Evolution und Umwelt stehen in einem grundsätzlich interaktiven Verhältnis, da der Mensch
jedoch nur über ein geringes genetisches Anpassungsvermögen an ökologische Situationen
verfügt, muss er Problemlagen gezielt begegnen, unter Einsatz seiner gesamten geistigen und
praktischen Fähigkeiten. Dieses zu erkennen, sind grundlegende Eigenschaften
menschenspezifischer Vernunft und Verstand. Nach A. Gehlen steht der Mensch aufgrund
seiner Mängel unter einem enormen Handlungsdruck, den er durch verschiedene Maßnahmen
zu entlasten sucht. Eine davon ist die Bildung von Gemeinschaften, um in der Gruppe sein
Überleben über andere taktische Wege zu sichern. Hierzu muss er seine Umwelt entsprechend
gestalten. Mit fortschreitendem Individualbewusstsein formte sich daher die
Wahrnehmungsfähigkeit für vom gewohnten Verhaltens- und Erscheinungsbild abweichende
Änderungen in dem Maß, wie die Umwelt als bewusste Erfahrung in die persönliche aktuelle
Lebensgeschichte integriert wurde. In der Notwendigkeit der Modulation seiner Umwelt
nahmen Individuation und Einzelschicksale innerhalb der Gruppe an Bedeutung zu. Zwar
wurden körperliche Verletzungen zuerst nur als unterschiedlich zum gewohnten
Erscheinungsbild des Betroffenen und Krankheiten als nicht dem gewohnten Verhalten
entsprechend wahrgenommen, sehr bald führten sie jedoch zu der Erkenntnis, dass sich
beides einschränkend auswirkte, sowohl auf die Leistungsfähigkeit des Betroffenen als auch
auf die Gemeinschaft. Die existentielle Notwendigkeit, vorhersehbare soziobiologische
Schäden möglichst gering zu halten, führte zur Entstehung von über die reine
Wundversorgung hinausgehenden kurativen Maßnahmen, als Einstieg zur Volksmedizin. Bei
der Wundversorgung stand die Rentabilität im Vordergrund der Zielsetzung, die Motivation
der Versorgung atraumatischer Phänomene orientierte sich an der Gleichförmigkeit der
Außenwelt. Maßnahmen zur Wiederherstellung lagen in Ermangelung logisch fundierter
Erklärungsmodelle und naturwissenschaftlicher Parameter vor allem in animistischen
Heilritualen.
Evolution und Umwelt stehen in einem grundsätzlich interaktiven Verhältnis, da der Mensch jedoch nur über ein geringes genetisches Anpassungsvermögen an ökologische Situationen verfügt, muss er Problemlagen gezielt begegnen, unter Einsatz seiner gesamten geistigen und praktischen Fähigkeiten. Dieses zu erkennen, sind grundlegende Eigenschaften menschenspezifischer Vernunft und Verstand. Nach A. Gehlen steht der Mensch aufgrund seiner Mängel unter einem enormen Handlungsdruck, den er durch verschiedene Maßnahmen zu entlasten sucht. Eine davon ist die Bildung von Gemeinschaften, um in der Gruppe sein Überleben über andere taktische Wege zu sichern. Hierzu muss er seine Umwelt entsprechend gestalten. Mit fortschreitendem Individualbewusstsein formte sich daher die Wahrnehmungsfähigkeit für vom gewohnten Verhaltens- und Erscheinungsbild abweichende Änderungen in dem Maß, wie die Umwelt als bewusste Erfahrung in die persönliche aktuelle Lebensgeschichte integriert wurde. In der Notwendigkeit der Modulation seiner Umwelt nahmen Individuation und Einzelschicksale innerhalb der Gruppe an Bedeutung zu. Zwar wurden körperliche Verletzungen zuerst nur als unterschiedlich zum gewohnten Erscheinungsbild des Betroffenen und Krankheiten als nicht dem gewohnten Verhalten entsprechend wahrgenommen, sehr bald führten sie jedoch zu der Erkenntnis, dass sich beides einschränkend auswirkte, sowohl auf die Leistungsfähigkeit des Betroffenen als auch auf die Gemeinschaft. Die existentielle Notwendigkeit, vorhersehbare soziobiologische Schäden möglichst gering zu halten, führte zur Entstehung von über die reine Wundversorgung hinausgehenden kurativen Maßnahmen, als Einstieg zur Volksmedizin. Bei der Wundversorgung stand die Rentabilität im Vordergrund der Zielsetzung, die Motivation der Versorgung atraumatischer Phänomene orientierte sich an der Gleichförmigkeit der Außenwelt. Maßnahmen zur Wiederherstellung lagen in Ermangelung logisch fundierter Erklärungsmodelle und naturwissenschaftlicher Parameter vor allem in animistischen Heilritualen.
