haus beschreiben? #02:49
47 - B: Mein Leben ist hier in Ordnung, genau wie Zuhause. #02:59
48 - I: Alles klar. Passieren hier weniger Ausraster, wie zuhause oder mehr? #03:03
49 - B: Weniger als zuhause. #03:09
50 - I: Weniger also. #03:12
52 - B: Seitdem ich nicht mehr zuhause wohne, ticke ich nicht mehr so oft aus. Auch wenn ich nachhause zu Besuch gehe, dann ticke ich auch mehr so oft aus. #03:14
53 - I: Weißt Du auch, woran das liegt, dass du nicht mehr so oft austickst? #03:22
54 - B: Weil ich hier sicher bin vor dem Täter, weil ich den nicht mehr sehe. Da bin ich froh! #03:25
55 - I: Wenn ich Dich fragen darf, hat das vielleicht auch etwas damit zu tun, wie wir Pädagogen*innen mit Dir umgehen? Also das wir über Dinge sprechen zum Beispiel #03:33
56 - B: Es liegt auch daran. Ich rede auch manchmal mit meiner Mama darüber, also zuhause. #03:43
57 - I: Über was sprichst du mit ihr. #03:49
58 - B: Auch über den Täter und so. #03:51
59 - I: Okay. Das hört sich doch ganz gut an, oder? #03:57
60 - B: Ja. #04:00
61 - I: Schaum mal, die nächste Frage, die ich so hätte, wie sieht ein Alltag für dich aus, welcher richtig gut ist. Also ein gelingender Alltag #04:02
62 - B: Das ich mich freue. Und ich freue mich schon auf morgen, weil ich da Geburtstag habe. #04:10
63 - I: Was muss passieren, dass Dein Tag schön ist. Also es muss doch etwas geben, dass Du dir am Abend denkst "das war jetzt ein toller Tag" 04:22
64 - B: Das ich nicht viel geärgert werde, und mein Tag ist vor allem blöd, wenn ich viel geärgert werde (nennt anschließend Namen von Jugendlichen aus der Wohngruppe und Schule). #04:29
65 - I: Das muss aufhören, damit du dich geborgener fühlst? #05:00
66 - B: Ja. #05:05
67 - I: Gibt es sonst noch etwas, damit der Tag schöner ist. #05:07
68 - B: Nein #05:09
69 - I: Einfach nur nicht geärgert werden? #05:11
70 – B: Ja genau. #05:12
71 – I: Ansonsten bist du wirklich mit allem zufrieden? #05:14
72 – B: Ja schon. #05:16
73 - I: Oder kann es eventuell noch etwas geben worauf du dich richtig freust am Tag, wie zum Beispiel: PC-Zeit, TV-Zeit oder Anton. #05:18
74 – B: TV-Zeit und auch die PC-Zeit gefällt mir. Aber auch die Zeit mit euch. #05:25
75 – I: Schön. Das freut mich zu hören. #05:31
76 – B: Also, wenn ich mit euch reden kann. #05:31
77 – I: Kannst du gut mit uns reden? #05:35
78 – B: Ja. #05:37
79 – I: Kannst du dich uns auch anvertrauen, also mit uns über Dinge sprechen, welche Dich belasten. #05:40
80 – B: Ja, das kann ich. #05:46
81 – I: Schau mal: Wo wir gerade bei dem Thema Belastung sind, wie gehst Du damit um, wenn dich etwas belastet? Also wenn dich zum Beispiel etwas aufwühlt, wie zum Beispiel das mit dem Täter. Wie reagierst du da? #05:49
83 – B: Da bin ich traurig. Da werde ich auch manchmal wütend. #06:00
84 – I: Was passiert dann, wenn du traurig oder wütend bist? #06:05
85 – B: Ich haue dann in mein Kissen oder ich gehe zu Mama und sage ihr, dass ich traurig bin. #06:10
86 – I: Passieren auch mal andere Sachen, wenn du traurig oder wütend bist? #06:15
87 – B: Wenn ich früher wütend war, dann ist auch mal etwas kaputt gegangen. Aber alles wieder in Ordnung. #06:19
88 – I: Sind auch mal hier im Haus kaputt gegangen, als du wütend warst? #06:24
