Wir sind Teil einer physischen Welt, erleben uns aber gleichzeitig als seelischgeistige Wesen mit Wahrnehmungen, Wünschen und Absichten. Diese aus einer scheinbar privilegierten Innenperspektive heraus wahrgenommenen Zustände nennt man mentale oder geistige Zustände. Mentale Zustände sind auf Dinge, Sachverhalte und Ereignisse gerichtet und haben einen Inhalt1: Sie sind intentional. Diese Intentionalität mentaler Zustände scheint physischen Zuständen nicht eigen zu sein: Steine, Herzen, Bäume oder Atome haben keine Wünsche, Absichten, Wahrnehmungen oder Gedanken, die sich auf bestimmte Dinge beziehen. Mit unserem Gefühl bzw. der starken Intuition, körperliche von mentalen Zuständen unterscheiden zu können, haben wir einen guten Grund zu folgender Annahme:
(1) Mentale Zustände scheinen prinzipiell anderer Art zu sein, als physische Zustände.
Wir bewegen uns in dieser physischen Welt und interagieren mit ihr in einer unendlich mannigfaltigen Art und Weise. Als Teil dieser Welt sind wir von ihr abhängig, insofern wir atmen, essen und in ihr leben. Doch wir nehmen auch verändernd auf diese Welt Einfluss, formen sie nach unseren Vorstellungen. Was wir erleben, ist folglich eine reichhaltige, wechselseitige kausale Beziehung von mentalen und physischen Zuständen. Mentale Zustände sind oft unmittelbar körperlich beobachtbar: wenn ich aufgrund einer Erinnerung lächle oder vor Schmerz schreie. Mentale Ereignisse können unmittelbar Ursache unseres Verhaltens sein und motiviert so eine weitere Annahme:
(2) Mentale Zustände beeinflussen unser Verhalten und physische Zustände rufen, unter anderem, bewusste Erlebnisse hervor.
Diese beiden Annahmen werden uns täglich bestätigt und sind daher für uns selbstverständlich. Die Naturwissenschaften zeichnen nun, unterstützt von empirischen Belegen, ein ganz anderes Bild. Sie konfrontieren unser Selbstverständnis mit folgender These:
(3) Menschliches Verhalten ist ein gehirngesteuertes, kausal lückenloses physisches Geschehen. Die Welt und damit der Mensch als Teil von ihr sei kausal komplett geschlossen. Welches physische Ereignis in der Welt wir auch betrachten, wir werden immer auf ein weiteres physisches Ereignis als Ursache stoßen und niemals den Bereich des Physischen verlassen müssen. Für mentale oder nicht-physische Ursachen ist in dieser Kette kein Platz.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problem- und Fragestellung
1.2 Material
1.3 Ablauf
2 Mentale Verursachung
2.1 Was ist mental/physisch? Zum Begriff des Mentalen
2.2 Interaktion zwischen mentalen und physischen Zuständen
3 Argumente des Materialismus
3.1 Grundannahmen des Materialismus
3.2 Identitätstheorien
3.2.1 Psychophysische Identitätstheorie
3.2.2 Einwände gegen die Identitätstheorie
3.3 Funktionalismus
3.3.1 Psycho-funktionale Identitätstheorie
3.3.2 Einwände gegen den Funktionalismus
3.4 Quälende Qualia
3.5 Fazit: Nicht-reduktiver Materialismus
4 Sprachanalytische Argumente
4.1 Das Argument zur Kategorienverwechslung
4.2 Dualismus der Vokabulare
4.3 Zuschreibungen und soziale Konstruktion
4.4 Fazit
5 Die Entscheidung
5.1 Voraussetzungen objektiver Theorien
5.2 Leistungsfähigkeit von Theorien
5.3 Fazit
6 Schluss
7 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problem- und Fragestellung
Wir sind Teil einer physischen Welt, erleben uns aber gleichzeitig als seelisch- geistige Wesen mit Wahrnehmungen, Wünschen und Absichten. Diese aus einer scheinbar privilegierten Innenperspektive heraus wahrgenommenen Zustände nennt man mentale oder geistige Zustände. Mentale Zustände sind auf Dinge, Sachverhalte und Ereignisse gerichtet und haben einen Inhalt1: Sie sind intentional. Diese Intentionalität mentaler Zustände scheint physischen Zuständen nicht eigen zu sein: Steine, Herzen, Bäume oder Atome haben keine Wünsche, Absichten, Wahrnehmungen oder Gedanken, die sich auf bestimmte Dinge beziehen. Mit unserem Gefühl bzw. der starken Intuition, körperliche von mentalen Zuständen unterscheiden zu können, haben wir einen guten Grund zu folgender Annahme:
(1) Mentale Zustände scheinen prinzipiell anderer Art zu sein, als physische Zustände.
Wir bewegen uns in dieser physischen Welt und interagieren mit ihr in einer unendlich mannigfaltigen Art und Weise. Als Teil dieser Welt sind wir von ihr abhängig, insofern wir atmen, essen und in ihr leben. Doch wir nehmen auch verändernd auf diese Welt Einfluss, formen sie nach unseren Vorstellungen. Was wir erleben, ist folglich eine reichhaltige, wechselseitige kausale Beziehung von mentalen und physischen Zuständen. Mentale Zustände sind oft unmittelbar körperlich beobachtbar: wenn ich aufgrund einer Erinnerung lächle oder vor Schmerz schreie. Mentale Ereignisse können unmittelbar Ursache unseres Verhaltens sein und motiviert so eine weitere Annahme:
(2) Mentale Zustände beeinflussen unser Verhalten und physische Zustände rufen, unter anderem, bewusste Erlebnisse hervor.
Diese beiden Annahmen werden uns täglich bestätigt und sind daher für uns selbstverständlich. Die Naturwissenschaften zeichnen nun, unterstützt von empirischen Belegen, ein ganz anderes Bild. Sie konfrontieren unser Selbstver- ständnis mit folgender These:
(3) Menschliches Verhalten ist ein gehirngesteuertes, kausal lückenloses physisches Geschehen.