Aberwitz und Hokuspokus ?
Bis heute hat hieran die Iatromagie großen Anteil, sie steht außerhalb der Herkömmlichen westlichen Medizin und vereint nach R. Jütte alle Heilmethoden, „die sich auf geheimnisvolle Naturkräfte im Kosmos berufen und diese übernatürlichen Kräfte mit Hilfe bestimmter Techniken und ,Medien’ auf den kranken menschlichen Körper zu lenken und damit einen Heilprozess in Gang zu setzen suchen.“
Im Großen und Ganzen sind dies religiös-magische Vorstellungen, zur modernen naturwissenschaftlichen Medizin besteht kein offizieller Bezug.
Entsprechend integriert H. Schott die Gebetsheilung oder die Geistheilung ebenso in die magische Heilkunde wie Zaubersprüche und -rituale, demgemäß sieht er die Akupunktur vor dem philosophischen Hintergrund der TCM ebenfalls als Bestandteil der magischen Heilkunde, wie auch den philosophischen Ansatz der Homöopathie , gleichwohl beide Methoden durchaus kompatibel mit der herkömmlichen Medizin erscheinen und zudem die Homöopathie in beiden Bereichen, also sowohl von approbierten Ärzten als auch medizinischen Laien, praktiziert wird.
Nach H. Schott verbindet die magische Heilkunde in wechselseitigem Profit die Volksmedizin mit der Gelehrtenmedizin, sodass er in der Iatromagie kein eindeutiges Charakteristikum der Volksmedizin sieht, sondern sie als Teil der Popularkultur interpretiert.
Magische Handlungen dienten einst aus Mangel an anderen Perspektiven primär der Lebensbewältigung, so auch der Erkennung und Heilung scheinbar angezauberter Krankheiten.
Ein Bezug zu Ursache und Wirkung ließ sich, von Verletzungen abgesehen, selten erstellen, Patient und Behandler waren gleichermaßen ratlos. Vor allem Kinder wurden ungern therapiert, nach A. Peiper herrschte noch Ende des 18. Jh. „...vielfach das Vorurteil, einem kleinen Kind sei doch nicht zu helfen. Es galt sogar als Schande, deshalb einen Arzt zu fragen oder gar zu rufen. Stirbt ein Kalb, so ist es ein großer Jammer; verliert man einen Säugling, so ist es ihm ,gut gegangen’“ Nach J. Kerschensteiner starben in München 1876 wegen Nachlässigkeit der Mütter, Kinderfrauen oder Hebammen 40% aller lebendgeborenen Säuglinge im 1. Lebensjahr.
Sicherlich unterliegt auch die Schmerzwahrnehmung kultureller Prägung, desungeachtet werden in allen Kulturen in ihrer subjektiven Wertigkeit von Schmerzintensitäten Zahnschmerzen als besonders eindrucksvoll erlebt. Nach Celsus (1. Jh. n.Chr.) ist „der Zahnschmerz - abgesehen vom Tod - der größte und grausamste aller Schmerzen." Eine Auffassung, die bereits die Babylonier (1900-539 v. Chr.) schriftlich dokumentiert hatten, und somit schon früh ein im Ablauf der Jahrtausende unverändert beredtes Zeugnis für Aberglauben und magische Handlungen ablegt. Die Ursachen für Zahnschmerzen befanden sich selbst in den Hochkulturen bis ins 19. Jh. im ebenso spekulativen Bereich wie die Behandlung, weswegen sie auch in der Iatromagie besondere Beachtung finden.
