Diese Arbeit leistet einen strategischen Planungsbeitrag zur Modellierung von Kompetenzstrukturen im Fach W-A-T (Arbeitslehre). Es werden Impulse zur curricularen Ausrichtung des Fachs W-A-T sowie der bundesweiten Ausrichtung von Arbeitslehre generiert. Die SWOT-Analyse aus den Zukunftserwartungen und Glaubenssätzen (Beliefs) junger Menschen wird aus vier quantitativen Studien mit insgesamt 91.924 Teilnehmern aus Deutschland durchgeführt. Die Studienaussagen dienen als empirische Indikatoren für die Generierung von Zukunftsimpulsen für das Schulfach W-A-T.
Welche Rolle nehmen Beliefs und Handlungskompetenzen in der Entwicklung von Gesellschaft ein? Welchen Beitrag leistet dazu das Schulfach W-A-T? Wie allgemein kann Allgemeinbildung angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen sein? Wird das Schulfach W-A-T in Zukunft gegenstandslos oder wird es innerhalb des Bildungskanon an Bedeutung und Gewichtung gewinnen? Diese Fragen werden durch das theoretische Fundament umrissen und sollen die SWOT-Analyse rahmen und thematisch verorten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Abstract
1.2. Problemstellung und Relevanz
1.3. Forschungsfrage
1.4. Vorgehensweise
2. Theoretisches Fundament
2.1. Allgemeinbildung – In Zeiten gesellschaftlicher Transformation
2.2. W-A-T als Brückenfach zwischen Allgemeinbildung und Spezialbildung durch Lebensweltbezug
2.3. Glaubenssätze und Zukunftserwartungen – Wie Beliefs unsere Handlungen beeinflussen
2.4. Junge Menschen und Verantwortungsübernahme – Der Glaube an die Zukunft
2.5. Kompetenztrias – Die Strukturierung von Kompetenzen
3. Empirische Studien: Zukunftserwartungen und Glaubenssätze junger Menschen in Deutschland
3.1. BMUB Studie: Zukunft? Jugend fragen! ( 2019)
3.2. McDonalds : Ausbildungsstudie (2019)
3.3. Jugendstudie Baden-Württemberg (2020)
3.4. Shell: Jugendstudie (2019)
3.5. Arte Studie: Es wird Zeit! (2020)
3.6. Zusammenfassung und Operationalisierung der Ergebnisse
4. Das Schulfach Wirtschaft-Arbeit-Technik (Berlin / Brandenburg)
5. SWOT-Analyse: W-A-T Kompetenzen und Zukunftserwartungen junger Menschen
5.1. Identifizierung von SWOT [Step 1]
5.2. Gegenüberstellung der SWOT-Dimensionen [Step 2]
5.3. Ableitung von Handlungsempfehlungen [Step 3]
6. Schluss- und Folgerungsteil
6.1. Zusammenfassung der Ergebnisse
6.2. Beantwortung der Forschungsfrage
6.3. Nutzstiftung der Ergebnisse
Abbildungs- & Tabellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Glossar
ALÖNK Fachgebiet an der TU-Berlin: Arbeitslehre, Ökonomie & Nachhaltiger Konsum
belief hier: Glaubenssätze und Zukunftserwartungen junger Menschen
BSO Berufs- und Studienorientierung
KMK Ständige Konferenz der Kultusminister
RLP Rahmenlehrplan der Bundesländer Berlin & Brandenburg
SWOT Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats
TN Teilnehmerinnen
TOWS Threats, Opportunities, Weaknesses, Strengths
W-A-T Wirtschaft-Arbeit-Technik, Schulfach der Sekundarstufe I in Berlin & Brandenburg
1. Einleitung
1.1. Abstract
Diese Abschlussarbeit widmet sich allgemeinen Fragen hinsichtlich der Zielausrichtung von Bildung & speziellen Fragen zum zukünftigen Bildungsbeitrag des Schulfachs W-A-T (Arbeitslehre). Wie lassen sich Kompetenzen so strukturieren & pädagogisieren, damit ein bestmögliches Bildungsfundament zur individuell gelingenden Zukunftsbewältigung1 gewährleistet werden kann? Welche Rolle nehmen Beliefs2 und Handlungskompetenzen in der Entwicklung von Gesellschaft ein? Welchen Beitrag leistet dazu das Schulfach W-A-T? Wie allgemein kann Allgemeinbildung angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen sein? Wird das Schulfach W-A-T in Zukunft gegenstandslos, oder wird es innerhalb des Bildungskanon an Bedeutung und Gewichtung gewinnen? Diese Fragen werden durch das theoretische Fundament umrissen und sollen die SWOT-Analyse rahmen und thematisch Verorten. Grundlegende Annahme dieser Arbeit ist: Wenn zukünftige Lebenswelten und Lebensbedingungen bestmöglich bekannt sind, lassen sich daraus Bildungsziele & Kompetenzen samt ihrer Strukturen und Zusammenhänge zielgerichtet modellieren, um bestmöglich auf diese Zukunft vorzubereiten. Die SWOT-Analyse wird innere Faktoren des Schulfachs W-A-T mit externen Trends (Beliefs aus den Studienergebnissen) einer bedingenden Zukunft gegenüberstellen und Impulse für ein modernes W-A-T Curriculum gewinnen. Als zentrale Stärken des Fachs W-A-T stellt diese Arbeit (1.) die Zugewandheit zur Zukunft, (2.) die Nähe zu Handlungskompetenzen sowie (3.) das Potential zur Generierung von Proaktivität heraus. Diese W-A-T Stärken werden den künftigen (transformierten) Generationen zur Problembewältigung hilfreich sein und für mein Bildungsverständnis3 von höchster Bedeutung sein. Gleichzeitig stellen sich Schwächen und Bedingungen heraus, denen sich W-A-T stellen sollte, um das Fach zu innovieren. Die indizierten Schwächen von W-A-T weisen im Wesentlichen auf bestehende Differenzen zwischen den erwartbaren Handlungskompetenzen der Zukunft und den bestehenden Handlungskompetenzen der Gegenwart/Vergangenheit hin. Die SWOT-Analyse aus den Zukunftserwartungen und Glaubenssätzen (Beliefs) junger Menschen wird aus vier quantitativen Studien4 mit gesamt 91.924 Teilnehmern aus Deutschland durchgeführt. Die Studienaussagen dienen als empirische Indikatoren für die Generierung von Zukunftsimpulsen für das Schulfach W-A-T. Die Handlungsempfehlungen dieser Analyse ergeben u. a. die Sinnhaftigkeit der Distanzierung von W-A-T zur Berufs- und Studienorientierung (BSO), eine stärkere didaktische Fokussierung auf Personale Kompetenzen, sowie die Abkehr von der Technikzentrierung. Diese Arbeit leistet durch die Impulsgebung einen strategischen Planungsbeitrag zur Modellierung von Kompetenzstrukturen zum Fach W-A-T, der curricularen Ausrichtung des Fachs W-A-T sowie der bundesweiten Ausrichtung um die Arbeitslehre insgesamt.