Die Welt und damit der Mensch als Teil von ihr sei kausal komplett geschlossen. Welches physische Ereignis in der Welt wir auch betrachten, wir werden immer auf ein weiteres physisches Ereignis als Ursache stoßen und niemals den Bereich des Physischen verlassen müssen. Für mentale oder nicht-physische Ursachen ist in dieser Kette kein Platz. Sie haben keinen explikativen Charakter und erfüllen keine kausale Rolle. Die Alltagserfahrung macht uns aber glauben, dass mentale Zustände von Gehirnaktivitäten abhängen und wir meinen zu wissen, einen Willen, Wunsch oder eine Absicht zu haben.
Alle drei Thesen halten wir für wahr und doch sie sind nicht miteinander vereinbar: Wenn (3) wahr ist, dann kann es keine von physischen Phänomenen verschiedenen Phänomene geben und diese hätten auch keine kausale Kraft. Eine Interaktion wäre unmöglich. Doch (3) ist eine gut begründete, empirisch abgesicherte These, die wir ebenfalls nicht aufzugeben bereit sind. Halten wir aber an den ersten beiden Thesen fest, so kann die Annahme der physischen Geschlossenheit der Welt nicht wahr sein. Wir stecken in einem Trilemma, welches in dieser präzisen Form erstmals Peter Bieri beschrieben hat (vgl. Bieri, 1993, S. 5). Da wir alle drei Thesen aufrecht erhalten wollen, macht dieses Trilemma das Problem der mentalen Verursachung aus: Wie gelingt es mentalen Zuständen, physische Zustände und somit Verhalten hervorzurufen, wenn zugleich wahr ist, dass dieses lückenlos physisch verursacht ist?
Die Frage der mentalen Verursachung ist eines der zentralen Probleme in der Philosophie des Geistes. Seit langer Zeit versuchen Philosophen, eine Antwort auf diese Frage zu formulieren, was zu einer unübersichtlichen Menge an Theorien geführt hat. Auch wenn dualistische Theorien nicht mehr ernsthaft in der aktuellen Debatte vertreten werden, so gibt es noch immer eine Vielzahl konkurrierender Ansätze. Der Trend der Diskussionen hin zu materialistischen Theorien scheint unumgänglich, da die Naturwissenschaften in den letzten Jahrzehnten große Erfolge in der Untersuchung der Geist-Gehirn-Korrelation feiern konnten. Naturwissenschaftler sind überzeugt, das Gehirn prinzipiell entschlüsseln zu können und Philosophen rechtfertigen damit die Überzeugung, die Antwort auf die Frage der mentalen Verursachung läge in diesem Bereich.
In kaum einem anderen Gebiet der Philosophie wurde in den letzten Jahrzehnten so heftig diskutiert, wie in der Philosophie des Geistes. Die aktuelle Debatte weist eine große Variation materialistischer Theorien, einige sprachanalytische Ansätze auf und einige weitere Vorschläge, die mitunter recht abwegig und kontraintuitiv erscheinen. Obwohl das Diskussionsfeld so stark und weiträumig bearbeitet worden ist, sind kaum neue und keine endgültigen Ergebnisse zu finden.
Dabei ist es für unser Selbstverständnis von großer Bedeutung, die Frage und überhaupt die Existenz der mentalen Verursachung zu klären. Wir brauchen die mentale Verursachung, wenn wir Menschen freiwilliges Handeln und daher einen Willen, Absichten und Gedanken unterstellen wollen. Müssten wir die Idee der mentalen Verursachung zur Illusion erklären, so ginge ebenfalls unsere moralische Praxis und unser Rechtssystem unter. Abgesehen davon, dass wir uns eine derartige Täuschung unserer Intuition nicht eingestehen könnten, würden auch ganze Wissenschaftszweige wie die Psychologie in große Schwierigkeiten geraten. Alle ihre Theorien bauen auf der Idee einer Interaktion von mentalen und physischen Zuständen auf: der mentalen Verursachung. Es gibt also ausreichende Gründe, die eine weitere Suche nach Erklärungen motivieren.
Ziel der vorliegenden Untersuchung kann nicht sein, für die eine oder andere Theorie zu argumentieren und somit nach einer Lösung für das Problem zu suchen. Die Stagnation in der Debatte ist Anlass für mich diese auf einer Metaebene zu betrachten. Es sieht nicht so aus, als wären die Philosophen am Ende der Theorienfindung, doch augenscheinlich können sie sich nicht auf eine Theorie einigen. Immer wieder werden neue Lösungen angegriffen und verworfen. Es stellt sich die Frage: Was macht das Problem der mentalen Verursachung zu einem so kontrovers diskutierten Problem? Warum stehen sich die Lösungsansätze so unvereinbar gegenüber? Ziel der Arbeit ist somit, über eine Untersuchung der Debatte zur mentalen Verursachung jene Gründe zu identifizieren, die einer Lösung hinderlich im Wege stehen.
Zunächst werde ich die zwei zentralen Theoriekomplexe aus der Debatte herausgreifen, um die jeweiligen Erklärungen zu untersuchen, ob die Schwierig- keiten der einzelnen Theorien nur vorläufig sind oder von prinzipieller Art. Nach dem Ausbreiten der beiden Komplexe soll nicht eine Entscheidung gefällt, sondern die Ebene der Betrachtung gewechselt werden. Dazu wird die Wissenschaftstheorie aufgerufen. Am Ende steht die generelle Frage: Warum entscheiden wir uns für die eine oder andere Theorie?
1.2 Material
Zur Aufarbeitung der Leib-Seele-Debatte sollen zunächst die übergreifenden Einführungen2von Peter Bieri und Ansgar Beckermann als auch jene von Michael Pauen, Dieter Teichert, Holm Tetens und Jaegwon Kim herangezogen werden. Insbesondere bei der Darstellung der materialistischen Theorien stütze ich mich auf die klaren Ausführungen von Ansgar Beckermann in seinem Werk „Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes“ und Jaegwon Kim in „Philosophie des Geistes“.
