Für diese Masterthesis wird die Linguistic Landscape in Flensburg untersucht und darauf aufbauend aus der sichtbaren Mehrsprachigkeit in Teilen Flensburgs Schlüsse über die aktuelle Sprachlandschaft gezogen. Dabei ist vor allem interessant, wie die Sprache in verschiedenen Lebensbereichen genutzt wird. Die erkenntnisleitende Fragestellung ergibt sich aus diesem Ziel. Es gilt herauszufinden, wie sich die Linguistic Landscape in Teilen Flensburgs darstellt. Welche Sprachen sind vertreten? Welche kommunikativen Funktionen haben die verschiedenen Sprachen inne und wie stellt sich deren Zusammenspiel im mehrsprachigen Raum dar?
Bereits im Jahr 2014 wurde die Methode des Linguistic Landscaping von Inga Christiana Eckhardt in Flensburg angewendet, um ein Beispiel für eine Möglichkeit der Erfassung und Analyse von Mehrsprachigkeit zu geben. Dabei wurde die Stadt Flensburg in verschiedene Abschnitte eingeteilt, um diese später miteinander zu vergleichen. Doch vor allem der Abschnitt "Altstadt", welcher neben der Einkaufszone die Norderstraße umfasst, hat sich seit 2014 stark verändert. So wurden in den letzten Jahren viele neue Cafés in der Straße eröffnet. Abgesehen von den Neueröffnungen ist davon auszugehen, dass sich das Stadtbild in den sieben Jahren seit der Forschung durch Eckhardt verändert hat. So können mit der Methode des Linguistic Landscaping aufgrund der Dokumentation von Sprache auf Plakaten und Aushängen nur Momentaufnahmen der Sprache in bestimmten Abschnitten festgehalten werden.
Auch die Coronapandemie trägt zu einer Veränderung der Sprachlandschaft in den Städten bei. Hinweisschilder und Aushänge zu den aktuellen Hygieneauflagen prägen die Einkaufsstraßen. Aufgrund dieser Gegebenheiten ist es von Relevanz, eine Momentaufnahme der Sprachlandschaft in der Stadt Flensburg, während der Coronapandemie zu machen und diese mit den Ergebnissen aus dem Jahr 2014 zu vergleichen. Durch die ständige Veränderung der Stadtbilder und somit auch der Sprache in dieser ist die Forschung von hoher Aktualität.
Inhalt
1 Einleitung
1.1 Problemaufriss
1.2 Zielsetzung der Arbeit und erkenntnisleitende Fragestellung
1.3 Aufbau der Arbeit
2 Definitorische Annäherung an zentrale Begriffe
2.1 Mehrsprachigkeit
2.2 Linguistic Landscapes
2.3 Linguistic Diversity
2.4 Superdiversity
2.5 Minderheitensprachen
3 Theoretischer Rahmen
3.1 Die Entwicklung der Forschung in Linguistic Landcapes
3.2 Erforschung der Minderheitensprachen in Linguistic Landscapes
3.3 Linguistic Landscaping in Flensburg im Jahr 2014
4 Flensburg als Untersuchungsfeld
5 Methodischer Ansatz und Forschungsdesign
5.1 Forschung im qualitativen Paradigma
5.2 Methodische Vorüberlegungen für die Nutzung des Linguistic Landscaping
6 Grundlagen zur Analyse der Items
6.1 Mehrsprachigkeit auf Items in der Linguistic Landscape
6.2 Autoren der Items
6.3 Adressaten der Items (Intention der Sprache)
6.4 Art der Items
7 Analyse der erhobenen Daten
7.1 Die Sprachlandschaft Flensburgs im Überblick
7.2 Die Adressatenschaft in Flensburg: Leser einsprachiger und mehrsprachiger Items
7.2.1 Die Verteilung der einsprachigen und mehrsprachigen Items im Untersuchungsgebiet
7.3 Die Item-Autorenschaft in der Linguistic Landscape: Top-down und bottom-up Effekte in Flensburg
7.3.1 Sticker und Graffitis als Übermittler von bottom-up Botschaften
7.3.2 Die kommerzielle Nutzung von Sprache in der Norderstraße und der Neustadt im Vergleich
7.4 Minderheitensprachen in Flensburg
7.5 Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Sprachlandschaft Flensburgs
8 Vergleich und Diskussion der Analyseergebnisse
9 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Anhang
1 Einleitung
„Bis 1920 war die Mehrsprachigkeit gelebte Normalität im Norden. Danach änderte sich mit dem Entstehen der nationalen Minderheiten Einiges [sic!]“ (Junge 2020) heißt es in dem NDR-Artikel „Wie eine Grenze seit 1920 Sprachen verschwinden ließ“ aus dem vergangenen Jahr. In diesem Artikel wird die Grenzziehung zwischen Dänemark und Deutschland vor 100 Jahren unter anderem am Beispiel von Flensburg reflektiert (vgl. ebd.). Doch wie steht es um die Mehrsprachigkeit in Flensburg? Ist, wie Elin Fredstedt zitiert wird, „das Sprachenland Schleswig- Holstein [und somit auch Flensburg] [wirklich] durch die Grenzziehung sprachlich verarmt“ (ebd.)?
In dieser Masterthesis wird Lokales Linguistic Landscaping betrieben, um die sichtbare Mehrsprachigkeit in Flensburg zu untersuchen. Wie die Unterpunkte der Einleitung vorgeben, wird zunächst der Problemaufriss für dieses Forschungsvorhaben dargelegt, bevor die genaue Zielsetzung und die erkenntnisleitende Fragestellung vorgestellt werden. Im Anschluss gibt das Unterkapitel Aufbau der Arbeit einen Überblick über die Struktur dieser Masterthesis.
1.1 Problemaufriss
Bereits im Jahr 2014 wurde die Methode des Linguistic Landscaping von Inga Christiana Eckhardt in Flensburg angewendet, um ein Beispiel für eine Möglichkeit der Erfassung und Analyse von Mehrsprachigkeit zu geben (Eckhardt 2016: 133)1. Dabei wurde die Stadt Flensburg in verschiedene Abschnitte eingeteilt, um diese später miteinander zu vergleichen (vgl. ebd.: 136 f.). Doch vor allem der Abschnitt Altstadt, welcher neben der Einkaufszone die Norderstraße umfasst, hat sich seit 2014 stark verändert. So wurden in den letzten Jahren viele neue Cafés in der Straße eröffnet2. Abgesehen von den Neueröffnungen ist davon auszugehen, dass sich das Stadtbild in den sieben Jahren seit der Forschung durch Eckhardt verändert hat. So können mit der Methode des Linguistic Landscaping aufgrund der Dokumentation von Sprache auf Plakaten und Aushängen nur Momentaufnahmen der Sprache in bestimmten Abschnitten festgehalten werden. Auch die Coronapandemie trägt zu einer Veränderung der Sprachlandschaft in den Städten bei. Hinweisschilder und Aushänge zu den aktuellen Hygieneauflagen prägen die Einkaufsstraßen. Aufgrund dieser Gegebenheiten ist es von Relevanz, eine Momentaufnahme der Sprachlandschaft in der Stadt Flensburg, während der Coronapandemie zu machen und diese mit den Ergebnissen aus dem Jahr 2014 zu vergleichen. Durch die ständige Veränderung der Stadtbilder und somit auch der Sprache in dieser ist die Forschung von hoher Aktualität. Nachfolgend wird die Zielsetzung dieser Arbeit genauer beschrieben.
1.2 Zielsetzung der Arbeit und erkenntnisleitende Fragestellung
Für diese Masterthesis soll die Linguistic Landscape in Flensburg untersucht und darauf aufbauend aus der sichtbaren Mehrsprachigkeit in Teilen Flensburgs Schlüsse über die aktuelle Sprachlandschaft gezogen werden. Dabei ist vor allem interessant, wie die Sprache in verschiedenen Lebensbereichen genutzt wird. Die erkenntnisleitende Fragestellung ergibt sich aus diesem Ziel. Es gilt herauszufinden, wie sich die Linguistic Landscape in Teilen Flensburgs darstellt. Welche Sprachen sind vertreten? Welche kommunikativen Funktionen haben die verschiedenen Sprachen inne und wie stellt sich deren Zusammenspiel im mehrsprachigen Raum dar? Wie diese Erkenntnisse gewonnen werden sollen, ergibt sich aus dem Aufbau der Arbeit, welcher im nächsten Abschnitt erläutert wird.
