Uran für das atomare Patt

Reportagen eines Wismut-Hauers 1967 - 1974


Textbook, 2008

49 Pages


Excerpt


Nachtschicht

1970 - Ronneburg in Thüringen. Es ist Herbst, irgendein Tag in der Woche. Meine Uhr zeigt 20 Uhr. Fernsehzeit! Nicht aber für mich. Gedankenversunken trete ich aus der Haustür ins Dunkle. Kalte Abendluft schlägt mir erfrischend ins Gesicht. Die begonnene Schläfrigkeit weicht rasch. Ich trete meinen gewohnten Weg zum Busbahnhof an. Von dort werden die Kumpels der Umgebung zum Schacht gefahren. Schacht Schmirchau, Zentralschacht des Uranabbaus im Thüringer Becken. Ungefähr 700 Hauer, insgesamt etwa 5.000 Beschäftigte. Es gibt noch weitere Schächte in der Gegend: Reust, Paitzdorf, Drosen ... und zwei gigantische Tagebaue -Lichtenberg und „Mücke" bei Seelingenstädt. Eine vom Wind geschaukelte Straßenleuchte lässt mein Schattenbild bizarr verzerrt auftauchen und verschwinden. Kläffend rennt ein Hund über die Straße. Die Stadt ist doch eigentlich tot, so geht es mir durch den Kopf. Warum bin ich bloß mit meiner Familie aus meiner schönen Heimat im Vogtland hierher gezogen? Die Antwort gebe ich mir selbst, vielleicht zum hundertsten Mal: Des Geldes wegen! Meine Gedanken gleiten ab. Ich bin schon wieder untertage. Wir haben an unserem Block einen mächtigen Verbruch. Ein in der Nähe befindliches Streckenkreuz ist zusammengebrochen. In meinen Ohren gellt das fauchende Geräusch des Überkopfladers der die zentnerschweren Brocken mit Leichtigkeit in einen Hunt schleudert. Ich bin am Ziel. Der Lärm ankommender Busse und diskutierender Kumpel unterbricht meine Gedanken. Ich steige ein und werfe mich auf einen Sitz am Fenster. Meinen Stullenbeutel lege ich auf den Schoß. Das Fahrzeug setzt sich in Bewegung. Helle Lichterketten und die beleuchteten Silhouetten der Abraumkegel und Fördertürme werden sichtbar. Die Fahrt dauert nur einige Minuten. Die Nachtschichtarbeiter strömen in Scharen aus einer Unzahl von Bussen in den Essenssaal, um sich für die Schicht zu stärken. Es gibt mehrere gute Gerichte, Milch und Kompott, alles reichlich. Bestecke kratzen und klappern auf den Tellern. Hin und wieder werden ein paar Worte mit den Tischnachbarn gewechselt. Ich bringe nach etwa fünfzehn Minuten mein Geschirr zur Ablage und passiere das Kontrolltor. Zwei Treppen hoch und einige Gänge entlang, dann stehe ich in der Weißkaue. Hier ist es warm, das Milieu hat irgendwie etwas Anheimelndes. Es riecht nach Seife, Rasierwasser und Schweiß. Grüße werden gewechselt: „Glück auf!" Ich hänge meine Sachen in den Spind und schlürfe in Badesandalen nackt hinüber in die Schwarzkaue. Dort hängen die Arbeitssachen. Meine Kombi steht vor Dreck und dabei habe ich erst vor zwei Schichten die Wäsche gewechselt. Ich ziehe mir die steifen Klamotten über und setze den Helm auf. Dann geht es wieder treppab in die Teeküche, wo ich mir meine Literflasche mit gesüßtem Schwarztee und Zitronensaft fülle. Hier herrscht schon einiger Andrang. Ein volles Trinkgefäß, das ist bei der Hitze untertage so ziemlich das Wichtigste für die Bergleute. Nun noch in die Lampenstube, wo in langen Reihen für jeden seine Kopflampe steht. Die muss immer gut geladen sein, denn untertage ohne Licht - das ist das letzte was ein Bergmann brauchte. Das dritte wichtige Utensil ist der Kohlenmonoxyd-Selbstretter. Ich nehme noch eine Wetterlampe mit, deren kleines blaugelbes Flämmchen hinter dem feinen Schutzdraht im Windzug flackert. Vielleicht sind matte Wetter im Hohlraum des Verbruchs? Man weiß nie - und dieses Lämpchen signalisiert die Gefahr! In