Diese Arbeit widmet sich der Frage, inwiefern sich der Wandel des Ausrufezeichens in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat und untersucht, inwieweit sich die Art der Verwendung dessen verändert hat.
Um einen theoretischen Rahmen zu schaffen, wird das Augenmerk zunächst auf die Herkunft, den geschichtlichen Hintergrund und die Interpunktionsregeln gelenkt, welche dem Satzzeichen zugrunde liegen. Hierfür werden Hinweise der Rechtschreiblehren der letzten vier Jahrhunderten hinsichtlich des Ausrufezeichens untersucht (beginnend mit dem 18. und abschließend mit dem 21. Jahrhundert), damit bekannt ist, wie die Leitlinien für den Gebrauch des Ausrufezeichens waren und sind. Diese Regeln sollen genauer untersucht und erläutert werden, um später auf diese theoretische Grundlage zurückgreifen zu können, wenn die Ergebnisse der Korpusanalyse ausgewertet werden.
Diese Korpusanalyse wird die Basis des zweiten empirisch ausgerichteten Teils dieser Arbeit sein. Es werden hierbei Zeitungstexte aus den unterschiedlichen Jahrhunderten untersucht, um zu erfahren, ob und wie sich die Verwendungsart und -häufigkeit des Ausrufezeichens gewandelt hat.
Liest man Zeitungsartikel oder auch Beiträge in Foren, die sich mit Orthografie und Interpunktion beschäftigen, so stellt man schnell fest, dass über kein anderes Satzzeichen so große Uneinigkeit herrscht und so viel Unterschiedliches berichtet wird wie beim Ausrufezeichen. Zum Teil wird das Satzzeichen als unbegründet unbeliebtes und vom Aussterben bedrohtes Satzzeichen betrauert, während man gleichzeitig Beschwerden darüber liest, dass das Ausrufezeichen inflationär gebraucht wird und man im Alltag regelrecht davon überschwemmt wird.
Inhalt
1. Einleitung
2. Hintergrundinformationen und Interpunktionsregeln des Ausrufezeichens
2.1 Form, Etymologie, Varianten und die geschichtlichen Anfänge des Ausrufezeichens
2.2 Interpunktionsregeln des 18. Jahrhunderts
2.3 Interpunktionsregeln des 19. Jahrhunderts
2.4 Interpunktionsregeln des 20. Jahrhunderts
2.5 Interpunktionsregeln des 21. Jahrhunderts
3. Überprüfung der Verwendung des Ausrufezeichens anhand von Zeitungstexten
3.1 Vorgehensweise der Korpusanalyse
3.2 Vorstellung und Auswertung der Ergebnisse des 18. Jahrhunderts
3.3 Vorstellung und Auswertung der Ergebnisse des 19. Jahrhunderts
3.4 Vorstellung und Auswertung der Ergebnisse des 20. Jahrhunderts
3.5 Vorstellung und Auswertung der Ergebnisse des 21. Jahrhunderts
3.6 Vergleichsanalyse
4. Fazit
5. Forschungsliteratur
6. Anhang
1. Einleitung
Liest man Zeitungsartikel oder auch Beiträge in Foren, die sich mit Orthografie und Interpunktion beschäftigen, so stellt man schnell fest, dass über kein anderes Satzzeichen so große Uneinigkeit herrscht und so viel Unterschiedliches berichtet wird wie beim Ausrufezeichen. Zum Teil wird das Satzzeichen als unbegründet unbeliebtes und vom Aussterben bedrohtes Satzzeichen betrauert, während man gleichzeitig Beschwerden darüber liest, dass das Ausrufezeichen inflationär gebraucht wird und man im Alltag regelrecht davon überschwemmt wird. So liest man beispielsweise im Süddeutsche Zeitung Magazin die Beschwerde:
Wo man auch hinschaut: Das Ausrufezeichen ist schon da, oft sogar mehrfach. Auf Schildern [...], Wahlplakaten (»Gerechtigkeit!«), Briefen (»Sehr geehrter Herr Krause!«). Diese Sätze wären auch mit Punkt oder Komma ausgekommen, aber das war offenbar zu wenig (Krause 2014, 11).
Auf verschiedenen Blogs lassen sich ebenfalls die Forderungen zum verminderten Gebrauch des Satzzeichens finden:
Lässt man es konsequent weg, wird es niemand vermissen. Möchte man seiner Begeisterung Aus- und Nachdruck verleihen, greife man getrost auf die Möglichkeiten der sprachlichen Akzentsetzung zurück. Wozu haben wir denn all die wunderschönen emphatischen Stilmittel? (Stein 2009,1)
Andererseits hat das Ausrufezeichen auch etliche Befürworter; so kann man zum Beispiel auf Welt.de die Aussage finden, dass ein Ausrufezeichen am Ende eines Satzes dazu führt, dass der Schreiber als vertrauenswürdiger und ehrlicher eingestuft wird und dass das Satzzeichen zu Unrecht ein negatives Image hat (vgl. Teetz 2015,1).
Welche der Parteien mit ihrer Annahme recht behält, sei vorerst dahingestellt. Sicher ist nur, dass das Ausrufezeichen, wie jedes Satzzeichen, im Laufe seiner Existenz einen Wandel erlebt hat. Diese Arbeit will sich der Frage widmen, inwiefern sich dieser Wandel in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat und untersuchen, inwieweit sich die Art der Verwendung des Ausrufezeichens verändert hat. Um einen theoretischen Rahmen zu schaffen, wird das Augenmerk zunächst auf die Herkunft, den geschichtlichen Hintergrund und die Interpunktionsregeln gelenkt, welche dem Satzzeichen zugrunde liegen. Hierfür werden Hinweise der Rechtschreiblehren der letzten vier Jahrhunderten hinsichtlich des Ausrufezeichens untersucht (beginnend mit dem 18. und abschließend mit dem 21. Jahrhundert) damit bekannt ist, wie die Leitlinien für den Gebrauch des Ausrufezeichens waren und sind. Diese Regeln sollen genauer untersucht und erläutert werden, um später auf diese theoretische Grundlage zurückzugreifen zu können, wenn die Ergebnisse der Korpusanalyse ausgewertet werden. Diese Korpusanalyse wird die Basis des zweiten empirisch ausgerichteten Teils dieser Arbeit sein. Es werden hierbei Zeitungstexte aus den unterschiedlichen Jahrhunderten untersucht, um zu erfahren, ob und wie sich die Verwendungsart und -häufigkeit des Ausrufezeichens gewandelt hat.
