In dieser Literaturarbeit werden strukturelle Faktoren analysiert, die zum starken Rückgang buddhistischer Mönche und Laienanhänger buddhistischer Tempel in Japan seit der Edo-Zeit um 1600 bis heute führten. Der Begriff Tempel-Buddhismus wurde von Stephen G. Covell, einem Japanologen und Professoren für komparative Religionswissenschaften, geprägt. Sein Ziel war es, den etablierten, traditionellen Buddhismus, der insbesondere in Tempeln lebende Mönche und Priester einbezieht, zu benennen und von neueren, dezentralen Strömungen abzugrenzen. Diese Analyse bietet keine Aufarbeitung der Geschichte des Buddhismus in Japan und geht nicht auf einzelne Sekten, Gruppierungen oder deren Lehren ein. Tempel-Buddhismus bezieht sich auf alle Sekten, die diese traditionelle Lebensart beibehalten haben.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Das danka -System – Tempelökonomie im Wandel
2 Tempel-Buddhismus während der Meiji-Zeit
3 Der Begriff shūkyō (宗教 „religiöse Lehre“)
4 Tempel-Buddhismus im Nachkriegsjapan – Faktoren der Regression
5 Fazit
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Religiöse Gruppierungen und ihre Anhängerschaft von 1949-2015 in Japan, JGSS Research Center (Iwai, 2017: 4)
Abbildung 2 Vertrauensfrage bez. religiösen Organisationen in Japan, JGSS Research Center (Iwai, 2017: 16)
Abbildung 3 Im Manga-Stil adaptierte Figur der Gottheit „Toro Benzaiten“ im buddhistischen Ryōhōji moe -Tempel in Hachiōji, Tōkyō (Hachiōji Keizai, 2010)
Gender-Erklärung
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Hausarbeit die Sprachform des generischen Maskulinums angewandt. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll.
Einleitung
In dieser Literaturarbeit werden strukturelle Faktoren analysiert, die zum starken Rückgang buddhistischer Mönche und Laienanhänger buddhistischer Tempel in Japan seit der Edo-Zeit um 1600 bis heute führten. Der Begriff Tempel-Buddhismus wurde von Stephen G. Covell, einem Japanologen und Professoren für komparative Religionswissenschaften, geprägt. Sein Ziel war es den etablierten, traditionellen Buddhismus, der insbesondere in Tempeln lebende Mönche und Priester einbezieht, zu benennen und von neueren, dezentralen Strömungen abzugrenzen. Diese Analyse bietet keine Aufarbeitung der Geschichte des Buddhismus in Japan und geht nicht auf einzelne Sekten, Gruppierungen oder deren Lehren ein. Tempel-Buddhismus bezieht sich auf alle Sekten, die diese traditionelle Lebensart beibehalten haben.
Die Forschungsfrage entstand beim Recherchieren nach Hintergrundinformationen zu einem Zeitungsartikel aus dem Jahr 2015 (McCurry), der auf den jährlich drastisch zunehmenden Tempelleerstand in Japan verweist. Auf den Begriff bukkyōbanare beziehen sich, laut dem Japanologen und Religionswissenschaftler Ian Reader (2004: 16), Forscher und Angehörige buddhistischer Institutionen um einen generellen Trend der letzten Jahrzehnte zu beschreiben. Neben Reader befassen sich noch diverse andere Religionsforscher mit dieser hochaktuellen Thematik, so dass ein breites Spektrum an Literatur herangezogen werden konnte. Im Rahmen einer Untersuchung für eine größere Arbeit, die der Frage nachgehen wird, welche Anpassungsstrategien der Tempel-Buddhismus gegenwärtig entwickelt um sich seinem Verfall zu stellen, erforscht diese Literaturanalyse den Hergang der jetzigen Situation. Im größeren Kontext kann das Phänomen einer Abkehr der japanischen Gesellschaft von buddhistischen Traditionen beobachtet werden. Dies betrifft nicht nur den Buddhismus. Forschungsinstitute wie das Japanese General Social Survey Center (JGSS) veröffentlichten Studien, die einen stetigen, generellen Vertrauensverlust in religiöse Organisationen in der Allgemein-bevölkerung darlegen (Abb. 2, S. 10). Forscher wie Ian Reader verweisen energisch auf Säkularisierungsprozesse, die durch sozialen Wandel und die Modernisierung in Gang gebracht wurde und obwohl diese Theorie in Japan auch ihre Gegner hat, so zeigen doch offizielle Statistiken, die unter anderem von der Regierung seit 1954 in regelmäßigen Abständen erhoben werden, dass besonders seit den 1970er Jahren bis 2010 ein Rückgang von mehr als 20.000 registrierten buddhistischen Tempeln zu verzeichnen war (Murai 2010: 46). Gegenstand der Untersuchungen sind Umstände, die neben offensichtlichen Prozessen wie demographischem Wandel und Modernisierung zu dieser Entwicklung führten. Die Arbeit ist weitestgehend chronologisch aufgebaut, die Kapitel bauen inhaltlich aufeinander auf.
1 Das danka -System – Tempelökonomie im Wandel
Um genauer auf die Grundlagen der totalen Institution (Goffman, 1973: 18) „Tempel“ einzugehen, werden im folgenden Kapitel das ökonomische Rückgrat, das sogenannte Haushalts-Spenden-System ( danka seido 檀家制度) oder auch danka -System und dessen wichtigste Veränderungen seit der Edo-Zeit beleuchtet.
