Lou Andreas-Salomé (* 12. Februar 1861 in Petersburg, † 5. Februar 1937 in Göttingen) war eine deutsche Schriftstellerin, Erzählerin und Essayistin. Auszug: Man mag das Problem des Erotischen anfassen wo man will, stets behält man die Empfindung, es höchst einseitig getan zu haben. Am allermeisten aber wohl dann, wenn es mit Mitteln der Logik versucht wurde: also von seiner Außenseite her. Bedeutet das an sich ja schon: so lange und so viel unmittelbare Lebendigkeit der Eindrücke abziehn, bis man sich in bequemster Übereinstimmung mit einer möglichst großen Gesellschaft befindet. Oder anders ausgedrückt: die Dinge genügend unsubjektiv, genügend fremd von uns selber vorstellen, um anstatt der Ganzheit, Unzerstücktheit einer Lebensäußerung, ein auseinanderlegliches Stückwerk zu erlangen, das sich eben hierdurch im Wort fest fixieren, praktisch sicher handhaben, einseitig-total überblicken läßt. Nun muß aber diese nämliche Darstellungsmethode, diese notgedrungen alles verstofflichende, entseelende, auch auf das angewandt werden, was uns im nähern nur subjektiv bekannt, nur individuell zu erleben möglich ist, was wir deshalb gewöhnt sind als die „geistigen“ oder „seelischen“ Eindrücke von den Dingen zu bezeichnen, d. h. einfach: die Eindrücke sofern und soweit sie sich grade ihr prinzipiell entziehen. Um der Übereinstimmung willen, die dabei erzielt werden soll, können wir auch solchen andersartigen Wirkungen [6] immer nur wieder auf Grund dieser einen Wirkung erklärend beikommen, während alles Sonstige, was von ihnen ausgesagt werden könnte, nur gelten darf als Ergänzung im schildernden Sinn, – die, wie sie sich der logischen Übereinstimmbarkeit im übrigen auch anpasse, doch selbst mit deren formaler Hilfe nur mehr oder weniger subjektiv überzeugen kann. Für das Problem des Erotischen aber ist diese widerspruchsvolle Halbheit, Halbierung, noch besonders typisch insofern, als es selber schon am unbestimmbarsten zwischen leiblich und geistig zu schwanken scheint. Doch nicht durch eine Verwischung oder Vermischung der verschiedenen Methoden miteinander mildert sich dieser Widerspruch, im Gegenteil nur durch ihr immer schärferes Herausarbeiten, immer strengeres Handhaben; man könnte sagen: dadurch, daß wir etwas in immer zuverlässigerer Beschränkung, als Stück und Stoff, ganz in die Hand bekommen, bestätigt und bewahrheitet sich uns erst ganz der darüber hinausreichende Umfang unserer selbst.
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG
BASIS
THEMA
DER SEXUELLE VORGANG
DAS EROTISCHE WAHNGEBILDE
EROTIK UND KUNST
IDEALISATION
EROTIK UND RELIGION
EROTISCH UND SOZIAL
MUTTERSCHAFT
MÄNNLICH UND WEIBLICH
WERTMASSE UND GRENZEN
LEBENSBUND
SCHLUSS
EINLEITUNG
Man mag das Problem des Erotischen anfassen wo man will, stets behält man die Empfindung, es höchst einseitig getan zu haben. Am allermeisten aber wohl dann, wenn es mit Mitteln der Logik versucht wurde: also von seiner Außenseite her.
Bedeutet das an sich ja schon: so lange und so viel unmittelbare Lebendigkeit der Eindrücke abziehn, bis man sich in bequemster Übereinstimmung mit einer möglichst großen Gesellschaft befindet. Oder anders ausgedrückt: die Dinge genügend unsubjektiv, genügend fremd von uns selber vorstellen, um anstatt der Ganzheit, Unzerstücktheit einer Lebensäußerung, ein auseinanderlegliches Stückwerk zu erlangen, das sich eben hierdurch im Wort fest fixieren, praktisch sicher handhaben, einseitig-total überblicken läßt.
