Das Forschungsvorhaben dieser Arbeit zielt darauf ab, individuelle Beweggründe und Problemlagen von "Incels" nachzuvollziehen, um aus diesen Rückschlüsse für die pädagogische Praxis abzuleiten. Dazu sollen Beiträge und Kommentare eines "Incel"-Forums genauer untersucht werden.
Aufgrund des hohen Anstiegs an Einsamkeitsbekundungen auch im Kinder- und Jugendbereich sollten sich auch pädagogische Institutionen vermehrt mit dem Thema Einsamkeit und Isolation auseinandersetzen. Ein Phänomen, das sich durch die Abwesenheit von bedeutsamen Beziehungen definieren lässt, ist das der "Incels".
"Incels" sind in den letzten Jahren vermehrt durch ihre auffälligen Verhaltensweisen ins Gespräch geraten, da sie online misogyne Inhalte teilen, Frauen und Minderheiten diskriminieren und teilweise zu Gewalttaten gegen diese aufrufen. Des Weiteren bekundeten bereits einige Attentäter in den USA und in Deutschland ihre Verbindung zur Incelosphäre.
Obwohl das Thema eine gesellschaftliche Relevanz aufweist, wurde bisher nur wenig auf diesem Gebiet geforscht. Die meisten Publikationen zum Thema "Incels" sind auf öffentliche und private Medien zurückzuführen, die gezeigte Verhaltensweisen zwar stark kritisieren, die Entstehung dieser Verhaltensweisen jedoch nur unzureichend beleuchten und nachvollziehen.
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Ziele
1.2 Aufbau der Arbeit
2. Theoretischer Hintergrund
2.1. Kontextualisierung des Incel Phänomens
2.1.1 Entstehung und Merkmale der Incel-Community
2.1.2 Dissozialität
2.1.3 Unfreiwilliges Zölibat
2.1.4 Blackpill-Ideologie
2.1.5 Ambivalenz-Konflikt
2.1.6 Digitale Welten
2.1.7 Identitätspolitiken
2.1.8 Zwischenfazit und Überleitung zur Pädagogik
2.2 Das Konzept des schmerzbasierten Verhaltens
2.2.1 Definition und Entstehung von Schmerz
2.2.2 Sozialer Schmerz und seine Auswirkungen
2.2.3 Schmerzbasierte Verhaltensweisen
3. Methodische Umsetzung
3.1 Grundlegende Überlegungen zur Methodik dieser Arbeit
3.2 Die qualitative Inhaltsanalyse
3.3 Definition der Analyseeinheiten
3.4 Bildung der Kategorienschemata
3.5 Auswertung
3.5.1 Subjektivität im Forschungsprozess
3.5.2. Allgemeine Befunde
3.5.3 Ergebnisse der Ursprungsposts
3.5.4 Ergebnisse der Kommentare
4. Einordnung und Reflexion
4.1 Beantwortung der Forschungsfragen
4.2 Reflexion der Ergebnisse
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang 1: Gliederung des digitalen Anhangs
Anhang 2: Hauptkategorien der Ursprungsposts
Anhang 3: Subkategorien der Ursprungsposts
Anhang 4: Hauptkategorien der Kommentare
Anhang 5: Subkategorien der Kommentare
Anhang 6: Gefühls-TÜV
Zusammenfassung
Einsamkeit wird zum Problem im 21. Jahrhundert, jüngst untermauert durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Einsamkeitserfahrungen können dabei nicht nur die körperliche und psychische Gesundheit Betroffener nachhaltig beeinträchtigen, sondern auch schmerzbasierte Verhaltensweisen bedingen, die Pädagog*innen vor Herausforderungen stellen. Ein Phänomen, welches in den letzten Jahren vermehrt Aufmerksamkeit erregt und sich durch Einsamkeitserfahrungen auszeichnet, ist das der Incels. Das Incel-Phänomen wird in dieser Masterarbeit dahingehend untersucht, ob sich gezeigtes Verhalten der Personen auf soziale Schmerzerfahrungen zurückführen lässt. Anschließend werden Implikationen für die pädagogische Praxis abgeleitet. Es lassen sich viele Parallelen zwischen Incels und Kindern und Jugendlichen im Förderschwerpunkt Emotionale und Soziale Entwicklung ausmachen. Die Erkenntnisse dieser Arbeit sind daher auch besonders interessant für die sonderpädagogische Arbeit mit diesen Kindern und Jugendlichen, da sie Rückschlüsse auf Handlungsfelder zulassen, in denen sowohl präventiv als auch interventiv einer möglichen Eskalation von Fallverläufen entgegengewirkt werden könnte.
Zur Beantwortung der Forschungsfragen gewährt die vorliegende Masterarbeit Einblicke in das Online-Forum r/IncelExit. Mitglieder Beiträge vom Dezember 2020 wurden mit Hilfe der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse nach Kuckartz kategorienbasiert analysiert und ausgewertet. Die Auswertung und Ergebnispräsentation erfolgt durch die Vorstellung der einzelnen Haupt- und Subkategorien. Neben sozialen Schmerzerfahrungen konnten weitere multifaktorielle Ursachen für die Entstehung von Problemlagen festgestellt werden.
Abstract
Loneliness is becoming a dilemma in the 21st century, most recently underscored by the impact of the coronavirus pandemic. Experiences of loneliness can not only have a lasting impact on the physical and mental health of those affected, but also cause pain-based behaviors that pose challenges for educators.
One phenomenon that has attracted increased attention in recent years and is characterized by experiences of loneliness is that of incels. In this master thesis, the incel phenomenon is examined to determine whether the behavior displayed by these individuals can be traced back to social pain experiences. Implications for educational practice are then derived. Many parallels between incels and children and adolescents with a special focus on social and emotional development can be identified. The findings of this study are therefore particularly interesting for special education work with children and adolescents, as they allow conclusions to be drawn about areas of action in which preventive as well as interventive measures can be taken to counteract a possible escalation of life courses.
To answer the research questions, this master thesis provides insights into the online forum r/IncelExit. Contributions from December 2020 were analyzed and evaluated using the content structuring content analysis according to Kuckartz in a categorybased manner. The evaluation and presentation of results was done by presenting the main categories and subcategories. In addition to social pain experiences, other multifactorial causes for the development of problematic situations were identified.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Bio-Psycho-Soziale Risikofaktoren der Entwicklung einer längerfristigen
Dissozialität nach Lösel & Bliesener (2003)
Abbildung 2: Selbstreferentieller Bezug in der Adoleszenz (vgl. Fend 2005, S. 415)
Abbildung 3: Entlastung von Nichtanerkennung durch feindselige Einstellungen (Kaletta 2008: S. 202)
Abbildung 4: Kreislauf der Entmutigung (Eigene Darstellung, angelehnt an Opp 2017)
Abbildung 5: Ursprungsposts Codeverteilung (Eigene Darstellung)
Abbildung 6: Prozentanteile „Schmerzerfahrungen“ (MAXQDA)
Abbildung 7: Prozentanteile „Gefühle“ (MAXQDA)
Abbildung 8: Prozentanteile „Selbstwert“ (MAXQDA)
Abbildung 9: Prozentanteile "Soziale Dimension" (MAXQDA)
Abbildung 10: Prozentanteile "Bewältigungsstrategien" (MAXQDA)
Abbildung 11: Kommentare Codeverteilung (Eigene Darstellung)
Abbildung 12: Prozentanteile "Soziale Unterstützung" (MAXQDA)
Abbildung 13: Prozentanteile "Soziale Resonanz" (MAXQDA)
Tabellenverzeichnis
TABELLE 1: Haupt- und Subkategorien Ursprungsposts (Eigene Darstellung)
TABELLE 2: Haupt- und Subkategorien Kommentare (Eigene Darstellung)
1. Einleitung
Längst ist Einsamkeit ein gesellschaftlich relevantes Thema. Es ist bekannt, dass Einsamkeit seelisch wie körperlich krank macht. Angetrieben durch eine Individualisierung der Lebenslagen, der Digitalisierung und jüngst durch die Auswirkungen der Covid19-Pandemie ist Einsamkeit zum Massenphänomen in der westlichen Hemisphäre geworden und hat bisweilen den Status „Monster der Moderne“ (vgl. Horx & Horx Strathern) erreicht.
Im Kontext dazu werden seit mehreren Jahren immer höhere Fallzahlen an verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen gemeldet. Viele Studien und wissenschaftliche Erkenntnisse weisen darauf hin, dass eine fehlende soziale Unterstützung und eine Abwesenheit von Bezugspersonen Risikofaktoren für die Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Auffälligkeiten bei Kindern, Jugendlichen, aber auch Erwachsenen darstellen (vgl. Bengel & Lyssenko 2012). Einsamkeitserfahrungen können dabei seelische Schmerzen verursachen, die sich wiederum in schmerzbasierten Verhaltensweisen ausdrücken können (vgl. Opp 2017). Dies kann eine Manifestation von Kreisläufen der Entmutigung bedingen, die auf Grundlage von seelischen Schmerzen aufrechterhalten werden und Interaktionen und Beziehungen von Betroffenen belasten.
Aufgrund des hohen Anstiegs an Einsamkeitsbekundungen auch im Kinder- und Jugendbereich sollten sich auch pädagogische Institutionen vermehrt mit dem Thema Einsamkeit und Isolation auseinandersetzen. Ein Phänomen, das sich durch die Abwesenheit von bedeutsamen Beziehungen definieren lässt, ist das der Incels. Incels sind in den letzten Jahren vermehrt durch ihre auffälligen Verhaltensweisen ins Gespräch geraten, da sie online misogyne Inhalte teilen, Frauen und Minderheiten diskriminieren und teilweise zu Gewalttaten gegen diese aufrufen. Des Weiteren bekundeten bereits einige Attentäter in den USA und in Deutschland ihre Verbindung zur Incelosphäre1. Obwohl das Thema eine gesellschaftliche Relevanz aufweist, wurde bisher nur wenig auf diesem Gebiet geforscht. Die meisten Publikationen zum Thema Incels sind auf öffentliche und private Medien zurückzuführen, die gezeigte Verhaltensweisen zwar stark kritisieren, die Entstehung dieser Verhaltensweisen jedoch nur unzureichend beleuchten und nachvollziehen.
Viele Incels scheinen in ihren Verhaltensweisen Parallelen zu Kindern und Jugendlichen im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung aufzuweisen. Besonders für die Arbeit in diesem Förderschwerpunkt wäre es daher wichtig, sich mit dem Thema Incel auseinanderzusetzen. Auf der einen Seite, um Risikofaktoren für die Entwicklung zum Incel frühzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken, und auf der anderen Seite, um Betroffenen Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen zu können. Eine frühe Prävention, Intervention und Aufklärung könnte außerdem dabei helfen, Fallverläufe zu deeskalieren. Um jedoch Ansätze für pädagogisches Handeln ableiten zu können, müssen zunächst Problemlagen subjektlogisch nachvollzogen werden (vgl. Baumann 2009).
1.1 Ziele
Das Forschungsvorhaben dieser Arbeit zielt daher darauf ab, individuelle Beweggründe und Problemlagen von Incels nachzuvollziehen, um aus diesen Rückschlüsse für die pädagogische Praxis abzuleiten. Dazu sollen Beiträge und Kommentare eines Incel-Forums durch folgende Fragestellungen genauer untersucht werden:
1) Welche Themen und Probleme teilen Mitglieder auf der Website „www.reddit.com“ unter dem Subreddit „r/IncelExit“ in der Subdomain „Asking for Help/Advice“ im Dezember 2020?
