Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Faktoren, welche die körperliche Aktivität von Personen in ihrer zweiten Lebenshälfte begünstigen, aufzudecken. Um die Einflüsse dieser heterogenen Gruppe ausmachen zu können, wird darüber hinaus diese nach Alter in drei Kohorten stratifiziert. Zur Untersuchung wird der bourdieu'sche Kapitalansatz verwendet, welcher zwischen drei Kapitalformen unterscheidet: kulturellem, ökonomischem und sozialem Kapital. Da es sich bei den drei Kapitalformen um ein komplexes Wirkungsgeflecht handelt, welche sich gegenseitig beeinflussen, werden auch Kapitalinteraktionen in das Modell miteinbezogen. Als Datengrundlage für die hierarchisch binär logistische Regression diente der "Survey of Health and Retirement (SHARE)"-Datensatz.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 TheoretischerHintergrund
2.1 Körperliche Aktivität
2.2 Körperliche Aktivität und Alter
2.3 Körperliche Aktivität und Generationsunterschiede
2.4 Körperliche Aktivität und Kapital
2.4.1 Habitus
2.4.2 Körperliche Aktivität und ökonomisches Kapital
2.4.3 Körperliche Aktivität und soziales Kapital
2.4.4 Körperliche Aktivität und kulturelles Kapital
2.4.5 Kapitalinteraktionen
2.5 Kapitaleinfluss und Generationszugehörigkeit
2.6 Forschungsfragen
3 Methodik
3.1 SHARE-Datensatz
3.2 Stichprobe
3.3 Variablen
3.4 Untersuchungsmethodik
4 Ergebnisse
4.1 Deskriptive Ergebnisse
4.2 Regressionsanalyse
4.2.1 Moderate körperliche Aktivität im Alter
4.2.2 Intensive körperliche Aktivität im Alter
4.3 Kohortenvergleich
4.3.1 Kohortenspezifische Kapitaleinflüsse auf die mkA
4.3.2 Kohortenspezifische Kapitaleinflüsse auf die ikA
5 Diskussion
5.1 Altersübergreifende Kapitaleinflüsse auf die körperliche Aktivität
5.2 Kohortenspezifische Kapitaleinflüsse auf die körperliche Aktivität
5.3 Limitationen
5.4 Weiterführende Forschung
6 Fazit
7 Literaturverzeichnis
Anhang
Tabellen
R-Script
Eidesstattliche Erklärung
Abstract
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es Faktoren, welche die körperliche Aktivität von Personen in ihrer zweiten Lebenshälfte begünstigen, aufzudecken. Um die Einflüsse dieser heterogenen Gruppe ausmachen zu können, wird darüber hinaus diese nach Alter in drei Kohorten stratifiziert. Zur Untersuchung wird der bourdieu'sche Kapitalansatz verwendet, welcher zwischen drei Kapitalformen unterscheidet: kulturellem, ökonomischem und sozialem Kapital. Da es sich bei den drei Kapitalformen um ein komplexes Wirkungsgeflecht handelt, welche sich gegenseitig beeinflussen, werden auch Kapitalinteraktionen in das Modell miteinbezogen. Als Datengrundlage für die hierarchisch binär logistische Regression diente der Survey of Health and Retirement Datensatz. Die Stichprobe besteht aus 10.261 Personen zwischen 50 und 89 Jahren aus 16 Ländern der Europäischen Union. Insgesamt zeigt sich soziales Kapital und kulturelles Kapital von Bedeutung für die körperliche Aktivität, ökonomisches hingegen nur eingeschränkt. Nicht alle Indikatoren derselben Kapitalform erweisen sich indes als kongruent. Kapitalinteraktionen zwischen kulturellem und sozialem Kapital sowie zwischen kulturellem und ökonomischem Kapital werden identifiziert. Kohortenabhängige Unterschiede zeigen sich für kulturelles Kapital. Die Ergebnisse bestätigen den Wert eines bourdieuschen Ansatzes und weisen auf die Notwendigkeit hin alle Kapitalformen zu berücksichtigen, um ein besseres Verständnis von sozialen Determinanten hinsichtlich körperlicher Aktivität und damit des gesunden Alterns zu erlangen.
The aim of the present work is to uncover factors that promote physical activity of people in the second half of their lives. In order to be able to identify the influences of this heterogeneous group, it is also stratified into three cohorts according to age. To investigate this topic the Bourdieu-capital approach is adopted, which distinguishes between three forms of capital: cultural, economic and social capital. Since the three forms of capital are a complex network of interconnected effects, which influence each other, capital interactions are also included into the model. The Survey of Health and Retirement served as data basis for the hierarchical binary logistic regression. The sample consists of 10,261 subjects between 50 and 89 years from 16 countries of the European Union. Overall, social capital and cultural capital are significant towards physical activity, whereas economic capital is only to a limited extent. However, not all indicators of the same form of capital turn out to be congruent. Capital interactions between cultural and social capital as well as between cultural and economic capital are identified. Cohort-dependent differences appear concerning cultural capital. The results confirm the value of a bourdieusian approach and indicate the need to consider all forms of capital in order to gain a better understanding of the social determinants of physical activity and thus of healthy aging.
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1. Effekte aufdie körperliche Aktivität (in Anlehnung an Breuer& Wicker, 2007, S. 91)
Abb. 2. Konzeptionelles Modell derArbeit
Abb. 3. Moderate kA nach Kohorte
Abb. 4. Intensive kA nach Kohorte
Abb. 5. ROC-Kurven derbeiden Gesamtmodelle
Tabellenverzeichnis
Tab. 1. VIF-WertederVariablen
Tab. 2. Deskriptive Statistiken derStichprobe derintervallskalierten Variablen
Tab. 3. Deskriptive Statistiken derStichprobe
Tab. 4. Modellvergleiche durch LR-Test
Tab. 5. Log. Regression dermkA: Blockartige Integration derVariablen (N = 10261)
Tab. 6. Log. Regression derikA: Blockartige Integration derVariablen (N = 10261)
Tab. 7. Log. Regression dermkA nach Kohorte (N = 10261)
Tab. 8. Log. Regression derikA nach Kohorte (N = 10261)
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Körperliche Aktivität (kA) zählt neben gesunder Ernährung und Unterlassung von gesundheitsgefährdenden Verhaltensweisen, wie Alkohol- und Nikotinkonsum, zu den wichtigsten Voraussetzungen für gesundes Altern (BMG, 2020; Daskalopoulou, Stubbs, Kralj, Koukounari, Prince, Prina, 2018). Eine Vielzahl von Krankheiten, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Adipositas, Diabetes Typ II, Krebs und Atemwegserkrankungen können mit Hilfe von ausreichend kA gemindert oder vorgebeugt werden (Anderson & Durstine, 2019; Krug et al., 2013; WHO, 2020a). Viele dieser nichtübertragbaren Krankheiten treten zudem frühzeitig auf und können durch einen gesunden Lebensstil zumindest reduziert oder gar gänzlich verhindert werden (Pop et al., 2019). Bewegung fördert außerdem das allgemeine Wohlbefinden, die kognitive Entwicklung, die Aufrechterhaltung der Körperfunktionalität und reduziert die Wahrscheinlichkeit für Angststörungen und Depressionen (WHO, 2020a). Dennoch oder gerade deshalb ist körperliche Inaktivität eines der größten Probleme der internationalen Gesundheitspolitik und für bis zu 5 Millionen Tote jährlich indirekt verantwortlich. Einer von vier Erwachsenen erreicht nicht das empfohlene Ausmaß an kA und ist somit einem 20-30% höheren Sterberisiko ausgesetzt als ein Aktiver (WHO, 2020).
In einer weltweit stetig alternden Gesellschaft (ALLEA, 2014; United Nations, 2019) gewinnt die Thematik des gesunden Alterns und folglich der kA daher umso mehr an Bedeutung. Besonders in Europa steigt die Zahl älterer Personen immer weiter (WHO, 2015). Bis 2050 soll sich der Anteil der über 65-Jährigen in der Gesamtbevölkerung um fast 50% erhöhen und der Anteil an über 85-Jährigen soll sich fast verdoppeln (Eurostat, 2020; WHO, 2020). Gesundes Altern ist daher nicht nur auf individueller Ebene erstrebenswert, sondern auch ein Kernpunkt der öffentlichen Gesundheitspolitik), verbunden mit imensen Kosten im nationalen als auch interenationalen Kontext (Cebr, 2015; Ding et al., 2016). Da oftmals ältere Menschen von körperlicher Inaktivität betroffen sind, von dieser indes ungemein profitieren, (Baert, Gorus, Mets, Geerts & Bautmans, 2011; CDC, 2018; Taylor, 2014), stellt sich die Frage, welche Voraussetzungen, Faktoren und Umstände die Ausübung regelmäßiger kA im Alter begünstigen. Die Tatsache, dass es sich bei „älteren Menschen“ um eine keines Falls homogene Gruppe handelt, sondern ein großes Spektrum an verschiedenen Altersgruppen impliziert, welche sich oft wesentlich voneinander unterscheiden (Jenkin, Eime, Westerbeek, O'Sullivan & van Uffelen, 2017; Lowsky, Olshansky, Bhattacharya & Goldman, 2014), erfordert zugleich einen differenzierten Ansatz.
