„Das Südburgenland rückt mehr und mehr ins Zentrum. Wir sind in der Mitte zwischen dem Wirtschaftsraum Graz und jenem in Westungarn. Unternehmer wissen ihre Chancen zu nützen, sie erkennen Marktpotentiale“, stellt einer der Experten in dieser Arbeit, fest. Aktuelle Entwicklungen bieten neue Perspektiven für einen ländlichen Unternehmensstandort. Die empirische Untersuchung der Standortfaktoren unter Berücksichtigung neuer Sichtweisen und Ansprüche, haben die Anforderungen an einen unternehmerischen Standort geändert, lassen Natur- und Erholungszonen zu Standortvorteilen werden. Brain-Drain, Home-Office und Remote Work, sanfter Tourismus, Tacit Knowledge, Digitalisierungsoffensiven und Ausbau des öffentlichen Verkehrs sind Codes, die mit Hilfe von Experteninterviews zu Chancen in einer SWOT Analyse ausgewertet werden. Die aktuelle Standortanalyse der Abwanderungsregion Südburgenland bietet neue empirische Erkenntnisse und Potentiale.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Unternehmerische Standortwahl -Theorie
2.1 Standorttheorie
2.2 Standortziele
2.3 Standortfaktoren
2.4 Standortanalyse
2.5. Methoden der Standortanalyse
3. Ausgangssituation
3.1 NUTS 3 Region -Definition
3.2 Das Phänomen Landflucht
3.3 Wirtschaft und Geschichte
3.4 Wirtschaftliche Lage
3.4.1. Stand Wirtschaft -Vergleich
3.4.2. Digitalisierung
3.5 Zukunftsempfehlungen 2004 -Analyse
3.6 Industriestandort 2021 -Analyse
4. Tendenzen
4.1 Stadtflucht -Motive
4.2 Bevölkerungsentwicklung
4.3 Work -Life -Balance
5. Methodik
5.1 Begründung der Forschungsfrage
5.2 Vorgehensweise Experteninterviews
5.3 Literaturrecherche
6. Auswertung der Interviews
6.1 Zusammenführung / Kategorien
6.2 SWOT Matrix
7. Diskussion
7.1 Ergebnisdiskussion
7.2 Methodendiskussion
8. Fazit/Implikationen
9. Literaturverzeichnis
10. Anhang
Abstract
„Das Südburgenland rückt mehr und mehr ins Zentrum. Wir sind in der Mitte zwischen dem Wirtschaftsraum Graz und jenem in Westungarn. Unternehmer wissen ihre Chancen zu nützen, sie erkennen Marktpotentiale“, stellt Mag. Thomas Novosel, einer der Experten in dieser Arbeit, fest. Aktuelle Entwicklungen bieten neue Perspektiven für einen ländlichen Unternehmensstandort. Die empirische Untersuchung der Standortfaktoren unter Berücksichtigung neuer Sichtweisen und Ansprüche, haben die Anforderungen an einen unternehmerischen Standort geändert, lassen Natur- und Erholungszonen zu Standortvorteilen werden. Brain-Drain, Home-Office und Remote Work, sanfter Tourismus, Tacit Knowledge, Digitalisierungsoffensiven und Ausbau des öffentlichen Verkehrs sind Codes, die mit Hilfe von Experteninterviews zu Chancen in einer SWOT Analyse ausgewertet werden. Die aktuelle Standortanalyse der Abwanderungsregion Südburgenland bietet neue empirische Erkenntnisse und Potentiale.
Danksagung
Allen, die mich begleitet und unterstützt haben!
Gender-Hinweis
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit hat die Autorin in dieser Studienarbeit die Sprachform des generischen Maskulinums angewendet. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig gewertet und verstanden werden soll.
Abkürzungsverzeichnis
a.D. außer Dienst
Abg. z. NR. Abgeordneter zum Nationalrat
AMS Arbeitsmarktservice
APA7 American Psychological Association-Richtlinie, 7. Auflage
Bgld. burgenländisch
BmaA Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten (später BMEIA)
Bmst. Bürgermeister Stellvertreter
Bzw. beziehungsweise
Covid Corona virus disease / Corona-Virus Erkrankung
DI Diplom Ingenieur
Dipl. Päd. Diplom Pädagoge/Pädagogin
EDB-Berater Ernährung, Direktvermarktung, Bäuerinnen
GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Ing. Ingenieur
KG Kommanditgesellschaft
LWK Landwirtschaftskammer
Mag. Magister
Nat.rat Nationalrat
NUTS Nomendes des unités territoriales statistiques
ORF Österreichischer Rundfunk
ÖV öffentlicher Verkehr
Prof. Professor
Reg.Gen.mbH registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung
SWOT Strenghts Weaknesses Opportunities Threats
u.v.m. und vieles mehr
WIFO Wirtschaftsforschungsinstitut
WKO. Wirtschaftskammer Österreich
ZIB Zeit im Bild
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Industriestandorttheorie nach Alfred Weber
Abbildung 2: Versorgungstheorie im Sechseckmodell
Abbildung 3: NUTS3-Einheiten Österreichs, 2021
Abbildung 4: Industriestandorte
Abbildung 5: Bruttoregionalprodukt je Einwohner und Einwohnerin 2018
Abbildung 6: SWOT-Analyse
Abbildung 7: Stadtflucht
Abbildung 8: Gründe für den Wegzug aus Wien
Abbildung 9: SWOT-Analyse
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Unselbständig Beschäftigte nach Wohnort und politischen Bezirken, Stand: jeweils Ende Jänner
Tabelle 2: Wachstum der unselbständig Beschäftigten im Vergleich
Tabelle 3: Kammermitgliedschaften nach Bezirken (Anzahl der gewerblichen Unternehmen im Südburgenland)
Tabelle 4: Unternehmensgründungen und Anzahl der Einwohner
Tabelle 5: Gründungsintensität (je 1.000 Einwohner) im Südburgenland 2019/20
Tabelle 6: Zuwanderung Burgenland 2018 - 2021
Tabelle 7: Wohnbevölkerung nach politischen Bezirken
1. Einleitung
„Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten“, Helmut Kohl, 6. Deutscher Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, in seiner Bundestagsrede vom 1.6.1995 (gutzitiert, 2021).
Basis für die Einleitung dieser Bachelorarbeit bildet ein kurzer historischer Einblick in die Geschichte des neunten Bundeslandes von Österreich. Um dem Thema der Standortanalyse gerecht zu werden, ist es wichtig, diese Hintergründe zu kennen. Die Historik des Burgenlandes ist für die Entstehung des Status quo maßgeblich.