Nun muß aber diese nämliche Darstellungsmethode, diese notgedrungen alles verstofflichende, entseelende, auch auf das angewandt werden, was uns im nähern nur subjektiv bekannt, nur individuell zu erleben möglich ist, was wir deshalb gewöhnt sind als die „geistigen“ oder „seelischen“ Eindrücke von den Dingen zu bezeichnen, d. h. einfach: die Eindrücke sofern und soweit sie sich grade ihr prinzipiell entziehen. Um der Übereinstimmung willen, die dabei erzielt werden soll, können wir auch solchen andersartigen Wirkungen immer nur wieder auf Grund dieser einen Wirkung erklärend beikommen, während alles Sonstige, was von ihnen ausgesagt werden könnte, nur gelten darf als Ergänzung im schildernden Sinn, – die, wie sie sich der logischen Übereinstimmbarkeit im übrigen auch anpasse, doch selbst mit deren formaler Hilfe nur mehr oder weniger subjektiv überzeugen kann.
Für das Problem des Erotischen aber ist diese widerspruchsvolle Halbheit, Halbierung, noch besonders typisch insofern, als es selber schon am unbestimmbarsten zwischen leiblich und geistig zu schwanken scheint.
Doch nicht durch eine Verwischung oder Vermischung der verschiedenen Methoden miteinander mildert sich dieser Widerspruch, im Gegenteil nur durch ihr immer schärferes Herausarbeiten, immer strengeres Handhaben; man könnte sagen: dadurch, daß wir etwas in immer zuverlässigerer Beschränkung, als Stück und Stoff, ganz in die Hand bekommen, bestätigt und bewahrheitet sich uns erst ganz der darüber hinausreichende Umfang unserer selbst. Wir überschauen damit nicht nur die Einseitigkeit des betrachteten Dinges, sondern auch die der Methode: den Weg nach zwei Seiten gleichsam, auf dem allein sich uns Leben erschließt, und den nur eine Augentäuschung für uns in einen Punkt zusammenrückte. Denn je weiter wir in etwas eingehn, nur um desto tiefer tut es sich uns auf nach beiden Richtungen, so, wie die Horizontlinie immer höher auffliegt mit jedem Schritt an sie heran.
Ein Stück Weges noch weiter aber, beginnt die exakte Betrachtungsweise der Dinge sich selbst als einseitig zu betrachten. Überall da nämlich, wo das eigene Material sich ihr über Sinne und Verstand hinaus ins Unkontrollierbare entzieht, während sie es doch auch noch da als existent in ihrem Sinn feststellen, oder sogar noch praktisch einschätzen kann. Von jenseits der kurzen Kontrollstrecke, die unsrer Beaufsichtigung allein zugänglich ist, ergibt sich für das innerhalb ihrer gelegene ein veränderter Maßstab hinsichtlich „Wahrheit“ und „Wirklichkeit“. Auch das am stofflichsten Greifbare, auch das logisch Begreifbarste wird, daran gemessen, zu einer menschlich sanktionierten Konvention, zu einem Wegweiser für praktische Orientierungszwecke, – darüber hinaus sich verflüchtigend in den gleichen bloßen Symbolwert, wie das von uns als „geistig“ oder „seelisch“ Erfaßte. Und an beiden Enden unsres Weges erhebt sich damit so unübertretbar das Gebot: „Du sollst dir ein Bild und ein Gleichnis machen!“ daß auch das Sinnbildhafte, nur in Zeichen und Vergleichen Beredte, worauf alle Geistesschilderung angewiesen bleibt, sich mit aufgenommen sieht in den Grundwert menschlicher Erkenntnisweise. Wie in jenem Horizontstrich, von Schritt zu Schritt vor uns zurückweichend, schließt sich dennoch auch immer wieder „Himmel und Erde“ für uns zusammen zu einem Bilde: die uranfängliche Augentäuschung, – und zugleich das letzte Symbol.
