Gleichsam ob Henry James’ Novelle The Turn of the Screw aus einer biographischen, psychoanalytischen, theologischen, politischen oder einer homoerotischen Perspektive analysiert wird, die Tatsache, dass es sich um eine fiktive Geschichte handelt, sollte in keiner der Interpretationen unterbewertet werden. Die Schwierigkeit, Henry James Geistergeschichte nicht eindeutig lesen und bewerten zu können, macht sie besonders reizvoll und einzigartig. Ein Aspekt, unter dem man sich Henry James’ The Turn of the Screw nähern kann, ist verbunden mit der Frage, ob die Gouvernante einen gefallenen Engel oder eine neurotische Mörderin verkörpert. Die Beantwortung dieser Frage ist abhängig von der Einstellung, inwiefern die Geistererscheinungen für die Gouvernante Realität oder Imagination sind.
Henry James selbst sah The Turn of the Screw als 'a piece of ingenuity pure and simple' und 'an irresponsible little fiction', 'a work of cold artistic calculation'1. In diesem Zusammenhang ist zu hinterfragen, ob 'gestörte' Sexualität, wie sie Edmund Wilson in seinem Essay “The Ambiguity of Henry James”2 verwendet, tatsächlich als Erklärungsmodell für die Geistergestalten und die Schuld der Gouvernante dienen kann. Der Versuch, das Verhalten der Gouvernante mit wissenschaftlicher Methode bis in das kleinste Detail zu analysieren, sich daraufhin nicht nur ein Urteil über ihren Geisteszustand-, sondern Ableitungen über ihre unterdrückte Sexualität zu machen, scheint in den von Sigmund Freuds Psychoanalyse inspirierten Interpretationen übertieben.
Bei meiner Gegenüberstellung der psychoanalytischen Perspektive Stanley Renners (basierend auf Wilsons These) und der religiösen Betrachtungsweise Dorothea Krooks3 (basierend auf Robert Bechthold Heilman) nehme ich James’ Äußerung über die Simplizität der Geschichte als Ausgangspunkt und bin überzeugt, dass für die Gouvernante die Geister tatsächlich existent sind. Aus ihrem Glauben heraus, sieht sich die Gouvernante in der Rolle des gutmütigen Engels. Tatsächlich ist sie jedoch nur ein Mensch und in ihrem Übereifer selbst anfällig für das Böse, im Versuch die ihrer Ansicht nach manipulierten Kinder vor ihrem „Schicksal“ der Verdammung zu bewahren.
[...]
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Zur Realität in der Fiktion
3 Versuch einer religiösen und psychoanalytischen Interpretation
3.1 The Turn of the Screw als Gleichnis?
3.2 Pro und Kontra einer psychoanalytischen Annäherung
4 Abschlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Gleichsam ob Henry James’ Novelle The Turn of the Screw aus einer biographischen, psychoanalytischen, theologischen, politischen oder einer homoerotischen Perspektive analysiert wird, die Tatsache, dass es sich um eine fiktive Geschichte handelt, sollte in keiner der Interpretationen unterbewertet werden. Die Schwierigkeit, Henry James Geistergeschichte nicht eindeutig lesen und bewerten zu können, macht sie besonders reizvoll und einzigartig. Ein Aspekt, unter dem man sich Henry James’ The Turn of the Screw nähern kann, ist verbunden mit der Frage, ob die Gouvernante einen gefallenen Engel oder eine neurotische Mörderin verkörpert. Die Beantwortung dieser Frage ist abhängig von der Einstellung, inwiefern die Geistererscheinungen für die Gouvernante Realität oder Imagination sind.
Henry James selbst sah The Turn of the Screw als 'a piece of ingenuity pure and simple' und 'an irresponsible little fiction', 'a work of cold artistic calculation'1. In diesem Zusammenhang ist zu hinterfragen, ob 'gestörte' Sexualität, wie sie Edmund Wilson in seinem Essay “The Ambiguity of Henry James”2 verwendet, tatsächlich als Erklärungsmodell für die Geistergestalten und die Schuld der Gouvernante dienen kann. Der Versuch, das Verhalten der Gouvernante mit wissenschaftlicher Methode bis in das kleinste Detail zu analysieren, sich daraufhin nicht nur ein Urteil über ihren Geisteszustand-, sondern Ableitungen über ihre unterdrückte Sexualität zu machen, scheint in den von Sigmund Freuds Psychoanalyse inspirierten Interpretationen übertrieben.