Das Burgenland ist jüngstes Bundesland von Österreich und wurde 1921 nach dem 1. Weltkrieg in die Republik Österreich eingegliedert. An der östlichen Grenze des Bundeslandes befindet sich Ungarn, westlich verläuft die Grenze zu den Bundesländern Niederösterreich und Steiermark. Geographisch gesehen, ist das Burgenland ein schmaler Landstrich, der in der K&K-Zeit Westungarn genannt wurde. Verbunden war man mit Österreich durch Ost-West verlaufende Bahnlinien. Die Straßen führten zu den Städten, die wiederrum 1921 bei Ungarn verblieb. Durch die Abtrennung von Ungarn verloren die Bahnlinien ihre Bedeutung, Nordsüdlich geführte Straßen gab es nur wenige. Mit dem Anschluss Österreichs an Deutschland wurde der Norden des Landes zwischen 1938 und 1945 ein Teil von Niederösterreich, das nun Niederdonau hieß. Der Süden war zu dieser Zeit ein Teil der Steiermark. Der wirtschaftliche Aufbau des Burgenlandes gestaltete sich während der Besatzung durch die Russen schwierig. Die Marshallplanhilfe der USA kam im Burgenland nicht an. 1948 begann der Bau der „Nord-Süd-Verbindung“, für die Verkehrserschließung eines der wichtigsten Projekte (Landesregierung, 2021). Der Fall des Eisernen Vorhangs 1989 und der EU-Beitritt 1995 mit der Einstufung als „Ziel 1 Gebiet“ brachte mit den damit verbundenen Förderungen einen beachtlichen Aufschwung mit sich (Suxxess, 2004). Vom „Armenhaus Österreichs“ (mündlich überliefert) hat sich das Burgenland zum „Sonnenland“ weiterentwickelt.
Im Landessüden hat sich in den letzten Jahren der Aufschwung eingebremst, der Norden des Burgenlandes entwickelt sich mittlerweile zum „Speckgürtel“ Wiens.
Landflucht der jüngeren Bevölkerungsschicht, fehlende Nahversorgung und Infrastruktur, mangelnde Arbeitsplätze, fehlender Breitbandausbau und geringe Perspektiven sind bezeichnend für das südliche Burgenland. Zu diesem Gebiet gehören die Bezirke Oberwart, Güssing und Jennersdorf (Suxxess, 2004).
Die Covid-Krise hat „Bleib zu Hause“ zur Pflicht gemacht, an die Lebenssituation der Menschen wurden neue Anforderungen gestellt. Home - Office wurde zur Notwendigkeit.
Durch die Krise wurde ein Digitalisierungsschub ausgelöst. In einer 90m2 Wohnung mit Kindern wurde „Arbeiten von zu Hause aus“ oftmals zur Herausforderung und Belastung. Die Bevölkerung in der Stadt war in der Zeit der „Lockdowns“ verstärkt unter psychischem Stress. Land- und Dorfbevölkerung hatten den Vorteil, Gärten und Naherholungsräume vor der Tür vorzufinden. Durch die Lockdowns wurde kurzfristig der Druck von „weiter, höher, schneller“ aus dem Leben der Menschen genommen. Von einem Tag zum anderen wurde nun zu Hause täglich (gesund) gekocht, gebacken, spazieren gegangen und Sport betrieben. Am Land ist es möglich selbst Gemüse anzubauen. Gleichzeitig wurde vielen Menschen in den ländlichen Gebieten bewusst, wie bevorzugt sie betreffend der Wohnsituation im Vergleich zu den urbanen Gebieten sind. Durch diese Entwicklung entstand die Hypothese, dass diese Veränderungen möglicherweise auch eine Chance bieten könnten. Eine lebenswerte Region, deren Beiname bis dato nur mehr aus „Abwanderungsregion“ bestand. Begriffe wie: Landflucht, Push-Pull-Paradigma, Überalterung, fehlende Perspektiven, Abbautendenzen der regionalen Versorgung und Infrastruktur, Brain Drain, Abwärtsspirale und ähnliches dominierten. Diese Begriffe waren jahrelang negative Begleiter der Kommunikation.
Das Burgenland ist im Süden besonders vom Geburtenrückgang betroffen (ÖROK, 2019). Diese Begrifflichkeiten zeichnen ein einseitiges, tristes und negatives Bild dieser Region. Bis 2017 waren 30 Prozent der politischen Bezirke und 40 Prozent der österreichischen Gemeinden von einem Bevölkerungsrückgang betroffen. Prognosen gingen davon aus, dass der Trend „Landflucht“ bis weit über 2030 anhalten könnte (Partner, 2017). Das Abwandern und Schließen von Betrieben ist eine Folgeerscheinung, wobei Facharbeitermangel, fehlende Kundschaft und Mangel an Betriebsnachfolgern Gift für eine Wirtschaftsregion sind. Der Ausbau des Internets und der Infrastruktur bzw. die Nutzungsraten durch die Bevölkerung sind am Land schlechter als in der Stadt (BMLFUW, 2017). Die Jugend geht zur Ausbildung und zum Studium in die städtischen Regionen. Fehlende Arbeitsplätze für mögliche Rückkehrer lassen die Alten in der Region zurück. Teilweise mangelnde Verkehrsanbindungen, fehlende innovative Leitbetriebe und weite Transportwege machen den Wirtschaftsstandort für mögliche Ansiedelungen natürlich nicht interessanter. Untersuchungen von Standortanalysen beschäftigen sich mit dem (noch) ungeklärten Phänomen von steigender Abwanderung trotz Tourismusleitbetrieben und aktuell offenem Arbeitsplatzangebot (ÖROK Österreichische Raumordnungsplanung, 2021).
Betriebsansiedelungen von Leitbetrieben, die nie die erhofften Erfolge gebracht haben, aktuelle Standortanalysen unter der Berücksichtigung der Produktion von kritischen Gütern, Bewertung unterschiedlicher politikrelevanter Entscheidungen, Zahlen, Daten, Fakten, Interviews, Fachliteratur, Studien und empirische Auswertung der Experteninterviews präsentieren einen neuen Zugang zur Erstellung einer SWOT - Standortanalyse samt Auswertung.