BASIS
Solche letzte Gleichbewertung, weit entfernt, den Außencharakter der Dinge zu unterschätzen, betont ihn vielmehr noch einmal neu in seiner Unabhängigkeit zwischen den ihm sonst zukommenden Ergänzungen. Sie erst lehrt ganz die vorurteilslose Einsicht in alle Verhältnisse des „Stofflichsten“, des Leiblichsten noch, – die sachliche Ehrfurcht ihnen gegenüber. Ehrfurcht in einer Bedeutung, für die wir immer noch längst nicht einfach und hingebend genug geworden sind: ohne alle Seitenblicke auf ethische, ästhetische, religiöse oder sonstige Nebenbedeutungen, – allein gerichtet auf den Sinn des Physischen selbst. Auf ihn gerichtet als auf die für uns anschaulich gewordene Seite unausdenkbar langer Erfahrungen, gleichsam Auskundschaftungen im Bereich des für uns Daseienden, die überall noch davon ablesbar ist, wie an Kampfesnarben oder Siegeszeichen. Als ob an solchem uralt, praktisch urweise Gewordenen, das unserer Prüfung ganz anders als das Geistige standhält, stillhält, die Lebensbewegung uns zu erstarren scheine zu festeren Zügen und Formen, so daß unser Intellekt selbst, dieser zuspätest Nachgeborene in der Welt des Physischen, als ein kleines, zartes und noch törichtes Knäblein mit tastenden Fingern an ihm herumklettern darf wie auf Urahns Schoß.
In bezug auf die Basis des Erotischen, die Geschlechtlichkeit, bedeutet dies deren immer eingehendere Feststellung im physiologischen Sinn. Die Sexualität als eine Form der Notdurft gleich Hunger, Durst oder sonstigen Äußerungen unsres Körperlebens, wird auch für die Einsicht in ihr weiteres Wesen und Wirken erst zugänglich auf solcher Grundlage. Und wie über unsre Nahrungs- oder andern Leibesbedürfnisse nur sorgsame Einzelerforschung und Tatsachenprüfung orientieren kann, so hat auch hier keine andre Richtschnur Gültigkeit als nur die eine, die wir auf ethischem Gebiet gern als die höchste zu feiern pflegen: der das Kleinste, Geringste, am niedrigsten Befundene, um nichts weniger beachtenswürdig erscheint als das mit allen menschlichen Würden Ausgestattete.
Ausschlaggebend dafür erscheint die, durch keinerlei unsachliche Rücksichten voreingenommene Abschätzung überhaupt, der sexuellen Betätigung wie Abstinenz. Wenn sie nach manchen Seiten immer noch unter die offenen Fragen gehört, so mag es unter anderm damit zusammenhängen, daß uns über die innern Sekretionen der Blutdrüsen sowie deren Verwandtschaft untereinander (die möglicherweise stellvertretender wirken kann als wir wissen) nicht im entferntesten so Genaues bekannt ist wie über die geschlechtlichen Außensekretionen; so daß wir nicht wirklich übersehn können, welchen Einflüssen von ihnen her wir unterstellt sein mögen auch da, wo die sexuelle Betätigung nach außen fortfällt (wie, im üblichsten Beispiel, bei Entfernung nur von Mutter oder Glied, nicht auch von Eierstöcken und Hodensäcken, die sekundären Geschlechtscharaktere nicht beeinflußt werden). Denkbar bliebe es ja, daß von diesem oder jenem andern ähnlichen Punkt aus, sich für die sexuelle Enthaltsamkeit einmal Schlüsse ergeben, die sie nicht bloß gesundheitlich statthaft, sondern wertvoll, – im Sinne des kraftsteigernden, weil kraftresorbierenden und – umsetzenden Wertes, – erscheinen lassen. Und viele Frauen werden es dann sein, die mit einem heimlichen Lächeln fühlen werden, daß sie davon längst etwas wußten, – sie, in denen die zwingende sexuelle Zucht aller christlichen Jahrhunderte, in manchen Schichten wenigstens, zu einer natürlichen Unabhängigkeit gegenüber der nackten Notdurft des Triebhaften geworden ist, – sie, die es sich heute deshalb noch dreimal, nein: zehntausendmal überlegen sollten, ehe sie eine ihnen persönlich schon fast mühelos in den Schoß fallende Frucht langen, harten Kulturringens, sich wieder entgleiten lassen für modernere Liebesfreiheit, denn sehr viel wenigere Generationen genügen zur Beraubung als zur Erwerbung.
