Aus der Schulzeit sind aus eigener Erfahrung sehr fertigkeitsorientierte Vermittlungskonzepte im Sportunterricht in Erinnerung geblieben. Beim Kugelstoßen beispielsweise gab der Lehrer eine idealisierte Zieltechnik vor und diese galt es dann in exakt der gleichen Form zu kopieren und zu perfektionieren. Es wurde weder auf den Sinn der gewählten Technik eingegangen noch auf die individuellen Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler. Aber auch bei den größeren Sportspielen wie Fußball, Basketball, Handball und im Rahmen des Turnens in der Schule, wurden immer wieder vorgefertigte Übungsreihen als Vorgabe gegeben, die es dann bestmöglich zu adaptieren galt. Ob dieses technologische Grundverständnis heute immer noch gang und gäbe ist, oder ob es mittlerweile andere, eventuell bessere, funktionalere und schülerorientierte Vermittlungskonzepte gibt, Schülerinnen und Schülern einen sportiven Gegenstand zu lehren, das soll Hauptteil dieses Projektberichts sein. Dazu sollen zunächst einmal die Seminarerkenntnisse grundlegend zusammengefasst und miteinander verknüpft werden. Ziel ist es, die unterschiedlichen Vermittlungsperspektiven des Lehrens und Lernens aufzuzeigen und diese im Anschluss miteinander zu vergleichen. Anschließend soll im Rahmen einer Gegenstandanalyse am Beispiel des Kugelstoßens das Vermittlungskonzept des genetischen Lehrens und Lernens verdeutlicht werden, indem die natürlichen und kulturellen Bedingungen der Lernenden berücksichtigt werden.
Inhaltsverzeichnis
I Abbildungsverzeichnis
II Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Bewegungslernen
2.1 Bewegungslernen 1: Überblick und Vertiefung von Modelltheorien
2.2 Bewegungslernen 2: Transferannahmen & die Rolle von Effekten
3 Bewegungslehren
3.1 Lehren I: Unterschied zwischen Lernen & Lehren
3.2 Lehren II: Strukturieren von Lernprozessen
3.3 Gegenstandsanalyse: Minitrampspringen
4 Gegenstandsanalyse zum Kugelstoßen
4.1 Biomechanik des Kugelstoßens
4.2 Kugelstoßtechniken
4.3 Konstitutionelle Merkmale des Stoßens
4.4 Beschreibung von Funktion und Struktur der Bewegung
4.5 Einordnung in das Bewegungsfeld
4.6 Angestrebte Lernziele/Kompetenzziele
4.7 Methodisch-didaktische Entscheidungen
4.8 Exemplarische Unterrichtsstunde mit dem Thema Kugelstoßen
5 Fazit
I Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Systematisierung der Modelltheorien
Abbildung 2: Wettkampfkugel für das Kugelstoßen
Abbildung 3: Stoßkreis Kugelstoßen
Abbildung 4: Ausgangsstellung beim Kugelstoßen (Rückenstoßtechnik)
Abbildung 5: Angleiten Rückwärts
[Die Abbildungen 2-5 sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht im Lieferumfang enthalten.]