89 – B: Ja, aber nur der Bodenwischer. #06:29
90 – I: Der Bodenwischer also. Überleg mal, ob noch ein paar Dinge kaputt gegangen sind. Also Dinge in deinem Zimmer. 06:32
91 – B: Oh und die Wand. Aber ich habe auch eine Steckdose rausgerissen, das müssen wir der Trägerin sagen. Die kann ich nämlich, wenn ich will, ganz rausziehen. #06:37
92 – I: Wir werden uns sofort um die Steckdose kümmern, aber wir kommen gerade etwas von den Fragen ab XY. Ich würde dich gerne fragen noch etwas fragen. Hast du das Gefühl, wenn du wütend oder traurig bist, dass wir Pädagogen*innen dich auffangen können mit deinen Gefühlen? #06:47
93 – B: Ja schon. Das weiß ich. #07:01
94 – I: Wie fühlst du dich dann, wenn das gelingt? #07:05
95 – B: Ich fühle mich dann besser. #07:10
96 – I: Also hast du schon das Gefühl, dass wir Dir helfen können, sobald dich etwas belastet? #07:18
97 – B: Ja, mehr als genug. #07:22
98 – I: Das freut mich sehr! Ich hätte noch eine Frage: Hättest du eine Idee, wie die Pädagogen*innen dich unterstützen könnten, wenn dich etwas belastet. Stell Dir mal vor, du wurdest in der Schule richtig geärgert. Das belastete dich und die Pädagogen merken, dass es dir nicht gut geht. Wie können wir Dir dabei helfen? #07:25
99 – B: Mich auf mein Zimmer schicken und dann in mein Kissen reinhauen. #07:49
100 – I: Hast du auch noch andere Ideen? #07:55
101 – B: Oder ihr haltet mich fest, wenn ich austickere. #07:59
102 – I: Aber du gibt es bestimmt noch andere Dinge, außer aufs Zimmer schicken und festhalten, oder? #08:02
103 – B: Eigentlich nur das. #08:08
104 – I: Alles klar. Vielen Dank für deine Zeit XY. Wie geht es dir jetzt abschließend? #08:13
105 – B: Eigentlich ganz gut, außer dass ich Mama nicht sehen kann. #08:19
106 – I: Okay, darüber reden wir gleich auf deinem Zimmer in aller Ruhe. #08:22
IX. Interview L.
1 – I: Hi L.! Die erste Frage, welche ich an dich hätte, wäre es wie es Dir geht. #00:06
2 - B: Also mir geht es gerade gut. Also ich fühle mich auch gerade gut! Eigentlich gut. #00:15
3 – I: Kannst du auch sagen, warum du dich gut fühlst? #00:17
4 – B: Ich fühle mich gerade gut, weil wir gerade draußen waren und gespielt haben. #00:26
5 – I: Die nächste Frage, welche ich an dich hätte, wann du das erste Mal in einer Einrichtung gelebt hast. Also wann hat das alles angefangen? #00:38
6 – B: Also es hat angefangen, als der Freund von meiner Mama mit ihr Stress hatte. Dann bin ich in eine Wohngruppe gezogen und bin dann immer wieder gezogen. Seit 2020 bin ich dann bei euch. #00:56
7 – I: Ah okay. Weißt du auch, warum du in einer Einrichtung lebst? #01:01
8 – B: Weil meine Mama nicht so ganz mit mir klarkommt. #01:07
9 – I: Ist da eventuell noch etwas mehr passiert, worüber du sprechen magst? #01:10
10 – B: Bei meiner Mama ist eigentlich nichts mehr passiert. #01:14
11 – I: Gibt es andere Personen, über die du sprechen magst? #01:17
12 – B: In der alten Wohngruppe konnten die mich nicht so gut kontrollieren. Meine Oma konnte das auch nicht, aber auch die zwei Pflegefamilien. Deswegen konnte ich überall nicht länger bleiben. #01:28
13 – I: Ist also in der Vergangenheit nicht passiert, dass man dich nicht kontrollieren konnte? #01:32
14 – B: Nö! Eigentlich nicht. # #01:34