2. Hintergrundinformationen und Interpunktionsregeln des Ausrufezeichens
Um den Wandel, den ein Satzzeichen im Laufe der Zeit durchlebt hat, richtig zu verstehen, ist es hilfreich, einen Blick auf die Grundlagen eines solchen zu werfen. Diese Grundlagen werden im ersten theoretisch konzipierten Teil dieser Arbeit dargelegt.
Zunächst wird das Ausrufezeichen allgemein definiert, wobei dessen Form, sprachgeschichtliche Herkunft sowie einige Varianten des Satzzeichens besprochen werden. Zudem wird ein kurzer geschichtlicher Abriss über die wichtigsten Entwicklungen gegeben, die das Satzzeichen bis zum 18. Jahrhundert durchlebt hat, um danach auf die detaillierten Rechtschreibregelungen der folgenden vier Jahrhunderte nahtlos übergehen zu können.
2.1 Form, Etymologie, Varianten und die geschichtlichen Anfänge des Ausrufezeichens
Die aktuelle Definition des Ausrufezeichens, welches man im Duden oder in dessen Onlineversion nachschlagen kann, beschreibt das Zeichen als ein „Satzzeichen in Form eines senkrechten Strichs mit einem Punkt darunter, das nach Ausrufe-, Wunsch- und Aufforderungssätzen sowie nach Ausrufewörtern steht“ (Winkenbach 2014, 1). Die Gestalt des Ausrufezeichens geht wahrscheinlich auf den etwas dickeren Druck des damaligen Kommas zurück (vgl. Höchli 1981, 287). „Das graphische Zeichen hält also wie eine Wand, welche die ankommenden Wörter auflaufen lässt, den Wortfluss für einen kurzen, aber signifikanten Augenblick an. In diesem Halten entlädt sich die sinnvolle Intention des Ausrufezeichens“ (Maiolino 2009, 30). Das Ausrufezeichen wird außerdem, genau wie der Punkt und das Fragezeichen, als sogenanntes Satzschlusszeichen eingestuft (vgl. Duden 2006, 1073), was bedeutet, dass „sie das Ende von einfachen und zusammengesetzten Sätzen markieren“ (Heuer; Flückiger; Gallmann 2006, 386).1
Die Bezeichnung des Ausrufezeichens geht zurück auf eine Lehnübersetzung des lateinischen Ausdrucks signum exclamandi beziehungsweise signum exclamationis (vgl. Kaiser 1970, 53) und wurde in einer „lateinischen ausgerichteten Phase, die mit Niklas von Wyle begann [und] mit Friedrich Riederer den Höhepunkt erreichte“ (Höchli 1981, 313) in den deutschen Sprachgebrauch eingeführt.
Das Ausrufezeichen tritt in mehreren Variationen in der deutschsprachigen Landschaft auf wobei Ausdrücke wie Ausrufzeichen, Ausrufimgszeichen, Rufezeichen und Rufzeichen geläufig sind.
In der Schweiz kommt [...] auch Ausrufzeichen (ohne Fugen-e) vor. Ganz deutlich ist der Unterschied zum österreichischen Gebrauch: In den meisten österreichischen Bundesländern ist Rufzeichen üblich [...] In Tirol heißt es in der Regel Rufezeichen (mit Fugen-e) - dies ist auch die in Südtirol übliche Variante in Vorarlberg scheint der Gebrauch zwischen Rufezeichen und Rufzeichen zu schwanken (Möller/Elspaß 2012, 1).
Untersucht man den geschichtlichen Ursprung des Ausrufezeichens, so muss man feststellen, dass das Ausrufezeichen ein vergleichsweise junges Satzzeichen ist. Betrachtet man den Verlauf der deutschen Interpunktionslehre allgemein, so muss man feststellen, dass dessen Wurzeln bereits im 15. und 16. Jahrhundert zu finden sind:
Im Zuge [...] [der] Entwicklung von einer Volkssprache hin zu einer Schriftsprache wird die Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache immer intensiver. Sogenannte Grammatiker veröffentlichten Regelwerke zur deutschen Grammatik und Rechtschreibung, in denen ebenfalls die Verwendung der Satzzeichen beschrieben wird. Darin weisen sie den Satzzeichen verstärkt die Rolle zu, Texte syntaktisch-grammatikalisch zu gliedern (Heising 2013,1).
Allerdings wird in diesen ersten Regelwerken, die sich mit der Interpunktion beschäftigen, das Ausrufezeichen noch nicht erwähnt. „In den älteren Schriften der romanischen Sprachen fehlt das Ausrufezeichen als solches überhaupt, und in Deutschland gilt der Erstdruck von Johann Fischarts «Flöh-Hatz» (1572) wohl als ältestes Zeugnis für seine Anwendung“ (Stang; Steinhauer 2007, 11). Schon 1880 erklärt der Germanist Alexander Bieling, dass das Ausrufezeichen in Fischarts Ehezuchtbüchlein das erste Mal erwähnt wird und erläutert hierzu: „Ich bemerke dieses [das Ausrufezeichen] zuerst in desselben Fischart 'Floh Hatz' von 1573, worin es etwa sechsmal zur Verwendung kommt, wärend es in hunderten von geeigneten Sätzen fehlt; ein Beweis für die Neuheit desselben“ (Bieling 1880, 24). Tatsächlich verwendet Fischart das Zeichen einige Male; seine Arbeit enthält unter anderem folgende Textstellen: „All ding herleißten, ja ich wolt / Das ich ein schenckel and der Stett / Abgfallen wer ohn als gespott / Wie ich die Kammer erstmals sach!“ (Fischart 1573, 2) oder „Wer weißt, wo noch steckt vnser heil!“ (Fischart 1573, 2). Allerdings müssen die Behauptungen, welche darauf abzielen, dass dies die ersten Ausrufezeichen des schriftlichen Sprachgebrauchs sind, kritisch betrachtet werden, da schon früher zumindest ein Vorläufer des Ausrufezeichens beschrieben wurde. Eine erste Erwähnung in einem grammatikalischen Regelwerk lässt sich bereits 1535 in Friedrich Riederers Spiegel der waren Rhetoric finden. Hier kann man Folgendes lesen: „ein vnderscheyd der verwundrung / genannt exclamativus oder admiratiuus / der wirt gebraucht / wann einer seiner red verwundrende ein scharpffen außdruck thut / also !“ (Riederer 1535, 36).
