Im Zuge dieser Arbeit wird die Frage geklärt, was die deutsche Einwanderung vor dem amerikanischen Bürgerkrieg von der Einwanderung nach dem Bürgerkrieg unterscheidet. Dabei soll insbesondere die sich ergebende Frage aufgegriffen und beantwortet werden, wie sich die industrielle von der bäuerlichen Migration unterscheidet. Dieser Wandel soll den Rezipierenden sodann an dem Beispiel des Matthias Dorgathen, einem deutschen Auswanderer, greifbar gemacht und erläutert werden. Nach dem Beispiel sollen in einer kurzen Gegenüberstellung noch einmal die wichtigsten Unterschiede zwischen den Migrationsphasen dargestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
I. Einführung und Fragestellung
II. Einordnung in den historischen Kontext
III. Die Unterschiede der Migrationsbewegung vor und nach dem Sezessionskrieg
1. Entwicklung der Auswanderungsstruktur
2. Die Veränderung der Push- und Pullfaktoren sowie der Motivation der Migrierenden
2.1 Migrationsgründe vor 1865
2.2 Migrationsgründe nach 1865
3. Vergleich der Migrationsgründe und Remigration
IV. Das Beispiel des Matthias Dorgathen
V. Zusammenfassung des Vorgestellten
.Auf (nimmer) Wiedersehen?"- Deutsche Auswanderung in die USA von 1865 bis 1914
I. Einführung und Fragestellung
Die mehrere tausend Personen umfassenden Flüchtlingsströme, die sich durch Südamerika immer weiter nordwärts Richtung USA bewegen, sind in den Medien heutzutage ein vertrautes Bild. Doch nicht nur in der heutigen Zeit sind die Vereinigten Staaten von Amerika für Migrierende das lohnende Zielland, dass sie bereitwillig aufzunehmen scheint. So heißt es in der Inschrift am Sockel der Lady Liberty „Give me your tired, your poor, your huddled masses yearning to breathe free [...] I lift my lamp beside the golden door”. Seit ihrer feierlichen Eröffnung im Oktober des Jahres 1886 gilt die Freiheitsstatue auf Liberty Island im New Yorker Hafenbecken, wie kaum ein anderes Symbol als Mutter der Migrationsbewegungen. Sie verkörpert die Hoffnung auf einen Neuanfang für viele Migrierende, die aus unterschiedlichen Motiven ihre Heimat verlassen haben.
Und so leuchtete sie auch vielen deutschen Auswanderern, die den Atlantik per Schiff überquert haben, den Weg durch die goldene Tür in ein neues Leben. Über drei Millionen Deutsche sind im Zeitraum von 1865 bis 1914 in die USA emigriert.1 Das Phänomen deutscher Auswanderung in die USA ist jedoch nicht erst seit dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs von Bedeutung, auch vorher gab es bereits große deutsche Migrationsbewegungen in die USA. So wanderten bereits in der Zeit zwischen 1842 und 1857 über eine Million Deutsche in die USA aus.2 Die Motivation zur Auswanderung, die Struktur der Auswandernden und auch die Anpassung und der Werdegang in den USA unterscheiden sich bei den verschiedenen Wellen jedoch deutlich, wobei der Sezessionskrieg einen Einschnitt darstellt,3, sodass es sich lohnt einen Blick auf die Auswanderer im Zeitraum nach 1865 bis 1914 zu werfen. Im Zuge dieser Arbeit soll die Frage geklärt werden, was die deutsche Einwanderung vor dem amerikanischen Bürgerkrieg von der Einwanderung nach dem Bürgerkrieg unterscheidet. Dabei soll insbesondere die sich ergebende Frage aufgegriffen und beantwortet werden, wie sich die industrielle von der bäuerlichen Migration unterscheidet. Dieser Wandel soll den Rezipierenden sodann an dem Beispiel des Matthias Dorgathen, einem deutschen Auswanderer, greifbar gemacht und erläutert werden. Nach dem Beispiel sollen in einer kurzen Gegenüberstellung noch einmal die wichtigsten Unterschiede zwischen den Migrationsphasen dargestellt werden.