15 – I: Gibt es in der Vergangenheit also keine Momente, welche dich belastet haben? #01:37
16 – B: Doch da gibt es etwas. Mir wurden die oberen und unteren Zähne ausgeschlagen #01.41
17 – I: Wirklich? Von wem den, wenn ich fragen darf? #01:43
18 – B: Das war der Freund von meiner Mama. Die beiden hatten Stress also bin ich dazwischen gegangen, weil ich sie beschützen wollte. Dann ist das halt passiert. #01:52
19 – I: Kommst du mit dieser Erinnerung gut klar, oder belastet dich das manchmal? #02:02
20 – B: Was heißt belastet? #02:05
21 – I: Wenn dich etwas belastet, dann wirst du zum Beispiel wütend oder traurig. Kommen solche Gefühle, wenn du daran denkst? # 02:12
22 – B: Dann belastet mich das schon. Oft muss ich daran denken, wenn ich Mama vermisse oder alleine bin. #02:17
23 – I: Okay, in solchen Situationen darfst du gerne zu uns kommen. Dafür sind wir hier bei dir. #02:20
24 – B: Ich weiß, dass mache ich ja auch, aber manchmal möchte ich für mich alleine sein. #02:24
25 – I: Also mein Angebot steht. Ich hätte jetzt mal eine andere Frage. Seit wann lebst du bei uns in der Gruppe? #02:26
26 – B: Also ich lebe seit Mitte Dezember hier. #02:30
27 – I: Also auch schon eine Weile. Kannst du die Wohngruppe auch in drei Begriffen beschreiben? Welche Wörter fallen dir ein, wenn du an unsere Wohngruppe denkst? #02:36
28 – B: Was für Begriffe meinst du? #02:40
29 – I: Stell dir mal die Wohngruppe in deinem Kopf vor. Was für Gedanken bekommst du? 02:46
30 – B: Das es so ähnlich ist wie in meiner alten Wohngruppe. #02:49
31 – I: Und wie ist das? #02:51
32 – B: Man darf hier auch bis 19:30 TV schauen und der Woche und am Wochenende darf man länger schauen. Aber das auch nur, wenn man sich gut benimmt. #02:57
33 – I: Gibt es auch Gefühle oder Gedanken, welche du mich dem Haus verbindest, wie: Spaß, Stress oder Sicherheit. #03:08
34 – B: Nö eigentlich nicht. Wobei eigentlich doch. Spaß habe ich hier, aber nur manchmal. #03:16
35 – I: Fühlst du dich hier im Haus sicher, oder eher weniger? #03:19
36 – B: Also ich fühle mich schon sicher, weil ich hier essen bekomme. Ich bekomme Essen, wenn ich möchte, aber ihr passt auch auf, dass ich nicht zu viel esse, weil ich sonst Bauchschmerzen bekomme. In der alten Wohngruppe war das nicht immer so. Da habe ich manchmal nichts bekommen. #03:30
37 – I: Gibt es noch etwas anderen, oder liegt es nur daran, dass du etwas zu essen bekommst? #03:34
38 – B: Es liegt nur am Essen. #03:37
39 – I: Ich hätte noch eine Frage: Wie sieht für dich ein Alltag aus, welcher richtig gut ist. Also ein gelingender Alltag. 03:43
40 – B: Was ist ein Alltag? 03:45
41 – I: Der Alltag ist das alltägliche Leben. Der Alltag ist, wenn du von der Schule kommst, danach zu Mittag isst, danach deine Hausaufgaben machst und wir anschließend etwas machen, bis du schlafen gehst. 03:52
42 – B: Ah okay. #03:55
43 – I: Also was muss passieren, sodass der Alltag richtig gut ist? #04:00
44 – B: Also, wenn ich von der Schule komme, ist ein richtig guter Tag, dass ich am PC spielen darf und wir danach zusammen essen. #04:10
45 – I: Das muss quasi passieren, dass dein Tag richtig schön ist? #04:17
46 – B: Ja genau! #04:19
47 – I: Das hängt natürlich auch von deinem Benehmen ab, ob du am PC spielen darfst. Aber das weißt du ja. #04:23