1.3 Aufbau der Arbeit
Der Aufbau der Arbeit resultiert aus dem roten Faden für die Forschung zum Linguistic Landscaping. Um das Ziel, eine aussagekräftige Studie zu der sichtbaren Mehrsprachigkeit in Flensburg durchzuführen und hier darzulegen, zu erreichen, wird im ersten Teil dieser Masterthesis in Kapitel 2 die Basis mit dem theoretischen Rahmen geschaffen. Zuerst erfolgt daher eine definitorische Annäherung an zentrale Begriffe aus den Studien zum Linguistic Landscaping, welche auch für das Vorgehen in Flensburg unabdingbar sind. Diese beinhalten eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Mehrsprachigkeit. Dieser ist nicht nur im Titel dieser Masterthesis verankert, sondern ist auch von großer Bedeutung für die Analyse der Linguistic Landscapes. Selbsterklärend wird auch der Begriff der Linguistic Landscapes behandelt. Dieses dient der Einordnung der in der vorliegenden Masterthesis untersuchten Sprachlandschaft. Damit einhergehend folgt die Auseinandersetzung mit den Phänomenen Linguistic Diversity und anschließend Superdiversity, welche in den Linguistic Landscapes auftreten. Zuletzt wird in dem Kapitel das Konzept der Minderheitensprachen erläutert und in die aktuelle Sprachenpolitik eingeordnet.
Nach der Erläuterung dieser zentralen Begriffe erfolgt in Kapitel 3 die Darlegung des theoretischen Rahmens, d.h. der aktuelle Forschungsstand zum Linguistic Landscaping wird aufbauend auf dem vorherigen Kapitel beschrieben. Dabei erfolgt zunächst ein Überblick über die Entwicklung der Forschung zu den Linguistic Landscapes, in welchem die verschiedenen Forschungsmethoden erläutert werden, die im Laufe der Jahre Ansehen in der Forschung erlangt haben. Im Anschluss folgt ein kurzer Überblick über das Linguistic Landscaping im Kontext der Minderheitensprachenforschung. Abschließend wird in Kapitel 3 die bereits in der Einleitung erwähnte Forschung zur Mehrsprachigkeit in Flensburg beschrieben, für welche 2014 auch die Methode des Linguistic Landscaping genutzt wurde.
In Kapitel 4 wird die Sprachlandschaft Flensburgs beschrieben, um den Rahmen für das eigene Forschungsvorhaben zu erläutern und einen Ausblick auf mögliche sprachliche Phänomene zu geben, die die Untersuchung aufzeigen könnte. Bevor Ergebnisse der Untersuchung dargelegt werden können, erfolgt die Darstellung des Forschungsverfahrens, um die Gültigkeit der Forschung und deren Ergebnisse zu validieren. Daher wird in Kapitel 5 Methodischer Ansatz und Forschungsdesign die Vorgehensweise im Linguistic Landscaping aus der bisherigen Forschung und daraus resultierend die Methode für das Forschungsvorhaben in Flensburg genauer erläutert. Im darauffolgenden 6. Kapitel erfolgt außerdem die Darlegung der Grundlagen für die Datenanalyse.
Im Anschluss werden in Kapitel 7 die erhobenen Daten unter Berücksichtigung der zuvor erläuterten Grundlagen analysiert. Diese Analyseergebnisse können im achten Kapitel unter Einbezug der bisherigen Forschung zum Linguistic Landscaping sowie den Informationen zur Sprachlandschaft Flensburgs interpretiert und diskutiert werden. Abschließend steht das Fazit mit einem Ausblick auf Ansätze für zukünftige Forschungen.
2 Definitorische Annäherung an zentrale Begriffe
Vor dem thematischen Einstieg in das Linguistic Landscaping werden in diesem Kapitel, wie bereits in Kap. 1.3 Aufbau der Arbeit erläutert, zentrale Begriffe rund um die Untersuchung der sichtbaren Mehrsprachigkeit in der Soziolinguistik erläutert. Somit können diese Begriffe im weiteren Verlauf der Masterthesis aufgegriffen werden. Die folgenden Begriffe ergeben sich durch ihre zentrale Rolle in der bisherigen Forschung zum Linguistic Landscaping, welche im nächsten Oberkapitel 3 Theoretischer Rahmen dargestellt wird. Auch für die Analyse der erhobenen Daten aus dieser konkreten Forschung, welche in Kapitel 7 erfolgen wird, sowie die anschließende Interpretation und Diskussion der Analyseergebnisse ist die präzise Anwendung der hier erläuterten Begriffe von großer Bedeutung.
2.1 Mehrsprachigkeit
Da in dieser Thesis die sichtbare Mehrsprachigkeit in Flensburg untersucht werden soll, muss dieser Begriff zunächst definiert werden. Sprachen existieren nicht nur nebeneinander, verschiedene Sprachen werden von Menschen in verschiedenen Graden der Häufigkeit genutzt. Mehrsprachigkeit (engl.: Multilingualism) lässt sich daher nicht bloß als „vervielfachte Einsprachigkeit“ (Januschek 2016: 2) definieren. Sprache könne durch das Einnehmen der SprecherInnenperspektive nicht als etwas Objekthaftes verstanden werden (Busch 2017: 8), „daher [wird im englischsprachigen Raum] von einigen Autor_innen der Begriff languaging dem Wort language vorgezogen, um das Dynamische und Prozesshafte sprachlicher Hervorbringungen zu unterstreichen“. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass Mehrsprachigkeit nur auf Grundlage des Sprachgebrauchs definiert werden könne (vgl. Grosjean 1982). Nach seiner Ansicht sei mehrsprachig, wer jeden Tag mehr als eine Sprache verwenden würde (ebd.: 5).
Im Duden ist Mehrsprachigkeit als „Fähigkeit, mehrere Sprachen zu sprechen“ (Dudenredaktion (o. J.): „Duden“ auf Duden online) beschrieben. Nach Suzanne Romaine (2003: 512) sei das Sprechen mehrerer Sprachen keine Seltenheit, wie von vielen Menschen angenommen, „on the contrary, a normal and unremarkable necessity for the majority of the world's population“. Dafür spräche auch die Existenz von über 5000 Sprachen auf der Welt, die der geringen Zahl von 200 Nationalstaaten gegenübersteht (ebd.). Pütz und Mundt (2019: 3) verstehen folgende Sicht auf die Mehrsprachigkeit von Franceschini (2009: 33) im Einklang mit der frühen Sicht auf Linguistic Landscaping :
„ The term/concept of multilingualism is to be understood as the capacity of societies, institutions, groups and individuals to engage on a regular basis in space and time with more than one language in everyday life.”
Heute gelte der Fakt, „[dass] Mehrsprachigkeit in der Welt den Normalfall darstellt [...] unter Sprachwissenschaftlern als Tatsache“ (Januschek 2016: 1). Um sich von der Vorstellung der vervielfachten Einsprachigkeit als Mehrsprachigkeit zu lösen sei ein „differenzierender Blick auf verschiedene Arten von Mehrsprachigkeit notwendig“ (ebd.: 2).
Auf Grundlage dieser Annahme könne Mehrsprachigkeit laut Riehl (2014: 11) „nach verschiedenen Kriterien definiere[t] [werden]:
- nach Art des Erwerbs
- nach gesellschaftlichen Bedingungen
- nach Kompetenz
- nach Sprachkonstellationen".
Art des Erwerbs
Die Arten der Mehrsprachigkeit unterscheiden sich zum Ersten in der Art des Spracherwerbs. Erwirbt man „mehrere Sprachen von Kind auf simultan" (ebd.), also besitzt man zwei Erstsprachen, so spricht man vom bilingualem Erstspracherwerb. Der gesteuerte Spracherwerb bezeichnet das Aneignen von Sprachen in einem institutionellen Kontext wie der Schule. Einen weiteren Unterschied in den Arten der Mehrsprachigkeit macht der Zeitpunkt des Spracherwerbs aus.
Es müsse berücksichtigt werden, ob die Sprache als Zweitsprache, also nach der Muttersprache oder sogar als dritte oder weitere Sprache erworben wurde (ebd.). Hierbei könne „zwischen Zweitspracherwerb in der frühesten Kindheit, im Vorschulalter, in der Vorpubertät, in der Adoleszenz und im Erwachsenenalter unterschieden werden" (Lüdi 1996: 235). Die verschiedenen Zeitpunkte des Spracherwerbs haben eine Auswirkung auf die Einstellung gegenüber dem Gebrauch der Sprachen:
„Es spielt [...] eine Rolle, ob man von Anfang darauf trainiert wird, die Sprachen zu trennen oder nicht, und ob man die Sprachen in einem natürlichen Kontext erwirbt oder Wörter und Strukturen über Übersetzungsäquivalente oder explizite Regeln lernt“ (Riehl 2014: 12).
