Im Rahmen des Oberseminars „Krisen im Erwachsenenalter“ wird in dieser Arbeit das Thema Krise und Entwicklung behandelt.
Diese Seminararbeit ist in zwei große Abschnitte gegliedert. Im ersten Kapitel wird ein grober Überblick über die Begriffe Krise und Entwicklung (im Erwachsenenalter) gegeben. Außerdem werden Merkmale von Krisen berücksichtigt. Nachdem Krise und Entwicklung getrennt voneinander betrachtet wurden, können im zweiten Abschnitt Ideen vertieft und Zusammenhänge, zum Beispiel anhand der Persönlichkeitstheorie von Thomae, verdeutlicht werden.
Der Schwerpunkt des zweiten Teils liegt auf der Entwicklung in der Krise. Dazu wird sowohl der Neuanfang als auch das Lernen in der Krise allgemein beschrieben. Weil die Entwicklung von sozialer Unterstützung abhängt, werden auch soziale Unterstützungssysteme berücksichtigt und deren Vorteile sowie ihre Notwendigkeit dargestellt. Durch weiterführende Gedanken in der Schlussbemerkung soll die Arbeit abgerundet werden.
1. Inhaltliche Einführung
Im Rahmen des Oberseminars „Krisen im Erwachsenenalter“ wird in dieser Arbeit das Thema Krise und Entwicklung behandelt. Dieses Thema wurde neben Defmitionsversuchen, Stufen- und Identitätstheorien sowie der Adoleszenzkrise im Seminar bereits angeschnitten. In der Arbeit wird das dazu Diskutierte erweitert; deshalb können andere als im Seminar erarbeitete Aspekte mit einbezogen werden. Weil im Seminar bereits eine konkrete Krise von Lisa1 durchgenommen wurde, wird in dieser Arbeit auf ein weiteres Beispiel einer erlebten Krise verzichtet. Vielmehr werden verschiedene Gedankengänge zum Thema Krise und Entwicklung dargestellt.
Diese Seminararbeit ist in zwei große Abschnitte gegliedert. Im ersten Kapitel wird ein grober Überblick über die Begriffe Krise und Entwicklung (im Erwachsenenalter) gegeben. Außerdem werden Merkmale von Krisen berücksichtigt. Nachdem Krise und Entwicklung getrennt voneinander betrachtet wurden, können im zweiten Abschnitt Ideen vertieft und Zusammenhänge, z.B. anhand der Persönlichkeitstheorie von Thomae, verdeutlicht werden. Der Schwerpunkt des zweiten Teils liegt auf der Entwicklung in der Krise. Dazu wird sowohl der Neuanfang als auch das Lernen in der Krise allgemein beschrieben. Weil die Entwicklung von sozialer Unterstützung abhängt, werden auch soziale Unterstützungssysteme berücksichtigt und deren Vorteile sowie ihre Notwendigkeit dargestellt. Durch weiterführende Gedanken in der Schlussbemerkung soll die Arbeit abgerundet werden.
Um das Lesen zu vereinfachen, habe ich in dieser Arbeit ausschließlich die männliche grammatikalische Form benutzt. Damit sindjedoch beide Geschlechter gemeint.