Eine Vielzahl von Studien und Untersuchungen kamen ferner zu dem Ergebnis, dass, neben voranschreitendem Alter und der damit einhergehenden biologischen Degeneration, welche die Ausübung vieler körperlicher Aktivitäten erschwert, soziale Ungleichheiten für den heterogenen Umfang an Bewegung und Sport im Alter verantwortlich sind (CDC, 2018; Rohrer & Haller, 2015). Bildung, Einkommen und sozialer Status sind einschlägig untersuchte Faktoren und wesentlich an Lebensführung und Gesundheitsverhalten eines Individuums beteiligt (Klärner et al., 2019; Lampert, Kroll, von der Lippe, Müters & Stolzenberg, 2013). Der Sozioökonomische Status (SES) als Merkmal bildet dabei die Grundlage vieler Studien (O'Donoghue et al., 2018). Ein in diesem Kontext bis dato weniger eingehend verwendeter Ansatz ist der des französischen Soziologen Pierre Bourdieu. Laut seiner Theorie (1983) tritt Kapital nicht nur in ökonomischer, sondern auch in kultureller und sozialer Form auf. Diese drei Kapitalarten spiegeln die systemimmanenten Charakteristika eines Individuums innerhalb der Gesellschaft wider, „(...) durch die das dauerhafte Funktionieren der gesellschaftlichen Wirklichkeit bestimmt und über die Erfolgschancen in der Praxis entschieden wird“ (Bourdieu, 1983, S. 184). Der bourdieusche Ansatz ergänzt den sozioökonomischen Status als Hauptvariable zur Untersuchung sozioökonomischer Unterschiede und kann dabei helfen gesundheitliche Disparitäten zu erklären (Veenstra &Abel, 2019).
Ferner bestimmt Kapital nicht nur die gesellschaftlichen Möglichkeiten einer Person, sondern auch sein Verhalten und folglich dessen Habitus. Der Habitus wird bereits von frühkindlichen Erfahrungen und Gegebenheiten geprägt und manifestiert sich im Laufe des Lebens (Bourdieu, 1983; Klein, 2009; Lenger, Schneickert & Schumacher, 2013). Die Betrachung retrospektiver Variablen ist gemäß der bourdieuschen Theorie daher ein wichtiger Bestandteil zur Klärung des Gesundheitsverhaltens im Lebensverlauf. Vor allem kulturelles Kapital, welches in der Literatur oft nur mittels Schulbildung abgebildet wird und damit wichtige Aspekte des kulturellen Kapitals im Sinne Bourdieus vernachlässigt (Stempel, 2018; Warde, 2006) kann dabei helfen die Zusammenhänge für gesundheitliches Verhalten aufzudecken, da Verhaltensdispositionen bzw. Lebensgewohnheiten wesentlich vom kulturellen Kapital geprägt werden und durch dieses zum Ausdruck kommen (Abel, 2008). Nur wenige Studien haben sich bisher dem retrospektiven Einfluss kulturellen Kapitals auf die sportliche Aktivität im Alter gewidmet (Engstrom, 2008) und überdies auch andere Kapitalarten kontrolliert. Die Miteinbeziehung aller Kapitalarten ist dabei von besonderer Bedeutung, da sich die Kapitalarten in einem stetigen und wechselseitigen Verhältnis (capital interplays) zueinander befinden (Abel & Fröhlich, 2012; Bourdieu, 1983; Veenstra&Abel, 2015; 2019).
Ein unterdessen kaum betrachteter Aspekt des Kapitalansatzes (n. Bourdieu) ist der Kapitaleinfluss auf kA in Abhängigkeit der altersspezifischen Kohortenzugehörigkeit (Canizares & Badley, 2018). Kohortenstudien diesbezüglich kamen zu dem Ergebnis, dass der Zusammenhang zwischen kA und Alter nicht allein medizinisch-biologisch begründet, sondern teilweise über die Generationszugehörigkeit erklärt werden kann (Breuer, 2005; Canizares & Badley, 2018; Klein & Becker, 2008; Zang & Ng, 2016). Die Arbeit hat daher das Ziel, den bourdieuschen Ansatz hinsichtlich kA im Alter in Verbindung mit einer altersabhängigen Kohortenstratifizierung anzuwenden, um folglich Aufschluss über die Zusammenhänge von Kapitalien und deren kohortenbedingten Einfluss auf die körperliche Aktivität zu erlangen, was nach Wissen des Autors eine in dieser Form noch nicht existierende Herangehensweise darstellt. Vor diesem Hintergrund wird im nächsten Kapitel vorerst der theoretische Hintergrund, welcher die theoretischen Grundlagen, den Stand der Forschung, die forschungsleitende Theorie als auch die daraus abgeleiteten Forschungsfragen beinhaltet, skizziert. Im darauffolgenden Kapitel soll die Methodik, sprich die Datengrundlage, deren Aufbereitung sowie Analyse beschrieben werden. In Kapitel 4 werden die Ergebnisse des empirischen Vorgehens dargestellt und in Kapitel 5 folglich bewertet und diskutiert. Eine Gesamtzusammenfassung, die Beantwortung der Forschungsfragen sowie daraus resultierende Überlegungen für die Praxis finden sich im letzten Kapitel wieder.
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Körperliche Aktivität
Um das Thema eingehend aufzuarbeiten, sollte zunächst festgehalten werden, was körperliche Aktivität bedeutet. Unter kA wird jede Bewegung definiert, die durch die Skelettmuskulatur erzeugt wird und den Energieverbrauch über den Grundumsatz anhebt (Caspersen & Christenson, 1985). Sport, Bewegung, leichte und schwere Betätigungen, lassen sich daher unter dem Oberbegriff zusammenzufassen. Im Rahmen der öffentlichen Gesundheitsförderung spricht man von kA zumeist ab einem moderaten Aktivitätslevel mit einer erhöhten Herzfrequenz, um einen gesundheitlichen Nutzen zu erzielen (WHO, 2020b). Die WHO ordnet kA in zwei Kategorien: moderat und anstrengende (vigorous) Aktivitäten. Zu moderater kA zählt zum Beispiel Haus- und Gartenarbeit, gehen/laufen, Transportarbeiten oder Fahrradfahren. Diese geht mit einer leichten Herzfrequenzsteigerung einher und weist eine 3-6-mal höhere Intensität als ruhendes Verhalten auf. Auf einer Skala von 1 -10 relativ zu den individuellen Kapazitäten, lässt sich moderate kA normalerweise auf einer 5 oder 6 verorten. Anstrengende Tätigkeiten sind unter Anderem Joggen, Mannschafssportarten, (schnelles) Schwimmen oder Fitnesstraining, einhergehend mit einem deutlichen Anstieg der Herzfrequenz (WHO, 2019). Intensitäten 6-mal höher als die inaktiver/sitzender Tätigkeiten und Werte von 7-8 auf der individuellen Anstrengungsskala sind kennzeichnend (WHO, 2020b).
Der Umfang, der erforderlich ist, um einen gesundheitlichen Nutzen zu generieren, wird in spezifischen Richtlinien und Empfehlungen festgehalten. Erwachsene sollten wöchentlich mindestens 150300 Minuten moderate Aktivität oder mindestens 75-150 Minuten anstrengender Aktivität oder eine Kombination beider Intensitäten ausführen. Zusätzlich sollten muskelkräftigende Aktivitäten auf moderatem Niveau oder höher zwei Mal wöchentlich durchgeführt werden und sitzende Tätigkeiten begrenzt werden. Ältere Erwachsene (65 und älter) sollten darüber hinaus an drei oder mehr Tagen in der Woche eine abwechslungsreiche kA durchführen, bei der das Gleichgewicht und das funktionelle Krafttraining bei mäßiger oder höherer Intensität im Vordergrund stehen, um die Körperfunktionsfähigkeit zu bewahren und Stürze zu verhindern (BMG, 2016; WHO, 2020a). Obwohl beide Intensitäten gleichermaßen zur Erreichung von ausreichend kA beitragen, erhalten zu selten beide Intensitätsformen Einzug in Analysen bezüglich körperlicherAktivität.