2) Weisen Erfahrungen und Berichte auf soziale Schmerzerfahrungen hin?
Ziel der ersten Fragestellung ist es, zunächst eine subjetklogische Grundlage zu schaffen, bei der Problemlagen und Lebensbedingungen identifiziert werden. Darauf aufbauend soll untersucht werden, ob diese Rückschlüsse auf soziale Schmerzerfahrungen zulassen und das Verhalten von Incels mit dem Konzept des schmerzbasierten Verhaltens nach Günther Opp eingeordnet werden könnte. Aus den Ergebnissen der ersten beiden Fragestellungen ergibt sich dann die weiterführende Fragestellung
3) Welche pädagogischen Einflussmöglichkeiten in Hinblick auf Prävention, Aufklärung und Intervention lassen sich aus den Ergebnissen von Frage 1 und 2 ableiten?
Ziel dieser Fragestellung ist es, Maßnahmen und Handlungsfelder aus den Erkenntnissen der Forschung abzuleiten, die sowohl Pädagog*innen als auch Betroffenen Handlungsmöglichkeiten aufzeigen.
Die folgende Arbeit versucht, mit Hilfe dieser Forschungsfragen einen Beitrag zur Debatte über Incels zu schaffen, der wissenschaftlich und empirisch fundiert sowie an der individuellen Perspektive Betroffener orientiert ist. Zusätzlich soll auf die Relevanz pädagogischer Verantwortungsübernahme hingewiesen und pädagogische Einflussmöglichkeiten in Bezug auf die Personengruppe verdeutlicht werden.
1.2 Aufbau der Arbeit
Das erste Kapitel widmet sich dem theoretischen Hintergrund dieser Arbeit. Dabei bezieht sich der erste Teil auf die Incel-Community. Es werden zunächst die Entstehung und Merkmale des Incel-Phänomens skizziert und die Personengruppe definiert. Es folgt eine Einordnung des auf Incel-Foren gezeigten Verhaltens mit Hilfe des Begriffs der Dissozialität. Anschließend werden fünf Kontexte des Incel-Phänomens, die auf Basis der bisher existierenden Literatur abgeleitet wurden, im Hinblick auf ihren Einfluss bei der Entwicklung von dissozialen Verhaltensweisen betrachtet. Der zweite Teil bezieht sich auf das Konzept des schmerzbasierten Verhaltens nach Günther Opp. Dort wird zunächst die Entstehung von Schmerzen thematisiert, um dann die Spezifika von sozialen Schmerzen aufzuzeigen. Im Anschluss wird auf die Entstehung und Folgen von schmerzbasierten Verhaltensweisen eingegangen. Dazu wird ein Kreislauf der Entmutigung visualisiert.
Das zweite Kapitel widmet sich dem methodischen Vorgehen dieser Arbeit. Es werden zunächst Einblicke in die Vorüberlegungen zur methodischen Gestaltung gewährt. Daran anschließend wird die in dieser Arbeit angewandte Forschungsmethode der qualitativen Inhaltsanalyse vorgestellt. Nachfolgend werden die Analyseeinheiten definiert und die Kategorienschemata vorgestellt, auf deren Grundlage die Daten analysiert wurden. Es folgt die Auswertung und Ergebnispräsentation, bei der zunächst allgemeine Befunde und im weiteren Verlauf die Auswertungen der Ursprungsposts und der Kommentare präsentiert werden. Dabei werden die ermittelten Haupt- und Subkategorien vorgestellt. Es wird in diesem Kapitel auch auf die Subjektivität im Forschungsprozess eingegangen.
Im dritten Kapitel werden die Forschungsfragen beantwortet und Implikationen für präventive und interventive Maßnahmen aus den Ergebnissen der Analyse abgeleitet und ausgeführt. Anschließend werden die gewonnenen Erkenntnisse vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte und öffentlichen Darstellung von Incels kritisch reflektiert.
Im vierten Kapitel werden die Leistungen dieser Masterarbeit zusammengefasst und ein Fazit wird gezogen. Zudem wird ein Ausblick für mögliche weiterführende Forschungsprojekte zu diesem Thema gegeben.
2. Theoretischer Hintergrund
2.1. Kontextualisierung des Incel Phänomens
2.1.1 Entstehung und Merkmale der Incel-Community
Das Wort Incel stellt eine Kontamination aus den Wörtern „involuntary celibacy“ dar – zu Deutsch „unfreiwillig zölibatär“. Der Zustand des Zölibats beschreibt dabei einen sexuell enthaltsamen und ehelosen Lebensentwurf (vgl. Dudenredaktion, o. D.). Der Begriff ist, so wie er im Kontext dieser Masterarbeit benutzt wird, auf die Kanadierin Alana2 zurückzuführen. Sie gründete im Jahr 1997 ihre Website 'Alana's Involuntary
Celibacy Project‘. Zu dieser Zeit hatte sie weder sexuellen Kontakt noch pflegte sie eine romantische Beziehung zu einer anderen Person, sehnte sich aber nach einer solchen Verbindung. Die Motivation für die Gründung ihrer Website bestand laut ihrer Aussage darin, Personen mit gleichen Erfahrungen und Sehnsüchten zu vernetzen und ihnen so eine Austauschplattform zu bieten (vgl. Taylor 2018).
Nach der Gründung der ersten Website sind viele weitere Online-Foren, Blogs und Plattformen für und von Menschen gegründet worden, die sich selbst als Incel bezeichnen oder sich in einer vergleichbaren Lebenssituation wähnen. Incels können daher als
„Internetphänomen“ (Kaiser 2020: S. 33) bezeichnet werden. Der Tenor auf manchen Seiten hat sich über die Jahre jedoch geändert und radikalisiert. Auf jenen Seiten finden sich nun überwiegend heterosexuelle cis-Männer3, die misogyne sowie nihilistische Weltanschauungen teilen und ausdrücken, dass sie Frauen sowie eine oberflächliche Gesellschaft für ihr unfreiwilliges Zölibat verantwortlich machen. Frauen sind auf solchen Foren zumeist nicht zugelassen. Die Journalistin Susanne Kaiser schlägt daher in ihrem Buch Politische Männlichkeit vor, den Begriff Incel wie folgt zu definieren: „Im weiteren Sinne meint Incel jeden Menschen unabhängig von Geschlecht, der unfreiwillig enthaltsam lebt. Im engeren Sinne [...] handelt es sich um eine Bewegung von Männern, die ihren Frauenhass [überwiegend online] kultivieren und organisieren.“ (ebd.: 26f). Die Forschung dieser Arbeit wird sich mit der Personengruppe der enger gefassten Definition nach Kaiser beschäftigen.
Die Journalistin Susanne Kaiser schlägt daher in ihrem Buch Politische Männlichkeit vor, den Begriff Incel wie folgt zu definieren: „Im weiteren Sinne meint Incel jeden Menschen unabhängig von Geschlecht, der unfreiwillig enthaltsam lebt. Im engeren Sinne [...] handelt es sich um eine Bewegung von Männern, die ihren Frauenhass [überwiegend online] kultivieren und organisieren.“ (ebd.: 26f). Die Forschung dieser Arbeit wird sich mit der Personengruppe der enger gefassten Definition nach Kaiser beschäftigen.
Es ist schwer, die Größe dieser Incelosphäre festzustellen. Schätzungen belaufen sich jedoch auf mehrere zehntausend Mitglieder, die wahrscheinlich überwiegend junge Männer aus Erste-Welt-Ländern darstellen (vgl. Potter 2020). Diese Incels werden im öffentlichen Diskurs stark kritisiert und prägen viele negative Schlagzeilen. Auch das kürzlich erschienene Buch Incels - Geschichte, Sprache und Ideologie eines OnlineKults von Veronika Kracher kritisiert die Personengruppe teilweise scharf. Die Autorin sagt in einem Interview mit dem feministischen Magazin an.schläge diesbezüglich, dass viele Männer das Potential hätten, ein Incel zu werden und führt deren Verhalten auf den Verlust einer hegemonialen Machtposition zurück, der durch eine emanzipatorische Gesellschaft vorangetrieben wird. Solche Männer, so Kracher, könnten als politische Feinde betrachtet werden (vgl. Peikert o. D.).
2.1.2 Dissozialität
Für Gewaltaufrufe gegen Frauen und Minderheiten sowie für einen ausgeprägten Sexismus werden Incels immer wieder öffentlich kritisiert. Das Konzept der Dissozialität stellt damit eine Möglichkeit dar, Verhalten von Incels einzuordnen. Es ist anzumerken, dass die folgende Einordnung jedoch keinen allgemeingültigen Anspruch verfolgt und jeder Fall individuell betrachtet werden muss.
Dissozialität kann als ein fortgesetztes Sozialversagen definiert werden, dass schutzwürdige Interessen und Grenzen von dritten Personen missachtet (vgl. Saimeh 2005: S.1). Nach den Kriterien der ICD-10 werden unter dem Punkt F60.2 folgende Merkmale einer dissozialen Persönlichkeitsstörung aufgeführt:
1. ein herzloses Unbeteiligtsein gegenüber den Gefühlen anderer
2. die Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen
3. die Unfähigkeit, dauerhafte Beziehungen aufrecht zu erhalten
4. eine geringe Frustrationstoleranz und eine niedrige Schwelle für aggressives und gewalttätiges Verhalten
5. ein fehlendes Schuldbewusstsein und die mangelnde Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen
6. eine Neigung, andere zu beschuldigen und das eigene Verhalten zu rationalisieren, wenn Konflikte mit der Gesellschaft auftreten.
Eine manifeste Störung liegt nach der ICD-10 Auswertung dann vor, wenn drei der oben benannten Kriteriengruppen als erfüllt gelten. Diese müssen allerdings kritisch betrachtet werden, da nicht eindeutig definiert ist, wann ein bestimmtes Kriterium erfüllt ist.
Die Entwicklung dissozialer Verhaltensweisen wird durch multifaktorielle Risikofaktoren in Biografien begünstigt (siehe auch Lösel & Bender 2002). Sie sind in Abbildung 1 zusammengefasst dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Bio-Psycho-Soziale Risikofaktoren der Entwicklung einer längerfristigen Dissozialität nach Lösel & Bliesener (2003)
Wie in dieser Abbildung aufgezeigt, können sich die Risikofaktoren gegenseitig bedingen und stellen ein miteinander verwobenes Beziehungsgeflecht dar. Dissoziale Verhaltensweisen finden demnach ihren Auslöser vor allem durch emotionale Zuwendungsdefizite, soziale Strukturdefizite und individuelle Dispositionen (vgl. auch Saimeh 2005: S. 5). Dabei ist anzumerken, dass nicht alle Risikofaktoren in Entwicklungsverläufen abgebildet sein müssen, sondern schon einige wenige Faktoren ausreichen können, um Dissozialität zu erzeugen (vgl. Lösel & Bliesener 2003: S. 17f.). Eine
Persistenz von dissozialem Verhalten bis ins Erwachsenenalter hinein scheint jedoch besonders durch eine Kumulation von Risikofaktoren sowie durch ein zeitiges Auftreten von diesen im Entwicklungsverlauf begünstigt zu sein (ebd.). Faktoren, die von Lösel & Bliesener angeführt werden, verweisen auf defizitäre Lebensumstände. Somit können dissoziale Verhaltensweisen auch als Antwort auf defizitäre Lebensumstände verstanden werden.