Riederer [stellte] neben dem Coma ein zweites, etwas fetter gedrucktes Zeichen mit dem gleichen Aussehen vor, das er Exclamativus oder admirativus nannte. Er brauchte dieses Zeichen, um einer Verwunderung, die scharf akzentuiert wird, Ausdruck zu geben. Es handelt sich dabei zweifelslos um einen Vorläufer des heutigen Ausrufezeichens (Höchli 1981, 287).
Riederers Darstellung ist die erste Erwähnung des Ausrufezeichens, allerdings wird dessen Funktion und Erscheinungsbild vom Autor nicht näher beschrieben, was auf die eigene Unsicherheit bezüglich der Verwendung des Autors hindeutet. Sicher ist, dass „der Gebrauch im Vergleich mit der heutigen Anwendung noch stark eingeschränkt [ist]. So fehlen z.B. die Befehlssätze, die Wunschsätze und auch die Ausrufe selbst“ (Höchli 1981, 33). Der Erste, der das Ausrufezeichen genauer spezifizierte, es als Sinn- und Pausenzeichen deklarierte und gleichzeitig als Namensgeber fungierte, ist der Grammatiker Wolfgang Ratke. In seiner Schreibungslehr von 1629 beschreibt er das Ausrufezeichen wie folgt: „Was ist ein außruffungszeichen? Welches in außruffenden vnd wünschden oder verwunderungs Sprüchen gebraucht wird. Deßen form ist diese (!)“ (Ratke 1629, 92). „Mit dieser Beschreibung deckt er mit Ausnahme der Befehlssätze den gesamten heutigen Bereich, sowohl was die Funktion als auch was den Namen anbelangt, ab“ (Höchli 1981, 288). Durch Ratkes Vorschlag, das Zeichen nach Ausrufen, Wünschen und Verwunderungen zu setzen, gelten seine Regeln als wegbereitend für folgende Grammatiker, die diese Einteilung übernahmen.
Bis zum 18. Jahrhundert kann man in den grammatischen Schriften bezüglich des Ausrufezeichens kaum bedeutende Unterschiede zu Ratkes Schreibungslehr finden. Zwar wird das Satzzeichen oftmals anders genannt (wie zum Beispiel Verwunderungszeichen bei Gueintz und Harsdörffer, beziehungsweise Signum Exclamationis bei Girbert oder Freyer) (vgl. Gueintz 1641, 120; Harsdörffer 1647, 122; Girbert 1653, 4; Freyer 1721, 11) die genannten Begleitumstände, die von den Autoren genannt werden, die zum Gebrauch des Satzzeichens aufrufen, richten sich jedoch stets nach Ratkes Vorschlägen.
2.2 Interpunktionsregeln des 18. Jahrhunderts
Im 18. Jahrhundert wurde zunehmend versucht, die Schriftsprache zu vereinheitlichen und umfassende möglichst einheitliche Regeln zu schaffen; es gilt als Höhepunkt des Normierungsprozesses, welchen die deutsche Schriftsprache erlebt hat (vgl. Masalon 2014, 140). Beachtlich viele Grammatiker versuchten sich daran, die Rechtschreibung und Zeichensetzung vor allem für den Schulgebrauch genauer zu definieren und zu vereinheitlichen: „Durch die große Verbreitung der Schulgrammatiken [...] wurde dieser Prozess der allmählich einheitlichen Verwendung der Satzzeichen, wie wir sie heute kennen, beschleunigt“ (Heising 2013, 1). Es wurde nach einer ganzheitlich ausgerichteten Normierung gestrebt, welche primär das Ziel hatte, Sprache und deren Verschriftlichung einheitlich zu unterrichten.
Untersucht man die Grammatiken des 18. Jahrhunderts mit dem Ziel, die Regeln des Ausrufezeichens zu erfassen, stellt man fest, dass sich viele der Autoren dieser Schriften stark an Ratke orientieren. Dies fallt sowohl bei der Beschreibung der Form als auch bei den konkreten Verwendungsvorschlägen auf.
Das Ausrufezichen hat schon sehr früh mit Ratke den heutigen Stand beinahe erreicht. Allerdings haben Ratkes Nachfolger nicht alle seine Empfehlungen übernommen, sondern, was ¿in der Entwicklung der Bezeichnung schön zu beobachten ist, das Schwergewicht auf die Verwunderung gelegt (Höchli 1981, 290).