1.2. Problemstellung und Relevanz
Wir leben in spannenden Zeiten der permanenten Veränderung. Klimawandel, Digitalisierung, Globalisierung und technische Innovationen verändern unser Leben fortwährend und zunehmend expansiv (vgl. Richter 1994; Paech & Paech 2013; Polanyi 2015; Göpel 2016; Precht 2018). Immer größer wird die Flut von technischen Lösungen, welche uns Leistungssteigerungen suggerieren und uns in das Paradigma des Optimierungszwangs führen. Der Wesenszug des Kapitalismus zur Generierung eines kapitalen Mehrwertes zwingt uns zu Innovationen und begründet die Gleichzeitigkeit dieser Transformationswellen (vgl. Dörre, Lessenich & Rosa 2013). Nach Schweizer & Renn (2019) ist das besondere an unserer Zeit, die Intensität dieser Transformationswellen, denen man sich, bedingt durch den Systemzwang, nicht entziehen kann. Seit den 90-iger Jahren wird in unserer Gesellschaft vom Wandel der Arbeitswelt berichtet, so als hätte der Wandel einen fixen Start- und Endpunkt. Heute, im Jahr 2021 ist der Wandel innerhalb der Arbeitswelt immer noch präsent und es stellt sich die Frage: In welche Lebensbedingungen uns die gesellschaftlichen Transformationen bringen werden. Bezieht man sich auf fundierte Aussagen zur Zukunft der Arbeit wie bei z. B.: Frey & Osborne (2013), Arntz et al. (2018), Paech (2012), Kocka et al. (2000), scheint heute das Ende sichtbarer denn je. Transhumanisten z. B. träumen von der Überwindung menschlicher Grenzen mittels Techniksymbiose (vgl. Spreen et al. 2018). Die fortschreitenden Entwicklungen um die Künstliche Intelligenz (KI) lassen die Grenzen zwischen Menschen und Maschinen verblassen (vgl. Misselhorn 2018; Nida-Rümelin & Weidenfeld 2018). Wir machen uns zunehmend abhängig von Maschinen und Digitalen Systemen und die genuine menschliche Autonomie nimmt damit ab. Entscheidungen werden zunehmend von Maschinen getroffen und entmündigen die Menschen damit zunehmend.
Wissen ist heute, anders als früher, mittels Internet permanent verfügbar. Die Fähigkeit Dinge auswendig zu lernen, scheint von daher an Bedeutung zu verlieren. Es stellt sich also die Frage: Kann Allgemeinbildung heute die Gleiche wie früher sein und welche Bildungsaspekte werden für die Zukunft wohl von Bedeutung sein? Welche Kompetenzen werden in der Zukunft gebraucht und welche eher nicht? Wie kann Allgemeinbildung sich der Zukunft zuwenden, ohne sich zu auf die Zukunft zu spezialisieren? Allgemeinbildung bedeutet ja eben nicht, den Bildungsanspruch auf spezielle Ziele zu richten (vgl. Benner 2005). Dynamische Veränderungen des gesellschaftlichen Lebens lassen sich auch am Lehrer*innenbild/-ethos festmachen. So waren Lehrkräfte früher überwiegend reine Wissensvermittler. Heute geht die Funktion der Lehrer*innen darüber hinaus. Lernprozesse stehen im Fokus pädagogischen Handelns. Heute sollen Lehrer*innen Lernbegreiter sein und dieses Konzept geht über die Behavioristische Lerntheorie5 hinaus (vgl. Perkhofer-Czapek & Potzmann 2016). Es schließt weitere Disziplinen wie z. B. die Neurowissenschaften und die Psychologie ein. Genau wie in der Wissenschaft zieht das inter- oder sogar transdisziplinäre Lernen in der Allgemeinbildung ein (vgl. Mittelstraß 2010). Die historisch bedingte Logik der Fachabgrenzung zwischen den Schulfächern ließ die Industrieschulbewegung im 18.Jahrhundert dem Fach Arbeitslehre die Aufgabe der Integration von Schüler*innen mit niedrigen sozioökonomischen Status in die Anforderungen der handwerklich, technisch & industriell geprägten Berufsbildern zukommen (vgl. Friese 2018 A, S.22). Dabei stellt Friese fest: „[…], dass mit diesen Konzepten zwei grundlegende Konflikte6 der Arbeits- und Berufspädagogik konstituiert werden, die bis heute wirksam sind“ (edb. S.22). Der Allgemeinbildung wohnen damit Selektionsmechanismen inne, „die an klassen- und schichtspezifische Dimensionen gebunden sind und bis in die Gegenwart wirken“ (ebd. S.23). Der Arbeitslehre (in Berlin/Brandenburg heute das Fach W-A-T) kommt damit eine historisch gewachsene Selektionsfunktion zu, die sie durch die Hinzufügung von weiteren Ansätzen wie: Verbraucherbildung, ökologische- und ökonomische Bildung, Nachhaltiger Konsum, Studienorientierung, Digitale Welten und die Vermittlung von handwerklichen Skills für Schüler*innen ablegen wird. Angesichts der Vielschichtigkeit der Themen und Ziele, der mangelnden Gewichtung im schulischen Wochenstundenplan und der derzeitigen gesellschaftlichen Umbruchprozesse, ist es nicht verwunderlich, dass die Arbeitslehre/W-A-T in der Ausgestaltung eines bundeseinheitlichen, zukunftsorientierten Curriculums inklusive Bildungsniveaus und Standards überfordert, ziel- und machtlos erscheint. Der Fairness halber sei hier erwähnt, dass es mir bildungspolitisch auch nicht gewollt erscheint. Die Arbeitslehre steht aus meiner Sicht am Scheideweg. Sie kann defensiv in der Rolle verharren, die ihr zugesprochen wird. Oder sie kann offensiv für ein Bildungskonzept werben, welches den Schüler*innen aller sozioökonomischen Schichten zugutekommt. Sie kann damit die Selektionsfunktion endgültig ablegen, sowie die humanistisch-utilitaristische Bildungs-Idee nach Humboldt von Allgemeinbildung in die Zukunft überführen. Wie die Zukunft aus Sicht der Arbeitslehre/W-A-T aussehen wird, kann mit absoluter Sicherheit nicht gesagt werden. Zu viele Determinanten und Wahrscheinlichkeiten wären zu berücksichtigen und führen, genau wie bei der Wettervorhersage, langfristig zu ungenauen Prognosen.
