Ich möchte in dieser Arbeit auf die unterschiedlichen Betrachtungsweisen und
den Einfluss von Erziehung und Bildung auf die Entwicklung des Menschen
eingehen. Besonders das Recht auf Bildung und Erziehung Behinderter. Dabei
gehe ich von der in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschlands
verwendeten Definition der Menschenwürde aus, die als unantastbar gilt. Vom
Bundesverfassungsgericht wurde im Zusammenhang mit der Revision des
Abtreibungsparagraphen 218 am 28.5.1993: „...menschliches Leben in seiner
Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit definiert, als bereits festgelegtes, nicht
mehr teilbares Leben unmittelbar nach der Zeugung, und das im Prozess des
Wachsens sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt.“ Was
bedeutet diese Aussage für die Interpretationsweisen der Definitionen über
Bildung und Erziehung? Und welchen Stellenwert gibt sie der Ausprägung der
Fachrichtung Sonderpädagogik für den Allgemeinanspruch behinderter
Menschen der dem Bildungs- und Erziehungsanspruch des Menschen zu Grunde
liegt und sich daraus ergibt.
Ich möchte dabei nicht auf spezielle Methoden und Verfahren, bzw. Theorien
der Sonderpädagogik eingehen, sondern betrachte diesen Zweig der Pädagogik
aus der Notwendigkeit seines Bestehens heraus in der gemeinschaftlichen
Verantwortung der Gesellschaft für Menschen die „anders“ sind, aber darum
nicht „weniger Mensch“, sonder gleichberechtigt innerhalb unsres
Gemeinschaftssystems. Welche Chancen, aber auch welche Gefahren ergeben
sich aus diesem Anspruch auf Bildung und Erziehung für behinderte Menschen?
Und wo liegen die Grenzen? [...]
Inhaltsverzeichniss
0. Einleitung
1. Begriffsklärungen
1.1.Erziehung
1.2.Bildung
1.2.1. Kritische Anmerkung
1.3.Der Zusammenhang von Erziehung und Bildung
1.4.Behinderung und …
2. Die Bedeutung der Definitionsinhalte von Erziehung und Bildung für behinderte Menschen.
2.1. Sonderpädagogik
3. Bildungsfähigkeit und Recht auf Bildung für Menschen die „anders“ sind
3.1.Zusammenhang von Bildungsrecht und Lebensrecht
3.2.Grenzen, Idealisierung und Missbrauch = eine Gratwanderung
4. Integration als Ausweg
5. Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
Einleitung
Ich möchte in dieser Arbeit auf die unterschiedlichen Betrachtungsweisen und den Einfluss von Erziehung und Bildung auf die Entwicklung des Menschen eingehen. Besonders das Recht auf Bildung und Erziehung Behinderter. Dabei gehe ich von der in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschlands verwendeten Definition der Menschenwürde aus, die als unantastbar gilt. Vom Bundesverfassungsgericht wurde im Zusammenhang mit der Revision des Abtreibungsparagraphen 218 am 28.5.1993: „...menschliches Leben in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit definiert, als bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben unmittelbar nach der Zeugung, und das im Prozess des Wachsens sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt.“ Was bedeutet diese Aussage für die Interpretationsweisen der Definitionen über Bildung und Erziehung? Und welchen Stellenwert gibt sie der Ausprägung der Fachrichtung Sonderpädagogik für den Allgemeinanspruch behinderter Menschen der dem Bildungs- und Erziehungsanspruch des Menschen zu Grunde liegt und sich daraus ergibt.
Ich möchte dabei nicht auf spezielle Methoden und Verfahren, bzw. Theorien der Sonderpädagogik eingehen, sondern betrachte diesen Zweig der Pädagogik aus der Notwendigkeit seines Bestehens heraus in der gemeinschaftlichen Verantwortung der Gesellschaft für Menschen die „anders“ sind, aber darum nicht „weniger Mensch“, sonder gleichberechtigt innerhalb unsres Gemeinschaftssystems. Welche Chancen, aber auch welche Gefahren ergeben sich aus diesem Anspruch auf Bildung und Erziehung für behinderte Menschen? Und wo liegen die Grenzen?
Gerade in den letzten Jahren ist die Diskussion um die Ablösung diskriminierender Begriffe einer größeren Öffentlichkeit bewusst geworden: Die seit 1964 bestehende "Aktion Sorgenkind", die mit Lotterie-Erlösen viele Projekte von und für Menschen mit Behinderungen unterstützt, wurde am 1. März 2000 publikumswirksam in "Aktion Mensch" umbenannt. Die Organisation selbst nennt drei Gründe: Zum einen unterstütze man mit den Erlösen nicht mehr nur Kinder, sondern Menschen aller Altersklassen. Des Weiteren sei ein neuer Name nötig geworden, um jüngeren Menschen, bei denen man mit dem alten Namen kein Interesse für das eigentliche Anliegen gewinnen könne, ein "Verständnis von Normalität (…), das behinderte Menschen mit einschließt" (Aktion Mensch 2000) nahe zu bringen. Das in meinen Augen gewichtigste Argument aber ist wohl das negative Bild von Behinderung, das der Begriff ›Sorgenkind‹ impliziert. Man assoziiert einerseits Unmündigkeit und Abhängigkeit der Betroffenen, andererseits Unglück und Belastung für deren Familien. Darüber hinaus lässt das Wort bei dem gemeinten Personenkreis „wenig Spielraum für ein positives, optimistisches Selbstbild" (ebda.). Die neue Kampagne, die mit großem Werbeaufwand publik gemacht wurde, stellt sich also ausdrücklich in die Tradition der peoplefirst-Bewegung, die sich in den siebziger Jahren in den USA formierte. Sie seien es satt, Geistigbehinderte genannt zu werden, so die Aktivisten damals, sie seien schließlich people first - in erster Linie Menschen.