Dies kann unter anderem daran festgemacht werden, dass das Satzzeichen im 18. Jahrhundert auch oft als Verwunderungszeichen deklariert wird. Diese Benennung kann vor allem zu Beginn des 18. Jahrhunderts gelesen werden; sie setzt sich jedoch nicht durch und tritt das letzte Mal bei Johann Leonard Frisch im Jahre 1723 auf (vgl. Höchli 1981, 288). Alle Autoren, welche Empfehlungen bezüglich des Ausrufezeichens im 18. Jahrhundert geben, empfehlen hingegen, das Ausrufezeichen dann zu setzen, wenn eine besonders emotionale Grundstimmung herrscht und dem Geschriebenen ein gewisser Nachdruck gegeben werden soll. „Eine exklamative modale Grundfunktion des Ausrufezeichens mit expressiven Elementen (Gemütsbewegung) wird durchweg von allen Normierern beschrieben“ (Masalon 2014, 134). So schreibt beispielsweise Johann Balthasar von Antesperg:
Das Ausruffungszeichen Signum exclamationis (!) braucht man, wann man etwas mit einer sonderbaren Gemüthsbewegung vortragen will [...] Bey dem Ausruffungszeichen muss die Stimme und der Ton in Freude oder Leide etwas erhaben seyn (Antesperg 1747, 248).
Ein paar Jahre später schließt sich der deutsche Sprachforscher Carl Friedrich Aichinger Antespergs These an und hält ebenso die besondere Grundstimmung fest, welche dem Ausrufezeichen zugrunde liegen muss: „Das Zeichen einer Ausruffung oder Gemüthsbewegung ! Welches [...] nicht gebraucht werden soll, wo kein Affect ist“ (Aichinger 1754, 101). Der Schriftsteller, Dramaturg und Literaturtheoretiker Johann Christoph Gottsched versucht ebenfalls im 18. Jahrhundert mit seinem Werk zur deutschen Sprachkunst Regeln zur Interpunktion aufzustellen. Bezüglich des Ausrufezeichens geht er auch auf die Anrede als Verwendungsumgebung ein. Laut Gottsched soll das Ausrufezeichen nach Anreden gebraucht werden, jedoch müsse der Schreiber hierbei bedenken, dass diese besonders „heftig“ aufgefasst werden wird (vgl. Gottsched 1748, HO). Auf die Stellung des Ausrufezeichens nach der Anrede wird von anderen Grammatikern nicht eingegangen. Dahingegen ist zu erwähnen, dass in beinahe allen Grammatiken zu beobachten ist, dass Inteijektionen als ausschlaggebendes Signal für den Gebrauch des Ausrufezeichens genannt werden. „Interjektionen werden teilweise als unabdingbar für den Gebrauch des Ausrufesatzes betrachtet“ (Masalon 2014, 134). Der Pädagoge und Historiker Hieronymus Freyer schreibt beispielsweise in seiner Anweisung zur Teutschen Orthographie, dass ,,[d]as signum exclamationis [...] nach einer Ausruffung gebrauchet“ (Freyer 1721, 11) wird und klassifiziert zudem einige Ausrufewörter, wie „ach“, „weh“ oder „ey“, welche nach seiner Einschätzung als Signalwörter für den Gebrauch des Ausrufezeichens fungieren. Der Lehrer und Sprachforscher Johann Leonhard Frisch versuchte das Ausrufezeichen näher zu bestimmen und stellte ebenfalls verschiedene Interjektionen vor, welche zur Verwendung des Satzzeichens motivieren: „Das Ruff- oder Bewunderuns-Zeichen (!) so man zu den Wörtlein Ach! O! Etc. oder nach andern Worten setzt, die darauf folgen. Es bekommt da die Rede einen besondem accent“ (Frisch 1723, 83). Erwähnenswert ist auch das Wirken des Germanisten Johann Christoph Adelung, welcher 1782 mit seinem Regelwerk zur deutschen Orthografie für den weiteren Verlauf der Interpunktionsgeschichte von großer Bedeutung ist. Die Auswirkungen seiner Darstellungen zur Sprachverwendung sind noch heute in modernen Rechtschreibregelungen zu finden und ,,[d]ie Ähnlichkeit zwischen Adelung und dem heutigen Regelapparat ist gewiss nicht von der Hand zu weisen“ (Masalon 2014, 140). Seine Regelungen, welche er Ende des 18. Jahrhunderts vorstellt, fassen in großen Stücken die Ausführungen seiner Vorgänger zusammen. Im Hinblick auf das Ausrufezeichen schreibt er Folgendes:
Das Ausrufungszeichen stehet gleichfalls da, wo der Ton der lebendigen Stimme es nothwendig macht, d.i. Nach denjenigen Worten, welche durch den Ton vorzüglich vor den andern herausgehoben werden. Folglich nach allen Interjectionen wenn sie alleine stehen [...] Überhaupt wird man in der Anwendung dieser beyden Zeichen nicht fehlen können, wenn man nur erwäget, daß sie den Ton der lebendigen Stimme ersetzen, folglich ihm auf das genaueste folgen müssen (Adelung 1782, 792-3).
Bei Adelung sind Interjektionen und Sätze, in denen diese vorkommen, ein Hauptkriterium dafür, wann ein Ausrufezeichen gesetzt werden soll.
Adelung empfiehlt den Gebrauch des Ausrufungszeichens nach allen Interjektionen und allen Sätzen, die mit einer Interjektion verbunden sind. Neben dieser eindeutigen Regel gibt er noch eine allgemeinere, die den Gebrauch des Ausrufezeichens nach merklichen Leidenschaften erlaubt (Höchli 1981, 289).
Diese Darstellung birgt keine große Erweiterung verglichen mit den bereits vorgestellten Versuchen, das Ausrufezeichen und dessen Gebrauch zu erklären. Bemerkenswert ist dass bei Adelung die „rhetorische Funktion noch mehr im Vordergrund [steht]. Für die richtige Anwendung verweist Adelung auf das Sprachgefühl. Die grammatischen Bemerkungen beschränken sich auf die theoretische Untermauerung der rhetorischen Elemente“ (Höchli 1981, 245).