Meine persönliche Motivation ergibt sich aus meiner Tätigkeit als Unternehmerin in der Region und als Vertreterin der Wirtschaft im Bezirk Oberwart. Ziel dieser Arbeit ist es, das Südburgenland als unternehmerischen Standort neu zu bewerten. Eine Standortanalyse der suxxess consult GmbH Pinkafeld aus dem Jahr 2004 zeichnete ein eher düsteres Bild der damaligen Bestandsaufnahme (Perspektiven der Klein- und Mittelbetriebe im Südburgenland, Projektstudie 2004, gefördert aus den Mitteln des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten). Die veränderten Ansprüche der Menschen an Arbeit, Wohnsituation und Work-Life-Balance bieten nun neue Betrachtungsmöglichkeiten. Die Standortvorteile- und Nachteile haben sich unter der Betrachtungsweise von „soft facts“ verändert.
Wie haben sich denn die Ansprüche und die Perspektiven der Menschen und deren Lebenspläne, unter besonderer Berücksichtigung der Work-Life-Balance, auf den ländlichen Wirtschaftsstandort verändert? Welche Faktoren haben die Sichtweise auf den ländlichen Wirtschaftsraum modifiziert? Welche aktuellen Entwicklungen sind Chancen für das Südburgenland als Wirtschaftsstandort?
Teil dieser Arbeit ist es, in der NUTS3 Region Südburgenland („Nomendes des unités territoriales statistiques“) Bevölkerungswachstum nachzuweisen (Österreich, 2021). Dazu wird das Zahlenmaterial der Statistik Austria herangezogen. Ebenso wird die Gründerentwicklung im gleichen Zeitraum in der Region beobachtet wobei hier hauptsächlich mit Datenmaterial der Wirtschaftskammer gearbeitet. Die kritische Auswahl an Experten ermöglicht eine repräsentative Stichprobe. Diese kommen aus den Bereichen Wirtschaft, Politik und Wirtschaftskammer jeweils aus den drei Bezirken Oberwart, Güssing und Jennersdorf. Sie werden in Form von offenen Fragestellungen zu deren Erkenntnissen, Beobachtungen und Meinungen befragt. Mit Hilfe der Auswertung der Experteninterviews, dem statistischen Zahlenmaterial und der Dokumentenanalyse der relevanten Fachliteratur wird eine SWOT- Analyse erstellt und mittels Matrix anschaulich dargestellt. Diese Bachelorarbeit ist ein Vergleich mit der Standortanalyse der suxxess consult aus 2004, der jetzigen Situation und ein möglicher Ausblick in die Zukunft.
Ziel ist es, die neue Sichtweise auf die Abwanderungsregion Südburgenland wissenschaftlich zu erarbeiten, die Forschungsfrage
„Können die Ansprüche an ein Leben in Work-Life-Balance für eine aktuelle Standortanalyse des Südburgenlandes neue Perspektiven bieten?“ zu beantworten und der Forschung neuen Raum für weitere wissenschaftliche Projekte aufzeigen. Eine klare Zieldefinition ist für die Standortanalyse selbst von großer Bedeutung. Die Bewertung eines jeden Standortes birgt Unterschiede in den Betrachtungsweisen. Die Definition „unter besonderer Berücksichtigung der Work-Life-Balance“ konzentriert sich auf die Gesamtheit Mensch und seinen Lebens- und Arbeitsplatz. Eine Standortanalyse unter Berücksichtigung von „soft facts“ und einem ganzheitlichen Ansatz wird aufgrund neuerer Entwicklungen vorgenommen. Nichtsdestotrotz ist es immer wichtiger, die Menschen und ihr Potential in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen. Die Ansiedelung großer Leitbetriebe muss nicht unbedingt eine nachhaltige Errungenschaft sein.
Es wird erwartet, dass die Untersuchungen zu folgenden Ergebnissen kommen: Möglicherweise zeichnet sich eine Trendwende ab, ab dem Vorjahr werden neue Tendenzen sichtbar. Die NUTS3 Region Südburgenland konnte ein Bevölkerungswachstum verbuchen bzw. ist derBevölkerungsrückgang wesentlich geringer geworden. Aktuelles Zahlenmaterial der Statistik Austria konnte dies im 1. Quartal 2021 nachweisen. Kleingemeinden sind 2021 erstmals wieder gewachsen (ORF, 2021).
Durch die Digitalisierung, den neuen Trends „Stadtflucht“ und Homeoffice sind die Chancen für den Wirtschaftsraum Südburgenland gestiegen. Räumliche Entfernungen zur Stadt sind für gewisse Branchen kein Wettbewerbsnachteil mehr. Die Auswirkungen der Covid-19 Pandemie haben die Entwicklung einer Lebensführung in Work-Life-Balance verstärkt und die damit verbundenen Ansprüche an den Wohn/Wirtschaftsstandort die ländlichen Regionen generell aufgewertet. Die Standort SWOT-Analyse (Stärken, Chancen, Schwächen, Risiken - Analyse) zeigt die Stärken und Schwächen des Südburgenlandes ebenso wie die Chancen und Risiken auf. Die Erkenntnisse ergeben sich aus der Auswertung der Experteninterviews. Diese werden den jeweiligen Bereichen zugeordnet und in weiterer Folge miteinander verglichen. Die Beantwortung der Forschungsfrage ist durch die Gegenüberstellung und Auswertung der einzelnen Punkte der Analyse möglich. Zukunftsaussichten, Chancen und mögliche Richtungsentscheidungen werden aus der Auswertung der Interviews und Fachliteratur herausgearbeitet. Weitere mögliche wissenschaftlich relevante Ausblicke und Forschungsansätze werden durch die Erkenntnisse dieser Arbeit aufgezeigt.
Das Südburgenland mit seiner wunderschönen Landschaft und dem angenehmen Klima steht wirtschaftlich gesehen derzeit für Thermentourismus, Radtourismus, Naherholungsraum und einige wenige größere Betriebe. Diese Arbeit samt der wissenschaftlichen Erarbeitung der Forschungsfrage soll als Auskunftswerk dienen und Zukunftsperspektiven für regionale Politik bieten, um die Sichtweise zu ändern und neue wissenschaftliche Erkenntnisse in wirtschaftlich-politische Entscheidungen einfließen zu lassen; Chancen zu nutzen kann eine Region nachhaltig verändern. Die Schwächen und Risiken werden neu definiert, deren Umwandlung in Stärken und Chancen sind ein wichtiger Arbeitsauftrag für die Zukunft.