II Abkürzungsverzeichnis
AVK = Modell der antizipativen Verhaltenskontrolle DS = Dynamische Systemtheorie E = tatsächliches Bewegungsergebnis E* = gewünschter Zielzustand
GMP = Motorische Programmtheorie IM = Modell der Ideomotorik KSP = Körperschwerpunkt R = Aktion
S = Situation
TEC = Theorie der Ereigniscodierung TIM = Theorie der Internen Modelle
1 Einleitung
Aus der Schulzeit sind aus eigener Erfahrung sehr fertigkeitsorientierte Vermittlungskonzepte im Sportunterricht in Erinnerung geblieben. Beim Kugelstoßen beispielsweise gab der Lehrer eine idealisierte Zieltechnik vor und diese galt es dann in exakt der gleichen Form zu kopieren und zu perfektionieren. Es wurde weder auf den Sinn der gewählten Technik eingegangen noch auf die individuellen Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler. Aber auch bei den größeren Sportspielen wie Fußball, Basketball, Handball und im Rahmen des Turnens in der Schule, wurden immer wieder vorgefertigte Übungsreihen als Vorgabe gegeben, die es dann bestmöglich zu adaptieren galt. Ob dieses technologische Grundverständnis heute immer noch gang und gäbe ist, oder ob es mittlerweile andere, eventuell bessere, funktionalere und schülerorientierte Vermittlungskonzepte gibt, Schülerinnen und Schülern einen sportiven Gegenstand zu lehren, das soll Hauptteil dieses Projektberichts sein. Dazu sollen zunächst einmal die Seminarerkenntnisse grundlegend zusammengefasst und miteinander verknüpft werden. Ziel ist es, die unterschiedlichen Vermittlungsperspektiven des Lehrens und Lernens aufzuzeigen und diese im Anschluss miteinander zu vergleichen. Anschließend soll im Rahmen einer Gegenstandanalyse am Beispiel des Kugelstoßens das Vermittlungskonzept des genetischen Lehrens und Lernens verdeutlicht werden, indem die natürlichen und kulturellen Bedingungen der Lernenden berücksichtigt werden.
2 Bewegungslernen
Das Lernen einer neuen Bewegung ist äußerst komplex und vollzieht sich meist auf mehreren Ebenen. Aus der Schulzeit kennt man es noch zu gut, der Lehrer oder ein geübter Schüler macht eine Zielbewegung vor und alle anderen Schülerinnen und Schüler sollen diese Bewegungsaufgabe nachmachen. Doch funktioniert Bewegungslernen wirklich durch Nachahmung? Ist es der effektivste und effizienteste Weg, um eine noch unbekannte sportliche Bewegung zu lernen, oder gibt es Methoden, die eventuell zielführender sind und mit denen es in kürzerer Zeit gelingt eine noch unbekannte Bewegung zu lernen? Im Seminar wurden dazu unterschiedliche Erfahrungen gemacht, die sich jedoch auch in einigen Punkten miteinander gedeckt haben. Zunächst einmal wurde ganz generell das Bewegungslernen als etwas abstraktes aufgefasst, das nicht so einfach zu greifen ist. Als mögliche Lösungen für das Bewegungslernen wurde zum einen das Finden eines möglichen Bewegungszieles ausgemacht und zum anderen die These aufgestellt, dass durch mehrmaliges Wiederholen einer Bewegung und der damit verbundenen Bewegungserfahrung Bewegungslernen gelingt. Weiterhin wurde erörtert, dass Bewegungslernen immer dann gelingen kann, wenn eine gewisse Motivation vorhanden ist eine neue Bewegung zu lernen und grundlegende körperliche Fähigkeiten und Fertigkeiten vorliegen. Eine weitere interessante These, die aufgestellt worden ist, besagt, dass das Lernen in verschiedene Phasen eingeteilt werden kann. Je nach dem auf welchem Könnensstand ein Sportler ist, muss er dementsprechend Bewegungsaufgaben gestellt bekommen, um die Zielbewegung am Ende vollziehen zu können. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der während der Seminarsitzungen herausgearbeitet worden ist, ist der, dass zwischen Formbewegungen, also solchen Bewegungen die einer Idealform wie man sie aus dem Fernsehen kennt, unterschieden wird von Zielbewegungen, bei denen es ein Bewegungsziel gibt, aber nicht auf die Form geachtet wird. Das bedeutet zum Beispiel, dass das Bewegungsziel beim Handstand darin besteht, auf den Händen zu stehen, während die Formvorstellung ein Idealbild des klassischen Handstands mit gestreckten Beinen bis zu den Zehenspitzen und geradem Rücken darstellen würde. Weiterhin wurde herausgearbeitet, dass auch an Bewegungsproblemen gelernt werden kann und darf. Dies gelingt durch die Selbsterfahrung. Beispiel hier wäre, wenn der Handstand nicht funktioniert, da das Problem des nach hinten Überkippens entsteht, dass der Lernende genau an diesem Problem arbeitet, nach dem er dieses selbständig identifiziert hat.
