Die ironische Art Gottfrieds von Straßburg lässt vielfach Zweifel ob der Eindeutigkeit
und Aufrichtigkeit seiner Aussagen aufkommen. Vielschichtige Deutungsmöglichkeiten
seiner Ausführungen und Andeutungen haben in der Tristanforschung zu unzähligen
Kontroversen geführt, auch auf lange Sicht ist keine Übereinkunft auf einen
gemeinsamen Interpretationskanon abzusehen.
Eine der am meisten diskutierten und behandelten Passagen im Tristan ist der
Literaturexkurs, auch als Dichterwettstreit, Literatur- oder Dichterschau bezeichnet.
Lange Zeit wurde er in der Forschung als erste deutschsprachige Literaturkritik
hochstilisiert und von seinem Kontext losgelöst betrachtet.1 Um der Kernaussage
Gottfrieds näher zu kommen, muss er jedoch im Kontext des Tristan und dem
Formideal seines Autors erschlossen werden. Im Folgenden wird untersucht, inwiefern
Gottfried das Lob an seinem Dichterkollegen Hartmann von Aue vollends aufrichtig
meinen kann. Widersprechen nicht die unterschiedlichen Auffassungen von
dichterischer Gestaltung, sein Bedürfnis nach Selbstdarstellung und vor allem seine
sonst durchgehend ironische Schreibweise der Annahme, dass Gottfried aufrichtig
„muoz dem Ouwaere lân / sîn schapel und sîn lôrzwî“2? Ist es denkbar, dass er in
Wirklichkeit diese für sich selbst in Anspruch nehmen möchte? Vielleicht sieht er sich
vielmehr als rechtmäßiger Nachfolger Hartmanns? Oder spricht aus seinen Worten
tatsächlich ausschließlich ehrfurchtsvolle Bewunderung? Mit der Klärung dieser Fragen
befasst sich diese Untersuchung, deren Hauptaugenmerk auf dem Hartmannlob im
Tristan, Vers 4621 bis 4637, liegt.
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