1.1 Krise: Begriffliche Annäherung
Da Krise kein Grundbegriff der Psychologie ist, im Alltagjedoch oft verwendet wird, ist eine eindeutige Definition sehr schwierig. Aus dem Griechischen übersetzt bedeutet Krise soviel wie Entscheidung, Streit, Beurteilung, Urteil, Scheidung. In der Psychologie wird der Begriff der Krise zum ersten Mal von Carus verwendet und auf den Entwicklungsverlauf einer seelischen Krankheit bezogen. Krise wird hier definiert als
„Epoche, in der die Entwicklung der seelischen Krankheit zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Wende zum Besseren oder Schlechteren erfahrt. Krise geht einher mit einer „stürmischen Aufregung“ (Anfall), die entweder in die Phase der Gesundung oder aber in den Prozess der krankhaften Bewußtseinsänderung (Psychose) überleitet. Plötzlichkeit des Eintritts und Kürze der Dauer sind somit Merkmale der Definition der Krise [,..]“.2
In einer zweiten Definition lässt Caplan die Begleiterscheinungen einer Krise einfließen und berücksichtigt dadurch das körperliche und seelische Befinden einer Person. Er definiert Krise als „eine Periode des Ungleichgewichts, die von psychischem und physischen Unbehagen begleitet sowie von begrenzter Dauer ist, und die zeitweilig die Fähigkeit der Person, kompetent zu bewältigen oder die Sache in den Griff zu bekommen, stark strapaziert“.3 Zusammenfassend lässt sich festhalten:
„[Eine] Krise ist also ein belastender, temporärer, in seinem Verlauf und seinen Folgen offener Veränderungsprozess der Person, der gekennzeichnet ist durch eine Unterbrechung der Kontinuität des Erlebens und Handelns, durch eine partielle Desintegration der Handlungsorganisation und eine Destabilisierung im emotionalen Bereich.“4
Im Alltag spricht man von Krisen, weil sie einen Menschen belasten und den gewohnten Ablauf unterbrechen. Man sagt, dassjemand in einer Krise steckt. Diese Formulierung drückt bereits eine Passivität, ein Ausgeliefertsein aus und kennzeichnet gleichzeitig einen vorübergehenden Zustand. Jeder Konflikt und somit jede Krise sind von einer inneren seelischen Dynamik gekennzeichnet. Die sich in einer Krise befindende Person ist hin- und hergerissen, weil etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist.5 Dieser Zustand soll jedoch überwunden werden, die Krise drängt auf eine Entscheidung oder Lösung hin, aber der Ausgang ist nicht vorhersehbar.6
1.2 Merkmale von Krisen
Der Beginn einer Krise lässt sich normalerweise nicht festlegen (Ausnahmen sind Unfalltod, plötzlich eintretende Katastrophen usw.).7 Krisen haben meistens soziale, kulturelle, wirtschaftliche oder politische Ursachen und treten oft beim Übergang von einer Phase zur nächsten auf.8 Sie werden von verschiedenen Menschen unterschiedlich erlebt. Ob es überhaupt zu einer Krise kommt, hängt von der Situation, der Persönlichkeit und deren Fähigkeit zur Auseinandersetzung ab. Dieselbe Situation kann von manchen Personen als positiv und von anderen als Krise erlebt werden.9 Dieses Phänomen drückt Meueler in folgendem Zitat treffend aus.
„Der eigentliche Kem einer als Krise erlebten Situation wird von mehreren Betroffenen ganz unterschiedlich wahrgenommen und gedeutet, abhängig von ihren jeweiligen Erfahrungen mit sich und anderen, abhängig von ihren je unterschiedlichen Bedürfnissen, Interessen und Lebenszielen und abhängig davon, wie sie die Handlungsspielräume hinsichtlich der Durchsetzung ihrer Interessen einschätzen.“10
Außerdem ist eine Krise „ein Merkmal oder eine Qualität von Veränderungen“,11 denn Veränderungen können einen krisenhaften Verlauf nehmen. Formen und Inhalte dieser krisenhaften Veränderungen hängen von persönlichen Bedingungen sowie gesellschaftlichen und historischen Einflussfaktoren ab. Im Jugendalter z.B. kann eine Krise durch Selbstzweifel ausgelöst werden, wenn Jugendliche ihre eigene Identität nicht finden. Im Alter dagegen werden Krisen eher durch den Gedanken oder das Gefühl einer fehlenden Nützlichkeit ausgelöst.12
In einer Krise werden die „Lern- und Anpassungskapazitäten der Person deutlich überschritten“,13 die betreffende Person fühlt sich unter Handlungs- und Entscheidungsdruck. Der ganze Mensch wird gefordert, denn eine Krise betrifft meistens zentrale Bereiche des Lebens, z.B. ernste Krankheiten, schwerwiegende Verluste, die eigene Person wird in Frage gestellt, die Lebensgrundlagen werden bedroht etc.14 Diese Überforderung wird durch die doppelte Dynamik der Krisen verstärkt. Zwischen den emotionalen Zuständen einerseits und den darauf folgenden Reaktionen, Handlungen und Planungen andererseits herrschen Wechselwirkungen und Rückkopplungen.15 Krisen verdeutlichen die Dialektik des Lebens: Die Menschen sehnen sich nach Geborgenheit und Stabilität, wollen sich aber gleichzeitig durch Veränderung und Erneuerung weiterentwickeln.