Incels berichten auf verschiedenen Foren von eben solchen Defiziten und zeigen des Weiteren Verhaltensweisen, die sich mit den Kriterien der dissozialen Persönlichkeitsstörung der ICD-10 in Verbindung bringen lassen. Besonders eine niedrige Schwelle für aggressives und gewalttätiges Verhalten und die Neigung, andere zu beschuldigen und für Probleme verantwortlich zu machen, kann auf Incel-Foren in dem ausgedrückten Frauenhass beobachtet werden. Aber auch die Unfähigkeit, Beziehungen aufzubauen und aufrecht zu erhalten, scheint dem Incel-Phänomen inhärent. Ein fehlendes Schuldbewusstsein könnte durch die besondere Identifizierung mit der Opferrolle angenommen werden (vgl. Kracher 2020: S. 50). Des Weiteren handeln Incels entgegen herrschender sozialer und gesellschaftlicher Normen, indem sie nicht alle Menschen mit Respekt behandeln und den Schutz anderer Personen dadurch gefährden, dass sie psychische Grenzen in virtuellen Welten verletzen und teilweise auch körperliche Grenzen in der physischen Welt missachten. So wurden bereits viele Incel-Foren auf Grund von Verstößen gegen Nutzungsrichtlinien zwangsweise geschlossen (vgl. Hauser 2017 / Binder 2018) und Attentate in der physischen Welt verübt (vgl. BBC News 2018 / Ohlheiser 2018/ Kracher 2020: S. 33ff.). Aus diesen Gründen können Verhaltensweisen von Incels als dissozial umschrieben werden. Ob diese auch dem Charakter einer manifesten dissozialen Persönlichkeitsstörung entsprechen, bleibt individuell zu bewerten.
In den folgenden Abschnitten werden nun, aufbauend auf dieser Einordnung, die individuellen und gesellschaftlichen Kontexte des Incel-Phänomens näher beleuchtet und dahingehend untersucht, inwieweit sie risikobehaftete Erfahrungsräume für die Entstehung dissozialer Verhaltensweisen darstellen. Obwohl die Incelosphäre sich natürlich aus Individuen zusammensetzt, die sich durch unterschiedlichste Lebens- und Gefühlslagen auszeichnen, werden einige Aspekte in aktuellen Publikationen zu diesem Thema wiederholt benannt (siehe hierfür unter anderem Kracher 2020/ Kaiser 2020/ Y-Kollektiv 2020). Diese scheinen die Szene maßgeblich zu prägen und stellen daher die Ausgangspunkte für die nun folgende Kontextualisierung dar.
2.1.3 Unfreiwilliges Zölibat
Incels beschreiben auf Foren Defizite in Bezug auf romantische und sexuelle Beziehungen zu Frauen. Solche Beziehungen weisen neben der emotionalen Tiefe auch einen hohen Grad an Körperlichkeit und damit Hautkontakt auf. Welche wichtige Rolle Hautkontakt in der sozialen und emotionalen Entwicklung eines Menschen einnimmt, wird im Folgenden beleuchtet.
Ein Bedürfnis nach Hautkontakt ist dem Menschen inhärent, da nur durch Berührungen die lebenswichtigen Entwicklungs- und Wachstumsprozesse im Säuglingsalter angeregt werden (vgl. Grunwald 2017: S. 77). Berührungen wirken dabei direkt, unmittelbar und rufen starke Gefühle hervor, die sowohl positiver wie auch negativer Natur sein können. Wird eine Berührung als bedrohlich empfunden, reagiert der Körper mit Flucht und Abwehrreaktionen, während positive und angenehme Berührungsreize Ruhe und Frieden spenden (vgl. Uvnäs-Moberg 2016: S. 50).
„Menschen brauchen Hautkontakt, sonst wissen sie nicht sicher, dass sie existieren. Sonst werden sie von Angst und Stress beherrscht.“ (von Thadden 2018: S. 20, zitiert nach Martin Grunwald) Der Haptik-Forscher Martin Grunwald verweist mit diesem Zitat auf die existentielle Wichtigkeit von Berührungen. Positive Berührungsreize vermitteln Zugehörigkeit und starke Emotionen wie Zuneigung und Mitgefühl besser als Mimik und Gestik (vgl. Grunwald 2017: S. 183). Sie helfen so dabei, negative Emotionen besser zu regulieren und starke Bindungen aufzubauen, indem die Aktivierung von Gehirnarealen, die für negative Emotionen, Mentalisierungsprozesse und das soziale Urteilsvermögen zuständig sind, unterdrückt wird (Bartels & Zeki 2004). Die Relevanz von Berührungen bei der Entstehung und Festigung emotionaler Bindungen ist somit enorm.
Die Haut des Menschen verarbeitet dabei Berührungen auf unterschiedliche Art und Weise. Während einige Nerven taktile Informationen wie Intensität, Ort und Dauer einer Berührung ermitteln, sorgen andere für die emotionale Einordnung dieser Berührung (McGlone et al. 2014). Die Fasern, die die Informationen einer Berührung an das Emotionszentrum des Gehirns weiterleiten, werden C-taktile Fasern genannt. C-taktile Fasern werden vor allem dann aktiviert, wenn ein Mensch liebevoll berührt wird, also mit sanften und streichelnden Bewegungen sowie bei Berührungstemperaturen um die Hauttemperatur herum (vgl. Ackerley at al. 2014). Durch solche Berührungsreize werden die Hormone Serotonin und Oxytocin im Gehirn freigesetzt. Die Oxytocin-Forscherin Kerstin Unväs-Moberg stellt fest, dass neben allen anderen Sinnen besonders der angenehme Hautkontakt eine Oxytocin-Ausschüttung begünstigt. Sie nennt folgende positive Auswirkungen von Oxytocin auf den Organismus (2016.: S.141): Oxytocin erleichtere nicht nur den Bindungsaufbau, sondern sorge durch das Erzeugen von Wohlbefinden und das Hervorrufen von Ruhe und Vertrauen auch dafür, solche Bindungen langfristig aufrechtzuerhalten (siehe auch Gulledge et al. 2007). Des Weiteren fördere das Hormon soziales Verhalten, indem es Ängste dämpft und die Interpretation von Kommunikationssignalen erleichtert. Darüber hinaus lindere es Schmerzen, reduziere die Ausschüttung von Stresshormonen und rege Wachstums- und Heilungsprozesse an. Eine verringerte Produktion und Aufnahme von Serotonin hingegen kann unter anderem Unruhezustände, Angst, Aggressionen, Schlafstörungen und Depressionen bedingen (vgl. Grunwald 2017: S. 191).
Interpersonelle Berührungen wirken dabei emotional am intensivsten auf den Organismus (Gallace&Spence 2010: S. 247). Das könnte daran liegen, dass bei einer Selbstberührung bestimmte Signalverarbeitungen der Berührungsreize durch das Gehirn gehemmt werden (vgl. von Thadden 2018: S. 41). Es macht daher einen Unterschied, ob eine Person sich selbst berührt oder von einer anderen Person berührt wird. Ditzen et al (2007) bekräftigen zum Beispiel, dass insbesondere liebevolle partnerschaftliche Berührungen die Ausschüttung von Stresshormonen signifikant verringern. Werden all diese positiven Effekte sanfter Berührungen bedacht, müssten demnach Personen, die weniger durch andere berührt werden, einem höheren Risiko ausgesetzt sein, krank zu werden, psychische Probleme zu entwickeln und in ihrer sozialen Lernfähigkeit eingeschränkt zu sein.
Während Eltern das Bedürfnis nach sanften Berührungen und Bindung in der Kindheit befriedigen, werden diese mit dem Beginn der Adoleszenz nach und nach durch sexuelle Partner*innen oder Lebensgefährt*innen abgelöst. Martin Grunwald (2017: S. 185) bestätigt, dass Körperinteraktionen zwischen Partner*innen die größte Häufigkeit und Intensität im Alltag aufweisen. Betrachtet man nun die Incel-Community, die sich über eine Abwesenheit von (sexuellen) Partnerinnen definiert, müssen diese sanfte Berührungen signifikant weniger erleben als Personen, die sich in einer Beziehung befinden. Das kann mit verringerten Oxytocin und Serotonin Ausschüttungen einhergehen und damit Auswirkungen sowohl auf das soziale Leben wie auch auf das persönliche Wohlbefinden dieser Personen haben (s.o.). Erschwerend kommt hinzu, dass sie ihren Zustand als unfreiwillig beschreiben und somit individuelle Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Zu einem Mangel an sanften Berührungen können sich so Einsamkeitsgefühle einstellen, die sich nach De Jong Gierveld et al. (2006: S. 495) aus der festgestellten Diskrepanz in der Qualität und Quantität bestehender Beziehungen und den selbstgewählten Beziehungsstandards ergeben und in negativen Emotionen ausdrücken. Einsamkeit verringert dabei die Fähigkeit zur Affekt- und Selbstregulation und kann es so Betroffenen erschweren, soziale Normen einzuhalten und persönliche Ziele zu erreichen (vgl. Hawkley & Cacioppo 2010: S. 220). Außerdem kann Einsamkeit Gefühle von Feindseligkeit, Depressionen und Ängsten hervorrufen (ebd.).
Aus den vorgestellten Erkenntnissen der Haptik-Forschung wird deutlich, dass ausbleibende Berührungsreize und ein damit einhergehendes Einsamkeitserleben somit nicht nur negative Gefühls- und Gesundheitszustände bedingen, sondern auch die Entwicklung dissozialer Verhaltensweisen fördern können, indem Bedürfnisse unbefriedigt bleiben und soziales Lernen erschwert wird.
2.1.4 Blackpill-Ideologie
Incels sind Anhänger der Blackpill-Ideologie. Angelehnt ist diese an die Pillen-Theorie der Matrix-Triologie der Wachowski-Schwestern. In der Matrix muss der Hauptcharakter sich dafür entscheiden, eine rote oder eine blaue Pille zu schlucken. Bei der roten Pille erwacht die Person aus einer lebensweltlichen Illusion und nimmt die Wirklichkeit wahr wie sie ist - mit all ihren Grausamkeiten. Die von Maschinen erschaffene psychologische Matrix, die Erfahrungen und Wahrnehmungen in Bezug auf die herrschende Weltordnung und auf das soziale Miteinander steuert und beeinflusst (vgl. Lin 2017: S. 87), ist durchbrochen. Bei der blauen Pille bleibt die Person in der Scheinwelt gefangen.
Online-Männerrechtsbewegungen, die antifeministische und frauenfeindliche Positionen vertreten und zu denen auch die Incel-Community gezählt wird, beschreiben dieses Erwachen aus einer Illusion ähnlich und beziehen sich dabei auf die Redpill-Ideologie. Sie meinen zu erkennen, dass Frauen unter anderem heimlich die Welt regieren, Männer gesellschaftlich unterdrücken und Gehirnwäschen unterziehen würden (vgl. Ging 2019: S. 640 / Kracher 2020: S. 30).
Dieser sogenannten Redpill-Ideologie folgt die neue, von Incels postulierte BlackpillIdeologie. Incels entwickelten die Blackpill als Ausdruck einer noch extremeren Betrachtungsweise. Blackpill-Anhänger sehen Frauen als sexbesessen an, die vollkommen fixiert auf gutes Aussehen ihre Partner auswählen (vgl. Kracher 2020: S. 31ff.). Incels entwickelten hierzu sogar eigene Begrifflichkeiten, wie beispielsweise „Chad“ für einen sexuell attraktiven Mann und „Stacy“ für eine sexuell attraktive Frau. Männer, so ihre Überzeugung, die den Ansprüchen eines Chads nicht genügen können, werden von Frauen nicht beachtet, da alle Frauen lediglich Chads begehren würden und sich nicht mehr an ihrem „Looksmatch“4 orientieren (ebd.: S. 42). Im Gegensatz zur Redpill-Ideologie impliziert die Blackpill-Ideologie außerdem, dass solche Männer kaum Handlungsmöglichkeiten besitzen, etwas an ihrem jetzigen Zustand zu verbessern (ebd.: S. 43). Operative Eingriffe werden oft als letzter Ausweg betrachtet.