48 – B: Ich weiß. #04:25
49 – I: Gibt es da noch andere Sache, oder nicht mehr? 04:28
50 – B: Das wars. #04:30
51 – I: Wir hatten ja eben über das Thema Belastung gesprochen. Also du denkst an etwas, was dich traurig macht. Wie gehst du damit um, wenn das passiert? #04:39
52 – B: Dann werde ich wütend oder so. #04:42
53 – I: Was passiert dann, wenn du wütend wirst? # 04:45
54 – B: Dann mache ich Sachen kaputt. #04:48
55 – I: Passieren da noch andere Dinge? #04:52
56 – B: Nö eigentlich nicht. Ich mache immer nur Sachen kaputt. #04:57
57 – I: Passiert es nicht auch, dass du andere beleidigst und die Pädagogen anschreist. #05:05
58 – B: Ja, schon. #05:07
59 – I: Ist auch schonmal vorgekommen, dass du dir selber weh getan hast? #05:10
60 – B: Nein. #05.12
61 – I: Okay. #05.13
62 – B: Doch manchmal. Ich habe hier ne Narbe und da eine Narbe. Auch an meinem Arm habe ich eine Narbe. #05:23
63 – I: Magst du mir erzählen, wie das passiert ist? #05:26
64 – B: Also das wir nicht ganz so hoch, deswegen bin ich mit Absicht aus dem Fenster gesprungen. #05:32
65 – I: Okay. Das ist in der alten Wohngruppe passiert, oder? #05:37
66 – B: Ja. #05:39
67 – I: Okay. #05:40
68 – B: Warum sollte ich hier aus dem Fenster springen? #05:50
69 – I: Stimmt. Das ist viel zu hoch, oder. #05:53
70 – B: Auf jeden Fall. #05:55
71 – I: Denkst du, man würde überleben, wenn man hier rauspringt? Nicht aus dieser Höhe, oder? #05:08
72 – B: Ich glaube nicht. #06:01
73 – I: In welchen Stock leben wir eigentlich? #06:03
74 – B: Im sechsten Stock, oder so? #06:06
75 – I: Ne, ich glaube das ist der dritte Stock. #06:09
76 – B: Echt? Und so hoch? #06:11
77 – I: Ja, wir sind hier gerade im Erdgeschoss. Also bei den Büroräumen und dem großen Raum für die Besprechungen. 06:15
78 – B: Ich will mal kurz ans Fenster schauen, wie hoch es von hier bis zum Boden ist. #06:19
79 – I: Schau ruhig. #06:21
80 – B: Also aus so einer Höhe bin ungefähr rausgesprungen. #06:27
81 – I: Echt okay. Ein Glück ist nicht schlimmeres passiert, außer die Wunden. L., die letzte Frage welche ich an dich hätte. Hast du eine Idee, wie die Pädagogen dich besser unterstützen können, wenn dich etwas belastet? Also was können wir machen, dass du keine Sachen kaputt machst, dir selber weh tust und nicht laut schreist. Darüber kannst du gerne etwas länger überlegen. #06:52
82 – B: Wie was? Wie war nochmal die Frage? #06:55
83 – I: Ob du eine Idee hast, wie wir dir helfen können, wenn du wütend oder traurig bist. 06:59
84 – B: Ja. Das ich mit euch reden kann. 07:01
85 – I: Hast du das Gefühl, dass du gut mit uns reden kannst? 07:06
86 – B: Ja. #07:08
87 – I: Gibt es da auch Personen, mit denen du über manche Dinge besser sprechen kannst? #07:11
88 – B: Ja, mit euch Betreuern und dem Jugendamt. #07:15
89 – I: Aber eine explizite eine Person aus unserem Team, mit dem du gut reden kannst? #07:19
90 – B: Nö, eigentlich nicht. 07:21
91 – I: Das ist aber schön, dass du mit allen immer gut reden kannst. #07:25
92 – B: Ja, finde ich auch. #07:26
93 – I: Hättest du noch irgendwelche Fragen an mich L.? #07:30
94 – B: Äh nö. #07:31
95 – I: Dann bedanke ich mich vielmals für das Interview und würde sagen wir beide gehen wieder hoch, oder? 07:34