Gesellschaftliche Bedingungen
Wie bereits in diesem Kapitel erwähnt, gibt es einige Gesellschaften, in denen die Mehrsprachigkeit zum Alltag selbstverständlich dazu gehört und mehrere Sprachen „im täglichen Umgang nebeneinander gebraucht werden - meist mit unterschiedlichen Funktionen“ (ebd.). Dabei unterscheidet sich der Sprachgebrauch nach den verschiedenen Dimensionen, in denen Mehrsprachigkeit auftritt.
Die individuelle Mehrsprachigkeit bezieht sich auf den einzelnen Sprecher. Nach Lüdi (1996: 234) ist mehrsprachig,
„wer sich irgendwann in seinem Leben im Alltag regelmäßig zweier oder mehrerer Sprachvarietäten bedient und auch von der einen in die andere wechseln kann, wenn dies die Umstände erforderlich machen“.
Für die Mehrsprachigkeit von Individuen gebe es also mehrere Gründe, die sich in der Biografie der Sprecher wiederfinden. Zu Grunde liegen dem Phänomen Ereignisse wie die Heirat mit Anderssprachigen, oder die geographische Mobilität (ebd.). Aber auch das „Leben in Sprachgrenzregionen oder in sprachlich heterogenen Gebieten [oder die] Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft mit einer besonderen Sprache“ (ebd.) können dazu führen, dass Individuen mehrere Sprachen beherrschen.
Romaine (2003: 516) führt auf, dass häufig eine Verbindung zwischen der individuellen und der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit gesehen wird - diese könne jedoch nicht immer bestehen. An dem Beispiel von Kanada zeigt sie, dass nicht alle Bürger eines Staates mehrsprachig sind, auch wenn der Staat dies ist. So gäbe es deutlich mehr französischsprachige Kanadier, die Englisch lernen würden als englischsprachige, die Französisch lernen. Nach Romaine zeigten sich Zusammenhänge zwischen der individuellen und der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit, wenn die Gründe für die Entwicklung der Mehrsprachigkeit bei Individuen beleuchtet würden: „Usually the more powerful groups in any society are able to force their language upon the less powerful“ (Romaine 2003: 516.). Eltern, die Sprecher einer untergeordneten Sprache in der Gesellschaft seien, brächten ihren Kindern die in der Gesellschaft innerhalb des Staates angesehene und verbreitete Sprache bei oder schickten ihre Kinder zu Schulen, um diese Sprache zu lernen (ebd.).3
Zu den gesellschaftlichen Bedingungen von Mehrsprachigkeit gehört auch die institutionelle Mehrsprachigkeit, also „die Verwendung mehrerer Arbeitssprachen in Institutionen“ (Riehl 2014: 12). Diese wurde schon im vorherigen Absatz angeschnitten, was dem Ineinandergreifen der verschiedenen Dimensionen der Mehrsprachigkeit zugrunde liegt. Institutionelle Mehrsprachigkeit bedeutet, dass „der Staat die Mehrsprachigkeit seiner Bürger gesetzlich anerkennt und diesen auch die Einsprachigkeit gewährt“ (Roche/ Terassi-Haufe 2018: 32). Somit seien in staatlichen Institutionen mehrere Sprachen repräsentiert, sodass die Bürger und Bürgerinnen in ihrer jeweiligen Sprache an die Institutionen herantreten können (ebd.).
Als Beispiel für institutionelle Mehrsprachigkeit dient die UNO (Luttermann/ Kazzazi/ Luttermann 2019: 5). Innerhalb der UNO sind verschiedene Amts- und Arbeitssprachen zugelassen (ebd.).4 Auch in der Europäischen Union sind verschiedene Amts- und Arbeitssprachen vertreten. Hier zeigt sich der Zusammenhang von institutioneller und individueller Mehrsprachigkeit durch die „Zielvorgaben zum Sprachenlernen und der Mehrsprachenpolitik mit der Maßgabe zur Umsetzung in den Mitgliedsstaaten“ (Luttermann/ Kazzazi/ Luttermann 2019: 5.). Dies habe Auswirkungen auf die Entwicklung der Mehrsprachigkeit von Individuen, sei es im Kontext des Sprachenlernens in der Schule oder der Förderung der Regionalsprachen, die Auswirkung auf die Mehrsprachigkeit innerhalb der Familie habe (ebd.).
Ausprägungen der Kompetenz
Die Grundsatzdiskussion in der Mehrsprachigkeitsforschung, ab wann ein Individuum mehrsprachig sei, beschäftigt viele Forscher (vgl. Riehl 2014: 12 ff.). Es sind vielfältige Ausprägungen von Mehrsprachigkeit möglich. So beschreibt Riehl (2014: 14) die „quasi-muttersprachliche Kompetenz in zwei oder mehr Sprachen [...] [als] Ausnahme“. Lüdi (1996: 235) unterscheidet den Gebrauch der Sprache „bezüglich des Grades der Sprachbeherrschung [...] [in] symmetrische und asymmetrische Zweisprachigkeit5 “. Die asymmetrische Mehrsprachigkeit könne mit einer Differenzierung nach Kompetenzen6 oder Anwendungsgebiet7 unterschiedliche Formen annehmen (ebd.).
Für die Entwicklung der Mehrsprachigkeit mit der Herausbildung von Kompetenzen in den verschiedenen Sprachen sei „der Sprachgebrauch in unterschiedlichen Domänen (oder in unterschiedlichen sozialen Rollen) ausschlaggebend“ (Riehl 2014: 14). Denn für das Nutzen der verschiedenen Sprachen aus ihrem Repertoire für unterschiedliche Zwecke, ergeben sich unterschiedliche Sprachniveaus (Roche/ Terassi-Haufe 2018: 33). Nutzt ein Sprecher eine Sprache regelmäßig im gehobenen Arbeitsumfeld sowie im familiären Umkreis ergibt sich ein höheres Sprachniveau als für die Sprache, die nur in ausgewählten Freizeitsituationen genutzt wird.
Innere und äußere Mehrsprachigkeit
Die letzte hier aufgeführte Dimension für die Typisierung von Mehrsprachigkeit ist die Sprachkonstellation. „Der Status der beteiligten Sprachen" (Riehl 2014: 16) könne entweder mit zwei Kultursprachen mit internationalem Prestige gleichwertig sein, oder eine Kultursprache und einen Dialekt oder eine Sprache mit regionaler kommunikativer Reichweite umfassen.8
Die innere Mehrsprachigkeit umfasst hier die Mehrsprachigkeit innerhalb ein und derselben Dachsprache (ebd.). Am Beispiel der deutschen Sprache lässt sich dieses Konzept beschreiben. So existieren innerhalb des Hochdeutschen einige Dialekte9, wie zum Beispiel Berlinerisch oder Bayrisch, aber auch Soziolekte10. Individuen können sowohl das Hochdeutsche sprechen, aber auch je nach gesellschaftlichsozialem Kontext in ihre Dialekte und Soziolekte Code-Switching11 betreiben. Die innere Mehrsprachigkeit bezeichnet also nicht eine Mehrsprachigkeit mit dem Deutschen, sondern eine Mehrsprachigkeit im Deutschen.
Die äußere Mehrsprachigkeit stellt die Mehrsprachigkeit dar, an welche man im klassischen Sinne denkt: Das Sprechen mehrerer unterschiedlicher Landessprachen. Hier findet auch „der Erwerb von Fremd- oder Mischsprachen seinen Ausdruck" (Roche 2012: 178). Dieser kann sowohl im schulischen Kontext, aber auch im familiären Umfeld erfolgen.
Das Konzept der inneren und äußeren Mehrsprachigkeit führt zu der Erkenntnis, dass jeder Mensch ein Repertoire an Sprachen hat, welches er frei nach den Bedürfnissen und Gegebenheiten der Situation anwenden kann. Pütz und Mundt (2019: 3) führen an, dass für die moderne Sicht auf Mehrsprachigkeit im Sinne des Linguistic Landscaping der Begriff des Translanguaging genutzt werden müsse, der besage, dass „bilinguals/multilinguals have only one complex linguistic repertoire from which they select features that are socioculturally appropriate”. Dies führe zu einer Bewegung zwischen den verschiedenen Sprachen der mehrsprachigen Sprecher (ebd.).
In diesem Kapitel wurde der Begriff des Linguistic Landscaping mehrmals aufgegriffen. Dieser wird im Kapitel 5.2 zu der Methode des Linguistic Landscaping genauer erklärt. Jedoch findet die Methode in den Räumen der Mehrsprachigkeit, den Linguistic Landscapes statt. Daher erfolgt im nächsten Unterkapitel zunächst eine Definition der Linguistic Landscapes.