Nach Th .Morawetz gehören Zahnschmerzen und Zivilisation möglicherweise untrennbar zusammen, Schädelfunde der Jungsteinzeit von etwa 15 000 bis 10 000 v.Chr. zeigen kaum kariöse Zähne. Aus der ersten Hochkultur des Zweistromlandes um 1800 v.Chr. finden sich jedoch auf altbabylonischen Tontafeln nicht nur Kochrezepte, sondern auch die erste Karies-Entstehungstheorie, in Art einer Schöpfungslegende fleht ein im Schlamm Geborener Wurm zum Sonnengott: „Lass mich festsetzen im Inneren des Zahns und gib mir sein Fleisch zur Wohnung. Aus dem Zahn will ich saugen sein Blut und vom Zahnfleisch aus das Mark saugen. So habe ich Zugang zum Zahn." (Abb.1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1 (Elfenbeinschnitzerei „Der Zahnwurm als Quälgeist der Hölle“, 17. Jh., Südfrankreich, ca.
10,5cm hoch, ergibt zusammengesetzt einen geschlossenen Molaren)
Der Glaube an den Zahnwurm hielt sich hartnäckig, interessanterweise unabhängig voneinander in verschiedenen Kulturen. In Deutschland hatte noch 1830 ein Schlesischer Kreisarzt im Berliner Magazin für die gesamte Heilkunde veröffentlicht, 2 Patienten von 20 Zahnwürmern befreit zu haben, nachdem er die schmerzenden Zähne mit dem Magensaft eines Schweins bestrichen hatte, die allgemeinen Kenntnisse waren dagegen wesentlich fortgeschritten. Kaum 60 Jahre später wurden von W. C. Röntgen die sog. X-Strahlen entdeckt und von W. D. Miller Säurebildung für die Kariesentstehung verantwortlich gemacht.
Magisches Denken und Handeln waren in der Vergangenheit letztlich Antworten auf die Übermacht der Natur, die Volksmedizin enthält den Glauben an magische Kräfte und Mächte in der Welt, die sowohl Gutes als auch Böses bewirken und von den Menschen beeinflusst, gebannt oder gelenkt werden können.
Gleichwohl bestehen Aberglaube und Magie noch heute, wenn auch bei unterschiedlichem Themenbezug. Nach J. Gabka glaubten 1970 nach Untersuchungen eines nicht benannten Marktforschungsinstituts fast 50% der Befragten an die Vorbedeutung von Zahlen oder Zeichen. Nach einer Untersuchung des Nachrichtenmagazin FOCUS im Jahr 2005 sind 51% der Deutschen abergläubisch, darunter 62% Frauen gegenüber 38% Männern. In der Summe scheint eine gewisse Konstanz zu bestehen. Mit zunehmendem Bildungsstand nimmt jedoch der Aberglaube deutlich ab, im Gegensatz zu 78% der Bundesbürger mit Volksschulabschluss ohne Lehre, sind unter jenen mit Abitur und Universitätsabschluss nur 40% abergläubisch. Generell befinden sich 62% der Abergläubischen in der Altersgruppe zwischen 50 und 59 Jahren, bei den unter 30jährigen sind es 53%, am wenigsten abergläubisch sind mit 40% die 30-39jährigen.
Generell ist Aberglaube ein monotheistisch religiöser, vornehmlich europäisch geprägter , soziokultureller Begriff, der sich im semantischen Repertoire anderer Kulturen nicht eindeutig nachweisen lässt. Aus der areligiösen Sicht der aktuell gültigen weltanschaulichen Paradigmen korreliert die Vorstellung des emotional überlagerten Irrationalen und somit Nutzlosen. In der Medizin betrifft dies nahezu sämtliche Bereiche außerhalb der derzeit validen Theorien.
In enger Beziehung zum Aberglauben steht die Magie , unter rational-realistischen Aspekten beinhaltet sie unnachvollziehbare und daher unseriöse Versuche, Veränderungen herbeizuführen, die sich durch den herkömmlichen Einsatz anerkannter Maßnahmen nicht erreichen lassen. In der Medizin wird der Magiebegriff pejorativ generell mit Scharlatanerie und Betrug, bestenfalls mit reiner Suggestion gleichgesetzt.
Die religiöse Heilkunde subsumiert sämtliche Behandlungsverfahren, die ihre Wirkungen auf göttliche Mächte zurückführen. Klassische Beispiele sind hierfür bei den Griechen der Asklepios-Kult und bei den Christen der Heiligenkult und E xorzismus . Asklepios wurde ca. im 5. Jh. vor Chr. zum eigentlichen Gott der Heilkunst erklärt, er tritt mit dem typischen schlangenumwundenen Stab auf. Er war ein Sohn von Gott Appollon und Korinos, der Tochter des böotischen Königs Phlegeas, seine Töchter sind Hygieia (Hygiene) und Panakeia (Allheilmittel), seine Söhne Machaon (Chirurgie) und Podaleirios (Innere Medizin).