2.3 Interpunktionsregeln des 19. Jahrhunderts
Adelungs Umständliches Lehrgebäude gilt für lange Zeit, bis ins 19. Jahrhundert, das beliebteste Regelwerk und seine Vorschläge zur Interpunktion wurden zur Richtschnur im Unterricht an deutschsprachigen Schulen. Der Normierungsprozess war jedoch noch nicht abgeschlossen und viele Grammatiker des 19. Jahrhunderts versuchten die Regelapparate der Vorgänger noch stärker zu vereinheitlichen und zu veranschaulichen. Darum bemühte sich der Pädagoge und Lexikograf Johann Christian Heyse, welcher 1820 eine Grammatik zum reinen und richtigen Sprechen, Lesen und Schreiben der deutschen Sprache publizierte. Er beabsichtigte damit, wie viele Lehrer vor ihm, die orthografischen Regelungen vor allem für den Schulgebrauch zu normieren und zu vereinfachen. Seine Ausführungen bezüglich des Ausrufezeichens lauten wie folgt:
Das Ausrufimgszeichen (!) wird im Allgemeinen nach solchen Sätzen, Satzgliedern oder auch bloßen Worten gesetzt, die als Ausdruck einer Empfindung oder eines Begehrens im Tone der Leidenschaft oder lebhaften Gemühtsbewegung zu sprechen sind. Wenn der Satz mit einer solchen Äußerung des Affects schließt, so hat das Ausrufimgszeichen zugleich die Bedeutung eines Schlusspunktes. Steht dieselbe aber als Glied eines größeren Satzganzen in Zusammenhang mit einem andern sich unmittelbar anschließenden Satzgliede, so kann dieses Zeichen auch die satzheilende Kraft eines Kommas oder Semikolons haben (Heyse 1920, 816-7).
Viele Erläuterungen, unter anderem die, dass das Satzzeichen nach besonders emotional aufgeladenen Inhalten folgt, erinnern an die bereits vorgestellten Regeln des 18. Jahrhunderts. Allerdings erwähnt Heyse hier das erste Mal, dass das Ausrufezeichen nicht ausschließlich am Satzende stehen muss. Er erklärt, dass es auch nach einzelnen Satzgliedern oder einzelnen Worten stehen kann, wenn diese besonders betont werden sollen. Die ausschließliche Funktion des Ausrufezeichens als Satzschlusszeichen wird somit das erste Mal überdacht. Heyse gibt für diesen besonderen Gebrauch des Ausrufezeichens, welches als Vorläufer des eingeklammerten Ausrufezeichens gesehen werden kann, zwar keine Beispiele, jedoch schließen sich viele folgende Autoren seinen Ausführungen an; der Umstand, dass das Satzzeichen auch innerhalb eines Satzes gesetzt werden kann ist auch in folgenden Grammatiken vermehrt zu lesen. Es dominiert zwar der Vorschlag, das Ausrufezeichen als Satzschlusszeichen zu verwenden, „jedoch ist der Gebrauch im Satz zur Fokussierung einzelner Elemente laut Norm keinesfalls untersagt“ (Masalon 2014,159).
Obwohl der Prozess der Normierung im 19. Jahrhundert schon stark vorangeschritten ist, muss dennoch angemerkt werden, dass viele Grammatiken bezüglich der Interpunktion noch sehr unausgereift erscheinen. Viele Regelwerke des 19. Jahrhunderts wirken ungenau, differenzierende Beispiele fehlten oft, ebenso die dazugehörigen Erklärungen. In diesem Zusammenhang seien beispielhaft die Interpunktionsregeln des Pädagogen Adolf Schenk von 1875 erwähnt. Jener schreibt zum Ausrufezeichen:
Affektäußerungen jeder Form erhalten das Ausrufungszeichen, welches ebenfalls die Stelle aller anderen Satzzeichen vertritt. Hierher gehören lebhaft ausgesprochene Befehle, Wünsche, Fragen, Urtheile, Ellipsen, isoliert stehende Vollative und Interjektionen (Schenk 1875, 8).
Schenk ist der erste Grammatiker, der das Ausrufezeichen auch bei Fragen und Ellipsen empfiehlt. Die Satzart scheint keinen unmittelbaren Hinweis darauf zu geben, welches Satzzeichen gesetzt werden soll. Das einzig ausschlaggebende prädominierende Element, welches für den Gebrauch des Ausrufezeichens von Bedeutung ist, ist bei ihm der besonders lebhafte Affekt, mit dem gesprochen wird. Weitere Beispiele zum Beschriebenen gibt Schenk nicht, eben so wenig weitere Erklärungen. Ein Umstand, welcher dagegen oft in den Regelapparaten des 19. Jahrhunderts diskutiert wird, ist die richtige Verwendung des Ausrufezeichens nach der Anrede.
Die Identifizierung der Ausrufezeichenfunktion mit Expressivität oder Nachdrücklichkeit, wie sie üblicherweise erfolgt, macht sich an in einer von Beginn seines Auftretens an üblichen Verwendung des Ausrufezeichens als Störfaktor bemerkbar; bei der Adressierungsfunktion (Bredel 2008, 166).
In vielen Grammatiken lässt sich der Verweis finden, dass nach der Begrüßung oder der Anrede ein Ausrufezeichen zu setzen ist. Diese Vorgabe wird allerdings auch oft hinterfragt. So schreibt Carl Johann Erasmus Kegel in seiner Anleitung zur Verwendung der Satzzeichen zum Ausrufezeichen nach der Anrede:
Nach Anreden in Briefen ein Ausrufungszeichen zu setzen, ist höchst ungereimt. Der Empfänger müßte eigentlich, wenn diese Gewohnheit nicht zu allgemein geworden wäre, denken, es wäre ein Unglück geschehen. Denn hier ist - wenige Fälle ausgenommen - kein Affect in der Rede (Kegel 1825, 40).
Den Aufruf dazu, nur bei besonderem Nachdruck, oder wenn sich die Schreibenden besonders gut kennen, das Ausrufezeichen zu benutzen, lässt sich auch bei Heyse finden, der schreibt: „Nach völlig leidenschaftslosen Anreden in Briefen und im ruhigen Gesprächstone ein Ausrufiingszeichen zu setzen, ist eigentlich ein Mißbrauch“ (Heyse 1849, 817).