II. Einordnung in den historischen Kontext
Im Jahr 1865 endet der amerikanische Bürgerkrieg, die seit I860 nachlassende Migration Deutscher in die USA beginnt wieder zu steigen und erreicht nach 1865 erstmals wieder die Höhe von vor I860.4 Nicht nur die amerikanische Gesellschaft befindet sich in derZeit nach 1865 im Wandel, auch in Deutschland gibt es gesellschaftliche Neuerungen, die die Migrationsgedanken Auswanderungswilliger stärken. Im Zuge der beginnenden Industrialisierung wird die Dampfkraft im Verlaufe der 1860er Jahre die dominante Kraftquelle der gewerblichen Wirtschaft5, die Einführung dieser neuen Kraft ermöglicht es, Vorgänge, die sonst in mühsamer Heimarbeit ausgeführt worden sind, in Fabriken durchführen zu können. Der technische Fortschritt führt im Zuge der Industrialisierung somit zu einer rapide ansteigenden Arbeitendenschicht. Zugleich ermöglicht der technische Fortschritt auch eine Neuerung in puncto Mobilität, die sich in den USA vor allem durch die Erweiterung der transkontinentalen Eisenbahn bemerkbar macht. Aber auch zu Wasser gibt es einen technischen Fortschritt. War eine Überfahrt vor 1865 mit einer mehrwöchigen Segelreise verbunden, verband nun „der Dampfschifffahrtsverkehr vor allem die Hansestädte mit den USA [...], während die Segelschiffe auch südamerikanische Länder [...] anliefen".6 Der Umstand, dass die Atlantiküberquerung in die Vereinigten Staaten nun einige Tage statt einiger Wochen dauerte, macht sich in der Migrationsbewegung ab 1865 vor allem in der hohen Zahl der Migrierenden deutlich bemerkbar.
III. Die Unterschiede der Migrationsbewegung vor und nach dem Sezessionskrieg
1. Entwicklung der Auswanderungsstruktur
Bei einem Blick auf die Struktur der Auswanderung nach 1865 fällt in Bezug auf das Alter auf, dass die Migrierenden zum Zeitpunkt älter waren als noch in früheren Migrationswellen. Waren 1882 noch 28,2 % der Auswanderndenjünger als 15 Jahre, lag der Anteil der unter 15-Jährigen 1892 bei nur noch 20%.7 Erklären lässt sich diese Verjüngung damit, dass es einen weiteren Wandel der Auswanderungsstruktur gegeben hat: War die Familienauswanderung vor 1865 noch das normale Phänomen8, stieg die Zahl der individuell Auswandernden nach 1865 und besonders in den 1890er Jahren stark an. Lag der Anteil der allein Migrierenden im Zeitraum von 1881-1890 noch bei knapp 40%, stieg der Anteil bis zum Jahr 1910 auf knapp 60%,9 was die Frage aufwirft, wodurch sich der Strukturwandel der Auswanderungen erklären lässt.
2. Die Veränderung der Push- und Pullfaktoren sowie der Motivation der Migrierenden
2.1 Migrationsgründe vor 1865
Um die Veränderung der Faktoren, die die Migrierenden aus Deutschland gestoßen (Pushfaktoren) und in die USA gezogen (Pullfaktoren) haben zu verdeutlichen, muss man sich zunächst bewusst machen, welche Faktoren für die Migration vor 1865 entscheidend waren. Wenn Kamphoefner von „Verpflanzten Dörfer[n]“10 spricht, verdeutlicht er damit mehrere Aspekte der Migration vor 1865. Die meist bäuerliche Unterschicht emigrierte in Familienverbünden in die USA, um dort sesshaft zu werden, eigenen Grund und Boden zu erwerben und sich so die Lebensgrundlage zu sichern und der Überbevölkerung in Deutschland, die Hungersnöte zur Folge hatte, zu entfliehen.11 Namen wie New Ulm oder Westphalia deuten noch heute auf die verpflanzten Dörfer hin. Eine Assimilation in die amerikanische Gesellschaft fand so gut wie nicht statt, die Leute blieben unter sich, sprachen deutsch. Die Sesshaftwerdung und Landnahme waren also wesentliche Faktoren der Migration ante bellum. Unmittelbar nach 1865 gab es noch einige „Spätmigrierende", bäuerliche Familien, die aus denselben Gründen migrierten.
2.2 Migrationsgründe nach 1865
Als wichtige Pushfaktoren nach 1865 sind im Wesentlichen zwei zu nennen: Zum einen führte der Gründercrash im Zeitraum von 1873 bis 1879 zu einer Wirtschaftskrise, an deren Ende Lohnsenkungen von bis zu 40% standen, zum anderen war der Arbeitsmarkt durch die immer weiter fortschreitende Industrialisierung gesättigt, viele Berufsgruppen wurden obsolet. Die Menschen fanden in Deutschland kaum neue Arbeitsplätze. Im Gegensatz dazu boomte die amerikanische Wirtschaft nach dem Bürgerkrieg geradezu. Die Industrialisierung sorgte in den USA für die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die durch neue Wirtschaftszweige entstehen. Auch der Ausbau des Eisenbahnnetzes, war ein Garant für neue Arbeitsplätze in den USA. Geschichten, wie die Entstehung des RockefellerImperiums deuten Ende der 1880er Jahre auf den Beginn einer „Ära der amerikanischen wirtschaftlichen Vorherrschaft“12 hin, die als Magnet für neue Arbeitsplätze gelten konnte. Zudem hatten die US-amerikanischen Gewerkschaften zeitweise einige große Erfolge vorzuweisen, die in einem höheren Lohn für die Arbeitenden mündeten. Die fehlende Aussicht auf einen Arbeitsplatz in Deutschland und die guten Chancen auf einen gut bezahlten Arbeitsplatz in den USA sorgte also dafür, dass sich immer mehr Angehörige der deutschen Arbeitendenschicht über den Atlantik in die USA wagten.