2.2 Linguistic Landscapes
Landscape habe als Nomen zwei Bedeutungen. Zum einen sei da die wörtliche Bedeutung, welche eine Szenerie beschreibe, die zu einem bestimmten Zeitpunkt von einer Perspektive aus gesehen werden könne (Gorter 2006: 1). Zum anderen sei da das Abbild, das diesen Ausblick zeigt, zum Beispiel in Form einer Landschaftsfotografie (ebd.). Diese Bedeutungen seien auch auf die Blickwinkel der Studien von Linguistic Landscapes übertragbar: „On the one hand the literal study of the languages as they are used in the signs, and on the other hand also the representation of the languages” (ebd.).
Laut Gorter (vgl. ebd.) wurde das Konzept der Linguistic Landscapes schon um die Jahrtausendwende auf verschiedene Weise genutzt. Zum einen wurde der Begriff in einer eher undifferenzierten Sicht „for the description and analysis of the language situation in a certain country” (Gorter 2006: 1) verwendet. Zum anderen fand der Begriff Anwendung für die Beschreibung der Gegenwart und der Anwendung vieler verschiedener Sprachen in einem geographischen Raum (ebd.). Diese Sicht auf Linguistic Landscapes impliziere laut Gorter „the use in speech or writing of more than one language and thus of multilingualism” (ebd.).
Die starre Auffassung der Linguistic Landscapes als bloßes Abbild von Mehrsprachigkeit wurde durch die Forschungen in den letzten Jahren erweitert. So wird Linguistic Landscape im heutigen Forschungskontext als Abbild der Öffentlichkeit durch die Sprache in ihrer geschriebenen Form verstanden (vgl. Gorter 2006: 2, Pütz/ Mundt 2019: 1 f., Marten/ Mensel/ Gorter 2021: 1 f., Blommaert 2013: ix f.)
Obwohl Landry & Bourhis (1997) häufig von Forschern zitiert werden, wenn diese Linguistic Landscapes charakterisieren (vgl. Gorter 2019: 40), erscheint die Definition nach jetzigem Forschungsstand veraltet. Dennoch wird die Definition dieser Autoren auch hier aufgegriffen, da sie einige wichtige Aspekte für die Charakterisierung stichhaltig anführen. In ihrem Artikel erläutern sie Linguistic Landscapes in Form einer Aufzählung:
„The language of public road signs, advertising billboards, street names, place names, commercial shop signs, and public signs on government buildings combine to form the linguistic landscape of a given territory, region or urban agglomeration" (Landry & Bourhis 1997: 25).
Blommaert (2013) erweitert die Orte der Linguistic Landscapes um „grafitti and all sorts of other inscriptions in the public space, both professionally produced and grassroots” (S. 1). Der Begriff umfasse also aktuelle Dokumentationen und Reflektionen der physischen Umwelt des modernen, globalisierten urbanen Raums (Pütz/ Mundt 2019: 2). Somit können Linguistic Landscapes als Abbild der Umwelt gesehen werden, in welchen diese verschriftlicht wird (ebd.).
Diese Sicht auf Linguistic Landscapes weitet den Analysekorpus für die schriftliche Mehrsprachigkeit ungemein aus - lässt durch das Einbeziehen der nicht- professionell produzierten Schriftsprache eine ausführlichere und genauere Analyse der schriftlichen Mehrsprachigkeit in begrenzten Räumen, zum Beispiel Stadtteilen, zu. Das Vorgehen für die Datenerhebung und die Analyse in den Linguistic Landscapes wird in Kapitel 5.2 Methode des Linguistic Landscaping genauer erläutert. Im folgenden Kapitel erfolgt nun eine Auseinandersetzung mit dem Begriff Linguistic Diversity, welcher in den Forschungen zum Linguistic Landscaping sichtbar wird.
2.3 Linguistic Diversity
Der Begriff Linguistic Diversity wird von Forschern in der Soziolinguistik genutzt, da, wie schon im Kapitel zur Mehrsprachigkeit erwähnt, die Sprachen nicht immer voneinander getrennt und so nicht eindeutig gezählt und in Sprachen unterteilt werden könnten (vgl. Piller 2016: 9). Wenn verschiedene Sprachen in Kontakt kommen, sei eine klare Abtrennung der Sprachen nicht immer möglich.12 Piller fasst den Begriff zusammen: „[the] unique ways in which each and everyone uses the linguistic resources in our disposal to communicate in context constitute the basic fact of ‘linguistic diversity'” (ebd: 12).
Somit erlebt jeder Mensch jeden Tag Linguistic Diversity, da jedes Individuum über ein individuelles Sprachenrepertoire verfügt, welches es auf verschiedene Situationen im Alltag anwendet. In der menschlichen Geschichte habe Linguistic Diversity somit die menschliche Koexistenz sowie die Interaktionen der Individuen grundlegend bestimmt (Peukert/ Gogolin 2017: 1). Aufgrund der steigenden Zahl von Migranten haben „numbers and types of languages which co-exist in one space within given societies” (ebd.) zugenommen und somit seien mehrsprachige Erfahrungen auch in Gebieten, die sich als monolingual identifizieren, zur Realität geworden.
Linguistic Diversity wird auf gegensätzliche Weise wahrgenommen:
„On the one hand, the fact of linguistic diversity in many societies in the world is well-recognized, frequently enumerated, and even celebrated. However, on the other hand, linguistic diversity is associated with a range of social ills and is seen as something that needs to be contained, possibly even something to be fearful of.” (Piller 2016.: 2).
Dieses Zitat zeigt die Differenz in der Wahrnehmung von Mehrsprachigkeit. Während in manchen Gesellschaften die Vielfältigkeit geradezu zelebriert und mit Stolz betrachtet wird, wie Piller an dem Beispiel von Sydney und Melbourne zeigt (vgl. ebd.: 1), wird eben in diesen Städten der mehrsprachige Hintergrund der SchülerInnen als Nachteil in der schulischen Laufbahn angesehen (ebd.: 2). Dabei kritisiert die Autorin, dass in den Berichten über die schlechten Einstiegschancen mehrsprachiger Australier in das Berufsleben offengelassen werde, ob die „culturally and linguistically diverse“ (ebd.) SchülerInnen nicht über das nötige Sprachlevel verfügten oder weil sie aufgrund ihres Herkunftslandes diskriminiert würden.
Linguistic Diversity geht also mit dem individuellen Sprachrepertoire der Menschen, welches individuell und vielfältig genutzt wird, einher. In vielen Texten über Mehrsprachigkeit und Linguistic Diversity im Linguistic Landscaping wird auch der Begriff Superdiversity erwähnt. Mit diesem wird sich im nächsten Kapitel auseinandergesetzt.
2.4 Superdiversity
Der Begriff Superdiversity sei von Steven Vertovec eingeführt worden, um demographische, soziopolitische, kulturelle und linguistische Veränderungen vor Allem in Gemeinschaften mit ethnischer Vielfalt zu erklären und damit die Veränderung in der globalen Migration darzustellen (Pütz/ Mundt 2019: 10). Immigranten brächten nicht nur eine Sprache und Kultur aus ihrer Heimat mit, sondern seien „small and scattered, multiple-origin, transnationally connected, socio-economically differentiated and legally stratified" (Vertovec 2007: 1024).
Seit der Einführung des Begriffs durch Vertovec haben sich immer mehr Forscher in der Soziolinguisitk mit Superdiversity auseinandergesetzt. Blommaert (2013: 4) beschreibt den Phänomen als „diversity within diversity" und führt die Entstehung auf zwei verschiedene aber miteinander verbundene Einflüsse zurück, welche sowohl die Geschichte als auch die Lebensweise der Menschen verändert hätten. Der erste Einfluss auf die Migration der Menschen sei das Ende des kalten Krieges gewesen.
Die Menschen seien durch geöffnete Grenzen mobiler geworden13, die Migration bestehe nicht mehr nur aus Arbeitsmigration, welche zwischen zwei Regierungen ausgehandelt wurde (vgl. ebd.). Stattdessen habe sich die Migration gewandelt und immer mehr Asylsuchende haben die Migrationswellen bestimmt:
„The robust boundaries that contained populations were all but erased, and in combination with growing instability in many parts of the world [...], massive new migrations were set in motion” (ebd.: 5).
Der zweite Einfluss, aus welchem das Phänomen der Superdiversity entstanden sei, ist nach Blommaert das Internet. Die Menschen seien besser vernetzt als je zuvor: „communication patterns in the world changed dramatically, and with them the capacity to maintain virtual networks and communities [...]" (ebd.). Die Vernetzung vieler verschiedener Menschen innerhalb des Internets und die komplexere Migration zwischen den Ländern lässt die Grenze zwischen dem Wir und den Anderen verschwimmen.
Für Blommaert mache dies Superdiversity aus, denn: „[it] is driven by three keywords: mobility, complexity and unpredictability” (ebd.: 6). In vielen Studien zu Linguistic Landscapes wird der Begriff aufgenommen, da er eine „more elaborate and ethnolinguistic perspective into the underlying structures of socially constructed spaces” (Pütz/ Mundt 2019: 11) gebe.