Nachdem das Deutsche Reich im zweiten Teil des 19. Jahrhunderts zu einer politischen Einigung gefunden hatte, wurde der Ruf nach einer einheitlichen Rechtschreibung mit dazugehörigen Interpunktionsregeln laut. Dies hatte mehrere Folgen. Zum einen war dies die Einberufung der Ersten Orthografischen Konferenz im Jahre 1876, welche auch unter der Bezeichnung Konferenz zur Herstellung größerer Einigung in der Deutschen Rechtschreibung bekannt ist (vgl. Raumer 1876, 2-3). Das Kultusministerium des erst einige Jahre zuvor gegründeten deutschen Kaiserreiches beabsichtigte, eine einheitliche Fassung der deutschen Rechtschreibung und Grammatik festzulegen. Die daraus entstandenen offiziellen bayerischen und preußischen Regelbücher befassten sich zunächst jedoch ausschließlich mit der Rechtschreibung, wobei die Zeichensetzung hinten angestellt wurde. Aktiv wurde demnach nichts zur Entwicklung der Satzzeichen, insbesondere des Ausrufezeichens, beigetragen. Nichtsdestotrotz motivierte die Erste Orthografische Konferenz zur Gleichschaltung der orthografischen Regelungen, welche fortan im zusammengeschlossenen Deutschen Reich gelten sollten (vgl. Böhme 2001, 89). Zum anderen waren die Bestrebungen Konrad Dudens für die Vereinheitlichung der Orthographie und der Zeichensetzungsregeln ausschlaggebend. Durch seine Arbeiten wurde der Höhepunkt der Entwicklung der Rechtschreibvereinheitlichung des 19. Jahrhunderts erreicht (vgl. Heising 2013). Der Pädagoge erkannte den Bedarf einer Vereinheitlichung der Schriftsprache mit dl ihren Aspekten, insbesondere für das Schulwesen. Er versuchte erstmals 1876 mit seinem Versuch einer deutschen Interpunktionslehre die Regelungen seiner Vorgänger zu vereinigen und allgemeingültige Vorschriften für den Schulgebrauch zu schaffen. Bezüglich des Ausrufezeichens erklärt er: „Das Ausrufungszeichen steht innerhalb des einfachen Satzes nach der Anrede und nach dem Ausruf, wenn beide mit Affekt gesprochen werden“ (Duden 1876, 13). Das rhetorische Prinzip, welches eine besondere emotionale Grundhaltung für den Gebrauch beschreibt, findet sich auch bei Duden. Die Verwendung des Zeichens nach der Anrede wird von ihm ebenfalls aufgegriffen: „Ferner steht es nach der mit Nachdruck gesprochenen Anrede, meist auch nach der Anrede in Briefen; doch ist hier auch das Komma zulässig“ (Duden 1876, 17). Des Weiteren weist Duden mehrmals auf den Nachdruck als ausschlaggebende Voraussetzung für das Ausrufezeichen hin. Er erwähnt zudem, dass eine enge Verbindung zwischen Frage- und Ausrufezeichen gibt, wobei das Ausrufezeichen auch anstatt eines Fragezeichens gesetzt werden kann und dass das Ausrufezeichen nicht zwingend am Ende eines Satzes stehen muss - von der eingeklammerten Variante ist jedoch noch nicht die Rede (vgl. Duden 1876, 10). Dudens Abwicklung fugt keine neuen Erkenntnisse oder Ergänzungen zum Ausrufezeichen in seine Interpunktionsabhandlung ein. Vielmehr bildet er mit seinem Regelapparat den zusammenfassenden Abschluss einer Reihe unzähliger Vorläufer, welche seit fast drei Jahrhunderten den Charakter des Ausrufezeichens zu bestimmen versuchten und einen Charakter des Expressiven [etablierten]: Gemütsbewegung, Empfindung, Interjektionen - all das sind typische Schlagwörter in diesem Kontext. Auch der interrogative Gebrauch des Ausrufezeichens, wie er nunmehr [...] konstatiert werden kann, wird von der Norm aufgenommen (Masalon 2014, 159).
Was hingegen nicht mehr erwähnt wird, ist der Ausdruck der Verwunderung, welcher noch knapp hundert Jahre zuvor als wichtiges Indiz für die Verwendung des Ausrufezeichens galt.
Dudens Ausführungen zur Zeichensetzung gelten als Grundstein für die endgültige Normierung der deutschen Orthografie und alle folgenden Regelungen basieren auf seinen Darlegungen. Zwar sind im Urduden von 1880 seine Erläuterungen hinsichtlich der Interpunktion noch nicht enthalten, jedoch folgte 1903 der Buchdruckerduden, welcher erstmals auch Regelungen zur Zeichensetzung enthält und Dudens Erklärungen von 1876 aufgreifit.