Um die sprachanalytische Position zu erklären, beziehe ich mich zunächst auf das Argument zur Kategorienverwechslung von Gilbert Ryle, aufgeführt in seinem Buch „Der Begriff des Geistes“. Die weiteren sprachanalytischen Argumente werde ich mit Texten von Holm Tetens, Peter Bieri und Kenneth Gergen stützen. Gergen ist vorwiegend in der Psychologie tätig. Mit seinem Buch „Konstruierte Wirklichkeiten“ möchte ich die Ideen des sozialen Konstruktionismus in die philosophische Argumentation einbinden.
Für die Beantwortung der Frage, nach den Gründen der Unauflösbarkeit der Problematik der mentalen Verursachung werde ich Texte zur Wissenschaftstheo- rie von Helmut Seiffert und Wolfgang Stegmüller heranziehen.
1.3 Ablauf
Die ersten Kapitel der Arbeit stehen unter der großen Frage der mentalen Verursachung. Nach Einführung in die Begrifflichkeiten werde ich die zwei Hauptvarianten des Materialismus vorführen und die Argumente, die für und jene, die gegen diese Theorien sprechen, darstellen (siehe Kap. 3).
Daraufhin werde ich als Alternative in Kapitel 4 die sprachanalytischen Vorschläge vorführen, die eine überraschende Wendung für das Problem der mentalen Verursachung bereithalten. Diese sprachanalytischen Argumente sind auf einer höheren Ebene angesiedelt. Sie handeln nicht mehr mit den Phänomenen in der Welt, sondern mit unserer sprachlichen Bezugnahme auf diese Phänomene. Sprachanalytiker sind davon überzeugt, die Frage der mentalen Verursachung ist eine falsch gestellte Frage, die auf irreführend formulierten Prämissen beruht. Trotz guter Erklärungsansätze tun sich auch hier Einwände auf, welche die Plausibilität der Theorien gefährden.
Da es sowohl für die eine als auch für die andere Theorie schwerwiegende Einwände gibt, die es letztlich schwer machen, Position zu beziehen, werde ich eine Metabetrachtung anstrengen, die genau diese unbefriedigende Situation in der Debatte untersuchen soll. Im 5. Kapitel werde ich daher die Voraussetzungen für objektive Theorien hinterfragen: Welche Gründe gibt es im Entscheidungspro- zess, die eine oder die andere Theorie zu wählen?
Eine positive Wendung hin zu einer Lösung tut nicht Not. Letztlich laufen meine Betrachtungen auf eine wissenschaftskritische Betrachtung der Lösungen des Problems der mentalen Verursachung hinaus.
2 Mentale Verursachung
Vor der Auseinandersetzung mit der Debatte um die Mentale Verursachung sollen hier die tragenden Begriffe der Mentalen und der Verursachung bzw. Interaktion geklärt und differenziert werden. Die mentalen Zustände werden klassifiziert und durch die Darstellung ihrer Merkmale der Unterscheid zu physischen Zuständen hervorgehoben. Dazu scheint zunächst eine ontologische Unterscheidung von mentalen und physischen Zuständen gerechtfertigt. Da wir alltäglich ein mannigfaltiges Zusammenspiel beider Zustandsgruppen erleben, ist es erforderlich, den Begriff der Interaktion genauer zu betrachten.
2.1 Was ist mental/physisch? Zum Begriff des Mentalen.
Ungenau und irreführend ist es, von „Geist“ zu reden: Wer hat einen Geist bzw. wer ist derjenige, der ihn hat und was genau hat er? Ist jeder Mensch ein Geist? Was ist dann der Körper? Geist zu haben, ist nicht wie blaue Augen oder Sommersprossen zu haben bzw. etwas, auf das man zeigen könnte. Das Konzept vom Geist als einer Substanz im Körper wirft zu viele Schwierigkeiten und Rätsel auf, als dass es eindeutige Antworten erbringt. Eine solche dualistische Theorie könnte logisch durchaus tragbar sein, doch sie ist empirisch schlicht falsch, glaubt man der Neurowissenschaft. Entfällt die Idee einer geistigen Substanz zur Erklärung des Geistes, bleibt die Frage, worin der „Besitz von Geist“ besteht. Jaegwon Kim macht folgenden Vorschlag:
„Von etwas zu sagen, dass es einen Geist hat, heißt, es als eine gewisse Art von Ding zu klassifizieren, das zu gewissen charakteristischen Arten von Verhaltenswei- sen und Funktionen imstande ist (Empfindungen, Wahrnehmungen, Gedanken usw.)“ (Kim, 1998, S. 6) .
Indem wir den globalen Begriff des Geistes vermeiden, ist es weniger irreführend von mentalen Eigenschaften oder Zuständen zu sprechen. Diese Terminologie soll in der Arbeit beibehalten und im Folgenden zunächst differenziert werden.
Der Begriff des Mentalen umfasst keineswegs eine homogene Gruppe von Zuständen oder Eigenschaften. Unsere mentale Welt ist außerordentlich vielfältig, vielschichtig, komplex und daher mitunter unübersichtlich: Wir befinden uns in Stimmungen, empfinden Gefühle verschiedenster Intensität und Färbung, wir haben Gedanken, Träume und Wünsche, wir unterscheiden Farben und Formen, wir haben kognitive Fähigkeiten und vieles mehr. All diese Dinge sind miteinander verwoben und machen uns als Charaktere und letztlich als Personen aus.