Unter Berücksichtigung dieser Empfehlungen und der jüngsten Studien der WHO zu kAwird ersichtlich, dass ein Großteil derwestlichen Bevölkerung von körperlicher Inaktivität betroffen ist. Weltweit sind 25% der Erwachsenen nicht aktiv genug, während in Ländern mit hohem Einkommen 26% der Männer und 35% der Frauen nicht ausreichend körperlich aktiv sind (WHO, 2019). Im Zeitraum von 2001-2016 stieg zudem der Anteil von unzureichender Aktivität von 31,6% auf 36,8% in einkommensstarken Ländern, unter Anderem begünstigt durch sedentäres Verhalten im Beruf und Zuhause sowie passive Möglichkeiten des Personentransportwesens (WHO, 2020b).
Vor allem sozioökonomische Determinanten für kA rücken mehr und mehr in den Fokus. Europaweit durchgeführte Ländervergleiche kommen zu der Schlussfolgerung, dass sich in den letzten 20 Jahren gesundheitliche Diskrepanzen in Bezug auf Gesundheitsverhalten und -Status aufgrund von sozioökonomischen Faktoren weiter ausgebbildet haben (Lampert, Hoebel & Kroll, 2019). Vor diesem Hintergrund stellt die gesundheitliche Ungleichheit und damit auch hinsichtlich kA nach wie vor ein essenzielles Handlungsfeld der Gesundheitspolitik und Public Health dar (Lampert et al., 2013). Um das Problem der unzureichenden kA zu lösen, haben es sich die Mitgliedsstaaten der WHO zum Ziel gesetzt, körperliche Inaktivität bis 2030 um 15% (Baseline 2016) zu reduzieren (WHO, 2018).
2.2 Körperliche Aktivität und Alter
Bewegung und Sport sind erwiesenermaßen besonders wichtig für Gesundheit und Lebensqualität älterer Erwachsener. Es gilt als förderlich für die physische, mentale und soziale Gesundheit (Burton et al., 2017; Jenkin, Eime, Westerbeek, O'Sullivan & van Uffelen, 2017). Vor dem Hintergrund einer altersbedingten Degeneration und eines simultanen Leistungsabfalls, sinkt im Allgemeinen die körperliche Betätigung mit voranschreitendem Alter (Burton et al., 2017; Eurostat, 2018; Jenkin et al., 2017), obwohl diese besonders im hohen Alter einen positiven Effekt hat (Baert et al., 2011; Taylor, 2014). Der Gesundheitszustand ist dabei ein wichtiger Faktor bezüglich der Ausübung von kA. Ein schlechter (selbst wahrgenommener) Gesundheitszustand schränkt Personen in ihren Aktivitäten und Bewegungen ein, beispielsweise wenn dies mit Schmerzen oder anderen medizinischen Problemen einhergeht (Jenkin et al., 2017). Daher können chronische Krankheiten, die im hohen Alter verstärkt auftreten (Baert et al., 2011), das Ausmaß an kA wesentlich beeinträchtigen. Andere Hindernisse bei älteren Menschen sind unteranderem Erschöpfung, Mangel an Motivation oder Angst vor Verletzungen (Baert et al., 2011; Burton et al., 2017; Costello, Kafchinski, Vrazel & Sullivan, 2011) und führen langfristig zu einem Rückgang der kA im Alter.
Allerdings ist der Zusammenhang nicht immer so konsistent negativ, wie viele Studien nahelegen. Vielmehr findet eine Verfestigung des Lebensstils im Laufe des Lebens statt (Klein & Becker, 2008) und kann vom Eintritt in das Rentenalter abermals beeinflusst werden (Barnett, van Sluijs & Ogilvie, 2012; Feng, Croteau, Kolt & Astell-Burt, 2016). Mit zunehmendem Altern werden leistungssportorientierte oder Mannschaftssportarten zwar tendenziell eingestellt, jedoch oft durch Gesundheitssportarten ersetzt (Klein, 2009). Der Verlauf der kA im Leben ist weiterhin geprägt von anderen Faktoren, wie Einkommen, Bildung etc. (Jenkin et al., 2017; Manz, Mensink, Jordan, Schienkiewitz, Krug & Finger, 2018). Auch vergangene Sportpartizipation und Verhaltensweisen sind ausschlaggebend für die kA im Alter (Jenkin et al., 2017) sowie frühe Lebensbedingungen, wie günstige sozioökonomische Faktoren innerhalb der Familie (Belloni, Cavapozzi, Dal Bianco, Pan & Trucchi, 2019). Das Bewegungsverhalten ist daher „als dynamischer Veränderungsprozess über die Zeit(...), der in den unterschiedlichen Phasen der Veränderung von spezifischen Determinanten beeinflusst wird“ (Pah- meier, 2008, S. 168) zu verstehen.
Andere Studien konnten gar eine Steigerung der kA im Alter feststellen, allerdings bezogen auf die freizeitliche kA. Dies zeigt die Heterogenität und Komplexität des Bewegungsverhaltens (im Alter) auf (Jenkin et al., 2017), welche sich darüber hinaus je nach Altersgruppe(-nzugehörigkeit) weiter ausdifferenziert. So kommt man nunmehr auch zu der Erkenntnis, dass Generationszugehörigkeit und Periodeneinflüsse mit für das Bewegungsprofil verantwortlich sind (Klein & Becker, 2008). Nur wenige Studien haben sich bisher alterspezifischen Einflüssen gewidmet, sodass quantitative Evidenzen hinsichtlich der Determinanten für kA unter älteren Erwachsenen auf Grundlage von großen Stichproben bis dato nach Wissen des Autors rar sind (Manz et al., 2018).
2.3 Körperliche Aktivität und Generationsunterschiede
Die scheinbar gesicherte Gewissheit über den reduzierenden Einfluss des Alters im Sinne einer biologisch-medizinischen Beeinträchtigung auf die kAkann daher auch andere Hintergründe haben. Es ist noch kaum untersucht, inwieweit eine unterschiedliche kA auf die unterschiedliche Jahrgangs- bzw. Generationenzugehörigkeit zurückgeht (Klein & Becker, 2008; Leijon, Midlöv, Sundquist & Johansson, 2015). Diese Effekte können dabei auf verschiede Weise begründet werden. Zum einen könnte sich derGesundheitszustand unabhängig vom (biologischen)Altergenerationsübergreifend unterscheiden. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Generation aufgrund von Entbehrungen oder schlechteren medizinischen Versorgung eine insgesamt schlechtere Konstitution entwickelt als eine andere. Die Verbesserung der Lebensbedingungen könnte daher als Ursache denkbar sein, warum sich Altersgruppen unabhängig von ihrem Alter in ihrer Fitness unterscheiden (Klein & Becker, 2008). Zum anderen bewirkte der wirtschtaftsstrukturelle Wandel eine Verlagerung von Arbeitsplätzen aus dem primären und sekundären Sektor in den tertiären Sektor und damit ein Rückgang der kA im Berufsleben (Klein & Becker, 2008), was zwar die kA im Allgemeinen zwar reduziert, jedoch tendenziell zu einem Anstieg kA in der Freizeit zur Folge hatte (Blafoss, Micheletti, Sundstrup, Jajobsen, Bay, Andersen, 2018; Borodulin, Laatikainen, Juolevi &Jousilahti, 2007).
Schließlich und im Rahmen dieser Arbeit besonders relevant, kann auch eine unterschiedliche Sozialisation Grund für generationsabhängige Unterschiede sein. In älteren Generationen wurde körperliche Betätigung zeitlebens mehr als Mittel zum Zweck gesehen und diente (in der Jugend) weniger einer Gesaltung der Freizeit oder der (Beibehaltung) körperlichen Fitness (Klein & Becker, 2008). Postmaterialistische Werteorientierung im Sinne einer Selbstverwirklichung und Individualismus bedingten eine stärkere Ausrichtung am eigenen Wohlergehen, Gesundheit, Freizeit und Körperformung innerhalb jüngerer Generationen. Auch Bildung als Teil der Sozialisation, welche im vergangenen Jahrhundert kontinuierlich zugenommen hat und einen aktiven Lebensstil sowie das Gesundheitsbewußtsein mitbestimmt (s. 2.4.4), kann zu generationsspezischen Differenzen im Bewegungsverhalten beitragen (Klein & Becker, 2008). Schließlich sind es auch die neuen Werte, die mit einem aktivem Bild vom Altern, Verantwortung gegenüber seinem Körper und dem Körper als Distinktionsmittel einhergehen (Schroeter, 2009; Vollmer, Kaufmann & Gieß-Stüber, 2018).