3. Vergleich der Migrationsgründe und Remigration
Betrachtet man die Migrationsgründe vor und nach 1865 fällt auf, dass die Landnahme für die Migrierenden nach 1865 erheblich weniger wichtig war, viel mehr wollten sie eine Anstellung, waren sogar bereit innerhalb der USA ihren Wohnort und Arbeitsplatz zu wechseln. Anders als die Vor-1865er planten viele der Arbeitendenschicht angehörigen Migrierenden ursprünglich oft nur eine Auswanderung auf Zeit in die USA,13 konnten sich also durchaus vorstellen, Deutschland wiederzusehen. Immerhin knapp 20% der Migrierten wurden nicht in den USA sesshaft und remigrierten nach Deutschland, was bei den vorgenannten Gründen nicht verwunderlich ist. Die Arbeitenden, die individuell und nicht im Familienverbund ausgewandert waren, hatten häufig keine familiäre Verankerung in den USA und waren durch die Möglichkeit der Dampfschifffahrt schnell wieder diesseits des Atlantiks. Ferner bestand ihre Motivation zur Auswanderung im Geldverdienen und nicht in der Landnahme und dem Leben der selbstversorgenden farmer. Erschwerend hinzu kommt, dass auch Angehörige anderer Nationen das Potenzial des „Landes der unbegrenzten Möglichkeiten“ als Hauptziel der Migration erkannten, die nun ebenfalls auf den amerikanischen Arbeitsmarkt drängten. Zudem vereinfachten vermehrte Arbeitsplätze in Deutschland in einer kurzen Hochindustrialisierungsphase ab 1900 bis zum Beginn des ersten Weltkrieges, die Entscheidung einer Rückkehr nach Deutschland.14
Ein beispielhafter Verlauf der Migration nach 1865 soll im Folgenden die Migration des Matthias Dorgathen liefern.
IV. Das Beispiel des Matthias Dorgathen
Von Matthias Dorgathen ist eine Reihe von Briefen erhalten, welche er im Laufe seines amerikanischen Lebens (1881-1885) an seine Familie im Ruhrgebiet versandt hat. Er war ein deutscher Arbeiter aus Styrum (heute ein Stadtteil von Mülheim an der Ruhr). Seine Familie ist ursprünglich in der Binnenschifffahrt tätig gewesen, bevor der Ausbau der Eisenbahnen im Ruhrgebiet ihre Tätigkeit obsolet machte. Für Familie Dorgathen bedeutete dies den Weg in die Lohnarbeit. Mehrere Familienmitglieder waren im Bergbau tätig; so auch Matthias, welcher als Bergmann auf der Zeche Alstaden arbeitete.
[...]
1 Burgdörfer, Friedrich: Wanderungen über die deutschen Reichsgrenzen im letzten Jahrhundert, Berlin 1930, S. 189.
2 Emmerich, Alexander: Little Germany. Deutsche Auswanderer in Nordamerika, Frankfurt/NewYork 2019, S. 16. (im Folgenden zitiert als: Emmerich: Little Germany.].
3 Emmerich: Little Germany, S. 15-17.
4 Marschalck, Peter: Deutsche Überseewanderung im 19 Jahrhundert. Ein Beitrag zur soziologischen Theorie der Bevölkerung, Stuttgart 1973, S.42. (Im Folgenden zitiert als: Marschalck: Dt. Überseewanderung.].
5 Pierenkemper, Toni: Regionale Differenzierung im östlichen Ruhrgebiert, 1850-1887. Dargestellt am Beispiel der Einführung der Dampfkraft, in: Fremdling, Rainer; Tilly, Richard Hugh (Hg.J: Industrialisierung und Raum. Studien zur regionalen Differenzierung im Deutschland des 19. Jahrhunderts, Band 7, Stuttgart 1979, S.172. (Im Folgenden zitiert als: Pierenkemper: Regionale Differenzierung.].
6 Marschalck: Dt. Überseewanderung, S. 42.
7 USDT Bureau of Statistics (Hg.J: Immigration into the the United States. Showing number, nationality, sex, age, occupation, destination, etc, o.0.1903.