2.4 Interpunktionsregeln des 20. Jahrhunderts
Dudens Werk wurde maßgebend für den weiteren Verlauf der Interpunktionsgeschichte. Das Kultusministerium, das die bayerischen und preußischen Regeln erarbeitete, nahm sich ab dem 20. Jahrhundert das Werk Dudens zum Vorbild (vgl. Böhme 2001, 98), wobei seine Orthografie von 1903 verbindlich in deutschen Behörden und Schulen eingeführt wurde (vgl. Stang 2008, 13). Im Laufe der Zeit wurden zwar mehrere von der Regierung einberufene Konferenzen zur weiteren orthografischen Vereinheitlichung und Reformierung abgehalten, allerdings befassten sich die Teilnehmer hauptsächlich mit Problematiken der Rechtschreibung.2 Bezüglich der Interpunktion nahmen die amtlichen Regelungen lediglich Apostroph und Bindestrich mit auf, da diese zur Wortbildung gebraucht wurden (vgl. Masalon 2014, 165). Die wichtigste Instanz bei allen anderen Satzzeichen, so auch beim Ausrufezeichen, blieb der Duden.3
1915 wurde das Dudenwörterbuch und der Buchdruckerduden, der auch Fragen zur Interpunktion behandelte, zusammengefasst, wobei nun auch die Regeln zur Zeichensetzung fester Bestandteil der Dudenorthografie wurden (vgl. Sauer 1988, 35). Im Vergleich zu Dudens erstem Versuch zur Interpunktionsgestaltung verändert sich mit der Ausgabe von 1915 nicht viel; lediglich werden zu allen zuvor aufgestellten Behauptungen ausführlichere Beispiele gegeben und das Zeichen wird zuallererst bei Aufforderungen empfohlen (vgl. Duden 1915, XXXVIII). Fernerhin wurden Dudens Vorschläge von 1876 insofern erweitert, dass das Ausrufezeichen in die Kategorie der Satzschlusszeichen und der Zeichen innerhalb des Satzganzen eingeordnet wurde. Hinsichtlich der ersten Kategorie werden folgende Regelungen präsentiert: „Das Ausrufungszeichen steht nach Sätzen, die einen Befehl, einen Wunsch oder einen Ausruf des Erstaunens, der Freude, der Trauer und andrer Gemütsbewegungen enthalten“ (Duden 1915, XXXVIII). Ab der neunten Auflage wird das Ausrufezeichen vor allem nach Aufrufen empfohlen, zudem wird wieder der expressive Charakter des Satzzeichens thematisiert. Auch die Anrede kommt, wie in den Voqahren, zur Sprache: „Das Ausrufungszeichen steht innerhalb des Satzganzen nach der mit Nachdruck gesprochenen Anrede im Eingang von Briefen“ (Duden 1915, XLI). In den folgenden Jahrzehnten wurden noch vier weitere Auflagen des Dudens veröffentlicht, die bezüglich des Ausrufezeichens jedoch keine neuen Erkenntnisse liefern. Eine Veränderung im Regelapparat lässt sich erst wieder in den Auflagen von 1951 bzw. 1954 entdecken. In den 50er Jahren wurde eine Ost- (1951) und eine Westausgabe (1954) des Dudens erarbeitet, welche bezüglich des Ausrufezeichens kaum voneinander abwichen. So heißt es in der Auflage des BRD-Dudens: „Das Ausrufezeichen steht nach Aufforderungssätzen (Wunsch- und Befehlssätzen)“ (Duden 1954, 31). Ab den Auflagen der 50er Jahren lässt sich die Tendenz feststellen, dass der Schreiber zuerst aufgefordert wird, den Satz auf syntaktischer Ebene zu analysieren. Erst soll der Satz genauer untersucht und klassifiziert werden, bevor das Satzzeichen zum Einsatz kommt. Die Klassifizierung der Satzart wird in keinem der vorhergegangenen Regelwerke vorausgesetzt. Weiterhin wird aufgezeigt, dass das Ausrufezeichen „nach Ausrufen [der Gemütsbewegung] (Sätze und einzelne Wörter), nach der Anrede [und] nach Ausrufen in Form einer Frage“ (Duden 1954, 32) steht. Das Ausrufezeichen wird somit auch bei Fragen gefordert, die die Funktion des Ausrufs haben. Diese Darlegungen stellen keine großen Neuerungen im Vergleich mit den vorherigen Dudeneditionen dar; auf den in den Vorjahren häufig erwähnten Nachdruck wird jedoch nicht mehr eingegangen. Es wird stattdessen versucht, sehr genaue und möglichst eindeutige Regeln aufzustellen, die auf die syntaktische Wesensart des Satzes abzielen, und es nicht mehr ausschließlich dem Empfinden des Individuums überlassen, wann ein Satzzeichen gesetzt wird. Bis zur neunten Auflage konnte man vor dem Kapitel der Zeichensetzung noch den Hinweis entdecken, dass sich „nicht für alle Fälle unbedingt gültige Regeln aufstellen [lassen]“ (Duden 1915, XXXVII) und stattdessen „vielmehr dem Schreibenden eine gewisse Freiheit bewahrt bleiben“ (Duden 1915, XXXVII) muss. Anmerkungen solcher Natur lassen sich in den weiteren Auflagen nicht mehr finden.
In den Dudenauflagen, welche in den Folgejahren veröffentlicht wurden, lassen sich keine Neuerungen zu den Regeln hinsichtlich des Ausrufezeichens von 1954 finden - der Hinweis, das Ausrufezeichen nach Aufforderungssätzen zu benutzen, ist bei allen folgenden Regelungen an erster Stelle zu lesen (vgl. Duden 1973, 32; Duden 1980, 22; Duden 1986, 24). Die Ostausgabe gibt in den 80em lediglich den ergänzenden Rat, das Ausrufezeichen nicht zu oft zu verwenden: „Man setze deshalb kein Ausrufezeichen, wo ein Punkt genügt! Unbegründete Häufung schwächt das Zeichen in seiner Wirkung ab“ (Duden DDR 1986, 697). Besonders hervorzuheben ist, dass 1980 erstmals das einklammerte Ausrufezeichen in die Ausführungen mit aufgenommen werden. Der Duden gibt dazu folgende Auskunft: „Das Ausrufezeichen steht eingeklammert nach Angaben, die man bezweifelt oder hervorheben will“ (Duden 1980, 22).
Weitaus größerer Veränderungen bezüglich des Ausrufezeichens lassen sich am Ende des 20. Jahrhunderts finden. Die letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts können in zwei Zeitspannen, nämlich in vor und nach der Rechtschreibreform, eingeteilt werden. Bereits in den 80er Jahren wurden die Rechtschreibregelungen, die der Duden präsentierte, häufig kritisiert und vor allem vom Internationalen Arbeitskreis für Orthografie, ein Zusammenschluss von Germanisten, welcher die Aufgabe hatte, die deutsche Orthografie zu verbessern, kritisch untersucht (vgl. Schrodt 200, 308). In der Abschlusserklärung von 1986 heißt es:
Grundsätzliches Einvernehmen wurde darüber erzielt, die auf der Orthographischen Konferenz von 1901 in Berlin erreichte einheitliche Regelung der deutschen Rechtschreibung den heutigen Erfordernissen anzupassen. Insbesondere geht es darum, die in vielen Teilbereichen der Rechtschreibung im Laufe der Zeit kompliziert gewordenen Regeln zu vereinfachen (Deutsche Rechtschreibung 1992, IX).