Kim (1998) kategorisiert die Vielfalt mentaler Zustände wie folgt:
a) Phänomenale Zustände als Sinneswahrnehmungen und Empfindungen fühlen sich für uns auf eine ganz bestimmte Art und Weise an. So haben wir eine ganz spezifische Empfindung beim Schmecken von Schokolade, beim Geruch von Chlor, beim Hören eines Presslufthammers, beim Betasten von Sandpapier oder beim Anblick eines Lavendelfeldes. Es fühlt sich auch ganz speziell an, in diesem Körper zu stecken und von Zeit zu Zeit Schmerzen zu empfinden. Es fühlt sich zudem nur für mich auf diese ganz bestimmte Art und Weise an. Auch wenn ich mich noch so sehr in jemanden hineinversetze, so wird alles, was ich fühle, immer nur meine Empfindung sein. Diesen qualitativen Charakter der Wahrnehmung nennt man auch phänomenale Wahrnehmung oder Qualia. Ich nehme sie aus einer privilegierten Ich-Perspektive exklusiv wahr.
b) Intentionale Zustände als unsere Gedanken, Wünsche, Glauben oder Überzeugungen haben einen Inhalt, eine Bedeutung und sind folglich auf Dinge, Ereignisse oder Sachverhalte gerichtet. Ich denke über eine Theorie nach, glaube an den freien Willen, wünsche mir etwas mehr Zeit oder meine, dass die Bild- Zeitung argumentativ zu wünschen übrig lässt. Die Begriffe „Wünsche“, „Meinen“, „Gedanken“ usw. ergäben keinen Sinn, wären mentale Zustände nicht intentional.
Diese Intentionalität scheint typisch physischen Zuständen nicht eigen zu sein. Zudem scheint es auch keinen speziellen phänomenalen Aspekt intentionaler Zustände zu geben. Gewiss können Gedanken und Wünsche Gefühle auslösen, die sich dann wieder ganz speziell anfühlen, aber der Strom der Gedanken fühlt sich nicht auf eine ganz bestimmte Art und Weise an.
c) Voluntative Zustände – Der größte Teil meiner Körperbewegungen stößt mir nicht bloß zu, sondern sie sind Handlungen, denen ein voluntativer Zustand zugrunde liegt: Meine Handlungen sind gewollt und haben Absichten. Ich bin ihr Urheber.
d) Emotionen – Eine große Gruppe mentaler Zustände lässt sich unter Emotionen und Gefühlen ordnen. Emotionen wie Ärger, Freude, Trauer, Wut, Erregung, Verlegenheit, Reue sind diejenigen mentalen Zustände, die uns als Personen im Wesentlichen ausmachen. Unsere Emotionen sind gewissermaßen der farbliche Hintergrund für alle anderen mentalen Zustände, wobei sie selbst auch intentional sind.
In welchem Sinn nun sind all diese Dinge mental? Gibt es Kriterien oder Merkmale, die mentale Zustände begründet von physischen Zuständen trennen? Folgende Merkmale werden von Kim (1998) expliziert:
a) Epistemologische Kriterien:
Über meine mentalen Zustände habe ich ein direktes und unmittelbares Wissen, welches nicht auf kognitiven Schlüssen beruht. Von stechenden Zahnschmerzen weiß ich unmittelbar bei ihrem Entstehen, ohne auf die Diagnose des Arztes angewiesen zu sein. Mehr noch: Begriffe, die auf phänomenale Zustände referieren, erlangen durch den qualitativen Aspekt der Empfindung ihre Bedeutung. Der Satz: „Ich habe starke Kopfschmerzen, fühle sie aber gerade nicht“, ist schlicht falsch. Der Begriff des Schmerzes ist durch die phänomenale Empfindung definiert.
Das besondere Erlebnis des Schmerzes empfinde nur ich, es ist privat, also aus einer privilegierten Ich-Perspektive heraus wahrgenommen. Alle phänomenalen Eigenschaften sind in diesem Sinne nur mir zugänglich. Wir können nie ganz sicher sein, wie sich der Biss in eine frische Zitrone für den Anderen anfühlt oder ob er die gleichen Farbempfindungen hat wie ich.
Unfehlbar dagegen ist unser Wissen von unseren eigenen Zuständen. Wenn ich eine Empfindung habe, dann kann ich mich nicht darüber täuschen. Entweder ich habe Schmerzen oder ich habe keine. Wir haben nicht im gleichen Maße eine so direkte und unmittelbare Selbstwahrnehmung über unsere Körperzustände. Oftmals decken erst medizinische Gerätschaften Schäden und Dysfunktionen im Körper auf.
Auch kann ich in die Irre gehen, was die Intention meiner mentalen Zustände betrifft. Ich kann mich über meine Wünsche täuschen oder Emotionen verwechseln, da ich ihre Motive verkannt hatte. Einige Annahmen oder Emotionen können auch unterbewusst im Verborgenen bleiben.3 Wenn auch die völlige Transparenz unserer mentalen Zustände anzuzweifeln ist, so sind die oben genannten Merkmale nicht von der Hand zu weisen und zeigen auf einen grundlegenden qualitativen Unterschied zu physischen Zuständen.
b) Nicht-Räumlichkeit des Mentalen (Kim, 1998; Beckermann, 2001) :
Intuitiv machen mentale Zustände im Vergleich zu physischen Zuständen nicht den Eindruck, räumlich ausgedehnt zu sein. Während ich Körper und andere Materie anfassen oder ähnlich sinnlich erfahren kann, entzieht sich Mentales solch einer Annäherung. Der Begriff des Mentalen erfordert zudem nicht, dass nur räumlich ausgedehnte materielle Dinge, mentale Zustände hervorbringen können. Faktisch allerdings sind alle Dinge, denen mentale Zustände nachgewiesen wurden, materiell ausgedehnte Dinge. Das ist jedoch nur eine kontingente Tatsache, da sich sehr wohl nicht-räumliche Wesen in uns unbekannten anderen möglichen Welten logisch konsistent denken lassen, die Geist besitzen.
Ist es aber nicht etwas verkürzt, dem Mentalen Nicht-Räumlichkeit zu unterstel- len, weil man mentale Zustände nicht anfassen kann? In gewisser Hinsicht ist der Geist lokalisierbar, zumindest ist er dort, wo ich bin oder in meinem Gehirn. Ich bin mir nicht sicher, ob wir überhaupt verstünden, was es hieße, existente mentale Zustände zu haben, die aber nicht-räumlich sind. Wir empfinden sie zwar nicht in gleicher Weise ausgedehnt wie unseren Körper, aber doch verortbar - in unserem Kopf.