Jedoch ganz gleicher weise unbefangen gilt es sich zu den andern Möglichkeiten zu stellen, die vor zu sorgloser Hintenansetzung des Geschlechtlichen warnen können. Zu den Fällen, die den Geschlechtsreiz erkennen lassen als den naturgemäßen Ersatz für die ungeheuren Stimulantien, über die der wachsende kindliche Körper durch die ihm noch so neuen starken Außenreize im gesamten übrigen Sinnenleben verfügte. Zu den Fällen, die von jungen krankenden Menschen erzählen, denen das Erleben des Sexuellen, sogar ohne jeden eignen Antrieb dazu, zur Genesung wurde, oder von anämischen Mädchen, die selbst in unbegehrter Ehe aufblühten, und erstarkten unter dem Einflusse des veränderten Gewebstonus und Stoffwechsels. Zu allen Fällen, wo die Gefahr evident wird, daß die innerste Lebenskraft zwischen Jugend und Alter durch ihre Aufstauung nicht wirksam würde zu fruchtbaren Umsetzungen, sondern, Leben hemmend und aufhaltend, sich zu einer Art von Giftwirkung konzentrierte. Und lassen sich selbst solchen Anzeichen auch andersgeartete gegenüberstellen, so muß man doch dran festhalten, wie oft die leibliche Hemmung den Menschen an seiner geistigen Leistungsfähigkeit, ja an seinem individuellsten Menschenwert Einbußen erleiden läßt.
Aus diesen Gründen muß jegliches, was zur nüchternsten Prüfung solcher Fragen beitragen kann, willkommen sein, und muß sie behandeln können als ein Problem ganz für sich, ohne sich dabei dreinreden zu lassen, sei es von einem Vorwegidealisieren der leiblichen Notstände, wie es manchmal als modernisiertes „Griechentum“ auf den Plan tritt, sei es von Ansprüchen der Erotik im engern Sinne. Denn auch dies ist zu betonen, wie wenig das heutige Streben nach Verfeinerung und Individualisierung der Liebesgefühle derartige Fragen durch sich selbst lösen kann. Darum bleibt es doch nicht minder anerkennenswert, und jede reine Kraft, die es fördern hilft, ein hoher Gewinn. Allein das steigend Subtile der Liebeswahl steigert zunächst natürlich nur noch die Schwierigkeiten ihrer eigenen Erfüllung. Unsere physiologische Reife wird ja nur höchst selten mit so ausnahmsweisen Seelenverfassungen zusammenfallen, und alle beide übrigens auch wieder fast ebenso selten mit der Geistes- und Charakterreife eines sich dauernd binden sollenden Menschen.
Überhaupt erweist sich die Vermischung aller möglichen praktischen Gesichtspunkte – hygienisch-romantisch-pädagogisch-utilitaristischer Art, – insofern mißlich, als das rein Sachliche dabei stets vom einen an den andern ausgeliefert erscheint, ehe es noch recht zu Wort kommen konnte. So sieht sich etwa die physiologische Angelegenheit verfrüht spruchreif durch robuste Körperkultur-Ideale, oder umgekehrt durch zarte diskreditiert, diese wiederum, aus Furcht mit ihren robustem Kollegen verwechselt zu werden, sehn sich schnell in ein beschleunigtes Eheverfahren hineingeduckt, das nun seinerseits mit so vielen erleichternden Konzessionen bedacht werden muß, bis es selber sich recht verdächtig physiologisch begründet ausnimmt: womit es dann am Ausgangspunkt wieder glücklich angelangt wäre. Und so wird, um weder in einen frivolen noch in einen traditionellen Ton zu verfallen, wechselweise ein freier, schwärmerischer oder etwas muffig-philiströser angeschlagen; ungefähr wie in Vorzeiten abgesetzte Gottheiten zu Dämonen degradiert werden, und niemand auf den Einfall kommen kann, soeben noch habe man an sie geglaubt: bis skeptischere Forschung herausfindet, daß auch in ihren Nachfolgern nur sie wieder auflebten. – Weshalb vielleicht einiges Absehn von ihrem jeweiligen Rang, sowie von sämtlichen Reformausblicken oder Kampfesrückblicken für eine unbefangene Betrachtung der Dinge ersprießlich ist.
THEMA
EIN DOPPELTES ist für das Problem des Erotischen kennzeichnend:
Einmal, daß es als Sonderfall innerhalb der physischen, psychischen, sozialen Beziehungen überhaupt betrachtet werden muß, und nicht nur so selbstherrlich für sich, wie es öfters geschieht. Sodann aber, daß es alle drei Arten dieser Beziehungen in sich noch einmal aufeinander bezieht, und sie damit zu einer einzigen, und zu seinem Problem, zusammenschließt.