96 – B: Ja. #07:35
X. Interview P.
1 – I: Hi P.. Die erste Frage, welche ich hätte, wäre wie es dir gerade geht. #00:04
2 – B: Mir geht gerade gut. #00:06
3 – I: Kannst du auch begründen warum? #00:08
4 – B: Weil ich hier einen guten Aufenthalt habe und meine Rechte hier habe. #00:22
5 – I: Werden deine Rechte hier gewahrt, im Gegensatz zu vorherigen Einrichtungen? #00:27
6 – B: Ja. #00:29
7 – I: Magst du mal erzählen, was in anderen Einrichtungen passiert ist mit deinen Rechten? #00:33
8 – B: Die wurden manchmal nicht so angenommen und weitergegeben. #00:37
9 – I: Zum Beispiel? #00:39
10 – B: Mein Recht rauszugehen wurde mir manchmal verwehrt. #00:45
11 – I: Okay und wird hier im Haus eingehalten? 00:49
12 – B: Ja. #00:51
13 – I: Seit wann lebst du eigentlich in einer Einrichtung. Also wann hat das alles angefangen? #00:58
14 – B: Mit meinem zehnten Lebensjahr. #01:00
15 – I: Okay, also schon eine Weile. Weißt du auch, weshalb du in einer Einrichtung lebst? 01:06
16 – B: Ich hatte mit meiner Mutti viel Streit und bin mit meinem Geschwistern nicht so gut ausgekommen. #01:12
17 – I: Okay. Hat sich das inzwischen gebessert oder ist immer noch schwierig? #01:15
18 – B: Doch es hat sich schon gebessert. #01:17
19 – I: Magst du mir auch erzählen, was vorgefallen ist? Natürlich nur wenn du möchtest. #01:22
20 – B: Nö, will ich nicht. #01:23
21 – I: Okay, das ist kein Problem. Gab es eigentlich vor der stationären Unterbringungen noch andere Hilfsmaßnahmen? Wie zum Beispiel der Familienhilfe. 01:29
22 – B: Als ich acht Jahre alt war, hatten wir eine Familienhilfe. #01:33
23 – I: Ich habe ganz vergessen, wie viele Geschwister du hast. Wie viele sind es eigentlich nochmal? ‚01:37
24 – B: Ich habe noch vier andere. #01:42
25 – I: Ah okay. Das heißt ihr seid eine richtig große Familie. #01:45
26 – B: Ja schon. #01:47
27 – I: Wir haben ja jetzt etwas über dein Zuhause gesprochen. Das Haus ist nun dein Zuhause. Welche dir für Begrifflichkeiten/Gefühle fallen dir ein, wenn du an uns denkst? 01:58
28 – B: Wie jetzt? #02:03
29 – I: Stell dir vor, du denkst an die Wohngruppe. Was schießen für Wörter in den Kopf? #02:07
30 – B: Wohngemeinschaft mit vielen Kindern und Rechte. 02:13
31 – I: Okay. Fallen dir noch andere Dinge ein? Es können auch negative Dinge sein. #02:19
32 – B: Ne; eigentlich nicht. #02:21
33 – I: Gibt es dafür positive Dinge? Also fühlst du dich hier geborgen, sicher, angenommen? #02:24
34 – B: Ich fühle mich schon sicher und angenommen. #02:27
35 – I: Noch andere Sachen. Du kannst ruhig überlegen und dir Zeit lassen. #02:30
36 – B: Ne, sonst eigentlich nichts. #02:38
37 – I: Okay. Wie sieht den ein Alltag für dich aus, welche richtig gut ist. Also ein gelingender Alltag. Stell dir vor, du liegst abends in deinem Bett und denkst dir: „Das hat mir richtig gefallen. Das hat mir Spaß gemacht!“ #02:54
38 – B: Soll ich jetzt erzählen, wie so ein Alltag aussehen würde? #02:57
39 – I: Ja genau. Erzähl ruhig mal. #02:59
40 – B: Also ich würde früh aufstehen, danach in die Schule gehen. Danach Nachhause laufen, mein Zimmer aufräumen und danach Essen, danach Mittagsruhe und danach irgendwas Unternehmen, Fußball spielen oder so. Abends dann halt TV schauen oder am PC zocken. Danach halt ins Bett #03:18
41 – I: So, ich hätte da noch eine Frage P.. Wie gehst du damit um, wenn dich etwas belastete. Wir hatten letzte Woche die Situation mit deinem Handy. Wie reagierst du dann? #03:34
42 – B: Aggressiv. #03:36
43 – I: Kannst du erklären was passiert, wenn du aggressiv wirst? #03:40
44 – B: Ne nicht ganz. #03:44
45 – I: Richtest du deine Gewalt eher gegen andere oder gegen dich? #03:50
46 – B: Nein, gegen Gegenstände. #03:55
47 – I: Was passiert dann mit den Gegenständen, wenn du erzählen magst. #03:59
48 – B: Die gehen dann halt kaputt. #04:02
49 – I: ist das in deinem Elternhaus auch passiert, dass Sachen kaputt gegangen sind? #04:06
50 – B: Ja. #04:07
51 – I: Magst du erzählen was in der Wohngruppe kaputt gegangen ist? #04:12