Da wir uns oben von der Idee des Mentalen als einer geistigen Substanz, ohne Masse oder Energie verabschiedet haben, müssen wir hier keine Nicht- Räumlichkeit unterstellen. In der heutigen Diskussion unterscheidet man nun vielmehr zwei Arten von Ereignissen oder Zuständen: physikalische und mentale Ereignisse oder Zustände.
Mentale Zustände bilden eine enorm heterogene Gruppe, für die sich nur schwer eindeutige Merkmale angeben lassen, die sie von physischen Zuständen abgrenzen. Verkomplizierend kommt nun hinzu, dass mentale Zustände nicht isoliert existieren, sondern vielfältig mit dem Körper, der Umwelt und unter sich interagieren und intervenieren. Die verschiedenen Arten der Interaktion und die daraus resultierenden Probleme der Mentalen Verursachung werden im anschließenden Abschnitt dargestellt.
2.2 Interaktion zwischen mentalen und physischen Zuständen
Ausgehend von unseren Erfahrungen mit uns selbst erleben wir zwei Arten der Interaktion zwischen mentalen und physischen Zuständen und eine weitere zwischen den mentalen Zuständen selbst (vgl. Kim, 1998). In der Diskussion um die mentale Verursachung kursiert weitgehend nur die dritte Art, da sie das eigentlich Rätselhafte ausmacht. Doch auch die beiden anderen Arten sollten nicht unberücksichtigt bleiben, da sie in gleichem Maße unser Alltagserleben bestimmen.
a) Physisch-mentale Verursachung
Beim Sprung in einen kalten See wird sich die physische Veränderung unseres Körpers sofort auf unser Empfinden auswirken: Die Kälte fühlt sich zum Einen auf eine ganz bestimmte Art und Weise an und zum Anderen beginnen wir heftig zu frieren, unsere Gedanken kreisen um die Möglichkeiten, diesen unangenehmen Zustand wieder zu ändern. Was uns zur zweiten Art der Interaktion führt.
b) Mental-mentale Verursachung
Die Empfindungen der Kälte und des Frierens initiieren verschiedene Gedanken und Vorstellungen, die wiederum Gedanken und Wünsche auslösen, wie den Wunsch schneller zu schwimmen oder den Wunsch der Flucht aus dem kalten Wasser. Aber auch beim Tagträumen oder Nachdenken folgt ein Gedanke kausal dem Anderen, ohne dass physisch auch nur die geringste Veränderung erkennbar sein muss.
c) Mental-physische Verursachung
Sobald ich den Wunsch verspüre, schneller zu schwimmen oder das Wasser zu verlassen, bewegt sich auch mein Körper, um das entsprechende Ziel zu erreichen. Doch nicht nur Wünsche lösen physische Veränderungen aus ebenso Emotionen oder manchmal auch nur Gedanken oder Erinnerungen: Sie bringen uns zum Schmunzeln oder zum Weinen, lassen uns wütend erscheinen oder reumütig.
Letztlich haben wir unsere Welt nach unseren Gedanken, Vorstellungen und Wünschen konstruiert. Wir produzieren Bücher, Flugzeuge, Städte, Kunst und unendlich viel mehr, was unsere Lebensumwelt und Gesellschaft ausmacht. All dies wäre unmöglich, hätte das Mentale keine kausale Kraft auf das Physische. Unsere mentalen Ereignisse ergeben im Zusammenspiel mit unseren physischen Ereignissen ein komplexes Mosaik aus kausalen Relationen, die wiederum auf komplizierte Art und Weise mit der Welt verwoben sind.
Es gilt herauszufinden, Kraft welcher Mechanismen und Prozesse mentale Ereignisse in der Lage sind, eine kausale Kette physischer Ereignisse in Gang zu setzen. Welche Art von Schnittstelle ermöglicht eine solche Interaktion? Doch es gibt nicht nur eine Frage um das Problem der mentalen Verursachung, sondern drei leicht differierende Probleme, wobei wiederum das letzte am häufigsten Eingang in der Diskussion findet (vgl. Kim, 1998).
a) Anomale mentale Eigenschaften
Aus unserem Alltagserleben und auch aus der naturwissenschaftlichen Forschung wissen wir um die Ursache-Wirkungsbeziehungen der Dinge: Jedes Ereignis hat eine Ursache und ist selbst Ursache für ein weiteres Ereignis. Für diese Beziehungen gibt es nomologische Gesetze, die notwendigerweise Ereignisse miteinander kausal verknüpfen. Wenn wir beobachten, wie mentale Ereignisse physische Ereignisse hervorrufen, dann fragen wir uns unmittelbar, ob es nomologische Gesetze gibt, die mentale mit physischen Phänomenen verbinden. Donald Davidson (vgl. Davidson, 1980)4postuliert, dass es solche Gesetze nicht geben kann. Gibt es nun keine Gesetze, die mentale mit physischen Ereignissen nomologisch verknüpfen, dann gibt es keine kausale Verknüpfung zwischen jenen. Für Davidson sind mentale Ereignisse anomale Ereignisse: Ein mentales Ereignis M ist die Ursache eines Ereignisses P, wobei P mental oder physikalisch sein kann. Es stellt sich hier die Frage, wie anomale Eigenschaften kausale Eigenschaften sein können.
b) Extrinsische mentale Eigenschaften
Man kann extrinsische und intrinsische Eigenschaften eines Systems unterschei- den. Bei einem Rechner bestünden die intrinsischen Eigenschaften des Systems aus den reinen funktionellen Algorithmen, also der Syntax, in der das System programmiert ist. Die extrinsischen Eigenschaften sind dem gegenüber Bedeutung und Inhalt der Funktionen, die das System für uns nützlich machen. Der Rechner funktioniert nun genau so, wie er funktioniert, ohne Inhalt oder Bedeutung kennen zu müssen. Folglich sind die extrinsischen Eigenschaften vom System unabhän- gig, liegen außerhalb der Funktion.