Eine eindeutige Abgrenzung der religiösen Heilkunde von der Magie im Sinne des Deismus lässt sich aus der geschichtlichen Entwicklung nicht erstellen, Entmythologisierungen werden zudem durch Aberglauben verkompliziert.
Generell definiert die christliche Kirche einen Gegensatz zwischen Magie und Religion , zwischen Geistheilern und Gebetsheilern . Bei Geistheilern insinuiert sie eine Fokussierung des Patienten auf deren Person zum Nachteil des Gottesglaubens, während Gebetsheiler eine eindeutige göttliche Kompetenzzuordnung zugunsten eines Heilungsprozesses treffen.
Die christliche Pastoralmedizin sieht Wechselwirkungsbeziehungen zwischen der unsterblichen Geistseele und dem vergänglichen Körper, als Grenzwissenschaft zwischen Medizin und Theologie bemüht sie sich um ein Zusammenwirken von ärztlicher und seelsorgerischer Betreuung Kranker.
Je nach konfessioneller Auslegung sieht das Christentum Zusammenhänge zwischen Moral und Krankheit , nach Auffassung der katholischen Kirche „hat jedes Leid und jede Krankheit etwas mit der Sünde zu tun“ (Röm.5, 12 und Lk. 13, 5), die östlich-orthodoxe Kirche fordert am Beispiel des h uman i mmunodeficiency v irus (HIV) die Kirchen auf, ihre Selbstsucht zu überwinden, auch die evangelische Kirche sieht in der Krankheit keine Strafe Gottes. Gerade bei HIV und STD ( s exualy t ransmitted diseases ) berühren sich medizinische und ethische Probleme sehr eng.
Die Individualinteressen übergreifende restriktive Dogmatik des römisch-katholischen Klerus bestimmte frühzeitig die verbindliche Interpretation von Religion und deren Abgrenzung von Aberglaube und Magie. Hierdurch half sie allerdings auch der Herkömmlichen westlichen Medizin bei ihrer Positionierung in der Ablehnung solcher Praktiken, die sich nicht mit den Grundregeln naturwissenschaftlicher Theoreme vereinbaren lassen. Die medizinische Auffassung von Aberglauben und Magie muss daher nicht mit der klerikalen kongruieren.
Die Ablehnung des o. gen. Zahnwurmes als Ursache für Karies und Zahnschmerzen durch die Medizin ist aufgrund eindeutiger Sachlage unstrittig. Aus religiöser Sicht könnte dagegen zumindest durch das thematische Miteinbeziehen der Höllenqualen eine schuldhafte Sinnfälligkeit der Zahnschmerzen diskutiert werden, der Wurm stünde dann metaphorisch zum Teufel (Abb.1).
Grundsätzlich liegt ein wesentlicher Bestandteil ethnomedizinischer Effizienz in deren magischen Komponenten, am Glauben an durch Sympathie und Analogie wirkende Zusammenhänge zwischen den auffälligen Krankheitssymptomen und den empfohlenen Heilverfahren. Deshalb wird eine Heilwirkung zugunsten des prioritär spirituellen therapeutischen Zuganges auf aufwendige materiell wirkende Ressourcen verzichten.
Generell gilt es jedoch zu beachten, dass zumindest aus der Sicht des Patienten sämtliche therapeutischen Maßnahmen in ihrer Wirkung über magische Effekte verfügen. Dies gilt auch bei Differenzierungen der magischen von der religiösen Heilkunde vor dem Hintergrund ecclesiastischer Antithetik. Auf einen Paradigma getragenen Exorzismus medizinischer Verfahren zu deren Reduzierung auf die Validität der bisher gültigen wissenschaftlichen Konzepte sollte unter erweitertem Blickwinkel daher verzichtet werden.