Schon dem Untergrund allen Daseins eingewurzelt, wächst es dadurch aus immer dem gleichen reichen, starken Boden, bis zu welcher Höhe es sich auch erstrecken, zu einem wie machtvollen, den Raum raubenden Wunderbaum es sich auch entfalten mag, – um selbst da, wo ihm der Boden total verbaut wird, mit seiner dunklen, erdigen Wurzelkraft dennoch darunter zu beharren. Eben dies ist sein gewaltiger Lebenswert, daß, wie fähig es auch sei, breite Alleingeltung zu erlangen, oder hohe Ideale zu verkörpern, es doch darauf nicht angewiesen bleibt, sondern sich noch aus jeglichem Erdreich Kraftzuwachs saugen kann, jeglichen Umständen sich lebendienend anpaßt. So finden wir es bereits den fast rein vegetativ ablaufenden Vorgängen unsrer Körperlichkeit beigesellt, sich ihnen eng einend, und wenn es auch nicht, wie diese Funktionen, für das Dasein schlechthin bedingend wird, so doch auch auf sie noch den stärksten Einfluß übend. Daher bleibt ihm auch in seinen eignen höhern Stadien und Arten, ja auf der Spitze kompliziertester Liebesentzückungen noch, etwas von diesem tiefen, einfachen Ursprung unvertilgbar gewahrt: etwas von dieser guten Fröhlichkeit, die das Körperliche im unmittelbaren Sinn seiner Befriedigung als immer wieder neues, junges Erleben, gleichsam als Leben in seinem Ursinn, empfindet. Wie jeder gesunde Mensch sein Erwachen oder tägliches Brot, oder einen Gang durch die Frische der Luft, immer von neuem lust vollgenießt, als mit jedem Tage junggeboren, und wie man mit Recht beginnende Nervenzerrüttungen manchmal daran erkennt, daß sich in diese Alltäglichkeiten, Urnotwendigkeiten, plötzlich die Begriffe von „langweilig“, „eintönig“, überdrußerweckend hineinmengen, so ist auch im Liebesleben hinter und unter seinen sonstigen Beglückungen, immer die eine mitenthalten, die, unsensationell und untaxierbar, der Mensch mit allem teilt, was mit ihm atmet.
Das Animalisch-Erotische ist schon nicht mehr darauf allein beschränkt, indem das höhere Tier seine geschlechtliche Handlung durch einen Gehirnaffekt begleitet, der seine nervöse Materie in eine exaltierte Erregung bringt: das Sexuelle wird der Sensation, endlich der Romantik, entgegengestoßen, bis hinauf in deren feinst verzweigte Spitzen und Aufgipfelungen im Bereich des menschlich Individuellsten, was es gibt. Aber diese steigende Liebesentwicklung findet von vorn herein statt auf einer steigend schwankenden Grundlage: anstatt des Ewiggleichbleibenden und -Gleichgeltenden, nun auf Grund jenes Gesetzes alles Animalischen, wonach die Reizstärke abnimmt mit ihrer Wiederholung. Das Wählerischere in bezug auf den Gegenstand und den Moment, – so sehr ein höherer Liebesbeweis, – wird bezahlt mit der Ermüdung an dem um so viel heftiger Begehrten, – mit der Begierde also nach dem Unwiederholten, nach der noch ungeschwächten Reizstärke: nach dem Wechsel. Man kann sagen: das natürliche Liebesleben in allen seinen Entwicklungen, und in den individualisiertesten vielleicht am allermeisten, ist aufgebaut auf dem Prinzip der Untreue. Denn die Gewöhnung, soweit sie das Gegenteil, eine dem entgegenwirkende Macht, darstellt, fällt, wenigstens ihrem groben Sinn nach, ihrerseits noch unter die Wirkungen der mehr vegetativ bedingten, wechselfeindlichen Körperbedürfnisse in uns.