2. Unternehmerische Standortwahl - Theorie
Die Wahl des Wohn- oder betrieblichen Standortes ist grundsätzlich eine universelle. Vor allem für Unternehmen wird diese zentrale Frage von vielen Faktoren in der Entscheidungsfindung beeinflusst. In den nächsten Punkten wird die Geschichte der Standortlehre und Standortziele eines Unternehmens beleuchtet, ebenso wird ein Einblick in die Methoden der Standortanalyse gegeben.
2.1 Standorttheorie
Die ältere Theorie der traditionellen Standortlehre reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück und dauerte bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Hier befasste man sich vor allem mit einzelwirtschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Ansätzen. Insofern war der Unterschied zu den älteren Theorien der unternehmerischen Standortwahl die neue, gesamtheitliche Vorgehensweise. Beide Ansätze weisen den Transportkosten eine entscheidende Rolle zu. Hotelling, Weber, von Thünen, Christaller und Lösch sind die wichtigsten deutschsprachigen Standorttheoretiker, die in dieser Arbeit kurz vorgestellt werden (Farhauer & Kröll, 2013).
Hotelling Harold (1895 - 1973) war ein amerikanischer Mathematiker, theoretischer Statistiker und Ökonom. Er war der Begründer der modernen Theorie der erschöpflichen Ressourcen, und galt als Innovator (Szczutkowski, 2021).
Alfred Weber (1868 - 1958) hat die erste systematische Darstellung einer
Industriestandorttheorie erstellt (siehe Abbildung 1). Mit Hilfe eines mehrstufigen Entscheidungsprozesses unter Einbindung von Transportkosten, Materialkosten und Arbeitskosten wird der optimale Standort gesucht. Unter weiterer Berücksichtigung von Agglomerationseffekte wird gegebenenfalls der Standort noch etwas in eine ideale Position verschoben, wenn anfallende Mehrkosten kompensiert werden können (Haas, 2021). Alfred Weber hat somit als Erster somit eine Erklärung für den Industriestandort (sekundärer Sektor) unter Berücksichtigung des Transportkostenminimalpunktes erstellt (Stiller, 2020).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Industriestandorttheorie nach Alfred Weber
Quelle: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/sites/default/files/graph/extended/industriestandorttheorie -37380.png
Johann Heinrich von Thünen (1783 - 1850) war Agrarwissenschaftler, Nationalökonom und Sozialreformer. Er gehört zu den Standortstrukturtheoretikern, Transportkosten waren in seiner Theorie ausschlaggebend für die Bodennutzung in der Landwirtschaft. Die Kosten und die Dauer des Transportes von Lebensmitteln bestimmen in seiner Theorie die Fruchtfolge und Sorte. Die Distanz von Produkt und Markt ergeben die Kosten, den Ertragsanteil bestimmt die „Lagerente“. Kreisförmige Gebiete um den Markt (z.B. Stadt) sind in Anbauzonen eingeteilt. Diese Kreise werden „Thünen'sche Ringe“ genannt. Als Beispiel: Im fünften Ring außen befand sich die Viehwirtschaft, da die betreffende „Ware“ weniger Warentransport benötigt (Institut, 2021). Thünen hat mit seiner landwirtschaftlichen Bewirtschaftungstheorie die erste Raumwirtschaftstheorie speziell für den primären Sektor erstellt (Stiller, 2020).
Walter Christaller (1893 - 1969) veröffentlichte 1933 seine Theorie der „Zentralen Orte“, die teilweise bis heute Anwendung in der Raumplanung findet. Im Allgemeinen handelt diese Theorie von Standortkonzentrationen (Cluster) und im Speziellen von Versorgungseinheiten.
Die einzelnen Sechsecke in den Modellen zeigen unterschiedliche Qualität von Versorgung und somit auch verschiedenen Bedeutungen an. Daher visualisierten die Sechsecke Gebiete mit unterschiedlichem Bedeutungsüberschuss und sind je nach Art und Dichte der Versorgung ausgestattet. Der Ansatz und Grundgedanke für die aktuelle Raumplanung in der Verwendung dieses Modells ist die Versorgungsgewährleistung der zivilen Bevölkerung unter besonderer Berücksichtigung der zumutbaren Wege (Wagener & Uhlenbrock, 2019).
August Lösch (1906 - 1945) hat mit seinem Modell der Standorttheorie das Grundmodell für den tertiären Sektor erfunden (siehe Abbildung 2). Auch in diesem Modell ist die Basis das Sechseckmodell und die Versorgung mit Gütern durch kurze Wege (Stiller, 2020).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Versorgungstheorie im Sechseckmodell
Quelle: https://www.klett.de/sixcms/media.php/427/zentrale_orte.jpg
Die ins 19. Jahrhundert zurückreichenden alten Theorien der Standortanalysen beinhalten die auch heute noch aktuellen Standortfaktoren und Theorien wie Transportkosten, Versorgungsgewährleistung, Clusterbildung, Raumwirtschaftstheorie und „mill pricing“. Viele empirische Erkenntnisse sind auch heute noch relevant und werden teilweise noch verwendet und in der Raumplanung eingesetzt.
Moderne Standorttheorien implizieren neue Erkenntnisse, die aktuelle Probleme ansprechen. Die „Neue Ökonomische Geographie“ mit Vertretern, wie Paul Krugmann und Michael Porter strebt die Synthese der traditionellen Standorttheorie mit der Außenhandelstheorie an, der Konsument wird mit dem Unternehmer in den Mittelpunkt gestellt. Unter Berücksichtigung der Transportkosten ist ein Produkt für den Konsumenten teurer, wenn es aus einer anderen Region kommt (mill pricing). Berücksichtigt wird in ihren Theorien auch die Standortwahl nach Arbeitskräften. Bei diesen Modellen handelt es sich um „Gleichgewichtsmodelle“ der Standorttheorien. Hier wird jeder einzelne Einflussfaktor einbezogen, somit können Störfaktoren besser analysiert werden (Farhauer & Kröll, 2013).
2.2 Standortziele
Zur Ausführung einer Standortplanung sind die strategischen Unternehmensziele von Bedeutung. Hier wird nach Formalzielen (ökonomische Aspekte), Leistungszielen (sachliche Ziele) und sozialen Zielen (Personal, Image) unterschieden. Diese Ziele beeinflussen die Unternehmensstrategie und die Standortplanung (Farhauer & Kröll, 2013). Die Unternehmensziele haben Einfluss auf die Wahl des Standortes und unmittelbar davon abhängig ist der Unternehmenserfolg.