Der Ansatz dieser Arbeit ist es, aus bestehenden Glaubenssätzen & Zukunftserwartungen (beliefs) junger Menschen auf eine Zukunft zu schließen, welche sich fundiert skizzieren ließe. Schließlich sind die Glaubenssätze und Zukunftserwartungen Determinanten, welche individuelles Handeln und gesellschaftliche Akzeptanz durch Mehrheitsfähigkeit mitbestimmen (vgl. Hurrelmann 2015, S. 313; Gerstenmaier & Mandl 1995). Gemäß konstruktivistischen Theorien sind wir für unser Handeln verantwortlich und konstruieren damit eine bestimmte Zukunft. Gemäß dem kausalen Prinzip von Ursache, Wirkung und Folge lässt sich somit auf eine Zukunft schließen, die wir als Ursache konstruiert, als Wirkung spüren (Resonanz) und als Folge zu verantworten haben. Die Verantwortung meint hier die Übergabe der Welt an die nächste Generation. Die jungen Menschen entwickeln einen Erfahrungs- und Erwartungshorizont, bevor sie als verantwortliche Mitglieder der Gesellschaft in Haftung genommen werden. Und genau dieser Erwartungsanspruch findet sich in den Glaubenssätzen- & Zukunftserwartungen von jungen Menschen wieder. Diesen wissenschaftlich fruchtbar zu machen und in Resonanz zum bestehenden Bildungskonzept WAT/Arbeitslehre zu setzen soll Aufgabe dieser Arbeit sein. Ich hoffe den Bildungskonzepten um die Arbeitslehre herum zu einem modernen Curriculum verhelfen zu können, welches auf die nötigen Handlungskompetenzen der jeweiligen Zukunftsbewältigung abzielt.
1.3. Forschungsfrage
Welche Impulse ergeben sich aus der SWOT Analyse zwischen den Zukunftserwartungen junger Menschen und dem Berlin / Brandenburger Schulfach W-A-T, für dessen curriculare Gestaltung?
Ziel dieser Arbeit ist es, eine Antwort auf diese konkrete Frage zu liefern. Denn je konkreter die Frage ist, umso konkreter wird die Antwort sein. Der Anspruch an eine wissenschaftliche Fragestellung soll es daher sein, eine möglichst präzise Frage zu formulieren, um wissenschaftlich relevante Ergebnisse zu generieren, die ebenfalls präzise sind. Nach Karmasin & Ribing (2017, S. 25ff) ist die Frage einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit eine Gute, wenn sie eine W-Frage ist, die neues Wissen generiert und die Frage nur durch die Beantwortung von Unterfragen behandelt werden kann.
Der Fragetyp einer Abschlussarbeit lässt sich nach Karmasin & Ribing einem von 5 Bereichen zuordnen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Grundtypen verschiedener Fragestellungen; Quelle: Karmasin & Ribing 2017, S. 27
Die Fragestellung dieser Arbeit lässt sich den Rubriken Prognose & Kritik/Bewertung zuordnen. Ein logisch konsistentes Ergebnis muss demnach in den gleichen Rubriken verortet sein.
Die Forschungshypothese dieser Arbeit (welche mit der Fragestellung überprüft werden soll) lautet:
- Der bestehende Rahmenlehrplan (RLP) W-A-T (Berlin/Brandenburg) generiert Kompetenzen, welche für die Bewältigung zukünftiger Lebensbedingungen (welche wir hier aus den Beliefs junger Menschen entnehmen) notwendig sind.
Wie können zukünftige Lebenswelten realistisch beschrieben werden, wenn die Zukunft nur annähernd sicher skizziert werden kann? Diese Arbeit muss zukünftige Lebenswelten definieren, um die derzeitige Kompetenzausrichtung des Schulfachs W-A-T auf dessen Passung hin zu überprüfen. Zukünftige Lebenswelten werde ich hier aus den Beliefs junger Menschen entnehmen und eine dementsprechend beschreibende Definition generieren.
Diese Arbeit soll ein Forschungsgebiet abstecken und somit einen bestimmten Ergebnishorizont erwarten lassen. Welche Zukunftsthemen sind durch W-A-T/Arbeitslehre unterbesetzt und könnten durch das Fach genuin besetzt werden? Und natürlich auch der Umkehrschluss: In welchen Themenbereichen ist W-A-T/Arbeitslehre vielleicht nicht zukunftstauglich ausgerichtet? All diese Grundlagen- und Anschlussfragen zielen auf die evidenzbasierte Forschung um die Fachkompetenzen von W-A-T/Arbeitslehre ab (vgl. Uhlenwinkel 2019). W-A-T/Arbeitslehre muss sich, wie kein anderes Fach, immer wieder den gesellschaftlichen Ansprüchen seiner jeweiligen Zeit anpassen (vgl. Gmelch 1989, S. 227; Hedke 2015, S.19; Friese et al. 2019). Dieser Innovationszwang ist in anderen Schulfächern wie Physik, Mathematik, Musik nicht so stark ausgeprägt, da mathematische Wahrheiten oder naturwissenschaftliche Gesetze keiner gesellschaftswissenschaftlichen Dynamik unterliegen (vgl. Kiørup 2001). Dort sind Themen und deren Bedeutung durch deren Gesetzmäßigkeiten starr verankert. Im Fach WAT hingegen schöpfen sich die Persönlichkeitsreifung (BSO) und die Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) aus einer dynamischen gesellschaftlichen Entwicklung.
1.4. Vorgehensweise
Diese Arbeit möchte zwischen empirischen Aussagen von Glaubenssätzen und Zukunftserwartungen junger Menschen (Beliefs) und der Kompetenzausrichtung des Berlin/Brandenburger Schulfach W-A-T, Impulse für dessen curriculare Gestaltung generieren. Es sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede analysiert und bewertet werden.
Grundlegende Annahme dieser Arbeit ist: Wenn zukünftige Lebenswelten und Lebensbedingungen bestmöglich bekannt sind, dann lassen sich daraus Bildungsziele & Kompetenzstrukturen zielgerichtet modellieren, um bestmöglich auf die Zukunft vorzubereiten.
- Den Entdeckungszusammenhang zum Thema werde ich in der Einleitung herstellen. Hier werde ich auf das Thema aufmerksam machen, die Relevanz begründen und meine Motivation zur Arbeit darlegen. Ich werde die Methodik begründen und die Fragestellung vorstellen.