Kim überträgt diesen Gedanken auf die Problematik der mentalen Verursachung:
„So the crux of the problem lies in the supposed fact that mental properties, in par- ticular, content properties (being a belief that P), are relational properties, extrinsic to the organism instantiation then whereas we expect the causative properties of be- haviour to be intrinsic and internal.” (Kim, 1999, S. 37)
Die Idee, dass mentale Eigenschaften extrinsische Eigenschaften (repräsentatio- nale/intentionale Inhalt) sind und lediglich die intrinsischen Eigenschaften wie die Syntax eine kausale Rolle spielen, führt zu folgendem Fragekomplex: Wie können extrinsische, relationale Eigenschaften physisch kausal wirksam sein?
c) Überdeterminiertheit oder kausale Ausgeschlossenheit
Erinnern wir uns an die dritte Prämisse, die uns zum Problem der mentalen Verursachung führte: Der physikalische Raum ist kausal lückenlos abgeschlossen. Menschliches Verhalten ist demzufolge ebenso ein kausal lückenloses physisches Geschehen. Für jedes physische Ereignis gibt es eine physische Ursache: Um das Vorkommen eines physischen Ereignisses zu erklären, brauchen wir nie über den Bereich des Physischen hinauszugehen. Hebe ich meinen Arm, so kann ich dafür eine physische Ursache angeben und wiederum dafür usw., dabei kann ich beliebig kleinteilig werden. An keiner Stelle muss ich den physischen Erklärungs- raum verlassen, um eine mentale Ursache hinzuzuziehen. Mit anderen Worten: Induziert ein mentales Ereignis M ein physisches Ereignis P, so gibt es zu P eine weitere physikalische Ursache P* usw. Was für eine kausale Arbeit bliebe dann noch für M?
Mentale Ursachen drohen sich somit auszuschließen. Wenn wir mentale Ursachen nicht ausschließen wollen, hieße das, es gäbe für einige physische Ursachen zwei Ursachen: eine mentale und eine physische. Warum sollten einige Ereignisse in diesem Sinne überdeterminiert sein? (vgl. Detel, 2007, S. 47ff.) Oder anders gefragt: Wenn jedes physikalische Ereignis eine physikalische Ursache hat, wie ist dann noch eine mentale Ursache möglich?
Der letzte Abschnitt sollte die Vielfalt der Fragen im Problemkreis der mentalen Verursachung aufzeigen. Es gibt in diesem Feld keine singuläre, homogene Frage, auf die alle Philosophen zu antworten versuchen. Das führt immer wieder zu Missverständnissen und sorgt für Verwirrungen, da nicht immer klar ist, auf welche Frage gerade eingegangen wird. Hier soll einzig die Frage verfolgt werden: Wie können mentale Ereignisse eine kausale Ursache für physikalische Ereignisse sein, wenn doch jedes physikalische Ereignis von einem anderen physikalischen Ereignis verursacht ist?
Sieht man sich mit dieser Frage konfrontiert, gibt es verschiedene Antwortmög- lichkeiten. Man kann also eine bestimmte Grundposition wählen und sich vor dem Hintergrund der entsprechenden Annahmen dem Problem nähern. Die naturwis- senschaftlichen Forschungsergebnisse stützen den Trend zur materialistischen Auflösung. Naturwissenschaftliche Positionen sind stark in unser Alltagsdenken integriert und haben das Problem der mentalen Verursachung überhaupt erst hervorgebracht. Mit der Frage, wie mentale Ereignisse in der physischen Geschlossenheit unseres Verhaltens wirksam sein können, unterstellen wir bereits eine naturwissenschaftliche Erklärung der Welt. Es scheint somit nur konsequent die Debatte mit dem Materialismus zu eröffnen.
3 Argumente des Materialismus
Die Leib-Seele-Debatte der letzten Jahrzehnte handelt im Wesentlichen mit den Argumenten des Materialismus. In der großen Palette an Theorien und Argumenten finden sich nicht selten überraschende Ergebnisse von zunächst hoher Unplausibilität, die das Mentale vollkommen eliminieren. Das Fundament aller Theorien als eine Art minimaler Materialismus wird in Kapitel 3.1 dargestellt. Ich werde zeigen, inwiefern sie für die folgenden Theorien notwendig sind und zugleich auf erste Schwierigkeiten dieser Grundannahmen verweisen.
In der materialistischen Argumentation werden mentale Phänomene auf eine bestimmte Art physikalischer Phänomene reduziert und somit die mentale Verursachung zu einer physischen umgedeutet. So gibt es nichts Rätselhaftes mehr, da jedes physische Ereignis ein weiteres physisches Ereignis als Ursache hat. Im Rahmen dieses Vorgehens lassen sich zwei Hauptvarianten identifizieren: Die Identitätstheorie, Ende der 1950er Jahre insbesondere von J.C. Smart (vgl. Smart, 1959) entwickelt, konnte sich lange Zeit erfolgreich in der Diskussion halten, da sie recht elegant erklärt, wie man mentale Phänomene als physische Phänomene verstehen kann (Kap. 3.2.1). In der Folgediskussion trat in den 1960er Jahren eingeführt von Putnam (Putnam, 1960, 1976) und Fodor (Fodor, 1968) eine Variation der Identitätstheorie auf, die ihren Schwerpunkt auf die funktionale Rolle der mentalen Ereignisse legte, um so den Haupteinwänden gegen die „Urtheorie“ zu entkommen (vgl. Kap 3.3).
Alle Versuche, die Varianten der Identitätstheorie zu kippen, waren mehr oder weniger erfolgreich. Doch all jene Philosophen, die dem Materialismus skeptisch gegenüber stehen, bringen eine allgemeine Gruppe von Argumenten in die Diskussion, die sich stark gegen die Grundannahmen des Materialismus richten. Das Zentrum ihrer Argumentation ist das phänomenale Bewusstsein, welches sich grundlegend einer Reduktion auf physische Zustände zu entziehen scheint. Im Kapitel 3.4 werde ich diese Argumente betrachten, um herauszufinden, inwieweit sie eine Gefahr für den Materialismus darstellen.