2.3 Standortfaktoren
Dieser Punkt setzt sich mit den Standortfaktoren auseinander, mit der Erklärung und Definition dieser Begriffe. Diese bestimmen den Unternehmensstandort und sind in drei Kostengruppen zu unterscheiden:
Roh- und Kraftstoffpreise, Arbeitskosten und Transportkosten (Farhauer & Kröll, 2013)
Standortfaktoren sind in unterschiedliche Kategorien einzuteilen. Natürliche Standortvorteile sind harte Vorteile. Direkter, messbarer Einfluss (Vorteil 1.Art - Rohstoffe) sind natürliche Standortvorteile. Weiche sind nicht messbar (Vorteil 2. Art - Unternehmensintern). Deglomerationskräfte (Überfüllungskosten in Städten) und Pendelkosten wirken wiederrum positiv auf weiche Faktoren wie z.B. hohe Lebensqualität. Agglomerationsvorteile bieten vielen Unternehmen in Ballungszentren Aussicht auf Erfolg. Lokalisationskräfte haben für den Arbeitsmarkt große Anziehungskraft. Niedrige Lebenshaltungskosten, hohe Lebensqualität, diversifizierte Branchenstruktur, niedrige Produktionskosten und schwacher Wettbewerbsdruck sind Standortvorteile der ländlichen Regionen (Farhauer & Kröll, 2013). Umweltkatastrophen, Klima, Politische Lage im Staat, Fiskalpolitik, Umweltstandards, Absatzmärkte u.v.m. sind wichtige Standortfaktoren. Die strategischen Unternehmensziele beeinflussen die Wertigkeit der Standortfaktoren. Betrachtet man das Ganze jedoch aus einem anderen Blickwinkel, so ist für ein anderes Unternehmen dieser Standortvorteil nebensächlich.
2.4 Standortanalyse
Vor der Erstellung einer Standortanalyse liegt die Erkenntnis eines Problems vor. Der vorliegende Punkt beschäftigt sich mit dem theoretischen Teil der Standortanalyse. Der Bedarf einer größeren Betriebsstätte oder der Fachkräftemangel stellen ein strategisches Problem dar. Neue technologische Entwicklungen, der Wunsch nach Erweiterung oder leistbares Wohnen für Mitarbeiter, Klimaveränderung und Terrorismusgefahr sind mögliche Auslöser für diese Prozesse (Egger & Posch, 2016). Vielschichtige Entscheidungsprobleme brauchen Kompromisslösungen, Team-Entscheidungen werden gemeinsam leichter umgesetzt und gerechtfertigt. Standortentscheidungen zählen zu den schwierigsten und wichtigsten Entscheidungen. Die Vielfalt und verschiedenen Möglichkeiten von Standorten bedeuten Zielkonflikte und benötigen eine „qualitative Modellierung des Entscheidungsproblems (Ottmann & Lifka, 2010)“. Die vorliegende Arbeit soll die Grundlagen der theoretischen Standortanalyse erläutern und einen kurzen Einblick in die Materie bieten.
2.5. Methoden der Standortanalyse
In diesem Punkt werden die unterschiedlichen Methoden der Analyse genauer beleuchtet. So unterschiedlich wie mögliche (neue) Standorte sind, ist auch die Art und Weise der Erstellung der Analyse. Nach der Problemanalyse und Feststellung der Motivation zur Veränderung muss der Untersuchungszweck definiert werden. Eine „Soll-Ist und Ist-Wird“ Analyse zur Definition der Probleme ist notwendig, damit die Ausgangspunkte, Herausforderungen und Zieldefinitionen formuliert werden können (Ottmann & Lifka, 2010).
Die Vorarbeiten für jede Standortanalyse sind ähnlich. Notwendig ist zu Beginn die Problemerkennung, erst danach ist es möglich, sich Problemen zu stellen und Lösungen zu suchen (Ziele). Zieldefinitionen sind ebenso vielschichtig wie andere Probleme in einem Unternehmen existieren. Wichtig ist die Tragfähigkeit von Definitionen, strategischen Zielen und Richtungsentscheidungen auf eine breite Ebene quer durch alle Abteilungen einer Firma zu stellen. Dieser Prozess muss durch ein festgelegtes Zeitfenster definiert sein, genauso wie die Kosten einen Rahmen brauchen.
Mindestanforderungen an einen Standort werden festgelegt, ebenso wie mögliche, alternative Standorte. In einem „Zielbaum“ werden vertikale Abstufungen auf Hierarchieebenen mit den strategischen Unternehmenszielen als Hauptziel visualisiert. Die horizontale Aufteilung mitfunktionaler Zusammenhänge, wie Verkehrsanbindung, Versorgung oder Beschaffung und Produktion erfolgt in Hierarchiegruppen (Ottmann & Lifka, 2010). Die Gewichtung von Zielen, Trennen der Analyse in unterschiedliche räumliche Betrachtungsebenen und eine Primärdatenerhebung von möglichen Standorten sind wichtige Schritte. Die Bewertung der Standorteigenschaften, der Nutzen dieser und die Ergebniskontrolle können bereits eine Empfehlung für (präferierte) Standorte enthalten (Ottmann & Lifka, 2010). Mittels Sensitivitätsanalyse versucht man Unsicherheiten über die Aussagekraft der Untersuchung zu überprüfen. Anschließend sind Szenarioanalysen mögliche Kontrollen, um Ergebnisse zu evaluieren. Umweltunsicherheiten, künftige Entwicklungsmöglichkeiten und Betrachtung der besten Alternativen bieten einen Planungshorizont. Die Standortfaktoren müssen gewichtet werden, um eine Berechnung durchführen zu können. Je nach Priorität der unterschiedlichen Unternehmensziele sind die verschiedenen Faktoren nach Wertigkeit gewichtet. Dazu gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen und Methoden beispielsweise Paarvergleiche, formal algorithmische Bewertung, Ratingmethoden, Argumentkataloge und einige mehr (Ottmann & Lifka, 2010).
3. Ausgangssituation
Dieser Punkt beschäftigt sich mit der Einteilung in vergleichbare Wertschöpfungsregionen, mit der Erklärung, des Begriffes „Landflucht“ und der wirtschaftlichen Lage der südöstlichsten Region Österreichs. Die Arbeit gibt uns einen kleinen Einblick in die Geschichte der Wirtschaft und bietet einen Vergleich mit der Projektstudie und Standortanalyse der suxxess consult GesmbH aus dem Jahr 2004.