- Den Begründungszusammenhang werde ich dann in den folgenden Kapiteln herstellen, indem ich bestehende Theorien und Zusammenhänge vorstelle. Die empirische Datengrundlage dieser Arbeit werde ich thematisieren und auf Gemeinsamkeiten nach Tendenzen hin filtern. So wird eine Essenz von empirischen Aussagen gewonnen, die Chancen und Risiken für die WAT-Kompetenzausrichtung darstellen. Mittels SWOT-Analyse werden diese auf Stärken und Schwächen von W-A-T-Kompetenzen analysiert. Es werden also externe Trends zweier Dimensionen (Chancen & Risiken / Bedrohungen) mit internen Faktoren zweier anderer Dimensionen (Stärken & Schwächen) miteinander abgeglichen, so als wolle man „Äpfel“ mit „Birnen“ vergleichen. Mit der SWOT-Analyse wird der Vergleich von unterschiedlichen Dingen ermöglicht. Es werden neue Chancen & Risiken für das Schulfach W-A-T erkannt und fruchtbar gemacht. Letztendlich dient die Methode zur Formulierung entsprechender Ziele und ist damit ein Element strategischer Planung (vgl. Wollny & Paul 2015).
- Den Folgerungszusammenhang werde ich im Schluss- und Folgerungsteil herstellen. Dabei werde ich das Ergebnis zusammenfassen, die Forschungsfrage beantworten und den Sinn und Nutzen dieser Arbeit diskutieren. Die Gliederung von wissenschaftlichen Abschlussarbeiten nach Entdeckungszusammenhang, Begründungszusammenhang und Folgerungszusammenhang, entspricht „drei zentralen Aspekten wissenschaftlicher Forschung“ (Karmasin & Ribing 2017, S. 33). Wesentlicher Bestandteil von wissenschaftlichen Arbeiten ist es nach Karmasin & Ribing (2017, S.33), „den aktuellen Stand der Forschung/der Theorie zu rekonstruieren und zu diskutieren“. Diesem Aspekt des wissenschaftlichen Arbeitens komme ich im Hauptteil nach. Wobei ich den Ursprung dieser Tradition in der Philosophie bei Aristoteles sehe, der sich in seinen Werken immer auf bereits bestehende Theorien bezog und sie dann diskutierte und weiterentwickelte (vgl. Kullmann 1998; Flashar 2013).
- Die Methode „SWOT-Analyse“ im Detail
Abbildung 2: Visualisierung der SWOT-Analyse, Eigene Darstellung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die SWOT-Analyse stellt innere Faktoren in den Dimensionen Stärken & Schwächen mit externen Trends in den Dimensionen Chancen & Bedrohungen/Risiken gegenüber. Diese Gegenüberstellung ermöglicht eine detaillierte und strukturierte Analyse einer Sachlage.
Die SWOT-Analyse gliedert sich (hier im Kapitel 5) in drei wesentliche Arbeitsschritte.
[ Step 1 ]: Identifizierung der Dimensionen Strengths, Waknesses, Opportunities & Threats (S-W-O-T).
[ Step 2 ]: Der Gegenüberstellung dieser vier Dimensionen, um Synergien zu generieren.
[ Step 3 ]: Der Ableitung von Handlungsempfehlungen / Impulsen für das Fach W-A-T.
Die SWOT-Analyse kann nicht rein deskriptiv durchgeführt werden, da sie einer argumentativen, normativen & subjektiven Verfasstheit unterliegt. Diese Arbeit enthält einen empirischen Teil, der fünf Umfragen, welche als Grundlage der Definitionsskizze der Beliefs junger Menschen dient. Danach folgt die SWOT-Analyse, welche normativer Art ist. Die Ergebnisse dieser Arbeit sind normativ, fußen aber auf deskriptiven Studien.
In den Wirtschaftswissenschaften dient die SWOT-Analyse als strategisches Planungsinstrument und soll ihren historischen Ursprung in der Kriegsführung haben. Ausführliche und gute Methodenbeschreibungen lassen sich u. a. bei Gürel & Tat (2017) sowie Wollny & Paul (2015) finden.
2. Theoretisches Fundament
In diesem Kapitel möchte ich Unterfragen beantworten und analytisch durchdenken, die sich aus der kritischen Auseinandersetzung mit dem Forschungsthema ergeben. Die SWOT-Analyse benötigt ein Fundament, welches ich hier aus Theorien und Sinn-Zusammenhängen erarbeiten werde. Dieses Fundament soll die SWOT-Analyse thematisch rahmen und stützen, denn Impulse aus der SWOT-Analyse für das Fach W-A-T können nicht ohne den Kontext betrachtet werden. Dieser Kontext soll in den Teilen 2.1-2.5 knapp erarbeitet werden. Genauso möchte ich die Zielfunktion des Faches beleuchten, welche vielleicht durch die gesellschaftliche Transformation auf deren Zeitgemäßheit hin zu evaluieren ist. Der kompetenzorientierte Lehransatz, in Verbindung mit W-A-T-typischer Praxisarbeit und Lehrprojekten, in Verbindung von Binnendifferenzierung und Inklusion, stellt Lehrkräfte vor Herausforderungen, welche das Fach systemisch verändern. Die didaktische Sicht auf die Kompetenzen der Allgemeinbildung muss deshalb Teil dieser Arbeit sein.
Da W-A-T Bildung in einer Lebensphase der Adoleszenz anbietet, möchte ich den Fragen nachgehen: Welche Rolle nehmen Beliefs und Mindset innerhalb gesellschaftlicher Transformation ein? Ist es Aufgabe der Allgemeinbildung gesellschaftliche Transformation zu „befeuern“? Welchen Beitrag leistet W-A-T zur Bildung von Beliefs und Handlungskompetenzen? Und wenn W-A-T auf eine transformierte Zukunft vorbereitet, wie allgemein ist dann das Fach W-A-T innerhalb der Allgemeinbildung? Oder anders gefragt ist W-A-T nicht zu speziell für die Allgemeinbildung? Wird das Schulfach W-A-T in Zukunft gegenstandslos, oder wird es innerhalb des Bildungskanon an Bedeutung und Gewichtung gewinnen? Diese Meta-Fragen sollen durch dieses Kapitel in Ansätzen behandelt werden. Ich hege hier nicht den Anspruch diese Meta-Fragen ausführlich beantworten zu können. Aufgrund der „Größe“ der Fragen und dem Raumanteil innerhalb dieser Arbeit möchte ich die Themen und Fragen anreißen und hoffe eine Balance gefunden zu haben, welche das konkrete thematische abtauchen in die Wissens-Tiefen ermöglicht, ohne in ein „Schwafeln“ zu verfallen. Dennoch hoffe ich, in den knapp verfassten Kapiteln die Themen so aufgemacht zu haben, dass sie wissenschaftlich hergeleitet, korrekt wiedergegeben und dennoch neugierig auf mehr machen. Ich denke mein Studium der Philosophie war hierzu sehr hilfreich. Persönlich bildet diese Arbeit mein Forschungsinteresse ab und ich freue mich diese Palette der Themenvielfalt bedienen zu dürfen.