3.1 Grundannahmen des Materialismus
Hat man sich als Philosoph für das Lager des Materialismus entschieden, so vertritt man eine Reihe von Grundannahmen (vgl. Heckmann, 1998, S. 329): Man argumentiert nicht für eine ontologische Differenzierung von mentalen und physischen Phänomenen. Dabei wird Mentales nicht durch immaterielle, nicht- physische Merkmale gekennzeichnet, denn mentale Phänomene sind natürliche Phänomene und damit physisch. Mentales lasse sich vollständig aus seinen materiellen Bedingungen erklären. Folglich könne es nichts rein Mentales geben. Das heißt: Nichts könne eine mentale Eigenschaft haben, was nicht auch irgendeine physikalische Eigenschaft habe – und somit etwas Physikalisches sei. Nach dem Prinzip der Supervenienz (vgl. Kim, 1999, S. 38 ff.) könne es keinen mentalen Unterschied ohne einen physikalischen Unterschied geben: Jedes mentale Ereignis M hat ein physikalisches Ereignis P als Basis _ kein M ohne P oder keine Veränderung von P ohne Veränderung von M.
Dieses Prinzip entspricht zu weiten Teilen unserer Alltagserfahrung und unserem Wissen aus der Medizin. Nach einem Glas Wodka verändert sich zunächst der Stoffwechsel im Gehirn und wir erleben eine Veränderung in der Wahrnehmung und unserer Stimmung. Wir haben zudem häufig von Menschen gehört, die infolge eines Unfalls Hirnschäden aufwiesen und dadurch vielfältige mentale Ausfallerscheinungen zeigten. Wir wissen, dass Veränderungen im Gehirn Veränderungen unseres mentalen Erlebens nach sich ziehen bzw. überhaupt erst für mentales Erleben verantwortlich sind.
Das Prinzip der Supervenienz kann als minimaler Materialismus betrachtet werden. Es stützt die Idee der mentalen Verursachung, da es eine Kovarianz zwischen mentalen und physikalischen Eigenschaften behauptet. Würden mentale Phänomene vollkommen frei, ohne jede Verbindung zu physischen Phänomenen existieren, ergäbe die Idee der mentalen Verursachung keinen Sinn mehr.
Kim entdeckt hier das Supervenienzdilemma des Materialismus: Wenn die Idee der Supervenienz scheitert, sei die mentale Verursachung sinnlos; wenn die Supervenienz besteht, sei die mentale Verursachung ebenso sinnlos. Demnach sei die mentale Verursachung sinnlos (vgl. Kim, 1999, S. 38 ff.). Warum? Ist die Supervenienz falsch, kann man keine kausale Verbindung zwischen mentalen und physischen Ereignissen annehmen. Mentale Phänomene spielen dann keine kausale Rolle mehr. Verursachen nur physische Ereignisse weitere physische Ereignisse, so schicken wir mentale Phänomene in die kausale Bedeutungslosig- keit5, was unseren Intuitionen stark widerspricht.
Wenn die Supervenienz richtig ist, hieße das, es gebe strikte kausale Verknüpfun- gen zwischen mentalen und physischen Zuständen. Gegeben dieser nomologi- schen Verknüpfungen sind physische Ereignisse damit immer Ursache eines mentalen Ereignisses. Verursacht nun ein mentales Ereignis M ein weiteres mentales Ereignis M*, muss es zu M* auch ein P*, welches M* verursacht hat, da mentale und physische Ereignisse kausal verknüpft sind. Ausgehend von der Geschlossenheit des Physischen folgt aus diesem Umstand, dass M* zwei Ursachen hat: M und P*. Ein Fall von Überdeterminiertheit, der sehr unplausibel anmutet.
Descartes hätte dieses Dilemma freilich amüsiert, doch den Materialisten lässt diese verspätete Rache leicht erblassen, greifen diese Gedanken doch das Fundament des Materialismus an. Für den Materialisten steht außer Frage, zu solchen dualistischen Sichtweisen zurück zukehren. Hier müssen die Unebenhei- ten der einzelnen Ideen geglättet werden: Was sind mentale Phänomene genau und wie sieht ihre Verbindung zu physischen Phänomenen aus? Lassen sich mentale Zustände auf physische Zustände reduzieren?
Die Grundannahmen und die damit verbundenen Schwierigkeiten werden die Betrachtung der beiden Hauptvarianten des Materialismus begleiten. Beim Jonglieren mit den bisherigen Annahmen werden uns dabei immer wieder Schwachstellen auffallen. Ich werde diese zunächst ignorieren und im Abschnitt zu den Einwänden diskutieren.
3.2 Identitätstheorien
Die Identitätstheorie war lange Zeit die vorherrschende Theorie in der Materia- lismus-Debatte, da sie sehr plausibel auf die Frage reagierte, wie mentale Zustände physische Zustände und somit Verhalten hervorrufen, wenn zugleich wahr ist, dass das Verhalten lückenlos physisch verursacht ist. Letztlich wurde die Identitätstheorie vom Funktionalismus abgelöst. Was kommt jetzt: Nach einer Darstellung der grundlegenden Annahmen werden die Einwände gegen den identitätstheoretischen Ansatz zusammengetragen.
3.2.1 Psychophysische Identitätstheorie
Es ist sehr verführerisch, mentale Phänomene mit physischen Phänomenen zu identifizieren: Wir glauben an eine ausnahmslos physische Welt, die kausal geschlossen ist und von der wir und unser Verhalten Teile sind. Wir mögen das Gefühl haben, unser Geist sei vom Körper verschieden, aber für solch einen universellen Kontrast scheint es bei genauer Betrachtung keine vernünftigen Gründe zu geben.