3.1 NUTS 3 Region - Definition
NUTS ist eine Abkürzung für „Nomenclature des unités territoriales statistiques“. Jede
NUTS Ebene ist einer bestimmten Region zugeteilt, jede Gemeinde einer NUTS Region. Insgesamt gibt es 35 NUTS Regionen (siehe Abbildung 3) (Österreich, 2021).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: NUTS3-Einheiten Österreichs, 2021
Quelle: https://www.statistik.at/web de/klassifikationen/regionale gliederungen/nuts einheiten/index.html
3.2 Das Phänomen Landflucht
„Neuere Untersuchungen zeigen, dass der Abwanderungstrend trotz der EU - Förderungen aufgrund des Ziel-1 Status im Südburgenland nicht aufgehalten werden konnte, bevölkerungsmäßig droht den Bezirken eine Überalterung und auch eine Schlechterstellung beim Finanzausgleich“ (Suxxess, 2004).
Der gesamte ländliche Raum weist eine negative Abwanderungstendenz auf. Junge Menschen wandern aufgrund von Bildungs- und Berufschancen, Wunsch nach Selbständigkeit, Erfahrungsgewinn und attraktiven Zielorten in urbane Gebiete ab (Egger & Posch, 2016). Fehlende Karrieremöglichkeiten und Aufstiegschancen sind die Hauptursache für die Abwanderung. 18 - 26 - Jährige bilden die größte Altersgruppe der Abwanderer. Geschlechtsspezifisch gesehen, bildet die Gruppe der 20- bis 29- jährigen Frauen den größten Anteil, während die Abwanderung der jungen Männer beginnt etwas später beginnt. Fehlende Möglichkeiten in der Ausbildung, Karrierechancen und neue Freiräume, die der urbane Raum bietet, sind die Hauptgründe für die Abwanderung.
„Natürlich beeinflussen die Vorstellungen einer regionalen Elite im besonderen Maße die Planung und Politik für ihre Räume. Aber sie machen ländliche Regionen für jene Teile der Bevölkerung unattraktiv, die diesen Vorstellungen nicht entsprechen können oder wollen und deren Bedarfslagen nicht entsprechend wahrgenommen werden. Es scheint so zu sein, dass soziale Vielfalt nicht als zum ländlichen Raum gehörig wahrgenommen wird“ (Egger & Posch, 2016).
Nachgewiesen ist, dass die Abwanderung von Frauen gleichzeitig mit fehlender Chancengleichheit, mit der Unvereinbarkeit von Lebensentwürfen, den patriarchalischen Sozialstrukturen im ländlichen Raum und mit der mangelnden Kinderbetreuung zusammenhängt (Dax, et al., 2016). Das Güter- und Dienstleistungsangebot ist im urbanen Raum dementsprechend größer und interessanter. Dieses Phänomen wird auch „Push-PullParadigma“ genannt. „Push-Faktoren ermutigen Menschen ihre Herkunftsorte zu verlassen und sich anderswo niederzulassen, während Pull- Faktoren Migranten in neue Gebiete locken“ (University, 1997). Push-Faktoren sind negative Auslöser für eine Abwanderung, PullFaktoren positiv. Wenn die Abstoßungsfaktoren (Push-Faktoren) größer als die Anziehungsfaktoren des Ziellandes (Pull-Faktoren) werden, kippt das Verhältnis vom Negativen ins Positive und die Abwanderung erfolgt (University, 1997).
Entwicklungsprognosen sagen bis zum Jahr 2030 eine negative Bevölkerungsentwicklung im Südburgenland voraus. Der Bevölkerungsrückgang kann die negative Wanderungsrate nicht mehr durch die Geburtenbilanz kompensieren. Diese ist seit einigen Jahren ständig rückläufig (Partner, 2017). Die einzelnen Wanderströme werden nach deren Ursprung und soziodemographischen Gründen benannt und gewichtet. Wanderungsbilanzen, Binnenwanderung und Außenwanderungsbilanz, Geburtenbilanz, geschlechtsspezifische Wanderungsbilanz und Fertilität, Einwanderung mit Migrationshintergrund und vieles mehr sind Grundlagen für detaillierte Messmethoden. Landflucht und negative Bevölkerungsentwicklung müssen nicht ident sein. Oft kann die Abwanderung (Landflucht) durch Zuwanderung (Migration, Rückkehrer und Naturromantiker) kompensiert werden. Bis vor einigen Jahren konnte eine hohe Geburtenrate rückgängige Bevölkerungszahlen ausgleichen.
Die „Abwanderung von Intelligenz“, sogenanntes Brain Drain, ist eine der größten Gefahren der Landflucht (Egger & Posch, 2016). Dies bedeutet, dass junge Menschen, die zum Zwecke ihrer Berufsausbildung die ländliche Region verlassen, nicht mehr zurückkehren. Am stärksten sind das Burgenland und Vorarlberg von dieser Entwicklung betroffen, mehr als ein Drittel der Studenten wollen nicht mehr zurück (chs, 2010).
Regionale Eliten obliegen in deren Denkweise der „Deutungshoheit“ über „richtige“ Lebensentwürfe. „Von ihnen wird definiert, was und wer dazugehört, Folgewirkung einer über Jahrzehnte gewohnten Macht, unabhängig davon, ob es sich um mehrheitlich „schwarze“ oder „rote“ Regionen handelt“ (Egger & Posch, 2016). Das breite, heterogene Spektrum einer Bevölkerung wird nicht berücksichtigt und komplett übersehen. Die Freiräume, Entfaltungsmöglichkeiten und Perspektiven, die Bedürfnisse dieser Menschen, die eine andere Vorstellung von ihrer Lebensgestaltung verfolgen, werden nicht berücksichtigt, sie wandern ab. Eingrenzende Möglichkeiten, festgefahrene Strukturen und zusätzlich volatile, bekannte, schlechtere Rahmenbedingungen und Benachteiligungen der ruralen Regionen führen zu „doppelter Benachteiligung“ (Egger & Posch, 2016).
Landflucht ist eine vielschichtige Thematik. Der Beginn dieser Bewegung, wie sie in dieser Arbeit behandelt wird, und zwar in wirtschaftlicher und soziodemographischer Hinsicht, liegt bereits in den 1960er Jahren. Abweichende Entscheidungsfaktoren Einzelner werden hierbei nicht berücksichtigt. Fakt ist, Landflucht ist existent, ein negativer Beigeschmack diesem Ausdruck innewohnend. Obschon diese Tatsache real ist, ist es für eine zukünftige Kommunikationsstrategie wichtig, Positivismus zu transportieren. Aus Push-Pull-Faktoren in Kombination mit Brain-Drain müssen neue Möglichkeiten und Chancen geschaffen und kommuniziert werden.