2.1 Bewegungslernen 1: Überblick und Vertiefung von Modelltheorien
Künzel (2015) unterscheidet grundlegend zwischen dem Bewegungslernen aus Bewegungswissenschaftlicher Sicht und dem Bewegungslernen aus sportpädagogischer Sicht. Während aus sportpädagogischer Sicht motivatonale und subjektive Prozesse beim Bewegungslernen eine zentrale Rolle spielen versucht die Bewegungswissenschaft diese weitestgehend auszublenden. Nach Künzel soll versucht werden eine Annäherung der beiden Disziplinen zu erreichen.
Anschließend stellt Künzel in Anlehnung an Scherer und Bietz (2013) die Voraussetzungen für das sportpädagogische und didaktische Lernen von Bewegung dar. Essentiell ist dabei, dass Handlungen als zielgerichtet und intentional betrachtet werden und nicht wie in der Bewegungswissenschaft als sinnentleertes physikalisches Geschehen. Bewegung wird also aus sportpädagogischer Sicht als Interaktion mit der Umwelt verstanden. Bsp: Apfel fällt vom Baum/ Mensch springt vom Baum. Der zentrale Begriff der Handlung wird nach Kuenzell als eine mit Zielen verbundene und damit intentionale Interaktion mit der Umwelt verstanden.
Anschließend wird versucht drei Erklärungsansätze zur motorischen Kontrolle und zum motorischen Lernen aus der Bewegungswissenschaft mit sportpädagogischen Überlegungen zu verknüpfen. Dabei steht vor allem die Frage im Raum, ob die Konzepte aus der Bewegungswissenschaft die Intentionalität und die zielbezogene Interaktion mit der Umwelt berücksichtigen. Das Konzept der motorischen Programmtheorie zeichnet sich dadurch aus, dass Bewegungskontrolle auf Informationsverarbeitung reduziert wird. Nach dieser Theorie nimmt der Mensch etwas wahr und das was er wahrnimmt wird als Information bezeichnet, welche im Gehirn verarbeitet wird. Nach der motorischen Programmtheorie geschieht die Informationsverarbeitung bei jedem Menschen gleich. Das Lernen wird dabei als Speichern von Informationen angesehen und das Wiedergeben als Abrufen der gespeicherten Information. Bsp: Auf Kirmes mit Gummihammer auf Würmer schlagen. Reaktionszeit erhöht sich proportional zur Zunahme der Löcher was dem Hicks Gesetz entspricht. In der Informationsverarbeitungstheorie wird davon ausgegangen, dass Informationen durch ein Programm verarbeitet werden. Als Beispiel für ein motorisches Programm wird der Tennisvorhandschlag genannt, bei dem das Programm die Härte oder Richtung des Schlages und den gewünschten Abschusswinkel enthält. Wenn das Programm des Tennis Vorhandschlages richtig gelernt ist, müssen lediglich die Parameter situativ angepasst und verändert werden. Dabei muss sowohl der Vorhandschlag longline, cross, kurz oder lang gelernt werden, um das Programm des Vorhandschlages zu verinnerlichen. Wichtigste Erkenntnis aus der Informationsverarbeitungstheorie ist also, dass Bewegungen variabel gelernt werden müssen, damit die regelhafte Beziehung zwischen Parameter und Ergebnis gelernt werden kann. Die Theorie erfasst allerdings nicht das Erlernen des motorischen Programmes und das Initiieren der Bewegung. Im Informationsverarbeitungsansatz wird weder auf die Sinnhaftigkeit einer Bewegung eingegangen noch die Intention der Bewegung berücksichtigt. Der Sinn einer Bewegung entsteht niemals im Programm selbst, sondern wird vom Sportler selbst bestimmt. Beim Informationsverarbeitungsprogramm ist es irrelevant, ob eine sportliche Bewegung Sinn macht oder nicht.