Sogenannte „Truecels“ sprechen sich Veränderungsperspektiven sogar komplett ab (ebd.: S. 45).
Welches Selbstbild einer solchen Ideologie zu Grunde liegt, kann mit Hilfe der amerikanischen Psychologin Carol Dweck untersucht werden. Sie unterscheidet zwischen einem dynamischen und einem statischen Selbstbild. Personen mit einem dynamischen Selbstbild glauben an die eigenen Fähigkeiten und stellen sich demnach Ängsten und Herausforderungen, da sie gelernt haben, dass sie selbst etwas in ihrem Leben bewirken und verändern können (vgl. Dweck 2007: S. 53). Sie lassen sich dadurch weniger durch Rückschläge entmutigen. Ein statisches Selbstbild hingegen zeichnet sich durch die Überzeugung unveränderbarer Eigenschaften aus (ebd.: 26f.). Menschen, die ein solches Selbstbild verinnerlicht haben, messen ihre persönliche Wertigkeit im direkten Zusammenhang mit Ereignissen, die um sie herum geschehen. Negative Ereignisse und Erfahrungen werden als Abwertung der eigenen Person empfunden, währenddessen positive Ereignisse sie aufwerten. Da Eigenschaften jedoch als unveränderbar angesehen werden, erscheinen Anstrengungen, etwas zu verändern, bedeutungslos. Damit sind vermeintlich ausweglose Situationen durch die eigenen Kräfte nicht auflösbar. Dweck stellt fest, es könne daher ein Anspruch entstehen, dass die Umwelt sich der eigenen Lebenssituation anpassen müsse – egozentrische Weltperspektiven werden gefördert (ebd.: S. 263). Incels drücken aus, sich unfair behandelt zu fühlen und eine Beziehung verdient zu haben. Manche Incels gehen sogar so weit zu behaupten, Frauen müssten Männern gerechterweise zugeteilt werden (vgl. Kracher 2020: S. 29). Die Blackpill-Ideologie fußt somit auf vielen Annahmen, die auch bei Menschen mit statischen Selbstbildern nachgewiesen wurden.
Nach Dweck ziehen Menschen mit einem statischen Selbstbild vor allem Kraft aus dem Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben (Dweck 2007: S. 32). Problematisch würden sich solche Einstellungen demnach dann auswirken, wenn erwünschte Zustände nicht erreicht werden können oder ein Kontrollverlust im weiteren Sinne droht: „Wenn ich nur jemand bin, wenn ich Erfolg habe, wer bin ich dann, wenn ich keinen habe?“ (ebd.: S. 43) Das Gefühl des Kontrollverlusts in bestimmten Situationen belegt sozioemotionale Grundbedürfnisse nach Macht, Sicherheitserleben und Zufriedenheit mit Konflikten. Wenn Grundbedürfnisse über einen längeren Zeitraum nicht befriedigt werden, kann dies Betroffene unbewusst oder bewusst dazu veranlassen, andere Menschen durch ihr Verhalten zu verletzten (vgl. Escalera 2014: S. 5).
Bei Incels könnte ein solcher Kontrollverlust im Beziehungsleben verortet werden. Die Herstellung intimer und emotionaler Beziehungen scheint immer wieder durch die vermeintlich oberflächlichen Ansprüche von Frauen zu misslingen. Es sind auch Gefühle von Ohnmacht und Hilflosigkeit, die in diesem Kontext eine Rolle spielen. Welche Auswirkungen Ohnmachts- und Hilflosigkeitsgefühle haben können, ist aus der Trauma-Pädagogik bekannt. Sie entstehen, wenn Versuche, sich aus einer bedrohlichen Situation zu befreien, wiederholt scheitern (vgl. Dreiner 2020: S.25). Körper und Geist schalten dann in den Überlebensschutzmodus. Folgen können sich in Stress, Überregungszuständen und Wahrnehmungsverzerrungen äußern, die in internalisierten oder externalisierten Verhaltensweisen zum Ausdruck verarbeitet werden (ebd.: S.33). Treten solche Ereignisse immer wieder auf, kann der Organismus in einen dauerhaften Stresszustand versetzt werden. Selbstverachtung, Frustration und Projektionen können die Folge sein.
In welchem Ausmaß solche Wahrnehmungsverzerrungen stattfinden können, unterstreicht eine Passage aus dem Manifest des Incels Elliot Rodger (2014: S. 135): „The females of the human species have never wanted to mate with me, so how could I possibly consider myself part of humanity? Humanity has never accepted me among them, and now I know why. I am more than human. I am superior to them all. I am Elliot Rodger . . . Magnificent, glorious, supreme, eminent . . . Divine! I am the closest thing there is to a living god.”
Elliot Rodger spielt eine wichtige Rolle in der Incelosphäre. Viele Incels bezeichnen ihn nicht nur als „Supreme Gentleman“ und glorifizieren ihn, sondern sein Manifest legt auch dar, wie fatal sich die Blackpill-Ideologie auf ein Leben auswirken kann und welche drastischen Konsequenzen sich daraus für Mitmenschen ergeben können. Elliot Rodger brachte im Mai 2014 sechs Menschen um und erschoss anschließend sich selbst.
„Wenn Menschen mit einem statischen Selbstbild verlassen wurden, empfanden sie sich als Mensch verurteilt und dauerhaft abgestempelt. Es war, als hätte ihnen jemand ein Urteil auf die Stirn geklebt: UNLIEBENSWERT. [...] Das statische Selbstbild kennt kein Rezept, um mit einer Verletzung umzugehen, also blieb nichts anderes als die Hoffnung, die Person zu verletzen, die ihnen die Wunde zugefügt hat.“ (Dweck 2007: S. 167)
Die Ausübung von Gewalt und Gewaltverherrlichungen auf Incel-Foren könnte somit durch ein statisches Selbstbild erklärt werden. Kracher (2020: S. 49ff.) stellt fest, dass nihilistischer Selbsthass und die Blackpill-Ideologie weiter auf Incel-Foren bestärkt werden, indem beispielsweise das Aussehen abgewertet, die Blackpill-Ideologie gepriesen und als einziger Ausweg aus der Problemlage zum Suizid ermutigt wird. Diese Foren schaffen damit ein potentielles Klima für Gewalt. Auch die Blackpill-Ideologie bildet so einen idealen Nährboden für dissoziale Verhaltensweisen. Die Gefahr von selbstverletzendem Verhalten und Suiziden wird parallel hierzu jedoch ebenfalls erhöht.
2.1.5 Ambivalenz-Konflikt
Auf der einen Seite erweist sich der ausgeprägt artikulierte Missmut und Hass gegenüber dem weiblichen Geschlecht als ein prägendes Merkmal des Inceltums. Auf der anderen Seite berichten Incels jedoch wiederholt, dass nur eine Beziehung oder die
Aufmerksamkeit von Frauen sie aus ihrer Problemlage befreien würde (Kracher 2020: S. 144ff.). Dies zeugt von einer innerlichen Ambivalenz gegenüber ein und demselben libidinösen Objekt.
Solche ambivalenten Gefühle sind nach dem Kinderpsychiater Henri Parens (2015) auch schon bei kleinen Kindern in der Interaktion mit engen Bezugspersonen nachweisbar. Diese entstehen dann, wenn Kindern physische oder seelische Schmerzen durch Bezugspersonen (beispielsweise durch die Eltern) zugefügt werden, die für sie normalerweise liebevolle Objekte verkörpern sollten. So entsteht eine Diskrepanz zwischen der Vorstellung und der Realität. Parens bezeichnet dieses Dilemma als Ambivalenz-Konflikt. Indem das begehrte libidinöse Objekt verletzt, entstehen Ängste und Unruhe bei Betroffenen, auf die der Organismus mit Abwehrmechanismen reagiert (ebd.: S. 21ff.). Ein andauernder Ambivalenz-Konflikt kann dabei zu Unsicherheiten bei der Entwicklung von Bindungsbeziehungen und einer gelungenen Identitätsbildung führen und so die Diskriminierung anderer verstärken. Er beschreibt, wie sich so von Kindesalter an bösartige Vorurteile manifestieren und in kognitive Schemata integrieren können, die bis ins Erwachsenenalter überdauern. Das ist der Neuroplastizität des Gehirns geschuldet, durch die sich das Gehirn je nach Umwelteindrücken nutzungsabhängig verändert (vgl. Jäncke 2017). Je öfter negative und schmerzhafte Eindrücke das Gehirn erreichen, desto intensiver werden diese auch in das Gefühls-, Denk- und Handlungsmuster einer Person integriert (vgl. Besser 2015). Parens (2015: S. 23) stützt seine Befunde auf Beobachtungen, bei denen solche Kinder, die öfter seelischen oder physischen Schmerzen durch Bezugspersonen ausgesetzt waren, häufiger intensive, feindselige Gefühle und die Nutzung bestimmter Abwehrmechanismen zeigten.
Einige der von Parens festgestellten Abwehrmechanismen können auch im Verhalten von Incels auf den Foren beobachtet werden:
- Projektion: Problemlagen werden grundsätzlich auf Frauen verlagert. Frauen wird die Schuld an der eigenen misslichen Lage gegeben. Auch sexuell erfolgreichen und attraktiven Männern (Chads) sowie der Gesellschaft wird anteilig eine Mitschuld zugesprochen.
- Realitätsverzerrungen: Realitäts- und Wahrnehmungsverzerrungen von Incels wurden bereits im Kapitel 2.1.4 im Zuge der Blackpill-Ideologie beleuchtet. Parens ordnet unter diesem Punkt auch Verhaltensweisen ein, bei denen andere herabgewürdigt und verunglimpft werden. Dies kann ebenfalls auf Incel-Foren beobachtet werden, indem Frauen beleidigt und dehumanisiert werden (vgl. Kracher 2020: S. 86f.).
- Generalisierungen: Allen Frauen werden bösartige, egoistische und oberflächliche Absichten unterstellt.
Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Nahlah Saimeh fasst zu Grunde liegende Dynamiken des Ambivalenz-Konflikts zusammen und zeigt eine Verbindung zu dissozialen Verhaltensweisen auf:
„Aus dem Umschlagen von früh empfundenem Schmerz in Wut und von Wut in Hass entsteht eine Beziehung zwischen dem gefährdeten Selbst und dem gehassten Objekt, welches aus Rache geschädigt bzw. zerstört werden muss. Die fehlende Erfahrung gelungener Autonomieentwicklung führt dabei zu einer erheblichen narzisstischen Kränkung und Störung des Selbstwertes. Gleichzeitig ist sie verbunden mit dem Gefühl der Hilflosigkeit und Abhängigkeit. Das Objekt der gewünschten Annäherung (gutes Objekt) ist gleichzeitig auch das versagende, böse Objekt.