3.3 Wirtschaft und Geschichte
Der Schlüssel zur Akzeptanz dieser Tatsachen liegt in der wirtschaftlichen Geschichte Vergangenheit dieses Bundeslandes. Bestandsaufnahmen und Analysen sind Momentaufnahmen der gegenwärtigen Situation, gesellschaftliche Entwicklungen und realpolitische Entscheidungen prägen die Zukunft. Um die wirtschaftliche Entwicklung samt deren Phänomenen der kleinstrukturierten, regionalen Betriebe zu verstehen, ist es von Nutzen, die Geschichte der Ökonomie zu betrachten. Zum besseren Verständnis bietet dieser Teil der Arbeit einen Einblick in die Vergangenheit der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Bundeslandes.
Das Wirtschaftssystem ist sehr kleinstrukturiert, es dominieren hauptsächlich Klein- und Mittelbetriebe sowie Ein-Personen-Unternehmen. Großbetriebe existieren nur sehr wenige.
Durch die fehlenden Rohstoffvorkommen gab es im Südburgenland bereits im 19. Jahrhundert keine großen Industriebetriebe (siehe Abbildung 4).
Die triste Ausgangslage entstand mit dem Friedensvertrag von St. Germain: „Auf gar kein wirtschaftliches Bedürfnis war Rücksicht genommen worden. Man ließ uns zum Beispiel kaum eine einzige Zuckerfabrik, man zerschnitt Eisenbahnlinien und Landstraßen. Wir bekamen schließlich einen Fetzen des Burgenlandes, aber weder Preßburg noch die anderen „Burgen“ (Höllriegel, 2021).
Die Volksabstimmung über den Verbleib von Ödenburg bei Ungarn nahm dem kleinen Bundesland die geplante Hauptstadt und somit die Universität. Kunst, Kultur, Wissenschaft, Forschung, u.v.m. mangelte es an allem mit einem Schlag. Fehlende Städte machten sogar die Suche nach einer „Hauptstadt“ fast unmöglich, da nach dem 1.Weltkrieg praktisch nur mehr größere Dörfer existierten. Zwischen 1938 und 1945 war das jüngste Bundesland schon wieder von der Landkarte verschwunden. Der Landessüden war der Steiermark „einverleibt“ worden. Die Unsicherheit war groß, ob das Burgenland jemals wieder existieren würde. Nach dem 2. Weltkrieg wurde die frühere Ordnung wieder hergestellt. Im Osten an der (relativ) jungen Grenze zu Ungarn war mit der Entwicklung des „Eisernen Vorhanges“ kein gemeinsames Wirtschaften mehr möglich. Jahrhunderte alte Wirtschaftsräume waren zerstört.
Im Bezirk Oberwart wurde nach dem 2. Weltkrieg Kohle und Antimon abgebaut. Die Kohleförderung wurde aus Rentabilitätsgründen in den 60er Jahren eingestellt. Kohle wurde nun billiger aus Polen importiert. Kleinere, vernachlässigbare Abbaustätten gab es auch im Bezirk Güssing. Ebenso wurden kleinere Ziegeleien im Bezirk Güssing nachgewiesen. Zusätzlich zu der kleinbäuerlichen Struktur fehlen (größere) Erbhöfe und winzige Streifenparzellen machten kleineren Bauernhöfen gewinnbringendes Wirtschaften unmöglich. Die bäuerlichen Kleinbetriebe stellten mangels Perspektiven für die Landwirtschaft den Betrieb ein oder auf Nebenerwerb um. Viele wurden, auf Grund fehlender Arbeitsplätze in der Region, Pendler. Im Jahr 2004 waren 32% der unselbstständig Erwerbstätigen Pendler (Suxxess, 2004). Auf der angeschlossenen Karte sind die (geschichtlichen) Industriestandorte des Südburgenlandes angeführt, die Verkehrslinien von West nach Ost gut erkennbar (Floiger, 2021). Diese Karte zeigt eine fehlende Industrie im Süden, und somit einen ausgeprägten landwirtschaftlichen Sektor. Damit entstand gleichzeitig mit dem beginnenden Strukturwandel in der Landwirtschaft und aufgrund fehlender Arbeitsplätze, das Pendlertum und die Abwanderung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Industriestandorte
Quelle: (Floiger, 2021)
Mit den Förderungen durch die Aufnahme des Burgenlandes in das Ziel 1 - Gebiet wurden regionale Leitbetriebe, wie die Therme Bad Tatzmannsdorf und die Therme Stegersbach gebaut. Damit wurden etliche Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor geschaffen, der auch den größten Anteil an unselbstständig Erwerbstätigen innehat (Suxxess, 2004).
3.4 Wirtschaftliche Lage
Diese Arbeit basiert zum Teil auf den Erkenntnissen der Projektstudie der suxxess consult GmbH, Unternehmensberatung in Pinkafeld aus dem Jahr 2004. Gefördert wurde diese Untersuchung damals aus den Mitteln der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit des BMaA (vormals Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten) und trägt den Titel: „Perspektiven der Klein- und Mittelbetriebe im Südburgenland“.
Für das Burgenland zeigten sich zu diesem Zeitpunkt eine Dynamik und ein Aufschwung nach dem EU-Beitritt, der Zuteilung als Ziel-1 Gebiet und den damit verbundenen Förderungen (ÖROK, 2019). Der wirtschaftliche Rückstand konnte sukzessive aufgeholt werden, Projektstrategien für die weitere Entwicklung und Positionierung für die Region wurden ausgearbeitet und flossen allesamt in die oben erwähnte Studie. Sohin kann diese als Quelle und Basis für die vorliegende Arbeit verwendet und darauf aufgebaut werden. Unter Punkt „3.4.1 Stand Wirtschaft - Vergleich“ werden Vergleiche angeführt, um die wirtschaftliche Entwicklung besser darstellen zu können, sie dienen gleichzeitig zum leichteren Verständnis. Die Verfügbarkeit und Qualität von Arbeitskräften ist im Südburgenland durch das nahe ungarische Einzugsgebiet noch gegeben. Dem Facharbeiter- und Arbeitskräftemangel kann für das Südburgenland, durch die räumliche Nähe und offene Grenze zu Ungarn und dem dort niedrigeren Lohnniveau entgegengewirkt werden und dies als Chance für den Wirtschaftsraum gesehen werden. Zusätzlich bieten der österreichweite Facharbeitermangel und die boomende Wirtschaft Chancen für „Heimkehrer“. Bei Berücksichtigung der direkten Mobilitätskosten und der räumlichen Entfernung zu den Agglomerationszentren ist „Pendeln“ aus finanziellen und Angebotsgründen nicht mehr notwendig und profitabel. Bei direkter Berücksichtigung der „Raumüberwindungskosten“ unter dem Aspekt des Umweltschutzes ist „Heimkehren“ nachhaltig und Energiekostensparend (Egger & Posch, 2016).