Weil Krisen soziale und psychische Formen der Konfliktbewältigung sind, können sie einerseits als Gelegenheit und Chance, andererseits als Gefahr interpretiert werden. Die Chance liegt in neuen Zukunftsperspektiven und einer neuen Standortbestimmung, die das soziale und persönliche Wachstum fördern. Krisen unterschiedlicher Dauer und Intensität sind im Leben notwendig, um sich fortzuentwickeln. Ohne Krisen können Wachstumsschritte oft nicht eingeleitet werden. Es besteht aber auch die Gefahr, die Krise nicht bewältigen zu können. In diesem Fall können die sich in psychischen Krankheiten äußernden Folgen bis zur (Selbst-) Vernichtung führen.16
1.3 Entwicklung
Um dem Thema „Krise und Entwicklung“ gerecht zu werden, wird an dieser Stelle auf die Entwicklung im Erwachsenenalter eingegangen. Dazu werden die Entwicklungsaufgaben des Erwachsenenalters kurz dargestellt. Allerdings werden aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit Krisen nicht konkret und tiefgehend behandelt. Die Aussagen bleiben statt dessen allgemein.
Levinson u.a. teilen den Lebenszyklus in vier sich überschneidende Epochen mit je einem eigenen Charakter ein. Durch die Epochen werden Entwicklungsphasen geformt, welche diese miteinander verbinden. In den Entwicklungsphasen werden die Entwicklungsaufgaben einer Epoche bewältigt. Levinson ist der Meinung, dass die Übergänge zwischen diesen die entscheidenden Wendepunkte im Leben eines Menschen sind. Sie bilden die Grundlage für Erneuerung. Durch die Aufeinanderfolge der Phasen wird die Lebensstruktur entfaltet.17 Grundlage dieser Entwicklungstheorie ist eine individuelle Lebensstruktur, in welcher auf eine stabile Phase eine Phase des Übergangs folgt, in der sich die vorhandene Struktur ändert. Jede Phase hat ihre eigenen Entwicklungsaufgaben. So ist man in der Phase des Strukturaufbaus (ca. 6-8 Jahre) gefordert, Entscheidungen zu treffen, um diesen Aufbau zu ermöglichen und die gesteckten Ziele zu verfolgen. Anschließend kann man in der Übergangsphase (4-5 Jahre) die bestehende Struktur neu bewerten und auf eine mögliche Strukturänderung hinarbeiten.18
Die meiste Energie wird für Entwicklungsaufgaben der Phase verwendet, in der man sich gerade befindet. Da aber auch die anderen Phasen in der gegenwärtigen Phase enthalten sind, befasst man sich automatisch auch immer mit den Aufgaben anderer Phasen. Abgeschlossene Aufgaben vorangegangener Phasen fördern die weitere Entwicklung.19 Die im Erwachsenenalter zu bewältigenden Entwicklungsaufgaben werden von Levinson den folgenden drei Gruppen zugeordnet:20
1) „Aufbau und Abwandlung der Lebensstruktur“
Die Phase der Entwicklung und Entfaltung der Lebensstruktur wurde bereits angedeutet. Hauptaufgabe in der stabilen Phase ist es, „eine Lebensstruktur aufzubauen und das Leben in dieser Struktur zu intensivieren“.21 In der anschließenden Übergangsphase werden nach dem Abschließen der vorhandenen Struktur neue Möglichkeiten gesucht und somit die Basis für eine neue Struktur gelegt. Zwischen den einzelnen Epochen muss man die alte Epoche abschließen und in die neue einleiten.22
2) „Arbeit an einzelnen Komponenten der Lebensstruktur“
Die einzelnen Komponenten der Lebensstruktur, z.B. Beruf, Familie, MentorVerhältnisse, müssen erst aufgebaut und später abgewandelt werden. Dadurch wird die Lebensstruktur entfaltet. Die Veränderung der einzelnen Komponenten ist nötig, um neuen Komponenten Platz zu machen. An dieser Stelle sollen einige Komponenten benannt werden.