Daraus wird erklärlich, dass bei dissozialen Menschen […] stets eine Spaltung in „gut“ und „böse“ erfolgt und beides nicht zusammen in Einklang gebracht werden kann.“ (Saimeh 2005: S. 13)
Das Spannungsverhältnis zwischen Abhängigkeit und schmerzbedingter Entfremdung stellt Betroffene zwangsläufig vor ein Dilemma. Dieser Konflikt scheint nicht auflösbar (siehe auch Kapitel 2.1.4). Weder Kinder, auf Grund ihrer entwicklungsbedingten Abhängigkeit und Angewiesenheit auf Nähe, Bindung und Zuneigung von Bezugspersonen, noch Incels, auf Grund des inhärenten Sexualtriebs und des Bindungsbedürfnisses mit dem anderen Geschlecht, scheinen sich von den Objekten lösen zu können, die diese ambivalenten Gefühlslagen hervorrufen. Betroffenen bleiben oft nur zwei Möglichkeiten: Entweder können sie erneut Kontakt herstellen und das Risiko von Verletzungen in Kauf nehmen oder sie versagen sich, ihren Bedürfnissen nachzugehen und schützen sich so vor potentiellen Schmerzerfahrungen. Letzteres sorgt dafür, dass sich Betroffene immer weiter von dem ersehnten Objekt entfremden. Frustration, Ohnmacht und Hilflosigkeit scheinen daher auch in diesem Kontext von tragender Bedeutung und für die Entstehung dissozialer Verhaltensweisen maßgeblich prägend zu sein.
2.1.6 Digitale Welten
„We don’t have a different kind of human as a result of the Internet. We do, however, have different kinds of structures which change the games humans play in their social, personal and political lives.” (Tufekci 2013)
Die Soziologin Zeynep Tufekci geht damit auf die oft ausgeübte Kritik ein, der Aufenthalt in virtuellen Welten würde Menschen einsamer, aggressiver und dissozialer werden lassen. Ihrer Meinung nach entstehen diese Probleme jedoch nicht im virtuellen Raum, sondern bestehen bereits in der physischen Welt. Laut Tufekci erhalten Personen durch den virtuellen Kontext lediglich neue Möglichkeiten sich zu entfalten und der Online-Rahmen lässt neue Dynamiken zu. Incels sind durch ihre Präsenz in der virtuellen Welt bekannt geworden, indem sie sich auf verschiedenen Online-Foren austauschen. Die starke Online-Präsenz könnte auf ihre Einstellungen zurückzuführen sein, auf Grund derer es sich für diese Personengruppe schwieriger gestaltet, Meinungen und Bedürfnisse in einer gynozentrischen und pro-feministischen Welt zu artikulieren, argumentiert die Digitalanthropologin Lin (2017: S. 86). Die Migration in den virtuellen Raum könnte also in der Möglichkeit zu einer als „frei“ empfundenen Meinungsäußerung begründet liegen. Auf Online-Foren tauschen sich Incels zumeist textbasiert mit anderen Mitgliedern aus, die sich ebenfalls als Incel verstehen. In den meisten Fällen werden auf Incel-Foren Pseudonyme verwendet, sodass die eigene Identität verborgen bleibt. Da die Online-Kommunikation einen großen Teil des Incel-Daseins ausmacht, muss diese in die Kontextualisierung des Phänomens mit eingeschlossen werden. Im Folgenden werden einige Gesichtspunkte hierzu beleuchtet.
Einsamkeit: In einer Studie von Ezoe & Toda (2013) wurde eine positive Korrelation von Einsamkeitsempfinden und Internetabhängigkeit bei japanischen Medizinstudent*innen nachgewiesen. Einsame Student*innen verbrachten mehr Zeit an ihren Handys und in virtuellen Welten, als Student*innen, die von wenigen bis gar keinen Einsamkeitsempfindungen berichteten. Die Internetnutzung kann sich dabei unterschiedlich auf das Einsamkeitserleben der Betroffenen auswirken. Auf der einen Seite besteht die Ansicht, dass ein intensiver Internetkonsum Personen weiter von Kontakten in der physischen Welt isoliert und so Einsamkeitserfahrungen verschärft (vgl. Ceyhan & Ceyhan 2009). Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch Studien, die aufzeigen, dass eine intensive Internetnutzung einen positiven Einfluss auf Einsamkeitsempfindungen haben kann, nämlich dann, wenn Personen positive Beziehungserfahrungen machen und ein Gefühl von Zugehörigkeit online erfahren (vgl. Takahira et al. 2008 / Casale & Fioravanti 2011). Incels können, indem sie sich einer Online-Community anschließen, ihre kommunikative Reichweite in einer zunehmenden Gemeinde von Bekanntschaften mit ähnlichen Interessen ausweiten. Durch diese Interessensgemeinschaften kann ein Gefühl von Zugehörigkeit entstehen (vgl. Turkle 2011: S. 290). Außerdem kann das Gefühl, immer mit Personen in Kontakt stehen zu können, wenn man es möchte, für eine emotionale Sicherheit sorgen (ebd.: S. 416). Dies kann besonders für solche Menschen einen Mehrwert darstellen, deren Leben vorrangig von Verlusten und Trennungen geprägt ist. Jedoch birgt das Abschalten dieser Verbindung auch die Gefahr, den Menschen im Anschluss orientierungslos und einsam in der physischen Welt zurückzulassen (ebd.: S. 446). Auch können virtuelle Welten einen Mangel an liebevollen Berührungen nicht kompensieren (siehe Kapitel 2.1.3).
Kommunikation: Durch den textbasierten Austausch auf Incel-Foren wird die Komplexität von Kommunikation minimiert. Soziale Zwänge, Körpersprache und eine Unmittelbarkeit, durch die sich Echtzeit-Kommunikation unter anderem auszeichnet, spielen bei der virtuellen Kommunikation kaum und wenn nur eine untergeordnete
Rolle (vgl. Döring 2019: S. 171). Dadurch werden „emotionale Risiken“ (Turkle 2011: S. 33), die mit einer Echtzeit-Kommunikation einhergehen, verringert. Sozialen Reaktionen kann sich beispielsweise entzogen werden. Das ist bei der Echzeit-Kommunikation so nicht möglich. Dort muss sich aktiv und unmittelbar mit den Folgen getätigter Aussagen auseinandergesetzt werden. Dieser Effekt der Online-Kommunikation senkt die Hemmschwelle bei Internetnutzer*innen. John Suler verwies auf diesen Effekt bereits im Jahr 2001 in seiner Studie The Online Disinhibition Effect. Er beschreibt dort, dass Menschen im Internet befreiter und hemmungsloser kommunizieren, da unter anderem durch die Anonymität und Distanz im virtuellen Raum getätigte Aussagen und gezeigtes Verhalten von der eigenen Identität entkoppelt werden können und somit auch mögliche Konsequenzen/Folgen nicht unmittelbar persönlich getragen werden müssen. Dieser Effekt öffnet nach Suler Türen für gutartiges („benign disinhibition“) und toxisches Verhalten („toxic disinhibition“) gleichermaßen. Durch den „toxic disinhibiton effect“ könnte dissoziales Verhalten von Incels erklärt werden. Es wird sich mehr getraut, beleidigt, gehetzt und niedergemacht, ohne dabei die sozialen und emotionalen Konsequenzen zu spüren, die dem Gegenüber zugefügt werden, da Feedbackmechanismen, wie Blickkontakt, erregte Stimme etc., entfallen, sodass die Verletzbarkeit von Opfern in den Hintergrund rückt (vgl. Turkle 2012: 314).
Weiterführend kann auf Chatforen lediglich das Geschriebene, also die explizite Seite einer Nachricht, betrachtet werden. Implizite Botschaften einer Nachricht zu erkennen ist in der Online-Kommunikation erschwert, da diese zumeist über non-verbale Signale vermittelt werden (vgl. Schulz von Thun 2011: S. 33). Außerdem werden Gefühlsäußerungen oft stark vereinfacht, beispielweise durch Emoticons. Reale (Gefühls)Zustände werden so unzureichend abgebildet, da Hauptbotschaften einer Nachricht zumeist implizit und nicht explizit übermittelt werden (ebd.). Dies kann zu einem Informationsverlust führen und so das Risiko für Konflikte erhöhen. Sollte es dennoch zu einer expliziten Äußerung starker Gefühle kommen, geht die Soziologin Sherry Turkle (2012: S. 350) davon aus, dass dies auf eine hohe Verletzlichkeit der Akteure hindeutet. Sie argumentiert, dass es Betroffenen bedeutend schwerer fällt, starke Gefühle in Echtzeit zu artikulieren, als diese niederzuschreiben. Durch die Mitteilung stelle sich eine Erleichterung bei den Betroffenen ein und gleichzeitig müssten diese Gefühlslagen nicht in Echtzeit verarbeitet werden. So kann eine Auseinandersetzung aufgeschoben oder ganz verdrängt werden.
Beziehungen: „Wenn wir allein sein können, während wir Kontakt herstellen, können wir mit dem Zusammensein umgehen.“ (Turkle 2012: 345) Turkle spricht damit einen Kontrollzuwachs an, den auch Wampfler (2019: S. 86) bestätigt. Bei der Beziehungsgestaltung im virtuellen Raum wird eine höhere Kontrolle über persönliche Beziehungen erlangt. Kontakte können genauso schnell hergestellt wie abgebrochen werden und soziale Auswirkungen und Folgen von Interaktionen umgangen oder ignoriert werden.
Diese Beziehungsdynamiken könnend dabei unterschiedlichen Einfluss auf die Beziehungsqualität nehmen. Auf der einen Seite ist die Möglichkeit des authentischen Austauschs erhöht, da Menschen befreiter darüber sprechen, was sie beschäftigt. Auf der anderen Seite sinkt die Hemmschwelle und das Risiko für dissoziales Verhalten wird erhöht. Das kann auch Auswirkungen auf das Empathie-Empfinden und das soziale Miteinander haben. Laut einer Studie der University of Michigan (2010) hatte das Empathievermögen von College-Student*innen dramatisch abgenommen. In einer MetaAnalyse, bei der 72 Forschungen von 1979 bis 2009 einbezogen wurden, zeigte sich, dass die Empathie Fähigkeit der College-Student*innen heutzutage bis zu 40% niedriger ausgeprägt ist als noch vor 20-30 Jahren. Als Grund dafür wurde von den Forscher*innen unter anderem die erhöhte Präsenz in virtuellen Welten angeführt. Sie führen dazu unter anderem das Risiko der Übertragbarkeit von Kommunikationspraktiken der Unverbindlichkeit vom virtuellen in den analogen Raum an. Obwohl soziale Interaktionen in der virtuellen Welt aufgeschoben werden, haben Nutzer*innen das
Gefühl eines Kommunikationsflusses. Eine intensive Online-Kommunikation und Vernachlässigung der Echzeit-Kommunikation kann dann dazu führen, dass Gesprächsabbrüche in Echtzeit schneller mit Zurückweisungen und Trennungsgefühlen verbunden werden, da solche scharfen Abbrüche in der Online-Kommunikation nicht abgebildet werden (vgl. Turkle 2012: S. 325). Für Menschen mit einem statischen Selbstbild würde dies auch wieder einen Angriff auf das Selbstwertgefühl bedeuten (siehe Kapitel 2.1.4).