Als nächstes stellt Künzel die dynamische Systemtheorie (dS) dar. Nach der dS sind die Prinzipien des Zusammenwirkens verschiedener kleiner Teilchen unabhängig von der Art der Teilchen beschreibbar. Durch Selbstorganisation der kleinen Teilchen kann eine höhere Ordnung entstehen (Emergenz). Im Gegensatz zur Informationsverarbeitungstheorie wird kein zentraler Kommandogeber gebraucht, da die Bewegung aus der Interaktion der Neuronen im zentralen Nervensystem entsteht. Bsp: koordinierte rhythmische Bewegung der Zeigefinger. Hierbei ist kein sinnbezogenes Handeln und auch keine Mensch-Welt-Auseinandersetzung erkennbar. Das differentielle Lernen nach Schölhorn greift ebenfalls auf Mechanismen der Selbstorganisation zurück. Dabei stellt sich eine optimale Lösung für ein Bewegungsproblem selbstorganisiert ein. Beim differentiellen Lernen geht es also darum, möglichst unterschiedliche Bewegungen bzw. entgegengesetzte Bewegungen zu vollziehen, wobei Bewegungskorrekturen systematisch abgelehnt werden, so dass es keine richtige oder falsche Bewegung im engeren Sinne gibt und jeder Sportler für sich die optimale Lösung findet. Problematisch an dem Konzept des DL ist, dass es keine Zielbewegung gibt und beim Kugelstoßen beispielsweise auch in die Höge gestoßen werden könnte anstatt in die Weite. Bewegungen als intentionale Interaktion mit der Umwelt zu verstehen und zu modellieren ist das genaue Gegenteil von dem, was in der Konzeption des DL den Lernerfolg bewirken soll.
Als letztes stellt Kuenzell das ideomotorische Prinzip vor, welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die Bewegung durch die Antizipation ihrer Effekte initiiert wird. Die Bewegung wird also von der Idee des Bewegungseffektes initiiert. Bewegungen sind so gesehen Mittel zum Zweck der Zielerreichung. Anders ausgedrückt werden Bewegungen initiiert, um Effekte in der Umwelt zu erreichen und um Wahrnehmungsinhalte zu generieren. Es wird hierbei nicht mehr zwischen Wahrnehmungsinhalten und Bewegungseffekten differenziert. Die Verbindung von Bewegungszielen, Bewegungen und Ausgangssituationen ermöglichen, dass der Handlungszusammenhang bei der theoretischen Betrachtung von Bewegungen gewahrt bleibt.
Müller-Text: Welche aktuellen Bewegungslerntheorien gibt es & wie unterscheiden sie sich voneinander?
Müller (2015) beschreibt zunächst den Grund, warum sich Organismen bewegen damit, dass dies evolutionär bedingt ist und dem Organismus im Überlebenskampf einen entscheidenden Vorteil verschafft. Er nennt dabei die Beispiele eines fortlaufenden Hasens vor dem Fuchs, einer Blüte, die sich zu Mittagszeit öffnet, also zu dem Zeitpunkt, an dem die meisten Insekten diese bestäuben können und dem Zirkusclown, der die Menschen zum Lachen bringt. Müller definiert menschliche Bewegung wie folgt:
„In diesem hier vorgestellten Verständnis erfüllt menschliche Bewegung also die Funktion, situationsangepasste Veränderungen der Körperkonfiguration, der Position des eigenen Körpers und der Kraftinteraktionen mit der Umwelt herbeizuführen, die zu für uns in der Zukunft günstigeren Bedingungen führen.“ (Müller, 2015, S. 39).
Informationsverarbeitungsansätze gehen davon aus, dass äußere Geschehnisse der Auslöser für Bewegungen sind und diese auch weitestgehend bestimmen. Der Sportler muss dazu allerdings das intendierte Ergebnis der Bewegung mitverarbeiten. Wichtig ist, dass zwischen der tatsächlichen Bewegung und der Zielbewegung ein Vergleich möglich ist, um Bewegungslernen zu beschreiben und zu erklären.