Doch nicht alle Forscher sind von dem Begriff der Superdiversity überzeugt. So führt Piller (2016: 22) an, dass nicht die Komplexität der Diversität zugenommen habe, sondern die Wahrnehmung dieser. Dies begründet sie mit der Forschung von Czaika und de Haas, nach welcher zwischen 1960 und 2000 der Anteil der internationalen Migranten in der Weltbevölkerung von 3,06 % auf 2,73 % gesunken sei (ebd.: 23).
So sei nicht der Anteil der Migration an sich gestiegen, sondern die Komplexität der Migration, diese geschehe „from more places to more place“ (ebd.). Zudem konzentrierten sich die Migrationsströme auf weniger Länder, weniger Menschen bewegten sich nach Asien, Afrika oder Südamerika. Stattdessen wurden Europa, Nordamerika und Australien beliebter für die Zuwanderung. Die beliebtesten Zielländer seien Deutschland, die USA, Frankreich, Kanada, Australien und die Golfstaaten - und auf diese bezöge sich die Beobachtung von Superdiversity (ebd.). Betrachtet man Linguistic Diversity und Superdiversity, so muss auch die Existenz von Minderheitensprachen einbezogen werden, da diese zur Sprachenvielfalt in den Regionen beitragen.
2.5 Minderheitensprachen
Als Regional- oder Minderheitensprachen werden solche bezeichnet, die „herkömmlicherweise in einem bestimmten Gebiet eines Staates von Angehörigen dieses Staates gebraucht werden, die eine Gruppe bilden, deren Zahl kleiner ist als die der übrigen Bevölkerung des Staates, und die sich von der (den) Amtssprache(n) dieses Staates unterscheiden“ (Council of Europe 1992). Allerdings sei der Begriff der Minderheitengruppen nicht nur auf die geringere Größe zurückzuführen, sondern auf offensichtliche Unterschiede zwischen ihnen und anderen Gruppen bezogen auf den Status, die Macht und Rechte (vgl. May 2006: 255). Damit gehe ein Machtgefälle zwischen den Minderheiten - und Mehrheitengruppen einher: „Minority implies majority, and it would feel like [...] a group of people feels (or is supposed to feel) as if they are being a lesser value” (Gorter et al. 2012: 6).
Die Charta des Europarats wurde 1998 durch die Bundesregierung ratifiziert und ist 1999 in Kraft getreten, um die Minderheitengruppen zu schützen (vgl. Council of Europe 2006). Sie gibt eine Leitlinie vor, mithilfe welcher die nationalen Regional- und Minderheitensprachen geschützt werden sollen (vgl. Council of Europe 1992). Mit der Unterzeichnung dieses Vertrages verpflichten sich die
Länder den Bemühungen, „die traditionellen Regional- oder Minderheitensprachen in einem Vertragsstaat als Teil des reichen europäischen Kulturerbes anzuerkennen und sie für ihren Fortbestand zu schützen und zu fördern“ (Schleswig-Holsteinischer Landtag 2019: 7).
In Deutschland werden vier nationale Minderheiten anerkannt: das sorbische Volk, Sinti und Roma, die friesische Volksgruppe sowie die dänische Minderheit (Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat 2020: 4). Damit einhergehend werden auch die Minderheitensprachen Nordfriesisch, Saterfriesisch, Dänisch, Obersorbisch, Niedersorbisch sowie die Sprache Romanes der Sinti und Roma auf Grundlage des „Rahmenübereinkommen[s] zum Schutz nationaler Minderheiten und [...] [der] Europäische[n] Charta der Regional- der Minderheitensprachen“ (ebd.: 5) geschützt.
Nach dem Handlungsplan Sprachenpolitik werden die Minderheitensprachen aufgrund ihrer Verbreitung in Schleswig-Holstein besonders gefördert:
„Schutz und Förderung der Chartasprachen haben in Schleswig-Holstein seit Jahren einen hohen Stellenwert. Schleswig-Holstein ist ein Mehrsprachenland. Die Regionalsprache Niederdeutsch sowie die Minderheitensprachen Nordfriesisch, Dänisch und Romanes sind Teil unserer Identität" (Staatskanzlei des Landes Schleswig-Holstein 2016: 3).
Aus diesem Zitat geht außerdem die Stellung des Niederdeutschen als anerkannte Regionalsprache in Schleswig-Holstein hervor. Minderheitensprachen können auf verschiedene Weise betrachtet und wahrgenommen werden (vgl. Gorter et al. 2012: 5 f.). Eine Unterscheidung kann zwischen „autochthonous (or ‘traditional') and migrant (or ‘new‘) minority languages" (ebd.) getroffen werden.
Weiterhin sei die Unterscheidung zwischen einzigartigen Minderheitensprachen (wie das Friesische, welches nur als Minderheitensprache existiert) und „local- only" Minderheitensprachen, die in anderen Ländern die Landessprache ausmachen (Zum Beispiel die Sprache Deutsch in Italien), möglich (ebd.: 6). Auf die Verbreitung der verschiedenen (Minderheiten)sprachen in Schleswig-Holstein bzw. Flensburg wird in Kapitel 4 Sprachlandschaft Flensburg genauer eingegangen. Doch zunächst folgt im anschließenden Kapitel ein Überblick über die bisherige Forschung in den Linguistic Landscapes.
3 Theoretischer Rahmen
In diesem Kapitel werden bereits durchgeführte Forschungen, in welchen die Methode des Linguistic Landscaping angewendet wurde, als Grundlage für das Forschungsvorhaben im Rahmen dieser Masterthesis vorgestellt. Zunächst erfolgt ein Überblick über die Entwicklung der Forschung in den Linguistic Landscapes, anschließend wird die Forschung zu Minderheitensprachen in Linguistic Landscapes genauer thematisiert. Zuletzt erfolgt in diesem die Darstellung des bereits durchgeführten Linguistic Landscaping in Flensburg aus dem Jahr 2014.
3.1 Die Entwicklung der Forschung in Linguistic Landcapes
Wie schon im Abschnitt zu Linguistic Landscapes aufgegriffen, wurde dieser Begriff erstmals von Landry & Bourhis 1997 als „eigenständiges Forschungsthema erhoben" (Lisek 2021: 420) und ist somit ein relativ junges Forschungsgebiet. Die Definition der Linguistic Landscapes von Landry & Bourhis „contains the seeds of the development of the field of linguistic landscape" (Gorter 2013: 193). Danach wurde das Linguistic Landscaping in immer mehr Forschungen innerhalb der Soziolinguistik aufgenommen, dabei ist die Umsetzung nicht einheitlich ist und entwickelt sich immer weiter. Im Folgenden wird die Entwicklung des Forschungsgebietes dargestellt.
Traditionell habe der Fokus der Studien mit der Methode des Linguistic Landscaping auf der Anzahl von verschiedenen Sprachen und Zeichen in öffentlichen Räumen als auch der sozialen Bedeutung und dem Index, der mit ihnen assoziiert wird, wie etwa Macht, Sprachenpolitik und soziale Gerechtigkeit, gelegen(Pütz/ Mundt 2019: 2). In den frühen Jahren des Linguistic Landscaping habe sich die Forschung auf das Auszählen von Sprachen auf Schildern im öffentlichen Raum fokussiert, wozu eher quantitative Methoden genutzt worden seien (ebd.: 4).
Pütz und Mundt (ebd.: 3) verdeutlichen: „the counting of languages on signage turned out to be one of the methodological highlights in the early phase of LL [Linguistic Landscape] research". Dies sei auch nicht überraschend, da die Vielzahl der Formen von Sprachen eine der Hauptcharakteristiken von Linguistic Landscapes in ethnisch diversen Gemeinschaften darstelle (ebd.). Der alleinige Einsatz dieser Methode werde heute kritisch betrachtet, so beschreibt er die frühe Forschung als „a synchronic, static and quantitative approach to hypostatized ,languages‘ in a given physical arena" (Blommaert 2016: 1).
Der quantitative Ansatz des Linguistic Landscaping stellte sich durch das Auszählen und Erstellen von Rankings der Sprachen in öffentlichen Räumen dar - manchmal wurden Städte und „urban agglomerations of diverse geographical areas" mithilfe von statistischen und demographischen Analysen verglichen (Pütz/ Mundt 2019: 5). Als neues Forschungsfeld wurde das Linguistic Landscaping im urbanen Setting unter anderem von Shohamy, Ben-Rafael und Barni (vgl. Shohamy et al. 2010) dargestellt. Dabei unterscheiden sie zwischen vier verschiedenen Pe rspektiven, welche für die Betrachtung von Items in der Linguistic Landscape herangezogen werden können.