52 – B: Schränke, der Nachtschrank, mein Bett, Lichtschalter und Sachen im Badezimmer. #04:22
53 – I: Denkst du es würde Alternativen geben, um mit deinen Gefühlen besser umzugehen? #04:31
54 – B: Ja, schon. 04:33
55 – I: Hättest du einen Vorschlag? #04:35
56 – B: Ich weiß es nicht. #04:38
57 – I: Denkst du das wäre ein Punkt, an dem man arbeiten sollte? #04:44
58 – B: Ja, schon. #04:46
59 – I: Hast du daran auch mal in der ehemaligen Einrichtung gearbeitet. #04:50
60 – B: Ja. #04:51
61 – I: Und was ist dabei rausgekommen? #04:52
62 – B: Nicht viel. #04:53
63 – I: Oh okay. P. darüber hatten wir eben darüber in Küche gesprochen. Da ist etwas an deinem Arm und deiner Hand. Da hast du deine Wut gegen dich selber gerichtet. Kommt so etwas häufiger vor? #05:17
64 – B: Nein. #05:23
65 – I: Wenn ich fragen darf, weißt du wieso du das gemacht hast? #05:29
66 – B: Ja. #05:30
67 – I: Und warum, wenn du es erzählen magst? #05:31
68 – B: Darüber möchte ich nicht sprechen. #05:33
69 – I: Magst du eventuell mit einer anderen Person darüber sprechen, oder lieber nicht? #05:42
70 – B: Nein. #05:43
71 – I: Alles klar. Das respektieren wir natürlich. Wir haben eben über Rechte gesprochen, deswegen ist es dein gutes Recht darüber nicht sprechen zu wollen. Trotzdem sollst du wissen, dass du auf uns zukommen kannst, wenn du reden magst. Ich hätte noch eine Frage, welche ich dir gerne stellen würde. Hast du eine Idee, wie die Pädagogen dich besser unterstützen können, wenn dich etwas belastet. #05:59
72 – B: Nein. #06:01
73 – I: Okay. Also fällt dir keine Idee ein? #06:07
74 – B: Nein. Alles soll so bleiben. Eigentlich ist alles gut. #06:13
75 – I: Alles klar P.. Vielen Dank für das Interview. Wie geht es dir jetzt? 06:20
76 – B: Gut. #06:22
77 – I: Ist nichts hochgeköchelt? 06:24
78 – B: Nein. #06:26
79 – I: Alles klar. Dann würde ich vorschlagen wir beide gehen wieder auf die Wohngruppe. #06:29
[...]
1 „Oxytocin wird teilweise als Bindungshormon bezeichnet, es spielt auch bei Sexualität, Schwangerschaft und Stillvorgängen, sowie sozialem Lernen eine Rolle.“ (Baierl und Frey, 2016, S. 29)
2 Der Parasympathikus ist Teil des vegetativen Nervensystems, der besonders die für Aufbau und Regeneration des Gewebes notwendigen Körperfunktionen steuert und dabei besonders die Funktionen des Körpers in Ruhe fördert.
3 Im Zustand einer Dissoziation bewegen sich die Betroffenen kaum oder gar nicht mehr. Sie sprechen fast nicht, sind völlig inaktiv, reagieren nicht mehr, essen und trinken nicht.
4 Aufnehmen, verinnerlichen, wahrnehmen
5 Wenn Leser*innen mehr über das Thema der „Salutogenese“ nutzen Sie folgenden Link: https://leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/salutogenese/
6 Beschreibt ein Gefühl der Zuversicht
7 Marc erfuhr durch Karl-Heinz einen sexuellen Missbrauch
8 Es bezeichnet psychische Vorgänge, die dazu dienen, innerseelische oder zwischenmenschliche Konflikte auf eine Weise zu regulieren, die der seelischen Verfassung einer Person Entlastung verschafft
9 Die Abwehrmechanismen sind im Anhang detaillierter dargestellt (Anhang V, S. 38)
10 In den Übergabeberichten der ehemaligen Einrichtung wird von einem Suizidversuch ausgegangen. L. war zu diesem Zeitpunkt sechs Jahre alt.
11 Die Studie befindet sich im Anhang (Anhang VI, S.39 – S. 43)
12 Der Autor möchte an dieser Stelle anmerken, dass Pädagogen*innen in diesem Kontext mit der „Distanz- und Nähe“ Problematik konfrontiert werden. Nähere Infos zu diesem Thema befinden sich im Anhang (Anhang VII, S. 44 – S. 45)
13 Feinfühligkeit beschreibt die angemessene und prompte Befriedigung der Bedürfnisse wie: Nähe oder Hungergefühl.
- Quote paper
- Anonymous,, 2021, Stationäre Kinder- und Jugendhilfe und Bindungsabbruch. Eine Studie zum Umgang mit bindungstraumatisierten Kindern und Jugendlichen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1182798
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