Die drei aktuellen Bewegungslerntheorien sind erstens die Theorie der Ereigniscodierung, zweitens das Modell der antizipativen Verhaltenskontrolle und drittens die Theorie der Internen Modelle. Allen drei Theorien ist gemeinsam, dass sie auf dem ideomotorischen Prinzip beruhen, das heißt, dass die Vorwegnahme des gewünschten Bewegungsergebnisses entscheidend ist damit eine Bewegung gelingen kann.
Bei der Theorie der Ereigniscodierung (TEC) wird angenommen, dass motorische und sensorische Codes nahezu gleiche Kodierungsformate und Inhalte besitzen und es kein Problem mehr darstellt das Format zu übertragen. Bewegungen werden nach diesem Verständnis von Müller also durch die sensorische Rückmeldung wiedergegeben, welche sie produzieren. Es wird also die Umwelt als ein bestimmtes Ereignis beschrieben, Bsp: Objekteigenschaften, räumliche und zeitliche Relationen. Nach Müller sind event codes „integrierte Situationsmerkmale die einen bestimmten Zustand oder ein bestimmtes Ereignis anzeigen“= Merkmale der Umwelt wie z.B. Objekteigenschaften, räumliche und zeitliche Relationen.
Handlungsmöglichkeiten in einer Situation sind wesentliche Merkmale der Situationsbeschreibung. Müller beschreibt das beim Fußball der Verteidiger als Hindernis gesehen wird, das überwunden werden muss. Die Situation S wird damit dahingehend beschrieben, wie sie sich in Zukunft verändern könnte.
Nach Müller haben in der TEC Theorie action codes und event codes die gleichen Inhalte und werden deshalb nicht unterschieden. Die TEC Theorie wird anhand des Wurfes beim Basketball dargestellt. Zunächst wird eine Situation wahrgenommen. Die wahrgenommene Situation dient auch gleichzeitig dazu die passende Antwort auf die Situation zu finden. Die Person definiert für sich passende Zielzustände (Gegner ausdribbeln) und führt die Bewegung aus. Das angestrebte Ergebnis wird daraufhin mit dem tatsächlichen Ergebnis der Bewegung verglichen und evtl. für die nächste Situation angepasst. Die Bewegungsqualität wird aus dieser Sicht durch Übung und Erfahrung immer weiter verbessert. Nach dem TEC Prinzip spielen beim motorischen Lernen, der Bewegungsplanung und der Bewegungskontrolle, die durch eine Bewegung erzeugten Effekte eine wesentliche Rolle. Kritik am TEC Modell: Theorie gibt keinen Aufschluss darüber, wie die dem Lernen zugrundeliegenden Prozesse der sensorischen Differenzierung und der motorischen Optimierung beschrieben werden können. Das Modell der antizipativen Verhaltenskontrolle (AVK) beschreibt eine Theorie nach der das motorische Verhalten als eine Abfolge von Stimulus, Verarbeitung und Reaktion beschrieben werden kann. Im Gegensatz zum TEC Modell wird das Bewegungsergebnis miteinbezogen. Die Bewegungsantwort auf eine bestimmte Situation wird im Wesentlichen durch die Assoziationsstärke bestimmt. Es wird die Antwort ausgewählt, mit der man am stärksten den gewünschten Effekt assoziiert. Wenn die Bewegung so ausgeführt wird, wie ich mir das vorstelle, dann wird die Assoziation von der Aktion zur Situation gewollter Effekt Kombination verstärkt, bei Misslingen der Aktion abgeschwächt. Wesentlicher Unterschied zum TEC Modell besteht darin, dass das AVK Modell über die interne Speicherung und Verarbeitung des Formats von S E* R keine Annahmen macht. Bei AVK ist es außerdem deutlicher, dass es bei E und E* nur um eine Wahrnehmung der Welt geht und nicht um den tatsächlichen Zustand. Allerdings ist es schwierig die bei einer anderen Person hervorgerufenen Sinnesein- drücke sprachlich auszudrücken.