Es ist jedoch das durchaus geistigere, will sagen: lebenskompliziertere, Prinzip, das zur Änderung und zu wählerischem Aufbrauch der Reize drängt, – es ist das sinnvoll gesteigerte Verhalten, das eben darum nichts weiß von jener Altersstetigkeit, Stabilität, der primitivem Prozesse, die diese für uns in manchen Beziehungen zu einer Basis machen von beinahe dem Anorganischen ähnlicher Sicherheit, – fast wie soliden Erd- oder Felsgrund. So ist es weder Schwäche noch Minderwertigkeit des Erotischen, wenn es seiner Art nach auf gespanntem Fuß mit der Treue steht, vielmehr bedeutet es an ihm das Abzeichen seines Aufstiegs zu noch weitern Lebenszusammenhängen. Und darum muß auch da, wo es in solche schon weiter einbezogen wird, ihm von dieser ungenügsamen Sensibilität vieles erhalten bleiben, grade so, wie es seinerseits sich nur begründet auf den ursprünglichsten Vorgängen des Organlebens. Ja, wenn schon diese, das „Allerleiblichste“ in uns, nicht anders als mit ehrfürchtiger Unbefangenheit betrachtet werden sollen, so gebührt wahrhaftig eine gleiche Hochachtungsbezeugung auch dem Erotischen noch in seinen draufgängerischen Windbeuteleien: trotzdem man an ihnen nur das zu sehen gewohnt ist, was sie zum Sündenbock für jegliche Liebestragödie gemacht hat.
Derjenige Zusammenhang, worin das Erotische, zum mindesten im günstigen Fall, seine schlimmsten Unarten ablegt, ist in unserm geistigen Verhalten gegeben. Wo wir etwas in unsre Einsicht und Bewußtheit aufnehmen, anstatt nur in unser physisches oder seelisches Verlangen, da erleben wir es auch nicht bloß in der abnehmenden Reizstärke der Sättigung dieses Verlangens, sondern im steigenden Interesse des Verstehens, also in seiner Einzigkeit und menschlichen Unwiederholbarkeit. Daraus erst ergibt sich der volle Sinn dessen, was in der Liebe den Menschen zum Menschen drängt, als zum Zweiten, zum andern unwiederholbaren Ich, um in der Wechselwirkung mit ihm als Selbstzweck, nicht als Liebesmittel, sich erst zu erfüllen. Tritt erst damit die Liebe nun auch in ihre soziale Bedeutung ein, so ist doch klar, daß dies nicht für die Außenseite der Sache gilt: denn ihre Abfindung mit deren äußeren Konsequenzen, ihr unumgängliches Verknüpftsein mit dem Interessenkreis der Allgemeinheit, enthält ihre soziale Kehrseite auch schon auf ihren früheren Stufen. Hier aber liegt ihr innerster Lebenssinn frei: der geistige Grad von Lebendigkeit, dem gegenüber selbst der Trieb nach Wechsel noch als ein Mangel an innerer Beweglichkeit erscheint, da er solcher Anstöße von außen bedarf, um frisch ins Rollen zu kommen, während sie hier viel eher stören, ja aufhalten würden. Damit gewinnen Treue und Stetigkeit einen veränderten Hintergrund: in dieser Überlegenheit des Lebensvollsten, Lebenserschließendsten, liegen neue organisatorische Möglichkeiten nach außen vor, – eine Welt des Beharrendem wird wieder realisierbar, ein erneuter sichrerer Boden für alles Werden des Lebens, – analog unserer physischen Basis und dem, was unser Organismus als das leibhafte Liebesendziel aus sich herausstellt im Kinde.
Mit seinen drei Stadien an sich ist jedoch das Wesen des Erotischen noch nicht vollständig umschrieben, sondern erst mit der Tatsache ihres gegenseitigen Aufeinanderbezogenseins. Aus diesem Grunde lassen sich Rangordnungen in seinem Bereich nur überaus schwer abgrenzen, und nicht als der klare Stufenbau, der sich theoretisch draus herstellen läßt, erscheint es, sondern als die immer wieder in sich gerundete, lebendig unzerteilbare Ganzheit. Mögen wir sie jeweils als größer oder kleiner abschätzen, wissen wir dennoch von Fall zu Fall nie, ob sie nicht auch da ihren vollen Gehalt umschließt, wo er ihr selber nicht einmal bewußt werden kann: etwa wie physiologisch das Kind dem vollen Liebeszweck entspricht auch da, wo noch dumpfe Unbewußtheit der Urzeiten es statt dem Sexualvorgang den fremdartigsten Dämonenursachen zuspricht. So muß hier die bisherige Erörterung insofern ergänzt werden, als auch das physische Moment im Erotischen, bis zuletzt alles beeinflussend, schon ebenfalls seinerseits von vornherein beeinflußt ist von den weiteren Momenten, die sich exakten Feststellungen entziehn: erst mit der Totalergriffenheit des Wesens ist das Problem gekennzeichnet.