früheren Zeiten nahmen die Bergleute Vögel oder Mäuse mit in die Grube. Wenn die starben, dann hieß es raus aus dem Berg. Im Seilfahrtskeller pfeift wie immer ein kalter Wind der aus der Schachtröhre kommt. Ich stelle den Kragen meiner Wattejacke auf. Zischend orgelt aus der Tiefe der Förderkorb herauf. Personenseilfahrt. Acht bis zwölf Meter pro Sekunde Geschwindigkeit mit 32 Kumpels in zwei Etagen übereinander. Ihr Leben hängt an einem armstarken Stahlseil. Anfahrt aus minus 180 Meter. Krachend fährt das Gitter des Trums auf. Die ausfahrenden Kumpels haben es eilig, das Schutzgitter ist bereits hochgezogen. Viele sehen müde und abgespannt aus. Der scharfe Wind und plötzliches grelles Licht lassen die Augen tränen. Bei einigen hageren Bergleuten spannt die Haut über den Wangenknochen. Die Gesichter sind geschwärzt, so dass die Falten wie dünne, weiße Linien stärker hervortreten als man es sonst wahrnehmen würde. Die Lippen der meisten sind trocken und durch Staub fahl geworden. Im Vorbeihasten suchen sich die Augenpaare für den Austausch notwendiger Informationen. Ein kurzer harter Händedruck der arbeitsgewohnten Fäuste, ein „Glück auf!" und wenige Sätze zur Lage - das genügt! Ich muss daran denken, wie viele Worte an anderen Stellen gebraucht werden, um eigentlich nichts zu sagen. Das Leben und der Beruf formen die Menschen. Hier ist für Pathos und Polemik wenig Zeit. Den Menschen fehlt bei dieser Knochenarbeit auch das Verständnis für solch kommunikative Entartungen. Ich bin mit mehreren anderen eingestiegen. Der Korb saust hinunter. Bei etwa hundert Metern Tiefe schlucke ich das erste Mal. Druckausgleich! Die Fahrt wird langsamer. Ein kurzer wippender Ruck. Ehe der Korb vollends still hängt ist er schon leer. Ich werfe meine Seilfahrtsmarke in den Kasten und lehne mich auf das teilende Geländer des Seilfahrtskellers. Ich warte auf meine ausfahrenden Schichtkumpels. Nach zwei weiteren Körben kommt der erste, einen Apfel kauend, um die letzte Kurve der Feldstrecke. Sein Gesicht ist mir aus vielen gemeinsamen Schichten vertraut. Ich versuche schon jetzt zu erraten wie es bei ihnen lief. Solche alte Arbeitsgespanne verstehen sich fast ohne Worte. Außenstehenden mögen sie mitunter ruppig erscheinen, aber man merkt sofort am Protest, wenn der Schichtrhythmus verlangt sie zu trennen, wie schwer ihnen dies fällt - und sei es nur für eine Schicht. Ja, hier unten ist ein guter Kamerad noch etwas wert. Hier unten, wo es auch ans Leben gehen kann! Das weiß jeder. Die Situation ist nicht gerade rosig. Unmengen von Stempeln werden notwendig, um den etwa zehn Meter hohen und im Durchmesser fünfzehn Meter großen, ausgebrochenen Hohlraum wieder zu verschließen. Die offene Firste ist eine Gefahr. Jederzeit kann weiteres Gestein nachbrechen. Wir erfahren das der Steiger uns einige Zimmerleute zur Verstärkung zugeteilt haben soll und das ist gut so. Während wir unter dieser Gefahr schuften müssen feiern andere vielleicht gerade über uns ihren geruhsamen Feierabend. Der Berg wehrt sich gegen seine Ausplünderung durch die Menschen. Die Leute von der Vorgängerschicht sind froh das sie nun verschwinden können. Jeder hofft, dass der andere einen Großteil der Gefahr schon beseitigt hat. Hintereinander stolpern wir auf der glitschigen Wassersaigenabdeckung durch die dunstige, stetig wärmer werdende stickige Luft. Faulendes Holz, Sprenggase, Öldunst und Gesteinsstaub ergeben eine Duftsinfonie die man nicht so schnell vergisst. Durchgefaulte Abdeckungsbohlen und verbogene Weichenhebel sind ein täglich zu überwindender