Die Theorie der Internen Modelle (TIM) geht primär davon aus, dass Einzelelemente also Neuronen miteinander interagieren und wird deshalb auch als „Konnektionismus“ bezeichnet. (Müller, 2015, S. 49). Bei der TIM werden Informationen über die Aktivität von Neuronen, die im Netz verteilt sind, veranschaulicht. Wenn die Verbindungsstärke der Neuronen verändert wird kommt es zu Lernprozessen. (Müller, 2015, S. 51). Durch das Vorwärtsmodell wird außerdem noch das geschätzte Ergebnis E(Dach) implementiert. Verbessert werden kann der Lernprozess dadurch, dass das VM (Vorwärtsmodell) die erwarteten Konsequenzen besser voraussagt. Zusammengefasst kann man sagen, dass das TIM motorisches Lernen und Bewegungskontrolle auf einer algorithmischen und computionalen Ebene zu beschreiben versucht. Zentral wichtig für das Lernen von Bewegungen ist dabei eine gut entwickelte Effektvoraussage.
Als nächstes sollen die verschiedenen Modelltheorien nach ihrer Entstehungsgeschichte und ihren Grundaussagen systematisch eingeordnet werden. Die motorische Programmtheorie (GMP) bildet dabei den Vorreiter der Modeltheorien über das Bewegungslernen. Die GMP Theorie stellt die Frage in den Vordergrund, in welcher Art und Weise verschiedene Wahrnehmungs- und Bewegungsprozesse im menschlichen System ablaufen und wie diese kontrolliert werden. Es wird von einem computionalen Menschenbild ausgegangen, bei dem Wahrnehmungsprozesse als Informationsverarbeitung angesehen werden. Gelernt wird dabei, durch das Speichern der Information und die Wiedergabe wird als Abrufen des Speichers angesehen. Kritisch zu hinterfragen ist jedoch wie genau denn der Lernprozess abläuft. Dazu macht die GMP Theorie allerdings keine Aussagen.
Die dynamische Systemtheorie, die man etwa Anfang der 90er Jahre einordnen kann, versucht die Frage zu beantworten, wie eine koordinierte Bewegung entsteht und wie diese kontrolliert wird. Dabei liegt ihr die Grundannahme zugrunde, dass durch die Selbstorganisation kleinster Teilchen auf einer höheren Ebene eine Ordnung entstehen kann. (Emergenz) Das System muss dabei selbst aktiv sein. Größter Kritikpunkt dieser Theorie ist das nicht Vorhandensein einer Mensch-Welt-Auseinandersetzung. Außerdem wird völlig außer Acht gelassen, ob eine Bewegung Sinn ergibt oder nicht. Weiterhin weiß der Selbstorganisationsprozess nicht welches Ziel die Person mit der Bewegung verfolgt.
Das ebenfalls Anfang der 90er Jahre entstandene Modell der Ideomotrik, dass das erste Mal das Bewegungslernen als Kerngegenstand angesehen hat, stellt die Frage danach wie durch intuitive Reize kontrollierte Reize entwickelt werden können. Das Modell der Ideomotrik unterscheidet sich deshalb grundlegend von den davor gängigen Modellen GMP und DST, die die Frage der Bewegungskontrolle versucht haben zu beantworten. Beim Modell der Ideomotorik werden Bewegungen als Mittel zum Zweck der Erreichung von spezifischen Bewegungszielen angesehen. Das Lernen er- folgt dieser Theorie zufolge durch den Vergleich von antizipierten und tatsächlich realisierten Effekten. Wichtig zu erwähnen ist das in Abgrenzung zu GMP und DST die Mensch-Umwelt-Auseinandersetzung mitberücksichtigt wird.
Die kurz darauf entstandene Theorie der Ereigniscodierung (TEC) untersucht die Frage, was die passende motorische Antwort auf Situationen und den damit verbundenen Zielen in der Zukunft sind. Die TEC Theorie baut damit quasi auf der IM Theorie auf und erweitert bzw. ergänzt diese. Grundlegend wird angenommen das die Bewegung durch sensorische Codes und motorische Codes repräsentiert wird. Das Modell hat deshalb auch seine Schwächen, da nicht zwischen action und event codes unterschieden werden kann.