Vor diesem Hintergrund wird in der Literatur zwischen drei Effekten unterschieden: Alters-, Kohorten- und Periodeneffekten. Aus theoretisch konzeptueller Sicht kann man die Effekte wie folgt beschreiben: Alterseffekte sind, wie der Name schon sagt, auf das Alter der Probanden zurückzuführen. Altersbedingte physische Verfassung oder altersbedingte zeitliche Ressourcen (Berufstätigkeitsalter oder Renteneintrittsalter) sind Beispiele für Alterseffekte hinsichtlich der kA. Kohorten- als auch Periodeneffekte sind Wirkrichtungen historischer Ereignisse, sozialen Wandels, wirtschaftlspolitischer Bedingungen und technischen Fortschritts, die direkt oder indirekt das Verhalten der Menschen über einen längeren Zeitraum beeinflussen (Abb. 1). Kohorteneffekte betreffen im Gegensatz zu Periodeneffekten allerdings nur bestimmte Kohorten (z.B. Jahrgänge) und nicht die gesamte Populatiion in gleichem Maße. Betrifft ein Effekt einen bestimmten Jahrgang besonders oder ausschließlich spricht man demnach von Kohorteneffekten (Breuer & Wicker, 2007; Höppflinger, 2001). Die beiden Effekte sind allerdings nicht immer trennscharf zu differenzieren, wie beispielsweise bei längerfristigen gesellschaftlichen Trends, etwa der Bildungsexpansion. Es sind zwar mehrere Kohorten fortlaufend betroffen, aber ggf. in unterschiedlichem Ausmaß (Höppflinger, 2001). Die Ursachenzuschreibung hinsichtlich eines bestimmten Effekts auf die kA im Alter bedarf dahergrundsätzlicherkonzeptioneller Unterscheidung und Erläuterung.
Aus operationaler Sicht bezieht sich Periode auf Unterschiede innerhalb von Individuen in Abhängigkeit vom Erhebungszeitpunkt. Das heißt, dass der Messzeitpunkt für den Effekt ausschlaggebend ist und für das gleiche Individuum bzw. Stichprobe mehrere Messzeitpunkte vorhanden sein müssen (Längsschnittdesign). Kohorte hingegen wird als Zeitpunkt des bedeutenden Ausgangsereignisses operationalisiert, sprich der Jahrgang bei Jahrgangskohorten. Zu einer Jahrgangskohorte gehören demnach alle Personen, die den gleichen Jahrgang bzw. im definierten Jahrgangsbereich liegen. Die Operationaliserung von Alter entspricht gewöhnlich derZeit (in Jahren), die zwischen Geburt und dem Messzeitpunkt vergangen ist (Höppflinger, 2001).
Idealtypisch wird angestrebt, die spezifischen Effekte von Alter, Kohorte und Periode zu trennen, was jedoch mit methodischen Problemen einhergeht, da sich die verschiedenen Effekte nicht immer trennscharf identifizieren lassen („Identifikationsproblem“) und linear miteinander verknüpft sind (Holtz, 2010; Höppflinger, 2001).
Empirisch sind Kohortenunterschiede der körperlichen Aktivität bislang nur spärlich untersucht worden (Allman-Farinelli, Chey, Merom, Bowles & Bauman, 2008; Canizares & Badley, 2018; Klein & Becker, 2008). Die meisten Studien kommen zu dem Ergebnis, dass sich die freizeitliche kA (LTPA) mit jeder nachfolgenden (jüngeren) Generation tendendziell erhöht, jedoch sind die Befunde diesbezüglich nicht immer kongurent (Borodulin, Laatikainen, Juolevi & Jousilahti, 2007; Leijon, Midlöv, Sundquist & Johansson, 2015). Gründe für die vermehrte Ausübung könnten unter anderem ein steigendes Bewusstsein und Aufmerksamkeit hinsichtlich kA als Teil eines gesunden Lebensstils sein, eine größere Vielfalt an Sportarten und verfügbaren lokalen Sportanlagen, und schließlich einer stetig akzeptierteren Alltagsintegration sein (Breuer & Wicker, 2009;Tiessen-Raphorst, Verbeek, de Haan & Breedveld, 2010).
2.4 Körperliche Aktivität und Kapital
In der Soziologie bezeichnet Kapital im Gegensatz zum allgemeinen Sprachgebrauch nicht ausschließlich die monetären Ressourcen, sondern alle Ressourcen, die einem Menschen für die Durchsetzung seiner Ziele zur Verfügung stehen (Bourdieu, 1983; Bundeszentrale für politische Bildung, 2016). Kapital im Sinne Bourdieus ist „akkumulierte Arbeit, entweder in Form von Materie oder in verinnerlichter, inkorporierter Form“ (Bourdieu, 1983, S. 183), welches sich Personen exklusiv aneignen können und sie damit im sozialen System positioniert. Darüber hinaus regelt Kapital den Ablauf gesellschaftlichen Lebens, „(...) als grundlegendes Prinzip der inneren Regelmäßigkeiten der sozialen Welt“ (S.183). Kapital kann erworben, vererbt, akkumuliert als auch sich selbst reproduzieren oder Profite generieren. Die Verteilung von Kapitalarten, ob in Individuen, Gruppen oder Klassen, gleicht der immanenten Struktur der gesellschaftlichen Welt, ermöglicht das beständige Funktionieren gesellschaftlicher Abläufe und bestimmt die Erfolgschancen in der Praxis (Bourdieu, 1983). Zu den Kapitalarten zählt neben dem gebräuchlichen ökonomischen Kapital auch das soziale und kulturelle Kapital. Jede Kapitalart kann die anderen Kapitalarten gemäß Bourdieu beeinflussen bzw. zu deren Anhäufung beitragen, sodass von einer Interaktion gesprochen werden kann. Die Kapitalarten befinden sich also stets in einem wechselseitigem Beziehungsgeflecht, das hinsichtlich seiner Komplexität und Wirkung auch abseits der bourdieuschen Theorie im sozialwissenschaftlichen Fokus steht (BMBF, 2020; Hoenig, 2019; Veenstra & Abel, 2019; Vollmer et al., 2018). Ein hohes ökonomisches Kapital begünstigt beispielsweise die Akkumulation von kulturellem Kapital (Bildung), zumal laut Bourdieu „(...) ein Individuum die Zeit für die Akkumulation von kulturellem Kapital nur so lange ausdehnen kann, wie ihm seine Familie freie, von ökonomischen Zwängen befreite Zeit garantieren kann“ (Bourdieu, 1983, S. 188). Eine höhere Bildung und die damit einhergehende höhere Chance auf renommierte Jobs kann die Wahrscheinlichkeit in aussichtsreichen Netzwerken zu verkehren erhöhen, sodass in diesem Beispiel das soziale Kapital vom ökonomischen bzw. kulturellen Kapital abhängt (Abel, 2008). Andererseits kann soziales Kapital auch die Chancen erhöhen, gesundheitsrelevantes kulturelles Kapital aufzubauen, z.B. durch Zugang zu
Gesundheitsinformationen, Expertenwissen und Beratung durch Dritte. Mitgliedschaften in Netzwerken oder sozialen Gruppen wie Nachbarschaftsinitiativen, Sportgruppen und Vereinen können einen Beitrag zur Anreicherung des Gesundheitswissens leisten. Der Erwerb von gesundheitsrelevantem Kulturkapital ist somit zu großen Teilen direkt abhängig von der Verfügbarkeit anderer Kapitalformen (Abel, 2008). Die Komplexität der Beziehungen zwischen den Kapitalien ergibt sich letztlich aus deren Fähigkeiten zur Übertragung, Akkumulation und Umwandlung (Abel & Fröhlich, 2012, Bourdieu, 1983). Ressourcen, die zur Auswahl oder Übernahme spezifischer gesundheitsrelevanter Lebensstile benötigt werden, resultieren dabei aus dem Zusammenspiel der Kapitalarten (Abel, 2008). Jede Kapitalart kann daher dabei helfen, eine gute Gesundheit zu erlangen oder aufrechtzuerhalten (Pinxten & Lievens, 2014).
Somit bestimmt das Kapital nicht nur die gesellschaftliche Position oder Status, sondern auch das Verhalten eines Individuums bzw. Gruppe mit. Bourdieu führte diesbezüglich den Begriffdes „Habitus“ ein, der im nächsten Abschnitt näher erläutert wird. Betrachtet man die Literatur hinsichtlich Kapital im bourdieuschen Sinne und kA, zeigt sich, dass sich nur wenige Arbeiten bislang dem Thema gewidmet haben (Engstrom, 2008; Vollmer et al., 2018; Wiltshire, Lee & Williams, 2017). Vielmehr wird in diesem Kontext die Auswirkung von Kapital auf die Gesundheit im Allgemeinen gerichtet (Abel, 2008; Veenstra&Abel, 2015; 2019).