DER SEXUELLE VORGANG
IN DER WELT der – sehr verhältnismäßig – undifferenziertesten Lebewesen vollzieht sich der Begattungsakt durch eine an sich selber so ungegliederte, runde kleine Ganzheit, daß sie fast ein Sinnbild für diesen Tatbestand abgeben kann. In der Konjugation der Einzeller (die auch deren Selbstvermehrung noch von Zeit zu Zeit zugrunde zu liegen scheint) verschmelzen die beiden Zellkerne, das Neuwesen bildend, total miteinander, und nur Unwesentliches an der Peripherie der alten Zelle löst sich absterbend dabei auf: Zeugung, Kind, Tod und Unsterblichkeit fallen noch in eins zusammen. Noch läßt sich das Kind für sein Elterntier nehmen, das Nächstfolgende für das Vorhergehende, ungefähr wie ein Stück für ein anderes im Bereich dessen, was wir das „Unbelebte“ nennen. Sobald mit dem Fortschritt der Organgliederung die Konjugation ihre Totalität einbüßt und nur noch partiell zustande kommen kann, klafft der Widerspruch aber in seiner ganzen Schärfe auf: was das Leben erhält, bedingt zugleich den Tod. Öfters so unmittelbar, daß beide Vorgänge doch noch wie ein und derselbe erscheinen, wenn auch sich vollziehend an zwei Wesen als an zwei Generationen. Wo endlich die Differenzierung im Einzelwesen noch unwiederholbarer weit geht, und die Erzeuger also keineswegs in ihrem Zeugungsprodukt tatsächlich überleben, scheidet der Tod aus dem unmittelbaren Bunde aus, indem das Tier sich nur noch indirekt mit seiner eigenen entwickelten Leiblichkeit am Geschlechtsvorgang beteiligt. Das heißt, indem es nur dasjenige von sich drangibt, was es selber schon erblich empfangen und nicht in seine Einzelentwickelung aufgesogen hat: das Geschlecht wird sozusagen unter dem Tisch weitergegeben.
Damit wäre der Prozeß am möglichst entgegengesetzten Ende seines Ausgangs angelangt, und der ganze Selbsterhaltungstrieb, der ursprünglich das Zellkernchen so zeugerisch-erfinderisch erscheinen läßt, hätte sich, gewissermaßen fast pervers, emanzipiert aus dem, was, ursprünglich ein anspruchlos Unwesentliches geblieben, an der Zellperipherie wegstarb. Aber von den Geschlechtszellen selber werden all diese großen Umwälzungen von Urzeiten her einfach ignoriert, grade als beherrschten sie nach wie vor das gesamte Lebensreich, und nicht nur eine kleinste und immer noch mehr verkleinerte Einzelprovinz darin. Denn indem sich in ihnen alles zusammenfindet, woraus auch ein Individuum von dieser großen Differenziertheit sich wieder aufbauen kann, tragen sie nicht nur an sich selber noch unverändert den gleichen Totalitätcharakter, sondern prägen ihn auch ihrer temporären Einwirkung auf den Körper auf, der sie in sich beherbergt.