Um das strukturierte Schreiben und Lesen zu ermöglichen, biete ich ihnen hier eine detaillierte Übersicht. Die nummerierten Stichpunkte finden Sie im Text der entsprechenden Kapitel. Somit lassen sich meine Aussagen strukturiert auf deren Zielhaftigkeit hin überprüfen.
Was passiert wo?
- Im Kapitel 2.1 (Allgemeinbildung - In Zeiten gesellschaftlicher Transformation) werde ich (1.) den gesellschaftlichen Anspruch an Bildung angesichts einer bestehenden Entwicklungsnotwendigkeit beleuchten. Ich werde (2.) kurz umreißen, was Allgemeinbildung ist und wozu wir sie brauchen. Danach werde ich (3.) auf die Ökonomisierung von Allgemeinbildung eingehen und (4.) der Frage nachspüren, was das „Allgemeine“ in der Allgemeinbildung ist, wie ausdifferenziert und zielgerichtet sie sein kann, ohne als Spezialbildung zu gelten.
- Im Kapitel 2.2 (W-A-T als Brückenfach zwischen Allgemeinbildung und Spezialbildung durch Lebensweltbezug) werde ich (1.) die verwendeten Begriffe definieren. (2.) Erklären warum der Aspekt des Lebensweltbezuges im Unterricht wichtig ist. Danach werde ich (3.) die Notwendigkeit des Lebensweltbezuges für den Übergang von Allgemeinbildung zur Spezialbildung beleuchten und (4.) die diesbezügliche Katalysatorleistung von W-A-T darstellen. (5.) Werde ich kurz auf den gesellschaftlichen Anspruch an ein lebensweltoffenen W-A-T Unterricht eingehen.
- Im Kapitel 2.3 (Glaubenssätze und Zukunftserwartungen – Wie Beliefs unsere Handlungen beeinflussen) werde ich den Zusammenhang von Beliefs & Handlungen nachspüren. Ich werde erklären, wie Handlungen durch unsere Glaubenssätze geprägt werden. Zuerst (1.) werde ich erklären, was Zukunftserwartungen & Glaubenssätze (Beliefs) sind. Ich werde (2.) darlegen, wozu Beliefs notwendig sind und was deren Funktion ist, um (3.) den Zusammenhang von Beliefs & Handlungen aufzuzeigen.
- Im Kapitel 2.4 (Junge Menschen und Verantwortungsübernahme – Der Glaube an die Zukunft) werde ich (1.) den Fragen nachgehen: Was ist Jugend? Worin besteht der Generationenkonflikt und wie ist dieser zu erklären? (2.) Werde ich der Bedeutung von Zukunftsfähigkeit, also die Zukunftssicherung einer Generation im Kontext von gesellschaftlicher Verantwortungsübergabe und Generationenkonflikt nachspüren. (3.) Werde ich der Frage nachgehen, ob es Aufgabe der Allgemeinbildung sein kann, die gesellschaftliche Transformation zu „befeuern“.
- Im Kapitel 2.5 (Kompetenztrias – Strukturierung von Kompetenzen) werde ich (1.) den historischen Ursprung des Kompetenzkanons aufzeigen und das pädagogische Verständnis der Kompetenztrias beleuchten. Ich werde (2.) die Anknüpfung von kognitiven Fähigkeiten an den Kompetenzbegriff kritisieren, um dann (3.) in den aktuellen Diskurs um in ein globaleres Verständnis von Kompetenzen und dessen Bedeutung für die pädagogische Arbeit in voneinander abgrenzenden Schulfächern zu münden.
2.1. Allgemeinbildung – In Zeiten gesellschaftlicher Transformation
1.) Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen zur Änderung von Lebensweisen und Lebensbedingungen lassen den Eindruck entstehen, dass wir an einer geschichtsträchtigen Schwelle stehen. Die Tragweite anstehender Transformationsprozesse lassen große Veränderungen erahnen und entziehen sich bisheriger objektiver Orientierungs- und Überprüfungssystematiken. Uns fehlen Mittel, welche uns befähigen, bestehende Ambivalenzen und Widersprüche aufzulösen. Es ist seit Sokrates abendländische Bildungstradition, dass die Bildungsinstitutionen ein neues und angemessenes Bewusstsein schaffen, um die Gesellschaft der Gegenwart an die Bedingungen der Zukunft anzupassen. Dies verlangt unserem Bildungsverständnis ab, „nicht nur Tradiertes zu übernehmen, sondern neues Bewusstsein und neue Weisen des Verhaltens zu sich und zur Wirklichkeit überhaupt zu entwickeln und immer wieder neu entwickeln zu können“ (Peukert 2015, S. 13).
2.) Die Allgemeinbildung kann als Fundament verstanden werden, welches durch Erziehung, Ausbildung und Annahme7 hergestellt wird. Das Bildungsfundament soll im weitesten Sinne das Funktionieren unserer Gesellschaft ermöglichen (vgl. Peukert 2015; Lederer 2014; Junga 2011; Klafki 2007; Benner 1995; Tenorth 1994). Peukert betont die Bedeutung von Bildung als „Sollbruchstelle“ bei der Weitergabe einer Kultur.
„Die Aufgabe einer eigenen, neuen, verändernden Selbst- und Wirklichkeitskonstruktion scheint vor Probleme zu stellen, die überfordern. Wenn man diese Aufgabe verstehen will, muss man auf tiefliegende Tendenzen in der Entwicklung moderner Gesellschaften zurückgehen. […] Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bezeichnet [der Begriff Bildung] im Kern seiner Bedeutung die Aufgabe, aus der Erfahrung von Entfremdung und von Widersprüchen der Gesellschaft – „contradictions du système social“ nennt es schon Rousseau – eine Transformation gesellschaftlicher Strukturen ebenso wie den Aufbau eines neuen Selbst- und Wirklichkeitsverständnisses zu erarbeiten (Peukert 2015, S. 33ff).