Zum einen könne man Sprachlandschaften unter dem Gesichtspunkt der Machtgefüge zwischen dominanten und untergeordneten Gruppen betrachten, „and especially with respect to top-down [Linguisitc Landscape] items that are much more controlled by the authorities and their policies than bottom-up items“ (Shohamy et al. 2010: xix). Die zweite Perspektive sei aus der Sicht der „good reasons“: Diese besage, dass die Akteure in den Linguistic Landscapes ihre Items unter Berücksichtigung der Interessen der Öffentlichkeit gestalten - also nicht willkürlich (ebd.).
Aus der subjektiven Perspektive hingegen nimmt man an, dass die Wahrnehmung der Linguistic Landscape von verschiedenen Teilen der Bevölkerung unterschiedlich erfolgt und somit auch auf diese reagiert wird (ebd.). Die letzte Perspektive stelle die „collective identity perspective“ dar, nach welcher die Nutzer der Items sich verschiedenen kollektiven Identitäten zugehörig fühlten und mithilfe der Items andere Zugehörige dieser Identitäten ansprechen wollten (ebd.).
Eine der vergleichenden Forschungen zu Linguistic Landscaping in den Städten ist die von Monica Barni und Carla Bagna (vgl. 2010). Die Wahl von Städten als Ort des Linguistic Landscaping begründen Barni und Bagna so: „To an ever-increasing extent, cities are places where different cultures, languages and identities interact; they are also places where this interaction can be observed” (Barni/Bagna 2010: 3). Für ihre Untersuchung ziehen die Autorinnen soziodemographische Daten einzelner Städte heran und verknüpfen diese mit den Erhebungen aus der Forschung in den Linguistic Landscapes, um die Beziehung zwischen den Linguistic Landscapes und dem Auftreten von Sprachen zu analysieren (vgl. ebd.).
Innerhalb der Forschung werden vor allem die Sprachen Chinesisch in Rom, Rumänisch im Umkreis von Rom und Florenz sowie Russisch und Ukrainisch in Ferrara und Arezzo untersucht (ebd.: 6). Dabei haben sie, wie von ihnen erwartet, keine direkten Zusammenhänge zwischen dem Vorkommen der Sprachen in einem Bereich und ihrer Sichtbarkeit und Vitality, also der Intensität, in welcher die Sprachen in der Linguistic Landscape vertreten sind, feststellen können (Barni/Bagna 2010: 15). Dieses Beispiel zeigt, wie das Linguistic Landscaping als eher quantitative Methode für die Forschung genutzt wurde.
Wie schon erwähnt, hat sich die Sicht auf Linguistic Landscapes und somit auch die Forschung in diesem Gebiet weiterentwickelt. Das Linguistic Landscaping sei umfangreicher geworden, sowohl in den Untersuchungsfoki (verschiedene Orte, verschiedene Arten von Zeichen, verschiedene Formen von Mehrsprachigkeit) als auch in den methodischen Herangehensweisen (Blommaert 2016.: 3). Heute werden sprachliche Zeichen vor dem historischen und sozial-kulturellen Hintergrund betrachtet und den Nutzern bzw. Autoren dieser sprachlichen Zeichen in der Analyse eine aktivere Rolle zugesprochen (Pütz/ Mundt 2019: 4).
Im Kapitel zur Mehrsprachigkeit wurde bereits thematisiert, dass es in der Forschung strittig sei, ob Sprachen so deutlich voneinander getrennt und ausgezählt werden könnten. Unter diesem Aspekt hat sich auch das Linguistic Landscaping weiterentwickelt:
"However, in order to challenge the idea of languages as discrete, countable entities, the concept of translanguaging has now been suggested as a (new) approach to multilingualism" (ebd.: 3)
Gorter und Cenoz (2015: 56) beschreiben Translanguaging als Ansatz, die Sprachen nicht als in sich abgeschlossene und voneinander trennbare und zählbare Einheiten zu betrachten, sondern „flexible and dynamic multilingual practices, also in physical landscapes" zu dokumentieren. Dabei gehe man bei der Methode des Translanguaging davon aus, dass mehrsprachige Personen nur über ein einzelnes komplexes mehrsprachiges Repertoire verfügten, aus welchem sie Elemente nutzten, welche zu dem sozialen und kulturellen Rahmen des Sprachhandels passten (ebd.).
Für die Forschung in Linguistic Landscapes aus Sicht des Translanguaging nutzten die Autoren drei Dimensionen, welche die Mehrsprachigkeit beschreiben würden (Gorter/ Cenoz 2015: 63). Diese stellen sie am Beispiel eines Buchhandels in Donostia-San Sebastian vor:
1. Multilingual Units: Heute sei die Mehrsprachigkeit in den Linguistic Landscapes keine Ausnahme mehr, sondern stelle viel eher die Norm dar. Daher werde Mehrsprachigkeit nun eher als Ausgangspunkt für die Forschung betrachtet. Durch die heterogene Zusammensetzung der Gesellschaft sei der Ansatz des Translanguaging nötig. (ebd.: 64) Am Beispiel von einzelnen Läden könne man die Dynamik der Linguistic Landscapes, in der Mehrsprachigkeit die Norm geworden sei, untersuchen. (vgl. ebd.).
2. Multilingual and multimodal repertoires: Nicht nur die einzelnen mehrsprachigen Items seien beim Linguistic Landscaping zu betrachten, sondern das „multilingual and multimodal repertoire“ welches sich aus „the interaction of the different features that are used simultaneously or sequentially” zusammensetze und welches z.B. die Identität einzelner Shops ausmache (ebd.). Gorter und Cenoz verdeutlichen, dass Passanten eher das ganze Repertoire eines Ladens wahrnähmen als spezifische Texte (ebd.).
3. Social contexts: Aus Sicht des Linguistic Landscaping sei Translanguaging ein Mittel, um die Aufmerksamkeit von Passanten zu erreichen und sie so über Produkte oder Dienstleistungen zu informieren, die in einem Laden oder in einer anderen Einrichtung zu erwerben seien (ebd.). Dabei passten die Besitzer dieser Einrichtungen diese als Gesamtbild an die Umgebung unter Berücksichtigung der sprachlichen Praxis der Passanten an: „The multilingual and multimodal repertoire has been designed to the communicative potential of the shop" (ebd.).
Abschließend resümieren Gorter und Cenoz, dass es durch das Translanguaging möglich sei, sich von der deskriptiven Ebene der Forschung in den Linguistic Landscapes zu lösen (Gorter/ Cenoz 2015: 71). Stattdessen könne man Translanguaging im Linguistic Landscaping nutzen, um die Mehrsprachigkeit verständlicher zu machen und ihre relevanten Strukturen sowie die Wirkweise herauszuarbeiten (ebd.).
Durch die hier zitierten Arbeiten wird deutlich, dass sich die Forschung in den Linguistic Landscapes vom bloßen Auszählen der Sprachen löst und eine umfassendere Untersuchung der Sprachlandschaften angestrebt wird. Diese Beobachtung wird auch durch die Ausweitung der Untersuchungsobjekte bekräftigt. So sei Linguistic Landscaping nicht mehr nur auf den öffentlichen Raum beschränkt, sondern würde auch in semi- oder nicht öffentlichen Räumen wie Schulen oder dem Internet durchgeführt werden (Gorter 2019: 42).
Technische Neuerungen, wie Flat-Screens in Schaufenstern, QR-Codes auf Plakaten sowie Internetadressen, würden die Linguistic Landscapes und damit einhergehend die Forschung in ihnen immer wieder verändern (vgl. ebd.: 51 ff.). Außerdem werden nun auch Graffitis in den Linguistic Landscapes untersucht (Pennycook 2019: 76). Der Aspekt mobility fände zunehmend Berücksichtigung im Linguistic Landscaping , so würden nicht nur Graffitis auf sich bewegenden Gegenständen, wie S-Bahnen untersucht werden, sondern auch Körper, welche Tattoos aus sprachlichen Zeichen bestehend mit sich tragen (ebd.).14 Aber auch Texte auf T-Shirts, sich bewegenden Autos oder Gegenständen, welche von den Menschen in den Landscapes herumgetragen werden, finden in immer mehr Studien Beachtung (Gorter et al.: 4) Somit erweitert sich das Sichtfeld der Forschung innerhalb der Linguistic Landscapes immer weiter.
Nachfolgend wird der Forschungszweig der Untersuchung der Minderheitensprachen in Linguistic Landscapes anhand zweier Beispiele genauer betrachtet, da Flensburg als Grenzgebiet zu Dänemark zumindest das Dänische als Minderheitensprache aufweist.15 Auch wenn die Untersuchung der Minderheitensprachen nicht den alleinigen Fokus innerhalb dieser Masterthesis darstellt, ist es von Interesse, die Forschungsmöglichkeiten zu betrachten, um Ansätze für die Analyse für das Untersuchungsgebiet in Flensburg zu adaptieren.