2.4.1 Habitus
Bourdieu beschreibt den Habitus (im sozialwissenschaftlichen Kontext) als System von Dispositionen und der unbewussten Denk- Wahrnehmungs- und Handlungsschemata, welcher bei der Erzeugung allerGedanken, Verhaltensweisen und Wahrnehmungen beteiligt ist. Folglich sind diese nicht gänzlich frei wählbar, unvorhersehbar und von spontaner Improvisation geprägt, sondern im Rahmen des eigenen Habitus entstanden. Verhaltensformen und Disposition sind daher sozusagen vom Habitus determiniert, bieten dem Individuum jedoch innerhalb dieser Grenzen seine inhärenten Spielräume (Bourdieu, 1970; Weiß, 2009). Der Habitus strukturiert daher Handlungen, Dispositionen, Denkmuster etc. Zugleich behauptet Bourdieu, dass der Habitus Produkt objektiv vorhandener Rahmenbedingungen sowie unterschiedlich verfügbarer Ressourcen (Kapital) des Handelns sei (Bourdieu, 1989), sodass der Habitus auch als strukturiert angesehen werden kann. Es erfolgt demnach eine „Transformation von objektiven Strukturen in subjektive Dispositionen und damit zugleich von Haben (d.h. der Verfügung über Ressourcen) in Sein (von Präferenzen, Orientierungen)“ (Weiß, 2009, S. 32). Die Ambiguität des Begriffes Habitus ist dabei grundlegend in Bourdieus soziologischen Vorstellungen (Weiß, 2009). Daraus folgt, dass Kapital und Habitus tiefgreifend miteinander verbunden sind. Kapital strukturiert den Habitus, welcher wiederrum für Denk- Wahrnehmungs- und Handlungsschemata verantwortlich ist.
Die „Habitusformierung“, wie Bourdieu die Sozialisation nennt, hat ihren Ursprung im schulischen, aber vor allem im familiären Kontext (Lenger et al., 2013). Ihr liegen „grundlegende und einverleibte Erfahrungen der Existenzbedingungen im Kindheitsalter zugrunde“ (Bourdieu, 1987, S. 101). Verhaltensweisen, Denkmuster etc. sind dementsprechend von den Verhältnissen im Kindesalter geprägt und bestimmen diese im Laufe des Lebens. Ergo wird auch das gesundheitliche Verhalten (im höheren Alter) davon mitbestimmt (Belloni et al., 2019). Gesundheitliches Verhalten stellt dabei, neben Umweltbedingungen und Genetik des Individuums, eines der Schlüsseldeterminanten für Gesundheit im Allgemeinen dar (Marty & Salvi, 2018). Da jedoch nur wenige Studien kindheitsbezogene (retrospektive) Variablen zum Kapital verwenden bzw. eine Follow-Up-/ Längsschnittstudie mit solch großen zeitlichen Abständen aufgrund ihrer Umsetzbarkeit selten sind, fehlen Erkenntnisse zu diesem Schwerpunkt, obwohl jene Lebensphase spätere Verhaltensweisen nachhaltig mitbestimmt (Kuntz, Waldhauer, Zeiher, Finger & Lampert, 2018). Auch wenn es nicht einfach ist, die persönliche Geschichte eines Menschen anhand von Bourdieus Habitus-Konzept nachzuvollziehen, könnten gesundheitsfördernde Verhaltensweisen besser verstanden werden (Wiltshire et al., 2017). Zusammengefasst ist der Habitus ein Ausdruck hinsichtlich der Gesamtheit seiner vorliegenden Präferenzen, Auftreten, Ritus, Verhalten, Denkweise und Gewohnheiten eines Menschen, welcher sich bereits in der Kindheit ausbildet und somit den Lebensstil, also auch Bewegungsverhalten, beeinflusst.
2.4.2 Körperliche Aktivität und ökonomisches Kapital
Das ökonomische Kapital ist laut Bourdieu „unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar und eignet sich besonders zur Institutionalisierung in der Form des Eigentumsrechts“ (Bourdieu, 1983, S. 185). Geld, Immobilien, Güter, Aktien etc. sind demnach als ökonomisches Kapital zu verstehen. Andere Kapitalarten können mit Hilfe des ökonomischen Kapitals zwar teilweise erworben werden, jedoch bedarf es einer mehr oder weniger anfallenden „Transformationsarbeit“ (S.195). Außerdem behauptet Bourdieu, dass die anderen Kapitalarten dem ökonomischen Kapital zugrunde liegen, jedoch „(...) niemals ganz auf dieses zurückzuführen sind“ (S.196).
Generell gilt derZusammenhang zwischen ökonomischem Kapital und kA als positiv (CDC, 2018; O'Donoghue et al., 2018; Puciato et al., 2018). Ökonomisches Kapital begünstigt aktive Lebensstile und Verhaltensweisen. Mitgliedschaften in Sportvereinen, teures Equipment kann mittels ökonomischen Kapitals gedeckt werden (Vollmer et al., 2018). Auch Einkommen, welches als Komponente für das ökonomische Kapital gesehen werden kann, steht im positiven Zusammenhang mit kA (CDC; 2018; O'Donoghue et al., 2018; Puciato et al.,2018). Ferner ermöglicht ökonomisches Kapital das Leben in einer Umgebung, die kA begünstigt, wie zum Beispiel Grünflächen, Parks, Trainingseinrichtungen, eine sichere Nachbarschaft aber auch flexible Arbeitszeiten (Gray, Murphy & Gallag, 2016; Marty & Salvi, 2018; Shuval, Li, Gabriel & Tchernis, 2017 ).
Darüber hinaus kann ökonomisches Kapital das Bewegungsverhalten auch indirekt beeinflussen. So kann es zum Beispiel dazu verwendet werden sich das Wissen über bestimmte Sportpraktiken (Skifahren) anzueignen (Veenstra & Abel, 2019). Es erfolgt somit eine Transformation von ökonomischem in kulturelles Kapital, welche Konsequenzen im Gesundheitsverhalten mit sich bringt. Eine solche indirekte Wirkrichtung kann auch über soziales Kapital erklärt werden. Führt die Ansammlung von ökonomischen Kapital dazu, dass man mehr in Gruppen verkehrt, in denen gesundheitsrelevante Verhaltensweisen mehr Bedeutung zugesprochen wird, liegt die Aneignung ähnlicher Lebensweise nahe (Vollmer et al., 2018).
Da das ökonomische Kapital auch über Einkommen, Wohnsituation, monetäre Ressourcen abgebildet werden kann, gilt dessen Einfluss auf die kA weitestgehend als identifizert (Kari et al., 2015; Nightingale et al., 2018; Shuval et al., 2017).
2.4.3 Körperliche Aktivität und soziales Kapital
Als soziales Kapital bezeichnet Bourdieu „die Gesamtheit der aktuellen und potenziellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von (...) Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind“ (Bourdieu, 1983, S. 191). Mit anderen Worten sind es Ressourcen, die die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oderVerbundenheit zu einer Person repräsentieren.
Der Umfang des Sozialkapitals eines jeden Einzelnen hängt sowohl von der Ausdehnung des Netzwerkes ab, auf das er zurückgreifen kann, als auch von dem Umfang anderer Kapitalarten, über das andere Mitglieder seines Netzwerkes verfügen. Das soziale Kapital ist daher nicht völlig unabhängig von den anderen Kapitalarten und von denen innerhalb des Netzwerkes, die über es verfügen (Bourdieu, 1983). Soziales Kapital kann beispielsweise dazu genutzt werden einen hochbezahlten Job zu erhalten, was zu einer Steigerung des ökonomischen Kapitals führen würde. Entgegengesetzt kann viel ökonomisches Kapital aber auch zu mehr sozialem Kapital führen (Veenstra & Abel, 2019), zum Beispiel bei Besitz eines Fußballvereins. Voraussetzung solcher Tauschbeziehungen ist jedoch die Akklamation einer gewissen Konformität unter den Mitgliedern des Beziehungsgeflechts. Zudem übt das Sozialkapital einen „Multiplikatoreffekt auf das tatsächlich verfügbare Kapital aus“ (Bourdieu, 1983, S. 192). Damit liefert Bourdieu einen breiten konzeptionellen Rahmen für das soziale Kapital, der die materielle und kulturelle Komplexität und Bedeutung miteinbezieht (Wiltshire & Stevinson, 2017).