Bildung kann also wie eine Art Getriebeöl verstanden werden, welches die Funktion eines Getriebes ermöglicht, wenn seine Funktion die individuelle und gesellschaftliche Entwicklung8 ist. So treibt mich diese Metapher zu der Frage was die Zahnräder des Getriebes sein können, welche den Fortgang von Entwicklung bestimmen? Mit Kant ist es die reflektierende Urteilskraft eines „selbsttätigen Vermögen“. Mit W. v. Humboldt ist es die gemeinsame und bindende Wahrheit, welche sich im Austausch von Weltsichten und der Unmöglichkeit des Verstehens zeigt (vgl. Junga 2011, S. 272). Bildung kann (um hier meine Metapher zu bedienen) als graduierendes Momentum verstanden werden, welches den Grad von individueller und gesellschaftlicher Entwicklung beeinflusst. Wie gut eine jeweilige praktizierte Bildung ist, lässt sich daran ablesen, wie gut eine individuelle & kollektive Zukunftsbewältigung verläuft. Ist die jeweilige Generation ihrer jeweiligen Zukunft gewachsen? Nimmt Sie ihre moralische Verantwortung wahr, indem sie ein Erbe antritt und es in ein besseres Erbe für die nächste Generation ausgestaltet? Das wären Fragen mit denen sich im Nachgang die „Schmierfähigkeit“ (Wirkungsgrad) von Bildung ablesen lassen könnten.
3.) Will man auf die Zukunft von Bildung schauen, möchte ich mit Peukert (2015, S.45) darauf hinweisen:
„[...] dass wir es [beim Versuch etwas über die Zukunft von Bildung zu sagen] mit der Wechselwirkung von komplexen Systemen mit nichtlinearer Dynamik zu tun haben, deren zukünftige Entwicklung nach allem, was wir wissen, nicht eindeutig kalkulierbar ist.“
Betrachtet man den historischen Verlauf von Bildung, so lässt sich die eindringende Ökonomisierung in das Bildungssystem beobachten (Vergleichsstudien wie PISA oder die Bologna-Reform seien hier kurz erwähnt). Mit Höhne (2015, S.797) lässt sich Ökonomisierung als ein Veränderungsprozess anhand ökonomischer Kriterien beschreiben, welcher bestehende „Handlungslogik, Semantik oder Rationalität überformt […] oder überschreibt“. Ein weiteres Merkmal ist die Sicht auf Bildung als Kapitalgegenstand, welcher verdinglicht und verzweckt wird. Höhne (S.807) spricht hier von der kapitalen Logik des investment vs. return of investment, welche sich im Bildungsbereich zunehmend ausweitet. Als empirische Belege können hier die expansive Zunahme von privaten Nachhilfeinstituten sowie die zunehmenden Angebote zur Berufsorientierung von privaten Dienstleistern, also das Outsourcing von schulischen Bildungsbereichen benannt werden.
4.) Wenn wir von der Ökonomisierung, also der Verzwecklichung von Bildung reden, dann stellt sich die Frage, wie zielgerichtet Allgemeinbildung eigentlich sein darf. Wo hört das Allgemeine auf und wo fängt das Spezielle an?. Interessant ist diese Frage, da Bildung durch gesellschaftliche Transformation bestimmten Zielen unterlegen sein muss. Z. B. das allgemeine Ziel der Sicherung des Überlebens. Die Frage nach der „Spezialbildung“ lässt sich mit der Parallele zur Lebens- und Wissenskomplexität beantworten. Unsere Lebenswelten werden von Generation zu Generation komplexer und verlangen den Bildungsinstitutionen eine immer weiter ausdifferenzierte Lehre ab (vgl. Kriz 2012). Peukert (2015, S. 100ff.) spricht mit Rückgriff auf Wittgenstein von der systemischen Frage (die sich „junge Leute“ stellen müssen), ob sie das Spiel überhaupt weiterspielen möchten, oder die Regeln ändern müssen, um neue Perspektiven zu generieren. Was meint Wittgenstein mit Spiel? Er meint die evolutionär bedingte Übertragung von Kultur in kooperativen sozialen Lebensformen. Diese Übertragung soll im ursprünglichen Sinne das Überleben sichern.
„Es geht dabei um das Hineinwachsen in eine Kultur, indem man zugleich zu sich selbst findet; es geht um Enkulturation und Individuation, in einem elementaren Verständnis also um Bildung“ (ebd. S.100).
Zentrale Frage junger Menschen bei Bewusstwerdung ihrer Enkulturation ist:
„ob die Lebensform, die ihr angeboten wird, ihr überhaupt Lebensmöglichkeiten auf Zukunft hin bietet und ob sie sich darin verstehen kann. Sie muß sich also immer wieder fragen, ob sie das Spiel, das gespielt wird, nur gut zu erlernen braucht oder ob sie es verändern muß, wenn sie eine eigene Zukunft haben will (ebd. S.100).
Dabei gilt es zu unterscheiden, ob Lernen als additiver Prozess „eines [vor]gegebenen Grundgerüsts von Orientierungen und Verhaltensweisen“ stattfindet und das „Selbstverständnis nicht verändert, sondern eher bestätig[t]“. Oder ob Lernen uns dazu befähigt unser Selbstverständnis zu hinterfragen und selbsttätig anzupassen, indem „wir […] auf nicht Bekanntes zurückgreifen können [und] vielmehr die neuen Orientierungen und uns selbst erst finden, ja erfinden [müssen]“ (ebd. S. 101).
„Im Wahrnehmen solcher Erfahrungen müssen wir mit der Wirklichkeit uns selbst erst erlernen. Erfahrungen von enttäuschten Erwartungen, von Widersprüchen und Krisen, in die das Handeln nach bisherigen Schemata führt, zwingen dann zur Selbstfindung und zum Aufbau von Handlungsfähigkeit auf einem neuen Niveau. Von solchen Vorgängen wird das Bewusstsein nicht akzidentell, sondern substantiell betroffen. Es geht um Bewusstseinsbildung im radikalen Sinn des Wortes: das Bewusstsein selbst entsteht darin neu und muss sich neu praktisch und kommunikativ materialisieren“ (ebd. S.101).
Mit Blick auf das immer breitere und tiefer werdende Wissen und die damit verbundene Mehrung der Allgemeinbildung (wie eine Blase) und deren Tendenz zur Spezialisierung durch Spezialbildung liegt der Schlüssel einer guten Bildung für eine junge Generation also nicht darin, immer mehr zu lernen und immer spezialisierter zu werden - und das ohne ein eigenes Selbstverständnis gebildet wird. Der Schlüssel liegt meines Erachtens in der Bewusstseinsbildung eines eigenen Selbstbildes, welches sich zu der vorgegebenen Wirklichkeit positioniert. Die Allgemeinbildung sollte sich meines Erachtens genau darauf fokussieren. Sie ist gut beraten, sich auf die Reflexions- und Handlungsfähigkeit in einer noch nicht bestehenden Lebenswelt zu spezialisieren. Umso interessanter wird diese Aussage, wenn man bedenkt:
„Auch weiterhin wird die Zukunft unserer Gesellschaft von der Weise unseres Lernens und von dem darin neu entstehenden Bewußtsein abhängen; sie ist in einem elementaren Sinne abhängig von Bildung“ (ebd. S.102).