3.2 Erforschung der Minderheitensprachen in Linguistic Landscapes
Nach Gorter et al. (2012: 7) könnte mithilfe des Linguistic Landscaping „[the] visibility of minority languages as an indicator of spread, vitality, maintenance, identity or status of a language” untersucht werden. Die Sichtbarkeit von Minderheitensprachen könne einerseits zeigen, dass sie in bestimmten Bereichen genutzt werden oder wenigstens co-existieren, andererseits könne ihre Präsenz auch einfach eine Art Alibi der Mehrheit darstellen, um durch das Auftreten der Minderheitensprachen in ausgewählten Orten zu zeigen, dass es nicht so schlecht um diese Sprachen stehen könne und eine weitere Prüfung der Stellung der Sprachen nicht nötig sei (ebd.). Daher ist es zielführend, gezielt Linguistic Landscaping durchzuführen, um den Gebrauch aber auch den Status der Sprache aufzuzeigen:
„The linguistic landscape can provide information about the sociolinguistic context and the use of the different languages in signs can be compared to the official policy of the region“ (Gorter/ Cenoz 2006: 68).
Mögliche Fragen zu Minderheitensprachen, die mit der Forschung in Linguistic Landscapes beantwortet werden könnten, seien z.B. „Does visibility of a language really help to sustain a language? Does it increase their values or does it help to gain functions and prestige?" (Gorter et al. 2012: 7.). Nachfolgend werden zwei Beispiele für die Umsetzung des Linguistic Landscapings mit dem Forschungsinteresse der Minderheitensprachen vorgestellt.
2016 führt Mezgec eine Linguistic Landscaping-Studie durch, um die Sichtbarkeit der Minderheitensprache Slowenisch in Gebieten, in welchen sie anerkannt und gefördert werde, zu untersuchen und die Stellung dieser Sprache mit dem Italienischen zu vergleichen (vgl. Mezgec 2016: 67, 70). Dabei habe der Datenkorpus alle auf den Straßen des Untersuchungsgebietes sichtbaren Texte beinhaltet, neben offiziellen Schildern und Straßennamen auch Graffitis und Plakate über Veranstaltungen (ebd.). Für die Untersuchung konzipierte Mezgec (ebd.: 71) folgende Forschungsfragen:
"1. Which are the languages displayed in the linguistic landscape of the sample area and their relative weight?
2. What are the characteristics of bilingual and multilingual signs?
3. What does the linguistic landscape analysis show about the status of Slovene in the sample area?"
Um die Fragen zu beantworten, wertete Mezgec die Häufigkeiten der auf Items vertretenen Sprachen aus (ebd.: 73). Dabei zeigt sich, dass auf einsprachigen Schildern zu einem Großteil italienisch vertreten sei (91,4 %), danach Englisch (5,8 %) und Slowenisch nur zu einem geringen Anteil (1,4 %) (ebd.). Auf mehrsprachigen Items sei die Sprache häufiger vertreten. Hier führt zwar wieder Italienisch mit 99 % (also ist diese Sprache auf fast allen mehrsprachigen Items vertreten), doch Slowenisch sei auf mehr als der Hälfte der mehrsprachigen Schilder aufzufinden (53,2 %) (ebd.). Jedoch seien nur 15,1 % der Schilder mehrsprachig (ebd.).
Aus den gesammelten Daten ergab sich das Bild, dass Slowenisch im Sinne der Schriftsprache keinen hohen Status in der Region einnehme, in welcher die Minderheitensprache historisch verankert sei (ebd.: 81). Dies erschließe sich vor allem im Hinblick auf die geringe Präsenz der Sprache auf privaten Schildern und Zeichen, die zeigten, dass private Teilnehmer der Linguistic Landscapes „are neither obliged nor willing to use it“ (Mezgec 2016: 81).
Marten (2012) untersuchte die Stellung der lettgallischen Sprache in Lettland. Da Lettgallisch nicht als seperate Ethnizität gelistet sei (was die Stellung des Lettgallischen bei den zuständigen Behörden widerspiegele), bilde sich eine Unsicherheit innerhalb der Öffentlichkeit ab (ebd.: 23). Dabei sei die lettgallische Sprache aus ethnologischer Sicht eine „regional language with a disputed status in society“, dass lettische Sprachengesetz charakterisiere die Sprache jedoch nur als historische Varietät des geschriebenen Lettischen (ebd.).
Um die tatsächliche Position des Lettgallischen in Ostlettland16 zu untersuchen, führte Marten die Methode des Linguistic Landscaping L in Rositten durch (vgl. Marten 2012: 27). Dabei zeigte sich, dass Lettgallisch nur bei 0,8 % der Items genutzt wurde (ebd.). Dort nehme es klare Funktionen ein. Drei der sieben Items auf Lettgallisch seien Graffitis, welche unter anderem die Spaltung zwischen Lettgallen und den Letten außerhalb der Region darstellten (ebd.). Manche Geschäfte trügen lettgallische Namen, jedoch seien alle anderen Informationen auf Lettisch geschrieben (ebd.). Eine Ausnahme bilde eine Radiostation, welche neben einem lettgallischen Namen auch Informationen auf Lettgallisch böte (ebd.: 28). Marten stellt besonders die Inschrift eines Gedenksteins heraus, welcher zweisprachig auf Lettisch und Lettgallisch gestaltet worden sei (ebd.: 29). Dabei sei der lettgallische Part eine biblische Segnung „in order to add an emotional component to the purely informational part“ (ebd.).
Die Situationen, in welchen das Lettgallische in der Linguistic Landscape Rosittens genutzt werde, zeigen die traditionelle Rolle der lettgallischen Sprache als eine Sprache „of emotions, of personal issues and informal communication, and to a limited degree as a variety of traditions and of history, or as a symbol denoting a local or regional affiliation” (Marten 2012: 29).
Zusätzlich zu der Sammlung von Bildern als Analysekorpus für das Linguistic Landscaping hat Marten spontane Interviews durchgeführt, um ein tieferes Verständnis für die in der Schriftsprache kaum vertretene Sprache zu erlangen, welche jedoch von einigen Menschen in dem Gebiet gesprochen werde (ebd.: 31). Diese Interviews hätten gezeigt, dass es eine Diskrepanz zwischen der Kompetenz, Lettgallisch zu sprechen, und der Unsicherheit, wann und wie die Sprache genutzt werden könne, gebe (ebd.). Innerhalb der Interviews hätten die Befragten entweder geäußert, dass Lettgallisch entweder keine geschriebene Sprache sei oder sie sagten, dass sie glaubten, dass die Sprache nicht auf öffentlichen Schildern erlaubt sei (ebd.). Ein weiterer Aspekt, der die geringe Präsenz der geschriebenen lettgallischen Sprache bestärke, sei die Unkenntnis einiger Sprecher über die korrekte Schreibung (ebd.). Dennoch zeige sich anhand der Antworten von den befragten Personen und spontanen Reaktionen auf die Forschung ein großes Interesse an der Thematisierung der lettgallischen Sprache innerhalb der Bevölkerung, welches durch die Untätigkeit der Regierung getrübt werde (vgl. Marten 2012).
Die beiden Forschungen zeigen, dass Minderheitensprachen aufgrund verschiedener Effekte in den Linguistic Landscapes eine nachrangige Stellung einnehmen können. Während Mezgec dieses Phänomen eher der geringen Motivation der Bevölkerung in der untersuchten Linguistic Landscape zuschreibt, führt Marten die geringe Präsenz auf eine Verunsicherung durch die Regierung und geringe literacy zurück. Ob die Minderheitensprachen in Flensburg (vor allem im Hinblick auf die in den Medien und durch die Geschichte präsenteste Sprache
Dänisch bezogen) auch unterrepräsentiert sind, zeigt das Linguistic Landscaping aus dem Jahr 2014, welches im nächsten Unterkapitel vorgestellt wird.
3.3 Linguistic Landscaping in Flensburg im Jahr 2014
Schon inder Einleitung dieser Arbeit wurde die bereits in Flensburg durchgeführte Forschung mit der Methode des Linguistic Landscaping aus dem Jahr 2014, die von Inga Christiana Eckhardt durchgeführt wurde, erwähnt. Als Untersuchungsfelder dienten dort die Stadtteile Altstadt, Neustadt und Nordstadt (Abbildung 1), welche aneinander anschließen und das Gebiet vom Zentrum bis fast an die dänische Grenze umfassen (Eckhardt 2016: 136).