Der Zusammenhang zwischen sozialem Kapital und kA gilt ebenfalls als positiv, sprich desto mehr soziales Kapital eine Person verfügt, desto gesünder ist deren Lebensstil (Abel, 2008; Vollmer et al., 2018) und desto körperlich aktiver ist die Person (Aliyas, 2019; Chen et al., 2019). Es wird argumentiert, dass soziales Kapital dabei hilft, kollektiv einen gesunden Lebensstil zu führen. Mitverantwortlich ist dabei zum Beispiel die Schaffung einer gesundheitsförderlichen Nachbarschaftsatmosphäre (Aliyas, 2019) oder Motivationssanreize für Aktivitäten (Vollmer et al., 2018), die man ggf. nicht alleine nicht durchgeführt hätte, wie z.B. Fahrradfahren. Darüber hinaus kann die Wirkrichtung zwischen kA und sozialem Kapital auch reziprok sein. Der Wille sich sportlich zu engagieren führt nicht selten zu der Erweiterung der sozialen Konktakte, wie z.B. in einem Sportverein. Auch wurde bestätigt, dass Einsamkeit (im Alter) mit einer Verschlechterung der psychischen und physischen Gesundheit einergeht, was der Ausübung körperlicher Aktivitäen entgegensteht (Philip, Polkey, Hopkisnon, Steptoe & Fancourt, 2020).
Problematisch ist jedoch die Operationalisierung des bourdieuschen sozialen Kapitals, da er nie beschrieben hat, wie dies zu messen sei (Pinxten & Lievens, 2014). Die Operationalisierung von sozialem Kapital im allgemeinen Sinne erfolgt auf verschiedenste Weise, zumal es sich bei sozialem Kapital um ein komplexes Konstrukt mit mehreren Dimensionen handelt (Kawachi, Subramanian & Kim, 2008). Soziale Unterstützung, Nachbarschaft, soziale Partizipation, soziale Diversität, Vertrauen oder Anzahl/Umfang an Nertzwerkmitgliedern sind oft verwendete Items, um die das soziale Kapital abzubilden (Aliyas, 2019; Chen, et al., 2019; Kawachi et al., 2008; Lindstrom, 2011).
2.4.4 Körperliche Aktivität und kulturelles Kapital
Kultuerelles Kapital kann laut Bourdieu in drei Formen vorliegen: (1.) in verinnerlichtem, inkorporiertem Zustand, sprich in dauerhaften Dispositionen, Wissen, Fähigkeiten, Verhaltens- und Denkmustern einer Person, (2.) in objektiviertem Zustand, zum Beispiel in Form von kulturellen Gütern, Bildern, Büchern, Instrumenten etc. und (3.) in institutionalisiertem Zustand, einer Art Objektivation, wie schulischen Titeln und Abschlüssen (1983).
Dabei ist es vor allem das inkorporierte kulturelle Kapital, welches das Verhalten und somit auch das Bewegungsverhalten von Menschen beeinflusst von gesundheitlicher Relevanz (Abel, 2008; Engstrom, 2008; Pinxten & Lievens, 2014; Warde, 2006). Kulturelles Kapital in Form von Gesundheitswerten, Wahrnehmungen, Gesundheitswissen, Vorlieben und Verhaltensnormen stellen die immateriellen Ressourcen bereit, die benötigt werden, um gesunde Lebensgewohnheiten zu entwickeln, gesundheitsfördernden Aktivitäten nachzugehen und gesundheitsbedinge Probleme im Alltag zu bewältigen (Abel, 2008). Inkorporiertes Kapital ist unterdessen ein Besitztum, welches zu einem festen Bestandteil der Person, zum „Habitus“ wird (Bourdieu, 1983, S. 187). Folglich kann verinnerlichtes Kapital (im Unterschied zu Geld, Besitz- oder sogar Adelstiteln) nicht durch Schenkung, Kauf oder Tausch kurzfristig weitergegeben werden. Der Erwerb setzt einen Verinnerlichungsprozess voraus, welcher Zeit erfordert und nur durch die eigene Person vollzogen werden kann. Dieser Prozess kann aber auch vollkommen unbewusst geschehen (Bourdieu, 1983), wie dem Aneignen eines bestimmten Sprachstils in einer Region oder dem Nachahmen mütterlicher Verhaltensweisen in frühkindlichen Phasen. Die Akkumulation von inkorporiertem Kapital beginnt daher von frühester Kindheit an, sodass „die Zeit der Sozialisation auch eine Zeit der Akkumulation [kulturellen Kapitals] ist“ (Bourdieu, 1983, S. 188). Im Rahmen der familiär erfolgten Teilsozialisation ist das Bildungsniveau der Eltern folglich ebenfalls von hoher Bedeutung für das Eigene (Xu & Jiang, 2020). Es ist sowohl positiv mit dem inkorporierten kulturellen Kapital hinsichtlich des Wissens überden Zweck sowie die Präferenz für Bildung als Mittel der individuellen Wohlfahrtsproduktion verknüpft. Entsprechend steigt mit dem kulturellen Kapital der Eltern die Wahrscheinlichkeit, dass Ressourcen sowohl indirekt in eine den Bildungsfortschritt fördernde Umwelt des Kindes als auch direkt in bildungsstimulierende Maßnahmen investiert werden (Nauck & Schnoor, 2015).
Vor diesem Hintergrund kann nach Bourdieu das kulturelle Kapital nicht nur eine Reduktion auf die bloße Dauer des individuellen Schuldbesuchs sein, zumal auch die Primärerziehung innerhalb der Familie berücksichtigt werden muss. In der Literatur lässt sich diese Operationalisierung, respektive Art des Bildungsabschlusses und Dauer zu dessen Erwerb, jedoch vorwiegend beobachten (Pinxten & Lievens, 2014; O'Donoghue et al., 2018), obwohl sie selbst institutionalisiertes kulturelles Kapital nicht vollends abbildet (Veenstra & Abel, 2019). Dem liegt die Theorie zugrunde, dass Wissen und Kompetenzen umso starker ausgeprägt sind, je länger eine Person im Bildungssystem verblieb bzw. je höher sein Bildungsabschluss ist und dessen Operationalisierung in der Praxis am besten umsetzbar ist (Schneider, 2015).
Der Zusammenhang von Bildung und kA wurde in der Literatur ausgiebig untersucht und gilt als positiv (CDC, 2018; O'Donoghue et al., 2018; Rohrer & Haller, 2015). Diese Tendenz besteht auch, wenn kA und kulturelles Kapital im weiteren (bourdieuschen) Sinne betrachtet werden (Engstrom, 2008; Vollmer et al., 2018), auch wenn es diesbezüglich nicht viele Studien gibt (Pinxten & Lievens, 2014). Bestätigt werden konnte derZusammenhang vorranig in Bezug aufGesundheit (Abel, 2008; Pinxten & Lievens, 2014; Veenstra & Abel, 2015; 2019). Nach Wissen des Autors gibt es schließlich keine Studie, die Zusammenhang innerhalb einer Stichprobe mit älteren Erwachsenen evaluiert und dabei auch kindheitsbezogene Variablen verwendet.
Der Zusammenhang zwischen kA und kulturellem Kapital ergründet sich in vielerlei Hinsicht. Der längere Verbleib im Bildungssystem ermöglicht eine längere Teilnahme am Sportunterricht oder universitären Sportangeboten, sowie außerschulischen Sportangeboten (Rohrer & Haller, 2015). Höhere Bildung geht zudem mit einem stärkeren Bewusstsein für die Vorteile von körperlicher Betätigung, einer stärker ausgeprägten Selbstkontrolle sowie Selbstwirksamkeit hinsichtlich kA einher (Marty & Salvi, 2018; Shaw & Spokane, 2008). Darauf aufbauend kann auch die Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub und die Orientierung an längerfristigen Zielsetzungen sowie an Werten wie Leistung, Disziplin, (körperbezogene) Verantwortung usw. den Zugang zu kA und deren Aufrechterhaltung erleichtern (Klein, 2009). Letztlich ist es auch das Know-How um die körperliche Betätigung an sich, wie beispielsweise Schwimmen, Skifahren o.Ä. (operational skills), welches eine vermehrte Ausübung begünstigt (Abel, 2008).