HAUPTTEIL
Wie in Europa der Glauben das Denken lehrte
Die Evolutionen von Biologie und Pathologie stehen in einem originären Kausalitätsverhältnis, Krankheit ist seit dem Beginn menschlicher Kultur und Zivilisation weltweit ein gleichermaßen existentielles Problem. Paläopathologische Zeugnisse von Krankheit und Therapie aus prähistorischer Zeit lassen sich aus archäologischen Funden bis in 10 000 v.Chr. datieren und beziehen sich ausschließlich auf skelettale Befunde. Bislang ließen sich prähistorische Therapien in drei Bereiche kategorisieren, in die Behandlung von Frakturen und Gelenken, die Wiedererlangung von Gelenkfunktionen und die Trepanation des Schädels; neueste Ausgrabungen französischer Archäologen erbrachten laut Nature [dpa] außerdem Hinweise auf Zahnbohrungen durch Feuersteine. Mögliche Pharmakopöen ließen sich bisher nicht nachweisen.
In der weiteren Entwicklung hatte jede Kultur eine ihrer jeweiligen ethnischen Wesenart entsprechende eigene Medizin entwickelt, über Beobachtungen tierischer Instinkthandlungen und Eigenversuche, zusammengetragen aus in der Bevölkerung generationenweise überliefertem Erfahrungswissen von Krankheiten, Heilmethoden und Heilmitteln.
Die sich hieraus etablierte Ansammlung von Heilmethoden gilt in ihrer Gesamtheit als Volksmedizin . Da es keine objektiven Kontrollmechanismen gab, sondern empirische Einschätzungen das Gelingen oder Misslingen eines Heilerfolges nur über Leben oder Tod des Patienten beurteilten, fanden sich in der Volksmedizin neben ernstzunehmenden therapeutischen Ansätzen auch höchst abenteuerliche Trakasserien. Zudem mussten diese Überlieferungen lange ausschließlich mündlich weitergegeben werden, mit allen sich hieraus ergebenden möglichen Missverständnissen.
Andere Formen der Übermittlung und Bewahrung entfielen, die Folgen der Völkerwanderungen hatten einen zivilisatorischen Absturz verursacht, im Zeitraum vom 6. bis 8. Jh. hatten die antiken Hochkulturen ihre kultursoziologische Hegemonie verloren, im okzidentalen Raum lebten die Menschen in primitivsten Verhältnissen, nur noch wenige beherrschten Lesen und Schreiben.
Dies galt auch für den Adel, Karl der Große (747-814 n. Chr.), seit 400 Jahren der erste westliche römische Kaiser in der Deutschen Vorzeit und Gründer des Fränkischen Königreiches, war Analphabet.
Während dieser kulturellen Regression wurden für fast 500 Jahre Bildung und Wissen von den Klöstern getragen, abgeschottet von der Realität des Alltags. Dass die frühmittelalterlichen Klöster überhaupt etwas von diesem Wissen retten konnten, ist vor allem zwei Männern zu verdanken. Zuerst sammelte Cassiodor (ca. 485-580) in dem vom ihm gegründeten Kloster Vivarium antike Schriften und ließ sie von seinen Mönchen durch Abschreiben vervielfältigen. In Spanien wirkte Isidor von Sevilla (570-636), er legte besonderen Wert auf die Ausbildung des Klerus, sein Hauptwerk bestand aus 20 Büchern und fasste als Etymologiae oder Origines das damalige Wissen zusammen und wurde damit zum wichtigsten Vermittler des antiken Bildungsgutes an das Mittelalter.
Die Voraussetzungen hierfür hatte gegen 520 n. Chr. Benedikt v. Nursia mit der Klostergründung von Monte Cassino geschaffen, wobei er die bisher wandernden Mönche zur Beständigkeit ( stabilitas ) aufforderte und mit seiner Ordensregel ( regula Benedicti ) den abendländischen Klöstern ein monastisches Vorbild setzte. Mit der griffigen Formulierung bete und arbeite ( ora et labora ) reglementierte er den klösterlichen Alltag, in dem der Mönch einerseits durch körperliche Arbeit zum Erhalt des Klosters beizutragen hatte, andererseits in Gebet, Meditation und Introspektion seine Verbindung zu Gott intensivieren sollte.