Abb. 1: „Die zurückgelegte Strecke beim [Linguistic Landscaping] am 29.06.2014“ (Eckhardt 2016:137)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese Stadtteile seien ausgewählt worden, weil „das Erkenntnisinteresse auf der sprachlichen Vitalität von Einwanderersprachen“ (ebd.) gelegen habe und mit dem
„statistisch überdurchschnittlich hohen Anteil an Menschen mit
Migrationshintergrund [...] mit der Vorannahme in die Untersuchung gegangen wurde, dass hier auch die sprachliche Diversität überdurchschnittlich hoch ist“ (ebd.)
Auch die klare Abgrenzung der Untersuchungsgebiete durch größere Straßen oder Gebäude (wie das Nordertor) und durch verschiedene Charakteristika sowie Nutzung hätten in die Auswahl der Gebiete hineingespielt (ebd.). Zentrale Parameter für die Untersuchung der Linguistic Landscape in Eckhardts Forschung seien die Mehrsprachigkeit auf den Items, die Autoren der Items (für die Kategorisierung werden die Wirkrichtungen in top-down und bottom-up eingeteilt) und die Adressaten der Items („Wer ist die gewünschte potenzielle Leserschaft?“ [ebd.: 140]) gewesen (vgl. Eckhardt 2016: 138 ff.).17 Bei der Dokumentation der Items wurden nur solche dokumentiert, die sich in unmittelbarer Nähe zu den zentralen Straßen befanden und „vom öffentlichen Raum aus, zu sehen waren. Beschriftungen auf mobilen Gegenständen wie Autos, LKW oder Zeitungen wurden ausgeklammert“ (ebd.: 138).
Nachfolgend werden die Ergebnisse aus Eckardts Linguistic Landscaping zusammenfassend dargestellt. Die Zählungen aus der Sprachlandschaft Flensburgs ergaben „139 verschiedene Items mit insgesamt achtzehn Sprachen“ (ebd.: 142). Außerdem konnten Idiosynkrasien, ein Dialekt und Internationalismen, die unterschiedlichen sprachlichen Ursprüngen entstammen, gefunden werden (ebd.).
Aus dem Datenkorpus ging hervor, dass nach Deutsch die Sprachen Englisch und Dänisch die am stärksten vertretenen Sprachen waren.18 Türkisch und Arabisch sind in der Tabelle auf Platz vier und fünf.19 Dabei seien Dänisch und Englisch im gesamten Untersuchungsgebiet angetroffen worden. (ebd.)
Eckardt stellt fest, dass die Sprache Dänisch für Geschäftsinhaber eine „verkaufsstrategisch wichtige Sprache zu sein [scheint]“, da neben Hinweisschildern „wie ,vi taler dansk' (wir sprechen Dänisch) in den Schaufenstern [...] auch umgerechnete Preisangaben in dänischen Kronen“ (ebd.: 143) anzutreffen seien. Die Sprachen Arabisch und Türkisch seien fast ausschließlich in der Neu- und Nordstadt erhoben worden (ebd.).
Für Eckardt seien besonders die einsprachigen Items von Interesse gewesen, um die intendierte Adressatenschaft untersuchen zu können. 50 einsprachige, aber nicht-deutsche Items konnten gezählt werden, davon waren 17 auf Dänisch. Im Falle dieser Items schlussfolgert die Autorin, dass „nur zweisprachig DänischDeutsche oder Dänisch-Sprecher durch die Informationen erreicht werden“ (Eckhardt 2016: 144). Viele Beispiele für die einsprachigen Items ließen sich in den Eigennamen finden, die über Geschäften angebracht werden (ebd.).
Die meisten der mehrsprachigen Items (mehrsprachige Items insgesamt n=101) gehören zu der Kategorie der Kombination von Deutsch und Dänisch (n=21) oder Deutsch und Englisch (n=14) (vgl. ebd.: 16). Eckardt sieht in der Kombination von Deutsch, Türkisch und Arabisch (n=4) „Aufschluss über mehrsprachige Kenntnisse bestimmter Einwanderergruppen“ (ebd.: 145). Diese Kombinationen wurden in der Neu- und Nordstadt vorgefunden, in welcher Eckardt nicht nur die höchste Rate an Migranten unter den Einkaufenden vermutet, sondern aufgrund der Geschäftsnamen auch einen beträchtlichen Anteil an Einwanderern in der Verkäuferschaft (ebd.).
Aufgrund des Gebrauchs der englischen Sprache und der Internationalismen im kommerziellen Bereich zeige sich die Dynamik, dass „Englisch eine sehr einflussreiche und beliebte Sprache [sei], auch obwohl keine nennenswerten englischsprachigen Einwohnerzahlen existieren“ (ebd.: 146). Durch den Einsatz mehrerer Sprachen an Geschäften werde versucht, eine größere Zielgruppe zu erreichen (ebd.).
Nicht nur die Verteilung der Sprachen, auch die Autorenschaft der Items wurde von Eckardt (ebd.: 147) untersucht. Neben der Einteilung in top-down und bottom-up Wirkrichtungen hat Eckardt für den sprachlichen Gebrauch von dänischen Institutionen ausgehend eine weitere Kategorie geschaffen, da diese Items nicht „mit den bottom-up-Items der Händler und Dienstleister [gleichgesetzt werden können]“, aber auch nicht „von Seiten der Stadt bestimmt worden [seien]“(ebd.).
[...]
1 Diese Forschung wird in Kapitel 3 genauer beschrieben, daher bleibt eine ausführliche Auseinandersetzung in diesem Teil der Masterthesis aus.
2 z.B.: Isa Café & Eis 2018 (Rüb 2018),Soete Deern 2019,Plan B Kaffeebar 2019 (Rüb 2019),Lykke Café & Bar 2020 (Krüger 2020)
3 Hier führt Romaine als Beispiele die Sprachen Panjabi und Walisisch an, die nicht von Kindern von englischsprachigen Eltern gelernt werden müssen, doch von ihren Sprechern wird erwartet, Englisch zu lernen. Englischsprachige Eltern in Kanada schicken ihre Kinder auf französischsprachige Schulen, da das Sprechen einer weiteren Sprache als Vorteil gesehen wird.
4 Englisch und Französisch als Amtssprachen. Spanisch, Russisch, Arabisch und Chinesisch als Arbeitssprache. Deutsch als Dokumentensprache
5 Zweisprachigkeit kann durch die Art der Anwendung mit Mehrsprachigkeit verglichen werden, laut De Bot und Jaensch (2015) unterscheide sich die Sprachverarbeitung bei Mehrsprachigen im Vergleich zu Zweisprachigen nicht fundamental, daher wurden Lüdis Aussagen über die Zweisprachigkeit auf die Mehrsprachigkeit übertragen. Es wird immer der Begriff Mehrsprachigkeit genutzt, wenn Individuen mindestens zwei Sprachen beherrschen.
6 Hier führt Lüdi die „Sprech-, Hör-, Lese-, Schreib-, Interaktionskompetenz“ an
7 Anwendungsgebiete sind die Familie, Arbeit, Freizeit etc.
8 Riehl führt hier als Kultursprachen mit gleichem internationalen Prestige Italienisch und Deutsch bzw. Französisch und Deutsch auf. Als Beispiel für die Kultursprache und lokale Sprache dienen Italienisch und Ladinisch. Die Kultursprache und den dachlosen Dialekt stellen Französisch und Elsässerdeutsch dar.
9 Regional bedingte Varietäten der Sprache
10 Sprachvarianten von sozial bestimmten Gruppen
11 Code-Switching bezeichnet den Wechsel von Sprachen innerhalb eines Dialogs.
12 Piller führt als Beispiel die Sprache Afrikaans an, welche zu 95 % mit Niederländisch Deckungsgleich sei (Piller 2016: 10)
13 Als Beispiele führt Blommaert zum einen die Präsenz vieler Autos mit osteuropäischen Kennzeichen auf westeuropäischen Autobahnen an, zum anderen die Vielzahl chinesischer Studenten in der westlichen Welt (ebd. f.).
14 Als Beispiel führt Pennycook Forschungen von Hiramoto (2015) an, in welcher japanische Tattoos auf Hawaii und ihre Bedeutung aufgrund der Bewegung durch den sozialen Raum der Tätowierten untersucht wurden.
15 Mehr zu der Sprachlandschaft Flensburgs in Kapitel 4.
16 Im Osten Lettlands sind die Lettgallen angesiedelt (vgl. Marten 2012: 20)
17 Diese Parameter werden in Kapitel 6 genauer erklärt.
18 Bei einer Gesamtzahl von n=256 vertretenen Sprachen, kommt Deutsch 72-mal vor, Englisch 52-mal und Dänisch 49-mal (ebd.)
19 Bei einer Gesamtzahl von n=256 vertretenen Sprachen, kommt Türkisch 18-mal vor, Arabisch 12-mal
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