Hindernislauf der nur dem Kundigen eine Chance gibt sich nicht ständig im Schlamm wiederzufinden. Ein Labyrinth hunderter Feldstrecken, Querschläge, Blöcke, Überhauen und Einengungen - eine Welt für sich, unsere Welt. Einzelne Lichtflecke kommen tanzend näher. Es sind Nachzügler, die ausfahren wollen. Sie müssen sich beeilen, die Seilfahrtszeit ist bald um. Wir treten an die Seite, die Leute hetzen vorbei. Ihr Atem geht keuchend, die Selbstretter baumeln mit den Trinkflaschen im Schrittrhythmus an ihnen herunter. Nach weiteren Minuten biegen wir in unsere Feldstrecke ein und stehen unmittelbar vor dem Chaos - der Verbruch. Es ist still, die Maschinen stehen wie tote, graue Fabelwesen herum. Ein undichter Luftschlauch pfeift leise vor sich hin. Wir zwei sind zunächst allein mit unserem Problem. Da gibt es niemanden hinter dem man sich verstecken oder andere die man vorschicken kann. Hier sind wir die einzigen Verantwortlichen! Wir hängen unsere Klamotten an den Ausbau und sehen uns vor Ort um. Ich rechne schon wieder aus was da an Lohneinbuße auf uns zukommt Wir werden nach Tonnage und Uranerzmenge bezahlt und nicht danach wie viele Schichten wir an der Sicherheit basteln. Lohngruppe 6 gleich 625.- Mark Brutto, dazu 150.- Mark Gefahren- und Dreckzulage. Das ist alles. Alles andere muss die persönliche Leistung bringen. Wer da 1700.- Mark verdienen will muss arbeiten wie ein Berserker und einen ergiebigen Block mit Erz und viel Glück haben. Da werden einige Schichten draufgehen, das ist das Ergebnis der Besichtigung. Die Grundstrecke muss schrittweise freigebaggert und ausgebaut werden, mit Vollschrot, danach müssen auf diese Baue aufgelagerte Druckkästen gesetzt werden. Da können wir Holz schleppen bis uns die Knochen schmerzen. Und dazu ständig das Stolpern über die Brocken aus Knotenkalk und Kieselschiefer, Schichtgrenzbereich zweier Gesteinsarten. Schichtgrenzbereiche sind immer gefährlich, aber wir müssen hier abbauen da die Schichtgrenzen das Uranerz führen. Wir bahnen uns mit dem Presslufthammer einen Weg durch das Chaos und teilen die Brocken so, dass sie von der Baggerschaufel erfasst und in die Hunte geschleudert werden können. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Der Hammer rüttelt bis in den Schädel. Gesteinsstaub wirbelt in steilen Fontänen aus den Pickerlöchern und überzieht die Hände mit einer grauen Schicht. Härtegrad acht, das geht auf die Gelenke! Wir würden gerne mit Auflegerpatronen die größten Brocken sprengen, aber das geht nicht. Wer weiß was dann nach der Sprengung noch herunterkommt? Allmählich rinnt der Schweiß aus allen Poren und brennt in den Augen. Die Kopflampe rutscht ständig auf die Nase. Zieht man das Stirnband straffer bekommt man Kopfschmerzen. Beim Baggern pfeift haarscharf ein mächtiges Bohlenstück an meinem Kopf vorbei das unbemerkt im Haufwerk steckte. Glück gehabt! Wie oft wohl hatte ich schon Glück? Die Zimmerleute treffen ein, zwei Mann stark! Besser als gar nichts, jede Hand ist hier willkommen. Wir räumen gemeinsam das Bruchholz aus den Massen. Das Zeug ist nass und bleischwer. Es stinkt wie vergorener Essig. Nach einiger Zeit sind die Leinenhandschuhe nass und die Hände sehen darunter wie Schwämme aus. Einer der Zimmerleute tritt in eine Bauklammer. Zum Glück ist nichts passiert, aber das Eisen steckt zwei Zentimeter tief im Absatz der Gummistiefel. Er flucht und feuert das Ding krachend in einen Hunt. Wir arbeiten uns langsam voran und stellen sofort Baue in die geräumten Flächen. Jeder ist froh, wenn er wieder fünfundzwanzig