Das Modell der antizipativen Verhaltenskontrolle (AVK) ist eines der neusten Modelle, welches versucht Bewegungslernen zu erklären. Die Frage, die im Vordergrund steht, ist die der möglichen Voraussetzungen, die wir auf Reaktionen bzw. Bewegungen auswählen. Das Modell kann erklären, wie wir Bewegungen auswählen. Von zentraler Bedeutung ist hier die Assoziationsstärke von intendiertem und tatsächlich eintretendem Effekt anzusehen.
Das neuste Modell des Bewegungslernens ist das der Internen Modelle (TIM). Dabei wird versucht das SE-R Mapping zu erklären und Bewegungskontrolle und motorisches Lernen mit Hilfe von Algorithmen zu erklären. Die folgende Abbildung soll noch einmal die zeitliche Abfolge der Entstehungsgeschichte der einzelnen Theorie skizie- ren.
Abbildung 1: Systematisierung der Modelltheorien
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Seminarinhalt Lehren und Lernen
2.2 Bewegungslernen 2: Transferannahmen & die Rolle von Effekten
Nach Scherer und Bietz (2013) basieren alle Lehr- und Lernprozesse auf sogenannten Transfermechanismen. Die Grundannahme des Transfermechanismus besagt, dass Lernprozesse sich gegenseitig positiv (manchmal auch negativ?) beeinflussen, das bedeutet, dass sich der/die Sportler/in Vorerfahrungen zunutze macht und diese auf den aktuellen Lerngegenstand überträgt. Scherer und Bietz (2013) begründen damit die Legimitation von methodischen Übungsreihen, die dem Sportler wichtige Vorerfahrungen bezüglich der Bewegung ermöglichen. Bsp: Kinder die Roller fahren, lernen das Fahrradfahren schneller (Gleichgewichtsregulation). Inlineskaten und Schlittschuhfahren bedingen, dass die jeweilige andere Sportart schneller gelernt wird (horizontaler Transfer). Inlineskaten als Vorübung für das Skifahren, positiver Transfereffekt des Skateboardfahrens auf Snowboardfahren; lateraler Lerneffekt falls man mit dem schwachen Arm wirft oder stößt auf den starken Arm. Negativer Transfereffekt bei der Kippe am Reck und anschließend der Kippe am Barren, die umgekehrte Reihenfolge bleibt ohne Effekt. (Vgl. Scherer und Bietz, 2013, S. 98); Kippe gelingt nicht, da es Probleme bei der Übertragung von Teilbewegungen zu einer vollständigen Bewegung gibt.
Nach Osgoods Ähnlichkeitstheorie und Thorndikes Theorie ist Transfer als Funktion der Ähnlichkeit von Fertigkeiten und Kontextkomponenten zu verstehen. Danach treten zwischen den Polen Identität und Verschiedenheit Transfereffekte auf. (Scherer und Bietz, 2013, S. 99). Transfer gelingt dabei bei identischen oder sehr ähnlichen Aufgaben, keinen Effekt gibt es bei komplett verschiedenen Aufgaben und einen negativen Transfereffekt bei ähnlichen Aufgaben.
Transfermechanismen: Scherer nennt das Beispiel des Pedalofahrens um die Aktionsgenerierung über den intendierten Effekt aufzuzeigen. Transfer findet in dem Pedalobeispiel dadurch statt, dass die bei der in der Waage halten des Pedalos gelernten Aktions-Effekt Relationen über den gleichen Generierungsmechanismus wie das Vorwärtsfahren mit dem Pedalo zusammengefasst werden können und daraufhin auf den spezifischen Trittwechsel des Pedalofahrens angewendet werden. (Vgl. Scherer und Bietz, 2013, S. 102).