“ Danka is etymologically related to the Sanskrit term dana, meaning patron or supporter, and is usually translated into English as 'a supporter of a temple'. […] Danka may also be translated as 'a parishioner household of a temple'.” (Marcure, 1985: 39)
Als finanzielle Grundlage und Beginn des eigentlichen Tempel-Buddhismus spielt dieses System bis heute eine entscheidende Rolle.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts rief die damalige Regierung ( bakufu 幕府) zur landesweiten Hetze gegen Christen auf. Um die erfolgreiche Abwendung der Christen von ihrem Glauben zu überprüfen, waren diese dazu angehalten, sich bei einem buddhistischen Tempel in der Nähe registrieren zu lassen und dort regelmäßig an Glaubensbekundungen wie Riten und buddhistischen Zeremonien teilzunehmen. Zudem mussten sie höhere Abgaben an die Tempel bezahlen, als die restliche Bevölkerung. Schon bald erkannte das bakufu die Vorteile einer generellen Bürgerregistrierung. Wie Marcure (1985: 42) beschreibt, gelang es dem Tokugawa-Regime mit der Institutionalisierung des danka- Systems auf nationaler Ebene in eindrucksvoller Weise die Kontrolle über religiöse Körperschaften sowie private Haushalte zu gewinnen. Im nächsten Schritt wurde die allgemeine Registrierung jedes Haushaltes in Japan bei einem lokalen Tempel verpflichtend. Im Wesentlichen erfüllten die Mönche also wichtige Überwachungsfunktionen für den Staat, indem sie Mitgliedschaften im Auftrag des Tempelamtes ( jisha bugyō 寺社奉行) in den lokalen Territorien festhielten. Somit trug der buddhistische Klerus die doppelte Verantwortung, sowohl religiöse als auch bürokratische Aufgaben zu erfüllen (Marcure, 1985: 45). Ab 1671 waren Mönchsbeamte verpflichtet, zusätzliche Statistiken über Geburten, Eheschließungen, Adoptionen, Sterbefälle, Wohnsitz- und Berufswechsel zu führen. Um 1688 wurden die bisher nur für „(um)gefallene Christen“ ( korobi kirishitan 転びキリシタン) geltenden Anforderungen zu Glaubensbekenntnissen in Form von Teilnahmen an Ritualen und Spenden auf alle Haushalte erweitert, die bei einem Tempel registriert waren. Somit war der Grundstein des danka -Mitgliedschaftssystems gelegt.
“The danka membership-system, in turn, came to dominate the ritual, social, and economic life of Japanese Buddhism. Indeed, this near total domination is one reason to speak of “Temple” Buddhism rather than of “traditional” or “established” Buddhism.” (Covell, 2005: 24)
Wer sich nicht an die regelmäßigen Spenden und Ritualteilnahmen hielt, riskierte aus dem Register gestrichen zu werden, was zu schweren Strafen bis zur Hinrichtung führen konnte. Des Weiteren verpflichtete das 1700 eingeführte danka- Regelwerk die Bürger dazu, alle anfallenden Trauerfeiern, Beerdigungen und sonstigen spirituellen Dienstleistungen bei ihrem lokalen Tempel in Anspruch zu nehmen.
Viele Tempel galten als lebendige Orte der sozialen Zusammenkunft. Tempelschulen, Apotheken, Pilgerstätten und Marktplätze florierten. Tempel in ländlicheren Gegenden waren weitestgehend auf die Erträge ihrer eigenen Landwirtschaft und dem Besitz von an Bauern verpachtete Ländereien ausgerichtet, die sie besteuern durften ohne wiederum selbst an den Staat Steuern abgeben zu müssen. Die Kassen der Tempel füllten sich, doch durch die Entwicklung hin zu einem administrativen Organ litten die Beziehungen zwischen Volk und Klerus. Weniger aus spiritueller Hingabe sondern vermehrt aus Pflichtbewusstsein und Formalien wurden die Tempel aufgesucht. Der Unmut wuchs, es kam vereinzelt zu Aufständen gegen die zunehmende Macht der Priester.
In Folge der im nächsten Kapitel eingehender beschriebenen drastischen Methoden der Meiji-Regierung gegen Ende des 19. Jh. wurden, im Entstehungsprozess des japanischen Nationalstaats, die Tempel strategisch in ihren Einkommensmöglichkeiten beschränkt. Durch diese Maßnahmen mussten enorme Flächen Land kompensationslos an den Staat übertreten werden, was besonders die ruralen Tempel schwer traf. Auch wurde die Führung des Personenregisters im Rahmen der groß angelegten Zivilrechtsreform nach dem Familienregistrierungsgesetz ( koseki-hō 戸籍法) dem Justizministerium unterstellt. Obwohl die Gesetze bezüglich des danka -Systems bereits in den ersten Jahren der neuen Regierung abgeschafft wurden, existierte es weiterhin als freiwillige Einheit (Tamura; 1972: 51) bis zur Besatzung durch die Amerikaner nach der Niederlage und Kapitulation Japans 1945.
Die 1947 in der neuen Verfassung ( Nihon-koku kempō 日本国憲法) festgeschriebene Glaubensfreiheit und die Herausbildung neuer Religionen stellten buddhistische Sekten und Tempel auf die Probe. Beinahe führten die sozialen und rechtlichen Veränderungen der Nachkriegszeit zum endgültigen Untergang des danka -Systems.
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- Quote paper
- Lea Kloepel (Author), 2021, Wie kam es in Japan zum Phänomen des Bukkyōbanare und zum Leerstand tausender Tempel?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1168405
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