Zentimeter Holz über sich hat. Kleinere Steinschläge die sich aus der Firste lösen können hält das schon ab. Nachts um ein Uhr machen wir „Mittag". Wir sitzen auf abgelegten Stempeln und kauen unser Brot, dass sich wie immer schon in der Wärme gekrümmt hat. Butter und Wurst möchten davonlaufen, nur das Papier hält sie zurück. Ein paar Schlucke Tee dazu und der Rest des Brotes verschwindet im Mund. Zwei zünden sich eine Zigarette an. Ein Gespräch kommt in Gang. Aus der Dunkelheit taucht plötzlich der Steiger auf. Ein „Glück auf!" wird gewechselt. Wir kennen ihn auch schon einige Zeit. Er hat den Spitznamen „Funkturm", weil er gute zwei Meter groß ist. Wir haben immer Angst das er sich mal den Schädel einrennt. Viel gibt es nicht zu beanstanden, wir wissen selbst was wir tun müssen. Das weiß er auch. Er verspricht noch einmal vor Schichtablauf zu kommen. Wir wollen das man uns anderes Holz bringt, trockenes und somit etwas leichteres Material. Mit nassen Stempeln, die hier herumliegen, heben wir uns noch einen Bruch. Er verspricht Abhilfe. Zwei Stunden später kommen einige Holzhunte gefüllt an. Wir beenden unsere Pause, obwohl die Müdigkeit einen Höhepunkt erreicht hat Nachts um halb zwei - wir kennen die toten Punkte, wo die Augenlider in der Dunkelheit der warmen, betäubenden Luft und dem gleichmäßigen Summen des Ventilators in den Lutten immer schwerer werden. Man möchte die Augen einfach einmal schließen und ein wenig ausruhen. Aber die Gefahr sofort einzuschlafen ist groß! Die abgerauchten Kippen fliegen in den klebrigen Dreck, leise zischend verlischt die Glut. So schnell kann auch ein Leben verlöschen, wir wissen dies, doch man vermeidet es darüber zu philosophieren. Jeder verdrängt seine Ängste und wer behauptet er hätte keine der lügt, oder er hat noch keinen Block oder eine Strecke auf der er gerade arbeitet zusammenstürzen sehen. Wir wollen noch einige Druckkästen auf dem Ausbau der Grundstrecke in den Hohlraum setzen. Ich bin der Jüngste in dieser Runde, also gehe ich nach oben. P. streckt mir die schweren Hölzer entgegen. 3,80 Meter lange Kappen und Stempel von 2,80 Meter Länge. Ich zerre die Hölzer über das Ausbauniveau. Es ist kaum Platz zum Ablegen. Das Holz muss sofort sinnvoll verbaut und verklammert werden. Die Luft ist entsetzlich stickig. Ich rufe nach unten, dass man mir die Wetterlampe nach oben reichen soll. Das kleine gelbblaue Flämmchen, das Signal des Bergmannes für matte Wetter flackert unschlüssig, so als ob es sich nicht entschließen könnte zu erlöschen oder weiter zu leuchten. Also, viel frische Atemluft ist nicht vorhanden. Man darf nicht allzu lange diese sauerstoffarme Luft atmen. Ich bekomme Kopfschmerzen, ein bekanntes Symptom für den Hauer vor Ort, aber auch eines das er fürchtet und hasst, denn der Schmerz nimmt den kläglichen Rest von Freude an dieser Arbeit. Es ist keine Zeit für Selbstmitleid. Ich höre ein scharfes knirschen und bringe mich durch einen Sprung hinunter erst einmal in Sicherheit. Ein Brocken schlägt dumpf auf das Haufwerk auf. Wir lauschen gespannt in den Hohlraum hinein. Es bleibt ruhig. Ich klettere mit P. wieder nach oben. Die Luft auf der Grundstrecke ist gegen die im Verbruch wie reinste Seeluft, obwohl die Luft der Grundstrecke sicher auch keine 21 Prozent Sauerstoff enthalten dürfte, wie dies die Schulweisheit für die Erhaltung des Lebens von Menschen vorschreibt. Die Tätigkeit des Hauers mutet mitunter wie ein Spiel an das man mit sich selbst treibt, um sich bestätigt zu fühlen. Philosophisch immer noch sauberer als eines, das Vorgesetzte