Werden mentale Zustände zu einer bestimmten Art von physischen Zuständen erklärt, dann ist die mentale Verursachung eine physische Verursachung. Sie verliert so ihre Rätselhaftigkeit, da alle Ursachen, die wir mental nennen, zu physische Ursachen werden. Das ist das Vorhaben der Identitätstheorie, die so die erste Prämisse des Trilemmas in Zweifel zieht. Ihre These lautet (vgl. Becker- mann, 2001, S.101):
Mentale Phänomene sind a posteriori mit bestimmten Phänomenen im Gehirn iden- tisch; es sind ein und dieselben Phänomene.
Der Identitätstheorie zufolge sind Geist und Gehirn identisch: Einen Geist zu besitzen, heißt demnach nichts anderes, als ein funktionierendes Gehirn mit entsprechender Struktur und Komplexität zu besitzen. Dabei handelt es sich um eine a posteriori Erkenntnis, da wir die Identität von mentalen und physischen Zuständen durch empirische Forschung erlangen. Die These ist das Ergebnis interdisziplinärer Arbeit im weitesten Sinne. Neurowissenschaftliche Forschung findet hier mit philosophischen Überlegungen zusammen. Die Neurobiologie kann auf die Frage, wo sich im Gehirn der Geist befindet, erst durch die philosophische Interpretation der Forschungsergebnisse mit der der Theorie der Identität von mentalen und physischen Ereignissen antworten.
Die ideale Geist-Gehirn-Korrelations-These lautet nach Bieri:
Für jede mentale Kategorie M gibt es eine physische Kategorie P, so dass in einem Menschen zu einem Zeitpunkt t ein M-Phänomen dann und nur dann auftritt, wenn in ihm ein P-Phänomen zum Zeitpunkt t auftritt, und diese Äquivalenz ist nomolo- gisch (vgl. Bieri, 2007, S. 36).
Motiviert ist dieses Idealmodell durch den Gedanken, dass es prinzipiell möglich scheint, ein vollständiges Wissen vom Gehirn und seinen Funktionen zu erlangen und, dass wir eines Tages diese präzisen gesetzesartigen Korrelationen kennen werden. Faktisch kennen wir nur einen Bruchteil dieser Korrelationen. Die Kausalrelationen des Schmerzes sind bereits recht kleinteilig bekannt. Der Identitätstheorie zufolge sei der Grund, warum ich meine Hand beim Berühren einer heißen Herdplatte zurückziehe, nicht der Schmerz, sondern eine C- Faseraktivierung. Diese bewirke eine blitzschnelle Aktivierung efferenter Nerven, die reflexartig meine Muskeln bewegten. Das klingt nicht abwegig, da ich meine Hand schon lägst zurückgezogen habe, bevor ich überhaupt Schmerz verspüre. Unsere Ontologie wird somit vereinfacht, da die Vielfalt mentaler Phänomene unter Gruppen physischer Phänomene subsumiert wird, es bleibt nur noch eine Klasse von ontologischen Entitäten. Dies ist ein weiterer Vorteil dieser Theorie, da ontologische Sparsamkeit die Verständlichkeit einer Theorie ausmacht.
Was aber ist genau mit Identität gemeint, wenn es heißt, der Geist sei mit dem Gehirn identisch? Strikte Identität hieße absolute Gleichheit eines Gegenstandes, Ereignisses oder einer Eigenschaft mit sich selbst. Doch das ist trivial: Wenn etwas mit sich selbst identisch ist, sagt das nichts aus und zwei Dinge sind offenbar nicht dieselben, auch wenn sie identisch aussehen.
In welchem Sinne können wir dann von einer Identität mentaler und physischer Phänomene sprechen?
Wechseln wir von der Ebene der Gegenstände und Phänomene auf die Ebene unserer Bezugnahme auf sie, ergibt eine Identifizierung einen Sinn. Bei einem semantischen Aufstieg werden die Identitätssätze informativ, denn es kann sehr wohl zwei Weisen der Bezugnahme auf ein und dasselbe Ding (Phänomen) geben. Mentalistische Prädikate und physikalische Prädikate haben demnach eine jeweils verschiedene Bedeutung, die irreduzibel ist, was jedoch nicht ausschließt, dass sie sich auf dasselbe Phänomen beziehen können. Es gibt zwei Intensionen, aber nur ein Referenz; sie sind damit koextensional. Aus einer derartigen Verschiedenheit der Beschreibungen, folgt nicht eine Verschiedenheit der Phänomene: Ein und dasselbe Phänomen vereint nach der Identifizierung zwei verschiedene Beschreibungen auf sich.
[...]
1 Das trifft nicht für alle mentalen Zustände zu. Stimmungen werden ebenfalls zu den mentalen Zuständen gezählt, weisen aber nicht eine derartige Gerichtetheit auf. Sie sind vielmehr diffus und unspezifisch.
2 Peter Bieri, 1993; Ansgar Beckermann, 2001; Jeagwon Kim, 1998; Holm Tetens, 1994; Michael Pauen, 2001; Dieter Teichert, 2006
3 Dies ist keineswegs eine gesicherte Tatsache. Es gibt Behauptungen, wir könnten uns nicht über unsere mentalen Zustände täuschen und es verhalte sich mit z. B. Emotionen wie mit dem Schmerz: Wenn ich eine Emotion wie Angst verspüre, dann habe ich diese auch, selbst wenn ich in der Retrospektive der Überzeugung bin, es handelte sich lediglich um Aufregung. ( z.B. Pauen, 2001)
4 Davidsons Argument soll nicht im Einzelnen rekonstruiert werden, da hier nur die unterschiedli- chen Fragen um die mentale Verursachung von Interesse sind.
5 Die Theorie des Epiphänomenalismus umgeht die Probleme der mentalen Verursachung, indem sie mentalen Phänomenen jegliche kausale Rolle abspricht. Es gibt demnach nur physische Phänomene, die in der Lage seien, andere physische Phänomene zu verursachen. Als Nebenwirkung dieser Verursachung entstehen mentale Zustände. Sie haben selbst keinerlei kausale Kraft und stehen/laufen wie Schatten neben unseren körperlichen Ereignissen.
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- M.A. phil. Susanne Müller (Author), 2008, Mentale Verursachung. Positionen im 21. Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117068
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