Aus solchen Einflüssen mag es wohl stammen, wenn grade die primitivste Verbindungsart zwischen Lebewesen, die Totalverschmelzung der Einzelligen, so wunderlich gleichnishaft dem entspricht, was sich in den höchsten Liebesträumen der Geist unter vollem Liebesglück vorstellen möchte. Und deshalb wohl fühlt Liebe sich so leicht umschwebt von einem Sehnen und Todesbangen, die sich voneinander kaum ganz klar unterscheiden lassen, – von etwas, wie einem Ur-Traum gleichsam: darin das eigene Selbst, der geliebte Mensch, und beider Kind noch eins sein können, und drei Namen nur für dieselbe Unsterblichkeit. Andrerseits liegt hier der Grund für den Kontrast zwischen dem Gröbsten und dem Verklärtesten, der den Liebesdingen eignet, und bereits an Tieren humoristisch auffallen kann, wenn sie ihre sexuelle Notdurft zu verbinden imstande sind mit der empfindsamsten Hypnose. In der Menschenwelt bleibt es nicht immer beim Humor der Sache in diesen Schwankungen von derb zu übergefühlvoll. Ein dunkles Begreifen hiervon bedingt auch die spontane, tief instinktive Scham, die ganz junge unschuldige Menschen der geschlechtlichen Verbindung gegenüber fühlen können: einer Scham, die weder ihrer Unerfahrenheit noch gut gemeinten Moralreden verdankt wird, sondern dem Umstand, daß sie mit ihrem Liebesdrang die Ganzheit ihrer selbst meinten, und der Übergang von da zu einer körperlichen Teilhandlung sie verwirrt, – fast wie vor der heimlichen Anwesenheit eines Dritten, Fremden: eben des Körpers als einer Teilperson für sich, – so, als seien sie einander kurz zuvor noch, in der hilflosen Sprache ihrer Sehnsucht noch, beinahe näher, totaler, unvermittelter, nahe gewesen.
Das Sexuelle selbst strebt indessen Kontraste und Widersprüche möglichst in sich aufzulösen, mit denen es durch die Arbeitsteilung der Funktionen beirrt wird. Rastlos vergesellschaftet es sich allen Trieben, deren es irgend habhaft werden kann. Anfänglich vielleicht dem Freßtrieb am verwandtesten, der als ein frühest herausgebildeter sich ebenfalls noch auf alles bezog, läßt es ihn bald als schon zu spezialisierten hinter sich. Wenn heute noch Liebende versichern, daß sie einander vor Liebe auffressen möchten, oder wenn arge weibliche Spinnen es mit ihrem bedauernswerten kleinen Spinnerich noch wirklich tun, so findet ein so beängstigender Übergriff nicht vom Fressen aufs Lieben, sondern umgekehrt statt: das geschlechtliche Verlangen als die Totalkundgebung ist es, die alle gesonderten Organe in seine Aufregung mit hineinreißt. Das gelingt ihm auch ganz leicht. Stammen sie doch sämtlich, sozusagen, aus der gleichen Kinderstube wie die Bewohner der Sexualorgane, hätte doch schließlich jedes von ihnen „Geschlechtszellchen“ spielen können, wenn nicht der Hochmutsteufel sie in eine so weitgehende Differenzierung hinein verstrickt hätte. Drum klingt die Erinnerung, womit das Sexuelle sich ihnen aufzudrängen weiß, mächtig in ihnen an, sie vergessen, wie herrlich weit sie es inzwischen gebracht, und hängen, mehr als es für ein richtiges, gebildetes Organ der höhern Tiergattungen statthaft ist, einer unvermuteten Sehnsucht nach der guten alten Zeit der ersten Bildungen und Scheidungen im Mutterei nach.
Auf einer solchen – auf menschlichem Gebiet würde man sagen: sentimentalen – Anwandlung von Rückständigkeit beruht die unendliche Allgemein-Erregung des Geschöpfes, die der geschlechtliche Vorgang auslöst. Und je mehr er selber im Laufe der Entwicklung gleichsam in die Ecke gedrückt, zu einem Sondervorgang wird, desto stärker nur wächst im selben Grade die Bedeutung seines Gesamteinflusses auf das übrige, denn was da stattfindet: das Ineinanderfließen zweier Wesen im erotischen Rausch, das ist nicht die einzige, und vielleicht nicht einmal die eigentliche Vereinigung dabei. Vor allem sind wir es selber, in denen alle Sonderleben Leibes und der Seele wieder einmal in gemeinsam empfundener Sehnsucht ineinanderflammen, anstatt so interesselos, gegenseitig kaum Notiz nehmend, für sich hinzuleben, wie Glieder einer großen Familie, die nur an Gedenktagen noch wissen, daß sie „Ein Fleisch und Blut“ sind. Zu je komplizierter geartetem Organismen wir aufsteigen, desto größere Fest- und Jubeltage werden solche Erlebnisse naturgemäß sein, die unter dem Einfluß und Aufwand des Keimolasma, wie eines Großonkels aus Amerika, auf einmal alles allarmieren bis in die verborgensten Extrawinkel unseres Seins, zu einer prunkvollen Herkunfts- und Geschlechterfeier.
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