Um den Kreis an dieser Stelle zu schließen, möchte ich auf die derzeitigen gesellschaftlichen Herausforderungen zurückkommen, welche als krisenhaft wahrgenommen werden. Die Krise liegt doch in der Wahrnehmung, dass wir mit bestehenden, entkulturierten Selbstbildern und Verhaltensweisen die Zukunft nicht bewältigen können und ein neues Bewusstsein bilden sollten und müssen. Bezieht man das Schlüsselmoment von Bildung auf diese Handlungsfähigkeiten ein, so komme ich zu dem Schluss, dass der Allgemeinbildung angesichts gesellschaftlicher Krisenbewältigungen die Aufgabe zukommt, junge Menschen sich ihrer Selbstwirksamkeit zu bemächtigen, damit sie ihre Zukunftsfähigkeit sichern, damit sie mit einem Normalitätsverständnis von gestern auf eine veränderte Welt von morgen schließen können. Das ermöglicht in veränderten Lebenswelten handlungskompetent zu sein.
2.2. W-A-T als Brückenfach zwischen Allgemeinbildung und Spezialbildung durch Lebensweltbezug
1.) Ich werde darauf eingehen, wie ich die Begriffe Allgemein - und Spezialbildung verstanden wissen möchte, um dann den Lebensweltbezug im Unterricht als didaktisches Element zwischen den unterschiedlichen Bildungstiefen zu positionieren. Allgemeinbildung verstehe ich mit Humboldt als Bildungsfundament, welches jedem jungen Menschen zugänglich sein sollte, um ein selbstbestimmtes und partizipatives Leben innerhalb einer Gesellschaft führen zu können. Mit dem Begriff Spezialbildung verstehe ich die sachliche Tiefe eines Bildungs-Teilgebietes, welches durch intensives Thematisieren ein Spezialwissen hervorbringt. Durch Spezialbildung wird man zum Profi / Expert*in in einer bestimmten Sache. Die Spezialbildung beginnt innerhalb der Allgemeinbildung und mündet im lebenslangen Lernen. Sie zeigt den Grad der Bildungstiefe an.
2.) In der Didaktik fallen unter dem Begriff Subjektorientierung Methoden, die an das Vorwissen und Selbstverständnis der Lernenden anknüpfen (vgl. Bartsch 2012, S. 54). Pädagogische Einsicht der Allgemeinen Didaktik durch u.a der Pädagogische Psychologie ist folgender Zusammenhang: Umso dichter ein Lernthema am Selbstverständnis und der Lebenswelt des Lernenden ist, umso größer wird der zu erwartende Lernerfolg sein. Die Erkenntnis um den Lebensweltbezug wuchs zu einer didaktischen Grundhaltung für alle Fachdidaktiken heran (vgl. Standop & Jürgens 2015, S. 27ff.; Woolfolk 2008, S. 449ff.) und verdichtet sich in der Lehrer*innenbildung, in der ein lebensweltbezogenen Unterricht gefordert wird (vgl. Standop & Jürgens 2015, S. 159ff.). Ein Lernthema, das den Lernenden nicht nützlich erscheint, wird es sehr viel schwerer haben bei den Lernern verankert zu werden, als ein Lernthema, welches ein Nutzen für den Lerner impliziert (vgl. Bartsch, 2012 S. 54ff.). Dieser Lernzusammenhang erschöpft sich aus der Konsistenztheorie von Grawe (1998), (eine gute Übersicht dazu bietet (Holtforth & Grawe 2004)), sowie die Self-Determination-Theorie an the Facilitation of intrinsic Motivation von Deci & Ryan (1993). Beide Theorien setzen bei der Bedürfnisbefriedigung nach Kompetenz, Autonomie & Verbundenheit (Deci & Ryan) und Lustgewinn, Bindung, Kontrolle, Selbstwert (Grawe) an. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass dies Mangelbedürfnisse sind und das menschliche Bestreben darin liegt, diese Mangeltöpfe durch Handeln in eine Balance von Mangel & Überfluss zu bringen. Ist die Balance in den Bedürfnisbereichen hergestellt, empfinden wir Integrität (Deci & Ryan) und Konsistenz (Grawe), welche in das Empfinden von hedonistischen & eudaimonischen Wohlbefinden mündet. Selbstredend ist meine Ausführung hier stark verkürzt. Ich möchte nur kurz anreißen, welchen systemisch-psychologischen Ursprungs Neugier und Motivation sind und welchen Zwecken sie dienen.
3.) Ein Unterricht, welcher u.a. lebensweltorientiert gestaltet ist, hat das Vermögen, zu begeistern, zu motivieren, Interessen zu bedienen und Neugier zu stillen. Betrachtet man Lernen graduell, sind das Bedingungen, die Lernen bis zu einer maximalen Effektivität beeinflussen (vgl. Steffens & Messner 2019; Kunter & Ewald 2016). Natürlich geschieht dies auf einer individuellen Ebene und kann nicht pauschalisiert werden. Da unsere gesellschaftlichen Strukturen von Komplexität geprägt sind, benötigen wir in diversen Handlungsbereichen Spezialist*innen, welche sich kompetent ihres Spezialwissens bedienen (vgl. Abels & König 2010). Ein Bildungsziel unserer Gesellschaft ist es, möglichst viele Menschen zu Spezialist*innen ihres Fachs zu machen. Denn eine Gesellschaft, die nur aus Generalist*innen bestünde, würde keine großen Handlungserfolge aufweisen können (vgl. Preyer & Krauße 2020). Wir erinnern uns: Die Allgemeinbildung ist das Bildungsfundament. Die Spezialbildung ist die Bildungstiefe, welche in der Allgemeinbildung beginnt und in der Beruflichen Bildung, Lebenslangem Lernen und dem Hochschulstudium mündet. Vergleicht man die Lern- / Bildungsanstrengungen einer Person mit der Höhe eines Hauses, könnte ich fragen: Welches Haus wohl höher wäre, das Haus der Person mit Lernen durch Lebensweltbezug oder das Haus der Person ohne Lebensweltbezug ? Die Antwort scheint klar: Das lebensweltbezogene Lernen ist Garant für die Effizienz beim Lernprozess, welcher ein tiefst mögliches Eintauchen in die Spezialbildung bedingt.