Für einen erfolgreichen Lerntransfer müssen Aktions Effekts Relationen beim Schü- ler/in hervorgerufen werden. Es werden sogenannte Prozesseinheiten transferiert und keine ähnlichen oder identischen Bewegungselemente. SAE Tripels sind nach Scherer die Basis für jedes Bewegungshandeln, Lernprozesse zielen damit auf das Lernen genau dieser Relationsstrukturen ab. (Scherer und Bietz, 2013, S. 104). Assoziative Verknüpfungen werden durch diese Relationen gelernt. Zusammenfassend kann man sagen, dass die dynamische Übertragbarkeit und Adaptierungsfähigkeit von Fähigkei- ten/Fertigkeiten/Erfahrungen und Resultaten zwischen Lernprozessen als Transfer angesehen werden. Transfer kann dabei sowohl horizontal als auch lateral und retroaktiv stattfinden.
Text 'Effekte bei der Handlungskontrolle': Wie wird im Text der Zusammenhang von Handlungseffekten und situativen Bedingungen erklärt?
Menschen können komplizierte Bewegungen ausführen, wenn sie nicht auf die Körperbewegungen achten, sondern auf die angestrebten Effekte. Beispiel: Kurbel mit Frequenzverhältnis 4:3. Der angestrebte Effekt führt die Handbewegung sozusagen in die richtige Richtung. Bespiel des Werfens, bei dem das zielzentrierte Werfen förderlich ist. Auf die Hand und Armhaltung zu achten hemmt dagegen den Bewegungsfluss. Nach Scherer werden Bewegungen immer durch intendierte Effekte ausgelöst und dabei durch antizipierte Effekte kontrolliert. Nach Scherer muss deshalb bei jeder Bewegungsaufgabe der Zusammenhang zwischen Handlung und Effekt gelernt werden. (Scherer, 2013, S. 111). Wirkungen von Bewegungen sind nach Bernstein auf räumliche Veränderungen gerichtet, wobei anzumerken ist, dass bei sportlichen Bewegungen zeitliche und dynamische Merkmale ebenfalls eine Rolle spielen. (Scherer, 2013, S. 115). Bewegungen lassen sich auf unterschiedliche Art und Weise lehren. Zum einen über ihre Form und zum anderen über ihre Funktion oder aus einer Kombination von Form und Funktion. Welches die richtige Lehrmethode ist, ist abhängig von Lernniveau, Lernproblem und Bewegungstyp. Bei Zweckbewegungen sind Aufgaben zu stellen, die als Ziel die Erzielung externer Effekte als Grundlage haben, bei Formbewegungen ist die Information über bestimmte Verlaufsmerkmale essentiell und bei Ausdruckbewegungen ist die Relation von symbolischer Bedeutung und Bewegungsformen aufzuzeigen. (Scherer, 2013, S. 116).
Scherer beschreibt das Konzept der Affordanz als Angebote in der Umweltwahrnehmung, die relativ zu gegebenen Handlungsmöglichkeiten je nach Situation wahrgenommen werden. Verfügt ein Sportler über Aktionsmerkmale, dann kann dieser Umweltmerkmale als Handlungsangebote wahrnehmen. Beispiel: Gelernter ungelernter Kletterer. Der geübte Kletterer weiß welche Griffe er benutzen muss, um effizient die Wand zu erklimmen, mit möglichst wenig Krafteinsatz, während der Kletteranfänger kein Auge für gut gelegene Griffe hat. (Scherer, 2013, S. 117). Geübter Handballspieler der Lücke in Abwehr sieht. Diese Affordanzen werden vom Sportler gelernt.
Nach Scherer sind Effekte von Aktionen stark von der Situation abhängig unter der sie zum Einsatz kommen. Beispiel des Abspringens von Weichbodenmatte einem Trampolin und einem Sprungbrett wird genannt: Folge sind immer unterschiedliche Effekte. Für den Lernenden bedeutet dies, dass er die Handlungssituation individuell wahrnimmt und diese im unmittelbaren Zusammenhang zum Lernhandeln. Des Weiteren können Diskrepanzen zwischen realer und wahrgenommener Welt liegen. Beim Bewegungslernen gibt es ebenfalls Diskrepanzen und zwar deshalb, weil Bewegungen und Effekte unbekannt und emergent sind. (Scherer, 2013, S. 123).
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- Quote paper
- M.Sc. Stefan Briehl (Author), 2019, Projektbericht: Lernen und Lehren von Bewegungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1182764
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