Virtuelle Beziehungen suggerieren außerdem, eine zwischenmenschliche Bindung aufgebaut zu haben, ohne dass dazugehörige Anforderungen erfüllt werden müssten (ebd.: S. 24). So können unterschiedlichste Erfahrungen mit verschiedenen „Menschentypen“ gemacht werden, ohne jedoch dabei die Risiken einer echten Beziehung einzugehen und sich angreifbar zu machen (ebd.: S. 369). Werden virtuelle Beziehungen zur Kompensation geringer Anerkennung und Ausgrenzung aufrecht gehalten, steigt das Risiko für einen Rückzug aus der physischen Welt. Reale Beziehungen werden als weniger befriedigend erlebt und die Empathiefähigkeit nimmt ab (Wildt 2012: S. 219f.). Wenn der Online-Kontakt den Offline-Kontakt jedoch ergänzt, kann dieser auch zur Beziehungspflege beitragen und Menschen besser sozial integrieren (Döring 2019: S. 182f.). Dabei scheinen die Auswirkungen von Online-Kommunikation stark mit den Prädispositionen der jeweiligen Personen zusammenzuhängen. Während eine gut entwickelte Sozialkompetenz, ein aktives und sicheres Auftreten in der Kommunikation und bereits vorhandene Offline-Beziehungen positive Effekte erzielen, sind Personen, die Defizite in diesen Bereichen aufweisen, eher von negativen Effekten betroffen (Hu et al. 2017 / Nowland et al. 2018). Problematisch sind diese Befunde deswegen, weil Personen, die als sozial unattraktiver in der physischen Welt gelten, auch in virtuellen Welten einem höheren Risiko ausgesetzt sind, isoliert oder ausgegrenzt zu bleiben (vgl. Döring 2014). Incels wären also gefährdeter, negative Erfahrungen auch im virtuellen Beziehungsaufbau zu machen.
Echokammern: Viele Publikationen beschreiben eine Radikalisierung von Männern auf Internetforen und verweisen diesbezüglich auch immer wieder auf das Incel-Phänomen (u.a. Der Standard 2020 / Kracher 2020: S. 25ff.; S. 49ff.). Solche Polarisierungseffekte werden in der Online-Forschung unter anderem durch den „Echokammer-Effekt“ versucht zu erklären. Der virtuelle Raum vereinfacht es Personen mit normabweichenden Einstellungen Gemeinschaften zu finden, die ähnliche Sichtweisen teilen (vgl. Wampfler 2019: S. 81). Zugangsbedingungen und soziale Regeln eines Forums spielen bei der Betrachtung von Online-Communities daher eine wichtige Rolle, da sie die Grundlage für die Beiträge und Zusammensetzung der Mitglieder schaffen. Sasahara et al. (2019) stellen fest, dass sich Menschen häufiger solchen Communities anschließen, in denen ihre eigene Meinung bestärkt und gestützt wird oder in denen Mitglieder Ähnlichkeiten in Bezug auf bestimmte Kriterien wie beispielsweise Religionszugehörigkeit oder Bildungsgrad aufwiesen. Sie bezeichnen diese Phänomene als „selective exposure“ und „homophily“. Durch die Homogenisierung der Mitglieder können so virtuelle Echokammern und Filterblasen entstehen, in denen Personen aufgrund der Abwesenheit anderer Meinungen und Perspektiven nur noch „ihre eigene Stimme hören“ (Garimella et al. 2018: S. 914). In einer solchen Kommunikationsumgebung wird die eigene Meinung bestärkt und verstärkt, da diese von anderen Mitglieder immer wieder konsonant reproduziert wird. Dadurch entsteht die Gefahr der Polarisierung. Van Alstyne & Brynjolfsson (2005) verweisen dazu auf das Phänomen der „cyberbalkanization“. Es entstehen zersplitterte Gruppen, zwischen denen kein Dialog mehr stattfindet. Extreme politische Positionen können so verstärkt und Mitglieder radikalisiert werden (vgl. Stark et al. 2017: S. 32). Bindungen in Gruppen können sich mitunter in einem starken „Wir“-Gefühl äußern, bei dem sich die Gruppe von den „Anderen“ abgrenzt. Starke Bindungen bergen demnach auch das Risiko, andere Individuen zu diskriminieren, die nicht dem Gruppenverband angehören. Positive Eigenschaften werden dann den Gruppenmitgliedern und negative Eigenschaften den
Außenstehenden zugeschrieben (vgl. Uvnäs-Moberg 2016: S. 148f.). Menschen mit Meinungen, die nicht dem gesellschaftlichen und/oder politischen Konsens entsprechen oder solche, die intensiv in ein bestimmtes Thema involviert sind, scheinen eher solche homogenen Netzwerke online wie auch offline aufzubauen (vgl. Hampton et al. 2014). Damit sind Incels aufgrund ihrer ideologischen Einstellungen gefährdeter, sich in solchen Echokammern wiederzufinden. Auch aus dem Grund, weil Menschen, die einen Kontrollverlust in ihrem Leben erleben, dieses Gefühl durch die vermeintliche Stärke einer Gruppe Gleichgesinnter versuchen, zu kompensieren (vgl. Schellhammer 2017: S. 7).
“The higher the controversy between members of different groups and the homogeneity between members of the same group, the higher the probability to be in the presence of echo chambers.” (Villa et al. 2021) .
Sasahara et al. (2019: S. 16f.) verweisen auf die Gefahr der Manipulation von Informationen und Meinungen, die durch bestimmte Dynamiken in Echokammern bedingt werden kann. Zum einem verweisen sie auf die Gefahr, dass, wenn immer wieder dieselben Informationen rezipiert werden, die auch der eigenen Meinung entsprechen, der Wahrheitsgehalt dieser Informationen nicht mehr hinterfragt wird. So werden Meinungen, die im öffentlichen Diskurs eventuell keine Mehrheit abbilden, in solchen Echokammern bestärkt und können sich beispielsweise zu Verschwörungstheorien ausweiten. Falschinformationen können so ebenfalls schneller verbreitet werden. Zum anderen besteht die Gefahr, dass komplexe Sachverhalte zu einseitig und vorschnell aufgrund der homogenen Meinungsdichte interpretiert und in Folge dessen fehlerhafte Lösungsansätze entwickelt werden.
Veronika Kracher bezeichnet Incel-Foren in ihrem Buch als Echokammern. Nach ihr werden in diesen Incel-Echokammern Vergewaltigungsfantasien, Frauenhass, Selbstmitleid, verschwörungstheoretisches Opferdenken und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit reproduziert (Kracher 2020: S. 52f.). Diese Echokammern würden auch dann ihr Potential entfalten, wenn Beiträge, wie von Mitgliedern behauptet, „ironischerweise“ verfasst wurden: „[W]er permanent mit gruppenbezogener Menschlichkeit kokettiert, kann die ironische Distanz früher oder später nicht mehr aufrechterhalten und wird zunehmend desensibilisiert. Aus Ironie wird Ernst.“ (ebd.: S. 51) Inwieweit Echo-Kammern wirklich zu einer Polarisierung politischer Meinung beitragen wird kontrovers diskutiert. Es gibt einige Forschungsarbeiten, die die Echo-Kammer-Hypothese widerlegen. Jedoch ist anzumerken, dass in solchen Untersuchungen zumeist Personen mit moderaten politischen Einstellungen in die Erhebung einbezogen wurden (u.a. Magin et al. 2019: S. 111f.). Fakt ist jedoch, dass auf Foren, auf denen eine homogene Meinungsdichte wiederzufinden ist, der Zugang zu kontrovers und heterogen geführten Diskursen, in denen vielfältigste Meinungen und Perspektiven einbezogen werden, erschwert ist.
2.1.7 Identitätspolitiken
„Verweigern Frauen das, was Männern vermeintlich zusteht, führt dies zu einer narzisstischen Kränkung. […] Weibliche Autonomie übersetzt sich für Männer mit «Diese Frau ist sich selbst wichtiger als meine Bedürfnisse» - in einer Gesellschaft, in der Frauen dazu designiert sein sollen, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche denen von Männern unterzuordnen, stellt dies nichts Geringeres als ein Affront dar.“ (Kracher 2020: S. 138)
Veronika Kracher spricht in diesem Zitat sowohl persönliche als auch gesellschaftliche Dispositionen männlicher Identität an, die ihrer Meinung nach das Incel-Denken mit prägen. Im Folgenden sollen diese Kontexte, die die männlichen Identitätskonstruktionen zu beeinflussen scheinen, genauer betrachtet werden.
Männliche Adoleszenz und Identitätskrisen
„Auf dem Weg zu einer gelingenden seelischen Integration ist die adoleszente Psyche vielen Risiken ausgesetzt, die in Sackgassen oder in Zusammenbrüchen der Entwicklung mit selbst- und fremddestruktiven Handlungen führen können.“ (Uhlhaas 2011: S. 68)
Peter Uhlhaas verweist damit auf die hohe Vulnerabilität von Jugendlichen, Krisen bei der zentralen Entwicklungsaufgabe der Identitätsbildung zu durchlaufen und im Zuge dessen problematische Lösungsstrategien zu entwickeln. Intoleranz und Gewaltbereitschaft können dabei nach Pohl (2012: S. 115) als Abwehrversuche gegen das in der Adoleszenz verstärkte Gefühl der Identitätsdiffusion verstanden werden. Diese, stellt er fest, treten bei männlichen Jugendlichen häufiger auf als bei weiblichen (ebd.: S. 112). Eine Identitätsdiffusion bezeichnet dabei die Splitterung der eigenen Ich-Identität und ist geprägt von Zweifeln und Unsicherheiten der eigenen Entwicklung, bedingt durch konfliktbehaftete, identitätsbildende Aufgaben, der sich Jugendliche in der Adoleszenz stellen müssen. Diese sind als Integrationsleistungen von neuen Aufgaben, wie unter anderem der neu erwachten Sexualität und Triebe und der Bindungstransformationen, bei denen eine Neuausrichtung von der Eltern-Kind-Beziehung zu bedeutsamen und intimen Beziehungen zu Gleichaltrigen erfolgt, zu verstehen (ebd.: S. 112ff.). Hinzu kommt ein sich stark veränderndes Körperbild, welches, im Zuge der neu entwickelten Abstraktionsfähigkeit, auch dazu veranlasst, sich selbst und andere von außen zu betrachten und damit einhergehend zu vergleichen und zu bewerten (vgl. Uhlhaas 2011: S. 66ff.). Jugendliche differenzieren daher verstärkt zwischen einem Realbild und einem Idealbild.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Selbstreferentieller Bezug in der Adoleszenz (vgl. Fend 2005, S. 415)
Können bestimmte Aufgaben und Entwicklungen in der Adoleszenz nicht bewältigt werden oder ist die die erlebte Diskrepanz zwischen dem Realbild und dem Idealbild zu groß, durchlebt das Individuum eine existentielle Krise. Diese kann mit Gefühlen von Minderwertigkeit sowie Selbstverlust einhergehen und sich in Entwicklungs- und Verhaltensstörungen manifestieren (vgl. Pohl 2012: S. 113). Übertragen auf das IncelPhänomen könnten Idealbilder Erfolge in der Beziehungsgestaltung mit Frauen und gesellschaftliche Schönheitsideale beinhalten, die sich in den Realbildern der Betroffenen nicht wiederfinden und so Krisen auslösen.