Dies war der Grundstein für die Reform von 1996, welche das Ziel hatte, die Rechtschreibung und Interpunktion im deutschsprachigen Raum zu modernisieren und zu vereinfachen.
Die Folgen der Reformierung wurden auch vom Duden aufgefasst. 1991 kann hinsichtlich der Regeln zum Ausrufezeichen noch Folgendes gelesen werden: „Das Ausrufezeichen steht nach direkten Aufforderungs- bzw. Befehlssätzen und nach Wunschsätzen“ (Duden 1991, 24). Die Tendenz der 50er Jahre, das Satzzeichen bei einer bestimmten Satzart zu setzen, setzte sich durch. Das Ausrufezeichen wird hauptsächlich nach Auffbrderungssätzen gefordert, wobei die Gemütshaltung kaum berücksichtigt wird - der Nachdruck wird wenn überhaupt erst am Ende der Regelungen erwähnt (vgl. Duden 1986, 24). Diese Darstellung hatte in den Augen der Reformierer deutliche Schwachstellen, die aufgegriffen wurden. Der Gebrauch des Ausrufezeichens ist mit der Erklärung von 1991 gekoppelt an syntaktische Gegebenheiten. Damit werden jedoch viele Situationen nicht berücksichtigt, in denen es ebenso möglich ist, ein Ausrufezeichen zu setzen:
Das Auftreten von [...] Ausrufezeichen wird also an das Auftreten von syntaktisch definierten Satzarten geknüpft. Und obwohl diese Zuordnung auf den allerersten Blick einleuchtend erscheinen mag, weil hier tatsächlich Prototypen erfasst sind, ist sie schnell widerlegt. Denn die Satzart ist weder notwendige noch hinreichende Bedingung für das Setzen des Frage- oder Ausrufezeichens (Bredel 2011, 50).
Diese These wird dadurch bestätigt, dass auch Aufforderungssätze mit einem Punkt, oder Fragesätze mit Ausrufezeichen abgeschlossen werden können. Bei der Reform von 1996 sollte dieser Umstand korrigiert werden, wobei es im Duden von 1996 heißt: „Das Ausrufezeichen steht nach Ausrufen und Ausrufesätzen, nach Aufforderungs- bzw. Befehlssätzen und nach Wunschsätzen [...] Es steht [...] kein Ausrufezeichen nach Aufforderungs- und Wunschsätzen, die ohne Nachdruck gesprochen werden“ (Duden 1996, 26). Auch die amtlichen Regeln, die durch die Rechtschreibreform in Kraft traten, weisen mit ihrer Erklärung auf den Nachdruck hin: „Mit dem Ausrufezeichen gibt man dem Inhalt des Ganzsatzes einen besonderen Nachdruck wie etwa bei nachdrücklichen Behauptungen, Aufforderungen, Grüßen, Wünschen oder Ausrufen“ (Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung 1996, 71). Mit diesen Regeln zeigt sich klar, dass die Autoren dieser Regelwerke voraussetzen, dass dem Ausrufezeichen eine gewisse Gemütshaltung zugrunde liegt.
Das Neue an diesen Darstellungen ist, dass [...] Ausrufezeichen unabhängig von der Spezifik der Konstruktion, die sie markieren, beschrieben werden. [...] Beim Ausrufezeichen ist die Bindung an eine Satzart noch weitgehend aufgegeben: Als kommunikative Funktion des Ausrufezeichens gilt nicht das Auffordem oder Wünschen, sondern das Merkmal „Nachdruck“ (Bredel 2011, 50).
Der Nachdruck, weniger die Satzart, wird zum Schlüsselbegriff. Das Ausrufezeichen soll nur dann gesetzt werden, wenn mit besonderem Ausdruck gesprochen wird. Der Gedanke, dass dem Satzzeichen eine gewisse Gemütsbewegung zugrunde liegt, wird somit seit der ersten Erwähnung des selbigen thematisiert und zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Rechtschreibregelungen. Dem Ausrufezeichen wird eindeutig eine kommunikative Funktion zugeschrieben, welche beispielsweise bei anderen Satzzeichen, wie dem Punkt, nicht zur Sprache kommt. Das Ausrufezeichen ist folglich beides: sprechhandlungsintensiv (bei Wunschs-, Befehls- und Aufforderungssätzen) und gleichzeitig sprecherintensiv (wenn mit Nachdruck gesprochen wird) (vgl. Bredel 2001, 51). Dies bedeutet, dass Ausrufezeichen anders als der Punkt behandelt werden müssen. Ihre kommunikative Funktion muss überall angezeigt werden, wo sie realisiert werden soll [...] Der Punkt steht hingegen nur dort, wo die syntaktische Struktur nicht durch andere (graphische oder typographische) Mittel sichtbar gemacht wird (Bredel 2011, 50).
[...]
1 Inwieweit die ausschließliche Einordnung des Ausrufezeichens in die Gruppe der abschließenden Satzzeichen gerechtfertigt beziehungsweise noch aktuell ist, wird später unter Punkt 2.5 Orthographische Regelungen des 21. Jahrhunderts diskutiert.
2 Vgl. hierzu das Kapitel „Kaiserreich (1871) 1901 bis 1918: Rechtschreibreform - ein politischer Akt auf höchster Ebene im Nachgang zur nationalen Einheit“ bei Strunk 2006, 59-60.
3 Dies kann unter anderem daran gesehen werden, dass durch Beschluss des Kultusministeriums in den 50er Jahren der Duden als verbindlich in allen Zweifelsfragen bezüglich der Interpunktion festgesetzt wurde (vgl. Siegl 1987,22).
- Quote paper
- Nina Groß (Author), 2018, Die Verwendung von Ausrufezeichen in Zeitungstexten im Wandel der Zeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1181874
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