- Der Aufbau eines Traums spielt im frühen Erwachsenenalter eine wichtige Rolle, um persönliche Ziele erreichen zu können. Wenn man im Laufe der Zeit erkennt, dass man seinen Traum nicht verwirklichen kann, muss man sich davon lösen und andere Aspekte konkretisieren.23
- Eine weitere Aufgabe im frühen Erwachsenenalter ist der Aufbau einer beruflichen Tätigkeit. Dabei durchläuftjeder qualitative Veränderungen, unabhängig davon, ob man bei seinem Beruf bleibt oder ihn wechselt. Im mittleren Erwachsenenalter sucht man sich dann einen Platz in der Gesellschaft der Gleichaltrigen und wandelt eventuell seine beruflichen Tätigkeiten um.24
- Auch die Frage nach Liebe, Ehe und/oder Familie ist eine zentrale Komponente des Erwachsenenalters. Man braucht zu bestimmten Zeiten bestimmte Arten von Liebesbeziehungen, die je eigene Qualitäten haben und die Beteiligten in je unterschiedlicher Weise fordern. Das Liebesleben kann sich z.B. von einer intimen Liebesbeziehung über die Ehe hin zur Familie entwickeln. Dabei wird das Verhältnis (oder werden die Verhältnisse) abgewandelt, die Strukturen ändern sich. Demnach ist eine Entwicklungsarbeit notwendig.25
- Im Erwachsenenalter können Mentor-Verhältnisse aufgebaut werden; dies ist jedoch selten der Fall. Als Begleiter kann manjungen Menschen helfen, sie in die Erwachsenenwelt einzuführen, sie emotional zu unterstützen, ihnen den Weg zu ebnen und ihnen Identifikationsperson zu sein.26
- Enge Freundschaften zwischen Erwachsenen sind für die Entfaltung der Lebensstruktur sehr wichtig, kommen aber in den USA kaum vor. Die wenigsten Männer haben einen vertrauten Freund.27
3) „Fortschritte in der Individuation“
Im Erwachsenenalter müssen die Grundpolaritäten jung - alt, Destruktion - Kreation, Frau - Mann etc. während der Übergangsphasen re-integriert werden. Das kannjedoch sehr schwierig sein, weil die Gesellschaft die Polaritäten (z.B.jung - alt) scharf trennt. Folglich kann es zu inneren Spaltungen und einer einseitigen Lebensstruktur kommen.28
Aufgrund der beschriebenen beruflichen, privaten und finanziellen Anforderungen im frühen Erwachsenenalter ist man vielen Belastungen ausgesetzt. Während des Übergangs in die Dreißiger Jahre kommt man oft in eine Krise, da die bestehenden Werte, Ziele und Beziehungen in Frage gestellt werden und man für die Zukunft wichtige Entscheidungen treffen muss. Die Entwicklung im Erwachsenenalter kann durch Krisen angehalten werden. Ist man z.B. arbeitslos und hat keinen Platz in der Gesellschaft, muss man all seine Kraft ins Überleben stecken und kann dadurch nicht seine Träume verwirklichen. Summieren sich Aspekte dieser Art, führt dies zu einem enormen Druck von aussen sowie zu Konflikten im Innern.29
Auch Havighurst erstellte ein Konzept der Entwicklungsaufgabe. Wie bei Levinson muss eine Person in jedem Lebensabschnitt bestimmte aufeinander aufbauende Aufgaben erfüllen. Von deren Ge- oder Misslingen hängt die weitere Entwicklung ab. Um sich weiterentwickeln zu können, muss die jeweilige Entwicklungsaufgabe erfüllt werden. Diese Entwicklungsaufgaben basieren auf biologischen, psychologischen und kulturellen Grundlagen.30
[...]
1 Vgl. Michaela Umer: Lisas Bildungsbiographie: “Ich bin wirklich offen für alles, was da kommt“, in: Girmes, Renate: StudiumBerufsentwicklung Persönlichkeitsbildung. Ansätze zueinembiographieorientierten Hochschulstudium, München, Berlin, Münster 1997.
2 Ritter u.a. 1976, S. 1242
3 Ulich 1985, S. 17
4 Ulich 1987, S. 51f
5 Vgl. Ulich 1985, S. 14
6 Vgl. Ulich 1985, S. 14
7 Vgl. Ulich 1985, S. 15
8 Vgl. Meueler 1999, S. 16
9 Vgl. Rosenmayr 1978, S. 326
10 Meueler 1999, S. 66
11 Ulich 1985, S. 15
12 Vgl. Ulich 1985, S. 16
13 Ulich 1985, S. 14
14 Vgl. Ulich 1985, s. 14
15 Vgl. Ulich 1985, S. 15
16 Vgl. Meueler 1999, S. 18
17 Vgl. Levinson 1979, S. 431
18 Vgl. Levinson 1979, S. 432
19 Vgl. Levinson 1979, S. 436f
20 Vgl. Levinson 1979, S. 449
21 Levinson 1979, S. 449
22 Vgl. Levinson 1979, S. 449f
23 Vgl. Levinson 1979, S. 450f
24 Vgl. Levinson 1979, S. 451
25 Vgl. Levinson 1979, S. 452
26 Vgl. Levinson 1979, S. 454
27 Vgl. Levinson 1979, S. 455
28 Vgl. Levinson 1979, S. 457
29 Vgl. Levinson 1979, S. 458
30 Vgl. Ulich 1987, S. 75-78
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