oder Politiker mit dem Leben und der Gesundheit anderer spielen dürfen. Das ist tröstlich für mich. Ein Blick nach oben zeigt reliefartig und verschiedenfarbig die Ausbruchkonturen, Platz für zwei Busse. Unser Ausbau kann sich sehen lassen. Keiner wird sagen, wir hätten „gepennt". Die Sprache des Bergmanns ist deftig, dafür seine Herzlichkeit umso größer. Es gibt hier unten keine Büroatmosphäre. Es herrscht eine gewisse Schonungslosigkeit im Urteil. Die Urteilsbildung über einen Menschen erfolgt schnell und relativ genau. Leistungsfähigkeit, Ausdauer, Kraft, Mut und Kameradschaft sind die Eckpfeiler der Zusammenarbeit. Wir alle wussten das wir für unsere Arbeit betrogen werden. Das der Arbeiter- und Bauernstaat auch eine rücksichtslose Ausbeutung praktiziert, dies hatte er mit dem Kapitalismus gemeinsam. Doch hilft diese Erkenntnis hier und heute und vor allem hier unten? Die jährlich zum Tag des Bergmanns Ausgezeichneten lassen auch hier den Kreis der erlauchten Ordensträger erkennen. Sind aber diese Ordensträger nicht in jedem System die gleichen Typen von Menschen, geltungssüchtig und rücksichtslos? P. muss mich aus seiner Flasche trinken lassen, meine ist längst leer und der Durst ist groß. Es ist inzwischen vier Uhr morgens geworden. Ich fühle mich wieder etwas frischer. Vielleicht ist das auch nur so, weil das Schichtende so nahe ist und wir endlich an das Licht können. Einige Tage später sind wir durchgehend zwei Schichten hintereinander im Verbruch. Alles Selbstverständlichkeiten! Ich bin Kumpel, wer ist mehr? Alles leeres Geschwätz. Mehr in dieser materialistischen Welt ist, wer Geld und Macht besitzt. Die Kleinen haben nur ihre Anständigkeit und verlogene Ideale. P. sägt mit der Luftkettensäge wie ein Roboter. Singend reißt dieses Ungetüm in Sekundenschnelle eine endgültige Spur durch die Stempel die wie geköpfte Delinquenten auseinander fallen. Ein würziger Duft von frischem Kiefernholz, Harz und zerstäubtem Diesel breitet sich wahrend der Arbeit mit der Luftsäge aus, was mich an meine Kindheit und die Wälder des Vogtlandes erinnert, dort, wo ich staunend Holzfällern bei ihrer Arbeit zusah und diesen Geruch zum ersten Mal wahrnahm. Ich registrierte wie sensibel eigentlich die Sinne reagieren und welch längst vergessene Dinge in uns schlummern bis sie durch einen Zufall wieder ins Bewusstsein gerückt werden. Unten in der Grundstrecke, faucht und poltert der Bagger. Wütend packt er mit seinen Stahlzinken und seiner Druckluftlunge das Gestein und schmeißt es in ungebändigter Kraft über sich in hohem Bogen in einen Hunt. So wie es der Mensch will. Einer dreht den Hauptluftschieber zu und die Baggerschaufel fällt kraftlos, aber dröhnend auf die Gleise zurück. Die Luftsäge ist verstummt. Die Ohren schmerzen von der schlagartig erzwungenen Ruhe. Die Nachtschicht ist, wie schon viele Male zuvor, zur unwiderruflichen Vergangenheit geworden.

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Details

Title
Uran für das atomare Patt
Subtitle
Reportagen eines Wismut-Hauers 1967 - 1974
Author
Year
2008
Pages
49
Catalog Number
V117396
ISBN (eBook)
9783640197606
ISBN (Book)
9783640197828
File size
576 KB
Language
German
Keywords
Uran, Patt, Wismut, SDAG, Strahlenkrankheit, Schneeberger Lungenpest, Silikose
Quote paper
Diplom-Ingenieur Bernd Staudte (Author), 2008, Uran für das atomare Patt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117396

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Title: Uran für das atomare Patt



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