4.) Ein Schulfach, dass Bezüge zur Wirtschaft, Arbeit & Technik herstellt, baut meinem Verständnis nach auf andere Schulfächer konsekutiv auf und ist damit näher an den Handlungskompetenzen verortet als andere Schulfächer (vgl. Dedering 2000). Wenn die Spezialbildung nun die Bildungstiefe in einer Sache abbildet, dann sind Handlungskompetenzen innerhalb der Spezialbildung zu finden. Durch die Herstellung von Bezügen zu den Subdisziplinen Wirtschaft, Arbeit, Technik innerhalb der Allgemeinbildung kommt dem Fach W-A-T eine Katalysator-Funktion zwischen dem Beginn von Spezialbildung und entsprechender Tiefen-Bildung zu. W-A-T vermag es mittels Handlungsorientierung & Lebensweltbezug zu begeistern und damit ein effektives Lernen / Bilden hin zur Profession zu ermöglichen wie kein anderes Fach.
5.) Der Anspruch einer pluralistischen, offenen und toleranten Gesellschaft wie die unsere, kann es nicht sein, ein Schulfach zu unterhalten, welches Handlungskompetenzen als Mittel zur beruflichen Integration in das nachschulische Erwerbsleben zum Ziel hat. Vielmehr muss es Anspruch sein, Handlungskompetenzen zur Pluralität, Offenheit & Toleranz zu bilden. Ein lebensweltbezogenes Schulfach wie W-A-T mit ökologischer & ökonomischer Verbraucherbildung sowie der selbstwirksamkeitsbildende Ansatz durch Handlungsbezug wird in einer Bildung für alle von Nutzen sein. Von daher sollte W-A-T offen gedacht werden und in allen Schulformen der Sekundarstufe I angeboten werden. Damit legt es seine Selektionsfunktion ab und dient nicht mehr als Instrument systemischer Bildungsschranken.
2.3. Glaubenssätze und Zukunftserwartungen – Wie Beliefs unsere Handlungen beeinflussen
1.) Wesentliche Eigenschaft von uns Menschen ist, die Fähigkeit unseres Geistes „zukünftige Möglichkeiten wahr[zu]nehmen und die Welt beständig um[zu]gestalten“ (Krafft 2018, S. 89). Die Fähigkeit des Geistes zum planvollen Handeln bestimmt damit die Intensität proaktiver Handlungen. Also, je planvoller eine Person über ihre Handlungen deliberiert, umso zielgerichteter werden diese Handlungen sein. Für den Philosophen Ernst Bloch9 ist das menschliche Streben nach Besserem grundlegende „Triebfeder der menschlichen Natur“, denn der menschliche Wille ist kein Wille zum Sein, „sondern ein Wille zum Werden, der eine Fortschrittsbewegung in die Welt hineinbringt“, so hier die verkürzte Argumentation von Bloch (ebd. S. 90). Demnach scheint es mir eine pragmatische Funktion des Menschen, wenn eine Person ihren Willen zum Werden, anhand realer Lebensumstände rahmt. Das „Abklopfen“ von Handlungsoptionen im Geiste ist eine menschliche Fähigkeit, die psychische Grundbedürfnisse nach Sinn, Sicherheit & Freiheit befriedigt und letztendlich die individuelle Handlungsfähigkeit sichern soll (vgl. Fritz-Schubert 2017). Diese Fähigkeit lässt sich auch durch metaphysische Beobachtungen (Instinktverhalten) darlegen (vgl. Sowa & Vongehr 2014, S. 83ff.). Als Zukunftserwartung verstehe ich also die Überlegung einer Person oder Kollektives, zur Machbarkeit von Handlungen durch den Abgleich von gegenwärtiger Realität und der zu erwartenden zukünftigen Realität. Durch den Willen zum Werden entsteht eine Erwartungshaltung an die zukünftige Realität: Das wird mir die Zukunft bringen! Als Glaubenssatz verstehe ich die deliberierte & innere Haltung einer Person oder Gruppe, welche zu einer Überzeugung gereift ist. Es entsteht subjektives Wissen, welches wahr empfunden wird und somit als Überzeugung einer Person die Grundlage für weitere Überlegungen und Handlungen darstellt. Es entsteht ein kausaler Zusammenhang zwischen individueller Handlung und Handlungsfolge, also der Verantwortung von Handlungen. Diese Verantwortung prägt die jeweilig determinierte Zukunft. Das englische Wort Belief bedeutet Überzeugung / Glauben. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch, also in der Verwendung von Fachsprache ist das Fachwort Beliefs10 entstanden, mit dem der individuelle Beitrag zu einer sozialen Realität thematisiert wird (vgl. Rydgren 2009, S.72ff.).
[...]
1 Gemeint ist der individuelle Einsatz von Handlungskompetenzen innerhalb einer Gesellschaft.
2 Im weiteren Verlauf dieser Arbeit werde ich die Begriffe Zukunftserwartungen & Glaubenssätze durch den Begriff Beliefs ersetzen. Das englische Wort meint Überzeugungen, also Glauben im weitesten Sinne, und umfasst daher die Begriffe Zukunftserwartungen & Glaubenssätze. Im wissenschaftlichen Sprachgebrach, z. B. der Psychologie, findet diese Praxis ebenfalls Anwendung (vgl. Rydgren 2009).
3 Befähigung zur gelingenden Zukunftsbewältigung. Eudaimonisches Wohlbefinden.
4 BMUB Studie: Zukunft? Jugend fragen! (2018); Jugendstudie Baden-Württemberg ( 2020); Shell Jugendstudie (2019); Arte Studie: Es wird Zeit! (2020).
5 Reiz-Reaktionskette nach Pawlow, Skinner bestehend aus: Input (Wissen)+Blackbox (Wissensverarbeitung) = Output (Lernzuwachs).
6 Gemeint sind nach Friese die Konflikte um (1.) einer geschlechtlichen Codierung von Berufsbildern und (2.) das utilitaristische Konzept von Allgemeinbildung steht zwischen Anforderungen zur Individualisierung und zum Gemeinsinn.
7 Ich meine die individuelle und autonome Bereitschaft einer Person Bildung an sich selbst zu vollziehen. Z. B. die Übernahme von Werten, Glaubenssätzen. Das Zusprechen der Relevanz von Wissen, das in Kontext setzen von Wissen einer nächsten Generation erfolgt situativ, gebettet in Sozialisation.
8 Gemeint ist mit Peukert der Aufbau eines eigenen Selbst- und Wirklichkeitsverständnis, welches die Transformation von gesellschaftlichen Strukturen bedingt.
9 In: Experimentum mundi ist das Hauptwerk Prinzip Hoffnung zu finden (Ernst-Bloch-Zentrum 2021).
10 Der Begriff Beliefs soll in dieser Arbeit als Glaubenssätze & Zukunftserwartungen einer nicht religiösen Prägung verstanden werden.
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