Bei meiner Gegenüberstellung der psychoanalytischen Perspektive Stanley Renners (basierend auf Wilsons These) und der religiösen Betrachtungsweise Dorothea Krooks3 (basierend auf Robert Bechthold Heilman) nehme ich James’ Äußerung über die Simplizität der Geschichte als Ausgangspunkt und bin überzeugt, dass für die Gouvernante die Geister tatsächlich existent sind. Aus ihrem Glauben heraus, sieht sich die Gouvernante in der Rolle des gutmütigen Engels. Tatsächlich ist sie jedoch nur ein Mensch und in ihrem Übereifer selbst anfällig für das Böse, im Versuch die ihrer Ansicht nach manipulierten Kinder vor ihrem „Schicksal“ der Verdammung zu bewahren.4
2 Zur Realität in der Fiktion
Henry James’ 'work of cold artistic calculation' beginnt mit einer Manipulation des Lesers im positiven Sinne. Die Zuhörer und der Leser sollen in der Mantelgeschichte (Prolog) von der Gutmütigkeit der Protagonistin (und gleichzeitig Antagonistin, was sich erst zum Schluss der Geschichte herausstellt) überzeugt werden. Als Beleg dient Douglas' positive Vorstellung der Gouvernante für die Zuhörer, die von dort an der Geschichte folgen:
She was the most charming person, but she was ten years younger than I. She was my sister's governess, he quietly said. She was the most agreeable woman I've ever known in her position, she would have been worthy of any whatever.5
Hier wird der Grundstein für James’ eigentliche Moral von The Turn of the Screw und dessen mögliche Funktion als Gleichnis gelegt. Mit seiner Geschichte lässt Douglas die zur Prologzeit verstorbene Gouvernante ähnlich der Erscheinungen der Geister Peter Quint und Miss Jessel zur „Terrorisierung“ der Lebenden in die Realität (der Rahmengeschichte) zurückkehren. Diese Parallele zwischen den toten Hausdienern in der Kerngeschichte und der Gouvernante wird spätestens mit dem Tod Miles’ deutlich, die Boshaftigkeit aller Hausdiener kommt zum Vorschein.
Die Gouvernante dominiert somit von Beginn an, nicht nur die hilflosen Kinder Miles und Flora, sondern auch die fiktiven Zuhörer und den Leser. Setzt man eine starke Religiosität durch die Erziehung im ländlichen Elternhaus voraus und reflektiert über die Tatsache, dass fiktive Geistergestalten innerhalb einer Geschichte durchaus real sein können, würde die Kombination aus übertriebener
Religiosität und realen Geistergestalten das Verhalten der Gouvernante in der Geschichte erklären. Aus welchem Grund würde die Gouvernante so beharrlich an ihre Begegnungen mit den Geistern glauben, wenn sie ihr nicht wahrhaftig erschienen sind?
3 Versuch einer religiösen und psychoanalytischen Interpretation
3.1 The Turn of the Screwals Gleichnis?
Hinweise, die eine religiöse Sichtweise der Gouvernante und die fromme Annäherung an die Geschichte unterstützen, sind laut Robert Bechthold Heilman und Dorothea Krook die Ähnlichkeit des Anwesens „Bly“ mit dem Garten Eden, sowie die der Kinder mit Adam und Eva, als auch die Versuchung, verkörpert durch die Geister der verstorbenen Hausdiener. Weiterhin auffällig ist der omnipräsente Gedanke der Erlösung und Rettung der Kinder vor der Verdammung im Bewusstsein der Gouvernante:
For Heilman the children are symbolic representations of Adam and Eve, Bly is the Garden of Eden, Quint the devil.6 […] In that climate there is so strong a suspicion of the elements that are central in The Turn of the Screw
- salvation, the supernatural, evil as an absolute […].7
Als der Gouvernante bei ihrer Ankunft im Garten Eden blindes Vertrauen in die Fürsorge der Kinder entgegengebracht wird, beginnt sie sich in das religiöse Muster einzufügen und sieht sich in der Rolle des Engels:
Henry James particulary loved and always chose as his 'vessels of consciousness' his vessels equally of salvation and damnation; and it is because the governess in The Turn of the Screw is one of these Jamesian angels of light … 8
Die Gouvernante wird durch das Erscheinen der Geister von Peter Quint und Miss Jessel in ihrer ambivalenten Sicht von Gut und Böse und ihrem religiösen Weltbild unterstützt. Die Kinder Miles und Flora, scheinbar nicht selbst mit den Geistern konfrontiert, werden durch die Handlungen der Gouvernante verunsichert. In ihrer Verwirrung antworten und reagieren sie dementsprechend und bieten der Gouvernante verstärkten Anlass zum Zweifel.
[...]
1 Leon Edel zitiert Henry James in seinem Buch Herny James: A Life (New York: Harper & Row, 1985) 466.
2 Edmund Wilson „The Ambiguity of Henry James“, The Triple Thinkers; Ten Essays on Literature by Edmund Wilson (New York: Harcourt, Brace, 1938).
3 Dorothea Krook The Ordeal of Consciouness in Henry James (London: Cambridge University Press, 1962).
4 Trotz der zahllosen Interpretationen und Kritiken zu Henry James’ Intention von The Turn of the Screw möchte ich mit meiner Gegenüberstellung der psychoanalytischen und religiösen Positionen der Kritiker Stanley Renner, Robert Bechthold Heilman, Dorothea Krook und Edmund Wilson die Möglichkeit einer dualen Lesart betonen, die im Einklang mit Henry James’ eigenen Aussagen zur Simplizität der Geistergeschichte steht.
5 Henry James The Turn of the Screw, 1898, A Large Print (Thorndike, Maine: G.K. Hall & Co, 1995) 9- 10.
6 Als Quelle dient hier Peter G. Beidlers' Paraphrase aus Robert Bechthold Heilmans' „The Freudian Reading of the Turn of the Screw“ Modern Language Notes, Vol. LXII (Nov. 1947) in 'A Critical History of the Turn of the Screw'The Turn of the Screw (Boston: Bedford Books of St.Martin's Press, 1995) 131.
7 Krook, 106.
8 Krook, 127.
- Quote paper
- Bert Bobock (Author), 2000, Die Gouvernante in Henry James’ "The Turn of the Screw": Gefallener Engel oder neurotische Mörderin? , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116929
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