2.4.5 Kapitalinteraktionen
Wie bereits festgestellt, beeinflussen sich die Kapitalarten gegenseitig, zumal diese zur Übertragung, Akkumulation und Umwandlung einer anderen Kapitalart eingesetzt werden können (Abel & Fröhlich, 2012; Bourdieu, 1983; Veenstra & Abel, 2015; 2019). Dieses Wirkungsgeflecht bezieht sich jedoch nicht nur auf die Kapitalarten selbst sondern infolgedessen auch auf den Einfluss, den diese auf die Gesundheit haben, ergo auch auf die körperliche Aktivität (Abel & Fröhlich, 2012). Man spricht in dem Kontext auch von „Capital multiplier interplays“ (De Clerq et al., 2017; Veenstra & Abel, 2015; 2019). Bei diesen Interaktionen wird durch die Verwendung oder Besitz einer Kapitalform der Effekt auf die zu untersuchenede Variable durch den Besitz oder Verwendung einer anderen Kapitalform verstärkt („multiplier“). Die Wechselwirkung zwischen einer Kapitalform und gesundheitsrelevantem Verhalten wird also durch das Vorhandensein einer anderen Kapitalform bedingt und potenziert (Veenstra & Abel, 2019). Man kann daher von einer Moderation sprechen. Praxisnahe Beispiele für solche Interaktionen sind etwa, wenn man sein ökonomisches Kapital zur Verbesserung seiner Gesundheit nutzt, weil man sich der Bedeutung von Gesundheit bewußt ist und deshalb Geld zu diesem Zweck aufwendet. Kulturelles Kapital (Wissen) beeinflusst in dem Falle den Zusammenhang. Oder andersherum kann ökonomisches Kapital den Zusammenhang zwischen kulturellem Kapital und Gesundheit verstärken, wenn die Umsetzung an monetäre Ressourcen gebunden ist, wie z.B. gesundes Essen (Veenstra & Abel, 2019). Ähnliches Prinzip gilt z.B. für den Zusammenhang zwischen sozialem Kapital und kA, wenn das Ausmaß an kulturellem Kapital darüber bestimmt, inwiefern man seine Netzwerke für seine eigene Gesundheit instrumentalisiert. Die Beispiele zeigen wie komplex die Zusammenhänge zwischen den Kapitalformen sind und, dass eine isolierte Betrachtung von Kapitalien der Abbildung der Realität nicht gerecht werden kann. So schreiben Abel & Fröhlich (2012, S. 238): „A critical aspect to Bourdieu’s Capital theory is that no single one of the three forms of Capital alone can fully explain the reproduction of social inequalities; it takes all three, and importantly, the interaction between the three to permit for social inequalities to endure over time”.
Interaktionseffekte wurden auch hier bislang eher im allgemeinen gesundheitlichen Kontext untersucht und nicht auf die körperliche Aktivität bezogen (Cockerham, 2021), sodass Studien diesbezüglich noch fehlen.
2.5 Kapitaleinfluss und Generationszugehörigkeit
Inwiefern sich die Kapitaleinflüsse zwischen den Generationen unterscheiden, wurde bis dato noch nicht eingehend untersucht. In Anbetracht einer unterschiedlich prägenden Sozialisation und damit kulturellen Kapitalakkumulation zwischen den Generationen (s. 2.3), könnte der Effekt kulturellen Kapitals auf die kA zwischen den Genrationen unterschiedlich ausfallen und somit mitverantwortlich für das Bewegungsprofil im Alter sein. Aufgrund der Bildungsexpansion im Laufe des 20. Jahrhunderts könnte die eigene Bildung oder die der Eltern (kulturelles Kapital) innerhalb jüngerer Generationen einen stärkeren Effekt auf die kA im Alter aufweisen, als es bei älteren Generationen der Fall ist, unteranderem aufgrund der anhaltenden Steigerung des Bewusstseins für Gesundheit und dem Körper als identifikationsstiftendes Distinktionsmedium an sich (Kuckartz & Rheingans-Heintze, 2006; Vollmer, Kaufmann & Gieß-Stüber, 2018), sowie einer grundsätzlichen Steigerung der kA von Bessergebildeten(Klein & Becker, 2008).
Neben generationsspezifischen kulturellen Kapitaleinflüssen könnten auch unterschiedliche ökonomische Verhältnisse einen Einfluss auf die kA im Alter haben. Wirtschaftliche Deprivation im Kindheitsalter, zum Beispiel während des zweiten Weltkrieges bzw. in der Nachkriegszeit, führte nicht selten zu einem differenzierten Umgang mit sich, seiner Gesundheit und Verhalten im späteren Leben (Duffy, McLaughlin & Green, 2018; Kesternich, Siflinger, Smith & Winter, 2014; Mink, Boutron- Ruault, Charles, Allais & Fagherazzi, 2020), sodass auch der Einfluss ökonomischen Kapitals auf die kAzwischen den Generationen variieren könnte.
Darüber hinaus könnten auch die Zusammenhänge zwischen den Kapitalien generationsübergreifend variieren. So könnte beispielsweise der Einfluss von kulturellem Kapital auf den Zusammenhang zwischen ökonomischen Kapital und kA bei jüngeren Generationen höher ausfallen, da das ökonomsiche Kapital mithilfe von Wissen und Fähigkeiten um Sport vermehrt zur körperlichen Ertüchtigung eingesetzt werden könnte (Moderation). Da noch keine generationsspezifische Untersuchungen von Kapitaleinflüssen auf die kA vorliegen, bleibt die Frage offen, ob sich diese voneinander unterscheiden.
2.6 Forschungsfragen
Die bisher erörterten Wirkmechanismen und Zusammenhänge sollen unter Mithilfe von Forschungsfragen analysiert werden. Zur Veranschaulichung der Zusammenhänge, wurde ein konzeptionelles Model erstellt (Abb. 2). Die drei Kapitalarten beeinflussen das Ausmaß an kA, welche wiederum positive Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Die Kapitalarten interagieren darüber hinaus auch untereinander und haben Einfluss auf den Effekt anderen Kapitalarten (capital multiplier interplay). Durch die Aufnahme aller Kapitalarten kann der Nettoeffekt einer jeden Kapitalart zudem bestmöglich bewertet werden (Pinxten & Lievens, 2014). Hintergrund für die Arbeit ist der Mangel an Literatur zu diesem Thema. Zwar wurde der Einfluss von Bildung, Einkommen, sozialem Status etc. bereits ausgiebig behandelt, jedoch der Ansatz im Sinne Bourdieus nur selten verfolgt und nicht auf die kA in derzweiten Lebenshälfte bezogen (Vollmer et al., 2018). Eine ausdifferenzierte Betrachtung zwischen moderater und intensiver kA ist ebenfalls rar, obwohl diese gleichermaßen zur Bemessung von ausreichend kA notwendig sind (WHO, 2019). Weiterhin werden kindheitsbezogene bzw. familiäre Variablen nur in den wenigsten Studien verwendet, obwohl dies nachgewiesener Weise ausschlaggebend für das Gesundheitsverhalten im Alter bzw. Lebenslauf gilt (Belloni et al., 2019; Klein, 2009). Darüber hinaus soll nicht nur eine ältere Stichprobe als Ganzes zur Untersuchung dienen, sondern eine Stratifizierung nach Alter vorgenommen werden, um Unterschiede zwischen diesen aufzuzeigen. Kapitaleinflüsse wurden zudem vorrangig auf Gesundheit bezogen, nicht auf körperliche Aktivität an sich.
Zur Untersuchung des Themas sollen daher folgende Forschungsfragen beantwortet werden:
(1) In welchem Umfang haben die drei bourdieuschen Kapitalarten Einfluss aufdie mode- rate/intensive körperliche Aktivität im Alter?
(2) Inwiefern interagieren die drei Kapitalformen untereinander (Kapitalinteaktion)?
(3) Inwieweit unterscheiden sich die Kapitaleinflüsse und deren Interaktionen in Bezug auf die Generationszugehörigkeit?
3 Methodik
3.1 SHARE-Datensatz
Zur Untersuchung der Forschungsfragen wurde der SHARE-Datensatz verwendet. Der „Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe“ (SHARE) ist eine Forschungseinrichtung zur Untersuchung von Auswirkungen der Gesundheits-, Sozial-, Wirtschafts- und Umweltpolitik auf den Lebensverlauf der europäischen Bürger. Von 2004 bis heute wurden 380.000 eingehende Interviews mit 140.000 Menschen ab 50 Jahren aus 28 europäischen Ländern und Israel durchgeführt. Damit ist SHARE die größte europaweite sozialwissenschaftliche Panel-Studie, die mitunter Einblicke in die Bereiche öffentliche Gesundheit und sozioökonomische Lebensbedingungen europäischer Personen ermöglicht. Aufgrund seines kohortensequenziellen Längsschnittdesigns, seiner Themenbreite, seiner internationalen Repräsentativität mit vergleichsweise hoher Fallzahl und der bereits relativ langen Beobachtungsdauer stellt SHARE eine zentrale Datenquelle zur interdisziplinären Erforschung der Lebenssituationen und Lebensverläufe der zweiten Lebenshälfte dar. Die Studie wurde in (bis dato) acht Wellen erhoben, von denen in dieser Arbeit Welle 7 und Welle 8 verwendet wurden (SHARE, 2021).