Ein zentrales Problem scheint mir das Verständnis von ›Behinderung‹ zu sein: Ist sie ein Zustand, ein Prozess oder eine Eigenschaft? Also: Ist ein Mensch behindert, wird er behindert oder hat er eine Behinderung? Handelt es sich um eine Behinderung, wenn ein Kind mit einem zusätzlichen Chromosom Nr. 21 auf die Welt kommt? Oder wenn ein Mensch aufgrund einer Schädigung des Pyramidalsystems mit einer spastischen Lähmung lebt? Liegt eine Behinderung vor, wenn ein Kind das Lerntempo seiner Klasse auf Dauer nicht mithält? Es ist problematisch, in dieser Vielzahl von unklaren Begriffen und ihren Varianten einen eigenen Sprachgebrauch zu entwickeln, der zum einen den Menschen, um die es in der Behindertenpädagogik geht, gerecht wird, d.h. sie nicht diskriminiert und nur über ihre Probleme definiert, und der zum anderen geeignet ist, sich sowohl innerhalb der Wissenschaft als auch im Alltag über das Phänomen ›Behinderung‹ zu verständigen.
Aus heutiger Sicht wurde historisch betrachtet, behinderten Menschen über Jahrhunderte hinweg die Menschenwürde aberkannt. Sie sahen sich vielfach an Idealen und Wertvorstellungen ihrer Zeit gemessen und verurteilt. Behinderte Menschen als Ausgeburten der Hölle verschrien und verstoßen, wurden als wertloser Ballast der Gesellschaft betrachtet und behandelt. Sie durften ertränkt, erstickt, ausgesetzt, missbraucht oder getötet werden, wie Tiere, die nicht den Maßstäben der Wertigkeit „gesund und brauchbar“ entsprechen. Oft wurde ihre Betreuung auch benutzt, ohne ehrliche Ambitionen schmälern zu wollen, als Sprungbrett, besser als „Ablassbeleg“ vor Gott, für ein himmlisches Leben nach dem Tod.
So haben behinderte Menschen in vergangenen Jahrhunderten als Opfer einer vermessenen Mittel-Zweck-Relation, Nutzen-Schaden-Diskussion aus Notwendigkeiten heraus hinhalten müssen. Einen würdigen Platz in der Gesellschaft als Mensch konnten sie nicht finden. Sie waren die Ausgeburten menschlichen Seins und damit „Abfall“.
Die gedankliche Umorientierung der Neuzeit schuf den Boden für eine Rückbesinnung auf christliche Motive, wie Fürsorge, Bildung und Menschenwürde. Ein neuer Maßstab entwickelte sich für die Definition Mensch und die Anerkennung des Menschseins mit seiner Bildungs- und Erziehungsfähigkeit unabhängig von den Wertmaßstäben der Gesundheit, oder im Sinne von; …nur „Gesunde“ haben ein Recht auf Bildung und Erziehung. Der Anspruch auf Befriedigung der Bedürftigkeit als auch die Bedürftigkeit selbst rechtfertigt heute menschliches Leben und leitet daraus das Recht auf Bildung und Erziehung ab.
Menschliche Behinderung ist eine allgegenwärtige Erscheinung geworden. Sie ist heute nicht mehr, wie in vergangenen Zeiten eben, etwas, was zu verbergen und zu verdrängen ist. Was zwar den Schutz als Leben bedarf, aber nicht das Recht auf Bildung enthält. Behinderung gehört zum „Normalitätsbild“ des Menschen. Öffentliche Wahrnehmung von Behinderung, Krankheit und Versehrtheit ist das Spiegelbild dafür, wie sehr sie in das Bewusstsein der Menschen gedrungen sind und die Auseinandersetzung mit dieser Problematik erfordern. Die Integration als Schlagwort der Sonderpädagogik ist dabei in unserer modernen sozialstaatlichen Gesellschaftsform die geeignete Art und Weise in der Auseinandersetzung mit dieser Problematik.
„…Wir haben zu akzeptieren, dass Morbidität und Beeinträchtigung Elemente menschlichen Lebens sind, die nicht nur Bedrohung bedeuten. Indem wir das wissen, können wir Belastung meistern. Erziehung und Bildung sind, zu Ende gedacht, ein Anwendungsfeld der anthropologischen Einsicht in die Beschränkung des Menschlichen. So wie das Recht auf Leben und das Recht auf Bildung für alle Menschen gelten, so stellt sich Behinderung als pädagogisches Problem dar, wenn wir es mit eingeschränkten Möglichkeiten des Lernens und der sozialen Eingliederung zu tun haben. Die Pädagogik hat ihre Verpflichtung gegenüber behinderten Menschen jahrhundertelang bis in die jüngste Zeit hinein vernachlässigt. Nicht zuletzt die Ergänzung des Grundgesetzes in Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 mit dem Diskriminierungsverbot für Behinderte ist Ausdruck einer veränderten Sachlage: ‚Niemand darf wegen einer Behinderung benachteiligt werden’.
Das gilt auch für Erziehung und Bildung: Niemand darf wegen seiner Behinderung pädagogisch benachteiligt werden….“(Bleidick 1995; S. 7)
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- Quote paper
- Sabine Prager (Author), 2003, Sonderpädagogik unter dem Aspekt betrachtet: Recht auf Bildung und Erziehung für Menschen, die „anders“ sind, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117254
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