Pohl merkt an, dass besonders männliche Jugendliche dabei vor besondere Herausforderungen bei der Identitätsentwicklung gestellt werden. Eine Herausforderung stellt das sich verändernde gesellschaftliche Bild des Mannes dar. King & Flaake (2005: S. 11) weisen darauf hin, dass die Entwicklung von Geschlechtsidentitäten immer auch vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und sozialer Geschlechterkonstruktionen betrachtet werden muss. Während im öffentlichen und politischen Diskurs Geschlechterkonstruktionen modernisiert und hinterfragt werden sollen, sind traditionelle Männlichkeitsideale wie Stärke, Unabhängigkeit und Dominanz oft noch in den Ansichten der Gesellschaft vorherrschend (vgl. Pohl 2012: S. 115ff). Dabei scheint vor allem auch die Nutzung von sozialen Medien bei jungen Menschen das Denken in stereotypen Rollenbildern zu verstärken (vgl. Brandao et al. 2019). Durch eine Individualisierung der Lebenslagen im 21. Jahrhundert wird nun den Jugendlichen die Verantwortung zur Gestaltung der eigenen geschlechtlichen Positionierung in diesem Spannungsverhältnis übertragen. Ideologische Voreinstellungen können es dabei den männlichen Jugendlichen erschweren, alternative Formen von Männlichkeit zu konstruieren (vgl. King & Flaake 2005: S. 34). Durch die heute geforderte Entgrenzung stereotyper Geschlechterrollen müssen jedoch auch junge Männer ihre Handlungsmuster anpassen. Jutta Stich (2015: S. 179ff.) stellt in Interviews mit männlichen Jugendlichen fest, dass die neuen Dynamiken vor allem in Bezug auf das Sexualleben Gefühle von Selbstzweifel, Angst und Rückzugstendenzen auslösen, die von den Betroffenen, im Gegensatz zu weiblichen Jugendlichen, oft sprachlich nicht artikuliert werden. Ihnen scheinen so weniger Bewältigungsstrategien zur Verfügung zu stehen, mit (sexuellen) Identitätskrisen umzugehen. Damit ist die Chance für dissoziale Verhaltensweisen als alternative Handlungsstrategie erhöht. Gefühle, die nicht artikuliert werden können, werden stattdessen ausagiert.
Zugleich erfolgt durch die Sexualreifung bei Männern eine Fokussierung auf das männliche Genital und damit zwangsläufig eine Abgrenzung zum weiblichen Geschlecht. Pohl beschreibt, dass Männlichkeit eine „intakte, aber zugleich fragile und ständig gefährdete Geschlechtsidentität“ (vgl. Pohl 2007) darstellt, weil sie sich in einem ständigen Abhängigkeits-Autonomie-Konflikt befindet. Abhängig vom eigenen Begehren und gleichzeitig bemüht um Kontrolle, werden besonders im Kontext der Sexualität die Objekte bestraft, die das Begehren und somit eine Abhängigkeit auslösen – Frauen. Hinzu kommt, dass in der männlichen Reifung die sexuelle Potenz oft unbewusst mit der sozialen Potenz gleichgesetzt wird (vgl. Pohl 2012: S. 117). Vor diesem Hintergrund kann ein sexuelles Versagen wie ein Sozialversagen empfunden werden.
„Im Selbstverständnis des vermeintlich starken, autonomen und überlegenden Geschlechts ist das, was Quelle von Begierde und Lust ist, gleichzeitig, gerade weil es das ist, die größte Quelle von Unlust und Angst“ (Pohl 2012: S. 124).
Männliche Ängste sind in Pohls Verständnis daher stark mit sexuellem Erfolg verbunden. Werden dort subjektive Standards nicht erfüllt, kommt es zur Kränkung und zur Beschädigung männlicher Identität.
„Reale oder angebliche Bedrohungen, die mit narzisstischen Kränkungen, Verletzungen des Selbstwertgefühls und der Ehre usw. einhergehen, Erfahrungen, die eine vermeintliche „Notwehrsituation“ ergeben, lassen Gegenmaßnahmen zur Sicherung der eigenen Identität legitim, ja zwingend erscheinen. Dabei wird versucht, der befürchteten Zerstörung der eigenen Identität durch die Verfolgung und „notfalls“ die Vernichtung des als Quelle der Bedrohung konstruierten äußeren Feindes zuvorzukommen “ (Pohl 2012: S. 111)
Der Gefängnispsychologe Götz Eisenberg (2010: S. 162) weist zusätzlich darauf hin, dass eine Abgrenzung zum Weiblichen für die Ausbildung einer männlichen Identität bei Kindern und Jugendlichen durch eine grassierende Vaterlosigkeit und eine weibliche Dominanz in Bildungseinrichtungen zusätzlich erschwert wird. Infolgedessen können Ängste vor einem männlichen Identitätsverlust entstehen, die versucht werden, durch dissoziale Verhaltensweisen und das „Demonstrieren von Hypervirilität, ostentativer Gefühlslosigkeit und starken Muskeln“ abgewehrt zu werden.
Nach diesem Verständnis könnte der Hass gegen Frauen und die dissozialen Verhaltensweisen auf Incel-Foren mit den von Incels beschriebenen sexuellen Defiziten und Diskrepanzen zwischen Real-und Idealbildern erklärt werden, die in der männlichen Adoleszenz Identitätskrisen verstärken und/oder auslösen.
Politisierte Männlichkeit und Feminismus
Nach Frank Dammasch (2015) braucht es vor allem frühe stabile Bindungserfahrungen, männliche Vorbilder zur Identifikation und Hilfe bei der Abgrenzung zum weiblichen Geschlecht sowie Anerkennungsräume für phallisch-männliche aggressive Seiten, um eine stabile männliche Identität zu entwickeln. Besonders Letzteres scheint in der heutigen Gesellschaft jedoch immer weniger wünschenswert und tragbar zu sein.
Im Zeitalter feministischer Strömungen fordern einige, es wäre noch nicht genug für die Gleichberechtigung getan, während andere ihren Missmut über eine so genannte Cancel-Culture kundtun. So auch der Autor Douglas Murray. Er kritisiert, dass Männlichkeit auf einmal als etwas Verwerfliches angesehen wird und „what had been barely disputed until yesterday became a cause to destroy someone’s life today“ (Murray 2019: S. 6). Er beschreibt eine Polarisierung, im Zuge derer gesellschaftliche Fragen nur noch mit „richtig“ oder „falsch“ beantwortet werden können. Wer ein sogenanntes „trip-wire“, wie er die Grenze zwischen „richtig“ und „falsch“ benennt, überschreitet, hat mit gesellschaftlichen Konsequenzen zu rechnen (ebd.: S. 5). Eine solche Grenze könnte zum Beispiel die von Incels geübte Kritik an dem Dating-Verhalten von Frauen darstellen.
Berendsen et al. (2019) haben das Phänomen der sogenannten „Cancel-Culture“ genauer untersucht. Für sie bedeutet Cancel-Culture, dass kritische und normabweichende Stimmen als „Trigger“ instrumentalisiert werden, um sie so aus dem öffentlichen Diskurs zu verdrängen. In dem die Welt in „gute und böse Allianzen“ unterteilt wird und der Diskurs auf die Betonung von Differenzen und die Herausstellung von Privilegien abzielt, werden so Täter- und Opfergemeinschaften geschaffen (ebd.: S. 11f.). Menschen, die Privilegien genießen (im Kontext des Feminismus sind das Männer) wird suggeriert, dass sie sich schuldig für ihre Position fühlen müssten. Generalisierungen und Stigmatisierungen können folgen. Anstatt sich auf „sozioökonomische Strukturen, die Geschlechterungleichheit absichern und immer wieder neu herstellen“ zu konzentrieren, werden im öffentlichen Diskurs hingegen Männer als die Täter für das Leid der Frauen verantwortlich gemacht und dämonisiert (Berendsen 2019: S. 127). Das kann unter anderem zu selbsterfüllenden Prophezeiungen führen und Feindbilder schaffen, indem Dialoge versperrt werden:
„Eine derart ‚versteinerte‘ dämonische Beschreibung des anderen, die diesen als ganz und gar schlecht, negativ, böse entwirft, ist blind für ihre eigene Konstruktion, erschwert die Möglichkeiten, sich in der beschriebenen Wirklichkeit zu bewegen, und vergrößert das Risiko destruktiver Entwicklungen. Durch Verdächtigung und Misstrauen werden sich selbst bestätigende negative Beschreibungen der Wirklichkeit erzeugt.“ (Omer et al. 2007: S. 17)
Maskulinistische Stimmen, wie vom konservativen Männerrechtler Jack Donovan (2016: S. 129), kritisieren eben jenes, dass Männlichkeit bestraft, pathologisiert und stigmatisiert werde. Thomas Gesterkamp greift diesen Punkt in seinem Artikel für die Bundeszentrale politischer Bildung im Jahr 2018 auf und erklärt, dass solche Stimmen nicht ignoriert werden dürfen. Er führt einen Zulauf zu maskulinistischen Strömungen, zu denen auch Incels gezählt werden müssen, auf folgende Gründe zurück: Seiner Meinung nach wird Diskriminierung und Benachteiligung im öffentlichen Diskurs fast ausschließlich aus weiblicher Perspektive betrachtet. Dadurch wird ein Vakuum geschaffen, das Maskulinisten und Populisten (vor allem) online dazu nutzen, sich als Opfer weiblicher Emanzipation darzustellen und Stimmung gegen Frauen zu machen. Er fordert, dass auch männliche Perspektiven vermehrt in gesellschaftlichen und politischen Debatten berücksichtigt werden, um eine dialogisch geführte Männerpolitik nicht dem politisch rechten Rand zu überlassen, damit zukünftig toxische Männlichkeitsentwürfe unterbunden werden können.
„Auf Augenhöhe debattieren und kooperieren kann man nur mit einem Gegenüber, das nicht ständig mit Vorwürfen überhäuft wird. […] Das geschlechterpolitische Themenspektrum muss sich dringend erweitern – und die Selbstvertretung männlicher Interessen hat dabei eine eigenständige Legitimation.“ (Gesterkamp 2018)
Die Entstehung von Phänomenen wie das der Incels, aber auch die dissozialen Verhaltensweisen auf solchen Foren, könnten dementsprechend ebenfalls in einer unzureichenden politischen Auseinandersetzung mit männlichen Interessen begründet liegen.
2.1.8 Zwischenfazit und Überleitung zur Pädagogik
Im Zuge der Betrachtung der unterschiedlichen Kontexte, die das Incel-Phänomen umgeben und prägen, kann festgestellt werden, dass diese alle einen Nährboden zur Entwicklung dissozialer Verhaltensweisen bieten. Wieso sollten sich jedoch nun (Sonder)Pädagog*innen mit einer Personengruppe befassen, die auf den ersten Blick eher wenig mit schulischen Institutionen zu tun hat?
Dafür gibt es gleich mehrere gute Gründe. Zum einen können Kontexte des Incel-Phänomens Kinder und Jugendliche ebenfalls tangieren und prägen. Vor allem virtuelle Welten, Identitätskrisen und die Frage nach dem Selbstbild beschäftigen alle Heranwachsenden früher oder später. Besonders viele Schnittmengen zur Gruppe der Incels scheint es hierbei bei Kindern und Jugendlichen im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung zu geben. Heranwachsende in diesem Förderschwerpunkt sind ebenfalls überwiegend männlich und zeigen herausfordernde, teilweise dissoziale Verhaltensweisen. Sie sind dadurch genau wie Incels von Stigmatisierung, Einsamkeit und sozialem Ausschluss bedroht und gefährdeter, sich in ihrer Entwicklung Ideologien, wie die der Blackpill, zu öffnen. Zum anderen finden sich in der Incel-Szene sogenannte „Youngcels“ wieder, die (nach eigenen Aussagen) teilweise erst 13 Jahre alt sind und somit automatisch in den Zuständigkeitsbereich von Pädagog*innen in schulischen Institutionen fallen.
Dies sind gewichtige Gründe dafür, das Incel-Phänomen auch von einem pädagogischen Standpunkt aus zu betrachten. Weil Kinder und Jugendliche viel Zeit in schulischen Einrichtungen verbringen, nimmt die pädagogische Arbeit einen großen Einfluss auf die Entwicklung des Selbstbilds, der Selbstwirksamkeit, der Identitätsbildung und Medienkompetenz dieser Personen. Pädagog*innen können dementsprechend präventiv, aber auch interventiv tätig werden, um eskalierenden Fallverläufen zum Incel entgegenzuwirken.