Welle 7 wurde verwendet, da diese die Besonderheit aufweist, auch retrospektive Variablen abgefragt zu haben. Dabei handelt es sich um die sogenannte „SHARELIFE-Umfrage“. Die retrospektiven Variablen fokussieren die Lebensgeschichte und Umstände zu bestimmten Zeitpunkten der Menschen, unter Anderem zu Bereichen der Arbeitshistorie, Wohnen, Familie bis hin zu detaillierten Fragen zu Gesundheit und Gesundheitsversorgung. Über77.000 Männer und Frauen aus 27 europäischen Ländern und Israel nahmen an der Befragung aus dem Jahr 2017 teil. Die SHARELIFE- Daten können zudem mit vorhandenen SHARE-Daten personenspezifisch verknüpft werden. Weiterhin wurden auch die ISCED-Daten aus der Welle 7 entnommen, da diese in Welle 8 nur unvollständig aufgenommen wurden. Da es sich beim ISCED-Score auch um quasi retrospektive Variablen handelt (Abfrage der Schuldbildung/Ausbildung), können auch diese für eine Querschnittsanalyse herangezogen werden, da sich diese im höheren Alter de facto nicht mehrverändern.
Die eigentliche Basis der Untersuchung bildet Welle 8. Diese wurde im Jahr 2019/2020 durchgeführt und im Juni 2021 veröffentlicht. Welle 8 bietet neben Welle 4 und 6 zudem Variablen zum sozialen Netzwerk einer Person, welche für die Abbildung des sozialen Kapitals unabdingbar waren. Welle 8 umfasst Daten von 46.500 Personen mit dem gleichen europäischen Spektrum wie Welle 7. Die Anzahl an Personen, die an beiden Wellen teilgenommen haben und somit für die Analyse in Frage kommen, liegt bei 41.173 Probanden. Personen, die nicht an Welle 7 und 8 teilgenommen haben oder nicht vollständige Werte bezüglich relevanter Variablen aufweisen, wurden von der Analyse ausgeschlossen. Um die Forschungsfragen beantworten zu können, wurden aus der Vielzahl von SHARE abgefragten Variablen, neben den Variablen bezüglich kulturellen, ökonomischen und sozialen Kapitals, auch soziodemografische und gesundheitsspezifische Kontrollvariablen mit aufgenommen. Die Datenerhebung bei beiden Wellen basiert auf dem computergestützten persönlichen Interview (CAPI). Die Interviewer führen Face-to-Face-Interviews mit einem Computer durch, auf dem das CAPI-Programm installiert ist. Persönliche Interviews sind für SHARE notwendig, da teils auf die Reaktionen der Teilnehmer spezifisch eingegangen werden muss sowie die Durchführung von körperlichen Tests ermöglicht wird (SHARE, 2021).
Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass aufgrund der erst kürzlich vorgenommen Veröffentlichung der Welle 8 noch nicht alle Datendokumentationen vorhanden waren. So fehlte das „Data & Documentation Tool”, das „Scales and Multi-Item Indicators Manual“ und das „Methology Manual“ zu Welle 8. Benötigte Informationen wurden aus den entsprechenden Vorversionen entnommen.
3.2 Stichprobe
Nachdem alle Kriterien angewandt wurden, verblieben von den 41.173 aus beiden Wellen 10.261 Personen. Die Ausschlusskriterien waren neben dem Mindestalter von 50 Jahren auch ein Maximalalter von unter 90, sodass sich die drei Kohorten in ihrer Altersspanne nicht unverhältnismäßig stark voneinander unterscheiden. Ein weiteres Kriterium waren gültige Angaben zu allen verwendeten Variablen. Es wurden demnach nur Fälle aufgenommen, die vollständig sind und bei relevanten Fragen nicht "Refusal" oder ,,Don‘t know“ angegeben haben, sodass es sich um eine „complete case analysis“ (Mukaka, White, Terlouw, Mwapasa, Kalilani-Phiri & Faragher, 2016) handelt. Außerdem wurden alle Personen entfernt, die als Heimatland „Israel“ angegeben haben, um von einer rein europäischen Stichprobe sprechen zu können. Die Stichprobe enthält letztlich Personen aus Österreich, Deutschland, Schweden, Spanien, Italien, Frankreich, Dänemark, Griechenland, Schweiz, Belgien, Tschechien, Polen, Luxemburg, Slowenien, Estland und Kroatien.
Zuletzt wurden Personen ausgeschlossen, die ein Monatseinkommen von mehr als 145.000 und darüber hinaus angegeben haben, was dem Hundertfachen des Medians entsprach und auf zwei Personen zutraf. Die Tabelle 2 und 3 zeigen die Stichprobencharakteristika, unterteilt in verschiedene Altersgruppen. Um gruppenspezifische Verteilungen aufzuzeigen, wurden die Ergebnisse der Signifikanztests sowie deren Zusammenhangsmaß (Cramer' V bzw. Eta Quadrat) mit in die Tabellen aufgenommen.
3.3 Variablen
Die abhängige Variable (AV), sprich die körperliche Aktivität, wurde innerhalb des SHARE mittels zwei Items abgefragt. Zum einen wurde die moderate und zum anderen die intensive (vigorous) körperliche Tätigkeit im Alltag abgefragt. Die Beantwortung der beiden Fragen erfolgte über vier vorgegebene Antwortmöglichkeiten von „Mehr als einmal wöchentlich“ über „Einmal wöchentlich“ sowie „Ein- bis dreimal pro Monat“ bis hin zu “So gut wie nie oder nie“. Die beiden Variablen wurden schließlich in binäre Variablen umgewandelt. „Einmal wöchentlich oder öfter wurde als „körperlich aktiv“ (=1) codiert, die beiden anderen Antwortmöglichkeiten als inaktiv (=0).
Die Kapitalarten wurden folgendermaßen abgebildet: Soziales Kapital wurde über die Variable „sn_scale“ erfasst. Diese stellt eine Skala (0-4) sozialerVerbundenheit dar, eine generierte Zusammenfassung von sozialen Netzwerkdaten aus dem SHARE. Desto höher der Wert, desto höher die soziale Verbundenheit, größer und diverser das Netzwerk.
Die zugrundeliegenden Netzwerkdaten umfassen (1) die Anzahl der genannten Personen (Netzwerkgröße), (2) die Anzahl der genannten Netzwerkmitglieder, die im Umkreis von 25 km (Umkreis) leben, (3) die Anzahl der genannten Personen mit wöchentlichem oder öfteren Kontakt (Häufigkeit), (4) die Anzahl der genannten Personen mit sehr enger emotionaler Bindung (Unterstützung) und (5) die Anzahl der verschiedenen Arten von Beziehungen, die innerhalb des Netzwerks vorhanden sind (Vielfalt). Die ersten vier dieser Items wurden wie folgt bewertet: 0 = 0,1 = 1,2 = 2-3, 3 = 4-5 und 4 = 6-7 Personen. Das fünfte Item spiegelt die Anzahl der verschiedenen Beziehungskategorien [(a) Ehepartner, (b) andere Familie, einschließlich Kinder, (c) Freund und (d) andere] wider, die im Netzwerk vorhanden sind (0-4). Für jede dieser Einzelkomponenten der Skala gilt die Annahme, je mehr genannte Personen bzw. Beziehungsarten in den Kategorien desto stärker das Netzwerk und die sozialen Ressourcen. Die fünf aufsummierten Items ergeben also einen Rohwert von 0-20. Eine kalibrierte Version der Skala wurde nach folgender Umrechnung codiert: 0 = 0,1 = 1-5, 2 = 6-10, 3 = 11-15 und 4 = 16-20. Umfrageteilnehmer, die keine Person innerhalb ihres sozialen Netzwerks angaben, erhielten automatisch einen Wert von 0. Die für Welle 6 durchgeführte Hauptkomponentenanalyse bestätigte, dass die 5 Items auf den einzelnen Faktor luden (Malter & Börschu-Supan, 2017). Ergänzt wird die Variable der sozialen Verbundenheit von einer Variable, die den Partnerstatus eines Individuums abfragt. Die drei Antwortmöglichkeiten „no partner“, partner in household“ und Partner outside of household“ wurden dabei in zwei zusammengefasst, nämlich „no partner“(0) und ,,partner“(1). Der Gebrauch einer Partnervariable ist bei verwandten Studien ein verbreitetes Instrument zur Kontrolle des sozialen Kapitals (Faß & Schlesinger, 2019; Gray, 2009). Das Vorhandensein eines Partners ist gemäß Literatur positiv mit der kA verbunden, da dieser einer potenziellen Alterseinsamkeit entgegenwirkt, zumal diese mit Gesundheit und kA negativ zusammenhängt (Philip et al., 2020).
Das ökonomische Kapital wurde über das durchschnittliche Haushaltseinkommen (in einem durchschnittlichen Monat) nach Steuern und Sozialabgaben in der lokalen Währung ermessen, welches ein objektives Maß zur Beurteilung des ökonomischen Kapitals darstellt. Um die Haushaltseinkommen über alle Länder hinweg miteinander vergleichen zu können, wurde das Einkommen mit Hilfe des länderspezifischen Preisniveauindexes (PNI) neu berechnet. Der Preisniveauindex beruht auf.
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