Darüber hinaus wurde die Position des Klerus von Karl dem Großen forciert, indem er sich intensiv um die Ausbreitung des Christentums und eine geregelte Funktion der kirchlichen Instanzen bemühte. Sein enger Vertrauter Alcuin , Abt des Klosters von St. Martin in Tours und Koryphäe in den artes liberales Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik, Grammatik, Rhetorik und Dialektik, reformierte das Bildungswesen nach seinem eigenen Bildungsstand, und förderte insbesondere die Klosterschulen ( scholae monasticae ). Diese waren ursprünglich nur zur Bildung von Geistlichen vorgesehen; sie vermittelten in einem festen Lehrplan die sieben freien Künste und waren, nachdem unter bestimmten Umständen auch Laien zugelassen worden waren, eine Vorstufe zur mittelalterlichen Universität . Die sieben freien Künste ( artes liberales ) setzten sich zusammen aus dem Trivium (Grammatik, Rhetorik und Dialektik) und dem Quadrivium (Musik, Arithmetik, Geometrie und Astronomie).
Da die Buchdruckerkunst erst Mitte des 15. Jh. erfunden wurde, gab es nur wenige Bücher, alle waren handgeschrieben, deshalb sehr wertvoll und wurden äußerst teuer gehandelt. Nonnen und Mönche sammelten daher Wissen und begannen bis heute bestehende Bibliotheken aufzubauen, in mühevoller Arbeit schrieben Kopisten alte Werke ab, illustrierten sie häufig sehr aufwendig, um sie dann mit anderen Klöstern zu tauschen.
Die Aufzeichnungen der Klostermedizin begannen früh, Walahfrid Strabo (808-849 n. Chr.) beschrieb als Abt des Klosters Reichenau in seinem Gartengedicht Hortalus in 444 lateinischen Hexametern den Gartenbau und 24 verschiedene Pflanzenarten mit ihren medizinischen Anwendungen.
Als ein Höhepunkt schriftlicher Niederlegungen der Klostermedizin gilt der Macer floridus , ein Lehrgedicht des Mönch Odo Magdunensis aus dem 11. Jh., in dem er in lateinischen Hexametern 80 Heilpflanzen und deren Wirkung beschreibt.
Durch die Regula Benedicti konnten sich die Klöster zu kleinen, autarken Städten entwickeln und es entstand ein geistliches Bildungsystem, das weltliche Herrscher zum Aufbau von Staatswesen und Verwaltungen nutzten.
Andererseits behinderte die Kirche den weltlichen geistigen Fortschritt, die geistlichen Bibliotheken waren Außenstehenden nicht zugänglich, selbst wenn sie hätten lesen können, die Gottesdienste wurden auf Lateinisch und somit für das Volk unverständlich abgehalten und in späterer Zeit wurde das Betreiben von Wissenschaft außerhalb kirchlichen Rahmens von der Inquisition bedroht.
In ihrer spirituellen Zielsetzung war zentrales Anliegen der Klöster die Sorge um die Seele ( cura animae ), aber auch um das Wohlbefinden des Körpers ( cura corporis ).
Das seelische Rüstzeug lag im christlichen Glauben der Klöster begründet, die Sorge für den Körper bezog sich auf dessen medizinische Gesunderhaltung und musste erarbeitet werden. Hierzu studierten die Ordensleute die antike Heilkunde, erweiterten sie durch eigene Forschungen und tauschten ihr Wissen untereinander aus, sodass sich aus der Klostermedizin eine systematische Medizin entwickeln konnte. Die Verfahren der Volksmedizin wurden dagegen deklassiert; da sie weder den geistlichen Vorgaben noch den Grundsätzen der antiken Medizin entsprachen, wurden sie nicht auf ihre Wirksamkeit überprüft.
Die Barmherzigkeit ( Caritas ) bezog sich als Christenpflicht nicht nur auf die Angehörigen des eigenen Ordens, sondern erstreckte sich auch auf Kranke, die das Kloster um Hilfe baten. Durch das Konzept hingebungsvoller Pflege, tätiger Nächstenliebe und Heilung wurde sowohl der seelsorgerischen Pflicht und dem Missionsauftrag entsprochen, als auch das Vertrauen der Kranken in die Kompetenz der Klöster gefestigt, ihre Heilung sahen die Patienten in deterministischer Grundeinstellung als göttliche Fügung, vermittelt durch die Ordensleute.
Erst am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit begannen die Klöster ihre Spitäler für die Öffentlichkeit zu schließen, in dem Maße, wie an weltlichen Universitäten ausgebildete Ärzte sowie unakademische Wundärzte präsent wurden.
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- Quote paper
- Dr.med.dent. Hubertus R. Hommel (Author), 2007, Propädeutik der Komplementärmedizin, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116210
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