Um jedoch pädagogische Handlungsfelder ableiten zu können und von Incels zu lernen, muss sich mit dieser Personengruppe und ihren Bedürfnissen auseinandergesetzt werden. Ein pädagogisches Konzept, das versucht, unter anderem dissoziale Verhaltensweisen nachzuvollziehen, ist das des schmerzbasierten Verhaltens nach Günther Opp. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird daher ein pädagogischer Fokus auf schmerzbasierte Verhaltensweisen gelegt und das Incel-Phänomen dahingehend untersucht, um mögliche Handlungsfelder für die pädagogische Praxis und den Umgang mit der Personengruppe abzuleiten.
2.2 Das Konzept des schmerzbasierten Verhaltens
2.2.1 Definition und Entstehung von Schmerz
Die Internationale Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (IASP) definiert Schmerz nach einer erneuten Revision im Jahr 2020 als „ unpleasant sensory and emotional experience associated with, or resembling that associated with, actual or potential tissue damage“ (Raja et al. 2020). Sie ergänzen die Definition im Weiteren durch sechs Unterpunkte im Begleitvermerk, die unter anderem darauf verweisen, dass Schmerzen subjektiv zu bewerten sind und durch biologische, psychologische und soziale Faktoren beeinflusst oder ausgelöst werden können. Des Weiteren weisen sie daraufhin, dass Schmerzerfahrungen durch unterschiedlichste Verhaltensweisen ausgedrückt werden und Berichte über erlebte Schmerzerfahrungen immer zu respektieren sind. Während akute Schmerzen unmittelbar nach einem Ereignis auftreten und eine schnelle Behandlung der Ursache Linderung verspricht, halten chronische Schmerzen über einen längeren Zeitraum an und können Betroffene biologisch, psychisch als auch sozial langfristig beeinträchtigen (vgl. Keßler & Bardenheuer 2018).
Bei Schmerzreizen werden Gehirnareale des zentralen Stressverarbeitungssystems aktiviert. Diesem kommt die Aufgabe zu, „ein durch körperliche, psychische oder soziale Belastungssituationen bedrohtes inneres Gleichgewicht wiederherzustellen“ (Egle 2015: S. 255). Schmerz stellt also eine besondere Art von Stress dar, durch den der Organismus in Alarmbereitschaft versetzt wird. Im Zuge des so erhöhten Stresshormonlevels im Körper reagiert der Organismus mit Schutzreflexen, um einer Schädigung zu entgehen beziehungsweise diese abzumildern und Lernvorgänge werden initiiert, um zukünftigen Schaden zu vermeiden (vgl. Draguhn&Kann 2018: S. 22).
Es ist dabei mittlerweile bekannt, dass kein zentrales Schmerzzentrum im Gehirn existiert, sondern dort viele Regionen an der Einstufung und Verarbeitung von Schmerzen beteiligt sind. Diese integrieren sensorische, affektive, motorische und vegetative Komponenten des Schmerzerlebnisses (vgl. Büchel et al. 2002/ Bornhövd et al. 2002/ Turk et. al 2011/ Eisenberger 2015). Schmerzen werden daher auch emotional wie biografisch bewertet, also mit anderen Schmerzerfahrungen verglichen und durch die affektive Verfassung des Individuums beeinflusst.
2.2.2 Sozialer Schmerz und seine Auswirkungen
Neben körperlichen Schmerzen, die auf Grund von Gewebeschädigungen verursacht werden, können Schmerzen auch seelisch empfunden werden, wie beim Phänomen des sozialen Schmerzes.
Der Sonderpädagoge Günther Opp definiert sozialen Schmerz wie folgt:
„Sozialer Schmerz verweist auf Stresssituationen, in denen sozialer Verlust von wichtigen sozialen Beziehungen, Erfahrungen der Anerkennungs-verweigerung, des Ausschlusses von sozialen Gruppen erlebt wird oder Einsamkeitserfahrungen im weiteren Sinne drohen.“ (Opp 2017: S. 26)
Das Empfinden von sozialem Schmerz aktiviert dabei Gehirnareale, die auch für die Verarbeitung von physischen Schmerzen zuständig sind (vgl. Eisenberger 2006/2012/2015). Besondere Bedeutung für den Zusammenhang von seelischem Schmerzempfinden und sozialer Ausgrenzung trägt dabei der dorsale anteriore cinguläre Cortex (dACC), der für die affektive Kodierung, also die Empfindung von Schmerzen sowie das Hervorbringen negativer emotionaler Zustände, zuständig ist (vgl. Tölle et al. 1999/ Shackman et al. 2011). Dieser wird sowohl bei der Beziehungsregulation als auch bei der affektiven Schmerzverarbeitung aktiviert und verdeutlicht so eine mögliche Beeinflussung von Beziehungserleben und Schmerzempfinden.
Da das physische und emotionale Schmerzempfinden eng miteinander verbunden zu sein scheint, stellten einige Forscher*innen die Hypothese auf, Schutzmechanismen, die bei physischen Schmerzen aktiviert werden, müssten auch bei seelischen Schmerzen zum Tragen kommen. Panskeep verwies dazu bereits im Jahr 1998 auf die überlebenswichtige Funktion sozialer Kontakte, vor deren Verlust der Organismus sich schützen müsse.
Nathan Dewall (2006) untersuchte dazu in einer Studie, warum Personen, die von sozialer Exklusion und Zurückweisung betroffen sind, häufig emotionslos erscheinen oder von einer emotionalen Taubheit berichten. Seine Ausgangshypothese lautete wie folgt:
“This shutdown of the emotion system might be beneficial in terms of immediately reducing a person’s suffering, in the same way that physical injuries often create an analgesia that saves him or her from feeling acute, ongoing pain for as long as the injury lasts.” (Dewall 2006: S. 6)
Befunde der Studie legten dar, dass zurückgewiesene Personen eine höhere physische Schmerztoleranz entwickelten und gleichzeitig weniger Empathie und Sympathie für andere Personen zeigten, die sich gerade frisch getrennt oder den Arm gebrochen hatten. Proband*innen zeigten außerdem verringerte emotionale Reaktionen bei der Beurteilung zukünftiger Ereignisse. Diese Ergebnisse implizieren eine Verbindung zwischen erlebten sozialem Schmerz und einer emotionalen Unempfindlichkeit, die als aktiver Lösungsversuch interpretiert werden könnte, Einflüsse und Auswirkungen von sozialem Schmerz zu verringern. Des Weiteren verdeutlichen sie den Zusammenhang von Beziehungserleben und Schmerzempfinden.
Im Folgenden wird nun ein vertiefter Einblick in die Ursachen und Ausprägungen sozialer Schmerzerfahrungen gegeben. Bezogen wird sich hierbei auf die einzelnen Bestandteile der oben genannten Definition von Günter Opp.
Verlust von wichtigen sozialen Beziehungen: Der Verlust von wichtigen sozialen Beziehungen impliziert einen Beziehungsabbruch zu engen Vertrauten. Welche Person dabei als wichtig angesehen wird, hängt von der subjektiven Bedeutungszumessung der betroffenen Person ab. Es kann sich daher um Freunde oder Familie, aber auch um Lehrer*innen, Internetbekanntschaften oder Arbeitskolleg*innen handeln. Eine solche Trennung kann unter anderem durch den Tod, biografische Ereignisse oder Zurückweisungen erlebt werden.
Christine Bär (2017) beschreibt dieses Phänomen anhand von Migration. Ein Verlust oder eine Trennung erzeugen dann seelische Schmerzen, wenn sie die Verarbeitungskapazitäten des Subjekts übersteigen (ebd.: S. 50). Ähnlich wie bei erlittenen Traumata kann der Verlust nicht verarbeitet und integriert werden. Dabei kann das Individuum in einen Zustand der Desorganisation versetzt werden, der eine Reorganisation des Lebens fordert. Eine feindlich gestimmte Umwelt verhindert jedoch häufig eine Reorganisation und erschwert somit auch eine Bewältigung des erlittenen Verlustes (ebd.: S. 53).
Folgen der Überwältigung durch einen nicht verarbeiteten Verlust können zu einer pathologischen Trauer führen, die sich in Depressionen oder Süchten manifestieren kann und das Individuum häufig im Alltag und in der Fähigkeit, neue Beziehungen einzugehen, beeinträchtigt (vgl. Znoj 2016: S. 5f.). Gefühle von Einsamkeit, Sinnlosigkeit und Orientierungslosigkeit spielen ebenfalls eine Rolle.
Starke verinnerlichte Objektbeziehungen, die von Kindesalter entwickelt werden, können einer Person dabei helfen, mit Gefühlen von Einsamkeit, Trauer und des Verlassenseins umzugehen (Grinberg&Grinberg 1990: S. 24f.). Häufige Brüche in (frühen) Beziehungen und schwach ausgeprägte Objektbeziehungen setzen das Individuum hingegen dem Risiko aus, von solchen Verlusterfahrungen überwältigt zu werden.
Erfahrungen der Anerkennungsverweigerung: Fremdbewertungen durch andere beeinflussen die Selbstwahrnehmung und –bewertung eines Individuums. Nach der Soziometer-Hypothese von Leary & Baumeister (2000) fungieren diese als Indikator für die eigene gesellschaftliche Stellung. Negative Fremdbewertungen oder Missachtungen implizieren demnach eine drohende soziale Exklusion, Anerkennung und positive Bewertungen hingegen eine soziale Integration. Soziale Integration stellt ein elementares menschliches Grundbedürfnis dar (vgl. Maslow 2018). Daher kann auch Anerkennung als ein solches betrachtet werden.
Nach Anhut und Heitmeyer (2000) existieren drei Formen der Anerkennung:
- Positionale Anerkennung (im Bereich der sozialökonomischen Teilhabe und politischen Teilnahme)
- Moralische Anerkennung (im Bereich von Fairness, Gerechtigkeit, Solidarität, Teilhabe an Diskursen)
- Emotionale Anerkennung (im Bereich emotionaler Beziehungen: Erfahrung von Geborgenheit, Sinn und Einbindung in ein soziales Umfeld)
Eine Anerkennungsverweigerung oder eine grundsätzliche Abwesenheit von Anerkennung ist nach Heitmeyer (1998) auf eine Desintegration in einem der zugehörigen Bereiche zurückzuführen. Nach Endrikat et al. (2002: S. 40) fördern solche Desintegrationsbelastungen mit der Folge einer negativen Anerkennungsbilanz die Ausbildung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie gewalttätiger und diskriminierender Verhaltensweisen (siehe auch Kapitel 2.1.7). Der Prozess ist beispielhaft in Abbildung 3 dargestellt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Entlastung von Nichtanerkennung durch feindselige Einstellungen (Kaletta 2008: S. 202)
[...]
1 Begriff, der im Online-Diskurs verwendet wird, um den Komplex loser verbundener Webseiten und Foren von Incels zu beschreiben.
2 Ihr richtiger Name wird aus Datenschutzgründen im öffentlichen Diskurs nicht verwendet.
3 Eine mit männlichen Geschlechtsmerkmalen geborene Person, die sich selbst als Mann bezeichnet.
4 Incels bewerten Menschen auf einer „Attraktivitätsskala“ von 1-10. Wer sich auf dem gleichen Attraktivitätslevel befindet ist ein „Looksmatch“.
- Quote paper
- Jennifer Schmitz (Author), 2021, Das Phänomen "Incel" als Ausdruck schmerzbasierten Verhaltens. Beeinflussbar durch pädagogische Prävention, Intervention und Aufklärung?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1159296
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