8 Emmerich: Little Germany S.17.
9 Burgdörfer, Friedrich: Die Wanderungen über die deutschen Reichsgrenzen. In: Köllmann, Wolfgang (Hg.J: Bevölkerungsgeschichte. Köln 1972, S.403.
10 Kamphoefner, Walter D.: Westfalen in der neuen Welt. Eine Sozialgeschichte der Auswanderung im 19. Jahrhundert 1982, Münster 2006, S. 83. [Im Folgenden zitiert als: Kampfhoefner: Westfalen.].
11 Kamphoefner: Westfalen, S.27-29.
12 Collier, Peter; Horowitz, David: Die Rockefellers. Eine amerikanische Dynastie. Frankfurt am Main/Berlin 1976, S. 41.
13 Emmerich: Little Germany S.16 f.
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in dem Dokument „.Auf (nimmer) Wiedersehen?"- Deutsche Auswanderung in die USA von 1865 bis 1914“?
Das Dokument untersucht die deutsche Auswanderung in die USA im Zeitraum von 1865 bis 1914 und vergleicht diese mit der Auswanderung vor dem amerikanischen Bürgerkrieg. Es analysiert die Unterschiede in der Auswanderungsstruktur, den Push- und Pull-Faktoren sowie den Beweggründen der Migranten.
Welche Hauptunterschiede werden zwischen der Migration vor und nach dem Sezessionskrieg hervorgehoben?
Vor dem Sezessionskrieg dominierten Familienauswanderungen bäuerlicher Unterschichten, die Land erwerben und sich eine Existenz aufbauen wollten. Nach dem Krieg stieg die individuelle Migration von Arbeitern, die durch Wirtschaftskrisen und mangelnde Arbeitsplätze in Deutschland motiviert waren und in den USA bessere Beschäftigungsmöglichkeiten suchten.
Welche Push- und Pull-Faktoren werden für die Migration vor 1865 genannt?
Zu den Push-Faktoren vor 1865 gehörten Überbevölkerung und Hungersnöte in Deutschland. Zu den Pull-Faktoren zählten die Möglichkeit, eigenes Land zu erwerben und eine neue Existenz in den USA aufzubauen.
Welche Push- und Pull-Faktoren werden für die Migration nach 1865 genannt?
Nach 1865 waren die Wirtschaftskrise in Deutschland (Gründerkrach), Lohnsenkungen und ein gesättigter Arbeitsmarkt wichtige Push-Faktoren. Die boomende amerikanische Wirtschaft, der Ausbau des Eisenbahnnetzes und höhere Löhne in den USA wirkten als Pull-Faktoren.
Was bedeutet der Begriff „Verpflanzte Dörfer“ im Zusammenhang mit der Migration vor 1865?
Der Begriff beschreibt, dass vor 1865 ganze Dörfer oder Dorfgemeinschaften aus Deutschland in die USA auswanderten und dort versuchten, ihre gewohnte Lebensweise beizubehalten, oft ohne sich in die amerikanische Gesellschaft zu integrieren.
Welche Rolle spielte die Industrialisierung bei der Veränderung der Migrationsstruktur?
Die Industrialisierung in Deutschland führte zu Arbeitslosigkeit und Lohnsenkungen, was viele Arbeiter zur Auswanderung in die USA bewegte, wo die Industrialisierung neue Arbeitsplätze schuf. Die Dampfschifffahrt ermöglichte schnellere und einfachere Atlantiküberquerungen.
Was ist die Bedeutung des Beispiels von Matthias Dorgathen in dem Dokument?
Das Beispiel von Matthias Dorgathen, einem deutschen Arbeiter, der in die USA auswanderte und Briefe an seine Familie schrieb, dient dazu, die typische Migration der Arbeiterklasse nach 1865 zu veranschaulichen und die individuellen Erfahrungen der Migranten zu beleuchten.
Wie hoch war der Anteil der Remigranten nach 1865?
Ungefähr 20% der deutschen Migranten nach 1865 kehrten nach Deutschland zurück, was darauf hindeutet, dass viele die Auswanderung nur als temporäre Lösung zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation betrachteten.
Welche Rolle spielte der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt in den USA?
Neben Deutschen drängten auch Angehörige anderer Nationen auf den amerikanischen Arbeitsmarkt, was den Wettbewerb verschärfte und die Entscheidung zur Rückkehr nach Deutschland für einige begünstigte, insbesondere im Zusammenhang mit zunehmenden Arbeitsplätzen in Deutschland ab 1900.
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- Jona Finn Jäker (Author), Lars Terhorst (Author), 2021, Deutsche Auswanderung in die USA 1865 bis 1914. Unterschiede zwischen der industriellen und der bäuerlichen Migration, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1162364