3.4.1. Stand Wirtschaft - Vergleich
Dieser Unterpunkt zeigt die Veränderungen der wesentlichen Zahlen (Sekundärforschung) der Projektstudie der suxxess consult GmbH bis in das Jahr 2021. Durch diese Vorgehensweise ist eine gute Vergleichsbasis für weitere Untersuchungen gegeben.
In Tabelle 1 sind die unselbstständig Beschäftigten, unterteilt in Männer und Frauen nach den drei Bezirken der NUTS3- Region Südburgenland im Vergleich mit dem Jahr 2002 (Studie suxxess consult 2004) und Juli 2021, zu sehen. Tabelle 2 zeigt den Vergleich der einzelnen Bezirke und der geschlechtsspezifischen Trennung von 2021 und Juli 2020 in Prozent an. Hier kann in jedem Zeitraum Wachstum nachgewiesen werden, in jedem Bezirk und unabhängig vom Geschlecht (AMS, 2021).
Tabelle 1: Unselbständig Beschäftigte nach Wohnort und politischen Bezirken, Stand: jeweils Ende Jänner
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung nach den oben erwähnten Quellen
Tabelle 2: Wachstum der unselbständig Beschäftigten im Vergleich
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung, Berechnung aus Tabelle 1
Tabelle 3 gibt einen Überblick über die gewerblichen Unternehmen im Südburgenland. Freie Berufe, wie Rechtsanwälte, Steuerberater oder Ärzte, sind hier nicht enthalten. Der Vergleich mit den Jahren 2003 und 2004 gibt die Möglichkeit, die Perspektiven in der Studie der suxxess consult GmbH 2004 zur wirtschaftlichen Standortanalyse genauer zu durchleuchten. Insgesamt gab es 2003 4.337 aktive Mitglieder und 2004 4.511 aktive Mitglieder im Südburgenland. Mit Ende des 2. Quartals 2021 (Stichtag 30.6.2021) sind im Bezirk Güssing 1.934, im Bezirk Jennersdorf 1.404 und im Bezirk Oberwart 3.868 aktive Mitglieder gemeldet. Ruhende Mitgliedschaften üben derzeit kein Gewerbe aus und sind für die Aufgabenstellung in dieser Arbeit nicht von Relevanz, werden aus Gründen der Vollständigkeit jedoch angegeben. Die Summe der aktiven Gewerbe für die Region Südburgenland ist 7.206. Somit ergibt sich ein Plus von 2.869 zum Jahr 2003 bzw. ein Plus von 2.695 zum Jahr 2004 an aktiven Kammermitgliedschaften (Wirtschaftskammer, 2021).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3: Kammermitgliedschaften nach Bezirken (Anzahl der gewerblichen Unternehmen im Südburgenland)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung nach der oben erwähnten Quelle
Tabelle 4 zeigt die Unternehmensgründungen und die Anzahl der Einwohner in den Jahren 2019 und 2020. Hier kann mit den Jahren 2003 kein Vergleich gezogen werden. Diese Daten fanden in der Studienarbeit der suxxess consult GmbH keinen Niederschlag. Betrachtet man die Unternehmensneugründungen 2020 ergibt sich eine Gründungsintensität (je 1.000 Einwohner) von 5,9 für Güssing, von 7,5 für Jennersdorf und von 5,0 für Oberwart (siehe Tabelle 5). Im Vergleich zum Jahr 2019 sind diese Werte niedriger. Hier kann der direkte Zusammenhang mit der Corona-Krise angenommen werden (Wirtschaftskammer, 2021).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 4: Unternehmensgründungen und Anzahl der Einwohner
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: WKO Statistik, Stand 3Ö.Ö6.2Ü21
Quelle: eigene Darstellung nach der oben erwähnten Quelle
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 5: Gründungsintensität (je 1.000 Einwohner) im Südburgenland 2019/20
Gründungsintensität (je 1.000 Einwohner)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung, Berechnung aus Tabelle 4
Die regionale Wertschöpfung der NUTS 3-Region wird anhand des Bruttoregionalproduktes gemessen (BRP). Der Vergleich ist mit dem BRP pro Einwohner möglich (BRP/EW). Für 2018 wurde im Südburgenland ein Wert von 63 Prozent (BRP/EW) des gesamtösterreichischen Wertes erwirtschaftet. Von den 35 NUTS Regionen Österreichs liegt das Südburgenland an 33. Stelle. Das Bruttoregionalprodukt (BRP) misst die wirtschaftliche Stärke einer Region (Messeinheit). Zwischen 2016 und 2018 ist das BRP im Südburgenland um 6,9 Prozent gestiegen, im Vergleich dazu ist aber das BRP im Gesamtburgenland um 7,5 Prozent gestiegen, Österreichweit um 7,8 Prozent (AMS, 2021). „Für die Region Südburgenland wurde im Jahr 2018 eine Produktivität von rund 78% des österreichischen Werts ausgewiesen“ (Rang 34 unter den 35 österreichischen Regionen) (AMS, 2021).
In der Region Südburgenland liegt das Bruttoregionalprodukt je Einwohner und Einwohnerin im Jahr 2018 unter € 29.000,- (Euro) (siehe Abbildung 5) (Austria, 2021).
„Die regionale Wirtschaftsstruktur des Südburgenlands zeigt eine verstärkte Prägung durch den Dienstleistungsbereich. Die Bedeutung der Land- und Forstwirtschaft zeigt sich in einem immer noch überdurchschnittlich hohen Anteil an Arbeitsplätzen“ (AMS, 2021). Der Wert der Produktivität misst den Anteil, der an den Arbeitsplätzen in der Region erwirtschaftet wird.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Bruttoregionalprodukt je Einwohner und Einwohnerin 2018
[...]
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.